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GESCHICHTE
DES
MEDICINISCHEN UNTERRICHTS
VON DEN ÄLTESTEN ZEITEN BIS ZUR GEGENWART.
Vos
Dr. med. THEODOR f USCHMANN,
O. Ö. PBOFEESOR AN DER UNITEBSITÄT ZU WIEN.
LEIPZIG,
VERLAG VON VEIT & COMP.
1880.
Druck Ton Metzger d Wittig in Leipzig.
lS^]^'rf:»rx!f['y^Ma^
Vorwort.
Die vorliegende Arheit ist der er^te Versuch einer zusammen-
hängenden Darstellung der Gescliicbte des medicioischen Unterrichts»
In der Literatur wurden bisher nur Bnichstücke derselben niedergelegt,
welche die Entstehung und Eiitwickelung einzelner medicinisoher Schulen
und Anstalten, die Lehr •Meinungen und Unterrichts- Methoden, die
dabei wirkenden Personen und ihre Leistungen behandeln. Die.4e Nach-
richten mussten gesammelt» geprüft und mit einander verglichen werden,
wenn sie als haltbare Stützen des "Werkes verwendet werden sollten.
An einzelnen Stellen fehlten verlässliche und austührliche Älittheilungen;
die Documente, welche darüber Anfschluss geben, liegen vielleicht noch
unerschlossen in den Archiven und Bibliidheken. Ich muss mich be-
schränken, darauf hinzuweisen, wo die Quellen spärlich fliessen oder
gänzlich versiegen, und es späteren Forschungen überlassen, hier den
Boden aufzugraben und das Material für die Losung der Fragen zu-
sammenzutrageUj welche nicht beantwortet werden konnten.
Die Geschichte des medicinischen Unterrichts hat nicht blos für
die Geschichte der Heilkunde und des Erziehungswe.sens, sondern für
die Culturgeschichte überhaupt eine grosse Bedeutung; denn sie ergänzt
ßie und bildet eigentlich einen zugehörigen Theil derselben. Aus diesem
Grunde habe ich mich für verpÜichtet und berechtigt gehalten, die
Beziehungen, welche mein Thema zur allgemeinen Cultur-Entwickelung
hat. sorgßltig zu verfolgen und darzulegen ; manche Thatsache, welche
losgelöst von den Bestrebungen ihrer Zeit rathselhaft und wunderbar
erscheint, erhält dadurch eine klarende Beleochtung.
Wenn ich diese Gelegenheit benutzt habe, um mehrere Irrthumer,
welche sich in den Lehrbüchern der Geschichte der Medicin eingebürgert
'56iia
VI Vorwori,
haben, zu berichtigen, und einige Thatsachen hervorzuheben, die bisher
unbeachtet geblieben sind, so wird der wissenschaftliche Werth meines
Buches dadurch sicherlich nicht beeinträchtigt.
Eine angenehme Pflicht erfülle ich, indem ich den Herren Mini-
sterial-Rath Dr. B. von David und Sektionsrath Dr. von Kleemann
in Wien, Geh. Ober-Med.-Rath Dr. Kersandt und Geh. Ober-Regierungs-
Rath Dr. Althoff in Berlin, Medicinal-Rath Dr. Geissleb in Dresden,
Regierungs-Rath Dr. Bumm in München, Dr. von Riedel, Leibarzt
I. M. der Königin von Spanieu in Madrid, Prof. Dr. Serra de Mibabeau
in Lissabon, Prof. Dr. A. Corradi in Pavia, Prof. Dr. Albini in Neapel,
Prof. Dr. Anagnostakis in Athen, Prof. Dr. Felix in Bukarest, Prof. Dr.
von Wini WÄRTER in Lüttich, Dr. Daniels in Amsterdam, Prof. Dr.
Petersen in Kopenhagen, Prof. Dr. H. Heiberg in Christiania, Prof. Dr.
Hedeniüs in Upsala, Prof. Dr. Rauber in Dorpat, Prof. Dr. Kollmann
in Basel, Geh. Rath Prof. Dr. Hegar in Freiburg i/Br., Geh. Rath
Prof. Dr. ScHüLTZE in Jena, Prof. Dr. Eckhard in Giessen, Prof. Dr-
Oesterlen in Tübingen, Prof. Dr. W. Krause in Göttingen, Prof.
Dr. Uffelmann in Rostock, Prof. Dr. G. Ebers in Leipzig, Prof. Dr.
Bt^HLER und Heinzel in Wien, sowie den Vorstanden und Beamten
der Bibliotheken zu Paris, London, München und Wien meinen er-
gebensten Dank ausspreche für die wohlwollende Förderung meines
Unternehmens.
Wien, im April 1889. Der Verfasser.
Inhalts-Übersicht.
Seite
Einleitung 1
I. Der mediciuische Unterricht im Alterthum 6
Indien . . . . ' 6
Ägypten 15
Bei den Israeliten 22
Bei den Parsen 27
Bei den Griechen vor Uippokrates 29
Zar Zeit des Hippokrates 40
In Alexandria 61
Die Medicin in Rom 70
Der medicinische Unterricht in Rom 82
Der ärztliche Stand in Rom 102
II. Der medicinische Unterricht im Mittelalter 113
Der Einfluss des Christenthums 113
Die arabische Cultur 130
Medicinische Wissenschaft und medicinischer Unterricht bei den Arabern 137
Die Medicin der Germanen und der Unterricht in den Klosterschulen 156
Die Schule von Salerno 166
Die medicinische Schule zu Montpellier 176
Die ältesten Hochschulen Italiens 185
Die ältesten Hochschulen in Frankreich 190
Die übrigen Universitäten Europas im Mittelalter 194
Die Bildung der Ärzte im Allgemeinen 199
Der Unterricht in der Anatomie 203
Der Unterricht in der Arzneibereitung und der ärztlichen Praxis . 211
Die ärztlichen Prüfungen 219
Die Chirurgie und Geburtshilfe 223
Der ärztliche Stand und die medicinische Literatur jener 2feit . . . 232
III. Der medicinische Unterricht in der Neuzeit 239
Der Charakter des 16. Jahrhunderts 239
Die Emancipation vom Autoritätsglauben auf dem Gebiet der Medicin
und die Fortschritte der Wissenschaft 247
Die Universitäten im 16. Jahrhundert 261
Der mediciuische Unterricht 268
Der ärztliche Stand und seine Stellung zu den Bewegungen des
16. Jahrhunderts 280
VIII Inhalts - Übersicht
Seite
Die experimentelle Richtung der Naturwissenschaften, der Physik und
Chemie während des 17. Jahrhunderts 285
Die mikroskopische Forschung in der Anatomie und das EIxperiment
in der Physiologie 294
Die Fortschritte in den übrigen Theilen der Heilkunde während des
17. und 18. Jahrhunderts 806
Der Charakter jener Zeit in der Kunst und Philosophie 317
Die gelehrten Gesellschaften und Universitäten im 17. und 18. Jahr-
hundert 32Ö
Der medicinische Unterricht in den theoretischen Fächern, sowie in
der Anatomie, Botanik, Chemie und Arzneimittellehre .... 329
Der klinische Unterricht im 17- und 18. Jahrhundert 341
Der Unterricht in der Chirurgie, Augenheilkunde und Geburtshilfe . 347
Der medicinische Unterricht am Schluss des 18. Jahrhunderts und der
ärztliche Stand 359
IV. Der medicinische Unterricht in der neuesten Zeit .... 365
Die naturwissenschaftliche Weltanschauung des 19. Jahrhunderts . . 365
Physik und Chemie in den letzten hundert Jahren 374
Die medicinischen Systeme und die Fortschritte in der Anatomie und
Physiologie 382
Diagnostik, pathologische Anatomie und experimentelle Pathologie,
Nosologie und Heilmittellehre 391
Chirurgie, Augenheilkunde, Geburtshilfe und Staatsarzneikunde . . 899
Der medicinische Unterricht in der Gegenwart 409
England. — Nord- Amerika 412
Frankreich ; 433
Österreich-Ungarn 448
Die deutschen Mittel- und Kleinstaaten vor der Gründung des
Deutschen Reiches 463
Preussen und das jetzige Deutsche Reich 471
Italien 482
Spanien und Portugal 484
Holland und Belgien 486
Schweiz , 488
Dänemark. — Norwegen. — Schweden 490
Russland 492
Griechenland und die christlichen Länder der Balkan-Halbinsel . 493
Schlussbetrachtungen 495
Einleitung.
^IM* ii4i«ilt prim^m «if« hMtiriae teg9m, ne quiti
fmUi dicer* audtot, deindt im quid mri wem audtat^
nt qua MUJffttcio ^atiae tit in «cri&eiwZo» ne q*ui
»imuftatiM,
Cicsso, dt! oralore II, 15.
Die historische EDtwickelnni? »Ifs m»*dirini8chen tTnterrichts zeigt
iUn rfpichen Charakter wie die Geschichte der Heilkunde überhaupt
Die Noth, die erßnderiscie Lehrerin der Menscherij gab, wie schon
flfffOKRATES* sagt, die YeranUissun^, dn^R die ersten Heilversuche an-
gfstellt wurden. Di^ kampfeslustige Lebensweise der rohen Naturvölker,
d^ren Lieblingsbeschäfti^runi: die Ja^^d und der Krieg waren, führle
Verletzungen herbei, gegen welche Hilfe gesucht wurde. Mitleidige
Freande und Kampfe^sgenosseu brachten Linderung der Schmerzen, indem
AP die Wunden auswuschen und mit kühlenden Krautern bedeckten.
Bald begannen Einzelne, die Heilkräfte der Pflanzen zu erforschen
Qid ihre Erfahrungen auf diesem Gebiet zum Besten der Angehörigen
ihres Volkes zu verwerthen. Waren sie mit der Gabe ausgestattet, die
Xatur zu beobachten, und bot sich ihnen die Gelegenheit dazu, so
rerden sie vielleicht den Versuch gemacht halien, das Wesen der Ver-
Jelzimgen, die sie zu behandeln wagten, zu ergrimden. Auf diese Weise
liildete sich allmalig eine Art vrm Ärzten, welche sich auf rnipirisehem
Wege eine bemerkenswerthe Gewandtheit in der Heilung äusserer Schäden
aneigneten.
Bei inneren Leiden, namentlich abt^r bei Epidemien, deren Ursachen
nicht so deutlich zu erkennen sind, wie die der äusseren Verletzungen,
wandte man sich an Diejenigen um Rath, die in jener frühen Cultur-
periode als die Vertreter alles Wissens' galten, an die Priester. Von
» HiPPOKRATE», Ed. Littre. Pari» 1639. T. I, p. 574.
* ,JHb SüAskritiache vai^a von wid, wiflaen, and dus Lateinische mMom
VOD mtdh^ weise aeui, ^igen an, daae der Arzt seine Benetimiug von neiner
Einsicht erhalten bat/' Ck. Lasssn: IndiacHe Alterthtimakunde^ London und
Ldpsig 1874, Bd. II, S. 517. — Verg!. Ai>. PicrrETi Etymologische Forschungen
ober Äe älteste Arroeikunst bei den Indogermanen in der Zeitsclirift für ver-
gleichetide Sprachforscljung, Bd. V, 8. 24 u. ff., Berlin 1856.
FotCVXAJnr, Unterricht. X
2 Einieäunff.
ihnen erwartete man um so eher Hilfe, als [die Entstehung dieser
Krankheit-en, weil sie dunkel und räthselhaft war, den überirdischen
Gewalten zugeschrieben wnrde.
Die Priester l>emühten sich, durch Gebete und Opferungen den
Zorn der G Otter zu versöhnen nnd ihr Wohlgefallen zu erringen. Sie
flössten dadurch den Kranken Hoffnung und Vertrauen ein und wen-
deten ini Übrigen eine exspectative Behandlungsmethode an. Dabei
konnte ihnen nieht entgehen, dass die Edblge nicht immer den Er-
wartungen entsprachen und häufig gemd^ dann ausblieben, wenn, wie
bei verheerenden Seuchen, die öffentliche Aufmerksamkeit darauf ge-
richtet war. Wollten sie die Schwiichung ihres Ansehens, die dadurch
herbeigeführt wurde, vermeiden , so mnssten sie trachten, (kirch diäte-
tische und merlicamenti>se Yerordnungen einen grösseren Eintluss aul
den Verlauf der Krankheiten zu gewinnen. Dazu bedurften sie medi-
cinischer Kenntnisse, die sie sich durch die si^rgfaltige Beobachtung der
Krankheitserscheinungen und durch die I^rtorscbung ihrer Ursachen und
Heilmittel zu ei-werben suchten. Im Verlauf der Zeit sammelten sie
eine Summe von Erfahrungen, die in mundhclier oder schriftlicher Über-
lieferung auf die späteren Geschlechter gelangten und von ihnen mehr
und mehr vervollständigt wurden.
Die Au.<ül>uug der Heilkunst geschah nun nach bestimmten Regeln^
und ihre Erlernung ertbigte in systematischer Weis«. Die Medicin
wurde eingereiht in die Zahl der Unterrichtsgegenstände, welche in den
Tempelschulen gelehrt wurden^ und tiie Priester sorgten dafür, tla^s das
errungene arzthche Wissen mit den religiösen Vorstellungen, welche
den Volksglauben beherrschten, derartig verbunden wurde, dass die letz-
teren abs massgebend für die Behandlung der Krankheiten erschienen.
Dieselben wurden aber zurückgedrängt, als die fortschreitende Erkenntniss
dazu aufforderte, sie ohne jede Voreingenommenh<4t kritisch zu prüfen*
Älit ihrer Beseitigung vollzog sich »lie Emancipation vüni religiösen
Eintlnss und die Entstehung eines selbstständigen ärztlichen Standes*
Die Vertreter desselben vereinigten die aus den Tempelschulen
übernommenen medicinischen Kenntnisse mit den ärztlichen Erfahrungen
der Empiriker. Sie beschränkten sich nicht, wie die Priester, vorzugs-
weise auf die Behandlung der inneren Leiden, sondern befassten sich
auch mit der Chirurgie und Geburtshilfe.
Diese Verschmelzung der inneren und äusseren iledicin, wie sie
von den Hippiikratikern und überhaupt von den Ärzten der griechisch-
römischen Culturperiode zum Ausdruck gebracht wurde, wirkte auf beide
Richtungen der Heilkunde anregend und fordernd und führte zu hervor-
^L ragenden Leistungen. Die bewunderungswürdigen Fortschritte, welche
jjdie Heilkunde^ namentlich die Chirurgie, in Alexandria und Rom maohte*^
ren einen Ausblick auf Dajs, was noch erreicht worden wäre, wenn
die politischen Umwälzungen, die mit dem Zerflill des römisrheu Reiches
zusammenhingen, fiie weit^ere Ent Wickelung der Medidn wie aller üljrigen
Wissenschaften und Künste nicht gehemmt hätten.
Die auf einer niedrigen CuUurstufe stehenden Völker , welche da-
ilie Weltbühne betraten, mussten das in den vorangegan«?enen
emmgene Wissen erst in sich aufnehmen» bevor sie danin denken
durften, dasselbe durch eigene Entdeckungen und Ertindungen z« ver-
mehren. Während des nächsien Jahrtau?^ends erfolgte die geistige Ent-^
Wickelung nicht in der Höhi^ndimension, sondern in der Breit^ndimen-
gjan; die Summe des Wissens wurde nicht wesentlich vermehrt » aber
1^ verbreitete sich über eine grössere Fläche der bewohnten Erde,
Selbst im Orient, wo sich die Traditionen verschiedener Cultnr-
perioden mit dem Thatendrang eines die höchsten Ziele anstrebenden
jugendfrisc-hen Volkes verbanden, hat man wenigstens in der Heilkunde
keine Schöpfungen hinterhissen, welche dauernd waren und auf die
weitere Gestaltung dieser Wissenschaft einen tiefgreifenden Einfluss aus-
übten. Die araliische Mediein ist daher nichts weiter als eine freilich
l^ossartige Episode in der Geschichte der Heilkunde,
Im Abendlande übernahmen die Priester wiederum das Lehramt
iier Mediein. Die romanischen und germanischen Völker wurden zu
fdean Glauben bekehrt, dass die christliche Kirche nicht blos die Wahr-
h^ten des himmlischen Lebens, sondern auch das Wissen dieser Welt
^besitze und bewahre. Der Klerus vereinigte in sich alle Gelehrsamkeit^
damaligen Zeit, und die Klöst-er wurden die Schulen d^r Mensch-
heit Die Ausübung <ler Heilkunst hatte für die Geistlichen jedoch
.manche ünzuträghchkeiten im Gefolge; die Rücksichten auf ihren
r Stand verboten ihnen die Ausführung chirurgischer Operationen, weil
durch deren Misslingen der Tod der Patienten herbeigeführt werden
.konnt-e, und hielten sie zurück von der Behandlung der Fimien-
rkmnkheiten.
Es war daher begreiflich^ dass sich neben ihnen eine Kategorie
Ton irzten erhielt und weiter entwickelte, welche nicht dem geistlichen
Stande angehörten. Hierzu zählte man auch di^ zahlreichen jüdischen
Ärzt>e^ welche sich in den christlichen Ländern niederliessen und wegen
ihrer mit gnindlichem Wis.sen verbundenen praktischen Tüchtigkeit
sehr geschätzt waren, ebenso wie jene Elemente, welche im europäischen
Süden mit der arabischen Heilkunde bekannt geworden waren. Die
letzteren spielten bei der ersten Gründung selbstständiger Jirztlicher
Schulen, zu Salemo und Montpellier, eine hervorragende Rolle, wahrend
1*
der chrktliche Klerus auf die Entstebufi^ der iiltesten Uiiivemtät-en
uod ihre Einrichtuagen einen massgehendeii J^nfluss aasübte.
Die Universitäten, welche fortan als Sammelpunkte der gelehrten
Bildung dienten, rechneten auch die ärztliche Erziehung zu ihren Auf-
gal>(*n; ulier sie berücksiehügttfn däl>ei nur die theoretisch-wii^eusehatt-
liehe Seite dersicdben und vernachlässigten ihre praktischen Ziele, Diese
Lücke der ärütlichen Bildung musi?te durch den Besuch der Spitäler
oder durch die persönliche Unterwt^isung eines erfahrt'nen Praktikern
ergänzt werden, wenn die Jungen Doktoren das Yertraunn ihrer Kranken
erlangen wollten.
Ausser die!>em Umstände hatte der geistliche Ursprung der Uni-
versitäten die Folge, dass der doii ertheilte mediciniscbe Unterricht
vorzugsweise die inneren Krankheiten in den Kreis der Betrachtung
aog. Daraus ergalt sich die Nothwendigkeit, dass neben den gelehrten
Ärzten ein Heilpersonal bestand, welches sich der Chirurgie und der
Behaniilung *ler äusseren Schäden widmete. Die Ausbildung dimsf
Wundärzte wai' eine handwerksmässige imd nabra in der Barbierstuhe
ihren Anfiing; aber sie schuf Ärzte, welche mit den BtHiüxfnissen der
Praxis vertraut waren und den Kranken zu helfen verstanden.
Die Chirurgen und Ärzte trennte Anfangs eine tiefe sociale Kluft,
welche jedoch ihre Berechtigung verlor, je melrr die ersteren Ijestreht
waren, ihre Allgemeinbildung zu erhrdieo, unddiu-ch originelle Leistungen
zur wissenschaftlichen Entwickidiing der Heilkundt^ Ijeitrugen* Einige
derselben haben bahnbrechende Arbeiten gehefert^ welche ihren Namen
in der Geschichte der Chirurgie verewigt haben. Vorurtheilsfreie, klar
denkende Arzte erkannten die Vorzüge, welche die chirurgische Bildung
bot, und suchten dieselbe mit ihrer eigenen zu vereinigen. Aber sie
waren in fnlheren Jahrhunderten nur vereinzelte Ausnahmen; denn die
Scheidung der Ärzte in Chirurgen und Mediciner erhielt sich bis in
tlie neueste Zeit, wenn auch die socialen Unterschiede ü'üher ausgeglichen
wurden.
Dagegen entwickelte sich allmalig eine höhere und eine niedere
Kategorie des HeilpcrsonalSj von denen die erstere die graduirten Ärzte
und Chirurgen, die letztere die sogenannten Landärzte und niederen
Wundärzte umtasste. Dieselben lR\stehen in manchen Ländern noch
jetzt, während in anderen, z. B, in Deutseliland und Österreich, nur
noch eine einzige, die verschiedeneu Zweige gleichmässig berücksich-
tigende, ilie höchste medicinische Bildung besitzende Klasse von Ärzten
eiistirt
Die Schicksale des ärztlichen Standes haben eine grosse Bedeutung
für den Inhalt und die Formen dm me^licinischen Unterrichts. Die
4
I
^iale Stellung der Ärzte bestimmt das Maass von Allgemeinbilduns',
reiche ron ihnen verlangt wird.
Die Ansprüche, welche an ihr fachmännisches Wissen und Können
eilt werden, sind alihangfig von der Summe der That^aehen imd
ehren, di« den Inhalt der Heilkunde darstellen. Sie legen ein un-
reideiitiges Zeugniss ab filr die letzteren nnd berichtigen, bestätigen
[und ergänzen dadurch die Geschichte diei^er WissenschiiJt.
Di*s Form und Methode des medicinischen ünterrirhts^ richtet sich
pben so sehr nach den allgemeinen Cultnrverhnltnissen, als nach dem
Eustande der Hpilkonda Das Zeitalter d<T Schrdat^tik verhmgle, daa«*
[die me<ljcinischf*n Thwricn, welche in den Hiirsalt'u vorgetragen wurden,
rdorch die Aussprüche der herrschenden Autoritäten gerechtfertigt wfir-
jilen: auch die darauf folgende Periode begnügte sich mit histori>;eh('n
jlind theoretischen Auseinandersetzungen, und erst im 17, Jahrhundert
[trat die Beobachtung der Natur nnd die eigene Untersuchung in den
Vonlergrund. Mit dem Aufschwünge der Naturwissenschaften, }»es(>nders
der Chemie nnd Physik, mit der Griuidung anatomischpr Lebranstalten,
[in denen die Schüler Gelegenheit zait Zergliederung menschlicher Leich-
name erhielten, mit der Einführung des klinischen Untf^rrichts in den
dazu bestimmten Krankenhäusern und der Anleitung der Studierenden
m eigenem selbstständigen Arheiten erfuhr die arxtJiche Erziehung eine
voUstilndige Umgestaltung. Die pndiischen DemonsiTationcn und Ver-
«QOlie, welche früher gänzlich gf^fchlt oder doch nur ausnahmsweise
[itattgefußden hatten, bildeten nun einen wesentlichen Theil des medi-
ßhen Unterrichts. Dadurch erhielt er jene lu'eite Grundlage, welche
^mner harmonischen Ausbildung der Arxte nothwendig ist^ damit
dieselben sowohl zur Ausübung der Heilkimst, als zur wissen«cbaftlich<m
for»ehung derwllten l>e(ahigt werden.
Die WuiiGeln uiiöerer Ctiltur lit^is^en iui Ostea. An den Ufeiii des
(jaiijcresy in der Nil-Ebene und im met^nimÜDssenen Griechenland blühten
sc^h(in vor Jjihrtausenden Könstp und Wissenscliuften und erreii^hten
eine bemerkenswertlie Eotwickelung, Auch die Heilkun»! feierf/e dorr
ihre frühesten lYiumphe.
Sie wurde in Indien ilnfanprs von den Priestern ausgeübt^ welch«
hier wie überall nh die Hrbatzhüter alles menschlichen und göttlichen
Winsens galten.
In den ältesten Rchritten der Jndier, den \'eden, deren Entstuhun*r
in die Zeit vor 600 v, Chr. tBlll, erscheinen die Krankheiten als Strafen
erzürnter Gottheiten und Geister oder als Folgen der Zauberkünste
böser Menschen, Zu ihrer Beseitigung wurden Gebete, Opfer und Be-
schwörungen angewendet Aber schon im Rigveda^ wird auf die Heil-
kraft einiger diätetischer und medicamentöser Mittel hingewiesen.
Je raelif die Summe der mediciniKchen Kenntnisse und Erfahrnugen
wuchs, desto mehr stellte sich das Bedürfniss heraus, die ärztliche
Thätigkeit nicht blos den Priestern^ sondern auch den Mitgliedern an-
derer Kasten zu gestritten, wenn sie durch ihr Wissen und Können
dazu hetübigt erschienen. So entwickelte sich allmalig ein liesonderer
är/tlicher Stand, welcher sich aas den drei höheren Klassen der Ge-
sellschaft ergänzte; nur flie verachteten Sudra, die sich dnrch ihre
Rasse-Eigenthümlichkeiten von den eingewanderten Ariern untei-bchieden,
blieben davon aasgeschlossen. Später bewirkte der nivellirende Eintluss
des Buddhismus, dass auch diese Schranke einigermassen gelockert wurde.
Aüöfiihrliche Angaben über die Erziehung der Ärzte finden sich
in den beiden Erklar ungsschritten xum Avui-Veda, welche von Chabaka
* Rotn hl fiüT Zeirsclirift der doutsclten morgenl&Ddiwhen Gcsellechnft,
.Bd. 24, Ä. Htll u. ff. und Bd. 25, S. 84Ö U. fH.
m
Indien,
I tun
muTA verfosst sind und die ältesten medicinischen Werke der
Samkrit-Literatur bilden*
Chabaka' giebt den Jüniyrlingen, welch« die Heilkunde erlernen
wollen, den Rath, sich einen Lehrer zu suchen, „dessen I^ehre lauter
nnd dessen praktisches Geschick erprobt ist, der gescheidt^ gewandt^
leohtlich and nnbescholten ist, seine Hand zu regieren weiss, die no-
tlügen Hilfeniittel und iille Sinne hat, vertraut mit den normalen Zu-
den und dem Ver&liren hei abnormen Verhältnissen, von achtem
Wiasen, nngeziert, nicht unfreundlich und aufbrausend, geduldig und
liebreieh gegen die Schüler ist**
Für sehr tauglich zum Studium der Heilkunde werden diejenigen
Schüler erklärt. ,,welche aus einer Familie von Ärztin stummen oder
mit Ärzten verkehren und kein Glied und keinen Sinn zu* wenig haben/*
Bei der Aufnahme ermahnte der Lehrer den Schüler. *,keusch und
enthaltsam zu sein, die Wahrheit zu reden, ihm in allen Dingen zu
gehorchen und einen Bart zu tragen,"
Als die drei wichtigsten Mittel, um medicinische Kenntnisse zu
erwerben, werden jxectannt: die Lektüre ärztlicher Schriften^ die persön-
liche Unterweisung des Schülers durch den Lehrer und der Verkehr
mit anderen Arzt^en.
„Wenn der Arzt**, sagt Cuaraka, „von einem bekannten und zum
Eintritt berechtigten Mann begleitet, die Wohnung des Kranken betritt^
er wohl gekleidet^ gesenkten Hauptes, nachdenklich, in fester Hal-
tung und mit Beobachtung aller möglichen Rücksichten auftreten. Ist
•r drinnen ; so darf Wort, Gedanke und Sinn auf nicht* anderes ge-
nchtel sein, als auf die Behandlung des Patienten und was mit dessen
Lage zusammenhangt** „Niemals darf selbst der Kenntuissreichste*^
fahrt er fort, .«mit seinem Wissen gross thun. Viele ziehen sich auch
Ton einem Fähigen zurück, wenn er zu prahlen liebt, lud die Me-
dicin ist wahrlieh nicht so leicht zu erlernen. Darum übe sich Jeder
darin sorgfältig und unaufhörlich! Über das Verfahren und die Voll-
kummenheiten de^ Praktikers kann man auch bei Andern zu lernen
guohen; denn die ganze Welt kann eine Lehrerin des Verständigen
keissen^ und nur dem Thoren ist sie feind. Mit Rücksicht darauf darf
er sogar vom Rath des Feindes Wohlstand, Ehre und Leben erwarten
wad darnach handeln.*'
Dringend empliehlt er den Umgang mit anderen Ärzten. „Denn
die ünterreduug mit einem Fachgenossen vermehrt die Kenntnisse,
' Samhitii IIl, ö, nach R. Roths Übers, in der Zeitechr. der deutscheo morgen*
^liDd. Ges. 1872, Bd. 26, S. 445 u. E
^
Der medkmiadhB Ünimrickt m AUerUiium.
macht YeTf^mügeo, fördert die Erfahrung, giebt Hode|j»'wandth*^it und
vtTschatrt Aiis^'heiL Wer ülH*r Erlerntes unsich^^r ist, dessen Zweifel
werdnn durch di« wiederholte Belehrung gehoben, wer jene Unsicher-
heit un<l Zweifel uieht hat, dt^sen Urtheil wird befestigt. Auch he-
konniit man oft etwas zu hören, wa« man bisher nicht wusste. Mandier
Li*hr<^r kann sich hinreissen lai^sen^ ein Äurüekp^ehaltenes Wissen, dtis
tsr sonöt dem Zö^^hng nur allmälig mittheilt, bei Oelegenhejt einee
solchen Redeuustausehes mit einem Male preiszugeben«**
Bei Susru'TA^ (Op, 2) heisi^t (»s^ dass «b*r Arzt als Schiiler den
Sohn i^ines Brahmanen, sowie eines Ksatrya oder Vaisya (Adeligen
oder Bürgers) von guter Familie annehmen dürfe, wenn derselbe Its Jahr
alt sei, ein ansUindiges Betragen zeige, Reinlichkeitsliehey körperliche
KraJt't und Süirke, Verstand, ein tüchtiges Gedachtuiss und den Wunsch,
zu lernen un<l sein Ziel zu erreichen, besitze. ,,Er muss eine leine
Zunge^ schmale Lippen^ regelmässige Zahne, ein edles Aothtz, w^hlge-
Ihiiate Nase und Augen, ein heiteres Gemuth und feinen Anst4ind hallen
und Hihig sein, Mühen und Schmerzen zu ertragen. Wer andere Eigen-
sehaften besitzt, soll nicht zum ärztUehen Beruf zugebk^sen w«TderT/* —
Die Aufnahme des Schülers erfolgte an einem GlüokHtage. und
die dannt verbundt^ne Feierlichkeit wurde am Abend , wenn der
Mond und die Sterne am Hftnmc] standen, voUzogetu Si»^ begann
damit, dass die Götter auf einem Altar, der aus einem 4 Eüen nat^h
jeder Seite messenden, nach Osten odt^r Norden gelegenen Erdwall be-
stand und mit Kiihdünger^ und Kusa-Gras (Foa cynosuroides) bedeckt
wurde, durch Opfer von Reis, Blumen und Pldelsteinen verehrt wurden,
während die Brahmanen und Ärzk* (ieKchenke empüngen. Hierauf
zeichnete der die l^remonie leitt^nde Brahmane eine Linie auf der
Erde, besprengte die Stelle mit Wasser und lieftis den Adepten der
Heilkunde an seiner rts:^hten Seite sitzen. A'or ihn^n wurde ein F*-uer
anvrt'Uiai^ht, in ^velchem nach den religiöi^en Vorschriften da« Holz von
Khadira (Acacia catechu), Falasa (Butea fromlosa)^ Devadaru (Cedrus
deud&ra) und V'ilva (A<^gle marmolos), oder von Vata (Ficus Beaga-
Jaina duniiiam (Ficus glomerata), Asvattha (Ficus religiosa) und
Hfldhuka (Basaia latifulia) verbrannt wurde, nachdem es in geronnene
Milch, Honig und abgeklärte Butter gi*taneht wortlen war
Nach der Beendigung des Dpfei-s führte der Lehrer seinen Schiiler
dreimal um da^ä Feuer herum und sprach zu ihm, indem er die Gott-
*
* The Snsnitn Sauihita cd. bv Uimjv Chand Dutt, Calciifta IBSfl (BibUo*
iKioea luiUctt, fme. 490. 600).
' Die Kuh galt rIb heilig.
In^HetL
heit des Feuers smm Zeugen anrief: y.Lege nun ab alle Begierden, den
Zam, die Habsucht, Thorheit, Eitelkeit, den »Stolz und Neid, die Roh«
hdt, Betrügerei, Falschheit, Trägheit und alles tadelnswerthe Verhalten.
Deine Haiire und Deine NägeJ wirst Du jederzeit kurz geschnitten
tragen, ein rothes Kleid anlegen, ein reines Leben fuhren, wollüstigen
Tarfcehr vermeiden und Deinem Yorgesetzten gehorchen. Du sollst.
daUfiiben, umhergehen, Dich niederlegen oder niedersetzen, e^ssen und
^^dieren, wenn ich es befehle, und immer bereit sein, mein Wohl-
L^IBp^n zu (cirdern. Wenn Du dies versäumst» wirst Du eine Sünde
P VpoeD, und HÜes Wissen ist Dir unnütz und werthlüs. Wenn aber
ich schlecht gegen Dich handele, wahrend Du Deine Pflicht erfüllst^
9a begehe ich eine Sünde, und meine Kenntnisse werden keine Früchte
tragen.'' — Femer ermahnte er ihn^ als Arzt später die Brahmanen,
die Lehrer, die j\jTnen, seine Freunde und Nachbarn, die Frommeru
die Waisen und die fremd»>n Leute, welche fern von ihrer Heimatb
sind, unentgeltlich zu behandeln und ihnen Arzneien zu reichen. Da-
gegen soll er Denen, welche auf der Jagd Thiere tödten und Vögel
bogen, sowie den Verbannten und Verbrechern seinen ar7tlichen Rath
Terweigem, „Wer so handelt^ macht sich bekannt ali^ gelehrt und erwirbt
Freunde, Buf, Tugend» Reichthum uod andere wünsehenswerthe Dinge,"
An bejstimmten Tagen durfte der Schüler nicht studieren, z. B* am
&^ 14. und 15. Tage dos Neu- und Vollmondes: desgleichen war es
ihm verboten, den Studien obzuliegen „in der Drimmenmg des Morgens
oder im Zwielicht des Abends, l>ei Donner und Blitz, wenn dies zu
einer ungewr>hnlichen Jahreszeit geschah, zu der Zeit, während der
König des liande^s krank darnieder lag» nach dem Besuch einer Brand-
ätatle^ nach der Theilnahme an einem Begrabniss, während des Krieges,
bei grossen Festen, l:»ei unglücklichen Naturereignissen, z, B. l>ei Erd-
beben, l*eim Fall von Meteoren, sowie an solchen Tagen, an denen die
Brahmanen sich des Studiums enthielt^m, oder er ans irgend welciiem
Grunde für befleckt gelten konnte/- —
te Diesen bisweilen seltsamen Verordnungen lag offenbar der ver-
ftige Gedanke zu Grunde, den Studierenden die bei ihrer Beschäf-
ng noth wendige Erholung und Müsse zu verschaffen und sie davor
zu bewahren, dass sie die ünterrichtsgegenstände, wenn ihre Aufmerk-
siiinkeit durch andere Dinge in Anspruch genommen wurde, in ober-
flächlicher oder unvollständiger Weise in sich aufnahmen,
SubKiTTA verlangt ferner (Cap. 3), dass die Studierenden der Heil-
kunde sowohl eine theoa^tische als praktische Bildung erlialten; zuerst
stillen sie die medicinischen Schriften lesen und dann <lie Ausübung
der Heilkunst erlernen.
10
Der meüomisöhe T"
im Atimihtim.
„Wer nur theoretiscJi gebildet ist," sagt er> „aber UDcrfahren in
den Einzelheiten der pmktisnhen Behiandlimg, weiss nicht, was er thon
sull^ wenn er einen Patienten bf'kümmty und l»enirarat sich so thöricht,
wie ein Feigling auf dem Schluchtt'elde, Andererseits wird ein Arzt,
der nur praktisch, nieht aber theoretisch ausgebildet ist, nicht die
Achtung der besseren Männer erringen," „Diese hnden Klaxsiai ung*^-
nügend vorl>ereiteter Ärzte sind nicht geeignet zitr Praxin, ebenso weniu-
wi<^ inn Brahmane, der die Veden nur zur Hälfte yelesen hat. di*-
kircbliebeii Ceremonien verrichten, udiT ein Yi»gel, der nur «^inen
Flügel hat, in der Luft fliegen kann. IJ^^nn wenn die Arzneien von
unwissenden Ärzten gereicht werden, su wirken sit* — mögen sie
auch dem Nektar sfleichen — wir Gifte ndi^r ander«^ Mittel der Zer-
störung.'^
Derurti^^c Arzte erlangen, wie Stskuta benierki, nur «hrnn di<^
Erlaubniss zur Praxis, wenn die Kegierung sorglos und nachläüsig ist.
Der Unterricht bestand darin, dass der Lehrer dem 8chüh»r die
einzelnen AlKschnitte aus den medicinischen Schrift^^n so oft vorlas und
Von ihm wiederholen liesö, bis derselbe sie auswendig wusstt\ Der
Vortnig sollte „mit hinter und khirer Stimme und deutlicher Betonung
der gesprochenen Worte, die nicht verschluckt oder durch einen nasalen
Ton entstellt werden durften, geschehen,"
Der Schüler musste tnicbten, Das, was ihm gelehrt wurde^ nicht
blüs mit dem Gehör, sondern uuch mit dem Verstiuide zu erfassenjd
denn sonst ,,gleicht er dem Esel, der eine Ladung Sandelholz tragt '
und nur deren Gewicht, nicht aber deren Werth kennt** ((-ap. 4). —
\}vm Lehrer wurde aulgretragen (('ap. 9), den S^'hüler aucli in <W\
Ausführung obirargisch<T Operationen, in der Anwendung von Salben^
sowie überhaupt in praktischen Dingen zu unterrichten, fia „ohne prak-
tische Ausbildung durch das Anhören der Vorlesungen und die WiedeN|
holung der Vorträge allein Niemand zur ärztlichen Praxis iietabigl
werde.*'
Einzelne chirurgische Operationen wurden an Frücbtt*n, z. B. anj
Melonen, die Punktion an Blasen oder ledernen Beuteln, die mit Wasser,
Schlamm oder Lehm gefüllt waren, die SkariÜkation an behaarten
liedertheilen, welche aufgespannt wurden, der Aderlass an den Blut-
gefässen f^jdter Thiere oder am Stengel <ier Wasserlilie, die Unter-
suchung mit der Sonde an wurmstichigem Holz, Bambus, Rohr und
getrockneten Kürbissen, daa Ausziehen der Zahne an todten Thieren,
das t'ltfnen von Abscessen an eioem Wachsklumpen, welcher auf ein
Stück Salmali (Holz von Bonil>ax maiabaricuni) aufgestrichen wurd<',
das Nähen der Wunden an dicken Kleidern »»dor an dem Bande zweier
weicher Lederstüekchen, das Anlegen von Verbänden an menschlichen
Figuren, die aus Holz oder Thon angefertigt wurden, die Anwendung
der A^ 1 und des Glöheisens an weichen Fleisehtheilen, und die
Heni" irung des Urins aus der Harnblase oder die Entfernung:
TOE Elter ans dem Becken mittelst Rohren an einem irdenen Topf,
der mit einer Rinne versehen und mit Wa^sser gefüllt war, oder an
^fineiii Kürbiss gelehrt nnd geübt.
Der Chirurgie wurde in Indien eine hervorragende Beachtung ge-
'whenlrt^ Als Dhan\"antari (Cap, 1) seine Rchüler fnigtc, welche Theile
der Heilkunde er ihnen vortragen solle, antworteten m: Lehre uns
flUe, aber nimm die Chirurgie zur Grundlage Deiner Erörterungen! —
Die indische Medicin hat auf diesem Gebiet bewundemswerthe
Erfolge errungen. Die indischen Ärzte kannten die Amputation, die
Paracentese des Unterleibs, die Laparatomle und Darmnaht, entfernten
den Blasenstein auf operativem Wege, beseitigten den Staar des Auges
durch Niederdrucken der Linse, unternahmen plastische Operationen
und führten die Wendung und Extraktion bei anomaler Kindslage,
sowie den Kaiserschnitt an schwangeren Todten aus,*
Die grosse Anzahl verschiedenartiger Instrumente^ zeigt, wie er-
fahren sie in der chirurgischen Technik waren; man lindet darunter
Messer von verschiedener Form, Lanzetten, SchrMpf köpfe, Trocarts,
ien, röhrenförmige Katheter, 8cheeren, Knochensägen. Pulypen-
a, Specula u- a. m.
Die Untersuchung des kranken Körpers gt^schah mit grussi^r 8org-
ilL SüSRUTA (Cap. 10) ermahnte die jungen Ärzte, daljei alle fünf
le zu Rath zu ziehen. „Durch das Gehör kann man z. B. fest-
rileo,** schreibt er, „ob der Inhalt eines Absoesses schäumt und Lufl
üthnltt, da die Entleerung desselben in diesem Falle mit Geräusch
rbunden ist, durch d:is Gefühl erkennen, üb dir Haut heiss oder kalt,
oder ghitt, dick oder dünn ist^ mit dem Gesicht die Carpulenz
Jer Magerkeit, *lie Lebenskraft, Energie und den Wechsel der Farbe
rahrnchmen, durch den Geschmack sich fjbrr die Eigenschaften des
Urins teim Diabetes und anderen Leiden der Harnorgaue vergewissern,
l«Dnd durch den Geruch die manchen Krankheiten eigenthümliche Aus-
laustuug, welche eine vi^rhani^nissvolle Bedeutung hat, l>estimmen/*
^u gleicher Zeit niuss man den Kranken über den Charakter der
Gegend^ in welcher er lebte, über die Jahreszeit, seinen Stand, seine
• VinxEi» im Janus, Bd. I, 8. 242 u. E, Breslau 1846.
* S<?lir gut zasammengeatellt in T. Ä, Wise: Review of tlie Histoiy of me-
dicine amoug the Asiatics, LondoQ 1867, VoL 1, p. 354 u, ff.
BeförchtunjEren, di** Art i*einer 8cliinorzf*ii, sinne Kraft-e^ mn^u Appetit
und die Dauer seiner Krankheit liefragen, hierauf zur Untersuchung
de^ UrÜLs, der Blähungen und Abgänge, sowie des Menstrualflusees
(Übergehen und sieb auch bei d«*r Umgebung des Patienten nach dor
Art. seines Leidens erkundigen*"
Die indischen Ar/te waren feine Beobachter der Natur* Sa wussU^n
sif», dass die Crepitation bei Knochen -Frakturen die Diagnu^ie erleieJitere,
und der Urin in manchen KrankheitsriUleu (IHabetes nMitus) sCi>>i
^chmeoke,* langst bevor diese Thatsachen in Europa »»eknnnt wiirdeiK
Die hohe Entwickelung der indischen Heilkunde, beöonden^ dvr
rhinirgie, erregt umsomehr Erstaunen, ixh das Studium der Anatomie ^J
und Physiologie* gänzlich fehlte oder wenigstens auf taLschen W'egen^H
war. Aus den geringen anatomischrn Kenntnissen der indischen Ärzte
geht hervor, das.« sie sicherlich niemals Sektionen m</nschlicher Ijeich-
name vorgenommen haben; übrigens wurden ihnen derartige Unter*
guohungen durch die Vorschriften der Religion verboten oder mindesttnisj
erschwert. Gleichwohl würdigkm sie die Bt*deutung der Anatomie lur
die praktische Heilkunde und erklärten, daas sich der Arzt eine volU
ständige Kenntniss des menschlichen Kor|M*rs verschaffen müsse, ein
er die Behandlung der Krankbeiton unternehme.
Zur Ausübung der ärztlichen Praxis l)edarft^.^ es der Krlaubnint^
der Obrigkeit, Bei Susrüta (Cap. 10) heisst es, dass der Schüler der
Heilkunde nach der Bennditrong seiner Studien den Konig bitten müsst»,
dass er ihm gestatt^t^ als selbststiindigej' Arzt autzutreten. Daljei er-
theilt ihm SrsBUTA noch einige Lebensregeln, welche auf die sociale
Stellung der indischen Ante ein merkwürdiges Licht Worten. ^Lass
Dir die ILtart* und Nägel kurz sdineiden/* schreibt er, ,Jiah** Deinrn
Körper rein, trage weisse Kleider, xi^^he Schuhe an und nimm einen]
Stock od*^r Sidiirm in die Hand* Dein Äussei^es S(i demütbig und Dem
'Gemüth r*'in und ohnt* Arglist. Z^nge Dich höflich in der Uvdr und
freundlich zu allen lebenden Winsen und achte daniuf, «lass Dein Dient^
einen gut-en r'harakter besitzt.**
Beeondetv Vorsicht empti«:blt er ilmi» wenn srinr Pritienten „gM
lehrt« Brahmanen^ Fürst^m, Weiber, Kinder, alte Männer, furchtsame]
Personen, Diener des Königs, schlau** und st-hwachr Personen, Ver-
liuimder von xirzten, arme, elende oiler reizban* Menschen, W;iisen-
kinder oder Personen sind, welche ihre Krankheiten verheimlichen oder
bei ihren Handlungen nicht beaufsichtiirt werden.** Sehr ernstlich
I
»II*
liaj
* Vielleicht führte me die Beobachrang, daae dio AmeisfMi du^eu Harn auf-
0uchteti und genossen^ zu di»>si?r Ejitdpcknn^ i'
wiinit er ihn aber dayor, „mit Weibem zu klatsebeii oder m sebenen
und von ihnen Gt^chenke anzunehmen ausser etwa Esswaaren."
fomec giebt er ihm den klugen, wenn auch keineswegs menfiohen-
teiUidliebeik Hath, „nur solche Personen in Behandlang zu nehmen,
deren Krankheit heilbar jst^ alle unheilbaren Krankheitiifälle dagegen
eben und üb^Thaiipt jhIhti Patienten, der nach Jahresfrist nicht
geworden sei^ zu v er hissen, weil auch heilbare Lei<ien nach einem
Jahre gewöhnlich imheill>ar würden/' —
Cfi^VRAt/V^ trieb die Vursieht noch weiter^ wenn er den Ärzten
It, „Leuten, welche beim König oder beim Volk mlsüliebig und
ihrerseits gegen jene verbittert sind, keine Arxnei zu verordnen, ebenso-
wenig auKserordentUch miÄSgestalteten, verdorlM?nen, schwierigi»n, wilden
und intractiibeln Personen^ denen nicht zu rathen und zu helfen ist,
und Sterbenden, desgleichen nicht Frauen, ohne da^^ ihr Herr oder
lub^her anwesend ist"
Mit Verachtung erfüllt Chahaka^ seine Schüler vor jenen Leuten,
„welche, im Aufzug eines gelehrten Arztes prunkend, begierig den Oe-
lagenheiten zur Praxis nachstreichen. Htihen sie von einem Kmnken
<f*4!ort so eilen sie herbei, eniptehlen vor seinen Ohren ihre ärztüchen
Fälligkeiten und sind unermüdlich in der ÄuMhlung der Fehler des
behandelnden Arztes. Die Freunde des Patienten suchen sie dnreki
kkine Aufmerksamkeiten, Schmeicheleien und Einllüstenmgen zu ge-
winnen und rühmen ihre eigene Anspruchslosigkeit Haben sie sich
an eine Kur gemacht, so kommen sie alle Augenblicke zum Besuch.
Um ihre Unwissenheit zu verstecken und weil sie die Krankheit nicht
2ü heben vermögen, so schieben sie den Misserfolg darauf^ dass der
Kranke nicht die nothigen Mittel und Pflege habe und sich nicht ge-
höiig halte. Merken sie, dass es mit ihm zu Ende geht, so machen
at sich davon. Treffen sie mit Leuten vom Volk zusammen, so ver-
len sie sich und wissen als ünbetheiligte ihre Geschicküchkeit ^
luszustreichen, als Laien die Wissenschaft der wirklich Unterrichteten
nbzQsetzen. Das Zusammenkommen mit Gehildet-en aber meiden sie,
wie der Wanderer die Gefahren des dichten Waldes.** Ein lebens-
i^fiisches Bild, dessen dra^stische Züge viele Ähnlichkeit mit manchen
irschemungen der Gegenwart zeigen! —
Die Ärzte nahmen in Indien eine angesehene Stellung ein. Nie-
ist der erhabene Beruf des Arztes schöner und treffender ge-
mildert worden, als in flem indischen Sprach: „Ist man krank, so ist
der Arzt ein Vater; ist man genesen, so ist er ein Freund; ist die
> «. tt. O. 6. 448.
« I, 29 bei Roth a. a. O. Sw 452.
14
Kmnklieit vorüber und ilie Gesundheit wiederhei^estellt, m ist er ein
Küter.- 1
Die indischen Arzte waren gleich den übrigen Gelehrten vofi
"flliaern und anderer» jja^t^n befreit und wurden für die Dienste, welche
ili den Kranken leifsteten, durch Geschenke belt>hnt. Es scheint, dass
ihre Änspniche in sulchen Fällen nicht gering waren, wie sich aus den
Mitthfilungen über die seltsami*ii Kuren des Arztas Givakji Komarab-
hakku^ der zu Buddha's Zeit lebte, ergiebt^ ^—
Er war das Kind einer Hetäre, wurde auf Kost4?u eines Fürsteol^
der sich seiner annahm^ er/ogeu und bildete sich dann bei einem Lehrer,
de^en Unterricht er siebtm Jahre genoss, zum berülmiten Arzt aus.
Hat diese Erzählung vielleicht eine allei^orische Bedeutung, indem sie
die niedere kilufliche Thäti^keit des Arztes, welche durch die höheren
idealen Zwecke gead«'lt wird, veranschaulichen wollte? —
In den Schulen der Bikkhus, der buddhistischen Mönche, welche
nach dem Muster der Brabmanenschulen entst^mden, wurden die Wissen-
schaften vernachlässigt und haiipl-sächiieh die Bildung des Charakters
durch ilie Entsagung der W»dt und ihrer Genüsse angestrebte Da die
Bikkhus das Leben als wertbbis betrachteten, so achteten sie auch nicht
auf die Mittal, es zu erhalten. Ihre Vorschrift, nur zu essen, was An-
dere übrig gelassen haben, und den Urin der Kühe als Ueilmittel zu
geljrauchen,* zeigt, wie geringen Werth sie auf die Pflege und Gesund
heit des Körpers legten.
Und di»ch war es gerade ein buddhistischer König, Asoka od«
Pryadarsio genannt, welcher zur Errichtung von Hospitälern anregt
und zwar nicht blos für Menschen, sondern auch für die Thiere;
diesen Anstalten wurden rur/ihche Consultatiünen ertheilt und Arzneieifl
verabreicht j ahnlich wie in unseren poliklinischen Instituten.* Aller-
dings war es nicht die Ijiebe zur Wissenschaft, sondern das Mitleid,
welohes Asoka dabei beseelte; aber die nieiliciniHche Wissenschaft hat
daraus jedenfalls Vortheile gezogen.
Auch auf re>b)n gab es Kmnkenbrmser. Der Könit^ Pandukabhayi
soll schon im 5. Jahrhundert v. Chr. ein Hospital in seiner Besidena"
Annnidhapuni gegründet hal>en» und einer seiner Nachfijlger, Duttha-
at
* BöttTUWOK: Indifichc Sprüche, Petersburg 1S70.
* The »acred books of the east transL hy Max Mülleb, Oxford 1881. T. XlII,
p. 191, xvii, p. iTs tt. a:, XX, p. 102 u. ü\
» Köpfen: Religion de» Buddha, S, 388,
* G, BeitLEB: Beihrfigt» lur Erklflnitig der Asoka- Inschriften in d. Zeitschr.
d. deutschen morgenl. Gg^^ 188H, Bd. 37, S. 98 11. fi'. {2. Edikt des Konig» Adoka,
der von 268—226 v. Chr regierte)»
Ägtfptm.
U
gramini, der im 2, Jalirhiiiidert v. Chr, regierte, durfte sich hei sdnein
Tode rühmen, dass er an achtzehn Orten Krankenhäuser errichtet, mit
Ausreichenden Mitteln versehen und dafür ^esor^'t habe, dass die Lei-
denden ärztlich behandelt wurden und Arzneien erhielten.
Vom König Budhadaso^ dessen Lebenszeit ins 4. Jahrhundert n. Chr.
fällt, wird erzähl^ dass er selbst die Heilkimst auspreubt und ein viel-
benutztes Werk über die Medicin verfasst habe. Er schuf eine das
gamze Land amtassende Sanitatsorganisation , stellte für je 10 Dörfer
einen Arzt, an, errichtete überall Hospitäler und nberwies für deren
Unterhalt die Erträgnisse von 2Ü Ünrleni. Ferner gründete er An-
stalten zur Aufnahme von Krüppeln, Verwachsenen und armen Ver-
lassenen und sorgte dafür, dass auch das Heer, und zwar sowohl die
Soldaten, als auch die Elephanten und Pferde, Arzte hatten.^
In Kaschmir exisfcirien schon unter dem König Meghavana (im
!• Jahrhundert n. Chr.) Spitaler.*
Die Beziehungen, welche die Jndier seit dem Feldzoge Alexanders
von Maoedonien zu den Griechen unterhielten» ihr reger Verkehr mit
den benachbarten Persem, der sich später auch auf das wissenschaft-
liche Gebiet erstreckte, and ihre Unterwerfung durch die Araber übten
auf die Entwickelung der indischen Heilkunde einen grossen Einfluss
aus, während in neuester Zeit die europäische Medicin, namentlich die
ärztlichen Theorien und Einrichtungen der Engländer, dort massgebend
geworden sind.
Ägypten.
Bei weitem älter als die medicinischen Urkunden der Indier sind
diejenigen, welche über die Heilkunde der Ägypter Autschluss geben.
Sie stammen aus jener ft-ühen Culturperiode, von welcher uns die Pyra-
miden wie gewaltige Zeugr-n einfjr sagenhaften Vorzeit erzählen und
bestehen in bildlichen Darstellungen auf den Wänden der Tempel und
Graber, in Gebrauchsgegenständen, z. B. chirurgischen Instrumenten,
ilie sich zufällig erhalten haben, und in den Papjros-Rollen, von denen
die wichtigeren erst in den letztee Jahrzehnten aufgefunden und ent-
räthselt worden*
^ The? MtiluiWfttiso edit hv G. Tukkoub^ Ceylon 1837, p. 67. 196, 243. 245.
* Hbc9[|)ioeb hat daiiiber im Jautt^ (U, 393) nach den Annales de Caschmir |
ILiiatASA ciinige Mittheüungen gemacht.
ner |
In Ägypten herrschte, wie in Babvlon. die Sirtp, »lie Kranken vor
dm Häusern auf die Ötnissen und Wege zn lo^uii, damit ihnen »lie
Vorübergehenden ihre Rathschläge zur B^^eitinfunij ihrer 1/eiden er-
theileo konnten. Das Interesse für medicioische Ding«' erftilUe daa
ganze Volk, und ,» Jeder war in <1iesem binde, dessen fruchtbarer Buden
eine Menge von lieilmilteln hervorbrachte, gleielisam ein Arzt, ein Ab-
komnüiDg Paeous^ und wusste mit dem Men^ehen Rtischeid/*^
Doch gab es auch Personen, weiche die iirztliehe Thätigkeit l>enife-
mässig ausübten und dazu durch systematiseben Unterricht vorgebildet
wurden. Die ägyptischen Ärzte ^^elangtt^n wei^n^n ihrer glücklich
Heilerfolge zu grossem Ansehen und wurden sogar an die H<de fremdi
Fürsten berufen. Der Peniw.^r-Konig Cyrus liess zur Behandlung seiner
kranken Mutter einen Augenarzt aus Ägypten kommt-n, und auch Dariiis
hatte Leibärzte, welche von dort stamjiiten.-
Der ärztliche Stand gi'hörte in Ägypten gleich den Vertretern der
übrigen gelehrten Beschäftigungen zu der mit manchen Vorrechten
ausgestatteten Klasse der Priester. In den mit den Tempeln verbun-
denen Schulen wurden nicht blos Priester, sondern auch Richter, Än?t^.
Astronomen, Matliematiker tind andere Gelehrte erzogen. Diese Ijehr-
anst-alten vereinigten, wie unsere rniversitäten, alle höhere Bildung in
sich und dienten nicht blos dem l nterricht sondern auch der F*>rKcbung.
Die berühmtesten die-ser Schulen befanden sieh zu Heliopolis, Memphis,
Theben, SaYs und Chcnnu.
Die Schüler erwarben hier neben einer entsprechenden Allgemein-
bildung die für ihren künftigen Beruf erforderlichen fachmännischen
Kenntnisse. Sie wohnten in den zur Schule gehörigen Häusern und
standen unter der Aufsicht und Zncht ihrer Lehrer, „Cl>erlass Dich
nicht der Trägheit/* ermahnt der TiChrer in einer von Chabas über-
setzten Stelle seinen Schüler, „denn sonst wirst Du streng l^estraft.
Hänge Dein Herz nicht an Vergnügungen und sorge dafür, dass die
Bücher nicht Deiner Hand entsinken. Übe Dich in der Bede und
sprich mit Denen, die Dir an Wissen überlegen sind. Wenn Du älter
sein wirst, wirst Du erkennen, wie nützlieb dies ist; denn wer in seinem
Fach tüchtig ist, erlangt Macht und .Vnsehen.*^^ ^M
Das ägyptische Studentenleben scheint in numcheTi Beziehungen^
demjenigen der heutigm Zeit geglichen zu haben. So rügt der Lehrer
das VerhaltiMi seines leichtsinnigen Schülers Ennana mit den Worten:
^¥m ist mir berichtet worden, dass Du die Studien veraaehlässigst. Dich
' Home»: Od^isat» IV, 229--232. » Hjlrodot Ul L I2ö.
* CuABAs: Mnlauge« t^g)'ptologic|iiee, P&m 1862, p. Ml.
nach Lastb&rkeiten sehnst und yoe Kneipe zu Kneipe wanderst Wolun
fahrt aber der Biergeruch? Meide ihn; denn er treibt die Leute Yon
Dir we^, bringt Deinen Gei^^t zurück und macht Dich zu einem Rader,
da.^ zerbrochen auf dem Schifi' liegt"*
Die Studien waren nicht den Söhnen der bevorzugten Klassen
v«>rbehalt(^n, sondern uilen Ständen zuganglich. FleiBs und Begabung
galten als die einzigen Bedingungen, welche an die Zulassung zum
Statdinm geknüpft wurden.
Der Unterricht stützte sieh üuf die ,,heiligen Bücher^ in welchen
altes Wissen der Ägypter enthalten war. Als ihr Verfasser wurde
Toth betrachtet, der Gott> der Weisheit, ,,der auch den Ärzten giebt
die Erleuchtung'".
Die heiligen oder hermetischen ^ Bücher bildeten eine Art von
Bnoyklopädie und bestanden aus 42 Abtheilungen. Sie behandelten die
Vorschrift4*n der Religion, die kirchlichen Ceremonien, Recht-^pflege,
Philof^ophie, Schreibekunst, Geographie und Kosmogenie, Astronomie,
•lie Lehre von den Massen und Gewichten, die Medicin u. a. m. Mit
der letzteren beschäftigten sich die sechs letzten Bücher, die ^tAmbres",
und zwar entlüelt das erste die Beschreibung der eiozelnen Theile des
Kuq^ers, das zweite die Lehre von den Krankheiten, das dritte Erorte-
nmgeti über die chirurgischen Werkzeuge, wahrscheinlich auch über
die Operationen, das vierte die Arzneimittellehre, das tunfte die Schil-
derung der Augenleiden, die in Ägypten bekanntlich sehr verbreitet
smd, und das sechste die Lehre von den Frauenkrankheiten.^ Der
Verfasser beginnt mit der Anatomie, als der Grundlage der Heilkunde,
geht dann zur Pathologie über und bespricht am Schluss die Speciali-
talen, welche die Kenntniss der übrigen Disciplinen der Medicin zur
Koianssetzong haben; er ordnet den Stoß* also in derselben Weise, wie
k der rationellen Systematik unserer heutigen Wissenschaft entsSpricht.
Leider ist dieses Lehrbuch der gesammten Heilkunde verloren ge-
Ingen ; nur einzelne Bmchstücke desselben sollen sich erhalten haben^
wdche vielleicht in dem von Lepsius herausgegebenen Todtenbuche
und im Papyros El>er8 zu finden sind, G. Ebers glaubt, dass der
nach ihm genannte Papyros das vierte der medicinischen hermetischen
Bücher, also die Arzneimittellehre enthalt,'* Da derselbe im 17. Jahr-
* LlAütu: Die iUt-{igyptit4che HochKcbale zu Chenou in d. Bitzungsber. d.
L bayr. Akad. d. Wis»,, Histor. Rl. 1S72, S. 67,
* Toth iüt ilcr Hermes der Griechen, S. Guioäiaüt: de 'E^f*ofi neu Mer-
eurii m>-thologia^ Pari** 1835.
* Vergl Cs.KMSiC8 AtBXANDRiNtJs: Stromata, Üb. VI^ cap. 4, Edit Dindorf.
* G. £bk^; Papyros Ebcra, Leipzig 1875, T, I, S, 9.
PuscuiiAiCK, üoterricbL 2
Dtr mäKmmmi» Dnierrkhi im AUerthum,
hund**rt v. (Uir. ^geschrieben wurde, so dürfte er eine spätere Bearbei-
tun^^^ des urNprunsriichcn Tcxk's darbiellen. Auch Galen führt mehrero
Htellf^n daraus an, obwohl er bektinntlich von dem wissenschaftlichen
Werfch dieser Schriften keine hohe Meinung hatte, ^
Ob die H niedicinischen Bücher gleich den übrigen 36 hermetischen.
Büchern allen Studierenden der ägvptischen Tempelschulen vorp^etrapren
wurden oder nur eignen, welche die Heilkuust auszuüben l)eabsichtigtea^
ist niv.ht bekannt. Die letzteren mussien jedenfaUi? den Inhalt dec^
medicinischen iSchriften in nich aufnehmen und auswendig lernen; deniL
^ie waren verpilichtet, sich in ihrer späteren ärztlichen HerufsthätisLjkeit
genau nach den dort niedei^elegten Vorschriften zu richten, und setzten
sich einer .Strafe aus, wenn sie anders handelt4?n,*
Es ist nicht wahrs;cheinlich, dass sich der ärztliche Unterricht auf
dag theoretische Studium der zu den hermetischen Schriften gehörigen
medicinischen Bücher und der dieselben erklärenden Werke, an denen H
die mit den Tempelschulen verbundenen Bibliotheken ohne Zweifel sehrl
reich waren, beöchriinkt hat. Man darf annehmen^ dass die Schüler
ausserdem eine praktische Anleitung zur Untersuchung und Behandlung
der Kranken erhalten haben.
Es bestand in Ägypten die Einrichtung, dass die Patienten in ditfl
Tempel gebracht wurden, w«« sie von ilen Priesteni Hilfe und Rettung
von ihren Leiden erwarteten. Auch wurden die letzteren in die Woh-
nungen der Kranken gerufen, wenn dieselben nicht in den Tempel
gebracht werden kannten. Wie nahe liegt da der Gedanke^ da!*s die
Lehrer der Heilkunde diese Gelegenheiten dazu benutzten, um ihren
Schülern die praktische Ausfuhnaig der Theorien, die sie ihnen gelehrt
hatten, zu zeigen? - — Auch ist es sehr wahrscheinlich, dass die letzteren
als Zöglinge der Priester der Kranktnbehandlung in den Tempeln,
welche als eine Art von Gottesdienst^ als ein religiöser Akt^ betrachtet
werden kann, beigewohnt haben.
Übrigens berechtigt auch der Zustand der ägyptischen (leilkunst
zu der Vermuthung, dass ihre Erlernung durch praktischen Unterricht
erleichtert wurde. Aus bibllichcn Darstellungen, welche >^ich auf Tempel-
wanden erhalten haben, geht hervor, dass man mit der Beschueidung
und Oa^^tration Bescheid wusste,^ Im Papyros Ebers ist von der
* GALRirr Ed. Kfliui, T. Xf, \\ 798, ' Üiopor. 1, cap. S2.
* In Rohen BA.üMä Ausgabe von K. Sprenqelb Gesch. d< ArzneikuDde i Leipzig
1840) Ud. I, S. 73 Aßin., wie in H. HjksscRä Lehrbuch der Gi*B«hichte der Mo-
»lidri iJi'na 1ST5) Bd. I, S. 57, findet akh die Notias, da«» ilie alten Ägypter
imch die Amputntion gekannt haben. Diese Angabe stüljEt »ich auf Larkev,
welcher in »einer RelaÖon historiqne et chirurgicale de l'expedition de Tanuee
Ägypten.
IR
/WuuDg dm Gesichts in den Pupillen hinter den Augen** die Bede:
eine Stelle, welche sein Herausgeber auf die Staaroperation bezogen hat»
Der Kaiserschnitt wurde an Verstorbenen in Ägypten vielbvicht ziier4
iDSgefohrt^ Lassen sich diese Dinge aus dem Buch erb^raen? — Die
lur Ausführung solcher Operationen erforderliche Geschicklichkeit kann
our erworben werden, wenn man die dazu gehörigen Handgrifff- <tfter
^ehl QQd selbst übt
Auch wurden an Mumien geheilte Kuochenbrüche und in ihren
Kielern künstlich^' Zühne beobachtet und in Gräbern verschiedene chi-
rurgische Instrument'ej wie Messer, Scheeren, Lanzetten, Pinzetten,
S»}D(ien, Schropfköpfe aus Rindshorn u. a. hl gefunden.
DrT anatomische Unterricht war keinesfalls mit praktischen De-
monstrationen menschlicher Leicheutheile verbunden. Da nach den
fieligiüöeo Vorstellungen der Ägypter die Wohlfahrt der Seele von der
mtigfhchst gut^n Erhaltung des Körpers abhängig erschien, so war an
■ lue Zergliederung menschlicher Leichname nicht zu denken. Die Ver-
1 It^Uung derselben wurde so sehr verabscheut, diiss selbst die Operationen,
kigpiüßlche vor der Einlralsamirung an der Leiche vorgenommen wurden,
f dp»m Paraschisten, der sie vollzog, Hass und Verachtung eintrugen.
fierjelbe mussti» sich sofort, nachdem er den Einschnitt in die linke
Seite des Unterleibs, durch welohen die Eingeweide entft*mt wurdfm,
doftent (F«ris 1805) p. 45 Anmcrk. achreibt: y,Le (femrat Demix pourguMi
V €tmemi j$4squ nu^tklti des cataracies et doftfui ainst n la commissiofi des arta
I iA fatitit*^ de et'siter les monufnents de la fameuse Th^s ntix ceni pories, leA
L^Mjipt rftn&mmeJf de Tentyra^ de Carnak et de Luxor, dmit lee reetaa atieetent
t^mmtb fantiqu€ ma*jnifi^ence. C'e!*f dans kg plafonds ei les parois de eee temptee^
qu'm^ foit dee bas-rdirfs repreatntant des tncmbree eoupes avee dee instruments
trlM-<inah^Hes ä ceux doni i*i Chirurgie se seri aujonrdkui p<mr ke amputaüons*
Qu rftraute ees memes instrwments dans les hürofji^phes et Von reeonnaU ks
traeea d'autres opiraHons chirurglcQles, qui prourent que la (Chirurgie d^ins ces
i09^im retuUs wmrehaü de front nrec ks atttres arfs, dont la perfection paraU
aroir ^H p&rUe « uft (rks-kaut degre'*. Aber weder LKPsicß (DenkmJCler au»
Ägypten und Äthioj>ien, Berlin, 24 Bftnde), noch J, Rosellixi (I moniim*mti delV
Ef^tlo e dellrt Xul)J!it PiJ^a 1 832 , 4 Voll.) bringen ein Bild, das sich mit Sicher-
beit Äuf die Amputation beziehen lässt Vielleicht deutet der fehlende linke Arm
ilee Gotteg Chem oder Mtn \ß, Cüampollion: Panth^'on ^gyptien, Paris 1824,
pl. 4) diLratiT hin; doch lasseD eich ati£ den seltsamen Formen der ägjptiBuhen
Oötterfiguren keine derartigen SchlÜAse ziehen. Der Beweis, dass die Ägypter
die Ajuputation gekannt haben, ist somit noch nicht geliefert worden. Die
flfichCigeT vielleicht auf einem Missvcrständniss bernhende Angabe LAaEEvs mtiss
erst TOD den Ägjptologen gepnift und anerkannt »werden, bevor sie als hi»to-
riBche Thataache gelten darf,
' S. BoesNBiiuM; Anatect^ quaedam ad sectionis eaesareae andquitates,
Halle inu,
2*
20 Der medicinisdie Unterricht im Altetihuvi.
gemacht hatte, flüchten, weil er von den Verwandten und Freunden
des Todten mit Steinen beworfen wurde: eine Sitte, welche offenbar
die Vertheidigung des letzteren veranschaulichen sollte.
Die Paraschisten, denen jene Verrichtungen oblagen, nahmen in
der socialen Rangordnung eine Stellung ein ähnlich derjenigen unserer
Leichendiener. Sie besassen weder anatomische Kenntnisse, noch irgend-
welche wissenschaftliche Interessen und wurden durch die herrschenden
Vorurtheile von Untersuchungen abgehalten, zu denen sie nicht ihre
Berufsthätigkeit nöthigte.
Auf die Entwickelung der anatomischen Wissenschaft hat daher
das Einbalsamiren der Leichen keinen fördernden Einfluss ausgeübt.
Dies geht auch aus den seltsamen und rohen Vorstellungen über den
Bau und die Zusammensetzung des menschlichen Körpers hervor, welche
sich in den Papyros-RoUen finden.^ Damach war das anatomische
Wissen der ägyptischen Ärzte allerdings sehr gering; doch wussten sie
schon, dass das Herz der Ausgangspunkt der Blutgefässe sei, welche
sich von dort aus in allen Gliedern des Körpers verbreiten: eine That-
sache, welche selbst einige tausend Jahre später noch nicht allgemein
verstanden und anerkannt wurde.
Bei der Untersuchung des kranken Körpers waren die ägyptischen
Ärzte bemüht, „den Schlag des Herzens zu erforschen"* und die Eigen-
schaften des Harns zu prüfen. So bemerkten sie bereits, dass der Urin
der Schwangeren trüb und reich an Niederschlägen sei,* und führten
diese Erscheinung unter den diagnostischen Mitteln an, um die Schwan-
gerschaft zu erkennen.
Grossen Werth legten sie auf die Diätetik und eine vernünftige
Lebensweise;* sie empfahlen Reinlichkeit und Massigkeit, Bäder, Ab-
reibungen und Körperübungen, um die Gesundheit zu erhalten. Auch
die Heilkraft der Seebäder soll ihnen bereits bekannt, gewesen und von
ihnen bei der Behandlung des Dichters Euripides benutzt worden sein.*^
Von Brechmitteln, Abführmitteln und Klystieren wurde sehr häufig
Gebrauch gemacht. Im Pap. Berol. med. I finden sich 28 Recepte zur
* S. z. B. Pap. Berol. med. I, welcher von Chabas: M^langes ^gypt. p. 55—79
und von Bruosch: Recueil des monuments ^gyptiens, Leipzig 1868, Partie II,
p. 101 u. ff. beschrieben wurde.
• Pap. Ebers a. a. 0. I, p. 27, T. 45.
• Pap. Berol. med. I bei Chabas a. a. 0. p. 69.
* Hbbodot ix, 87. 88.
^ Diogenes Laebt. III, 6. Man glaubte deshalb, dass der Vers des Eubipidbs
(Iphig. auf Tauris v. 1198): &dlXa(r(ra xAt$Ce« ndvta «* di/¥&(fimw^ »axe» (Das Meer
spült alle Menscbenleiden fort) dadurch hervorgerufen worden sei.
i,ßeMtiing Ton Klystieren^ die von den Alten äberhaupt fnr eine ägyp-
che Ertindung gehalti»n wurden.^
Mit der ärztlichen Behandlung' der Kranben wurden die itphet^e
^rbnnden, welche für den betrettenden Fall \t»rgeschriel>en waren.
)em geistlichen Charakter der Ärzte entsprach es, da^s sie diese Öehet^e
vernchteten und ihnen mindestens die gluiche Bedeutung bei-
» wie ihren medicamentösen Verordnunpjen. Nur selten dürften
ffl jener Zeit solche aufgeklärte Anschauungen gewesen sein, wie ßie
,|er Arzt Nebsecht in dem von G. Ebers, dem gründlichen Kenner des
.diafrvi»ii^hen Lehens, verftissten Roman Uarda bekundet, wenn er das
j Ateingen der Uebete dem alten blinden Pastophoren Teta überlasst
^h Die Pastophoren bildeten eine lüa^sse der Priester, die übrigens,
^Bj^jnir <n Ebers zu erklären die Güte hatte, keineswegs einen so
^^IpBgeu Rang einnahm, wie es in den historischen Werken angegeben
winl Die JLrzte waren verpflichtet, einen geistlichen Charakter zu be-
^Hgm und liessen sich deshalb zu den Pastophoren rechnen, wenn ihnen
aiMdl die hühuren Prie,sterwürden wahrscheinlich nicht verschlossen
(iliebeo*' Dagegen waren die Pastophoren keineswegs auch zugleich
inte, wie Manche glauben, sondern hatten In ihrer Mehrzahl ganz
udvre Funktionen, wie schon ihr Name besagt Das Verbfiltniss der
ophoren m den Ärzten war ungefähr das nämliche, wie dasjenige
Klerus zu den Gelehrten im christlichen Mittelalter; auch damals
hrm^n alle Gelehrten zum Klerus , ohne dass alle Geistliche zu den
feiehrten gezählt werden konnten.
^¥iele Ärzte waren Mitglieder der grossen Priester-Collegien und
Jö den zu den Tempeln gehörigen Lehranst^ilten. Sie eriheilten
dnischen Unterricht und übten die ärztliche Thätigkeit aus.
mh für diese Stellungen die tüchtigsten und hervorragendsten
Iter ihrer Kunst wählte, lag im Interesse der Priestor-Collegieu,
Iren Macht durch die Anzahl der Schüler, deren Euhm durch die
iJückliohen Heilerfolge, die sie in ihren Tempeln t^rzielten, vermehrt
de.
Die Arztt» nahmen Theil an den Vorrechten und Yortheilen, welche
Her Priesterstand in Ägypten genoss. Sie waren von Abgaben befreit
^^d wurden auf öffentliche Kosten erhalten.
^B Von den Kranken erhielten sie für ihre ärztlichen Bemühungen
^tir&r keine Bezahlung, w*ihl aber Geschenke; jedenfalls erwarteti^n sie,
» 8. Plixiü*»: hiat. öftt. VI II, c. 41, wo sie ilem %yplisdien Ibis ssug«-
beu wird.
■ Der Obcrpriester von Sais führte den Titel , , «oberster der Ärxtc**,
22 Der medicinische Unterricht im AUerthum.
dass dem Tempel, an welchem sie angestellt waren, nach der Beendigung
der Kur Opfer dargebracht wurden. Auch wurden nach der Heilung
zuweilen Modelle der geheilten Körpertheile im Tempel aufgehängt,
wie deren das British Museum in London mehrere besitzt. Während
des Krieges oder wenn Jemand unterwegs auf einer Reise erkrankte,
waren die Ärzte jedoch verpflichtet, unentgeltlich Hilfe zu leisten.^
Ob es neben den Ärzten, welche den priesterlichen Character be-
sassen, noch andere Heilkünstler gab, die ihre Thätigkeit auf empirischem
Wege erlernten und ausübten, ist nicht bekannt, wohl aber wahrschein-
lich. Man gebrauchte für „Arzt" auch die Bezeichnung „Sunnu",
„Wissender". Übrigens dürfte die Zahl der priesterlichen Ärzte kaum
allen Bedürfaissen genügt haben.
Wenn erzählt wird,* dass die ägyptischen Ärzte sich auf die Aus-
übung einzelner Theile der Heilkunde, auf die Behandlung bestimmter
Krankheiten beschränkt haben, so dass „der eine nur die Leiden des
Auges, der andere diejenigen des Kopfes, der Zähne, des Unterleibs
oder der inneren Organe behandelt habe", so war ein so ausgeprägtes
Specialistenwesen doch nur an grösseren Orten möglich, wo der Kranke
unter einer Menge von Ärzten die Wahl treffen konnte. An den
grossen Tempeln, deren Priester-Collegien mehrere Ärzte zu ihren Mit-
gliedern zählten, wird allerdings der eine sich vorzugsweise dieser, der
andere jener Specialität gewidmet haben; aber im Allgemeinen war
eine derartige strenge Trennung der einzelnen Theile der Heilkunst
undurchführbar.
Die ägyptische Medicin hat einen grossen Einfluss auf die griechische
Heilkunde ausgeübt Ihr fiuhm überdauerte die politischen Umwälzungen
der späteren Zeit und bildete einen historischen Hintergrund für die
medicinischen Schulen, welche Alexandria zu einer hervorragenden Pftege-
stätte des wissenschaftlichen Lebens im Alterthum machten.
Bei den Israeliten.
Die israelitische Cultur ist eine Tochter der ägyptischen. Moses,
der grosse Gesetzgeber und Lehrer des jüdischen Volkes, war ein Zög-
ling der ägyptischen Priesterschulen und hatte dort ausser anderen
Künsten und Wissenschaften auch die Heilkunde studiert.^
^ DioDOR I, "3. 82. — Hebodot II, 37. » Herodot II. 84.
' Olembns AlbxAndbinus: Stromat. IIb. I, cap. 153.
Nach igypüBöhem Torbüd begründete er bei den Ismeliten einen
Priesterstaad, welcher die Vertreter der Intelligenz und Gelehrsamteit
in sich vereinigte. Seine Mitglieder erhielten vom Volk ihren Unter-
halt un<l di*^nten demselben als Geistliche, Lehrer, lüchter und Ärzte,
tDie mosaische Gesetzgebung regelte das bürgerliche Leben durch
VüTschriften, welche die Sittlichkeit, die Gesundheit und das Wohl-
kefinden zu iordero geeignet waren. Als die wesentlichen Vurl>ediugungen
ii0i wurden die Vermeidung von Krankheiten und eine Vernunft-
geißisse Diätetik betrachtet. Dazu dienten die Gesetze, welche die
Pflege des Neugeborenen, die Ernährung de^ Kindes, das Verhalten der
jlatter oder der Amme, die Beziehungen der beiden Geschlechter, z. B.
dan Beisohlaf mit raenstruirenden Fniuen, und die Ehe zwischen Bluts-
renrandten^ die Keinüchkeit, Kleidung, Nahrung, Wohnung und den
Begriibmssplatz betreflfen, ebenso wie die Anleitung, um Krankheiten,
wie den Aüsyatz oder gewisse Geschlechtsleiden, zu erkennen und deren
Weiterverbreitung zu verhüten.^
Die Heilung von ICrankheiten erhoMte man von Gebeten und
lern* wie es dem theurgischen Chitrakter der jüdischen Medicin ent-
ich, nach welchem alle Leiden als Strafen Gottes angesehen wurden.
rdera wurden auch diätetische und medieamentüse Mittel an-
endet. -
(legen Hautausschläge^ empfabien die Priester-Ärzte vor Allem
Absonderung der Kranken von den Gesunden, sorgfältigste Rein-
ihkeil und ött^re Baden Auch von Heilquellen wusste. man Gebrauch
machen. Ebenso erkannte man die günstige Wirkung, welche die
Muüik auf manche Geisteskranke ausübt.,*
^^ Bei Knochen-Frakturen legte man einen -Verband an,'* und den
^■DDQchismus erzeugte man auf zwei Arten, nämlich durch Zerquetschen
^■der durch Ausschneiden der Hoden. Auch die Ausführung der Be^
^■Bhiieidmng zeugt, davon, düss <lie israelitischen Priester-Ärzte eine ge-
^fi$se Geschicklichkeit in chirurgischen Operationen besassen.
I Von Heluimmen ist schon die Kede, als sich die Juden noch in
1 MusB8 II, 15, 26, 19, 6. 22, 31. lU, 7, 2S. IL 12. 13. H. 15. le. 18. 19.
1». IV, 12, lö. 16, 41. V. 14, 21. 28, 27, 58—61. — Ezbch. 18, 4 a. a. m.
' Vgl. TRrsot: Daretelkmg der hihlbehea Kmnklieiten , Posen 1843, B, K
J. B, Friedebich: Zur Bibel Nüniberg 184S, I, S. 41 iL tf., 193 ü. ff. —
, J. VVrKDKitBAB: Hiblisc'.h-talunidisclit' Medidti, Eiga und Leipzig 18.'>0, H. 1,
Mtt.ff., S. 73u. ff.
' Durch die^n aUgenieiaeu Ausdruck wird SSaraat richtiger überaetzt, ak
Aussatz, wie es gewohulich gascbieht.
* 84JACFBL finch I, c. 16, 23. ^ Ezech. c. aO, 2L
24 Der medicinische Unterricht im Alierthum.
der ägyptischen Grefangenschaft befanden. Ihre Thätigkeit wird an
einigen Stellen mit naturalistischer Ausführlichkeit beschrieben.^
Grosses Interesse für die Naturwissenschaften, besonders für die
Heilkunde, bekundete König Salomon, welcher selbst darüber ein Buch
verfesst haben soll.* Unter seiner Regierung machte sich bereit«
der Einfluss der Fremden, namentlich der benachbarten Phönizier,
geltend.
Noch mehr trat dies hervor, als das israelitische Volk seine staat-
liche Selbstständigkeit verlor. Seine politischen Schicksale brachten es
in eine enge Verbindung mit den Assyriern, Babyloniem, Chaldäem und
Persem und bot^n seinen Gelehrten die Gelegenheit, die Culturerrungen-
schaften dieser Völker kennen zu lernen und in sich aufeunehmen.
Dadurch gewannen dieselben eine weite Anschauung über die geistige
Entwickelung des Menschen und wurden von den engherzigen Vor-
urtheilen befreit, welche eine Folge der kleinlichen Verhältnisse ihrer
politischen Zustände waren.
Die Heilkunde zog daraus den Vortheil, dass die ärztliche PraxivS
aufhörte, ein Privilegium der Priester zu sein.' Neben ihnen übten
fortan nicht nur Laien die Heilkunst aus, sondern man wandte sich
sogar an Ärzte, welche nicht dem jüdischen Glauben angehörten. In
späteren Zeiten ging man in dieser Beziehung so weit, dass man sogar
die Beschneidung von einem nichtjüdischen Arzt vollziehen liess, wenn
kein israelitischer Operateur anwesend war.*
Ebenso war es auch den israelitischen Ärzten gestattet, den Anders-
gläubigen Hilfe zu leisten. Sie durften für ihre Dienste Bezahlung*
fordern und wurden von ihren Mitbürgern geachtet und verehrt*
Von den Behörden wurden sie in Fragen der Sanitätspolizei und
gerichtlichen Medicin zu Rathe gezogen. Später musste jede Stadt
ihren Arzt haben und ausserdem bisweilen noch einen Chirurgen. Sie
hatten ausser anderen Obliegenheiten die Pflicht, die Beschneidung
auszuführen.
Für die Priester, welche bei ihren Ceremonien im Tempel durch
die kalten Bäder, die leichte Kleidung, das Barfussgehen auf den kühlen
Steinen und das Fasten häufigen Unterleibserkrankungen ausgesetzt
waren, wurden besondere Ärzte angestellt.^
» Moses I, 25, 24—26. 88, 27—30. H, 1, 15—21.
' SuiDAs: Ezechias.
■ Stbbakd: Diss. bist. med. de necessitate quae fiiit apud veteres inter re-
ligionem et medicinam, Anistel. 1841, p. 28 u. ff.
* Talmud Tr. Menachoth 42*. » Mose» II, 21, 19.
« Jesus Sirach 38, 3. ^ Talmud Tr. Schekalim V, 1, 2.
Wenn der ärztUebe Beruf Jedem offen stand, so scheinen sich ihm
doch vorzugsweise die Angehörigen des Priesterstandes gewidmet zu
hÄben, wie aus den Mittheilungen htrvoTgeht In Jen Priester-Schulen
ebenso wie in den Propheten-Schulen, wt4che von erwachsenen Jüng-
liBgen besucht wurden, wurde die Heilkunde wegen ihrer innigen Be-
oebüngen xur religiösen und bürgerlichen Gesetzgebung der Juden
stcherlich in den Bereich des Unterrichts gezogen. Einige Propheten,
fie i, B. Elisa, waren wegen ihrer glücklichen Heilerfolge berühmt.
Wer als gelehrter Mann gelten wollte, musste einige medicinische
Kenntnisse besitzen. Sie gehörten zur Allgemeinbildung und wurden
ion Denen verlaugt, welche im öffentlichen Leben eine hervorragende
Stdlang einnehmen wollten.
Die eigentliche fachmännische Am^bildung der Ärzte geschah wohl
imh die persönliche Unterweisuns: des Schülers durch einen Lehrer,
der in der Heilkunst geübt und erfahren war. Über die Art d<^s
fnterrichts und die dabei gebrauchten Hilfsmittel besitzen wir leider
li^Dt' Nachrichten aus der älteren Zeit, sondern nur aus der sjiäteren,
talmndischen Periode.
Der Talmud, dessen Entstehung in die ersten Jahrhunderte n, Chr.
ßllt, enthalt eine Menge von Ausdrücken, welche dem Wortschatz der
grieohischen Sprache, besonders ihrer medickiischen Terminologie, ent-
It'hnt sind, und sogar direkte Hinweise auf die Beziehungen zur Heil-
konde der Griechen. Die talmudische Medicin entl>ehrt der Originahtät
md rtütet sich hauptsächlich auf die Lehren der griechischen Ärzte. *
Die anatomischen Kenntnisse der Talmudisten, von denen Einige
dk Ärzte auszeichneten, erheben sich nicht über Das, was Galen
en hatte, Beachtung verdienen ihre Beobachtungi^n über die
vickelung des Fötus, besonders die Bildung der Knochen. Sie
aen zu diesem Zweck bereits Zergliederungen menschlicher Leichen
So wird im Talmud erzahlt, dass die Schüler des Rabbi Ismael
Elisa an dem Leichnam eines liederlichen Weibes, welches die
desstrafe erlitten hatte, flie einzelnen Knochen studierten, und das8
fcbi Ismael die Fniohte schwangerer Sklavinnen, die zu diesem Zweck
^hn^nd ihrer Schwangerschaft getödtet wurden, untersuchte, um die
Enfcwickelung des menschlichen Körpers kennen zu lernen.^ Zu
iWcher Zeit suchten die talmudischen Gelehrten durch Sektionen
' J. B£R0EL(T)ie Metiicin der Talmudisten, Berlin vi. LeipJtig 1885) bestreitet
(iiew Abhfingigkeit, vermag aber für seine AnBieht keine Thateacben aiizufübren.
' J. M, RjLBBniOWicz: La medecine du Thalmud, Paris 1880» p. 75. —
KiBUurowicz: Einleitung in die Gesetzgebung und Medicin dee Talmuds, deutsche
l-^berK 1883, S. 250. — Talmiiil Tr. Beühoroth 45*.
26 Der medidnische. Unterricht im Altertkum.
von Thieren ihr anatomisches Wissen zu erweitern und zu vervoll-
ständigen.
Sie erkannten, welche Bedeutung die Beobachtungen und Versuche
an Thieron für die medicinische Wissenschaft haben, und bauten darauf
Schlüsse und Folgerungen. Auf diese Weise fanden sie, dass Ver-
letzungen der Niere nicht immer todtlich sind, und die Milz entfernt,
sogar der Uterus herausgeschnitten werden kann, ohne dass dadurch
der Tod des Thieres herbeigeführt wird.^
Die Ärzte führten Amputationen aus und kannten den Gebrauch
künstlicher Füsse und Beine,* wussten mit Frakturen und Luxationen
Bescheid, sollen den Nabelbruch der Neugeborenen durch einen Druck-
verband geheilt und bei Verschluss des Afters eine künstliche Öflfnung
gemacht haben, operirten Hamfisteln, beobachteten den Hermaphro-
ditismus, wiesen auf die Thatsache hin, dass der Descensus testiculorum
zuweilen unterbleibt, und veröffentlichten einige werth volle Erfahrungen
über die Verletzungen innerer Organe.^ So machten sie z. B. darauf
aufmerksam, dass nach der Verletzung des Rückenmarks bei Thieren
die hinteren Extremitäten gelähmt werden.
Sie besassen eine grosse Anzahl chirurgischer Instrumente und
Apparate* und zeigten sich auch in der operativen Geburtshilfe ge-
wandt und erfahren; denn sie kannten mehrere Ursachen des Abortus,
unternahmen die Embryotomie^ und führten den Kaiserschnitt an
Todten, wie auch an Lebenden aus.®
Die talmudischen Gelehrten widmeten den medicinischen Schriften
der Griechen ein eifriges Studium und machten deren wissenschaftliche
Errungenschaften den Ärzten des jüdischen Volkes zugänglich. Die
griechische Heilkunde war damals bereits Gemeingut der ganzen ge-
bildeten Welt geworden.
Die Juden besassen in jener Zeit berühmte Hochschulen in Ti-
berias, Sura und Pumbeditha, an denen, wie einst in den Propheten-
Schulen, wahrscheinlich auch die Medicin wenigstens in ihren allge-
* Rabbinowkjz a. a. 0. — Talmud IV. Sanbedrin 21, 33» u. 93', BeohoroÜi 28**.
» Wunderbar a. a. 0. IV, S. 66—68.
' Rabbinowicz a. a. 0. S. 258 u. ff.
* Wunderbar (a. a. 0. 1, S. 50 — 56) zählt ^56 verschiedene Arten auf, darunter
Messer, Scheeren, Sonden, Lanzetten, Schröpfliömer, Bohrer, Tripperbeutel,
Löffel, Siebe u. a. m.
* Talmud Tr. Bechoroth 46% Nidah 19.
* Über die Bedeutung von Joxe dophan s. auch Vibchow's Archiv Bd. 80,
H. 3, S. 494. Bd. 84, H. 1, 8. 164. Bd. 86, H. 2, S. 240. Bd. 89, H. 3, S. 377.
Bd. 95, H. 3, S. 485. — A. H. IsbaSls in d. Ned. Tijdschr. v. Gekbesk 1882,
p. 121 u. ff.
Bei dm Fartm.
27
mrinen GrundzAgeii gelehrt wurde» Der TJBterricht währte nur t'inrn
Tkil ^e8 Jahres; in der üUrigi-»n Zeit giDgen die StudiurHiidi^n ihren
n nachy um sich deD noth wendigen Lel>ensunterhalt zu er-
Es hefanden sich duninUT HandwtTker, Kaiifletite, vieUeicht
iflch Ante, welche ^on den Lehrern der Hochschule flie wissenschatV
liijk Begründung ihrer Beobachtungen zu erfahren bemüht waren,
mnekehrt erbaten sich auch die Gelehrten, welche nur in der Theorie
iigch waren, in zwciMhaften schwierigen Fällf^n d*^r Praxis von
«rfahrenen Ärzten Auskunft J
Manche Ärzte scheinen sowohl die Behandlung der inneren als
der äusseren lieiden unternommen zu halKUj wahrend sie sich in
anderen Fällen nur der einen oder der anderen Richtung^ der Heilkunde
nnriodten.
Wer die ärztliche Praxis aui5Ül>en wollte, b-e<lurfte dazu der Er-
iMUboiss der Obrigkeit des Ortes, an welchem er sich niederzulassen
föBSchie. ..Niemand »larf die Heilkunsl ausüben, er ^ei denn dieser
Kansit auch Tollig kundig, und wer sieh ohne Erhiubniss des Beth-Din
(im Käthes der Stailt) mit der Ausul>ung derselben beschäftigt, ist
i\ selbst wenn er deren auch völlig kundig ist,**^ Ob diese
..5.j:\bation auf Grund von Prüfungen enheilt wurde, und welcher
Art dieselben waren, ist mir nicht bekannt.
In den folgenden Jahrhunderten verschmolz die jüdische Medicin
u}llstandig mit derjenigen der übrigen Völker. Die jüdischen Ärzte
riD'l Gelehrten übten einen fördernden Einfluss auf die wissenschatV
b^he Entwickelung der Heilkunde aus, namentlich im Mifctelalt^T,
und hÄben zu jeder Zeit eine hervorragende Stelle auf <lirsem Gebiet
'behauptet.
Bei dea Färsen,
Über die Medicin der alten Perser sind uns nur spärliche Nach-
nchlen überliefert worden. Auch hier stand die Heilkunst Anfangs in
omigen Beziehungt^n zum Cultus^ und die Priester ^ die Magier, übten
dieselbe aus. Sie bestand im Allgemeinen darin, dass ^lie Krankheiten,
welche von hosen Geistern hervorgerufen wurden, durch Beschwöningen
' P. Bser: Skizze einer Geschichte der Erziehung untl de^ Unterrichts bei
te lineUten, Prag 1S32. S. 55.
■ Tfilmad Tr, Nidah 2»'. * Wi ndebbar a, a. 0. 1, S. a«.
weggebetet wurden. Dumit verbanden sioh manche abergläubische Cere-
monien; die Mag^ie feierte liier ihre Vermahlim^^ mit (l**r Mi'dicin. ^
Thrita, t^n von der Süge yfefeierter Heid, welcher üpilter unter <li«»
Geister des Himmels versetzt wurde, galt als der ernte Arzt, dem es
elang, die Krjuikheit-eii zu beseitigten und die Dämunen. welehe sie
'^sandten, zu besiegen. Er wurde daher als <ler Kohutüiütron der Ärzte
und gleichsam als Gott der Heilkunst verehrt.
Die religiösen Ges**tzijücher der alten Perser emplahlen die Rein-
heit der Seeli^ und tle.s Körpers als das beste Mittel, uru Ivrankheiten
zu verhüten. Mit strengen Strafen wurden geschlechtliche Auü^
Schweifungen bedmht. Ebenso war auch ilas Abtreiben der mensch-
lichen Frucht verlioten.
Über die Bi^handlung tb*r Krankheiten erfahren wir, dass ausst^r
dem Gebet auch Medicamente, deren sie eine grosse Anzahl aus dm
Ptlanzenreiche kannt/en, sowie das Messer zur Anwendung kamen. Als
die vorzüglichsti'n Ärzte wurd<»n diejenigen betrachtet^ welche die Leiden
durch das Gebet allein heilten; sie waren gleichsam „die Ärzte dej
Ärzte**. Ihnen folgten Diejenigen, welche Arzueiiränter verordnete«
und die letztt^ Stolle nahmen Jene ein, welche zum Messer griffen.*
Wer als Arzt auftreten wollte, musste sich zuerst an den nieden»
verachteten Kasten üben. Erst wenn er an Mitgliedern dieser Stand
drei erfolgreiche Kuren ausgeführt hatte, durfte er auch in den höhere
Klassen der Gesellschaft praktioiren. Starben jedoch die drei Prob«
Patienten, so konnte er niemals Arzt werden.
Wie im alten Ägypten, so übten auch hier die Ärzte zugleich d'
Thierheilkunde aus.
Man hatte eine Art Mi^licinal-Taxe, deren Höhe >ich nach dei
Stande und dem Reich tluim iles Kranken richlete. Von einem Priest^
durfte der Arzt für seine Dienste nichtxs weiter fordern, als seim
Segen; dagegen erhielt er von dem Olterhaupt einer Lanilschaft vU
Ochsen, von dessen Frau ein weibliches Kameel, vom Überhaupt ein«
Stadt ein grosses Zngthier, von dessen Frau eine Stute, vom Oberhauj
eines Dorfes ein mittleres Zngthier, von dessen Frau eine Kuh, voi
Besitzer eines Hauses ein kleines Zugthier und von dessen Frau ein
Eselin. Desgleichen war auch vorgeschrieben, wie viel er für dj
Heilung der verschiedenen Hausthiere verlangen durfte.*
Diese wenigen Bruckstücke geben keine Aufschlüsse über die med.
cinischen Kenntnisse und den ärztlichen Unterrieht bei den alt^
* PuNiu»: liist. uat XXX, 1.
» Vcudidud VU, US- 121.
» Ebenda VII, 105. 117,
fwseni and gestatli?ii kein Urtheil über den Znstand ihrer Heilkunde.
Jedenfalls wurden ihre Ärzte später von den ägyptischen und jc^echischen
Fachgenossen an Wissen nliertroffen, da sich die persisi^ln'o Könige
\nU^ ans diesen Ländern an ihren Hot" kommen liessen.
Bei den Griechen vor Hippokrates.
Die ältesten Nachrichten über die griechische Heilkunde hüllen
«ich in das Gewand der Mythe. In ihnen erscheint Apoüon als der
Gott* welcher Krankheiten und Seuchen sendet, aber auch die Mittel
gewahr^ um sin ?m heilen und *üe tTliel abzuwehren.
hh spät-er die einzelnen Thriiigkeitsäusserungen die^ses Lichtgotte%
i^ in dem Cultus des Naturvolkes offenbar an die 8telle des Helios
getreten war, personificirt wurden und besondere Vertreter i^hielten,
Übernahm Asklepios die Rolle des Gottes der Heilknnst Die Sage
BSDöte ihn den Sohn Apollons, um dem innigen YerhilUniss der Beiden
Ausdruck zu geben. Aufgeklärt-e Griechen der späteren Zeit erklärten
diffidbe in allegorischer Weise, wenn sie sagten: „Asklepios sei <üe
im Menschengeschlecht und allen Thieren zur Gesundheit unentbehr-
liche Luft, Apoüon aber die Sonne, und mit Recht nenne man ihn
df»n Vater des Asklepios, weil die Sonne dureli ihren Jahre^lauf die
\ gesund mache."'
HöMEB und PiNDAR rühmen die Heilerfolge des Asklepios; aber
i«der sie noch Hesiod nennen ihn einen Gott Wie der Ruhm seiner
Kuren» von der Legende aufljewahrt und von der Nachwelt vergrüssert^
»Umalig zu seiner Apotheose führte, darüber ist uns leider keine Kunde
ilterhefert worden. Später wurden ihm Tempel errichtet und von
eri'; ■ 'hen Verehrern eine Machtfalle zugeschrieben, gleich tler-
jt'i: _ ^ Zeus, des Schöpfers und Erhalters aller Dinge.
Die Dichter, welche, wie schon Hebodot* schreibt, in der Mytho-
logie einen dankbaren Stoff fimden, schmückten die Erzrihhingen von
i^ Geburt und dem Leben des Asklepios mit ihrer reichen Phantasie.
PumiLB berichtet^ dass er von dem Centanren Cheiron in der Heilkunde
unterrichtet worden sei,
„uni «H lehren des krankheit» vollen Web> Hei Hinderung
Jedem« wem eiDwohnenil die Wund' aii dem Lt^ib
PAcaufUs VII, 23.
* Heropot II, 53.
L
3U
Der mtdieimmi^ (Mterriekt im
I
mUmI enrticli§^ watk weldi«, ^ GIMer TerSelxt darcb dniaklia« Efx amifthtea tinii
dttreh femgedidileiulerteii Btdn;
Deoeii von Olntlieii des Sommerm roo Killte der L«ib tuoseliHAn«!
erlM KUencnt er aiis rielfiüti^er QqaI
lilitrend^ hier eindchlftfemd d^s Weh mit der KmÜ mmniithigtfr
Spruch* uDtl enjuicklicheni Trank oder sanft Heilsalben auf ihre t^dtm hin
f&gend nnd Andere dorch Aiifi»chnitt vtellt er anfwärta.^'
Dem Asklepi<)s standen seine Gemahlin Kpione, „<Me SchmerziinileriD \
und cseine T5chter Hv^ieia, Jaso und Panakeia, deren allegoii^iche Be-
deutung man schon aus ihren Namen erkennt» helfend snir Seite.
Mehr historische Wahrheit besitzt vielleicht die Angal>e, dass er zwei
Sohne, Ma^hauQ and Podalirios. hatte, auf welche er seine Kenntnisse
in der Ueilkunst vererbte.
Dieselben werden untor ^len Freiem der Helena aufgeführt und
zogen als Führer der theüsalischen Krieger von Trikka. Ithome und
Oichalia mit dem grieehiäi^hen Heere nach Troja. Sie galten ak
ebenso erfahren in der Kriegskunst als in der Heilkunde und wurden
von üiren liampfesgenossen bei verschiedenen Gelegenheiten um ärzt-
lichen Rath und Hilfe gebeten.*
Mäcbatjn that sich vorzugsweise als Chiruriu^ hervor, während Po-
daliriot} sieh durch die Behandlung der inneren Krankheiten auszeichnete.
Wie in der Ilias, so wurde auch in der AethiopLs des Dichters Arktinos^
welche bald nach jener verfasst wurde, aber nur noch zum Theil vor-
handen ist, auf dieitC Trennung der beiden Hauptrichtungen der Heil-
kunde hingewiesen, wenn es heisst:
^fDenn (Asklepioe) selber verlieh Heilmittel den Söhnen
Beiden, jcdof'h riihiiiwiirdiger luiK'ht' er den einen von Beiden;
Jeneui pewlihrf vr dir leicht^^n* Hund, uns dem Fleisch die Geechofl«»
AnszuEieh^ii nnd zu iichntn<len und jo^Hchi- Wunde zu heil<'n,
Dicaetn dufür leg^t alle Geuauigkeit er in die Seele,
ünejehtbarea ^n kenneu und Uuhellbared zu heilen/'*
Es ist bemerkenswerth, dass hier der inneren Medicin der Vorzug
vor der Chirurgie eingeräumt wurde. Diese Meinung erhielt sieh bis
in unsere Tage und dürfte darin ihren Oruuil halicn, dass das Erkennen
und Heilen der inneren Krankhoiien dem Laien öchwieriger und wun-
derbarer erscheint, als ilie Behandlung der äusseren Leiden* deren Ur-
sachen und Beseitigung in den meisten Fjillen Jedem wahroehmlnir sind.
Die Heilkunst jener frühen Periode der griechischen üeschiehte
' PiNnARß Werke übers, von FitiEua. Thieim«ch, I^ipzig 1820, I. S, !99.
« Dkidor IV, ü. 71.
» F. G. Wetvckkr: Kleine Schriften, Bonn 18Ö0, Bd. 111, ö. 47.
I
Iiesdninkte sich im Wesentlichen darauf^ Pfeile und Lanzeiii^piUen
^oj^uziehen, das Blut zu stillen, die Sclimerzon zu lindern und Ver-
binde anzulegen. In der lÜas werden eine grosse x\nzahl von Ver-
leUiingen verschiedeuer Ait besehrieben und das Heilverfahren gebchil-
jeit irelehes dabei angewendet wurde. ^
Machaun un^l Fodalirius sind nicht die einzi.i,'en Arzte, welehe in
ilfD Homeris»;.hen Heldengedichten genannt werden.- Auch Achilleus,
PÄtroklos und andere Heerführer und Krieger werden als heilkundig
^emhmU Viele derselben verdankten ihre Kenntnisse auf diesem Ge-
biet dem Cheiron,^ j?dem Manne der Hand/* Sie verwert heten die-
#lben zum Wohl und Nutzen der Menschen, gleich wie andere Helden
durch ihren Gelang die Gemüther erfreuten; aber sie übten die Heil-
tunst nicht berufsmässig gegen Entlohnang aus.
Der Unterricht in der Heilkunde geschah durch die persunliGhe
Doterweisung eines Lehrers, welcher darin Kenntnisse und Erfohrungen.
gesammelt hatte. Der Vater theilte sein medicinisches Wissen den
NihDen mit, und diese vererbten ihre Kunst wiederum auf ihre Nach-
bmmenschafl. * Diese Thataache scheint den Legenden zu U runde zu
üe^n, welche erzählen, dass sich die medicinischen Kenntnisse in den
Geäohlechtern des Cheiron und des Asklepios erhalten halten und van
ihnen als theures Familien- Vermächtniss bewahrt wurden.
Als der ärztliche fiuhm der Nachkommen des Asklepios immer
heller erglänzte, und die dankbare Menschheit anting, ihrem Ahn
gvittliche Ehren z\x erweisen, da mügen wohl auch andere Heilkünstler
hegoDiien haben, sich für Mitglieder dieser Familie auszugeben, deren
Gdieimnisse ihnen überliefert wnirden seien* So entwickelte sich all-
ittafc ein är/thcher Stande der seine Herkunft van Asklepios ableitet«.
Die Asklepiaden, die vermeintlichen Nachkommen dieses mythischen
Stunmvaters der griechischen Ärzte, vereinigten sich später zu G*-
ooflseoschaHen, w^elche bei gemeinsamen Opfern und religiösen Festen
ihr« Zasanmiengehörigkeit zeigten, P^ine in den Ruinen des Asklepios-
Tempftlf* zu Athen gefundene und von Gihakd^ verdtfentlichte Inschrift,
» Iliaa IV, löO. V, 73—75. 112. 694. XI, 349—60. 397. 846. XIH, 438—445.
XIVi 409—439. XV, 394, — VergL a. Dabembebo: La medecioe dans Hom^Te,
Pkr» 1865. — H, Duitbae: The medioine and surgery of Homer. Brit. mwl,
Joomiü^ London lbt80, 10. Jan.
• Diae XIII, 213. XVI, 28.
• TiisLB IV, 219. XI, 831. — Panofka m deu Sitscungsber. d. Akad. d* Wiss,
n Berlin, Philos.-hi^L KL 1843, 8. 269 u. C
* Platok: de repabl. X, c* 3.
* P. GiBABn: L'A^d^picion d Athtinea d'aprcs de n^oeatee d^couvertes in dw
Bibliadi^i[ue des ecoles frauv^ises d Athünes et de Home, T. 23, p. 85, Paris 1881.
32 Der medicinische Unterricht im Alterthum,
welche Köhler der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts zuschreibt, er-
klärt dies für eine alte Sitte.
Die Asklepiaden waren also die zu einer Zunft verbundenen Ärzto
und keineswe|?s mit den Priestern, die an den Asklepios-Tempeln an-
gestellt waren, identisch, wie K. Sprengel und andere medicinische
Geschichtsforscher irriger Weise geglaubt haben.
Die ältesten Heiligthümer des Asklepios befanden sich zu Trikka
in Thessalien, in Titane, Tithorea, Epidauros, auf der Insel Kos, zu
Megalopolis, in Knidos, Pergamon, Athen ^ und anderen Orten. Hier
wurde der Gott der Heilkunst verehrt und von Kranken aufgesucht
welche von ihm die Erlösung von ihren Leiden erflehten. Mit den
Tempeln, in denen der religiöse Cultus stattfand, waren Wohnungen
für die Priester und Diener des Tempels, sowie weite gedeckt« Säulen-
hallen verbunden, welche den frommen Pilgern und hilfebedürftigen
•Kranken als Aufenthaltsort dienten. ' Die meisten Asklepieien zeichneten
sich durch ihre gesunde Lage und anmuthige Umgebung aus. Sie
wurden in einer fruchtbaren Gegend auf Bergen und Hügeln, in der
Nähe von Wäldern und Hainen, welche vor schädlichen Winden und
bösartigen epidemischen Einflüssen schützten, und an Flüssen und
Quellen, die ein erfrischendes wohlschmeckendes Trinkwasser boten,
errichtet;^ einige hatten heilbringende Thermen und Mineralquellen,
welche gegen Krankheiten einen grossen Ruf genossen. Diese Gesund-
heitstempel waren mit lieblichen, wohlgepflegten Gärten umgeben, in
denen stets frisches Wasser floss, und enthielten in ihrem Innern Statuen,
Wandgemälde und Weihgeschenke aller Art. Neben den Bildsäulen
des Asklepios und anderer Gottheiten gab es Gedenksteine, welche an
berühmte Ärzte als Lieblinge der Götter erinnerten.*
Strenge Yorschriften wachten darüber, dass diese Heiligthümer
rein gehalten und vor Schädlichkeiten, die ihre günstigen hygienischen
Zustände gefährden konnten, bewahrt wurden. An der Pforte des
Tempels zu Epidauros standen die Worte: „Wer hier eintreten will,,
muss ein keusches Gemüth besitzen!"*
Dort durfte ebensowenig wie in Delos eine Frau gebären oder ein
Todter begraben oder verbrannt werden; selbst wenn ein Kranker starb,
^ JoH. Heinb. Schulze zählt in seiner Historia medicinae (Lips. 1728)
S. 118—125 eine grosse Anzahl von Asklepieien auf und nennt dabei die Au-
toren, von denen sie erwähnt werden.
* Paüsanias n, c. 11. 27 u. ff. X, 32 und Girabd a. a. 0. p. 5.
' Paüsanias III, 24. Vm, 32. — Vitruv de archit I, c 2.
^ Akaqkostakis im Bull, de corr. hellen. I, p. 21 2, pl. IX.
^ Clemens Alexand.: Stromat. V, c. 1, 13.
j4) galt das Heiligthum als entweiht. Die Personen, welche hier Hilfe
iiicshten, wurden sorgfältigen Reinigrung^en unterworfen, mussten Bäder
jjD Flusst, im Meere oder in der Quelle nehmeo und einige Tage
hrten und sich des Weines enthalten, bevor yie den Tempel betreten
und «1er Gottheit Gebete und Opfer darbringen durften.
Wohlriechende Düfte, die aus den Riiuoherungen aufstiejLren ♦ er-
fällten die Luft, und der Gesang der Priester, welche die Macht und
(Hüe des Heiigottes priesen, ergriff die Seele* Die Gespräche mit den
Leidensgenossen* welche die Kranken in den Hallen des Tempels trafen,
»md der Anblick der zahlreichen Weihetafoln und Inschrilit^n, dir van
ijlQcküchen HeUungen berichteten, welche hier stattgefunden hatten,
pyn ihnen Vertrauen und Hoffiiung. Willig iiberliessen sie sich dahi'r
den Inordnungen der PriesttT, und mit peinlicher Sorgftilt befolgten
*ie deren Vorschriften.
Wie in dem berühmten Amphiaraion und anderen alten Orakel-
rnnm^ wurden auch in den Tempeln de^ Asklepios die Heilmittel aus
den Träumen gelei?en. Die Kranken schliefen während der Nacht in
iIpd Hallen des Tempels und erwarteten die Träume, in denen sich ihnen
ilie Gottheit offenbaren sollte. Wenn darin die Behandlung des Ticidens
nicht klar und deutlich angegeben wurde, so erzählten sie den Inhalt
<k Traumes den Priestern und deren Gehilfen, welche ihn deuteten
und die Heilmittel nannten, welche angewendet werden sollten. Hatte
itt*r Kranke in der ersten Nacht keinen Traum, so brachte er zu diesem
Zweck eine zweite und dritte Nacht im Asklepieion zu. Blieben die
Träume überhaupt aus, so hat er einen der Priester des Tempels oder
^mea anderen frommgläubigen Mann, für ihn dort zu schlafen und zu
iraomeD.
Diese Stellvertretung war schon bei den Orakeln üblich^ und
foiirte später zu Betrügereien, indem schlaue Spekulanten, ähnlich
raaüchen spiritistischen Medien der heutigen Tage, den Verkehr mit
i\m ölierirdischen Wesen zu einem einträgliehen Geschäft, machten.*
>üch plumper war der Schwindel, wenn die Priester in der Maske
des Gottes Nachts den Besuchern des Tempels erschienen, um dadurch
Wi ihnen die Vorstellung hervorzurufen^ als ob sie träumen; Aristh*
PH,\XES hat dies in seinem Lustspiel Plutos in einer derbkomischen
Weise ge^ichildertv^
Die Heilmittel, welche verkündet wurden, waren — wenigstens in
« Hkbodot VUl, c. 134.
* VergL die Biographie des Apollonioe von Ty«
8. iV, l,
• V. 620 u, fif:
PDKinf Aint , Unterricht
von Philostratos I» 8,
34 Der medicinisohe Unterricht im Älierthum.
der älteren Zeit — mehr diätetischer und psychischer Natur als medi-
camentös. Manche der empfohlenen Kurmethoden waren durchaus
rationell/ und ganz geeignet, einen Heilerfolg herbeizuführen. Dies
erklärt sich dadurch, dass die Traumbilder, den vorherrschenden, zu-
weilen einzigen Interessen der Schlafenden entsprechend, halb oder ganz
vergessene Erinnerungen an glückliche Kuren aus der Tiefe der Seele
hervorholten. Wo dieselben fehlten, da halfen die Priester, welche
durch die Tradition und die eigene Erfahrung einige ärztliche Kennt-
nisse erworben hatten, mit ihren Erklärungen und Rathschlägen. Wenn
sie damit keinen oder einen ungünstigen Erfolg hatten, so zogen sie
sich durch sophistische Kunststücke aus der peinlichen Lage heraus.*
Die Priester der Asklepios-Tempel waren nicht Ärzte, wie Viele
annehmen. Allerdings gab es unter ihnen sowohl wie unter ihren
Gehilfen, den Zakoren, Manche, welche in der Heilkunde erfahren
waren ^ und dieselbe vielleicht sogar systematisch erlernt hatten. Aber
zwischen der Heilkunst, welche in den Asklepios-Tempeln geübt wurde,
und derjenigen der Berufsärzte bestand der grosse Unterschied, dass
die erstere nicht als eine Frucht der menschlichen Erkenntniss, sondern
als göttliche Offenbarung erscheinen wollte. Das Eingreifen von Ärzten
musste daher hier mindestens überflüssig erscheinen. Aus diesem
(jrunde ist es auch nicht wahrscheinlich, dass zwischen den Asklepios-
Priestem und den Ärzten ein gegensätzliches oder feindschaftliches
Verhältniss bestanden hat* Es liegt vielmehr näher, das Gegentheil
anzunehmen, wenn man erfahrt, welche demuthvolle Verehrung die
Ärzte, die Asklepiaden, den Heiligthümem des Asklepios zollten, welches
hingebende Vertrauen sie seinen vermeintlichen Aussprüchen in ver-
zweifelten Fällen ihrer Praxis entgegen brachten.
Die Asklepiaden Hessen sich mit Vorliebe in der Nähe der Asklepios-
Tempel nieder und gründeten dort ärztliche Schulen. Unter diesen
erlangten diejenigen, welche zu Bhodos, Kroton, Kyrene, Kos und
Knidos entstanden, den bedeutendsten Buf. Zwischen ihnen entwickelte
sich ein edler Wettstreit, welcher die Entwickelung der medioinischen
Wissenschaft begünstigte.* Auch musste der Verkehr der Asklepiaden
^ Vergl. Vercoutre: La m^decine sacerdotale dans Fantiquite grecque in
der Revue arch^olog., Paria 1885, ser. IH, T. 6, p. 285 u. ff. — v. Willamowitz-
Mosllendorff: Die Kur des M. J. Apellaa in dessen Philol. Untersuchungen,
Berlin 1886, H. 9, S. 116 u. ff.
■ Abtemidob: Oneirocrit V, 94. • Gisard a. a. 0. p. 34.
*• Malqaiqne im Journal de Chirurgie, Paris 1846, IV, p. 840. ^ Ch. Dabex-
BERQ in der Rövue arch^oL, Paris 1869, T. 19, p. 261 u. ff.
^ Galen: Ed. Kühn, T. X, p. 5.
den Tempeltif wo sie Leiden aller Art sahen , Ton erfoljjfreichen
Kuifn und den Mitteln, die dabei ang^ewendet wurden, hörten und die
Danksagfungen der Geheilten lasen, auf sie anregend wirken und ihre
iiitüchen Kenntnisse und Erfahrangen vermehren.
Die Asklepiaden-Schulen waren Vereinigungen yon Ärzten, welche
ifn gleichen wissenschaftlichen Theorien huldigten, und entsprachen
ler unsern Akademien als unsern Facultäten. Die Erziehung der
iuW geschah nach derselben Methode, wie in der ältesten Zeit, indem
dt»T Lehrer einen oder mehrere Schüler in den Kenntnissen und Fertig-
keiteu unterrichtete, welche die Ausübung der Praxis verlangt.
Bei der Aufnahme der Schüler beschränkte man sich nicht mehr
fie ehemals auf die Sprösslinge der Familien, welche ihre Abstammung
y.iu Asklepios ableiteten ;^ und wenn die Ai^klepiaden durch die Führung
ihrer Geschlechtsregister diesen Glauben zu erhalten suchten, so wollten
>ie damit wohl nur darthun. dass die Heilkimst ihres Stammvaters
AskJ*»pio8 Ton ihnen rein und unverfälscht übermittelt werde. ^ Aus
dem gleichen Grunde befahlen sie auch ihren Schülern strenge Ge-
beimhaltung ihrer Lehren und verboten ihnen, dieselben Andern, die
nicht der xisklepiaden-Zunft angehörten, mitzutheilen.^ Derartige Mass-
rfgeln wurden auch von anderen gelehrten CfenosseuschafteUy nament-
lich wenn dieselben, wie hier die gemeinsame Verehrung des Asklepios,
1: -: ;,.g Band umschlang, angewendet, um die Profanation ihrer
-i' zu verhüten.
Der medicinische Unterricht begann schon in früher Jugend. War
der Vater Arzt, so war er auch der erste Lehrer seines Sohnes, der
sich der Heilkunde widmete un<l dann seine spätere fachmännische
Ausbildung bei anderen tüchtigen Ärzten suchte und fand.
kÜer Lehrer theilt^ den Schülern seine Ansichten üljer den Bau
d die Funktionen des Körpers mit^ erklärte ihnen die Ursachen der
ankheiten und führte sie an das Krankenbett., um ihnen dort die Er-
r^^deiiiungen der verschiedenen Leiden und ihre Behandlung zu zeigen.
Die Schüler mussteu für den Unterricht ein Honorar zahlen* und
n verpflichtet, den Söhnen ihres Lehrers unentgeltlich die Heil-
zu lehren.
» Galek a. &. 0* T. H, p- 281.
' Übii^enA atammen die Doch vorhandeQen Bnichatiicke der genealogischen
der Asklepiaden aus später Zeit und könneu daher nicht Anspruch auf
intlieDcitit erheben. Tzetsi» (12. Jahrhundert n. Chr.): Hi«tor. var. chil. ed.
KseaaliDg, Lips. 1826, p. 276, v. 944—989.
• HnTOXxATBs: Ed. LÄttre, T, IV, p. 642.
^ PAAfOK: MenoQ c. 27. Pbotaooius c. 3.
Die
Wenn die Ausbildung des Schülers beendet war, so wurde er m
die Genossenschaft der Äsklepiaden aufgfenommen, wobei er fol^endea
Eid ablet^te:^
»ylcli snhwore \m Apollon, dem Arzte, bei Asklepios, bei der H
gieia iintl Panafceia und bei allen (TÖttern und Göttinnen, und nehme
sio zu Zeugen, dass ich <liesen meinen Eid nach mt/inen Kmften u
Fähigkiitt^n halten vvilL Ich werdf Denjenii^t'n^ wekher mir die He
kunst gelehrt hat, wie meine Eltern richten, mit ihm den Lebens
iiuUTkilt theihm und für seine Bedürfnisse Surge trügen. »Seine Kinder
sullen von mir wie Geschwister betrachti't werden, und seinen SuhneÄ
werde ich, falls sie die Heillmnst zu erlernen wünschen, diestdbe ohne
l^f'/nhkuig und ohne VerpHiehtung lehren, Dir' ärztlicln^n Vorschriften
und Alles^ was ich von der HuiJkunsl geliürt und gfdernt habe» wii
ich meinen eigenen Sühnen sowohl wie denen meines Lehrern u
meinen Sidnilern, die auf das nr2tlich<^ Gesetz verpflichtet und vereidi
worden sind^ mittheileo, sonst aber Niemandem, Die Lebensweise di
Kranken werde ich, soweit ich es vermag und verstehe, zu ihrem V
theil regeln und sie vor Rchiullichkeiten und Kränkungen schützen."
Niemals will ich ein töiltliches Mittel verabreichen, auch nicht, wenn
man mich darum bittet, noch einen darauf hiozielenden Kathschlag
erthcilen. Klieusowenig werde ich jemals einem Weibe ein die Frucht
abtreibendes Mutterzäpfchcri geben. Keusch und heilig wiU ich md;
Leben verbringen und meine Knnst halten. Die < Kastration werde
nicht einmal l»ei Denen, welche an der Bteinlcrankheit leiden, ausführe
* HiPi*o&RATl<>* a. a. O. 'i\ IV, p. 628—632.
^ Die Worte: «il rt^iit^t M oM f$i}¥ ^t^tihrrat; hab(*li tle»i ErklJirf?Tn imd Über-
BeUern vou jeht*r grosBc 8cliwierigkeiti»fi biiroitet. Die Meiaicü glaubten, dasn
sich der Schwörende darin verpUichtet, den BJa«enäteiii&rhnitt iiielit auäzufÜhreti.
Bei dieser Den tong iM aber das mtU /<i^i' des Textes libertlü»»!;; wad ernustdreodt
dft die Operatioo dc'e BlafieTisteiiiachtiLttj» donh nnr riii Solelieii, welche am Bliiseii-
ateiii leideij, vorgeiiommeu werden kannte, Littii6 conjicirte deshulb ititdovraii
für Ätfhirit^n^\ so dftflä die Übersetssung laueen wörde: ,Je!i werde den Blasenstoin
Hiebt oporiren, selbst dann nicht, wenn naich die Kranken darum bitten." Aber
vielleicht bezieht ^ich die Stelle überhaupt nicht auf den BlasensUiLnacbnitt; denn
die Arxtt? jener Zeit sclieuten »ich keineswegs, andere Operationen aiiSÄuftihren»
und be^schÄftigten sich auch mit der Untersuchung und Behandlung der Blasen-
leiden (HippoirRATE.H a. a, 0. T, VI, p. löO). — Grossere Berechtigung hat die
Ansieht R, MoREAt^s, CirAR»'joNOK*a u. A., daüs es sich in der obigen Stelle
rnn da« Vf^bot der Ca«tratic*n handelt, da dasielbe im Zusammenhang mit an-
deren sehhnpfUchen Dingen, z, h. der Verabreichung von Giften, der Kindes-
abtreibung u. a. ni. erscheint. Zudem kommt das Wort, riftvitv in diesem «Sinne
in der grieehiBclif'u Literattir vor; freilich werden dafür häufiger die Composita
hr^utttv und dnütifittiv gebraucht. Das darauffolgende oöiW /*<7v At&t&rra<i be-
Bei den CMechan vor HippokrcUes.
ndera «lies den Leuten überlassen, welche daraus ein Geschäft machen,
fem» kh ein Haus betrete, so soll dies zum Heil der Kranken ge-
Ich will Niemandem absichtlich Unrecht thun und irg^ml
Schaden zufügen und weder Frauen noch Mäiüier, weder Freie
noch Sklaven zur Unzucht verffihreri. Was ich in meiner ärztlichen
und au-^erhalb derselben in Bezug auf das Leiien der Menschen
^«heo oder hören werde, darüber will ich, wenn es niemals öffentlich
bekannt werden soll, Schweigen beol^achten und es als ein Geheimnis«
hnrahren« Möge es mir, wenn ich diesen Eid erfülle und nicht breche.
tiaidiieden sein, da^ Leben und die Kun.st zu geniessen und immer-
fahrenden Ruhm zu ernten bei allen Menschen! Wenn ich aber den
Kid übertrete und meineidig werde, so soll mich das Gegentheil
l!- —
Aus dem Wortlaut dieses Eides, welcher ohne Zweifel der Vor-
'Hippokratischen Zeit angehfirt, gebt hervor, das.s die Castration^ die zum
Jteck der Lieferung vun Eunuchen vorgenommen wurde, Leuten über-
Imen blieb, welche die Ausführung dieser Operation geschäftamassig
betrieben. Vielleicht wurden auch andere Theile der Chirurgie, z. B.
Blasenschnitt, und <lie Behandlung der Knuchenbrüche und Ver-
i, von Empirikern ausgeübt, die sich darin eine grosse 6e-
Ddtheit und Sicherheit erworljen hatten?^
Jedenfalls lasst sich annehmen, dass es ausser den Asklepiaden
andere Ärzte gab, welche nicht der Genossenschaft derselben an-
gehörten** Erst später \\Tirden alle Ärzte ,jAsklepiaden^* genannt.
Grossen Einfluss auf die Entwickeln ug iler Heilkunde und besonders
auf die Bildung der Ärzte übten die Philosophen aus. Die griechischen
Weisen, welche die Ursachen und das Wesen der Dinge zu ergründen
deutet datm, dam die Castration nicht einiDäl bei Denen, welche am Blaseodteiu
ütten, gestattet war, obwohl bei ihnen die Bedenken dagegen geringer sein
iDusteD, da der Steinachnitt bei der damals Üblichen OperatioDsmethode wegen
d«r dunit verbundeneu Zerstörung der SamenansftihrciDgdgäQge gewöhnlich
ZengimgstiiiHLbjgkcit im Gefolge hatte. Übrigens hat h&täv auch die Bedeutung
^ ein«?r steinartigen verhärteten AnÄchwellung kiden'* und wird nach Tu, Gum-
ffiax in diesem Sinne von Verhfirtungen an den Augenlidern, den Gelenken, der
Grtbftnnutter u. a. m. gebraucht Vielleicht bezieht e« sich hier auf die Hoden
ttiid die obige Stelle muss nbcraetzt werden; ,,Ich werde die Caetration nicht*
eiamal bei denen, deren Hoden verhärtet sind, ausführen**? — Vergl. CHARpioNOif:
Etüde siir le serment d'Hippoerate ♦ Orleans und Paria 188L ^ Tu. Püf*CHMAiaf
in BuB£itAK3 Jahresber. f, Alterthiuns Wissenschaft 1884^ HI, p* 55 und in den
Jahreeber, über d. Fort^elir. d. ^es. Mediein, herausgeg. v. Vtacnow u, Hibiu^b
jm. J, S. 3 26,
* VergL H. H^EJiKE: Ge*«*hichte der Medicin, 3» Aufl.^ Jena 1875, I, S, 88*
• WßLCKEtt a. a. 0. S, 108 u, €
38 Der medicinische Unterricht im Alterthum,
suchten, zogen vor Allem den Menschen und die ihn umgebende Natur
in Betracht Pythagoras, welcher das Grundprincip alles Seins in
der Zahl, in den Massverhältnissen, in der Gesetzmässigkeit sah, war
Arzt und beschäftigte sich mit dem Bau des Körpers, der Thätigkeit
der Sinne und der Seele, sowie mit der Zeugung und Entwiokelung
des Menschen.
Nach längerem Aufenthalt in fremden Ländern, namentlich in
Ägypten, wo er in das Wissen der gelehrten Priester eingeweiht wor-
den sein solV li^ss er sich in der griechischen Pflanzstadt Eroton in
Unter-Italien nieder, wo sich die berühmte Asklepiaden-Schule befand.
Dort gründete er einen Bund, welcher weniger philosophische, als
ethische und politische Ziele anstrebte. Seine Mitglieder waren haupt-
sächlich Ärzte und fanden hier bald einen Mittelpunkt für ihre gemein-
samen wissenschaftlichen Interessen. Sie widmeten ihre Aufmerksam-
keit vorzugsweise der Diätetik und suchten durch einfache Mittel, durch
Umschläge, Einreibungen und Salben die Heilung herbeizuführen; die
Chirurgie wurde von ihnen vernachlässigt*
UÄter den Anhängern des Pythagokas werden die Ärzte Philo-
LAOs, Elolathes, welcher die Gesundheit von dem Gleichmass der
Flüssigkeiten im Körper ableitete und sie mit der musikalischen Har-
monie verglich,^ Epimarch, Metbodoros u. A. genannt. Wahrschein-
lich gehörten auch Alkmaeon und Demokedes, welche ihre ärztliche
Ausbildung in Kroton erhalten hatten, zu seinen Schülern. Der letztere
verbreitete durch seine glücklichen Kuren den Buhm der Heilkunst
seiner Heimath in fernen Ländern und erlangte eine hervorragende
Stellung am Hofe des Königs Darius,* dessen verrenkten Fuss er nach
den vergeblichen Versuchen seiner ägyptischen Leibärzte wieder einzu-
richten vermochte.
Alkmaeon soll der Erste gewesen sein, der anatomische Zerglie-
derungen unternahm und dabei den Ursprung der Sehnerven aus dem
(jehim entdeckt haben. ^ Er erklärte, dass die menschliche Seele un-
sterblich und gleich den Gestirnen in ewiger Bewegung begriffen sei
Er versuchte, die Entstehung der Sinnesempfindungen zu erklären, und
stellte die erste Theorie des Schlafes auf. „Wenn das Blut,*' sagte er,
„in die grossen Blutgefässe zurücktritt^ so entsteht der Schlaf; wird es
* DioDOB. I, 69. 98. ' Jamblich: de vita Pythag, cap. 29, § 163 iL fE
^ Kühn: Opusc. acad., Lips. 1827, I, p. 47—86.
* Hebodot in, c. 129—134.
* Chalcidius in Piaton. Timaeum ed Meursius, Lugd-Bat, 1617, p. 340. —
M. A. Unna: De Alcmaeone Crotoniata ejusque fragmentis quae supersnnt in
Ch. Petebsen: Philologisch-hifltorische Studien, 1. H., Hamboig 1832, S. 41—87.
Bei den Griechen vor Hippokraies, 89
aber wieder in die kleineren zerstreut, so erfolgt das Erwachen."^
Weniger Beachtung verdienen seine Ansichten über die Ernährung des
Kindes im Mutterleibe und über die Ursachen, welche der Unfrucht-
barkeit der Bastarde zu Grunde liegen.
Einer der henrorragendsten Naturphilosophen jener Zeit war Em-
PEDOKLES, der, an die Ewigkeit der Welt glaubend, das Entstehen und
Vergehen der Dinge bestritt,* und überall nur Veränderungen sah,
welche sich in Vereinigung und Trennung äussern und durch die Liebe
und den Hass hervorgerufen werden. Er stellte, wie Aristoteles be-
richtet,' die Lehre von den vier Elementen auf, welche auf die Physio-
logie und Pathologie der Späteren den weittragendsten Einfluss aus-
übte, und ahnte bereits den grossen Schöpfungsgedanken, dass die Ent-
wickelung der Organismen von den niederen Formen zu den höheren
fortschreitet, und dass nur das Zweckmässige erhalten bleibt. Er
glaubte, dass nicht blos der Mensch und die Thiere, sondern auch die
Pflanzen beseelt seien, beschäftigte sich mit den Sinnesempfindungen
und der Athmungsthätigkeit, die er auf mechanische Weise zu erklären
versuchte, und betrachtete das Labyrinth im Ohr als den Sitz des
GehOrs.
Seine Zeitgenossen Anaxagoeas aus Klazomene und Diogenes
aus ApoUonia widmeten vorzugsweise der Anatomie ihre Aufmerksamkeit.
Der Erstere nahm Zergliederungen von Thieren vor* und bemerkte
die Seitenventrikel des Gehirns; auch war er der Erste, der die von
den späteren Ärzten zum Dogma ^ erhobene Meinung aussprach, dass
die Galle die Ursache der akuten Krankheiten sei. Diogenes hinter-
liess eine Beschreibung des Gefässsystems, die freilich sehr viele Iir-
thümer enthält.^
Hebaklit sah in der beständigen Umwandlung der Form, in dem
ewigen Wechsel der Dinge, das eigentliche Wesen derselben. A\'ie
Empedokles, so schrieb auch er dem Feuer, der inneren Wärme, einen
wichtigen Einfluss auf die Vorgänge im Organismus zu. Seine An-
!^ichten erhielten im Lehrgebäude der Hippokratiker einen Platz und
spielten in der Physiologie und Pathologie lange Zeit eine hervor-
ragende Rolle.
In noch höherem Grade war dies der Fall mit den Theorien des
* Plütarch: de placit philos. V, c. 24.
« II1PPOKRATE8 a. a. 0. T. VI, p. 474.
* Aristoteles: Metaph. I, 3. 4. * Plütarcu: Perikles, c. 6.
* S. die Nach-Galen'sche Schrift über die kritischen Tage in Hippokrates
a. a, O. T. IX, p. 300 u. ff.
^ Aristoteles: Hist. anim. III, 2.
40 Der medicinische Unterricht im Alterthum,
Leükippos und Demokkit. Der Materialismus, welcher ihre Atomen-
lehre beherrschte, führte zur Erforschung der Natur, also auf den Weg,
der allein Erfolge verspricht. Demokeit^ widmete sich selbst mit
grossem Eifer anatomischen Untersuchungen und scheint darin sehr
geschickt gewesen zu sein, da er über den Bau des Chamäleons eine
besondere Abhandlung zu verfassen vermochte.* Auch soll er über
verschiedene Krankheiten, über die Hundswuth, über die Heilwirkungen
der Musik ^ u. a. hl geschrieben haben.
Eine aus dem Alterthum* stammende Sage erzählt, dass Hippo-
KBATEs von den Landsleuten des wunderlichen Forschers, die ihn für
geistesgestört hielten, nach Abdera berufen wurde, um ihn zu unter-
suchen. Als er die Fülle von Wissen und Geist, die in Demokbit
wohnte, erkannte, mag er sich wohl zu dem Ausspruch gedrängt ge-
fühlt haben, dass er der Weiseste aller Menschen sei. Er verdankte
dem Verkehr mit ihm manche Anregung und wahrscheinlich auch
manche Kenntnisse.*
Die Philosophen rechneten das Studium des Menschen und der
Krankheiten zu ihren wichtigsten Aufgaben.® Viele unter ihnen ge-
hörten dem ärztlichen Stande an und übten die Heilkunst aus.
Dieses fruchtbare Wechselverhältniss zwischen der Philosophie und
der Medicin erhielt sich auch später und hatte für beide Wissenschaften
Vortheile; jene zog es von der leeren Spekulation ab und stellte sie
auf den Boden der Thatsachen, dieser gab es eine tiefere Auffassung
der Dinge und eine allgemeine wissenschaftliche Grundlage für ihre
Bestrebungen und Ziele.
Zur Zeit des Hippokrates.
Die medicinische Schule zu Rhodos scheint nur kurze Zeit be-
standen zu haben; denn die späteren Autoren gedenken derselben
nicht mehr.^
^ Aristoteles: de generat. I, 2. — Cicero: Tusc. quacst. V, 39.
> Plinius: Hist. nat. XXVIII, c. 29. • Gellics: Noct Attic. IV, c. 13.
* Hippokrates a. a. 0. T. IX, p. 320—386. — Sobanus: Leben des Hippo-
krates in Idrler: Physici et medici Graeci minores (Berlin 1841) T. I, p. 253.
— Aelianüs: var. hist. IV, c. 20.
* Celsus: Praef. — Soranüs a. a. O. j). 252. — Bobthius: de musica I, 1.
* Aristoteles: de respir. c. 8. — Celsüs: Praef.
' Galen a. a. 0. T. X, p. 6.
Im 5. Jahrbimdert t, Chr. genoss die medicinische Schule zu Kioton
dm größten Ruf, was sie vidleicht zum Theil ihren Beziehungen zu
lieu Pythttgoreern Terdaoktt?, Die zweite Stelle behauptete die Schule
sm Kyrene^^ wo auch andere Wissenschaften, besonders die Mathematik
und die Philosophie, eifrig gepflegt wurden,*
Nicht viel später blühten die Asklepiaden-Schülen zu Knidos und
Koß. Leider ist die diesen Gegenstand behandelnde Schritt^ des Theo-
wMPOs verloren gegangen: doch besitzen wir in der Hippokratischen
Sammlung eine Quelle, die uns üVier die Leistungen und einzelne Ein-
richtungen derselben werthvoUe Aufschlüsse giebt.
Damach bestanden zwischen diesen beiden Schulen wesentliche
'nndenheiten in Bezug auf die medicinischen Theorien und die
...vo.lien Untersuchungs- uud Behandlungsmethoden. Die Knidischen
irrte waren gute Beobachter und geschickte Chirurgen^ zeigten Interesse
ftr wissenschaftliche Fragen und liebten eine möglichst einfache Be-
bA&dlong.
Da uns aber das Werk, in welchem ihre Grundsätze niedergelegt
vMi% nämlich die Knidischen Sentenzen, nicht überliefert worden ist^
»I sind wir, wenn wir uns eine Ansicht über ihre wissenschaftliche
Bedeutung bilden w^oUen, auf die wenigen darauf liezüglichen Bemer-
kungen angewiesen, die sich in anderen Schriften des Alterthiims er-
liülten haben. Sie röhren zum Theil von Gegnern der Knidischen
Schule her und sind in Folge dessen weder wohlwollend noch gerecht.
ivi wird ihr der Vorwurf gemacht, dass sie sich damit begnüge, die
t' tiven Klagen der Kranken zu erforschen, und darüber die genaue
.ve Untersuchung des Körpers vernachlässige.*
[ Ifemer wurden die Knidischen Ärzte getadelt, weil sie die Krank-
hitm nach den einzelnen KOrpertheilen und Organen eintheilten und
lu riele Formen derselben uiitersebieden, Sie stellten z. B, sieben Arten
|ei Erkrankung der Galle^ zwüK der Harnblase, vier der Nieren, eben-
iöTiel der Strangurie. drei Formen des Tetanus^ vier der GeU>sucht,
drei der Schwindsucht und mehr*'re Formen der Bräune auf, indem
?ie hauptsächlich die Entstehungsuraache als Unt^rscheidungsmerknuil
Annahmen/* Ihre Schilderung der Krankheitserscheinungen war kurz
» HBItC»l><>T III, C. 131.
■ Vef)^K IIoüi»abt: Histoire de la mMecuie grectiue dejmis Esciüape jusqua
l^pücrate, l'am 18ä6, [). 128 u. ff.
' Photii Bibl p. 120*' ed. Beilkeu.
* Hipros^a&TE8 a, a. 0. T. II, p- 224,
' HiPPwKBATEs a. a. O. T. VII, p. 188 u. ft. — C^alex a. a. iX T. XV,
363—1*4.
42 Der nisdudnische UnterricfU im Alterthum.
und treffend, wie man aus dem die Nephritis betrefifenden Fragment
bei RüFus erkennt.*
In chronischen Krankheiten verordneten sie hauptsächlich Milch,
Molken und Abführmittel, bei der Schwindsucht empfahlen sie ausge-
dehnte Spaziergänge. Euryphon, einer der bekanntesten Ärzte dieser
Schule, der zur Zeit des Hippokbates lebte und sich als medicinischer
Schriftsteller auszeichnete,* rieth den Schwindsüchtigen, die Milch von
Eselinnen zu trinken oder an den Brüsten der Frauen zu saugen;.'
auch soll er bei diesem Leiden Moxen angewendet haben, wie aus einer
Scene des Komikers Platon hervorgeht* Ein anderer Vertreter der
Knidischen Schule, Ktesias, lebte lange Zeit als Leibarzt am persischen
Hofe und verfasste historische Arbeiten über Persien und Indien und
einige medicinische Schriften.* Von den übrigen Knidischen Ärzten
jener Zeit wissen wir wenig mehr als ihre Namen.®
Die Nachrichten über die Schule von Knidos sind fast noch spär-
licher als die Überreste, welche von der blühenden Cultur dieses Ortes
zurückgeblieben sind.
Mehr begünstigt vom Schicksal war die medicinische Schule zu
Kos.^ Ihre Verdienste um die Heilkunde wurden von Hippokbates,
ihrem berühmtesten Vertreter, dem Andenken der Nachwelt überliefert
Ihm verdankten es die Ärzte von Kos, dass ihre Schriften von den
Späteren zur Grundlage des medicinischen Lehrgebäudes gemacht wur-
den, und dass ihre Schule noch heute mit Bewunderung und Ehrfurcht
genannt wird.
,3in Strahl des Bahmes fiel auf sie,
Ein Strahl, der ihr Unsterblichkeit verlieh.**
Hippokbates, dessen Lebenszeit ungefähr in d. J. 460 — 377 v. Chr.
fallt, war ein Sprössling einer alten Asklepiaden-Familie, die auf der
Insel Kos ihren Sitz hatte und ihren Ursprung bis auf Asklepios und
Herakles zurück verfolgte. Sein Grossvater und Vater zeichneten sich
durcli ihre ärztliche Tüchtigkeit aus. Von dem letzteren erhielt Hippo-
kbates den ersten Unterricht in der Heilkunde. Zu seiner weiteren
^ Oeuvres de Rufus d'Eph^se, ed. p. Darembkrq et Rüelle, Paris 1879, p. 159.
« Galen a. a. 0. T. VI, p. 473. XI, 795. XV. 136. XVU, A. 886. XIX, 721.
' Galkn a. a. 0. T. VII, 701. * Galen a. a. 0. T. XVIII, A. 149,
^ DioDoR II, c. 32. — Oeuvres d^Oribase ed. p. Bussemakeb et Darembbro,
Paris 1851—76, T. II, p. 182. — Galen a. a. O. T. XVIII, A. 731.
* HouDART a. a. 0. p. 255 u. fF.
^ Über die im Auftrage der französischen Regierung auf der Insel Kos
unternommenen Ausgrabungen und ihre Ergebnisse berichtet M. Dubois: De Co
insula, Paris 1884.
Indichen Axtsbüdong begab er sieb nacfa Athen , wo er mannigfache
Anlegung und Belehrung empting.
Dort strömte damals Alles zusammen , was Grieehenland Grosses,
Schönes und Edles lK*sass. Es war ins Zeitalter des Pehikj.ks, jene
fVnode äOiföeren Glanzes, bürgerlichen Wohlstandes und künstleriH<?ben
Schaffens, in welcher der Geist des Hellenismus unvergängliche Tiiumphe
iHrtU*. Xeben den Philosophen Sokratek und Flaton erschient^n die
^wssen tragischen Dichter Eukipides und SoPHOiOJsa, der GesehichtvS-
<liKiber TfirfirDiDEs, der Bildhauer PuniiAs und der Architekt Mke-
%na^ und erfüllten die Welt mit ihrem Ruhm, während der Lustspiel-
dichter Aristciphakes und die Ljriker Jon von Chics und Dioxysios
»ti« Oemüther zur Freude und Heiterkeit stimmten. Athen wurde
ilnrch grt^ssartigü Bauwerke verschönert; es entstanden die Propyläen,
Jer Tempel der Athene mit seinem reichen Schmuck an Statuen und
' iren, die prachtTolle breite Treppe, die zur Akropolis ffihrte, und
_ . iion; damals schuf Phiüub den olympischen Zeus und die beiden
Statuen der Pallas Athene.
Derartig»^ Eindrücke mussten auf die geistige EniwickeUing des
HiPK^BATE?^ Einlluss ausüben^ seinen Ehrgeiz anregen und seine That-
l[Tsß stähleiL Im Verkehr mit hervorragenden Ärzten und Philosophen
föchte er die Gelegenheit, sich in seinem Fach zu vervollkommnen;
\aiA bald gelang es ihm, in diesen Kreisen eine angesehene Stellung
jü erringen.
Seine glücklichen Heilerfolge machten ihn zu einem gesuchten
int, de^en Ruf die Grenzen seines Vaterlandes überschritt. Er wurde
yd m diese, bald in jene Stadt berufen, um in schwierigen Krank-
heit^fallen seinen ärztlichen Rath zu ertheilen.
Sein Kuhm führte ihm eine Menge von Schülern zu, welche sich
aaler seiner Leitung zu tüchtigen Ärzten auszubilden hoflten.^ Unter
iimeii befanden sich seine Söhne Thessau^s und Drakon, sowie sein
Schrägersohn Poltbos, Thessalos nahm, wenn sich die in den pseud-
hippotratischen Schriften enthaltene, aus dem Alterthum stammende
Rede demselben au die Athener^ auf Thatsachen stützt, in seiner Jutrend
ilfi Militärarzt an der Expedition des Alkibiades nach Sicilien Theil,
lebt^ später als Leibarzt am Hofe des Königs Archelaos von Macedo-
mtTi' und galt als der Verfasser mehrerer Schriften der Hippokratischen
SÄmmlung. * Dass einige Theile derselben von Polybus herrühren, ist
• HiproKRATfis a. a. O. T. IX, p. 420. — Sohaxüs a, a. O. p. 254.
• HirfHjKÄATE» a. a < K T, IX, 404,
• Galex a. a. 0. T. XV, p. 12.
• Gaj^ a. a. 0* T. VII, 855. 890. IX, 859, XVII, A. im, 888.
44 Der medieinische Unterricht im Altert/ium.
historisch nachgewiesen; denn Aeistoteles citirt ein Fragment über
die Vertheilung der Blutgefässe aus einem Buch des Polybos, welches
sich wörtlich in der Hippokratischen Sclirift über die menschliche
Natur findet.^ Polybos übte in Kos die ärztliche Praxis aus und er-
theilte später an der Stelle seines Schwiegervaters den medicinischen
Unterricht. *
Über das Leben des Hippokrates • haben sich eine Menge von
Sagen und Legenden gebildet, von denen jedoch nur wenige wahr sein
dürften. So ist die Erzählung, dass er die Bibliothek von Knidos'
oder den Asklepios-Tempel seiner Vaterstadt* verbrannt habe, damit er
als Erfinder der in den Inschriften desselben niedergelegten medicini-
schen Weisheit, die er sich angeeignet habe, angesehen werde, ganz
sicherlich erdichtet; denn sie widerspricht Allem, was über den Cha-
rakter des Hippokrates bekannt ist. Auch würde er, wenn er eine
solche Herostratos-That begangen hätte, anstatt der allgemeinen Ver-
ehrung, die ihm im Alterthum gezollt wurde, nur Verachtung geftmden
haben, mochte er auch noch so bedeutend in seinem Fach sein.
Aus den Schriften, welche ihm zugeschrieben werden, spricht echte
Menschenliebe , aufrichtige Religiosität und glühender Patriotismus.
Den aufregenden kleinlichen Agitationen der politischen oder socialen
Parteien hielt er sich fern und lebte nur seiner Wissenschaft und
seinem Beruf. Von ihm konnten die W^orte gelten, di(» Euripides dem
Naturforscher zuruft:
,,0 selig der Mann,
Der prüfend des Wissens Grebietc durchmass,
Den nicht zu der Bürger verderblichen Streit,
Zu des Unrechts That nicht ziehet der Sinn;
Er durchforschet der ewigen Mutter Natur
Nie alterndes Weltall, wie es entstand;
Nie haftet im Herzen des trefflichen Mannes
Ein Gedanke an schändliche Thaten."
Die letzten Lebensjahre verbrachte Hippokrates in Thessalien; er
soll auch dort gestorben sein. Noch zur Zeit des Soranus^ wurde in
der Gegend zwischen Gyrton und Larissa sein Grabmal gezeigt, in
dem sich ein Bienenschwarm niedergelassen hatte, dessen Honig als
heilsam gegen, die Mundgeschwüre der Kinder galt.
* Vergl. Aristoteles: Hist. animal. lU, c. 3. — Hippokrates a. a. 0. T. VI,
p. 58, sowie Galen a. a. 0. T. IV, 653. XV, 108. 175. XVHI, A. 8.
* Galen a. a. 0. T. XV, 11. ' Soranus a. a. 0. p. 253.
* Plinius: Hist nat. XXIX, c. 1. » a. a. 0. p. 254.
Zur Zeit des Hippokraies,
45
Die hohe Bedeutung des Heppokäates wnrde schon von soinen
erkannt; PiiATON^ verglich ihn mit Polyklettüs und
lAS, und AristoteiiEs^ nannte ihn den ».grossen** Hippokrates»
Seine Schriften wurden mit den Werken anderer iMitgUeder seiner
ie von seinen Nachkommen aufbewahrt und dienten ihnen zum
medicinischen Unterricht und zur Belehrnng, wenn sie in ihrer ärzt-
lichen Tbätigkeit des Käthes iiedurften. Als die Ptulemäer antingen^
Bibliotheken zu gründen, und zu diesem Zweck die Werke der he-
' '-ten Schriftsteller ankaufen Messen, gelangten auch Abschriften
*.,. iüppokratischen Sammlung nach Alexandria.
Durch die Gewissenlosigkeit gewinnsüchtiger Spekulanten, weiche
die Bucherliebe der ägj^ptischen Könige zu Nutze machten, ge-
ll e^ dass hei die-ser Gelegenbeil manche Schriften berühmten Autoren
'Mich zuge.-ichrieben wurden, um ihren Kaufpreis zu erhöhen.^ Die
lüothekare, welche mit der Durchsicht und Prüfung der erworbenen
her beauftragt waren, besassen nicht immer die Kenntnisse und
Mittel, um das Richte von dem Falschen zu unterscheiden und die
Aathonticitüt der Schriften festzustellen. Daher kam es, dass einige
Werke für die Produkte von AutX)ren erklärt wurden, welche denselben
pinilich tern standen.
Auch die Hippokratiscben Schriften hatten dieses Schicksal; schon
la jener Zeit gab es Bearbeitungen derselben, die im Text wesentliche
Verschiedenheiten darboten.* Darf man sich da wundern, diiss in die
SÄDunlang, welche ursprünglich nur die Werke dos Hö'Pf»KKATEs und
seiner nächsten Verwandten umfasste, auch Schriften aufgenommen
vardeo, die nicht von ihnen herrührten?^
Die Abschreiber, welche die in den Bibliotheken vorhandenen
JSiemplare zur Vorlage nahmen, trugen da^u bei, die irrige Annahme
^ng Hippokratischen Ursprungs einzelner Schriften zti bestätigen und
^Ba verallgemeinern, und kühne Redakteure vergrosserten den Irrthum
ihirch eigenmächtige Zusätze^ Ergänzungen und Veränderungen des
Tcit€s>* Als Galen seine Commentare zu den Werken des Hu'i'O-
EaiTEs schrieb, hatte er verschiedf»nartige Recensioneu des Wortlauts
ftailben vor sich; er befolgte dabei, wie er sagt/ die Methode, st^ts
diqeDige Lesart als die richtige anzuerkennen, welche die älteste war.
» Photaqoraä c. 3. ' Polit, VII, 4.
» Galrn ä, a. O. T. XVI, 5. * Galen a. a. 0. T. XVII, A. ü06.
* VergL den Brief des W. Augiistin au Faustus, den Maiiichäer, L. 33, ß.
tT VI, p. 493. Edit Frohen 1556.)
• Gales a. a, O. T. XV. 21. XVII, A. 7ö5,
^ Gale^ « I O T. XVn, A. 1005.
46 Der medicinische Unterricht im Älterthum.
Unter diesen Umständen ist es begreiflich, dass schon im Alter-
thum Meinungsverschiedenheiten darüber herrschten, welche Schriften
von HiPPOKBATES verfasst seien oder nicht. Diese Frage hat den
Scharfsinn der Gelehrten und Kritiker bis in die neueste Zeit be-
schäftigt, und noch in den letzten Jahren haben Littb£, Ebmebins,
Kühlewein u. A. den Versuch gemacht, dieselbe der Lösung näher
zu bringen.
In ihrer heutigen Gestalt enthält die unter dem Namen des
HiPPOKBATES bekannte Sammlung medicinischer Schriften neben einer
grossen Anzahl von Abhandlungen, die unzweifelhaft von ihm und
seinen nächsten Verwandten verfasst sind, eine nicht geringe Menge
von Arbeiten, die von anderen Autoren herrühren. Der Zeit des Hippo-
KBATES gehören sie fast sämmtlich an; nur wenige Aufsätze stammen
aus einer früheren oder späteren Periode.
Sie liefern eine vollständige Übersicht über die medicinisohen
Kenntnisse, welche man im Zeitalter des Heppokbates besass, und
bringen einige wichtige Mittheilungen über die Einrichtungen des medi-
cinisohen Unterrichts und die ärztlichen Standesverhältnisse, die wir
mit Hilfe anderer literarischer Notizen zu einem abgerundeten Bilde
verarbeiten wollen.
Man wusste sehr gut, dass die Heilkunst nicht auf mystischem
Wege überliefert, sondern erlernt wird, wie jede andere Kunst, und
dass man sich zu diesem Zweck an Lehrer wenden muss, welche die-
selbe verstehen und auszuüben wissen.^
Der ärztliche Beruf stand Jedem offen. Das medicinische Studium
begann schon in früher Jugend.* Der Unterricht war wahrscheinlich
ähnlich organisirt wie in der Platonischen Akademie und anderen
Schulen der Philosophen; ein Lehrer übernahm die gesammte ärztliche
Erziehung des Schülers und machte ihn mit allem Wissenswerthen
aus den verschiedenen Zweigen der Heilkunst bekannt.
Als Lehrer durfte Jeder auftreten, der die ärztliche Praxis aus-
übte und Kenntnisse und Erfahrungen in der Heilkunde gesammelt zu
haben glaubte. Er forderte von dem Schüler, dessen medicinische Aus-
bildung er übernahm, für den Unterricht ein Honorar, welches durch
einen Vertrag festgestellt wurde und manchmal ziemlich betracht-
lich war.
Bei der Aufnahme des Schülers wurde darauf geachtet, dass der-
selbe gesund war; denn der Arzt muss gesund aussehen, weil die Leute
^ Platon: Jon. c. 8. Gorgias c. 14. Über die bürgarliche Tüchtigkeit (Anfang).
> Platon: Der Staat, L. III, c. 16. — Hippokbatbs a. a. O. T. IV, p. 688.
Zur Zmii
47
glauben I ^dass er auch für die Gesundheit Anderer 211 sorgen
,i Der Verfasser der Hippokratischen Schrift über „den Arzt**
"^fht l>ei dieser Gelegenheit die humoristische Bemerkung* dass es
fir den Arzt auch vortheilhaft ist, „wohlbeleibt'* zu sein; leider Unter-
last er eine Erkläning, ob sich das Vertrauen der Kranken in diesem
Pdle daranf stützte, dass man lüe Dicken für gutmüthiger hielt als
die Mageren oder ihnen grössere Einnahmen , also eine ausgedehntere
^intliehe PraxLs zuschrieb.
Ferner wurde den Ärzten empfohlen, „sich reinlich zu halten, an-
gekleidet zu sein und Pomaden zu gebrauchen, die einen an-
loiehmeii, keinen verdächtigen Geruch verV>reit*^n". ^ Manche scheinen
dieiem Rath eine zu grosse Wichtigkeit beigelegt zu haben, sodass
jsm sich über die mit ,,Stimlocken geschmückten, pomadisirten , mit
JtJDgen überladenen** Heilkünstler lustig machte»^
„Als kluger Mann wird der Arzt sich bemühen , schweigsam zu
und im Verkehr den foinen Anstand zu bewahren. Am meisten
wirken gute Sitten auf die öffentliche Meinung/* „Wenn er unüber-
legt und voreilig handelt, wird er getadelt/* ,Jn seinen Gesichtszügen
liege Nachdenken ohne Verdriesslichkeit ; er darf nicht anmassend und
inenschenfeindlich erscheinen. Wer ins Lachen ausbricht und sehr
ist, wird für ungebildet gehalten. Davor muss man sich
nehmen. Wenn sich der Arzt richtig zu benehmen weiss, so
jdies viel werth; denn seine Beziehungen zu den Kranken sind sehr
Nicht blos diese werden den Händen des Arztes übergeben,
er triflft. bei ihnen auch ihre Frauen und Töchter und Werth-
tode an. Da gilt es, sich zu beherrschen!"* —
Ib einer anderen Hippokratischen Schrift heisst es, dass sich „der
gewisse Höflichkeit aneignen soll; denn ein rauhes We^en
It deo Gesunden wie den Krankend Ferner ,,sn)l er mit den
[nicht zu viel schwätzen, sondern nur das Kothwendige, was
ehandlung gehört**. Gleich dem echten Philosophen muss er
ichten, „frei von Geldgier, zurückhaltend, schamhaft und würdevoll
[sein^ sich Meinungen und Urtheile zu bilden ^ ruhig, umgänglich
Sitten rein zu erscheinen, verständig zu reden, Lebensweisheit zu
»erben, sich vor Lastern und Aberglauben zu hüten und duroh
Frömmigkeit auszuzeichnen."'*
Dem Glauben an die Macht und Güte Gottes giebt der Verfasser
» HippoKÄATEB a. a. O. T. IX, 204.
' AiuBTor*HA3N'Ea: Wolken, v, 330.
HiPPOKÄATBs a. a. O. T, IX, 232—234.
* HiPPOCBATES a. a. 0. T. IX, p. 266.
* HippotßATM 1. Ä. 0. T. IX, 206.
48 f>t^r medwini^ehe VniemM im AÜerUmm.
r TOQ ■
des \im\vm ,,ai*er die heilife KnnUtelt^ an äser Stelle, wo er
fl^r Meinung *^prich^ dasa die Kninkheit^n von Gott gesendet würden^
mit 'h*n .*4chnnpn Worten Aufdruck: ,Jch glaal)« nicht, dass dt-r Korper
A\^ MonMchen von Uott, da* Niodrigst** von dem Erliaben^ttJii besudelt
werden kann. Sollte ihm ton Jemandem ein Schmutz oder ein Leid
zugefügt werden, so wird ihn di»* Gottheit gewiss lieber reinigen und
erheben, aln erniedrigen; denn (intt i.st eg^ der uns von den iichwer>rri*n
Frereln reinigt und den Schmutz ton uns fortnimmt^'^
Kelien der ethischen Erziehung des Arites wurde seine wjssen-
Hrhaftljehe AtiJibiUlnnsT nicht vernachlässigt* Man ging dabei von der
richtigen An^chuuung aus, das?* er zunächst die normalen Verhältnisse
des K^rper^ studieren miiJ^s,^ da die Kenntnias derselben die Gnind-
läge dtT gunzen niedicinischen Wissenschaft bilde. ^
Die Anatomie wurde hauptsächlich an tJiterischen Körpern erforscht,
Di«' Zergliederung uienj^chlichcr Leichname wurde durch religiöse uüd
.'iocjale Vururtfjeile vt^rhindert; nur wenn es gjch um Feinde und Ver-
räther \\m Vaterlandes oder um schwere Verbrecher handelte« war (Ue
l'nt4irHUchung men^chlinhrr Korper mrtglich.
Denirti^e (ielegenheitiMi wurden sicherlich von wissbegierigen
■ Ärzten in einzelnen Fällen benutzt, um ihre anatomischen Kenntnisse
ZU fi'stigcn und zu erweitern. Auch die Leichen aus<?eÄetzter Kinder
durften ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen sein. Desgleichen mag
der Einblick in den Bau des Körpers, welcher bei äusseren Verletxungen
gewährt wird, nicht ohne Ergt^bnis« geblieben sein.
Verscbiedene Kr/ahlungen deuten darauf hin, daas man vor der
Eröffnung und Unt-ersuchung des menschliehen Körpers nicht zurück*
schreckte.* Wenn dabei auch keine wisaenBChaftÜchen Zwecke verfolgt
wurden, so wird dadurch doch bewiesen, dass die Möglichkeit^ anato^
mische Untersuchungen vorzunehmen, gegeben war.
Dass dies wirkli^'h giNcheh»*n ist, ist f^inr- Annahme, die durch
einige Bt-UMTkun gen dcb Abistotelks und der Hippokratiker, vor Allem
durch il*'n Umfang des anatomischen Wissens jener Zeit grosse Wahr-
Ischeinlichki'it erhält. Der Verfasser der Hippokratischi*n Schrift ,,ül)er
die üelcnke" .sagt bei (telegenheit der Wirbel-Luxatioii, dass es nur
WBEk todten, nicht aber am lebenden Älenschen g:estattct sei, den Leib
wfiEUHchneiden, um mit der Hand die Verrenkung zu beseitigen, und
I
■ ' UirroKRATE« a, w, ih T. VI, 362.
^^m * Vergl. Platon; Gesetze, L. XIT, c 10,
^^H » HippoKKATES a. a. O. T. VI, S78. — ABiBT^rrELJcai Eth. Nic*jm. I, 13,
^^^ * pLLHJir»: Hiflt, nat. XI, TO. — Valkil Maxik» I, 8» 15, — PAuaiünAB IV,
^ 9. >- UEHfjiraT IX, HS.
Zmr Z&U des HippokrcUes.
49
itt der Abhandlimg „über das Herz" ist davon die Bede, dass dieses
Org&n in der seit alter Zeit üblichen Weise aus dem Kürper eines
rhenen beraasgenommen wird, am es zu untersuchen,^ Eine
im 5* Buche der Epidemien spricht sogar von einer Sektion,
«reiche vorgenommen wurde, am die Jrsaohe und Ausdehnung einer
Krankheit festzustellen,*
Man scheint sich im Allgemeinen auf die Eröffnung der Brust-
und Baachh5hle hesehränkt zu haben, deren Organe in ihrer Lagerung
mi Form ziemlich richtig lie.schrieben werden. ABi8ToTELEf>, welcher
verschiedenen Gelegenheiten Yergleiche zieht zwischen dem Bau
Körpers des Menschen und der Thiere» erklärt^ dass die inneren
des Menschen noch wenig bekannt seien.'*
ierdings waren die Kenntnisse, welche die Ärzte der Hippo-
tischen Zeit vom trehini, den Nerven, (Tetussen und selbst von den
skelu hesassen, tlürflrg und mangelhaft. Dagegen wurden die Knochen
^enau beschrieben und dabei sogar jene feinen Details hirvor-
wölche nur bei einer sorgfältigen Betrachtung auflallen. Dass
i vorzugsweise menschliche Knochen zur Vorlage dienten, geht aus
«Schilderung mit Sicherheit hervor.
Wenn die Untersuchung menschlicher Leichen oder Leichentheile
einzelnen hervorragenden Forschern überlassen blieb ^ so war die
'gliedening von Thieren, welche, wie Aristoteles mehrmals betont,
hauptsächlichste Quelle der anatomischen Wissenschaft darstellte,
Mem zuganglich. Sie bildete wahrscheinlich ein wessen tliches Hilfs-
mittel des anatomischen Unterrichts. Vielleicht wurden dazu auch
, könntUche Nachahmungen von Skeletten benutzt nach Art desjenigen,
^Bplehes in Delphi als Weihegeschenk aufbewahrt wurde und angeblich
^Kn HiPPOKRATEs herrfihrte?* —
^B Im Allgemeinen bestand der anatomische Unterricht darin, dass
iler Lehrer seinen Schülern Das mittheilte, was er selbst von dem Bau und
L^ Zu>ammensetzung des menschlichen Körpers wusste oder glaubte,
^Bmlich stand es mit der Unterweisung in der Physiologie, welche sich
lüs ein lockeren Gewebe von unbegründeten Hypothesen und haltlosen
i Sp^kulationeu darstellte,
' Bei weitem gn^ssere Erfolge versprach die Ausbildung in der
Intersuchung und Behandlung der Kranken. In der Kunst, die Er-
scheinungen der Krankheiten zu beobachten und auf naturgema*s.'^e
^HippocjuTi» a, tt. O. T. IV, 19S. VI, 16. IX, 88. — Galek II, 280,
DKEAT£s a. a. O, T, V, 224, — Aristotelbb; de pari. imim. IV. 2,
Hifit iiuiin. I. 16.
"huMUHAW, t7Dtrrriclif.
♦ pAnsUHU« X, 2, 4.
iWcfae m hMm/lkmf wid dte Jbite d^r alten Griechen Meii
jm der Kranken, eheiüo wit den IMomfln derBelben, sei
iptmm Antmetkmmh'ii; mb#T da« Havptftwielil legten nie \
Unt(?rHUchung (i**^ leidenden Ki'jqiers. Dabei irtirde die Farli
und KeHchaiTenbdit der kummm HaofttodeekiuigeD «od SebleiiiLliiiit
der ZuHtand de« Vntfiflmhik nnd die Form dea Bmatkaiitena beachki
die Tein|)eraiiir mit der aafffelefrten Hand geprüft and die AnKschei
dnngfin HnrT H(»rtrfiiUi*r*'Ti ' m^ nnterzoj^n.
Durch dif if^üiHtun^' . .. man die ürvi«i«e df*r Leber lu»
Mik^ ja H(i$(ar dii? Farniveriiiid^'rijn^^en der letzteren, welche im Verlan
gowiÄser Kninklii'it^n vorkommen, m erkennen.' Die Succussion diente
gleicbzeitig aU dmcrnoHtiHcbeH und aU therapeutisches Mittel, um de^
fDurchbruch dtn K\Wm in die Bronchien zu veranlassen.
Man kannt^e thm pleuriti.<tcbe HoibongBgeftusch und die klein«
blaaigen Ragüelgeräuscbef die mit dem Knarren des Leders und deq
KochL>n des Easigs ferglichen werden.* Bei dieser Gelegenheit wirt
luadrücklirh trenagt, da«s das Ohr längere Zeit an die Brustwand ga
wurde^ dumtt man die^ GeraUHChe boren konnte (noXl6v XQ^^^
Die Schilderungen der einzelnen Krankheiten und ihres Verlaufe^
"die «ich meisten» an Beobachtungen aus der eigenen Praxis ani^chliesgefl
sind vorziiglich. Einzelne Krankbeit^bilder, wie diejenigen der Pneil
moniet d^r Pleuntiu und der Phthisi«, die man für ansteckend bieMj
rmaä flO vollstiindig, dri><.s ihnen nur wenig hinzugefügt werden kann* '
Unter den Krankheitsursachen wurde neben der Erblichkeit un^
den Diutfehlern d^m Klima^ der Bodenheschaffenheit, dem Trinkwasser
den Jahreszeiten, den Winden und der Temperatur ein grosser Einflust
zugoscbriel»en.
Auf einer hohen Stufe der Entwickelung stand die Prognostik
hl den llippokratischen Schriften werden eine Menge von Anzeichen
erwidirit, welnhe rinen günstigen oder ungünstigen Ausgang dt?r Krank*«
hoiten verkünden. Die Arzte gehätzten die Kunst, „aus dem Vergangene^
und Gegenwärtigen da,s Zukünftige zu erkennen**, sehr hoch. .^Frerliel^
int es b«'sser/* schreibt der Verfasser des Prognostikon, „die Krankbeik*»
741 heilen, nU ihren Verlauf voraus zu sagen; aber dies ist leider nicht
immer möglich.**^'' An anderen Stellen werden die Är/te zur Vorsieh!
bei der I^rugniiso erraaJirit und gewarnt, mehr zu behaupten, als.j
verantworten k«mnen,*
^ Ibri'nitiuTKii tt, II. C), T. Vn, Ä44. — Platon: Timaeos, c. SS.
» HriTfiRuATW» II. a. O. T. VI, 24. VIl, 1»2. «4.
• IhiroKruTwi PI. Ä. O. T. II, U€. * Hii^roKiuTE« a. ä <>. T. IX, $ u. Cl
FüTergäiiglicheii Ruhm haben sich die HippoVratlker darch ihre
ttiempeu tischen Gnindsiltze erworben, welche alle Zeiten überdauert
Die hohe Bedeutung der Diätetik wurde Ton ihnen in einer
lise anerkannt, wie es von den Späteren nur selten geschehen ist
einer naturgemäs^en Lebensweise, in Bädern, Leibesübungen und einer
gesunden Nahrung sahen sie das beste Mittel, um Kninkheitjen zu verhüten,
Der Arzt wurde als der Handlanger der Natur betrachtet, dem
Aufgabe zufallt, deren Heilbestreben zu befördern oder nachzuahmen.
ÄChst sollte er trachten, wenn möglich die Ursachen des Leidens
beseitigen, bei der weiteren Behandlung die individuellen Verhält-
berücksichtigen und überhaupt mehr den Kranken, als die Krank-
heit ins Auge fassen: er sollte sich bemühen, zu nützen oder wenigstens
nicht zu schaden, 1
Die Heilmittel waren vorzugsweise diätetische; aber auch von den
ntedicamentösen werden die wichtigeren Arzneistoffe erwähnt, welche
b Inet werden. Sie wurden in der Form von Obergiesstingen,
li. / 11^ Einspritzungen, Klystieren oder Getränken gebraucht. Zu
Blutentziehungen bediente man sich dea Aderlasses, der Skarificationen
der Schropfkopfe.
Alle diese Dinge wurden den Schülern der Heilkunde nicht blos
im theoretischen Vortrage gelehrt, »onden^ auch am Krankenbett ge-
leigt und erläutert. Sie begleiteten zu diesem Zweck entweder den
Uhret bei seinen ärztiicben Besuchen^ oder erhielten in dem zur
Wohnung desselben gehörigen latreion den nothwendigen Unterricht.*
Das letztere war eine unseren Privat-Ambulatorieu ähnliche An-
'sUlt, in welcher Kranke ärztlichen Rath suchten, Medicamenle em-
pfinden, operirt wurden und bisweilen auch längere Zeit wohnten und
fopflegt wurden.* Sie sollte, wie es in der Hippokratischen Schrift
^öber den Arzt** heisst> so gelegen sein, dass sie gegen den Wind und
dffi grelle Sonnenlicht geschützt war; denn, „wenn dasselbe für den
behandelnden Arzt auch nicht unangenehm ist, so ist es doch für den
Kranken lästig und seinen Augen schädlich." „Die Sessel müssen, so
riel als möglieh, von gleicher Hohe sein. . Aus Erz sollen nur die In-
ätroinente gearbeitet sein; denn andere Gerathe aus diesem Metall
scheinen ein überflüssiger Luxus zu ?ein. iJas Trinkwasser, welches
dcfl Kranken gereicht wird, muss geniivssbar und rein sein."
r
» HiiTOKKAti> a. IL U. W l 624. 11, l>3-l. V, 314. VI, 92. 41*0.
■ PtATOBi; Gorgta.% c. 11.
• HrfFointATB» a, a, O. T. IX, 20*? u. ff, — Aeschivrs in Timarcb. 124.
* Tlatok: Gi*t!r!tKf3 I, 14, Staat IH, 13. 14. — Hnn^nKüAr^ a. tt, 0, T. II.
in. 272 u. ff: IX, 20B u. ff. — AmsTOPHANEs: Acbam. v. 1030.
4*
52 Der medidnische Unternoht im Alterthum,
,.Die Handtücher sollen sauber gehalten werden und sich weich
anfühlen, desgleichen die Leinwand, welche für die Augen benutzt
wird, und die Wundschwämme; denn diese Dinge sind für die Heilung
von grosser Bedeutung. Die Instnimente müssen in Bezug auf Grösse,
Schwere und Feinheit für den Zweck, zu welchem sie gebraucht werden,
geeignet sein."
In den latreien waren ausser den chirurgischen Instrumenten stets
Schwämme, reine weiche Leinwand, Binden, Verbandapparate, Schröpf-
köpfe, Büchsen, Klystierspritzen, Becken, Badewannen u. a. nL vor-
handen. Das Metall, aus welchem diese Gegenstände verfertigt waren,
gab dem Ganzen ein sehr glänzendes Aussehen.^
Die Zahl der latreien, welche ein Ort basass, richtete sich nach
dem Bedürfniss. „Wo viele Krankheiten herrschen," schreibt Platon,*
„da giebt es auch viele latreien."
Die Ärzte bereiteten die Arzneien selbst und kauften die dazu
erforderlichen Substanzen entweder von den Wiirzelsuchern oder sam-
melten sie wohl auch selbst Apotheken in unserem Sinne gab es
nicht; denn die Pharmakopolen befassten sich nicht blos mit dem
Handel von Droguen und Specialitäten, sondern verkauften auch andere
Dinge, z. B. Amulette, Brenngläser und allerlei Curiositäten.'
Dem Arzt standen bei der Herstellung der Arzneien, bei der Aus-
führung von Operationen, überhaupt bei der Kranken-Behandlung seine
Schüler und Gehilfen zur Seite. Die Assistenten wurden, wie Platon
sagt, ebenfalls Ärzte genannt Es wurden zu diesen Diensten auch
Schüler verwendet, besonders solche, welche bereits einige Kenntnisse
in der Heilkunst besassen, „damit sie, wenn es nöthig war, selbst Ver-
ordnungen treffen und ohne Bedenken Arzneien anwenden konnten".
Auch fiel ihnen die Aufgabe zu, das Befinden des Kranken zu über-
wachen, wenn der Arzt, ihr Lehrer, abwesend war, „damit ihm nichts
verborgen blieb, was in der Zwischenzeit geschah". Der Hippokratisohe
Autor warnt dringend davor, „derartige Aufträge Unerfahrenen zu er-
theilen; denn wenn ein Fehler begangen wird, so trifft den Arzt der
Vorwurf".
Die Schüler wurden auch in dem Gebrauch der chirurgischen
Instrumente und Apparate unterwiesen.* „Bei chirurgischen Operationen
müssen die Gehilfen, wie in der ,Werkstätte des Arztes* vorgeschrieben
wird, theils den Körpertheil, an welchem die Operation vorgenommen
* Antiphanes bei Pollux: Onom. X, 46. * Platon: Staat III, 13.
^ Vergl. W. A. Becker: Charikles IIl, S. 52, Leipzig 1854, 2. Aufl.
* HipPOKRATEs a. a. 0. T. IX, 216.
fird, darreichen, theila den übrigen Korper dea Kranken festhalten.
Dibei sollen sie schweigen und nur hören, was ihr Meister sagt**
„Die Instrumente müssen so geleg^t werden, dass sie bei der Arbeit
nicht hinderlich und doch gleich bei der Hand sind, wenn sie gebraucht
ierden. Wenn einer der Schüler sie dem Operateur reicht, so soll er
dieselben schon im Yoraus sich zurecht legen und bereit halten und
im thun, was Jener betiehlt,'*
Dem Operateur werden ausführliche Vorschriften über seine Klei-
don^t Stellunsf^ und die Haltung seiner Arme und Füsse während dor
Operation i^e^reben. ,,Die Nägel dürfen die Fingerspitzen nicht über-
ragen, aber auch nicht zu kurz sein, weil man die Fingerspitzen braucht.
loss sich darin üben, indem man den Zeigetinger gegen den
bewegt die ganze Hand flach neigt und beide Hände gegen-
der drückt Sehr günstig für den Arzt ist es, wenn die Zwischen-
lüame zwischen den Fingern seiner Hände gross sind und der Daumen
Zeige tili ger entgegensteht.^* ,,Er muss sich im tiebrauch beider
Bde üben und mit beiden Händen dieselben Arbeiten gleich gut,
riiön, rasch und ordentlich ausführen, ohne dass es ihm Mühen und
Beicbwerden macht.** ^
Die Ärzte der Hip{>okratischen Zeit übten sowohl die Chirurgie
ib die innere Medicin aus, Specialisten gab es, wie es scheint, noch
aichti* wenn sich auch einzelne Ärzte vielleicht vorzugsweise mit irgend
«tailii Theile der Heilkunde, z. B» der Behandlung der Augen oder
Zahse, bejächäftigten. *
Die Chirurgie befand sich in einem sehr unvollkommenen Zustande,
WM sich durch die Yernachlassigung der Anatumie erklärt. Man kannte
die Unterbindung der Gefösse zum Zweck der Blutistillung noch nicht
und durde sich daher nicht an Operationen wagen, die, wie z. B. die
^AmpiiUtion oder die Fntfemung grosser Geschwülste, mit starken Blut-
llasten verbunden sind.
Dagegen wurden die Trepanation, die Operation des p]mpjems,
•üe Paracentese des Unterleibs und ähnliche Operationen, bei denen
die Blutung unbedeutend ist, ausgeführt. Anerkennung verdient die
Bdidireibung und Behandlung der Wunden und Fisteln, namentlich
aber der Luxationen und Frakturen.
Hier mochten die Erfahrungen, welche man in den Ringschulen
miohle, wesentlich beitragen, um einer einfachen und naturgemässeu
HeOmethode die Wege zu ebnen. Knochenbrüche und Verrenkungen.
' Pijitok: Gesetze IV, 10. — Hippoiciiatks a, a. U. II K i7H u, W. 280. IX, 242,
' CicsBo: de oratore FIK 33. • Vgl. Becker a. a. U. S. 59,
54 Der medioinische Unterricht im AUerthum.
welche bei den gymnastischen Übungen vorkamen, erforderten sofortige
Hilfe, und die Lehrer, welche an den Ringschulen angestellt waren,
mussten sich daher einige Kenntnisse in diesen Dingen erwerben, wenn
sie zweckmässige Anordnungen treffen wollten. Waren sie mit guter
Beobachtungsgabe und praktischer Geschicklichkeit ausgestattet, so
wurden sie auch auf andere Leiden aufmerksam, deren Anblick sich
ihnen darbot. Durch das Studium medicinischer Schriften und den
Verkehr mit Ärzten versuchten sie dann, eine Erklärung und Bestäti-
gung ihrer eigenen Erfahrungen zu erhalten.
Einzelne Gjmnasten, wie Ikkos und Hebodikos, welcher, wie
PiiiiTON schreibt, die Heilkunde mit der Gymnastik verband, erwarben
sich durch ihre ärztliche Tüchtigkeit grossen Buf. Sie empfahlen haupt-
sächlich diätetische Mittel, Dampfbäder, Salbungen, Friktionen und
Körperbewegungen, wie den Dauerlauf.^
Gleichwohl darf man die Gymnasten nicht für Arzte halten.
Philostbatos bestimmt in seinem Buch „über die Gymnastik'' die
Stellung der Gymnasten und ihr Yerhältniss zur Heilkunst kurz und
treffend, wenn er sagt, „dass ihre Thätigkeit darin bestand, die Säfte
auszuleeren, die überflüssigen Stoffe zu entfernen, harte Theile weich,
andere fett zu machen, umzugestalten oder zu erhitzen'', während man
bei schweren organischen Erkrankungen, bei Verletzungen, Augenleiden
u. dgl. die Hilfe der Ärzte in Anspruch nahm.*
Ziemlich bedeutende Kenntnisse besassen die Hippokratischen Ärzte
in der Gynaekologie. Sie kannten verschiedene Formen der Lage-
veränderung der Gebärmutter, den Prolapsus derselben und eine grosse
Anzahl von Krankheiten der weiblichen Geschlechtstheile.
Die Geburtshilfe lag in den Händen der Hebammen, und nur in
schwierigen Fällen wurde der Arzt zu Bath gezogen. Man vertraute
dem Wirken der Natur und griff nur dann ein, wenn dem Leben der
Mutter oder des Kindes Gefahr drohte. Bei ungewöhnlicher Kindeslage
nahm man die Wendung vor; vorgefallene Extremitäten wurden reponirt
oder, wenn dies nicht möglich war, vom Körper abgetrennt'
Über das Hebammen -Wesen hat Sokbatbs, der Sohn der „rüstigen
und würdevollen Hebamme Phaenarete", wie er sich mit Stolz nennt^
einige Mittheilungen hinterlassen. Frauen, welche sich diesem Beruf
widmeten, mussten geboren haben, aber bereits in dem Alter stehen,
* Platon: Staat III, 14. Protauorah c. 8. I'hakdros, c. 1. — Hippokbatbs
O. T. V, 302. — Plinius: Hist. nat XXIX, 2.
* Philostbatos: ni(fi yv/*¥a(Ft^qf Edit Daremberg, Paris 1858.
» HippoKRATEs a. a. O. T. VIII, 146 u. ff. 480. 512.
Zur Zeit des Hippokraies,
55
diss sie niclii mehr schwanger wurdea. Sie geben Auskunft, ob die
Oebart nahe bevorstand, suchten dieselbe durch Arzneiea und psychische
Kittel m befordern und zu erleichtern und durchschnitten, nachdem
m erfolgt war, die Nabelschnur.
Wenn sie es für nöthig hielten, führten sie den Abortus herbei.
Sebenbei betrieben sie das ohne Zweifel recht einträ^fliehe Geschäft
^n Heirathsvermittlerinnen, wozu sie sich ullerdings aus mehrfachen
Qr&Dden eigneten.^
Manche Hebammen nahmen, wie es scheint, schwangere Frauen
io ihrer Wohnung auf,*
tlber die t»erufsmii^ige Ausbildung der Hebammen sind uns leider
keine Nachrichten übermittelt worden. Wahrscheinlich wurden sie von
einer älteren Cüllegin, die auf diesem Felde der Thätigkeit bereits reich
an Erfahrungen war, in den Päichten der Wehmutter unterrichtet
Vielleicht deutet eine auch poetisch bearbeitete Sage, dass die Ausübung
der Geburt^^liilfe Anfangs den Männern vorbehalten war und erst später
den Frauen überlassen wurde, nachdem sie von jenen darin unterwiesen
worden waren, darauf hin, dass die Hebammen ihre medicinischen
Kenntnisse den Ärzten verdankten?^
Die ärztliche Praxis war Jedem gestattet, der das dazu erforder-
liche Wissen zu besitzen glaulde*
Die Äizt-e behandelten die Kranken entweder, wie gesagt, im
Jatreion oder besuchten sie zu diesem Zweck in ihren Behausungen*
In den Hippokratischen Schriften, besonders in den ,,Epidemien", wer-
den eine Menge von Krankengeschicht'en erzählt und dabei stets die
Wohnungen der Patienten angegeben,
Ke Ärzte nahmen bei diesen Besuchen einzelne ihrer Gehilfen
and Schüler mit sich und übertrugen ihnen manche der zur Behand-
lung gehörigen Verrichtungen, Deshalb sollten sie „die Arzneien und
ihre Kräfte und Alles was darüber geschrieben worden ist", sowie die
Behandlungsmethoden fest im Gedächtniss haben, bevor sie sich zu den
Kranken begaben. „Beim Eintritt in das Krankenzimmer setze man
soh nieder, zeige ein zurückhaltendes würdiges Benehmen, spreche nicht
fiel und lasse sich nicht in Verwirrung bringen. Dann nähert man
ach dem Kranken, schenkt ihm Aufmerksamkeit, erwidert seine £nt-
Ijegnuogen, bewahrt den Ärgernissen gegenüber seine Ruhe, tadelt Un-
ordnungen und sei zu Diensten bereit'^
' PuiTOir: Tbeaetetos, c. 0.
' AturroPffA^HBi: LvMstratoö V, 74B u. tf.
' nfaiKirs: fabul 274, — Weix;kkb a. a, O. S. 195 u, if.
56 Der medioinische UhterricfU vni Älterthum,
Diese Besuche sollen öfter wiederholt werden, damit etwaige In--
thümer verbessert werden können. Dabei soll der Arzt darauf achten,
wie das Schlafgemach der Kranken gelegen ist, und ob sie durch Lärm
oder starke Gerüche gestört werden, und dann in taktvoller, aber ent-
schiedener Weise darauf dringen, dass derartige Zustande geändert
werden. ^
In schwierigen Krankheitsfallen fanden Consultationen mehrerer
Ärzte statt; „denn es ist keine Schande", steht in den Hippokratischen
Vorschriften, „wenn ein Arzt, der bei einem Krankheitsfall in Verlegen-
heit ist und aus Mangel an Erfahrung die denselben betreffenden Ver-
hältnisse nicht durchschaut, andere Ärzte hinzuruft, damit er sich mit
ihnen besprechen und Das, was zur Erleichterung des Kranken geschehen
soll, feststellen kann."*
Manche Ärzte übten die Praxis nicht blos an ihrem Wohnort
aus, sondern unternahmen zu diesem Zweck sogar Reisen. Sie fährten
in solchen Fällen Instrumente mit sich, welche schlichter gearbeitet
und leichter fortzuschaffen waren.'
Die Ärzte waren berechtigt, für die Dienste, welche sie den Kranken
leisteten, ein Honorar zu fordern.* Aber der Hippokratische Autor
ermahnt sie, „sich dabei nur von dem Beweggrunde leiten zu lassen,
dass sie dadurch die Mittel zu ihrer weiteren Ausbildung gewinnen.
Auch sollten sie dabei nicht zu unmenschlich vorgehen, auf das Ver-
mögen und die Verhältnisse des Kranken Rücksicht nehmen, zuweilen
auch unentgeltlich Hilfe leisten und dabei denken, dass das Andenken
an eine gute That mehr werth ist, als ein augenblicklicher VortheiL
Bietet sich die Gelegenheit, einem Fremdling oder einem Armen zu
helfen, so möge man dies nicht versäumen; denn wo Liebe zu den
Menschen, dort ist auch Liebe zur Wissenschaft."*
Schon in sehr früher Zeit begann man, Ärzte auf öffentliche Kosten
zu besolden, denen die Verpflichtung auferlegt wurde. Kranke unent-
geltlich zu behandeln. Diese Einrichtung soll bereits vor Charondas
(7. Jahrh. v. Chr.) bestanden haben. • Jedenfalls war sie alt, und der
im vorigen Kapitel genannte Demokedes, der, bevor er zum Konig
Darius kam, als städtischer Arzt in Aegina mit der Jahresbesoldung
von einem Talent, dann in Athen mit dem Gehalt von hundert Minen
' HippoKRATES a. a. O. T. IX, 238 u. ff.
» HippoKKATEs a. a. O. T. IX, 260. 262.
» HiPPOKRATES a. a. O. T. IX, 236.
* Platon: StaatsmaDn, c. 37. — Aristotelbs: Staat III, 1«. — Xbhophuv:
Memorab. I, 2, 54. — Punius: Bist. nat. XXIX, 2.
» HippoKRATEs a. a. 0. T. IX, 268. * Diodob XII, 18.
angeittellt geweeen uod hierauf von Polyk&ates nach Samos berufen
Verden war, der ihm einen Gehalt von zwei Talenten ausgesetzt hattej
bietet ein Ivekaimt-es Beispiel dafür aus «iera H. Jahrh, v. Chr. ^
Die St^fiofrtBvoin-t^, „die Volksärzte'*, wurden von deo Gemeinden
It In Athen mussten sich die Candidaten, welche ein derartiges
Amt zu erlangen wünschten, in der öffentlichen Versammlung der
Borger Yorstellen, über ihren Bildungsgang Auskunft geben, und den
Hflisler nennen, von welchem sie die Heilkunst erlernt hatten. Bei
der Wahl, welche wahrscheinlich in derselben Weise geschah wie die-
jem^ der übrigen öfl'entlichen Beamten^ sollte derjenige Bewerber als
Seger herronjehen^ welcher der Tüchtigste war.^ Ähnlich wie in
Athen dürfte man auch in anderen griechischen Städten bei der An-
Bellimg von Gemeindeärzten vorgegangen sein.
Ihre Besoldung wurde gleich den Ausgaben für Musik und andere
i'iffentbche Angelegenheiten durch städtische Umlagen aufgebracht; in
ler zu Delphi aufgefundenen Inschrift, welche freilich aus einer etwas
Iteren Zeit (214 — 163 v, Chn) stammt, wird erwähnt, dass Jemand
TOD dieser Steuer befreit wurde. ^
Neben dem Gehalt^ dessen Hohe von den Leistungen des Arztes
der Grösse und dem Reichthum der Stadt abhing, erhielten die
Gemeindeärzte wahrscheinlich ein latreion, welches auf cifFentliche Kosten
ungerichtet und erhalten wurde.* Dort empfingen sie die Kranken,
telche bei ihnen ärztliche Hilfe suchten, und ertheilten medicinischen
l'nterricht.
Die Gemeindeärzte waren berufen, bei Kpidenuen die Anordnungen
IQ treffen^ welche zur Beseitigung derselben erforderlich erschienen,
cmd dienten den Behörden überhaupt als Sachverständige. Ihre eigent*
Me Aufgabe bestand jedoch in der unentgeltlichen Behandlung der
Kranken; die Gemeinden wollten sich durch die Anstellung eines Arztes
sicheniy dass ihre Bürger im Falle der Noth jederzeit ärztliche Hilfe
am Ort finden. Obwohl aus den überlieferten Nachrichten nicht her-
TOTgeht, dass die unentgeltliche Behandlung sich nur auf die Armen
beschränkte, so ISsst sich doch annehmen, daas dies thatsächlich der
M war, und die Vermngenderen sich durch Geschenke für die Mühen
dee Arztes erkenntlich zeigten.
' flcitODOT HI, 131.
' Xjekopbon: Memorab. TV^ 2, 5. — I^laton: Gorgias, e. lü. 70. Sfiiataniaiiii,
c 1 S7, Vgl auch Böckh: Staatshaushalt dor Athener I^ e. 21.
' C. Wkschkr u. V. F^iücart: Inscriptiotis A Delphes, Paria 1863^ p. ^0, No. IH,
* VeTgL Vebcoutre: Im im^decine publique dans rantiquitii grecque in der
R-'Vue arch^.ologiqiic. Pari>» 1880. ser. IL 1'. 39, p. 332.
Wie die Griechen das* Institut der Oemeindearzte ins Leben riefe
80 sorgten sie auch dafür, dass ihre Truppen mit Ärzten ver^ehi
wurden. Schon Lykub« hielt dies für nolhwendig und stellt** bei d6l
Heere der Spartaner Ärzte an** Bei den „Zehntausend Mann", weldi
Xeuophon befehligte, befanden sich acht Feldärzte. ^ Des HrppoKjaTi
ältcirer Sohn The>^sal(jw soll einige Zeit als Militürarzt thäti^ gewes«
sein, und tler Verfasser der Hippokratischen Schrift „über den An)
schreibt, „dass sich der Amt in der Chirurgie am besten au^ibildl
wenn er in die Dienste des Heeres tritt"; er bemerkt bei dieser Q^
legenheit auch, dass es bereits eine besondere militänir/.tliche LiteratQ
gab, in welcher die im Kriege rorkorawienden Verletzungen besprocha
wurden.'' Das Heer Alexander» von ilacedonien wurde Ton den fai
rühmtesten Ärzten Jener Zeit, von Philipp von Äkarnanien, Kalu
8THENES aus Olynth, Glaukias und ALExn»P0K begleitet
Der ärztliche Stand genoss hohes xVnsehen, Das Wort HoMEB'sy
„dass ein einziger Arzt so viel werth ist, als viele andere Männer zq
sammen^*, galt auch spater. Ärzte, welche sich durch selbstlose Opfej
Willigkeit und hervorragende Leistungen in ihrem Beruf auszeichnete!
und um den Staat verdient machten, wurden durch Lobreden uit
Ehren belohnt.
Auf der Bronze-Tafel von Idalion, welche aus dem b, Jahihund«|
V, Chr. stammt, wird der Verdienste des Arztes 0NAsiirfj8 gedacht, da
mit seinen Schülern im Kriege unentgeltlich Dienste leistete und dafB
eine Dotation und Steuerfreiheit erhielt.^ Die Athener sollen difl
Hu'POKRATEs mit Ehren überhäuft, auf Staatskosten in die Eleusinische|
Mysterien eingeweiht, mit einer goldenen Krone gekrönt und noch ai
andere Weise ausgezeichnet haben. ^
Der Arzt Euenoh, welcher, wie in einer Inschrift vom Jahre 381
V. Chr, mitgetheilt wird,^ „vom Volk mit der Überwachung der Bl
reitung <ier Arzneien für das ööentliche latreion betraut^ für diesü
Zweck eine grosse Summe aus eigenen Mitteln geopfert und vii
Kranke unentgeltlich behandelt hatt^/* wurde dafür öffentlich belo
und durch einen Kranz und die Verleihung des Bürgerrechts geeh;
i' Xknoi'Uun: \)cr hiikiHläimm, Stuat, o. IH.
• XKm>prn»N: Cyropiied, I, (>, lf>. Aimbafti» III, 4, 30.
" Hii'j'oKUAtKs ix.AAK T IX, 220. * lÜRH XI, .M4,
^ M. S«:iiMii»i\ VJk liimlirift von lihiliori. Jenn lh7f>. und Sammlung Kyp
riflcher luHcbrirfci», IsTii, Tiif, L i
* HirPOKHATE** fi. a. O; T. IX, 402, '
' ßHANuAßfi: AtttiqtiitV-8 hi^lU'u.. IH&fi, V. 11, Xo, a7.^. \L iJi'nriL>* in d^
Gott, gelehrt. Ana. IH.%6, No, IWI ii. ff.
1
Zur Zeit de» HippokraUs.
59
In der Inschrift von Karpathos, welche Wbsghbb^ dem Ende das
oder AnCäQg des 3. Jahrhunderts v* Chr. zuschreibt, heisst ess, dass
Anbelraeht, dass Menokäitos, der Sohn des Meteodoeos aus
SuiioSf in seiner Stellung als Gemeindearzt sich durch mehr cils zwanzig
Jahre mit Eifer und Hingebung der Behandlung der Kranken gewidmet
und sowohl in seinem ärztlichen Beruf als in seinem sonstij^en Leben
Sikellos benommen habe, dass er l'erner bei einer Seuche, welche in
te Stadt ausbrach und nicht blos die Einheimischen, sondern auch
die Fremden in grosse Gefahr hrachle, durch seine Aufopferung und
gpirsamkeit am meisten dazu beigetra*?en hat, die Gesundheit wieder
hstzQstellen^ dass er endlich, anstatt Bezahlung zu fordern, lieber in
Dsrftigkeit gelebt, viele Bürger aus gefährlichen Krankheit<^n errettet,
(^tuie eine Belohnung dafür anzunehmen, wie es recht und billig ge-
wesen wäre, nnd niemals gezögert hat, die Kranken, welche in der
UAgebung der Stadt wohnten, zu besuchen, das Volk von Brvkontion
liescklossen habe, ihn zu beloben und mit einem goldenen Kranze zu
sflkmücken und diesen Beschluss bei den Asklepios-Spielen Mffentlii'h
lerkdnden zu lassen, ihm ferner das Recht zu ertheilen, an allen
F«8ten der Brykontier Theil zu nehmen und ihm im Neptun-Tempel
siiie Marmorsäule zu errichten, auf welcher dieser ihn ehrende Volks-
besohltiss niedergeschrieben werden soll"
Einige Aut-oren' haben, gestützt auf einzelne Aussprüche doctri-
flifff Philosophen, geglaubt^ dass die ärztliche Thcitigkeit, weil sie für
Geld ausgeübt und zu den sogenannten „bürgerlichen Gewerben", wie
^Ti^iQVQyiu übersetzen kann, gerechnet wurde, von den t^rieehen
tt in gebührender Weise geschätzt wurde. Aber Platon sagt aus-
diüokUcb, dass „der echte Arzt eiuen höheren Zweck verfolgt, als Geld
OL erwerben", und dass die Heilkunst, wenn sie auch für Lohn aus-
ge&U wüd^ doch keine lohndienerische sei.^ Obgleich er in den „Ge-
sebeii'* schreibt, dass die Gesundheit des Körpers nicht zu den Gütern
gehöre^ welche für den Staat in erster Linie von Werth sind, so er-
klärt er es doch für eine Pflicht desselben, dafür zu sorgen, dass tüchtige
inte herangebildet werden.*
Das Ifaass der Achtung, welche dem Arzt gezollt wurde, richtete
aick, wie zn allen Zeiten, nach der Individualität desselben, seinen
Kenntnissen, seiner Geistes- und Herzensbildung nnd seiner äusseren
> Rcvoe ÄTch^log., Pam 1SB3, T. VIII. p, 469.
' Verg:L K. F. Hbail^kiv: I^hrbueh der griech. Privat- Altertbümer» Heidel-
bii^ 1852, m, S. 192.
* Hlatok: Staat I, c\ 15. 1».
* PiATox: Ge&etze I, 6. Staat Hl, Je.
60 Der m^diciniscfie UnterrictU im AUertkum,
IjebensstelluDg. Ein Sklave, welcher als Gehilfe eines Arztes bedeutende
Kenntnisse erwarb and eine segensreiche Wirksamkeit ent<ete, blieb
gleichwohl stets in einer untergeordneten abhängigen Stellung. Es
scheint übrigens, dass die aus der Klasse der Sklaven hervorgegangenen
Arzte nicht die gleiche fachmännische Bildung besassen, wie die übrigen
Arzte, sondern ihre Kunst rein empirisch erlernten. „Wollte man mit
einem solchen Manne philosophische Reden über den Bau und die
Funktionen des Korpers wechseln," bemerkt Platon,* so würde er
gewiss herzlich lachen und ausrufen: Du Thor! Du bist kein Ant,
sondern ein Schulmeister Deiner Kranken." —
Bei der Beurtheilung des Arztes diente seine wissenschaftliche
Bildung sicherlich als ein wichtiger Gesichtspunkt Unwissende und
ungeschickte Arzte wurden belacht und verspottet und der öffentlichen
Verachtung preisgegeben. Im Hippokratischen ,.Gesetz" werden sie
mit den Figuranten auf dem Theater verglichen, „welche aussehen, ge-
kleidet sind und Macken tragen, wie die Schauspieler, es aber nur
dem Namen nach, nicht in Wirklichkeit sind."* An einer anderen
Stelle heisst es, dass es den unfähigen Ärzten wie schlechten Steuer-
männern geht. „Wenn dieselben bei ruhigem Meere das Steuer lenken
und dabei Fehler begehen, so wird es von Niemandem bemerkt; wenn
aber widriger Wind und heftige Stürme hausen, und dabei das Schiff
zu Grunde gerichtet wird, dann ist Jeder überzeugt, dass ihre Un-
wissenheit und ihre Fehler daran Schuld sind. Ebenso verhält es sich
auch mit den schlechten Ärzten, welche unt«r ihren Beru&genossen
die Mehrzahl bilden. Wenn sie leichtere KrankheitsfiUe behandeln,
bei denen man die grössten Fehler begehen kann, ohne dass nach-
theilige Folgen eintreten, so wird ihre Unfähigkeit den Laien nicht
auffallen; wenn sie dagegen zu einer schweren, heftigen und gefahr-
lichen Krankheit gerufen werden, dann wird es Jedem klar werd^
dass sie nichts verstehen und falsche Anordnungen treffen."' „Die
Unwissenheit ist ein schlechter Schatz und ein trauriges Kleinod, ein
steter Traum, ein Phantasiebild, bietet keine Freude und keine Heiter-
keit und ist die Amme der Feigheit und Verwegenheit"*
Die Hippokratischen Arzte ermahnten ihre Schüler zum Fleiss und
angestrengten Studien. „Die Kunst ist lang, das Leben kurz", sagten
sie ihnen,* und „die Heilkunst lässt sich nicht rasch erlernen".*
Dringend empfahlen sie die Jjektüre der« medicinischen Schriften und
» Platon; Geaetze IV, 10. IX, 4. * Hippokbates a. a. O. T. IV, 638.
* HippoKRATES a. a. O. T. I, 590. ♦ IIippokrates a. a. 0. T. IV, 640.
* HippoKRATEs a. a. O. T. IV, 45«. « Hippokkates a. a. O. T. VI, SSO.
M Aiexandria.
61
chten dabei aach mit rührender Pietät der redlichen, wenn auch
Bicht immer glücklichen Versuche, welche die Ärzte früherer Zeiten
UDt^rnommen hatten , um die Heilkunde zu erforschen und zu einer
Wissenschaft zu gestalten«^
Die innigen Beziehungen der Mediciu zur Philosaphiei welche vor
HrppoKBATE8 bestanden, wurden durch iha und seiue Schule noch
mehr befestigt und dauerten auch spater fort. „Fhilasophie und Me-
to bedürfen sich gegenseitig und sind auf einander angewiesen.
Arzt, welcher zugleich ein Philosoph ist, steht auf der höchsten
ife", schreibt ein Hippokratischer Autor, ^ Sokhates und Platon
bsttea unter ihren Schülern viele Ärzte und Studierende der Metütvin»
sich aus den zahlreichen, auf die Heilkunde bezüglichen Hinweisen
%d Vergleichen folgern liUst, und Aiustutkles* der Begründer der
veigl»*ichenden Anatomie und bahnbrechende Geist auf allen Gebieten
4er naturwissenschaftlichen Forschung, schrieb:* „Die meisten Natur-
fDßchcT suchen in der Medicin den Abischluss ihrer Studien, und von
jei Ärzten beginnen Diejenigen, welche ihre Kunst etwas wissen-
flditftlicher treiben, das Studium der Heilkunde mit den Naturwissen-
In Alexandria.
Im raschen Siegeslauf hatte der jugendliche Alexander von Mace-
nien einen grossen Theil Kuropas, Afrikas und Asiens durchmessen.
Die thracischen und iUyrischen Stämme bis zur Donau, Griechenland,
■"' ien, Palästina, Ägypten, Persien, ganz Kleinasien waren seinem
^ ^ I unterworfen; selbst mehrere indische Staaten erkannten seine
Oberhoheit an. und aus Italien und von den Kelten kamen Gesandt-
Mafien, welche bei ihm Schutz un<! Freundschaft suchten. Schon
durfte seine von Ruhmbegier geschwellte Brust sich mit dem kühnen
Plane einer Weltmonarchie tragen, welche alle Länder der Erde, soweit
sie damals bekannt war, umfassen sollte.
Da machte sein plötzlicher Tod allen diesen Hoffnungen ein jiihes
Ende. Er starb im Alter von 33 Jahren, voll Jugendkraft, im Besitz
einer Macht, wie sie vor ihm noch kein Sterblicher ausjgeübt hatte.
Die Tragik dieses Todes ist fast noch grossartiger als seine beispiellosen
» HiriH^»K.icÄTes a, a. 0. T, 1, 596. ' Hippt>KBATic8 a. a, iK T. IX, 282.
' Aäiätotkleh: Über Simkespmpfiiidimg, c, 1.
62 Der medicinische Unterricht im Alierthum,
Siege und Erfolge. Sein Reich zerfiel ebenso rasch als es airfgebsat
worden war. Ehrgeizige Generale theilten sich in seine Erbschaft und
machten sich zu Herren der einzelnen Provinzen.
Aber nur seine politischen Schöpfungen wurden zerstört. Was
durch ihn oder unter ihm für die Cultur, für die Wissenschaft ge-
schehen war, blieb erhalten und trug reiche Früchte.
Die Berührung, in welche der griechische Geist mit den Yölkem
des Orients gekommen war, übte nach beiden Seiten eine nachhaltige
Wirkung aus. Jene lernten Wissenschaften und Künste kennen, die
bei ihnen noch wenig oder gar nicht entwickelt waren, und erhielten
die Gelegenheit, sich griechische Bildung und Feinheit der Sitten an-
zueignen, während die Griechen von den engherzigen Anschauungen
befreit wurden, die, als Produkte ihrer kleinen politischen Gemeinwesen
erklärlich, zur Selbstüberhebung und Verachtung des Fremden geführt
hatten. Der Hellenismus nahm dadurch jene kosmopolitische Färbung
an, welche die Bestrebungen der späteren Griechen kennzeichnet
Kunst und Wissenschaft erfuhr durch die Bekanntschaft mit fremden
Völkern manche Anregung und Förderung, namentlich die Naturwissen-
schaften, die Zoologie, Botanik, vergleichende Anatomie und Arznei-
mittellehre, denen aus den der Forschung erschlossenen Ländern ein
reiches Material zufloss, welches von fachmännischer Hand geordnet
und gesichtet, eine systematische Bearbeitung dieser Disciplinen ermög-
lichte und begünstigte.
Alexanders politische Zukunftstraume wurden bald vergessen. Nur
sein Plan, Ägypten zum Centrum, das nach ihm genannte Alexandria
zur Hauptstadt des von ihm erstrebten Weltreiches zu machen, trat
ins Leben, wenn auch in einer ganz anderen Form, als er es sich ge-
dacht hatte. Ägypten wurde zwar nicht der politische, aber der geistige
Mittelpunkt der Völker und übernahm die Rolle des Vermittlers der
Cultur, zu welcher es durch seine Lage sowohl als durch seine Jahr-
tausende alte Geschichte ganz besonders berufen war. Das Fürstea-
geschlecht der Ptolemäer, welchem nach Alexanders Tode die Herrschaft
über das Nilland zufiel, war griechischer Abstammung und blieb auch
in seiner neuen Heimath dem griechischen Wesen treu. Während
Ägyptens Handel und Industrie blühte, und seine Schiffe bis Madera
gegen Westen und bis nach Persien und Indien im Osten fuhren,
wurden zu Hause Künste und Wissenschaften gepflegt und griechische
Bildung verbreitet
Die Ptolemäer zogen Künstler und Gelehrte aus Griechenland an
ihren Hof, Hessen prachtvolle Bauwerke errichten, schmückten ihre
Residenz mit den Sehenswürdigkeiten der ganzen Welt und unterstützten
In Alexandria. 68
die Wissenschaften mit königlicher Freigebigkeit Sie legten botanische
ond zoologische Gärten an, gründeten Bibliotheken und sehnten das
Hnsenm und das Serapcum, ^ zwei Anstalten, in denen Gelehrte Woh-
nung und Unterhalt erhielten, damit sie sich den wissenschaftlichen
Stadien widmen konnten, ohne für die taglichen Bedürfnisse des Lebens
sorgen zu müssen. Sie enthielten ausser den Wohn- und Schlafgemächern
grosse Speisesäle und gedeckte, mit Gemälden geschmückte Säulengänge,
iD welche sich offene Höfe und schattige Gartenanlagen anschlössen.'
Die grossen Bibliotheken, bei deren Gründung und Vermehrung keine
Geldmittel gescheut wurden, standen damit in einem räumlichen und
wahrscheinlich auch organischen Zusammenhange. Die oberste Aufsicht
über die Anstalten führten hohe Geistliche, die in Gemeinschaft mit
d^ Vorstehern der einzelnen Abtheilungen, in welche sich die Gelehrten
nach ihren Wissenschaften schieden, auch die Verwaltung leiteten.
Das Museum lag in unmittelbarer Nähe des königlichen Schlosses
und wurde sogar als ein zugehöriger Theil desselben betrachtet Das
Serapeum befand sich in einem entfernteren Theile der Stadt und stand
an Bedeutung jenem nach. Auch die Bibliothek des letzteren war
nidit so reich, als diejenige des Museums. Die hohen lichten Säle der
Bibliotheken, in denen die Bildsäulen berühmter Gelehrten aufgestellt
muden, bargen viele Tausende von Papyros-RoUen, welche die hervor-
ragendsten Werke, namentlich der hellenischen Literatur enthielten.
Über die Zahl derselben gehen die Angaben weit auseinander; während
z. B. Ammianus und Gellius die Menge der Papyros-Rollen der Mu-
seumsbibliothek auf 700,000 schätzten, berichtet Epiphaniüs, dass sie
nur 54,800 betrug.'»
Die Gelehrten, welche im Museum und Serapeum wohnten, bildeten
Vereinigungen nach der Art unserer Akademien. Im freundschaftlichen
Verkehr und in freien Vorträgen erörterten sie die wissenschaftlichen
Fragen, zu denen sie durch die Lektüre oder durch die Beobachtung
angeregt wurden. Ihre fürstlichen Gönner nahmen an diesen Unter-
suchungen regen Antheil und ermunterten sie dabei durch hohe Jahres-
gehälter und reiche Geschenke. Sie beschäftigten sich mit der Gram-
matik, der Textkritik der in den Bibliotheken aufgenommenen Schriften,
der Dichtkunst^ Musik, Geschichte, Philosophie, Mathematik, Mechanik,
Astronomie, Geographie, den Naturwissenschaften und der Medicin.
• G. Pabthbv: Das Alexandrinischc Museum, Berlin 183b. — Fr. Kitschj.:
1>ie AlexandrinischeD Bibliotheken, Breslau 18B8.
» stbabo» xvn, 1.
• Ammiam XXII, 16. — A. Gkllius: Noct. Attic. VI, 17. - Vergl. ferner
VkmmY a. a. O. S. 77.
64 Der mediciniscJie Unterricht im Alterthwn.
Aber diese „Priester der Musen", wie sie Theokbit nennt, ^ lebten
nicht blos der Forschung; sie widmeten ihre Zeit auch dem Unterricht
Schüler aus allen Gegenden, wo Griechen lebten, kamen nach Alexan-
dria, um dort die höchste Ausbildung für ihren künftigen Beruf zu
erlangen. Das Museum und das Serapeum waren somit nicht blos
Akademien, sondern auch Hochschulen.
Über das Yerhältniss derselben zu den Anstalten, welche dem
medicinischen Unterricht dienten, fehlen leider die Nachrichten. Es
entstanden dort zwei medicinische Schulen, welche nach ihren Stiftern
unterschieden wurden, aber in ihren wissenschaftlichen Grundsätzen
nur wenig von einander abwichen. Beide fussten auf den Lehren der
Schulen von Eos und Enidos und machten deren wissenschaftliche
Errungenschaften zur Grundlage ihrer eigenen Forschungen.
An der Spitze der einen stand HEROPHiLcts,' an derjenigen der
anderen Erasistkatoh.
Der Erstere wurde um das Jahr 300 v. Chr. zu Chalcedon geboren.
Seine Lehrer waren Chbysippos von Knidos, welcher sich dadurch be-
kannt machte, dass er die zu häufige Anwendung des Aderlasses nnd
der drastischen Arzneien verwarf und durch das Binden der Glieder
zu ersetzen suchte, und bei der Wassersucht Bäder im Schwitzkasten
empfahl,^ und Fbaxaoobas von Kos, einer der iruchtbarsten medici-
nischen Schriftsteller jener Zeit* Hebophiijüs erlangte eine solche
Bedeutung, dass nicht weniger als ^ier Ärzte des Alterthums sich der
Aufgabe unterzogen, sein Leben zu schildern.
Seine hervorragendsten Verdienste liegen auf dem Gebiet der
Anatomie. Er war bemüht, eine wesentliche Lücke der Hippokratisohen
Lehren zu ergänzen, indem er das Nervensystem einer sorgfaltigen
Untersuchung unterzog. Dabei gelang es ihm, einiges Licht auf diesen
bis dahin nur wenig erforschten Theil der Anatomie zu werfen. Er
beschrieb die Hirnhäute, die Plexus chorioidei, die venösen SinuSi das
nach ihm genannte Torcular Herophili, die Hirnhöhlen und die Schreib-
feder, welche ihm diese Bezeichnung verdankt, verfolgte den Ursprung
der Nerven aus dem Gehirn und Rückenmark und erkannte, dass die
Nerven die Empfindung und Bewegung vermitteln.* Femer beschäftigte
er sich mit dem Bau des Auges, beschrieb den Glaskörper, die Chorioidea
» Idyll. XVIL V. 112.
* K. F. IL Marx: HerophiluH, Karleruhc und Baden 1838.
3 Galen a. a. O. T. IV, 495. XL 148. 230. 252.
* C. G. Kühn: De Fraxagora Coo. progr., Lips. 1823.
» Galen a. a. O. T. II, 712. 731. III, 708. XIX, 330. — Rüfu8 a. a. O.
p. 153. — Plütaroh: de plac'it. philos. IV, 22.
die netzartige Haut^ iQa€hte auf die eigenthümliche Form des
denums aufmerksam imd beobachtete, dass die Häute der Arterien
iind, als diejenigen der Venen. * Wie genau er bei seinen ana-
llen Untersuchungen war, zeigt seine Beobachtung» dass die linke
na spennatica in einzelnen Fällen aus der Vena renalis enti^pringt, *
Er unterschied Terschiedene Formen des Pulses nach der Griisse,
ke, RiiÄchheit und Regelmässigkeit desselben und legte damit den
ad zur wissenschaftlichen Behandlung der Pulslehre. ^ Auch als
hatte Hebopuilos beachtenswerthe Erfahrungen, wie au>i seiner
lg hervorgeht, dass sich die Luxationen des Oberschenkels
fiegeiL der damit Terbundenen Zerreissung des Ligamentum teres nach
Wiederelnrichiung wiederholen*^ Er kannte den Verschluss des
lutt-ermundes bei vorhandeni'r Schwangerscbaft^ und verfasste ein
ibuch der Geburtshilfe, in welcher er auch Unterricht ertheilt haben
Im Allgemeinen huldigte er in der praktischen Heilkunde dem
Ätz, das^ man sich dabei nicht auf theoretische Erklärungen
terlas^en tliirfe, sondern die Erfahrung allein als massgebend betrachten
ftülL* Stobaelts erzählt, da^s HKKopHu^ks auf die Frage, wer der beste
^i, geantwortet habe: „Derjenige, welcher das Mögliche ?on dem
Qögüchen zu unterscbeiilen weiss.**"
Sein Zeitgenosse Eraisisthatos* der sich mit ihm in den Ruhm
r. Alexandrinischen Schule theiite, stammt*» von JuUs auf der Insel
Er war ebenfalls von Chrysippos von Knidos uuterricbtet wor-
ausserdem wird Metkoimjhos, der Schwiegersohn des Abistoteles,
Dter seinen Lehrern genannt, Erasistkait>s lebte eine Zeitlaog am
M des Krtnigs Seleuküs Nikator, wo er durch eine merkwürdige
Aufsehen erregte. Antiochos, der Sohn des Königs, war
Kh erkrankt, und Erasistrat<,>s erkannte aus der Aufregimg, die
beim Anblick seiner «Stie&nutter an den Tag legte, dass sein Leiden
durch die hoffnungslose Liebe zu derselben hervorgerufen worden war. *
machte zu dieser Erzählung die humoristische Bemerkung, dass
nicht erklären könne, worauf sich diese Diagnose stutzte; denn
nen Puls der Verliebten gebe es ja doch nicht** •*
* RirfTs A. Ä, O. p. 1.54. 1 TU — Galen a. a. O. 1\ ü, 572. 780. 111, 445.
» GAI.EX a. iK O. II, 895.
' QjLLEK a. a. O, T. VHI, 5*»2. 956. 959. — PuKrus; Hittt. nat XI, 88. XXIX, 5*
* Objbasils a. a. O. IV, 233, * Galfjj a. a, 0, 1\ LI, 150.
* Plixtüs: Hist. nat. XXVI, 6,
' iyroBABus: Florileg. Ed. A. Meinecke IV^ 2.
" Plctaäcm: Vita Demetrii, c. 3H, — Fumm: Hist. nat XXTX, 3.
* Gau» a. a. O. T. XIV, 631.
Ptncmunr, Uoterricbt, 5
66 Der fnedicinische Unterricht im Allerthum,
Wie HEROPHiiiOS, so beschäftigte sich auch Erasistbatos eifrig
mit anatomischen Untersuchungen. Er beschrieb die Hirnwindungen
und leitete von der grösseren Mannigfaltigkeit derselben beim Menschen
dessen geistige Präponderanz über die Thiere her.^ Die motorischen
Nerven unterschied er von den sensibelen; aber er glaubte , dass die
ersteren aus den Häuten, die letzteren aus der Substanz des Gehirns
hervorgehen. 2 Er kannte die Bronchial- Arterien, nahm anostomotische
Verbindungen zwischen Arterien und Venen an und beschrieb die
Herzklappen so genau, dass Galen dazu nichts weiter hinzuzufügen
wusste.^ Am merkwürdigsten ist seine Beobachtung der Chylusgefasse,*
deren Bedeutung er natürlich nicht zu erkennen oder auch nur zu
ahnen vermochte; dazu gebrauchte die Wissenschaft noch nahezu zwei
Jahrtausende.
Gebührende Anerkennung verdienen auch seine Versuche, die Ver-
dauung und andere physiologische Vorgänge auf mechanische Weise
zu erklären und die Ursachen der Krankheiten durch pathologische
Sektionen zu erforschen.^
Herophilos und Erasistäatos wurden bei ihren anatomischen
Untersuchungen ohne Zweifel durch manche werthvoUe Vorarbeiten
unterstützt, wie das Werk des Diokles von Karystus, dessen GaiiEN*
rühmend gedenkt; aber haupt^sächlich verdankten sie ihre ausserordent-
lichen Erfolge dem Umstände, dass ihnen die ägyptischen Könige
menschliche Leichen in beliebiger Menge zu anatomischen Sektionen
zur Verfügung stellten. Sie erhielten sogar die Gelegenheit, lebende
Menschen zu öffnen, indem ihnen zu diesem Zweck Verbrecher aus den
Gefangnissen übergeben wurden, „damit sie die Lage, Farbe, Gestalt,
Grösse, Anordnung, Härte, Weichheit, Glätte, äussere Fläche, sowie die
Vorsprünge und Einbiegungen der einzelnen Organe während des Lebens
studieren konnten," Sie entschuldigten diese Vivisektionen damit, „dass
es erlaubt sein müsse, das Leben einiger weniger Verbrecher zu opfern,
wenn daraus ein dauernder Nutzen für das Leben und die Gesundheit
der vielen ehrbaren Menschen entspringt". Ihre Gegner erwiderten
ihnen darauf, „dass dies nicht blos grausam sei und die Heilkunst,
welche zum Segen der Menschen, nicht aber zu ihrer Qual dienen solle,
> Galen a. a. 0. T. IH, 673. « Rupus a. a. 0. p. 185.
» Galen a. a. 0. UI, 465. 492. V, 166.
♦ Galen a. a. 0. T. 11, 649. IV, 718.
* Galen a. a. 0. T. XIX, 373. — Cblsüs: Prooem. u. IH, 21, — Diobkorides,
Ell. C. Sprengel, Lips. 1830, T. II, p. 72. — Caklius Aubslianus: de chron. HI,
«. V, 10.
• Galen a. a. 0. T. II, 282. 716.
ttimrdige, sondern auch überflüssig sei, da die Leate>, nachdem ihnen
Bauchhöhle aufgesohnitten, das Zwerchfell durchtrennt iind die
Brusthöhle er^ffiiet worden, s^terbeii, bevor noch vvissen,schaftlicho Unter*
schlingen am Lebenden möglich waren**.*
Die Schüler und Nachfolger dieser beiden Koryphäen der Alexan-
iiisehen iSchuIe verliessen später leider die exakte Forsehungsmethode,
Ajhe Jene zu beachtcnswerthen Erfolgen geführt hatte, imd betraten
bequemen mühelosen Weg der Spekulation. Nur Wenige, wie
Anatom ErPEMos, die knie BACcHtos von Tanagra und Mantias,
!?ich um die Ar/neimittellehre verdient machte, die Geburtshelfer
DEitETRios von Apamea und Andreas von Eaiystns, welche die die
Gehurt erschwerenden Zustände und Yerhäiltnisse in übersichtlicher und
tiemhch vollständiger Weise zusammenstellten, der Chirurg Pnn^hXENos
n. A. nmchten davon eine rühmliche Ausnahme. Einzelne verpflanzten
ilire Lehren na<^h anderen Orten und gründeten zu ihrer Pflege medi-
linkhe Schulen, wie Zetjxis zu Laodicea und HrKKsios zu 8mvi*na.
Die geringen Unterschiede zwischen den Herophileern und Erasi-
Äte«(rn verwischten sich mehr und mehr; die ersteren zeichneten sich
dadurch von den letzteren aus, da^^s sie conserv^tiver waren und
4ra Schriften der Hippokratiker. die sie mit Commentaren versahen,
mm grossere Autoritsit zugestanden. Aber beide Schulen waren dem
' ' * -'jtinge geweiht, als sie autliOrten, durch eigene Forschungen den
liritt der Wissenschaft anzustreben, und sich darauf beschriinkten,
«Q den überlieferten Theorien festzuhalten, die allmalig zum todten
Pirmalismus erstarrten. „Freilich war es bequemer," schreibt Plinivs,
jjin im Schulen zu sitzen und ruliig zuzuhören« als draussen die Ein-
m durchwandern und jeden Tag andere Pflanzen zu suchen.**^
war unter solchen Umstanden kein Wunder, da-ss die denkenden
sich von diesen Dogmatikern abwandten und einem Empirismus
Üdigten, der zwar nicht die Lösung der physiologischen und patho-
chen Probleme versprach, aber den Bedürfnissen der ärztlichen
Genüge leistete. Unter dem Einfluss des Skepticisrnus, welcher
Ptkbhox angeregt, und von Kabnt:abes, dem Stifter der soge-
Qten «Iritten Platonischen Akademie, weiter ausgelnldet. zur herr-
henden Weltanschauung geworden war, kamen sie zu der Meinung,
ds85 es in dieser Welt der Erscheinungen eine Gewissheit, ein Wissen
überhaupt nicht, gebe und die Wahrscheinlichkeit das höchste Ziel sei,
lelches der menschliche Verstand erreichen könne. Damit verzichteten
* CsLfliTs: Prooem, — Tebtühjait; de Animat c. 10.
* pLiKiit»; Hifit. nat. XXVI, «.
68 Der msdicinische Unterricht im Alterthum.
sie auf die schönsten HoflFhungen, welche das wissenschaftliche Streben
belebt hatten, und erklärten dasselbe für aussichtslos.
Die Empiriker vernachlässigten die Anatomie und Physiologie,
weil sie deren Studium für überflüssig und fruchtlos ansahen; sie küm-
merten sich auch nicht um das Wesen der Krankheiten, sondern be-
gnügten sich damit, ihre Erscheinungen zu beobachten, ihre nächsten
Ursachen zu erforschen und die Heilmittel aufeufinden und zu prüfen,
welche zur Beseitigung der Leiden geeignet erschienen. Dabei Hessen
sie sich hauptsächlich von der Erfahrung leiten, und zwar zogen sie
nicht blos die eigenen Beobachtungen zu Rath, sondern auch diejenigen,
welche von Anderen gemacht worden waren und sich im Verlauf der
Zeit zur Geschichte umgestaltet hatten. Bei neuen unbekannten Er-
scheinungen, über welche noch keine Erfahrungen vorlagen, wurde ein
Verfahren eingeschlagen, welches in ähnlichen Fällen erfolgreich ge-
wesen war. Indem man somit den Schluss per analogiam als dritte
Erkenntnissquelle der Erfahrung und der Geschichte anreiht«, vervoll-
ständigte man den sogenannten empirischen Dreifass.
Die Empiriker schenkten ihre Aufmerksamkeit vorzugsweise der
praktischen Heilkunde. Die Arzneimittellehre, die Geburtshilfe und
Chirurgie wurden von ihnen wesentlich gefordert. Die Technik des
St^inschnitts, wie sie Celsus schildert, ist ihr Verdienst. Auch die
ersten Versuche zur Lithothrypsie, welche von Ammonios unternommen
wurden, stammen aus dieser Zeit.^ Die Arzneimittellehre wurde mit
den Werken eines Nikandek und Kbatevas bereichert, der sein mit
colorirten Abbildungen ausgestattetes Buch über die medicinischen Kräfte
dem Könige Mithridates von Pontes widmete. Ausserdem gehörten
Philinos, ein Schüler des Herophilos, Serapion, Glaukias und
Heraklides aus Tarent zu den bekannten Vertretern der empirischen
Sekte. 2
Während die Wissenschaften in Alexandria blühten und gediehen,
wurden ihnen auch an anderen Orten W^ohnstätten bereitet, in denen
sie sich heimisch machen sollten. Die Fürstengeschlechter der Seleu-
ciden in Syrien und der Attaler in Pergamon wetteiferten mit den
Ptolemäem in der Pflege der geistigen Güter. Die Attaler gründeten
sowohl Elementarschulen,^ als Anstalten für Gelehrte gleich jenen in
Alexandria, und ihre Bibliothek war nächst denen des Museums und
> Celsus VII, 26.
' Ch. Dabembebo (Histoire des scienoes mMicales, Paris 1870, T. I, p. 159)
bat die Anhftnger dieser, sowie diejenigen der beiden dogmatischen Schalen zu
Alexandria in chronologischer Reihenfolge neben einander gestellt.
« Th. Mommsen: Rom. Geschichte, Bd. V, S. 334.
geripeiims die berühmteste des Alterthnms. Die O^ncurrenz, welche
ae den Ptolemäern beim Ankauf von Haodschriften machten, führte
im Verbot der Ausfuhr der Papvros-Bläter aus Ägypten, welches;
die indirekte Veraüla&sung zur Ertinduug eines dauerhaften Schreib-
Ullerials gab, nämlich des I^ergametits* dessen Name von Pergamon
itammt Die dortigen Schulen gelangten ebenfalls zu hohem Ansehen
onii brachten Gelehrte hervor, die sich in der Textkritik, Mathematik,
namentheh al>er in der Medicin auszeichneten. Als Mittelpunkt ärzt-
licher Bildung nahm Pergamon lange Zeit eine hervorragende Stellung
b; noch Galen, einer der grüssten Ärzte und Forscher, die jemals
jeleht haben, erhielt hier den ersten medicinischen Unterricht.
Einen traurigen Ruhm in der Geschichte der medicinischen Wissen-
ihaft erwarb sich der letzte König von Pergamon, der geisteskranke
^Italus OL In l^eständiger Furcht, von seinen Feinden vergiftet zu
den, verlangte er, dass wirksame Gegenmittel gegen A>rgiftungen
öden würden, und liess zu diesem Zweck Yersuche unsteüen an
ehern und anderen Leuten, deren er sich entledigen wollte.
,Jlit eigener Hand baute er giftige Gewächse, Biken kraut, Niesswurz,
ling, Stnrmhut und Duryk-nion in den königlichen Gärten und
ite ihre Säfte und Früchto, um ihre Kräfte zu studieren/* ^ Der
(eichen Liebhaberei huldigte ein anderer dieser königlichen Giftmischer,
Ibr mordlustige Mifchridates von Pontos, welcher täglich Gift nahm,
gieh auf diese Weise allmälig an d^^n Genuss ilesselben zu ge-
nen. Diese Versuche, obgleich im Dienste des Wahnsinns und der
llmttivtmkeit untornommon, hatten fin die Heilkiinde den Yurtheil, dass
m einer sorgtaltigcn Prüfung der Eigenschaften und Kräfte mari-
^r Arzneistoffe führten, und die Mittheikmgen der medicinischen
tiren späterer Zeiten tiezeugen, dass sie nicht ohne Krgebniss blieben.
Die wohlwollende Protektion, welche den Wissenschaften von den
en Ptulemäem zu Theil geworden war, verwandelte sich später in
Pichgültigkeit und Misstrauen und machte zuletzt dem Gefühl des
ifiss^ und der Verachtung Platz, Der siebente Ptolemäer vertrieb die
•>lehrten aus Aleiandria und liess die gelehrten Anstalten schliessen.
Als sie spater wieder erolfuet wurden, trugen sie diis Zeichen des
%falls an sich. Die Stellen der Gelehrten des Museums wurden jetzt
Mch der Laune des Fürsten l>esetzt und dienten als Belohnung für
S'luneicheleien unrl niedri^'e Dienste, Für diese Zeit mochte das
Iw^issende Wort des Phliasiers Tiuos berechtigt sein. ,,dass das Museum
em grosser Futterkorb sei, in welchem sich ßücherschmierer mähten,
' Pi.üTAÄrn: Vita Demethi, c. 20.
70 Der jnedmniscfie Unterricht im Alterthum.
die sich um Dinge streiten, die sie nicht kennen".^ Unter der rö-
mischen Herrschaft kam es sogar soweit, dass Athleten zu Mitgliedern
des Museums ernannt wurden.
Die berühmten Bibliotheken wurden theils durch Feuer zerstört
theils von den fremden Machthabem, welche nach Ägypten kamen,
geplündert Ein Theil der literarischen Schätze wanderte nach Italien
und Konstantinopel und diente zur Gründung oder Vermehrung der
Bibliotheken, welche dort geschaffen wurden.
Die letzten Überreste sollen bei der Einnahme von Alexandria
durch die Araber zu Grunde gegangen oder durch die Christen ver-
nichtet worden sein.
Im Jahre 389 wurde der Serapis-Tempel in eine christliche Kirche
umgewandelt, und in dem Serapeum nahmen „sogenannte Mönche ihre
Wohnung, die", wie Eunapios schreibt, „in ihrer Gestalt zwar Menschen
glichen, in ihrer Lebensweise aber Schweine waren".* Er hat dabei
sicherlich nicht Leute, wie unsere hochgebildeten Benediktiner, sondern
schmutzige orientalische Mönche vor Augen gehabt
Die medicinischen Schulen in Alexandria behaupteten ihre hervor-
ragende Stellung auch unter der Herrschaft der Römer und darüber
hinaus und trugen vielleicht wesentlich bei zu dem Aufschwünge, den
die Heilkunst unter den Arabern erlebte.
Die Medioin in Rom.
Die italische Halbinsel bildete Jahrhunderte lang den Schauplatz
erbitterter Kämpfe und Fehden, deren Endergebniss die Unterwerfung
der einzelnen Völkerschaften unter die römische Herrschaft war. Die
kleinen Bauernstaaten, welche allmälig zu dem politischen Gemeinwesen
der Römer verschmolzen, hatten den Künsten und Wissenschaften
geringe Pflege gewidmet, und nur die Etrusker konnten auf Cultur-
Errungenschaften hinweisen, welche die Keime einer erfolgreichen Ent-
Wickelung in sich bargen.
Die Heilkunde zeigte den theurgisch-empirischen Charakter. Ge-
bete, Opferungen, mystische Zaubersprüche und Anrufungen der Gött-er
bildeten neben einigen heilkräftigen Kräutern, deren Wirkung der Zufall
' Athenakos deipnosophist I, p. 11, Basil. 1535, Ed. Bedrotus.
* EüXApios in aedes I, p. 43, nach Parthey a. a. 0. S. 102.
Die Medufin in Ihm.
71
lirt and die Erfahrung bestätigt hatte, die gebmuchlichsteü Heil-
littel, deren man sich bei Krankheiten bediente. Auch be^ass man
I Kenntnisse in der Behandlun^r der Wunden, in dor Stiönng von
ngen und in der HeUung von Knochenhriichen und Verrenkungen.
CA* charakterisirt den Zustand der damaligen Heilkunst treflend
BU: medteina qiwndam paucai*um fuii süienHa herharum
fluens sanguis^ vtUnef'a caircnt.
Ein eigentlicher ärztlicher Stand fehlte, und gute Freunde, barm-
Frauen und treu ergebene Diener leisteten wie zur Zeit H(im£b'$
der Noth die erfurderliche Hilfe.
Die Römer sahen in der Begründung und Erweiterung ihrer po-
litischen Macht die einzige Aufgabe, welche die Kräfte der Xation in
sprach nahm. Ihr gegenüber erschienen die Besehäftigungen mit
[folgen, wie die HeiJknnst, von untergeordneter Bedeutung. Der Inhalt
^r letzteren erfuhr daher l^ei ihnen keine wesentliche Bereicherung,
nd ihre Ausübung blieb in den^^elben Händen, wie bijiher.
Allerdings hätte die Eingeweideschau, welche die Haraspice^ vor-
ahmen, dazu dienen können, das anatomische Wissen zu vermehren;
die^sen Priestern mangelte die ntdhwendige Torbildung, und bei
^n Untersuchungen standen ihnen nicht wisüenschaitliche Ziele, son-
lem mystisch -religiöse Aufgaben vor Augen, welche sie darauf hin-
Absonderlichkeiten zu finden, selbst diirt, wo sie nicht viifhanden
Gleichwohl deuten die zahlreichen Ausdrücke der anatomischen
Vrminolügie,* welche der lateinischen Sprache entlehnt sind^ darauf
dass man die wichtigsten Organe des Korpers kannte und von
üiiiiiiier zu unterscheiden wusste.
Übrigens bestanden nur lose Beziehungen zwischen der Anatomie
der praktischen Heilkunde. Der römische Hausvater* wie er uns
}L, PüRCiiTs Cato entgegentritt, hatte sein Keceptenbucb. aus wel-
er sich bei Erkrankungen seiner Familie, seiner Sklaven und
dere Rath holte, ^ Darin waren ausser manchen abergläubischen
(ormeln allerlei Mittel gegen innere Leiden angegeben und die
Behandlung geschildert., welche bei Verletzungen, Frakturen, Luxationen,
Wun<len, treschwüren. Fisteln. Nasenpolypen u. a, m* eingeschlagen
wenlen sollte. Grossen Werth legte man auf die Diätetik, und einzelne
I—
* Epifif. 95.
* RExf Btiur: Introdaction de hi medediie dans le Lfltiuui et ä Borne in
R^rue ÄTcheol, Paus 1885, j^er. III, T. 6, p. 107. — Jos. Hvrtl: 1>Qom&tO-
lujdft uuttomica. Wieti 1880.
' Plikiub: Hist nat XXIX, c. 8. — Plutabch: Cato majur, c, 23*
Dw medkimgcAe f'mitwrieiä im Aittrtkmm*
litlel, wie der Kohlt staadai ia iukem Ansahoi.^ Auch im
wurde zu dg»rtigep iSwedicai binfig forweiidel^ mid Cato, «dessea
[Togeod^ wie Hoeji^^ schiviM, ^nicht sdlen in katerem Wein erglühti*'',
fviplUil Um IÜ8 KoBiic n fmchirtenen Heilmittelo.
Die pstrisfohalMie Stte^ nadi wddier tler Hausrater zugleich
der Hauasiil wir^ Teradiwand natürlich mil der Entwickelung der Heil-
kunst and bildete «sicherlich ^hon zu Cato's Zeit nur mtch eine Aus
nähme. Die Termehrten Anforderungen, welche an das Wissen nM
Kannen der HeUknndigen gestellt worden, und der Anfschwung d«r
politischen und socialen Verhältnisse rechtfertigten die Bildunj? eiiMa
l»esonderen ärztlichen «Standes, Leider fehlen die historischen Nach-
richten, in welcher Weise sich dieser Prozes« Tollzog. Vielleicht Lalle
das Bedürfiuas einer Terläsalichen ärztlichen Hilfe, welches sieh in im
häufigen Kriagesögm der Kömer kundgab. Einäuss darauf? —
In den ältesten Zeiten pflegten die Soldaten einander gegenseiU}
zu verbinden und fahrten zu dies^em Zweck Verbandstücke mit sich*
Jeder betheüigte sieh an der Pflege der Verwundeten;^ aber die knU
liehe Hilfe, welche ihnen zu Theil wurde, s^cheint unzureichend gewe««i
zu sein, üo dass z. B. nach der Schlacht bei Sutrium (S09 v. Chr,'
mehr Krieger ihren Verletzungen nachträ^jlich erlagen, ak von im
Feinden getödtet worden waren.* |
Doch steht es fest, dass zu jener Zeit in R<»m die Heüktmst \^
rdts beru&mässig ausgeübt wurde. Es wird dies nicht blos durch im
■SSeugniss der Autoren des Alterthumi;/ welche bei verschiedenen GeJ
legenheiten der Arzte gedenken, sondern auch durch mehrere That^sichen
in überzeugender Weise bewiesen.
Die Lex Af/uiha machte den Arzt, welcher einen Sklaven nach di
Operation vemachlässigt hatte, so dass dadurch de^en Tod herbeigefüh:
worden war, dafilr verantwortlich.** Plctabch' erzählt, dass sich 1
einer Gesandtj<cbaft, welche die Romer nach Bithynien schickten, eiü^
Mann befunden habe, an welchem die Trepanation mit glücklichem
Erfolg ausgeführt worden war. und schon in den zwOlf GesetzestatV'ln:
des Numa ist von Zahnen die Rede, welche durch Goldfaden kiinstU.
mit einander verbunden waren.**
Dagegen behauptet PuNTrs** freilieb, dass Rom viele Jahrhun
LStUj^
» Od. IIL 21, Ad ainphoram.
* Pujrnre: Hif*t. nat XX, e. 83.
• Tacitüs: AnoaK IV, 63.
« L1VIU8 VIll, 3*J- L\% 32. X, 85. XXX 34.
* DioN. Haucabs, I, 70. X, 53. — Livn s XXV, 26,
• Indtitut IV, tit, 3. § 6 u, 7. * ' Cato m«gor, c. 9.
' Cicero: de l^. II, 24. " PLnsirs: Hist. iiat XXIX, 5.
Die Medicin in Rom,
73
lorch der Äizte, wenn auch nicht der Heilkuast (aim medimä^ nm
me metiieina), entliehrt lialie. Aber er wollte damit nur sagen,
es in Rom l>ls zur Einwanderung der griechischen Arzte» von
er bald nachher spricht, keine Leute gab, welche den Xamen
fou ißt^n verdienten^ und l>emerkt dabei, das« man der griechischen
ieilkunst mit freudiger Begierde entgegengesehen habe, aber nachdem
üie kennen gelernt, davon enttäuscht ^ei {medioiuae rrro etiam
Midm^ doneö lacpeirlam.damfmni); er verbessert sich indessen später,
indem er mgi. dass damit nicht die Sache selbst, sondern die Art, wie
5ie betrieben wurde^ gemeint sei**
Der griechische Einlluss hatte sich iji Rom geltend gemacht, längst
\0Of mmi mit den wissenschaftlichen Errungenschatlten der griechischen
Arte bekannt wurde: und es ist l*ezeiohnend fiir die Denkwiise jener
Zät, das6 er sich zuerst auf dem Gebiet der religiösen Mystik kundgab.
SehoB in früher Zeit nahmen die Römer bei schweren Epidemien ihre
Zuflucht zu den Orakeln und Heilgottheiten der tlriechen, welche neben
den heimischen Göttern verehrt wurden. Dem Apollon als Arzt wurde
\m duer Seuche, die im 5, Jahrhundert v, Chr, in R<mi wüthete, ein
I«mpel gewidmet* L J. 291 v. Chr. wurde der A^klepios-Dienst von
Epklaaros nach Rom verpflanzt: eine Thatsache» welche dichterisch ans-
chniuekt, von verschiedenen Schriftstellern dargestellt und sogar von
bildenden Kunst verherrlicht worden ist^ L J. 154 n* Chr. wurde
Born ein Cdkgium Ätsmdapii ei Ht^ieae errichtet, dessen Stiftungs-
Trkunde sieh in einer im Garten des Palais Palestrine gefundenen
jüschrift erhalten hat*
Als Ram nach den punischen Kriegen zur Weltmacht emporwuchs,
liehe die Hen^chaft über das Jlittelmeer und die dasselbe l>egrenzenden
oder mit Erfolg anstreben durfte, nahm die Einwanderung von
«mden in bemerkenswerther Weise zu. Wer durch Geburt, Yer-
mügen, Talent oder Wissen seine iMitliürger überragte, ging nach der
Tiberstadt, weil er hier am ehesten hofien konnte, seine Vorzüge zur
»^Itung zu bringen. Dazu gesellte sich eine Schaar von Abenteurern,
' Virnn» a. a. O. XXIX, 8. * Livtuj* IV, 2b. 2». VII, 20* XJ*, 51.
• Yaler, yiAxiM. I, 6. 8. — Uxira X, 47. XXIX, 22. - Ovit.: Metam. XV,
V, 626—744, — Pamüfka: Asklepios und die Asklepiaden, BerUti 1840, S. 52 u.
Tifd n, 3, — BöiTniKR in K. Sprknokls Beitrftgen z. Gesch, d. Med., Halle
1795. I, 2. 8, 163 II. ff.
* SfoK: Recherchea curiouses d'antiiiuiti'', Lyon 1683, p. H26— 340, und wieder
abg»>Jruckt bei J. Kosenbacm: K. Sprengcsrs Versuch einer Geac hiebt e d. Arznei-
kurwle, IjeipÄig IH4H^ 8. 20« Anm., und G, Pinto: Storia dellh medictna in Rom<i,
74 Der medidnitfche UnterricJit im Alferthum.
welche ihr Glück suchten und dabei weder Mittel noch Wege scheuten,
wenn sie zum Ziele führten, sowie jene namenlose Menge von Sklaven,
die von reichen Römern aus der Ferne bezogen wurden, um den er-
höhten Luxus zu befriedigen. Der vermehrte Sinnengenuss hatte neue
Laster und neue Krankheiten im Gefolge, gegen welche man bei fremden
Ärztin Hilfe suchte.
Das grösste Contingent zu der Einwanderung der Fremden stellten,
wie bisher, die Griechen, deren Sprache und Cultur in Bom massgebend
wurde. Nichts kennzeichnet die Bedeutung, welche der Hellenismus
dort erlangte, mehr, als dass selbst Cato, der Verächter des Griechen-
thums, sich bewogen fühlte, dessen Sprache und Literatur zu ,'studieren,
und dass derselbe Feldherr, Lucius Aemilius Paulus, welcher die Griechen
auf dem Schlachtfelde besiegt«, seine Kinder von griechischen Lehrern
erziehen liess. Nur auf politischem Felde, nur im Kampfe der Waffen
erlagen die Griechen den Römern; im Wettstreit der Geister blieben
sie die Sieger.
Graecia capta ferum victorem cepit et artes
Intiilit agresti Latio. *
Die mächtigsten Veränderungen erfuhren dadurch das Bildungs-
wesen und die Heilkunde in Rom.
Die bewunderungswürdigen Erfolge, welche die letztere den Griechen
verdankte, machen es begreiflich, dass man bestrebt war, sich ihr Wissen
und ihre Geschicklichkeit auf diesem Gebiet nutzbar zu machen. Die
griechischen Ärzte wurden in Rom gesucht, und ihre römischen Col-
legen mussten aus der medicinischen Literatur der Griechen Fach-
kenntnisse sammeln, wenn sie im Kampfe ums Dasein nicht zu Grunde
gehen wollten. Die rünusche Heilkunst, soweit sie auf nationalem
Boden entstanden war, ging in der griechischen Heilkunde auf und
liess nur, wie alle niederen Cultur-Elemente, wenn sie den höheren
unterliegen, in der Tradition des Volkes ihre Spuren zurück.
Die berufsmässige Heilkunst in Rom war fortan griechisch. Ihr
Inhalt stützte sich auf griechische Schriften, und ihre hervorragendsten
Vertreter gehörten der griechischen Nation au. Dieses Übergewicht
erhielt sich bis in das späte Alterthum. Die Römer haben es auf
diesem Gebiet eigentlich niemals zu einer geistigen Selbstständigkeit
gebracht, und ihre besten medicinischen Werke besitzen nur den Werth
compilatorischer Zusammenstellungen, zu denen die Schöpfungen des
griechischen Geistes als Vorlage dienten.
* HoRATirs: Epist. I, 1, v. 150.
Die Mßdioin in Bmn.
75
Die ersten ^echisohen Arzte, welche in Rom einwanderten^ waren,
fie es scheint nicht gerade die ehrenwerthesten Mitglieder ihre^ Standes.
iend durch ihr fremdartis^es Wesen und dnrch jenen Znp: von
itÄnerie, wekUer ihrer orientalischen Heiniath eigunthümlich, al»er
gtrengen Sitten der Römer ungewohnt war, machten sie sich bahi
h HaiKsncht und Prahk^reien verachthi-h und verlujsst. Sirherhrh
iO nur Wenige von Begeisterung für die Heilkunst und Liehe zu
Hessehen erfüllt: die Meisten trieb die Sucht nach Reichthum und
asf< ans der Heiumih in die Fremde, Die schweren Ankiogen,
Iclie (^ATo ge^en sie richtete, waren, wenn auch ül>ertrieiien. doch
ht v^hne alle Berechtiguni?, ^
Der aus dem Pehjponnes stammende Arzt Ai^chaoathos (ein gut*^r
\\ welcher um d. J. 219 v. VA\i. nach Rom kam, lenkte zuerst
öffentliche Auftnerfcsanikeit auf sich* Seine chirurgischen Operationen
solches Aufsehen, da.ss der Senat ihm da*^ römische Bürger-
^ht verlieh und auf Kosten der Gemeinde eine Ofücin in einem he-
jeblen Theile der Stadt kaufte. Aber seine Lust .,am Schneiden und
Brenoen% vielleicht auch manche Misserftilge, die er bei seinen Opera-
vmm hatte, muhten ihm bald das Vertrauen der Bevölkerung, und
mm sagte, dass er kein Wundarzt, sondern ein Henker {camifej} sei.^
Eine hervorragende Stellung erlanyt^ später der bithynische Arzt
AsTCLEPiADES, Welcher zur Zeit de** Pompejns nach Rum üliemedelta
Im Besitz einer gründhchen AUgemeinhüdung, ausgestattet mit unge-
wöhnlichen Gaben des Geistes, einem scharfen, durcbdringenden Ver-
Hgnde und einer reichen Lebensertahrung, erhob er sicli bald über den
TroK der gewöhnlichen Ärzte. Seine feinen gasellschut'tlichen Manieren,
^m sicheres weltmännisches Auftreten in Verbindung mit seinem
K ' ■ ' nt, welchas seinem masslosen Selbstbewusst>ein die geeignete
ir lg zu gehen wusste, verschaflten ihm den Zutritt in den vor-
nehmsten Kreisen Roms und die auszeichnende Freundschaft von Män-
KMm wie Cicero, L. Crassus, Marcus Antonius ü, A. Konig Mithridates
^■to.ite ihn durch Versprechungen an seinen Hof zu ziehen, musste sich
^Hbtr. da Asklkpiades diese Einladung ablehnte, mit der Übersendung
^■Sner Schriften begnügen. AskiJ'^pjadI'^^ zog es v*>r, in Rom zu bleiben,
Kru er gi*08se Reichthymer gewaim und verehrt wurde „wie ein Ab-
k'e^andter des Himmels**.
Kr verstand es voilrefflich , die hohe Meinung, welche man von
iliRi hatte, zu erhalten und wenn möglich noch zu crhnhen, und ver-
'«^hmähte zu diesem Zweck kein Mittel, Sa rief er einen Menschen,
PuNf
i ► XXIX, r>, 7. S.
^ \\m\m a.a.O. XXIX. i.
76 Der medidnische Unterricht im Alterihmn.
dessen Leichenbegangniss man gerade feiern wollte, ins Leben zurück.
Mit marktschreierischer Grossthuerei erklärte er, man möge ihn nicht
für einen Arzt halten, wenn er selbst jemals krank werde; and der
Tod war so gefallig, ihn nicht zu desavouiren, denn er starb durch den
Sturz von einer Leiter.^
Wie alle Leute dieser Art, läugnete auch Asklepiades jede AutoritÄt
und glaubte nur an sich selbst Er verwarf die dogmatischen Lehren
seiner Vorgänger und schuf selbst ein medicinisches System, das sich auf
die Atomenlehre der Epikuräer gründete, wie sie dieselbe von Demokbit
und in etwas modificirter Form von Heeaklidbs, dem Pontiker, über-
nommen hatten. Er lehrte, dass der menschliche Körper zusammen-
gesetzt sei aus formlosen, beständigen Bewegungen und Veränderungen
unterworfenen Atomen und zwischen ihnen gelagerten Hohlräumen,
welche die Bewegung der Säfte, sowie die Empfindung vermitteln.
Aus der Beschaffenheit und Lagerung der Atome und ihrem Verhältniss
zu den Hohlräumen leitete er Gesundheit und Krankheit ab.* Die
menschliche Seele erschien ihm als das Ergebniss der Sinnesthätigkeit
Er sagte, dass sie wie ein Hauch sei, der alle Theile des Körpers
durchdringe, und keineswegs in einem bestimmten Organ ihren Sitz
habe: eine Äusserung, welche den Kirchenschriftsteller Tebtüllian' zu
abgeschmackten Witzeleien Anlass gegeben hat.
Die materialistLschen Ideen, welche zur gleichen Zeit einen beredten
Vertheidiger in dem Dichter Lucrez fanden, hatten unter den Männern
des Fortschritts viele Freunde und Anhänger. Asklepiades suchte sie
mit der Moralphilosophie der Stoa zu verbinden, damit sie bei den
spiritualistisch angelegten Naturen keinen Anstoss erregten. Auf diese
Weise sicherte er seinen Lehren den Beifall und die Bewunderung der
gebildeten Laien, während die Ärzte durch die Vorzüge, welche sie vor
der Humoralpathologie hatten, gewonnen wurden.
Die einseitige Berücksichtigung der Säfte-Theorie in der Physio-
logie und Pathologie der Hippokratiker konnte die denkenden Ärzte
nicht befriedigen. Es leuchtete ihnen daher ein, als Asklepiades auf
die KoUe hinwies, welche dabei die festen Theile des Körpers spielen.
Er hat sich dadurch ebenso wie durch die Einführung des Materialis-
mus in die Medicin um die Entwickelung dieser Wissenschaft grosse
Verdienste erworben.
1 Plinius a. a. 0. VII, 37. XXVI, 7. 8. 9. — Cicebo: de orator. I, 14. —
xVpulejus: florid., c. 19. — Sext. Empir. ad logic. dogm. I, c. 91., ad mathem.
IV, c. 113 u. a. m.
* Cael. Aurelianus: de acut. I, 14. 15.
^ Tertüllian: de anima, c. 15.
DU Ähdicm in Rom.
11
Seine therapeutischen Grundsätze gipfelten in dem Satze, daas der
Irit darnach trachten müs^e, den Kranken raj^ch. sicher und auf eine
tL't'iiehme Art ge^sund zu maehen. Er bek.^mpfte den ilis^sbrauch,
eichen die Ärzte seiner Zeit mit drastischen Purjij^antien, mit Brech-
uttehi und schweisstreibenden Verorckiungen trieben, und empfahl statt
neben einer strencren Regelung der Diät vorzugsweise aetive und
ve Bewegungen des Körpers, Abreibungen, Bäder, den (jenuss des
dten Wassers, KI3 stire u, dgl. m. Um Schlaf zu erzeugen, liess er
l£ninken in Hangemarten legen, welche in sanfte schaukelnde Be-
ug versetzi wurden. Bei der Bräune rieth er, wie schun Andere
ihm, die Tracheot^mie vorzunehmen.^
Die Lehren des Asklepudes wurden von seinen Schnlern imd
iDhängem weiter ausgearbeitet und bildeten die Grundlage für die
(tliche Sekte, welche die methodische genannt wurde. Der eigent-
iek Begründer derselben. Th^mtsox aus Laodicea, ein Schüler des
ilssLEPiADEs. unterzog sich <ler Aufgabe, die Natur-Philosophie seines
dem Ver^tanduiss luid den Bedürfhissen der praktischen Ärzte
Bznpassen, Er Siigte, dass die Krankheiten entweder den f'harakter
Spannung, d. h. der Reizung oder der Erschlafl'ung oder einen aus
iriden HjEfenschaflen gemischten Zustand zeigen, indem die Sekretions-
keit der Organe entweder herabgesetzt oder gesteigert oder zu
edenen Zeiten verändert erscheine.* Die den verschiedenen
Krankheiten gemeinsamen Charaktere wurden Communitäten genannt,
oDd ihre Bekämpfung durch Mittel welche eine entgegengesetzte Wir-
ktmg besitzen, als der Zweck der ärztlichen Behandlung hingestellt.
Die Methodiker beschränkten sich auf die Betrachtung der allge-
nimen Erscheinungen der Krankheiten; den Sitz derselben und ihre
UfHachen zu erforschen, hielten sie für ül»erflüssig und wohl auch für
Aussichtslos, Sie beschäftigten sich hauptsächlich mit der Semiotik und
Therapie und schenkten vorzugsweise den Fragen der praktischen Heil-
kuast ihre Aufinerksamkeit.
Ihre Lehren waren so einfach und leicht zu begreifen und so be-
unein in der Ausfuhning, dass sie bei der grossen Menge der Ärzte
kreitwillig Auftiahme fanden. Aber Denjenigen, welche wissenschafl-
licbe Interessen hegten, konnten ihre Mängel nicht entgehen. Die
01>erflkhlichkeit der Alles nach einer vorgeschriebenen Schablone
f«Der»lisirenden Communitäten-Lehre, welche nicht blos die Fragen der
winiBikschaftlichen Theorie unbeantwortet liess, sondern selbst für die
» CitLBtT« n, U. lll, 4. l\, 19. — Cael. AiTBEL.: de acut. 1, 15. III, 4. 8.
- Ptnrruö: Hist. nat. XXVI, 7. H. 9.
* Celscts: l^Äef,
Pmxi^ iinmreichend erschien, morste sich mit der Zeit ehens^^ unliult-
■^nr «rwL'isen, iih ihr iinmfer Mut^rialtsmasp der in der iSynkrisp <1<*r
^Hktuiiie diö Ltjsim^' d<*s Kat1isi*l< *lr^ organischen Lf*lirn> ^/i^funilkn
PBmhen glaubte.
" Ük* Eiri'^irhtigfn wiuidton sich daher einem EkleküCLsum.-. lu,
. die Kiemen teil lidire und 4.juaiitat4?ntheorie der griechischen Naturp
I iophen mit dem Htimorismos der Hippokratiker nnd der Bolidarpi
" loirie der methodischen Schule zu vereinigen und durch die Animhi
des Pneuma, eines den Körper erfüllenden und ihn beherrscheniiea
^eiHtigen Elementes, eine wesentliche Lücke der verschiedenen medi-
(Muischen Systeme zu ergänzen versuchte. Die Lehre vom Pnpiimi
war keini^üiwegs neu; yie wurde schon in den Hippokratischen Sclmft<»n
ange<ieutet, von den Peripatetikem rtunfilhrlicher erörtert, von Eha^i*
HTRATos zur Erklärung mancher Vorgange im mensehtichen t)riranisni[ijs
verwendet und später durch die HUm wieder in den Vordergrund g^
drangt. Einige Ärzte, wie z. B. AxHENAErs aus AttAÜa, schrieben dem
Pneuma eine so hervorragemle liolle zu, dass man sie als Pneumatiktr
I bezeichnet hat,
l Jn der arztlichen Praxis stellten sich die Eklektiker auf den BuJen
der That8achen und sMhen in der Erfahning die einsige und siclieMe
Picht,^idinur ihre« Handelns. Aher sie standen der wissenschaftlicben
Forschung ninht, wi«^ die iMethodiker oder die Eujpiriker. gleichgülti|f
uder gar feindselig gegenüher, sondern l)egünstigt^n dieselbe und fe
dert^^n sie seihst auf fi eUieten, wie z. B, die Auiitoniie und Phy^ioli
4leren Nutzen für die arzMitdie Praxis nicht sofort erknnnhar war.
Uer Eklekticisinus wurde in wirksamer Weise vorbereitet und ein-
areleitot durch die Schriften der Enevklopridisren, welche Alles, waü m
^den varangi*gungenon Culturperiiideii auf den einzelnen Gebieten i^
eistigen StrebeuM geleist^et worden war, zu8animen stellten. Netei
Mer PhünHuphie und Gesi-hlchtc» der Politik» Kriegswissenschaft., Geo-
graphie, den Natur Wissenschaften, der Ijandwirthschaft, Malerei Ußd
Bildhauerkunst u. a. m* zogen sie auch die Medicin in den Kreis der
Betrachtung. Ihre Schriften über diesen Gegenst^ind Imngen eine
ttbersicht fies gesammten medicinischen Wissens jener Zeit und sind
^■ttu %o werthvidler, als sie eine Menge von Auszügen aus ärztlichen
Werken enthnlten. welche verloren treganj^en sind* Die liekanntest^n
Hncyklopiidisten waren M. TEKKNTn^s Vakrh, A, CoitNELiuH Cp.iibrs
und der ältere pLnntJH. Der Letztere benutzte zu seiner Naturgeschichte
nicht wenijjfer wh 2tHH> Bücher, wie er seHist er/ilhlt,* und CkIjSUS
^ PuNiüs li. a. «I. If firaef.
^Tt in seinem medicimsclien Werk, welches sic^h durch die Eleganz
^Dan^t^lhing wie durch die Classicität der Sprache den besten Er-
lungen der römischen Litemtiir ansehlie!>j?it, eioeti wenn auch
chen Ersatz für eine jLrrosse Anzahl von medicinii^chen Werken
; Alexandrinischen Periode, die uns ein neidisches Geschick ge-
bt hat.
Der Eklekticismus entwickelte sicli zmii iebenafrischen Organismus^
her die Vorzüge der übrigen medicinischen Systeme in sich ver-
ohne deren Mängel und Fehler zu besitzen. Festhaltend an
TraditiuneD der Vergangenheit, aber frei von jener schulmeister-
en Pedanterie, welche das Heraustreten huü; den gewuhnten Ueleisen
[fin frevelhaftem Wagnifis betrachtet, war er ganz geeignet, die
thatigkeit des Einzelnen zu tordem und den Fürtschritt der
Dhatt zu ermöglichen. Der Eklekticismus war ein Bedürfniss
tmd eine Nothwendigkeit für die Heilkunde, wenn sie nicht in roher
pine oder einseitigem Methodismus verflachen wollte. Es war daher
lieh, dass er die Herrschaft in der Medicin erlangte. Die Ärzte
sich ihm mit Begeisterung an, und die medicinische Literatur
^fine eklektLsche Färbung.
Aach die Lehre Galen\s welche durch ein und ein halbes Jahr-
lend der Welt als höchste und fast antehllnire Autorität in medi-
chen Dingen galt, war ursprünglich nichts Anderes als ein ge-
»lier Eklekticismus* Freilich errang sich dieselbe durch die
.rhopferiÄche Kraft ihres Begründers, welcher der medicinischen Wissen-
*'haft eine Fülle von Thatsachen erschloss und ihr neue Buhnen er-
Jfejete, bald die Selbstständigkeit und gestaltete sich zum abgesclilossenen
(t.u^EN wurde i. J. 131 n. Chr. zu Pergamon, dem einstigen
JeriKhersitz der Attaler, geboren. Sein Vater, der Architekt Nikon,
ein vielseitig gebildeter Mann, der sehr gründliche Kenntnisse in
Mathematik, Physik und den Natnrwissenscliaften besass: er über-
^aehte mit liebender Sorgfalt die Eniehuog seines Sohnes und sorgte
dass derselbe von ausgezeichneten Lehrern unterrichtet wurde.
einer vortreffliehen Vorbildung ausgestattet, begann (talek im
17. Lel>ensjahrc die medicinischen Studien. Er besuchte zunächst die
medicinische Schule seiner Vaterstadt, an welcher der Anatom SATYBr«,
ein Schüler des QriNTus, der Hippokratiker STRAXONicrs, der Empiriker
Aeschbion u. A. wirkten. Nach dem Tode seines Vaters, welcher vier
Jähre später erfolgte, verliess er Pergamon und begab sich nach Smvma,
m dort unter der Leitung des PEiiOPft, eines berühmten Anatomen,
des Plat^mikers Albixits seine Studien fortzusetzen, und drinn uach
80 Der niedicinisclie UfUenicJit im Alterthum,
Korinth, wo er einen anderen bedeutenden Anatomen, Numbsianüs,
hörte. ^ Hierauf durchreiste er Kleinasien und Ägypten, hauptsachlich
zu dem Zweck, um seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse zn ver-
mehren und zu befestigen. In Alexandria^ dessen medicinische Schulen
unter allen Anstalten dieser Art den ersten Bang einnahmen, blieb er
bis zum 28. Lebensjahre. Mit grossem Eifer widmete er sich den ana-
tomischen Untersuchungen, zu denen ihm hier mehr Gelegenheit ge-
boten wurde, als an irgend welchem anderen Ort.* Gleichzeitig suchte
er auch in den übrigen Zweigen der Heilkunde sein Wissen zu er-
gänzen und zu läutern. Alexandria war mit Heilkünstlem überfüllt^'
und es gab wohl kein medicinisches System, keine Heilmethode, die
nicht unter den dortigen Ärzten ihre Anhänger und Vertheidiger hatte.
Nirgends konnte der Studierende der Medicin so viel sehen und lernen,
als in Alexandria. Deshalb kamen die jungen Ärzte hierher, wenn sie
sich in ihrem Fach vervollkommnen wollten. War es ja doch noch in
späterer Zeit die beste Empfehlung eines Arztes, in Alexandria studiert
zu haben.*
Reich an Kenntnissen kehrte Galen in seine Heimath zurück und
übernahm die ärztliche Behandlung der Gladiatoren und Ringkämpfer.
Aber die kleinlichen Verhältnisse seiner Vaterstadt und ein Aufruhr,
der dort ausbrach, veranlassten ihn, nach einigen Jahren nach Rom
zu übersiedeln. Um hier bekannt zu werden, hielt er öffentliche Vor-
träge über den Bau und die Funktionen des menschlichen Körpers.
Das Interesse an dem Gegenstände und die Sachkenntniss des Redners
zogen bald ein zahlreiches Publikum an, das sich aus den vornehmsten
Kreisen der Hauptstadt zusammensetzte. Unter seinen Zuhörern be-
fanden sich Männer in einflussreichen Stellungen, wie die Philosophen
Eudemus und Alexander von Damaskus, der Präfekt Sergius, die Consuln
Boethus und Severus, der später den Thron bestieg, und Barbarus, der
Onkel des Kaisers Lucius. Auf diese Weise gelang es Galen, in kurzer
Zeit eine einträgliche ärztliche Praxis zu erwerben.
Aber der Neid und die Eifersucht seiner Collegen und andere
widrige Verhältnisse verleideten ihm den Aufenthalt in Rom. Er begab
sich daher wieder auf Reisen und besuchte verschiedene Theile Italiens
und Griechenlands, die Insel Cypem, Palästina und seine Heimath
Pergamon. Schon ein Jahr später wurde er von den Kaisem Lndus
A^erus und A. Marcus Aurelius nach Aquileja berufen, um sie in dem
* J. Ch. Ackekmann: Vita Galeni in Galeni opera. Ed. Kühn, T. I (Ein-
leitung), führt die Belegstellen dazu an.
* Galen H, 220. ' Fülqentiüb: Mythol. I, p. 16.
* Amxian. Marceil. XXH, 16.
Die Medicin in Born. 81
Feldzuge gegen die Germanen zu begleiten. Der Tod des Ersteren gab
G.UiEN eine andere Bestimmung; er blieb in Rom und wurde zum
Leibarzt des jungen Thronfolgers Commodus ernannt.^ Wie lange er
dieses Amt bekleidete, ob und wann er später in seine Heimath zurück-
kehrte, ist nicht bekannt Ebensowenig weiss man, wann und wo er
gestorben ist Wie Suedas berichtet., soll er das 70. Lebensjahr erreicht
haben; sein Tod erfolgte also nicht vor dem Jahre 201 n. Chr.
Wenn das Leben Galen's an dieser Stelle ausfuhrlich erzählt
wurde, so rechtfertigt sich dies nicht blos durch die ausserordentliche
Bedeutung, welche er für die Heilkunde erlangte, sondern hat zugleich
den Zweck, an einem hervorragenden Beispiele zu zeigen, wie sich zu
jener Zeit der Bildungsgang tüchtiger Ärzte gestaltete.
Galen war ein erfahrener geschickter Arzt, gelehrter Forscher,
iresuchter Lehrer der Medicin und ungemein fleissiger Schriftsteller.
Seine literarische Fruchtbarkeit geht aus der Menge seiner Schriften
hervor, welche in der KüHN'schen Ausgabe 21 Bände fiillen, von denen
jtKier ungefähr 1000 Druckseiten enthält Allerdings befinden sich
darunter manche Werke, welche ihm fälschlich zugeschrieben worden
<ind; dafür fehlen aber in der Aasgabe eine grosse Menge von ihm
verfasster Arbeiten, welche theils verloren gegangen, theils nur in
tbersetzungen vorhanden und noch niemals dem Druck übergeben
worden sind.
Galen's Schriften behandeln die Philosophie, Anatomie, Physio-
logie, Arzneimittellehre, praktische Heilkunde, Chirurgie, Gynäkologie,
Geschichte der Medicin u. a. m. Sie führen dem Leser Alles vor, was
auf diesen Gebieten geleistet worden war, und zeichnen, wie die Hippo-
kratische Sammlung, ein Bild des Zustandes der Heilkunde ihrer Zeit,
dessen Einzelheiten auf die fachmännischen Kenntnisse der Ärzte ebenso
wie auf ihre socialen Verhältnisse manches Licht werfen.
Auch der medicinische Unterricht wird darin an mehreren Stellen
berührte Derselbe entwickelte sich in strenger Abhängigkeit von den
(reschicken der Heilkunde überhaupt Sein Inhalt und seine Richtung
wurde durch den Fortschritt der Wissenschaft und die herrschenden
Systeme, seine Form durch die äusseren Verhältnisse des ärztlichen
Standes bestimmt
» GAI.KK XIV, 648 u. ff.
PUKBMAJiy, ÜDttRiellt.
82 Der medicinische Unterricht i»i AUerthvm,
Der medicinische Unterricht in Rom.
In den ältesten Zeiten der römischen Geschichte gingen die me-
(licinischen Kenntnisse vom Vater auf den Sohn oder einen Verwandten
und Freund über. Die persönliche Unterweisung des Schülers durch
den Heilkundigen blieb auch später die häufigste, wenn nicht einzige
Form des medicinischen Unterrichts.
Als die griechische Heilkunst nach Rom verpflanzt wurde, erhielt
der medicinische Unterricht mit dem aus der reichen medicinischen
Literatur der Griechen entnommenen Inhalt auch die äussere Gestalt,
welche er in Griechenland hatte. Die nach Rom eingewanderten
griechischen Ärzte traten dort als Lehrer ihrer Kunst auf und führten
die Einrichtungen ihrer Heimath ein.
Wie in Griechenland, so war auch in Rom die ärztliche Praxis
ein freies Gewerbe, dessen Ausübung Jedem gestattet wurde, welcher
die dazu erforderliche Befähigung zu besitzen glaubte. Es gab keine
gesetzlichen Vorschriften, welche das Bildungswesen der Ärzte regelten.
Sie erwarben die fachmännischen Kenntnisse, wie und wo sie wollten.
Hire Ausbildung war daher sehr ungleich.
Der ärztliche Stand vereinigte Elemente in sich, welche in Bezug
auf ihr Wissen sehr verschieden waren; neben Männern, welche ihm
zu jeder Zeit zur Zierde gereicht hätten, enthielt er auch Leute, welche
weder von der Heilkunde noch von anderen Wissenschaften etwas ver-
standen. Mit Recht klagte Plintus^ darüber, „dass man in Rom
Jedem, der sich für einen Arzt ausgiebt, Glauben schenkt, obwohl
gerade hier die Lüge die grössten Gefahren im Gefolge hat" „Leider
giebt es kein Gesetz", schreibt er femer, „welches die Unwissenheit der
Ärzte bestraft, und Niemand nimmt Rache an ihm, wenn durch seine
Schuld Jemand zu Grunde geht. Es ist ihm erlaubt, auf unsere Gefahr
hin zu lernen, mit unserem Tode Experimente zu machen und, ohne
Strafe befürchten zu müssen, das Leben eines Menschen zu vernichten."
Jünger der Heilkunst, welche ihrem Beruf Ehre machen wollten,
waren natürlich bestrebt, sich gründliche Kenntnisse in ihrem Fach zu
erwerben. Sie bereiteten sich dafür durch philosophische Studien vor,
welche zugleich ihre Allgemeinbildung vervollständigten. Galen*
schrieb eine Abhandlung über die Nothwendlgkeit, dass der Arzt Bil-
dung des Geistes und Herzens besitzen und mit einem Wort ein Phi-
losoph sein müsse.
* PuNius: Hist nat. XXIX, 8. » Galen a. a. 0. I, 53—63.
Zu Cäto% Zeit umfassta die ÄllgemeinbildoDg ausser der Rechts-
Itimde* der Kriegswissenschiift und Lundwirth^tiiaft auch die Medicin,
'] also in einer encjkiojiädischen Übersieht iw wichtij^sten. für
,,,i. inaktlselie Leben brauchbaren Diii^e,
Ab mit der Verpftanzang der prriechischen ( 'ultur der Kreis dieser
Wissenschaften derarticir erw^it^rt wurde, dass ihre Kenntniss den Fach-
t 'nTn vorbehalten werden ninsste, erfuhr der Begriff der AUsremein'
i: eine nothwendige Einschränkung. Die Uoterrichtsgegenstände,
welche in den Schulen gelehrt worden, bestimmte da^^ Bedurfniss
rmd die Gewohnheit. Der Elementarst ufe entsprachen das Lesen,
sshraben and Rechnen. Hierzu kam seit den punischen Kriegen für
(üe Forgeschrittenen Schüler, welche eine höhere Bildung zu erlangen
- >. ,, ^^^^ Studium der griechischen 8pniche und Literatur nebst
^ lateinischer Werke, womit der Unterricht in der freschichte,
IftHfraphie, Astronomie^ den Naturwissenschaften, der Philosophie, Musik
iiÄd «nderen Fächern verbunden wurde. Einen akademischen Charakter
tragen die Rhetorenschulen, in welchen strebsame Jünglinge die Dia-
kltik und die Redekunst erlernten,^
Medicinische Lehranstaltt^n in unserem Sinne kannte das Alterthum
icht Der arztliche Unterricht wurde überall nur von einem einzigen
brer ertheilt, w^elcher seine Schüler mit allen Theilen seiner Wissen-
bekannt machte. Selbst wenn mehrere Lehrer der Reilkunde
einem (Jrt wirkten, fehlte doch, wie es scheint ein organisatorisches
n4 das sie zu gemeinsamer Thätigkeit vereinigte,
WiÄs>»egierige Schüler begnügten sich nicht damit, einen einzigen
zu hören, sondern suchten noch andere Ärzte auf, um auch
Ansichten und Erfiihningen kennen zu lernen,
Anfangs war der medicinisehe Unterricht ledigli(*h Privat^iche.
Alexander Severus (225 — 235 n. Chr) setzte den Lehrern der
Hedkunde Besoldungen ans und überwies ihnen oöentliche Hörsälej
^gie freilich die Verpfüehtung übernehmen mussten^ arme Studie-
die vom Staat unterstützt wurden, unentgeltlich zu unterrichten.'*
Constantin forderte die Ärzte auf, recht viele Schüler in ihre Wissen-
^ 'Mnzu weihen, und verlieh ihnen dafür manche Vorrechte.^ Doch
-LL.i^en sich später vorzugsweise die Archiatri oder solche Ärzte,
^ J. MAmirARinr: Das Privatleben der Römer im Handbueh der römbcheu
AltCTthamer, Leipzig 1879, Bd. VII; S. 90 u. ffl ^
* LAMFKr&ji;s: Alexander SeveruSf c. 44.
' Cod. Theod<>8., Hb. XHI^ tit. 8, quo faeilius liberalibus Jttudns «/ memo-
\fuHt ariibus mulUm iristituani.
6*
84 Der medidnisohe Unlerricht im Alterthum.
welche das Amt eines Archiaters bekleidet hatten, der Lehrthätigkeit
gewidmet zu haben.
Der medicinische Unterricht wurde entweder gegen Honorar oder
unentgeltlich ertheilt.^
Die Dauer der Studienzeit war verschieden und richtete sich nach
den Fähigkeiten, wissenschaftlichen Bedürfiiissen und Geldmitteln des
Studierenden. Während Galen, wie erwähnt, den medicinischen Stu-
dien 11 Jahre widmete, versprach Thessalus, ein Anhänger der me-
thodischen Sekte, der sich durch sein charlatanähnliches Auftreten be-
kannt machte, seine Schuler, welche noch kurz vorher als Köche, Färber,
Wollspinner, Flickschuster, Weber oder Tuchwalker gearbeitet hatten,
binnen 6 Monaten zu Ärzten auszubilden. ^ Er bekam in Folge dessen,
wie Galen berichtet, eine grosse Aozahl von Schülern, welche in kurzer
Zeit und ohne besondere Mühen die Heilkunst erlernen wollten, damit
sie viel Geld erwerben konnten. Denn „nicht der Arzt, welcher in
seinem Fach am tüchtigsten ist, sondern derjenige, welcher am besten
zu schmeicheln versteht, geniesst die Achtung der grossen Menge; ihm
wird Alles leicht gemacht, ihm stehen alle Thüren offen; er gewinnt
Keichthum und Macht und die Schüler drängen sich von allen Seiten
an ihn heran." ^
Derartige Jünger der Heilkunst konnten oft nicht lesen und kaum
richtig sprechen.* Sie sahen mit Verachtung auf Diejenigen herab,
welche sich mit den theoretischen Fächern der Heilkunde beschäftigten,
und erklärten sie für Narren, welche die Zeit mit nutzlosen Dingen
vergeuden.^ Natürlich hielten sie das Studium der Anatomie" und
Physiologie für überflüssig; denn ihnen lag nur daran, jene handwerks-
mässige Routine in der Behandlung der Krankheiten zu erlangen, die
ihnen für ihren Beruf nöthig erschien.
Die Anatomie hatte durch die Alexandriner, sowie durch Rufüs
von Ephesus, Marinus, Quintus und deren Schüler Lykus, Satybüs,
Pelops, Aeschrion, welche die Lehrer Galen's waren, einen hohen
Grad der Entwickelung erfahren. Man kannte die Lage und Gestalt
der einzelnen Knochen, ihre gegenseitigen Verbindungen, die Nähte,
das Periost, die Markhaut, die Gelenkknorpel, verschiedene Gelenke
nebst den dazu gehörigen Bändern und Sehnen, die wichtigeren Muskel-
gruppen, und macht« sich ziemlich richtige Vorstellungen über die
^ Lucian: Der verstossene Sohn, c. 24.
* Galen I, 83. X, 5. 19. • Galen X, 4. * Galbn XIX, 9.
'^ Galen I, 54. XIV, BOO. — Scribon. Laigi ad CallLst, Edit G. Helm-
reich, Lips. 1887, p. 4.
Der fMeUemisohe Unterrißhi in Rom,
85
fonn und Lagerung der Organe in der Brust- und Banchhohle.
Gale37^ wies bereits auf die analoge Bildung der Gesi^hlei^htetheile bei
len Ge9ehlechf4?rn hin und erklfirt*?, daÄ8 sie sich hauptsarhlicli nur
h vun einander ant^^rsciieiden, dass sie beim Wt*ib<' nach innen,
Kanne nach aussen gelagert sind.
Das (lefisssystem war noch wenig erforscht: doch \vu8,st^ man tue
Arterien von den Venen zu unterscheiden, und bemerkte die verschie-
dfot Qualität de,s Bltit«»s diaser beiden Ge^ßssarten. * Staunen erregen
die Kenntnisse, welche mau vom Nervt'nsjst^m b<^sass. Oalen lieferte
emf genaue Beschreibung des Gehirns und Rilckenniarks ^ und schilderte
den Terbiuf vieler Nennen. So bezieht er sirh auf di*n Opücui^, den
(»coloinotorius und TrochIeari.s die einzelnen Äste des Trigennnus, den
Acösticu^ und Facialis, Vae'iLs und Glossopharyngeus, die Nerven des
Kehlkctpfs und Schlundes, den SyrapafehiciLs. und deutet f>ereit8 die
ßanehen desselben an: desgleichen weist er auf die Nn. radiales, ulnares,
BKdiuu. crurales und ischiadiei hin. Das Chia>ima der Sehnerven wurde
fckoD von RuFüs, dem Ephesier, erwähnt, der auch die Unterscheiduntj
ier Xen'en in motorische und sensibele zuerst hervorgehoben hat. *
Die Ergebnisse der anatomischen Forschungen stutzten sich haupi-
ächlicU auf Sektionen von Thieren. Zur anatuniischen Unt4?rsuchung
menschbcher Knrper bot sich nur ausnahmsweise Gelegenheit, und
<«lb6t in Aleiandria, wo seit den Pt^lemaem freiere .^Vnschauungen
iiruher herrschten, war sie zu Galkn's Zeit schon sehr selten. Nur
Leichen von feindlichen Kriegern, welche auf dem Schlachtfelde
lifdlen waren, von Verbrechern, die hingerichtet worden waren oder
ütoerdigt aufgetunden wurden, und von todtgeborenen und ausgesetzten
[dem durften zu solchen Zw^ecken benutzt werden.'*
^nch Verletzungen, welche mit der Blosslegung der Weichtheile
len waren, konnten über die Lage mancher Organe einige Aof-
^toe geben. An Vivisektionen war in Ri»m natürlich nicht zu
und Celsus drückte sicherlich die offenfliche ^leinuntr aus, als
eb: ,,Das Offnen lebender Körper halt^ ich für gniusum und
lüasig, das der Leichen hingegen für nothwendig für die Lernen-
^«ii: denn sie müssen Lage und Anordnung der einzelnen Theile des
' QjiLRit rV\ 035. ' Galen III, 491,
' Cn. DAttiaMiiRKo: EipoBition des connaissanccs de tlHiieii sur rsmatomic et
li (ihy Biologie du s^ysti^me iier\'eax, Paris 184L — F.Falk: Galen ä Lehre vom
irrsundrn und kranken NervensvBk'm, Leipzig 1871.
* Oeuvres de Rufiis« publi/^es par Cit. Dabkmbkk». et Ch Km. Riklle, Paris
1««, p. 158. 170.
* Galeit II, 385.
86 Der medioinischs Unterricht im ÄUerthum.
Körpers kennen. Dazu sind Leichen geeigneter, als lebende und ver-
wundete Menschen."^
Galen erzahlt, dass die Ärzte, welche mit dem römischen Heere
in den Erleg gegen Deutschland zogen, die Erlaubniss erhielten, die
Leichen gefallener Feinde zu zergliedern. Leider konnten sie daraus,
setzt er hinzu, keinen Gewinn für ihr Wissen ziehen, weil ihnen die
nothwendigen anatomischen Vorkenntnisse fehlten. ^ Bei einer anderen
Gelegenheit berichtet er, wie er durch Zufall in den Besitz zweier
Skelette gelangt war, von denen das eine von einem aus seinem Grabe
durch einen ausgetretenen Fluss hervorgeschwemmten Leichnam, das
andere von einem Käuber herrührte, der im Gebirge erschlagen wor-
den war.*
Galen's anatomische Angaben beruhen grösstentheils auf Zerglie-
derungen thierischer Körper. Er erklart dies selbst; doch geht es auch
aus den Beschreibungen einzelner Organe hervor. So schildert er z. B.
nicht die Hand und den Fuss des Menschen, sondern des AflFen. Er
benutzte zu seinen anatomischen Untersuchungen vorzugsweise solche
Affenarten, welche dem Menschen ähnlich sind.* Er glaubte, dass ihr
Körper ebenso gebaut sei, wie der des Menschen, und hat sich dadurch
zu einigen Irrthümem verleiten lassen, deren Berichtigung erst einer
viel späteren Zeit gelungen ist. Ausserdem hat er Bären, Schweine,
Einhufer, Wiederkäuer, einmal sogar einen Elephanten, femer verschie-
dene kleinere vierfüssige Thiere, sowie Vögel, Fische und Schlangen
secirt, um seine anatomischen Kenntnisse zu vermehren.
Der anatomische Unterricht begann damit, dass dem Studierenden
an dem nackten Körper eines lebenden Menschen die einzelnen Theile
desselben gezeigt und erklärt imd die imter der Haut liegenden Organe
genannt wurden. Daran schlössen sich später Zergliederungen von
Thieren, deren Typus sich dem menschlichen näherte. Dabei wurd^
die einzelnen Knochen und Muskelpartien, sowie die inneren Theile des
Körpers betrachtet und die Lage und Anordnung der Organe in den
Körperhöhlen studiert. „Wenn sie auch nicht in jedem einzelnen Punkt
den entsprechenden Gebilden des Menschen gleichen", schreibt Rufi^s,
welcher diese Lehrmethode mittheilt, „so ist dies doch in der Haupt-
sache der Fall. Ein richtigeres Bild erhielt man allerdings in früheren
Zeiten, als man noch menschliche Körper zu derartigen Untersuchungen
verwenden durfte."^
In ähnlicher Weise spricht sich Galen über den anatomischen
* Celsüs: Praefat « Galen XHI, 604. » Galen II, 221.
* Galen II, 223. » Rufus d'Eph^se a. a. 0. p. 134.
^t aua j^m Bachern allein katm man die Anatomie nieht
% sagt er^ „und auch nicht durch eine oberfifichliche Betrachtung
rTheile de^ Körpers,** ^ Er empfahl deshalb ein rtei^siges eingehendes
^diiim, welche*« mit der Knochenlehre begunn^ und dann zu den
keln^ Arterien, Venen, Nerven und den inneren Organen überging.
Dem Unterricht dienten nicht blos Sektionen thierischer Cadaver»
miem man benutzte dazu auch menschliche Skelette oder Knochen-
Ipamte. Vielleicht wurden zu diesem Zweck in manchen Fallen
che Xaehl»ildungen aiLs Mannor verwendet? — Die Vatikanischen
bcisitzen noch drei derartige Bildwerke. Zwei derselljen stellen
^eiettirten Thorax dar; der eine erscheint geöffnet, und 15sst da.s
Im, die LunireUj das Zwerchfell nebst Andeutungen der Leber und
; Darmes erkennen. Die dritte Nachbildung zeigt ebenfalls das Herz
*lie beiden Lungen.^ Welckee bezweifelt, das« sie zum ana-
nkhen rnt*.Tricht verwendet wurden, und glaubt, dass nur ,/lie
itenheit des Anblicks einer in ihrem Innern blossgelegten Brust,
von allem Fleisch reingeschälten Rippen kastens, wozu die Schläch-
*»ien der (iladiatorf'n , die Hinausschleifung von Mijisi'thäiern in die
l*»flirechergrube und andere Vorfallenheiten den Ärzten <iclegenheit
prU'n koiint^»n, bei der eigenthümlicben Richtung vieler römischen ßild-
iUtT» Alles, was im Leb*>n vorkam, oft ohne allen künstlerischen Sinn
li<l (rcschmack genremässig abzubilden, zu obigen Bildwerken Anhiiss
neben habe.***'
Die Nachbildungen der mumienartig vertrockneten nienschlich''n
jSurper^ welche bei Gastmahlern aufgestellt wurden, um zum (Tcnnss
iLebenü» aufzufordern,* können hier ebensowenig in Betracht kommen,
ilie zahlreichen Darstellungen von Bewohnern des Todtenreiches,
lllie auf Grabmälern, auf Gemmen und in Bronce uns überhefert worden
ni weil sie zum anat<»mischen Unterricht in gar keinen Beziehmigen
oden,^ Auch die von Bllmexbach als Titel-Vignette zu seiner
,fif>8chicht*^ uml Beschreibung; der Knochen (Göttingen 1786)** ver-
ndete, einem alten Carneol entlehnte Figur eines bärtigen alten
1 Galsx U, 220.
* Eh, Bititrsi iin BuÜet. dfll iiiKtitato areheol. Roma 1844. p. 16-19. —
"^X M. Chaj»dot u. A- Dkchambre: De quelt|iie» luarbres aiitit|ues conceni, des
i-rode? anfttömicjues in der Gaz. hebd. de med. et de chir,, Pam 1857, T, IV,
^ii<>.25,2T* 30 (wo auch der ao^^en. Acaop der Villa Albani in Rom beaprocbeii wird).
■ F. G, WKLCKEß: Kleine Si^hriften, Bd. 111, 8, 22H.
* pFTRoifiüs: Satyr.j c 34.
' 0. E. LfiflüHNo: Wie die Alten den Tod abgebildet hüben. — J. M. F.
t, Oirms; Über ein Grab bei Kitmae in den Abhandlungen <Ii?r Akad. d. Wias,,
\kfim 1830.
Manfn% der ein vor ihm sk^hendt*s m<»iiHchliches Skelett an «1er linkcit
Hand unfasst» ileuti*t eher auf dir Kchupfung des Menschen dup
rruDH'th<Hii> hiri, aU auf anatomische Belehrung,
l'ugewiss i«t es, ob man beim anatomischen Unt»?rricht Zeichnungi!t|
gebnmdite; dneh ist es nicht )Li:iTadr' unwahrscheinlich, da man aud
in andeivn Diseipünen vrm sülchi^n Lehrmitkdn Gebmuch machk^
Ob die in einigen HandHChriften des Mithcio enthaltenen Dai^tellungi^
det? Uterus und der Ovarien atih dem Alterthum stammen, länsl
naturlich nicht bestimnn ii, Das tilejche ist der Fall mit den angeblid
einer Leydener Handschritt entnommenen anaWmischen ZeiehnungnTi in
der Introducti«* anatumicii anonymi, wHehe durch J, St. BERMiR
lLugd.-Bat. 1744) verutrerit licht worden sind.
Mit dem anatomischen rnterricht wurden die Erklärungen dnn
Funktional de^ menschlicben Kürpers und s^'iner einzelnen Tbeih^ v^r-^
bunden. Man gini^: dabei von der aprioristiHchen Voraussetzung mm
planntässigen Bildung der Organe aus, nahm also an, dass die let
nur ge^chaifen wurden seien, damit die von der Natur gewollten Pünl
tinnen ausgeführt werden könmm.
IHe dieser Anschauung entgegengesetzte, von Epikuh und spfu^
Von AskllEHabks Tertretem^ Meinung, dass die Natur p:ar manche vi*|
gehliehc* Verseuche macht, bevor sie ein dauerndes Result4U erzielt, un
da«s der (febraueh der Organe, d. h. ihre Funktion erst erlernt wij
nachdem dieselben schon geh i biet sind,^ fand in Oalkn einen erbiftert*'n
Gegner. Mit alb^m Schartsinn und alkr Gelehrisamkeit, die ihm /m
Gebütt» standen, unternahm er es, den Teleologismu« tm begriindea.
in we!cln*m er das best.«^ Mittel sab* den Hisilismus des AidSTiiTi^
mit dem Platonischen Jdeaii.smu8 zu versöhnen. Doch scheint in ihi
bisweilen die Ahnung aufgetaucht zu sein* dass die Spekulation allem
keine befriedigende Antwort zu geben vt^rmag. Er wurde dadurch
den Weg gelTilirt, der hier allein zum Zieb" fuhrt, auf den Weg dl
Bi?rd)achtung und des Experiments.
Auf dies4^ Weise trachti^^:^ er. den Vurgung der Athmun^^ und die
Herzthatigkeit kennen zu lenien. An Thi^'ren durchschnitt er das
Rückenmark, die Intercostal-Muskeln oder ihre Nerven und entt'enit^*
einzelne Rippen/ um zu sidien, welche Veränderungen der Respiratiod
dtulurch hervorgeruten w^erden. Dabei fand er, dass bei der ruhiire#
Athmnng hauptsächlich das Zw(Tchfell thätig ist und sich die Jnter-
1
' Makui-.uidt a, H. O. Bd. VII, S. 10t, nwi,
* Gau'.n III, 74. 364.
* Gaikü lU 475. «81, «1>«. IV, 6»5. V. 2ay. - n,iriiAMr3 a, a. 0. lÜ, 29
Der medimrmchf^ Unterricht in Rom,
89
-MtLskeln nur bt»i angestrengter Respiration betheiligen.^ Die
etrungen des Herzens beobachtete er an Thieren, deren Bnist-
m i'TüSnvi worden war; auch hatte er einmal dazu Gelecrenheit
^invm Knaben, des?!*>n Herz in Folt^e einer penetrin^nden Brust-
ffiffide hloÄs lag.'
Durch zahlmehe Uttulo odtT partielle Durchsehneidutijren des
^ 8ütjkenmark?i und einzelner Nerven und durch s<^hirhtenweise Ab-
tiapingen des Gehirns, die er an Schweinen vtjmiihm. hoffte er die
j^sioloerische Bedeutung dieser Organe zu erforschen.^ Mngen die
ihm gewonnenen Rej^ultate, welche er genau beschreibt, auch nicht
i^ioen Erwartungen entsprochen haben, so verdienen diese Versuche
volle Anerkennung, weil sie die ersten in ihrer Art waren und
nclitigi' Methode zeigten, nach welcher diese Fragen gelost werden
Galen wurde ilalvei von einer ül>erans glücklichen Phantasie unter-
itddtr ^1^ ihßi die treffenden Worte in den Mund gab, seilest dort.
f ü er zu Ireinem Verstandniss durchdringen, wo er den Sachverhalt
kMDn ahnen kennte. Wenn er z. B. erklärt, da.s!!> sieh der Schull
Jim Welle gleich*^ turtleitet,* oder die Vermuthung ausspricht, dass
iasAht BeHtandtheil der Luft, welclier für die Athmung massgebend
»(^ auch bei der Verbrennon^^ wirkt/' so sind dies Gedanken, die rtber-
ittehen, da deren volle Bedeutung zu verstehen ei-st zwei Jahrtausende
«piter möglich war.
Zur Zeit tTALKNs batten die Ärzte übrigens nur L'eringes lnt^*resse
die Problenie der Physiologie. Ihre Aufmerksamkeit wurde haupt-
lich durch die praktische Heilkunde in Änspnich genommen. Die
wt zu heilen, stand ibnen hoher, als die Wissenschaft vom Menschen
und war auch einträglicher.
Diese Richtung führte zu einer tleissipen Bearbeitung der Arznei-
mittellehre, Zahlreiche Gummilinsen von gereimten und ungereimten
Rn^pten uu<l Zusammenstellungen von Medicamenten gaben diesen
Kestrt^bungen in dfT Literatur Ausdruck* Zu den hervorragenderen
Lrscheinungen derselben gehörten die phannakologischen Schriften des
FkojOn aus Tarsus, Schibonius Lakous, Sextuts Niger, Mkni]kratk%
AxDEüiiArHUH, Damokrates, vor Allem aVier das W'erk des Pedakut«
II * Oaleh
Mieuces ratVli(
* Galkk IV, 465 u. ff. » Oalbn U, «Hl,
' Galek II, 077. 6B2. 6J»2, 697. V. «45, — Ch. pAusscttKiio: Hietoire de»
iiieuces ratVlicales, T, I, p. 224.
* Galkk III, 644.
'Galen IH. 412. — Vergb a. Hakreii: freadnrhtc dor Medicin, Bd. I,
S, m X Anfl.
90 Der medicinisohe Unterricht im AUerthum,
DiosKORiDEs aus Anazarba in Cilicien, der als Militaxarzt einen grossen
Theil des römischen Reiches kennen gelernt und von Jugend auf das
Studium der Heilmittel als Lebensaufgabe betrachtet hatte. ^
Er lieferte eine durch Vollständigkeit ausgezeichnete systematische
Übersicht aller damals bekannten Arzneistoffe aus den drei Naturreichen.
Es werden darin die verschiedenen Namen, mit welchen sie in den
einzelnen Ländern bezeichnet wurden, aufgezahlt, ihre Heimath genannt
und ihre Gewinnung oder künstliche Bereitung, sowie ihre medicinischen
Wirkungen geschildert Dadurch ist dieses Buch nicht nur für die
Heilkunde, sondern auch für die vergleichende Sprachwissenschaft,
namentlich aber für die Botanik sehr wichtig.
DiosKüRiDES hat darin ungefähr 500 Pflanzen beschrieben und
zwar so genau, dass es möglich war, die meisten derselben zu bestimmen.
E. Meyer hat seine Verdienste auf diesem Gebiet mit den Worten
charakterisirt: „Was uns Theophrastos für die generelle, das ist uns
DiosKORiDEs für die specielle Botanik der Alten, die Hauptquelle, die
allein mehr gilt, als die übrigen mit einander."*
Das Werk des Dioskorides wurde schon von Galen, der sich bei
verschiedenen Gelegenheiten darauf beruft, sehr hoch geschätzt und
bildete das ganze Mittelalter hindurch bis in die Neuzeit das werth-
voUste Lehrbuch der Arzneimittellehre.
Sicherlich trug es nicht wenig dazu bei, den Sinn für botanische
und pharmakologische Studien zu erwecken und zu erhalten. „Der
Arzt soll womöglich alle Pflanzen, oder doch wenigstens die meisten
und gebräuchlichsten kennen," schreibt GaijEN. „Die Gattungen oder,
wenn man will, die Unterschiede derselben sind: Bäume, Straucher,
Kräuter, Dornen, Stauden. Wer sie von ihrer Entstehung an, bis sie
ausgewachsen sind, unterscheiden kann, wird sie an vielen Orten der
Erde finden. So habe ich selbst in vielen Gegenden Italiens Pflanzen
gefunden, welche Diejenigen, die sie nur in getrocknetem Zustande ge-
sehen hatten, weder während des Wachsthums, noch nachher zu
erkennen vermochten. Jeder Salbenhändler kennt die Pflanzen und
Früchte, die von Kreta hierher gebracht werden; aber Niemand weiss,
dass viele davon in der Umgegend Koms wachsen. Deshalb denkt man
auch nicht daran, sie zu suchen, wenn die Zeit ihrer Reife gekommen
ist."^ Er erklärt dann, dass er darüber unterrichtet sei und es nicht
versäume, die Pflanzen zur richtigen Zeit zu sammeln, bevor sie von
* Pedanii Dioscoridis materia medica ed. Curt. Sprengel, Lips. 1829, T.I, p.4.
* E. Meyer: Greschichte der Botanik, Königsberg 1855, Bd. II, S. 117.
^ Galen XIV, 30. — Meyer a. a. O. S. 191.
Der medidm^ehe IMUmM im Motm,
M
Hitze «ie> Sommers ausgetrocknet ond die FiMiie ilMmif g^
sijid. An einer anderen Stelle l>emerkt er/ diai mmm iit
nicht 31US Büchern^ von denen manciie mit AbliAdllflgM aas»
sein mochten,^ lernen kann, sandera nur, miitm mmn dir
reihst unter Anleitung eines; Lehrers belaeklel mid uteohl
rnterricht^methode/' setzt er hinzu , „^pü nidll hk» ftr di»
sandem überhaupt far die gesammle ArznetinttleUehr^,^
Die Ärzte mussteu sich mit diesem Gegenstaade stkr cingaksfid
^en, weil sie genotbigt waren, die Anaeieo wdbt^ a tefeAca*
Qgs z<i^en es Einzelne aus Bequemlichkeit rot^ bei den Dxofoe«*
welche :iusserdem noch Mittel zum Farf»en der HMifr« nr
Qg der Schönheit und allerlei Toiletten- Artikel aaf den Lifer
^kiflWn, anstatt der Rohmaterialien die zusammengeseliten MedicuMiile
im kaufen.* Aber im Allgemeinen pHegten die Ärzte nur die eitt-
fttben AiznoisfoffH zu kaufen, wil.lio ^je zur Berettang ihrer Beoepti*
Mnrften.
THe Furch t, dabei durch verdurbt'üe oder Tcrfibcble Wiaren be-
in^geti zu werden, venmlo^ste Manche ^ die medieanieiilö^seii Suitk aos
n^ter Hand zu erwerben oder selbst zu sammeln. G^llek unternahm
m dit*8em Zweck sogar weite Reisen ; auch lia^s er sich die Arzneistoffi?
tm den Landern, wo sie gewonnen wurden, durch Vermittelung tei*
StBlicher Freunde senden, um sieher zu $ein, daiss sie echt wann»^
ISlÄ* Besorgni.ss war gerechtfertigt, da die Verfälschung der Arznei-
mittel geschäft.^mä.'^^ig betrieben wurde und e* nicht einmal möglich
«ar. den BaUauLsaft, der auf der kaiserlichen Domaine Kngaddi in
pAÜsiina gewonnen wurde und Staat^imonopol bildete, in Rom unver-
fiklit zu erhalten.
Für den kaiserlichen Hof wurden aus diesem Grunde die Arznei-
-ufi^ unter der Aufeichfe von Beamten gesammelt, in Papier verpackt imd
mit einer Aufschrift ven?ehen, welche den Namen und bisweilen am^h
den Fundort *l*^r PÜanze angab, und dann nach Rom gesandt, wo üe
m besonderen Magazinen autliewahrt wurden,^ Die letzteren enthieltea
mm .solchen Vorrath an medicamen tosen Stoffen, dass er nicht nur
% den Gebmuch ib^s Hofes ausreichte, sondern davon noch an l^rivat*
pfr*MDen verkauft werden konnte. Doch war dies keineswegs genügend,
um den Bändel mit A^erfalschungen wesentlich zu beeinträchtigen,
l»ii-Hl>«'n u^niren fi^>rigens nieirt so sehr von den Droguenböndlern. aU
' I'ujiitJ» a. m. O, XXXIV, 2:». * Galek Xli, 216, XIV\ 7 ii, Ü.
MJ4LP.18 XIV, ».25,79.
92 Der medlcinisc^ie Unterricht im Alterthum.
von deren Lieferanten und den Wurzelsuchern aus, welche die Arznei-
krauter aus dem Gebirge in die Stadt brachten.^
Die Fälschungen wurden so geschickt gemacht, dass die geriebensten
Kenner, wie Galen ^ bemerkt, dadurch getäuscht wurden und die
Waaren für echt hielten. Er hatte in seiner Jugend selbst, wie er
erzählt,^ bei einem Manne, der sich mit der Herstellung solcher Fäl-
schungen beschäftigte, Unterricht darin genommen und ihm ein hohes
Honorar dafür bezahlt, dass er ihn in diese Geheimnisse einweihte.
Da er dies Alles kannte, so gab er den Studierenden der Heilkunde
den wohlmeinenden Rath, grossen Fleiss auf das Studium der Arznei-
mittel zu verwenden. „Die Jünglinge müssen dieselben nicht blos
einmal oder zweimal, sondern oft sehen. Denn nur, wenn man diese
Dinge mit den Sinnen in sich aufnimmt," schreibt er,* „und recht
häufig betrachtet, erlangt man eine gründliche Kenntniss derselben."
Die Medicamente wurden mit einer Etikette versehen, auf welcher
der Name derselben und ihres Erfinders, die Krankheit, gegen die sie
verordnet wurde, die Art ihres Gebrauchs, und manchmal auch der
Name des Kranken angegeben war.
Die Augensalben, welche einen gangbaren Handelsartikel bildeten,
wurden in Gefösse verpackt, denen der Stempel des Arztes, der sie
bereitet hatte, aufgedrückt wurde. Stempel dieser Art wurden in Frank-
reich, England, Deutschland und Siebenbürgen aufgefunden, namentlich
dort, wo Lagerplätze der römischen Legionen gewesen sind. Man hat
bis jetzt mehr als 160 verschiedene Stempel von Augenärzten beschrieben.*
Die Recepte waren lang und complicirt; der Theriak bestand z. B.
aus mehr als 70 verschiedenen pflanzlichen und thierischen StoflFen.*
Manche derselben waren widerlich und ekelhaft, und Galen wunderte
sich über die Verordnungen des Arztes Xenokrates, welcher sogar
Menschenfleisch empfohlen hatte, „da es ja doch im römischen Beiche
verboten sei, Menschen zu fressen".^ Bei einer anderen Gelegenheit,
wo von einem Arzt die Bede ist, welcher den Landleuten Ziegenmist
verordnete, machte Galen die witzige Bemerkung, dass dergleichen
nicht für die feingebildeten Städter passe; denn der Mist sei nur den
Bauern zuträglich.®
' Galen XIII, 571. * Galen XIV, 7. » Ualen XII, 216.
* Galen XIII, 570.
* C. L. Grotepend: Die Stempel der römischen Augenärzte, Hannover 1867.
— J. Klein: Stempel römischer Augenärzte, Bonn 1874 (Nachtrag zu Grotbfend's
Buch). — MARurAKDT a. a. 0. 8. 758. — H^ron i>r Villefo8se et H. Th^dbnat:
Oachets doculistes romains, Tours et Paris 1882.
* Galen XIV, 88 u. ff. ' Galen XIT, 24H. s q^,,,^. xH, 291».
Der medidnische UtUenioht in Born. 9$
Die urtheilslose Menge huldigte der irrigen Meinung, dass die
theueisten Arzneistoffe auch zugleich die heilkraftigsten seien^ ^ und ein
reicher Geldprotz war empört darüber, dass Galen ihm dasselbe Medi-
cament empfehl, welches er bei seinem Sklaven mit Erfolg angewendet
hatte. Als er hörte, dass es aus lauter billigen Substanzen bestehe,
rief er ihm zu: „Dies magst Du für Bettler aufbewahren; ich will ein
Mittel, welches mehr Geld kostet" ^
GAiiKX befolgte in seiner ärztlichen Praxis den rationellen Grund-
satz, in erster Linie das Heilbestreben der Natur wirken zu lassen und
nur dann, wenn dasselbe erfolglos blieb, einzugreifen.
Die Untersuchung und Behandlung der Kranken war im Wesent-
lichen die gleiche, wie zu den Zeiten der Hippokratiker. Ebenso be-
diente man sich derselben diagnostischen Hilfsmittel, um die Krank-
heiten zu erkennen; doch hatte die Pulslehre unter dein Einfiuss der
Aleiandrinischen Schule eine sorgfältigere Bearbeitimg erfahren. In
der Abhandlung über den Puls, welche dem Rufüs zugeschrieben wird,^
werden die Veränderungen geschildert, welche er in den einzelnen
Lebensaltem und in verschiedenen Krankheiten zeigt, und eine be-
stimmte Anzahl verschiedener Formen desselben unterschieden. Da-
§fegen war von der Auskultation kaum mehr die Kede, wenn man
nicht einige Bemerkungen des Aretabüs und Caelh's Aurelianits,
in denen von Geräuschen des Herzens gesprochen wird, darauf be-
ziehen will*
Bemerkenswerthe Fortschritte hatte die specielle Pathologie ge-
macht Die römischen Ärzte kannten verschiedene Krankheiten, welche,
wie der Aussatz^ und die Hunds wuth,® in früheren Zeiten der Beob-
achtung entgangen waren. Aretaeus lieferte die erste Beschreibung
der diphtheritischen Halsgeschwüre im Munde, die er als syrische oder
ägyptische Geschwüre bezeichnete. * Andere Krankheiten, wie die Ruhr,®
der Icterus,® die Lithiasis, welcher Galen die gleiche Entstehungs-
ursache zuschrieb wie den Gichtknoten,^^ und die Schwindsucht^^ wurden
> Plikius: Hißt nat. XXIX, 8. « Galen XIII, 636.
\Rl'fu8 a. a. 0. p. 219—232.
* Aretaeus: de acut. H, 3. — Caelius Aurelianus: de acut. II, 14. —
(iALKM XVUI, B. 649.
* LuoRBz VI, V. 1112—14. — Cel8U8 III, 25. — Plinius: Hißt nat XXVI,
•'>. -- Caelius Aurbl.: de chron. IV, 1. — Aretaeus: de chron. II, 13.
• Pliwcs a. a. O. VIII, 63. XXIX, 32. — Cblsus V, 27. ~ Caelius Aukk-
UAif.: de acut III, 9 — 16. — Aretaeus: de acut I, 7.
^ Aretaeus: de acut I, 9. ^ Galen XVII A, 351.
• Galeh XVn B, 742. '"> Galen XIII, 993. XVII A, 836.
" CelbusUI, 22. — Aretaeus: de chron. I, 8. — Cael. Aurel.: de chron. II, 14.
94 Der medicinisehe UnterricJU im AUerthum.
genauer erforscht Gegen die letztere empfahl man ausser Anderem
Seereisen und den Aufenthalt an klimatisohen Kurorten, besonders in
Ägypten.
Auch die Nervenpathologie wurde eifrig und erfolgreich betrieben.
Galen berichtet, dass er in einem Falle die Lähmung der Finger von
einem Bückenmarksleiden herzuleiten vermochte,^ und Aretaeüs wusste
bereits, dass sich die Nervenfasern bald nach ihrem Ursprung durch-
kreuzen, und erklärte dadurch die Thatsache, dass nach Verletzungen
einer Gehirnhälfte die entgegengesetzte Seite des Körpers gelähmt wird.*
Der Unterricht in der praktischen Heilkunde wurde theils in der
Privatpraxis des Lehrers, der die Schüler zu seinen Patienten mitnahm,
theils in den latreien ertheilt. Die letzteren wurden nach griechischem
Muster eingerichtet und Tabernae medicae oder Medicinae genannt*
Es waren die Läden oder offenen Geschäfte der Ärzte, welche hier
Kranke empfingen und behandelten, chirurgische Operationen ausführten,
Arzneien bereiteten und verkauften und mit ihren Gehilfen und Schülern
wohnten. In einzelnen dieser Anstalten fanden Patienten, z. B. Geistes-
kranke, auch Aufnahme.'*
Viele Städte richteten auf ihre Kosten latreien ein und übergaben
sie Ärzten, um sie dadurch zu bestimmen, ihren festen Wohnsitz dort
zu nehmen. ^ Sie befanden sich, wie Galen, welcher darüber sehr aus-
führliche Angaben hinterlassen hat,® schreibt, meistens in grossen Ge-
bäuden, hatten hohe Thüren, welche viel Licht und Luft hereinliessen
und waren mit chirurgischen Instrumenten und Medicamenten aus-
gestattet
Auch die Valetudinarien,^ die Krankenzimmer, welche die Gross-
grundbesitzer für ihr Hausgesinde und ihre zahlreichen Sklaven ein-
richten Hessen, mögen oft Gelegenheit zur praktischen Unterweisung
in der Untersuchung und Behandlung der Kranken geboten haben.
Jedenfalls wurden hier die Sklaven, welche auf Wunsch ihrer Herren
zu Ärzten ausgebildet wurden, in der Heilkunst unterrichtet — Ahn-
lichen Zwecken dürften auch zuweilen die Militärlazarethe gedient
haben, welche ebenso wie Krankenställe für Pferde überall, wo grössere
Truppenmassen zusammen kamen, angelegt wurden.®
* Galen VIII, 213. * Aretaeus: de chron. I, 7.
' Plaütüs: Amphytryo IV, 4. Epidic. IL, 1.
* Plautüs: Menaechmi V, 947—956. — Spartianus: Vita Hadriani, c. 12.
* Galen XVIII B, 678. • Galen XVHI B, 629—925.
^ Coluhella: de re rust. XI, 1. XH, 8. — Seneoa: de Ira I, 16. nat qoaeet.
I, praef. — Tacitus: de orat. dial., c. 21.
*^ HvoiKüs: de munit. castrorum, c. 34.
Die urtbeilglose Menge huldigte der irri^n Meinung; dass die
lIieiiezsIeQ Arzoeistoffe iiucb zugleich die heilkräftigster] seieu,^ und ein
mch*T Geldprotz war empört darüber, dass (Ialkn ihm das8(*lbo Medi-
ßt empfahl, welchem <.t bei seinem Sklaven mit Erfolg' angewendet
Als er horte, djisj^ es aus lauter billigen Substanzen bestehe,
er ihm zu: „Dies magst Du für Bettler aufbewahren; ich will ein
iUel, welches mehr Geld kostet/'^
Gal£K l)efolgte in seiner är/tliohen Praxis den rationellen Grund-
m erster Linie das Heilbesireben der Natur wirken zu lassen und
dann» wmn dasselbe erMglus blieb, einzaj,Teifen.
Die Untersuchung luid Behaudlung der lvr.ink*^n wiir im Wesent-
die gleiche, wie m den Zeiten der Hippdkratiker. Elienso be-
man sieh derselben diagnostischen Hilfsmittel, um die Krank-
[«11 lu erkennen; doch hatt^» füe Pulslebre unter dem Einllnss der
andriniiichen Schule eine sorgttiltigere Bearbeitung erfahren. In
ibhandlung über den Puls, welche dem Htfus zugeschrieben wird,^
im die Veränderungen geschildert, welche er in den einzelnen
Leiensaltem und in verschiedenen Krankheiten zeigt, und eine be-
üÜDimte Amahl verschiedener Formen dessellien unterschieden. Da-
ppiü war von der Auskultation kaum mehr die Ked<\ wenn man
nicht einige Bemerkungen des Aretakds und Caelius AüRELrAJJüK.
in d«nen von Geräuschen de^ Herzens gesprochen wird, darauf be-
liehen will*
Bemerkenswert he FuH^schritte hatte die specielle Pathologie ge-
machU Die runiischen Arzte kannten verschiedene Krankheiten, welche,
fje Jer Aussatz^ und die Hundswulh,** in früheren Zeiten der Beob-
•cbkimg entgangen waren. Aketaeus lieferte die erste Beschreibung
derdii' ' " ^ ^hen Halsgeschwüre im Munde, die er als syrische oder
igTpti>' hwüre bezeichnete,' Andere Krankheiten, wie die Ruhr,/*
der Icterus,* die Lithiasis, welcher Gai.en die gleiche Entstehung!^-
le zuschrieb wie den Gichtknoten,'" und die Schwindsucht^^ wurden
* G'AI.KM XÜI, BHIi.
fhe
* Pumitrs: Hist nat XXIX, ö.
VRrpif» ». a. O. p. 219—232.
* AurrASCi«: de acut, II, 3, — ÜAKUtts Auheuanüs: de acut. 11, 14. —
«*«* XVllI, B. 649.
' Lvcsau VI, V. 1112—14. — Ckwüb UI, 25. — Pliitiüs: Hist oat XXVI.
•). — CA£LiTr8 ArBKL.: de chron. IV, 1. — Abetaäü»; d*? chroo, II, 13.
' PuMtt^s a. a. O. Vni, 6H, XXJX, 32. — CBt«irB V, 27, — Caeliüb Avw
«Aj^.: de acut- III, 9—16. — Abetakits; de acut. 1, 7.
' AaCTASCö: de acut, l, 9. « Galen XVU A, 851,
*6alex XVU B, 742, »^ Gaj^n XIII, 993. XVll A, 835,
^ Csxetrs ni, 22. — Arktaküh: deehron. I, 8. — Cakl. Auabl.: de chron. II, 14_
96 Der mediciniscke UnterricJit im Alterihum.
hohen Katheder herab ihre Schüler mit gelehrten Auseinandersetzungen
überschütten, wenn sie aber zu einem Kranken gerufen werden, tob
seinem Leiden nicht das Geringste verstehen."* Das Publikum wandte
sich natürlich lieber an Ärzte, welche praktische Erfahrung besassen,
als an solche, die nur schöne Reden über die Heilkunst zu halten
wussten. ^
Die Chirurgie hatte sich, wie Celsür berichtet,^ bald nach der
Zeit des Hippokrates von der übrigen Heilkunde getrennt Sie bildete
fortan einen besonderen selbststandigen Wissens- und Unterrichtsgegen-
stand. In Rom war es nicht üblich, dass die Ärzte, welche innere
Krankheiten behandelten, auch die Chirurgie ausübten; aus. diesem
Grunde zog sich auch Galen von der letzteren zurück, als er sich
dort niederliess. *
Celsits nennt die Chirurgen Philoxenüs, Goruias, Sostbatüs,
die beiden Hero, die ApoUonier und den Lithotomisten Ammonius in
Alexandria, femer den älteren Tryphon, den Eüelpistüs und Mbges
in Rom, welche sich sowohl als Lehrer wie als Schriftsteller auf dem
Felde der Chirurgie hervorthaten. Leider sind ihre Werke verloren
gegangen, und wir sind auf die Mittheilungen der späteren Autoren
angewiesen, wenn wir uns ein Urtheil über ihre Leistungen bilden
wollen. Celsus schreibt, „dass diese Männer in der Chirurgie viele
Verbesserungen und Erfindungen gemacht haben."
Vergleicht man nun den Zustand dieses Zweiges der Heilkunst
unter den römischen Kaisern mit den Kenntnissen der Hippokratischen
Ärzte, so ist man allerdings überrascht von den mächtigen Fortschritten,
welche dieses Fach zeigt. Man besass nicht nur richtigere Vorstellungen
von dem Wesen und der Behandlung mancher Krankheiten und Ver-
letzungen, welche das chirurgische Eingreifen verlangen, sondern man
wagte sich auch an die Ausführung grösserer Operationen, zu denen
gründliche Kenntnisse in der Anatomie und in der Technik der chi-
rurgischen Instrumente gehörten.
Der Instrumenten-Apparat war ziemlich reichhaltig. Die Aus-
grabungen zu Herculanum und Pompeji, bei denen eine grosse Anzahl
solcher Werkzeuge aufgefunden wurden, haben darüber werthvolle Auf-
schlüsse gegeben. Damach waren gerade und gekrümmte Nadeln,
Sonden verschiedener Art, Hohlsonden, gekrümmte und gezähnte Zangen,
Katheter mit leichter S-förmiger Krümmung, mehrere Formen von
Pincetten, darunter auch solche mit Haken und Schiebern, konische
^ (talen XVIII B, 258. * Luciak: Hippias, c. 1.
» CEL8U8 VII, Praef. * Galen X, 455.
litten ^,
, kiigelfonnige SchrüpIköptH scharfe und stumpfe Hakeu, grubeltunnige
scheiUenähülicbe (rlüheisen, Messer, Spiitel, Meissel^ Lanzetten,
'^^stouris, Mastdarm- und Scheidenspiei^e! u, a, m, im GebraueL ^ Die
Sp^uKi waren theik einfach, theils zweitheiüiL? »»der dreitheilijüf. Im
JÄhre 1882 wurde in Pompeji ein \iernieiiis,^es itufgefunden, welehe«
litis iwei geraden und zwei S-formigen Armen liesti-bt/^ Aucb kannte
|mii verschiedene Arten von Verbünden, vuu Exten.sions- und Latr^Tungs-
Bpiraten, welche bei der Behandlung der Knochen-I^'mkturen und
Inxafiunen in Anwendung,' kamen.
Die Aüsführnn^ der chirurgischen Operatinnen wurde dadurch er-
i^ifhlert dass man heisere BUitijtillungs-Metboden kennen b^rnie; nuui
j ftf nicht mehr blos auf die Kälte, die Comjiression, die Stjptica und
di<» GblhhiUe beschränkt, sondern griff' zur Ligatur^ und der Torsion*
d«r Gefösse, wenn jene Mittel nicht zum Ziel führten. Es konnten
dib^r bhitreiche NeubiMungen entfernt und Amputationen und Resek-
tionen unternommen werden. AntyiJjüs wagte sich sogar an die C^pe-
ntion der Aneurvsmen.'*
Bei der Amputation bediente man sich sowohl des Cirkelschnittes
M| des Lappenschnittes. *• Den grossten Triumph feierte die Geschick-
^Hkkeit der rnmischen Chirurgen in der Resektion, Antyllus und
Heuodor" entfernten erkrankte Knochentheile mit sorgfaltiger Erhal-
der Continuitat des Knochens; sie nahmen den Humerus in seinem
m Umfange, einen Theil des Acruraial- Fortsatzes, ebenso Partien
|OlM»rschenkelknochens, der Tibia und der Vorderarmknochen, ja sogar
Unterkiefer, wobei die Gelenke geschont wurden, und Theile des
rkiefers hinweg.
Auch die plastische Chirurgie war ihn«'U nicht unbekannt. Durch
öberziehen benachbarter Partien der Haut und der darunter üegen-
Gewebstheile versuchten sie, Substaiizverluste an dt-n Uhren, den
der Nase und den Lippen zu ersetzen.^
* B. VüLPEs: illiidtrfudoue dt lutti gli strunienti clnriirgiri s<'avjiH in Erea*
lePompei, Xapoli 1847, - Quaranta und Vflfes im MQß<:*o Borbimifo,
XJV, 36, XV, 28,
* A. Jacodelli: Specidi chirorgici scÄvati dalle rovine delle citta dissepoUr
^^■led Ercoluno im Morgagni, Niipoli IHm, 1\ XXV, p. \Hh tu ft*.
^^B^cs V, 2^3. — Galen X, RH.
^V^DxxB4«nTi4 IV. 485. — RtfFtt5 bei Aetiua XIV, c, 5L
" ^OmBABir^ IV, 52- Vergb Eix Aorkt in d, Wiener Med. Blfttteni 1882,
Ko. 1. 8. 4. 5.
* Celäcs VII, 33. — AKCHUJfTNKJ' und HRMoni>K bpi OniRM'ii s IV, 244. 247.
' OmtAMt:.^ IIL 582. (115 ii. «'.
* Celsicb Vn, ». — Anttlics Ijei thüBAsu s \\\ f>*; u. i)\
iftxuMAxn^ roteiriehL 7
98 Der medicinische Unterricht im AUerthum,
Von Yerschiedenen Gelehrten ist die Frage erörtert worden, ob von
den Alten beim Mangel einzelner Glieder künstliche Naohbildungen
derselben verwendet wurden. Auf einer aus der DuRAND'schen Samm-
lung stammenden Vase des Louvre ist eine männliche Figur mit einem
angeblichen Stelzbein dargestellt.^ Bei genauer Betrachtung erkennt
man jedoch, dass der Unterschenkel nicht fehlt, sondern um einen
langen Stab nach vorn und oben gelegt ist. Dagegen ergiebt sich aus
einer Bemerkung Lucian's^ mit Bestimmtheit, dass künstliche Füsse
aus Feigenholz verfertigt wurden, deren sich Amputirte bedienten.
Die Tracheotomie wurde zwar ausgeführt, erzielte aber nicht, wie
es scheint, grosse Erfolge und vermochte sich daher kein Vertrauen zu
erringen.'
Die Operation des Blasensteins hat Celsus* ausführlich beschrieben.
Derselbe erwähnte bei dieser Gelegenheit auch, dass der Chirurg Am-
MONius den Versuch machte, grössere Steine, die sich schwer entfernen
liessen, in der Blase zu zertrümmern. Leider ist die Schilderung des
Verfahrens nicht deutlich genug, um dasselbe als lithothrypsie bezeichnen
zu können. Doch liefert eine Stelle in der von einem anonymen Autor
verfassten Biographie des heiligen Theophanes den unzweifelhaften
Beweis, dass dieselbe im Alterthum bekannt war und ausgeübt wurde;
es wird darin nämlich berichtet, dass Theophanes an Blasensteinen litt^
welche durch Werkzeuge, die man eingeführt hatte, zerbrochen und
dann nach aussen befördert wurden.^ Oltmpios glaubt, dass dazu
pincettenähnliche Instrumente mit mäusezahnartiger Spitze, wie deren
auf Milo gefunden wurden, benutzt worden sind.®
Als Entstehungsursache der Hernien betrachtete man die Verlänge-
rung und die Zerreissung des Bauchfells; nur GAiiEN zog ausserdem
die Betheiligung der Muskeln in Betracht^ Zur Beseitigung der Her-
nien wurden Bruchbänder oder die Eadikal-Operation empfohlen.® Von
der letzteren hat Heliodor eine Beschreibung hinterlassen, die durch
ihre Genauigkeit und Klarheit gerechte Bewunderung erregt.® Auch
^ E. Rivi^b: Proth^e chirurgicale chez les andens in Gaz. des höp., Parifl
1883, No. 132. 136.
* Luoian: Ad indoct, c. 6.
* Aretaeub: de acut I, 7. — CAELirs Aurelian.: de acut. IH, 4. — Galen
XIV, 734. * Celsüs VII, 26.
* Corp. Script bist Byzant, Bonn 1839, Vol. XXVI, Th. I, p. XXXIV. —
Patrolog. ed. Migne. ser. graec, T. 108, p. 37, Paris 1863.
^ R. Briau in der Gaz. hebd. de m6d. et de chir., Paris 1858, No. 9.
' Galen VII, 730. » Celsüs VII, 20.
® Oridasivs IV, 484. — Ed. Albert: Die Hemiologie der Alten, Wien
1878, S. 144.
Incareemtionserschemungren wurden von einigen Beobaohtem ge*
kildert^
Die Strikttiren diT Harnruhr*» trennte Helhujor mittelr^t eines
neidenden Instruments und lejcfte dann Buiijries jius tnn'kont'm Papier
metallene Sonden in die Urethni.^ Ebenso verstund man auch
Phimosis und Paraphimosi.s, tue Condylome und die Hanmrrhoidal-
Büten auf geschickte Weise zu operiren.'^
Die iVugenheilkunde konnte ehent^ills bedeutende Erfrdc^e aufweisen.
wrurden nicht nur die Trichiasis, da< Hypnpyon, die lii^ykt»me, die
liränentist-eln und andf^re Leiden der nasseren Tht^ile des Äuges', son-
so|g:ar der graue St-aar auf ü|ieniiivem Wege geheilt. Allerdings
naU' man niclit das Wesen d fester Krankheit, aber man heilte ^ie.
Die Kunst ging hier, wie so otY in der Medicin, der Wissenschaft voraus.
Die Staaropenition jrcschah dundi Üepression der erkrankten Linse.
fmn die letztere wieder nach ohen stieäLT oder eine weiche Consislenz
ligUf, so nahm man ausserdem nuch die Zerstiirkelung derselben vor,*
Vielleicht kannte man aych die Extraktion. Allerdin^^'s ist iHe Be-
lerkung des Flinius, dass die Ärzte aus Hahsuciit di'^ squama im
iu^'e lieber hinwegsehielien als herausziehen wollen, zu undeutlich, als
sie sich darauf beziehen lässt*. Eher lierechtiirt tue Angabe <f ale^**s»
im einige Chirurgen, anstatt den Staar zu dislociren, den Versuch
geuieht haben, ihn nach aussen zu entleeren,^ zn der Vermuthimg,
^toman die Extraktionsinethode geübt hat/' Eine Beschreibuni^r der-
ilben findet sich nirgends. Der arabische Schrif't>steller Rhaze-s schreibt
hn* Kenntniss dem Antyllus zu uncl berichtet zugleich, dass derselbe
prh mit der Beseitigung de.s8taares durch Suctiim Bescheid trcwnssthnbe."
* CELsra VII» 18. 20. — Arbtaeus: de acnf. II, fi. — Atexiir* XJV, 24. —
ttifs AEunr, III, 43. ' ÖRiSAHtis IV, 4T_'.
' OkiBJi^n a IV, 46«. 470. — I'ai lus äe<j. VI, 79.
• CELrtt'Ä VM, 7. — Galkn X, 1019. — V^](-ETRT,s Renatus: Mulomediciiirt
Tf, IT* — pAi LI s Aeoin. VI, 21. — A, Ana<jsostaki8: Contributiona k rhistoire
dm k Chirurgie oculaire che« les amuens» Athimea 1872.
* pLOfirs: Hbt nat XXIX, s. — Galgh X, 967. — VergL dazu v. Hakkes;
Fblolog. Studieii, Prag 1868.
• II. MAtjNi^ (Geschichte des grauen Staares* Leipzig 1$76, S. 226 u. äP.i
vertritt mit Gründt^n, deren Berecbltg^mig nicht zu leugnen hL fUe Ansicht, da^s
ersieh dabei nicht nm die Staar-Extraktion, sondern urn die Ilypopyün'Punction
htndett. Jedenfalls „ist", wie Alfr, v. (»kaepk (Kl in, Monatsbb f Aiigenheü-
IbOode 1868, Jannar) sagt, ^die Wi*"genpcriode iler Extrakfion eiitcj? der seh wie»
ngsten Kapitel der medicinischen Gescliichtsforschuiiy:** und eine .fiebere BeAut-
irortimg der Frage, ob d^e Alten dieselbe jjckannt haben^ nicht möglich.
^ RaAZfi»: Contincns II, c. 3, Ab«. 7. VA. Venet. 150r>, fid. 41. - Siciikl
\m Archiv f. Ophthsdm. Iflfis, XIV, H, S, I.
7*
100 Der mediciniscfte Unterricht im AUerthum.
Es ist sehr bedauerlich, dass die ophthalmologisohe Literatur des
Alterthums grösstentheils verloren gegangen ist Das Werk des be-
rühmten Augenarztes Demosthenes, welches noch zu Ende des 13. Jahr-
hunderts von Simon von Genua benutzt wurde und in einer Abschrift
vielleicht heut noch in irgend einer Bibliothek verborgen liegt, würde
über manche Dinge Aufschluss geben, über welche gegenwärtig nur
Vermuthungen möglich sind.
Die chirurgische Disciplin umfasste nach Celsus^ zunächst die
gesammte Operationskunst und femer die Behandlung der Wunden
und Geschwüre und aller Knochenkrankheiten. Vom Wundarzt verlangt
er, „dass er im kräftigen Mannesalter stehe, eine sichere und feste
Hand besitze, die niemals zittert, und die linke Hand ebenso geschickt
zu gebrauchen wisse, als die rechte. Scharf und hell soll die Kraft
seiner Augen, furchtlos sein Gemüth und dem Mitleid nicht soweit zu-
gänglich sein, dass er sich durch das Geschrei der Kranken, deren
Behandlung er übernommen hat, bewegen lässt, rascher, als es die
Sachlage fordert, zu operiren oder weniger, als nothwendig ist, fort-
zunehmen. Er darf sich bei seinen chirurgischen Eingriffen in keiner
Weise durch die Klagen der Kranken beeinflussen lassen."
Die Chirurgen wurden bei den Operationen durch ihre Gehilfen
und Schüler unterstützt Die Dienste, welche dieselben dabei leisten
mussten, werden in mehreren der oben angegebenen Stellen ausführlich
erörtert
Die Geburtshilfe wurde von den Hebammen ausgeübt; nur in
schwierigen Fällen nahm man die Hilfe der Ärzte oder Chirurgen in
Anspruch. 2 Frauen, welche sich zu Hebammen ausbilden wollen, sollen,
wie SoRANus in seinem gynäkologischen Werk sagt, „lesen können.
Verstand und ein gutes Gedachtniss besitzen, rührig, anständig, in
ihrer Sinnesthätigkeit nicht gehindert, gesund und kräftig sein und
lange feine Finger mit kurzen Nägeln haben."
Es wurde nicht, wie in Griechenland, von ihnen gefordert, dass
sie bereits selbst einmal geboren haben. Doch hält es Sobanüs für
gut, wenn sie nicht zu jung sind. Femer empfiehlt er den Hebammen,
stets nüchtern, ruhig und verschwiegen, und weder geldgierig noch
abergläubisch zu sein, sich nicht aus Habsucht zur Verabreichung von
Abortivmitteln verleiten oder durch Träume, Ahnungen, Mysterien und
religiöse Gebräuche in der Erfüllung ihrer Pflichten stören zu lassen.
> Celsus VU, Praef.
* SoRANus Ephbsits, Ed. Dietz, p. 107. — Vergl. J. Pinoff im Janus I,
S. 705— 752. II, IG -52. 217—245. 730—744.
D«r medimni»
tn Eoni.
101
giebt er ihnen den Rath, besondere Sorgfalt auf die Pflege ihrer
nie m verwenden , sie häoüg mit feinen Salinen einzureiben nnd
Wollearbeiten zu verschonen, wdl dadurch dic^ Haut hart und
[{»de wird.*
Bei der Ausbildung' der Hebammen wiirdu sowohl die Theorie als
i|it> Praxis benlcksiehti^t, vor Allem aber darauf gesehen, dnss i^k in
0 Diätetik, der Arzneimittellehre und den nothwendijiren chirur]trii>cheu
jferrichtnngen unterrichtet wurden. Ihre Kenntnisse \iim Bau der
Wichen Genitalorgane waren sehr manfrelhaft; Svhjaxis war der
eintin^, dass sie davon nicht viel zu wissen brauchten.
Dafür hatten sie ziemlich richtige Vorstellongen vom Verlauf der
Donrjalen Geburt und vun der Hilfe, die dabei geleistet werden mnsste;
^" unter»tatzten den Damm der Gebärenden mit einem Tuch, unter-
haiKlen die NabeL^obnur nach der Geburt» .sorgten für die Lnsung der
Nachgeburt u. a. m. Auch wurden sie mit den verschiedenen Lagen
d«*ü kindlichen Körpers bekannt gemacht und erhielten eine vortreffliche
E^-'"ilang zur Wahl der Amme und /mt rilege der Neugeborenen, -
intemahmen selbst wichtige Operationen wie die Wendung auf den
oder die Füsse bei fehlerhafter Kindeshige.^ Die Embryotomie
e nur ausgeführt, \fenn alle Versuche, die Frucht lebend nach
n zu beftirdem, vergebhch waren.*
Ein angeblich von Numa Pumpilius erhissenes Gesetz gebot, den
Kii^^^r^chnitt an schwangeren Versturbenen viirzunehmen, um wenn
möglich das Leben des Kindes zu retten.^ Pliniuh*' erzählt, dass er
mich an lebenden Schwangeren an;^geführt wurde, und Scipiu Africanus
üifser Operation sein Leben verdankte.
Hauche B*diammen lieschränkten ihre Thätigkeit nicht auf die
e and die Behandlung der Fniuenkrankheilen, sondern zogen
gesammte lleilkimde in ihren Bereich und waren somit eigentlich
Antin nen* '
Der Uel^anmienstand genoss grosses Ansehen. Sie wurden von
^ien Gerichten als Sachverstandige vernommen- und erhielten später
Recht* wegen der Fordenmgen für ihre Dienste klagbar zu werden/*
iche Inschriften geben der Verehrung, die man ihnen zolltej
* SiJRAXCt« p. 3—5. * SORAHlTg p. 79 u, ff. » BoiuNce^ p, ilO u. tT.
"^ßüJUXL» [1. IIB u. ff, — TEKTtLUAN; dc unima, c, 25.
^Pandect., lib. XL tit. 8, de mortuo infertodo.
' ri.i3iiiri*: Hist. oat, VH, T.
^ MjktiTiAL: Epigr. XI, 71. — Apuj.uti*: Metamorph. V, 24. — ruNUT»:
niit HAt xxvm, 7. 18. 23. 80. -- Ji/vKMAL n, ui.
"Skücca: EpisL 6fi. • Piiuc!cct,, Hb. 50. tit. la.
Aiisdnielc. Auf einem Grabdonkmal, welches yon Mommswt beschripU»o
wunle, l>etiiidet sich ein Xarbruf an »^die unvor^^Ieiehlidie Oattin, nlebt^
Fmu und vortrt»fI'tiehe Kebamnie'*. Einer der bekanntesten medicioi-
schen Sdiriftsteller und \nk\ Thiioimum s pKisriANUs, widmete sogar
ein Buch dwv Hfbamme, „der lioblieheri iiehiUin ^iner Kunst«, wie
er sie nennt.*
Der ärztliclie Stand in Rom,
Die Ausübung dtT rintlichen Praxis stand ♦ wie erwähnt, Jedem
froi^ ohne dass derHidbe in einer Prüfung' seine Hefahi^'ung d«zu j\m\\*
zuweisen j^enöthigt war; alier schon die liex Tonielia (H8 \\ Chr.) niaeht*«
üin dafür hiittlnir, wenn durcli seine Schuld der Tod eines Mensctipn
herbeij^eführt wurde. Auch die Bewerbung um eine ÄnsteHnni? im
ittTontlicben Siinitätsdienst und um die Aufnahme in die Zabl der mit
bcstimmtrm Vurretbten aus^est^itteten Arzte, ^owie die Sfcdlun^ der
ärztlieben Honorarkbi^^en, besondei*s die ejimwfliitnnn roffnith, dürften
Vemtilussunj^ eregeben hahi'n, dass die wissenschaftlich gebildeten Ante
vun den Pfusehenu wi^nn auch nicht durch das ilmviz^ so doeh im
prakfeisclien Leben geschieden wurden.^
Da vieb^ Arzte nur eine lückenhafte fachmiinnische Bilduncr l>e-
Hassen und nicht in allen Zweigen der Heilkunde unterrichtet waren,
m bofassten sie sich nur mit einem Theib^ derselben. Auf einem eng*
begrenzten Gebiet der Heilkunst konnten sie in kurzer Zeit die für die
PraxiH noth wendigen Kenntnisse erwerben, — Dm HpecialistenwescUi
dessen AnfTinge in eine frühe Zeit zurückreichen, bekam dadurch ein«
fsebr schlinjme Furm; denn es wurde nicht so sehr der Ausdruck her«
v(»rragender Leistungen auf einem spcciellen ^Jebiet, als der halb*
gehildeten ( 'burlatimerie. Seine Vertreter gaben sich im Verkehr mil
unterrichteten Arztf^n bedenkliche Blossen und dienten den Lust^pie
dichtem als willkunnnene ülijekle des Spottes.
Die Theihmg der ärztlichen Arbeit wurde in sinnloser Weine ubei
trieben. Man unterschied niclit nur Chirurgen, fleburtshelfer und
Frauenärzte, AugenftotCj <Jhrenarzte und Zabnurzte, sondern es gab fastj
für jeden Tb eil des Korpers besondere Specialist^en. Einige beschriinkteiij
• Th. Pujscian. lib. HL Praef.
I * Th. Luwknfkld: InaejitimabiHtÄt und Honorirung der artcs H^ralöB n«
r^mimiben Reiht, Mimtbcii IBöT, 8, 428,
Ihr ärziUcftt Slatui in Ihm.
103
ftuf die Behandlung ton Fisteln und Brüchen oder hestiinmter
Jrpertheile, z, B. des Afters, Ändere beschäftigten sich ausschtiesslicli
|ii dem Steinschnitt, der Uernien-Operiition oder der StaaropiTatiünJ
anem Epij^ramm des MARiiAii- lieisst es: „Cascellius zieht Zühn^
"der ergäiiTt sie, Htginuh brennt die in die Augen wachsenden
(imperhaare weg, Fankiit:? heilt das j^resehwoUeno Zäpfchen, ohne zu
neiden, Eßos beseitigt die Brandmale ans der Haut d^r Sklaven,
' und Hermis ist der beste Arat für Hernien.*' Man hatte besondere
inte für die Krankheiten der Kinder, wie für diejenigen des (freisen-
Ritters. Manche Specialisten hedit^uten sich liestimmter Kurmethoden
pd wendeten vorzugsweise das Wasser, Avn Wein, die Milch, gewisse
■zneistotfe und Pflanzen, z, B. die Messwurz^ an.^
Tüchtige Ärzte« wie Galen, verachteten dieses Treiben und wid-
iBetcn allen Theilen der Heilkunde ihre Aufmerksamkeit, wenn sie auch
in der Praxis diesen oder jenen Zweig tlerselben bevorzugen mochten.
Jch glaube," sehreibt Celsus,^ „dass m wohl möglich ist^ alle Gebiete
derHeükunst zu beherrschen. Werden sie aber von einander gethfilt,
$0 lobe ich mir den Antt, wolc^her die meisten derselben kennt/*
Zwischen den Ärzten und den Chirurgen bestanden treundschaft-
liehe Beziehungen. „Sie untei-stützten und empfahlen sich gegenseitig,"
eriihlt Pi-UTABCH. ^ Es scheint nicht, dass die Chirurgen eine niedrigere
geseUsohÄfllicbe Stellung einnahmen, als die Arzte für innere Krank-
heilen, wie dies in späteren Zeiten der Fall war. Auch lässt Nichts
darauf schliessen, dass Jene im Allgemeinen eine geringere Allgemein-
biWuiig besassen, als diese.
In manchen Fällen wurden von den Kranken oder ihren Angc-
I L'u mehrere Arzte zu Eath gezogen, welche in gemeinsamen Be-
nUiiLingen die Diagnose und Behandlung besprachen. Dabei mag es
Wühl häufig zu heftigen Meinimgskämpfen gekommen sein,*^ in denen
<iie Grenzen <ies Anstandes überschritten wurden. Ihre ungleiche wissen-
schaftliche Bildung erklärt es. dass unterrichtete und erfahrene Arzte,
wie ijALEN, im Unmuth übet die Unwissenheit und Untahigkeit ihrer
Tollegen ein scharfes Ürtheil über deren Ansichten und Verordnungen
raUt^n.^
Theüdobijs PjusciANUii hat eine drastische Schilderung solcher
* Pseodo-GALEn: De part. artis medic. Ed. Chnrtier II, 2b2. — Galen V, 846.
^ Mautiai.: Epigr. X, 56. ^ Plikr:.'^: Hist nat XXIX, 5.
* CEU*r9 VU, Praef.
• Plctarco: de fipftterno amore, c. J5. — Galen XVIII A, 346.
• PuNii s a. a. 0. XXLX, 5.
J UAi.E3f Vin, 357. X, 910. XIV, 623 u. ff.
104 Der medioinische Unierricht im AUerihum,
Consilien hinterlassen. * „Während der Kranke von Schmerzen gepeinigt,"
schreibt er, „auf seinem Lager hin und her geworfen wird, stürmt die
Schaar der Ärzte herein, von denen Jeder nur bedacht ist, die Auf-
merksamkeit der Übrigen auf sich zu lenken und sich um den Zu-
stand des Kranken wenig kümmert Wie im Cirkus oder beim W^ett-
kampf trachtet der Eine durch seine Redekunst oder Dialektik, der
Andere durch den künstlichen Aufbau von Thesen, welche sein Gegner
wieder niederreisst, ausserordentlichen Ruhm zu ernten." Der Volks-
witz machte sich über diese Verhältnisse lustig und erfand die von
Plinius (a. a. 0.) erzählte Anekdote, dass auf einer (rrabschrift zu lesen
war, der Verstorbene sei an der Menge der ihn behandelnden Arzte zu
Grunde gegangen.
Der ärztliche Stand genoss Anfangs nicht dasjenige Ansehen,
welches seiner anstrengenden opferwilligen Thätigkeit gebührt. Die
vornehmen Römer hatten für die Medicin höchstens ein dilettanten-
haftes Interesse und betrachteten die Ausübung der Praxis als eine
Beschäftigung, die sich nur für Leute von niederem Herkommen, für
Diener und Sklaven schicke.^
Als später die Einwanderung der fremden Ärzte erfolgte, und
Heilkünstler aus Griechenland, Ägypten, Kleinasien und Palästina sich
in Rom niederliessen, trat der beschränkte Nativismus, das spiessbürger-
liche Vorurtheil, welches man gegen alle Fremden hatte, einer Ver-
besserung der socialen Stellung der Ärzte hindernd in den Weg.
Freilich trugen die letzteren auch selbst einen grossen Theil der
Schuld. Die Prahlereien, die Habsucht und die Laster, durch welche
sich Einzelne von ihnen verächtlich machten, bot^n ihren Gegnern
wirksame Waffen, welche sich gegen den ganzen Stand richteten.
Plinius berichtet, dass Ärzte ihre Vertrauensstellung dazu missbrauchten,
um Erbschleich(?rei und Ehebruch zu treiben und durch Darreichung
von Gift den Tod eines Menschen zu bewerkstelligen.^ Galen ver-
gleicht die Ärzte in Rom sogar mit Räubern und sagt, dass zwischen
ihnen nur der einzige Unterschied bestehe, dass diese im Gebirge und
jene in der Stadt ihre Schandthaten begehen."*
Dazu kam das aufdringliche und prahlerische Auftreten mancher
fremden Heilkünstler, welches dem würdigen Ernst der Römer missfiel.
So durchzog Thessalus, der sich den „Besieger der Ärzte" nannte,
^ Theod. Priscianus I, Praef. * Plinius a. a. 0. XXIX, 8.
' Plinius a. a. 0. XXIX, 8. — Martialis: Epigr. VI, 31. — Tacitüs: Annal.
IV, 3. XII, 67.
* (iALEN XIV, 622.
einem Schwann von Anhängern die Strassen, ,,wie ihn kaum ein
pieler oder berühmter Cirkusreiter hatte,*** Einzelne Ärzte be-
leben die Ja^d auf Patienten ^^anz offenkundig und eiUhlndeten sieh
^hl> Voruiiergehende zum Eintritt in ihre Oflicinen aufzulbnlern, die
Du häutig genus;: zum Aufenthaltsort von Müssig^rmgrem und (iaunern
Dtark'Wn.
Der Wunsch, bekannt zu werden und Pnms zu erwerben, ver-
ßte Viele, „sich tmi die Gunst der vermögenden und eintlussreichen
onen zu i)e werben, mit ihnen auf den Strassen einher zu stolziren,
fchmaiisereien zu feiern und Possen zu rei^ssen^ während Andere durch
^ Pracht ihrer Kleidung, durch w^erthvolle Ringe und andere Schmuck-
Stande die urtheilslose Menge zu blenden suchten."^ Wie zu
ÖPD Zeitijn, so liebten aucli damals die Ignoranten und Charlatane,
liun^h den (llanz der äusseren Erscheinung die Hohlheit ihres inneren
^W®^8 zn verbergen.^ Ärzte, welche mehr Wissen und Verstand be-
wendeten sich an die Utfentlichkeit, um für sich Reklame zu
Dschen. Sie hielten populäre Vorlesungen^ veranst^ilt-eten Disputationen
mit ihren Collegenj welche sich zu erbitterten UedetoiirnieTen gestalteten
und im Allgemeinen mehr zur Unterhaltung als zur Belehrung des
l^ublikams beitrugen, und führten vor den Augen desselben im Theater,
im Cirkus oder an anderen ütfentliclien Orten chirurgische Operationen
AUS,* Diese Sitte, welche sich bei herumziehenden Meükünstlern,
namentlich l>ei den Zahnärzten, bis beut in Italien erbaiteu hat, scheinl
griechisch-orientalischen Ursprungs und erst mit der Einwanderung der
finemden Arzte nach Rom gelangt zu sein.
Das Honorar, welches die Ärzte für ihn^ Dienste emplingen, war
nutfirhch sehr Terschieden und richtete^ sich nach den Vermögensver-
ttltnis^en des Kranken und der Stellung und Tüchtigkeit des Arztes,
l\\£S erhielt vom Consul Boöthus, des^^en Frau er längere Zeit bf*-
handelt hatte, 400 (roldstucke.^ Der ehemaUge Praetor und Legat von
' N, Manlius Cornutus^ zahlte dem Arzt, der ihn von einem
li 11 befreite, 200,t*OÜ Sestertien, *' Dio gleiche Summe verlangte
t'HiRMn*, der durch seine Kaltwasser-Behandhmg Aufsehen erregte, für
me Küu die er in der Provinz unternahm/
^ PuÄii*: Hier. nat. XXIX, 5. « Ualkn XIV, Holi.
' LrciAN: Afl. indoi'tum, c. 21h
* Plctarch: de adulatore et amico, c. :^2,
* (fxloi XIV, Ml, Diiü Siiintixi; huf ujioh ÄLusm Aisrit (a. a. O. Bd. V, S. 70)
doeti Ooldwerth von etwa SOOO Mark I). U.-W,
' PuKitis: HisL nat. XXVI, 3, Über 40,000 Mark. Marquahdt a. a, 0. S, 72,
' Fi^niic» a. a. O. XXIX, 5, b,
106 Der medwinische UnterricfU im AUerthum.
Als Q. Stektinius zum Leibarzt des Kaisers Claudius ernannt
werden sollte, erklärte er, dass ihm die Besoldung von 250,000 Sestertien
zu niedrig sei, da ihm, wie er durch Aufeählung der Familien, wo er
Hausarzt war, nachwies, die Praxis ein jährliches Einkommen von
600,000 Sestertien sicherte. ^ Der Arzt Kbinas, welcher die Astrologie
zur Grundlage seiner Verordnungen machte, hinterliess, wie PLiNrns
(a. a, 0.) erzählt, ein Vermögen von 10 Millionen Sestertien, obwohl
er grosse Summen für öffentliche Bauten ausgegeben hatte. Vom
Chirurgen Alkon wird berichtet,* dass derselbe, nachdem er zu einer
Strafe von 10 Millionen Sestertien und zur Verbannung verurtheilt
worden war, sich nach seiner Rückkehr binnen wenigen Jahren die
gleiche Summe wieder erworben habe.
Aber solche glänzenden Einnahmen wurden sicherlich nur wenigen
(xlücklichen zu Theil. Die grosse Mehrzahl der Ärzte verdiente kaum
soviel, als der Lebensunterhalt erheischte. Die ungleiche Vertheilung
des Besitzes, welcher sich in den Händen einzelner Familien anhäufte
und die grosse Masse des Volkes dem Proletariat überliess, eröffnete
nur wenigen Ärzten die Aussicht, durch Ausübung ihrer Kunst Reich-
thümer zu erwerben. Auch trug die rücksichtslose Concurrenz, die sie
sich machten, dazu bei, dass ihre Dienstleistungen möglichst gering
honorirt wurden. Wer die Armen-Praxis ausübte, blieb natürlich selbst
ein armer Mann.^
Es kam sogar vor, dass Ärzte ihren Beruf aufgaben, weil er sie
nicht ernährte, und sich dem — wie es scheint — einträglicheren
Metier eines Gladiators oder Leichenbestatters widmeten. Darauf be-
zieht sich ein boshaftes Epigramm Martial's, in welchem er sagt:
„Diaulus war Arzt, jetzt ist er Leichenträger. Er macht von der ärzt-
lichen Kunst den Gebrauch, welchen er am besten kennt." „Übrigens
war er auch früher, da er noch Arzt war, doch nur ein liCichen-
bestatter."*
Nur. langsam und allmälig verbesserte sich die gesellschaftliche
Stellung der Ärzte. Sie verdankten dies theils den erfolgreichen Be-
strebungen jener Mitglieder ihres Standes, welche durch die Tiefe ihres
Wissens und die Reinheit ihres Charakters die Achtung und Bewun-
derung ihrer Mitbürger errangen, theils der sich immer mehr Bahn
brechenden Erkenntniss der Nothwendigkeit und Wichtigkeit der ärzt-
lichen Kunst.
Die Gebildeten begannen, ein lebhaftes Interesse für anatomisch-
> PuNius a. a. 0. XXIX, 5. « Puniub a. a. 0. XXIX, 8.
• Galen XII, 916. * Martialis; Epigr. I, 30. 47. VIII, 74.
iolog:bche Untersuchungen und für die Heilkunde überhaupt zu
emptincleii. «Ich ghiube.** sc.hreibt (jELi^irs, „das8 **s nicht tilos für
den Ar/t, sondern für jeden selhistständitreii Menschen, der eine ^ute
hunu ^cnos-seu hut, eine Schande ist, wenn er nicht über die Din^^e,
she den inens?chlichen Kijrper betreffen^ Bescheid weiss und die
iCnnt, welche uns die Natur zur Erhaltung der Ge^undhivit ottV-n
Augen gelegt hat. Ich habe deshalb alle Zeit, die ich erübri*:en
te. iiuf das Studium medicinischer Werke verwendet, weil ich darin
liie tote Belehrung zu hnden hoffte/*^ Ebenso war pLUTAHt^H der
loung, dass Jeder seinen Puls kennen und wis^sen müsse, was ihm
ich oder schädlich sei.^
Auch die ethii*che Seite des ärztlichen Jierufs wurde von eini^,'en
iiivn hervorgehoben, „Der Arzt soll nicht ^^^zwungen werden, die
iken zu besuchen,** scbreibt LuriAN;^ „er darf nicht eingescluichierr,
ii mit<iewalt durthiu geführt wenlen, sondern niuss freiwillig' und
zu ihnen kommen.*'
Man kann die iiobe Würde, den idealen Werth der Heilkunst nicht
kennzeichnen, ak Sknbl'a, wenn er sagt: „Mau giebt dem Arz^.
den Lohn für seine Mühe: denjenigen für t^ein Herz Ideibt man
ita sebüldig/* „filaulksf Du denn," heisst e^ an einer anderen Stelle,
,Jaiß Du dem Arzt uml dem Lebrer nichts weiter schuldest, als sein
Honorar? J^i nm- widmet man Beiden grosse Verebrun? und Liebe,
,.. Wir empfangen von ibnüi unscbützbure iiüter, vom Arzt tie-
-suD<iheit und Leben, vom Lebrer die edle Bildung des tieisteis. . . .
Beide sind uns Ereunde und verdienen sich nicht durcb ibre verkäuf-
liche Kun.sT, wobi aller diircli ihr aufrieb tiges Woblwolien unseren in-
mpUm Dank,'**
Ete Bedüriniss nach ärztliclier Hilfe fülirte 8cbon m früher Zeit
diihm, dass man Hausärzte, Arzte für 'lemeinden, da-s Heer, und für
Geüi»s?enschaft.en anstellte. Reicbc Leute, welche einen grossen Haus-
stand und vi nie Sklaven be^Ja^sen, waren darauf bedacht, dass ibnen in
Kraakheitslallen zu jetler Zeit ein Arzt zu Oebot stand. Zu diesem
Zweck iichlüHsen sie mit einem in der Nälie wohnenden Arzt einen
;riff, der denselben verpHichtete. ibnen gegen einen bestimmten Jahres-
t alle arztlichen Dienste zu leisten,"
Noch t)equemer aber war es für sie, wenn sich unter ihrer Diener-
^Gbluvs: Noct. Atric XVHl, 10.
'PuTABCii: de sanitAte luenda jirnec,, c. 24, 25.
' LüütAK: Abdicatus (Der vemtos&eii« «Sohiii. c. 23.
* Sestbca: de benefit* VI, 15. 16. 17.
* Yauio; de r« rnst. I, 16.
Schaft, ein heilkimdij?f»r Sklavr l»ofantl rlem sie die Sorge fiir ihre
der Ihrigen Gesundheit anvertrauen koimkin. * Sklaven dieser
waren daher sehr gesueht nnd standen hiiher im I*reise aU die fibrig
Sklaven; sie wurden so^fir tlieurer verkauft, ük die Kimuchen.* A«
kam es vor, da&s Junge hei^aiiio Sklaven anf Kuslen ihrer Herren i
der Heilkunwt unterrichtet und zu Ärzten ausgebildet wurden. —
abyiän^pre Stellung,' dieser Ärzt^* ent^t-huldipl ^ie, wenn .sie ihr medi
ni.Hchei? Wissen nifht bltis dazu verwendeten, um Sehmerzen zu linde
und Krankheit+'n zu heilen, sondern aueh zu scheussliehen Handlungpri
und jtehweren Verbrechen,* welcbe sie auf Hefehl ihres Herrn ausfßhrtm
War der letztere selbst Aat, so dienten sie ibm als Assistenten
und Gehilfen in der Praxis; wenn sie .selbststiindi^^ Kranke behandelu^n,
HO musst^n sie ihm diis Honorar, welches sie dahir erhieltr^n, abljefem
und bildeten somit i*ine bisweilen reeht erpriebige Erwerljs^jueile für
ihn. Aus diesen limstiinden wird es l^e^reiflieb, «his«^ er Sklaven dimit
Art nur ungern die Freiheit gab; denn er verminderte dadurcb nicht
nur seine Einnahnienj sondeni schuf sieh auch zuweilen einen Toncur-
renten, der ihm, weil er seine Patienten kanntr, dopjtelt ^^efahrM
werden konnte.
Ebensowenig' waren Niebtrirzte^ welche Sklaven mit medi<*infi
Kenntnissen besessen, geneigt, sicli dieses Besitzes zu entledigen, weil
sie damit den immer bereiten, griinzlicb erpel^enen Hausarzt verloreo/
Das Gesetz war daher iienothiirt, die einander entjLref^cnn^esetzten Int*^re;*sen
der Herren und ihrer Sklaven zu versilhnen^ indem es einerseits dip
Bedingungen, unter denen die letzteren ihre Freiheit soi fordern k»-
n»ehtip^t waren, und die Xonnen feststellte, nach weh*hen die Holi»^ dei<
Lösevreldes bere^lmet wrrden sollte, ün<l andererseits den Fmgelassenen
bestimmte Verpflichtungen gegen ihre ehemaligen Herren uuferlegli?,
welche die letzteren vor übermässigen Narbtbeilen s^diützen snlHen.*
Die im Besitz des St^iates belindlielien Sklaven des ärztlichen
Standes, welche wahrscheinlich die Behandlung der erkrankten Sem
pubiiei besorgten, sf'beinen *^ieh im Allgemeinen in einer gönstigeren
Lage und freieren Stellung befunden zu haben, als ihre fierufsgenosseßf
welche Privatpersonen gehörten.
Den freien Ärzten wurden verschiedene materielle Vortheile und
Vorrechte gewährt, weil man erkannte, wie nützlich und wichtig die
• SüSToif: Nero, c. 2. CaXig, c. 8, — Sxirfici! de benef. Ill, 24,
» Cod. Jtwt. VT, tit, 43, 3. VU, tit 7, 1.5,
• Cicero: nd Häoii., c 34. pro Cla«iitio, c 14 «. C — Tacfit» Atinal XV, (
• Digest XL, tit 5, c. 41, 6.
• '^' «t XXXVIU, tit 1, c. 25-27.
Der ärxUicke Siand tn Rom.
109
Helllmiii^ für da« allgemeine Wohl ist. Als Cäsar bei einer Hungern-
notli, dii» im Jabre 46 v. Chr. in Rom ausbrach, die Ausweisung der
tVtnden anordnete, nahju er ausdrucklicli die Arzte und din J^ehrer
luö die**jr Ma&sregel aus, „damit sie um .so litd>er in der Starlt wohnen
Ideiben und noch Andere dorthin nai^bziehen^ ^ Der Kaiser Augustus
filirte den Ärzten i. J, 10 n. llir. die Immunitat, d, i, die Befreiung
Steuern und anderen Lasten, angebliidi aus Dank für die erlolg-
reiclie Kur, durch welche ihn sein Leiiiarzt Musa, ein begeisterter
Anhänger der Hydrotherapie, von liartnik^kigen rheuniuti.se!ien Bt^-
gj,|M^,.*^.l..ri erlost hatte. ^ Vespasiau erneuert^' oder bestätigte diese^n
t, tu und Hadrian erliess erlaiitiTnde Bestimmungen über die
Ärzten verliehen(*n Vorrechte.^
Aus dieser Verordnung, welehe unter Antouinus Plus erneuert
wurd^f ergiebt sieh, dass sie von der Cliernahme verschiedener zeit-
imbenden und mit manchen Unbequemlichkeiten und Unkosten ver-
bundenen Amter, z. B, der Cberwachurig der ofi'entlichen Spiele, der
Adilität, und den priesteriicheu Verrichtungen, eltenso wie von der l^n-
fpiariieningshist befreit und der P Hiebt entlioben waren, zu dem Ein-
if iTüti Getreide und Ol, wenn er von Seiten des Staates geschah,
^utragenj auch nicht genothigt wurden, als Richter oder Legaten 'm
Kuipreiif und weder zum Militär noch zu anderen öft'entlichen Dienste
Iwtongen herangezogen werden konnten.^
Ant4jninus Pius bestimmt*? aber gleicbzeitigy dass diese weitgehen-
den Privilegien nicht allen Ärzten ohne Unterschied, sondern nur einer
besüminten Anzahl derselben zu Theil würden. P]s wurde angeordnet,
4am in kleineren Städten nur ffinf, in mittleren sieben und in gi-<jsseren
mkn Arzte die Immunität erhalten sollten, und die let2tere ihnen,
veno sie sich in ihrem Beruf Naeblässigkeiten zu Schulden kommen
lie^sen, jeder Zeit von der Stadtbehörde wieder entzogen werden konnte.
F«nM>r wurde bei der Verleihung dieser Vorrechte den einbeimischen
Anten, welche in ihrem Heimathsort prakticirten, der Vorzug einge-
riiiint vor den Fremden, die dort eingewandert waren. Die letzteren
ii nur, wenn sie sich durch herviprragende Leistungen auszeichneten,
fc«ückiüchtigt werden. In solchen aussergewöhnlichen Fällen durfte
Mgar die vorgeschriebene Zahl der mit Immunität ausgestatteten Arzte
mmAhntsweise überschritten werden.
» ScvTOii: J. C&aar, c. 42.
• Dio ÜAsisiüfl LllL 30. — Siteton: Augtistu«, c. 59. — Hobaz: EpisL l, 15.
* Digest. L, tit. 4, de muner. et honor. lex IS, 30.
' J>igi^t XXVn, tit. l. de ejccusat, c. 6, 8. — E. Kühk: Die stüdtischo
otiii bCIfgerL Veifanoiig dm röm. Keii^hcs, I^ipsig 18ß4, I« 8. ^9 u. W,
110 Der medicinische Unterrichi im AUerthu/m.
Alexander Severus erliess das Gesetz, dass in den Provinzen die
Immunitat nicht mehr von den staatlichen Behörden, sondern von den
Bürgern und Grundbesitzern verliehen würde, weil diese den Charakter
und die Tüchtigkeit der Ärzte, denen sie sich in Krankheiten anver-
trauen, am besten kennen. ^ Später wurden den Ärzten noch die extra-
ordinaria cognitio gewährt, nämlich das Recht, ihre Klagen wegen ruck-
ständiger Honorarforderungen unmittelbar bei der höchsten Instanz der
Provinz vorzubringen.*
Es scheint, dass man durch solche Begünstigungen zunächst nur
beabsichtigte, tüchtige unterriclitete Ärzte an einen Ort zu fesseln, wie
das Beispiel des Archagathus lehrt. Bald aber wird man ihnen dafür
auch bestimmte Verpflichtungen auferlegt haben, welche im öffentlichen
Interesse lagen. Ak sich das Institut der Gemeindeärzte, wie es in
Griechenland bestand, im römischen Reiche einbürgerte, wurden ihnen
die mit den Pflichten des öffentlichen Dienstes verbundenen Vorrechte
vorbehalten. Die erwähnten Privilegien wurden somit später vorzugs-
weise, wenn nicht ausschliesslich, den Gemeindeärzten zu Theil. Ihre
Zahl richtete sich nach der Grösse der Stadt und war, wie es scheint,
die gleiche, wie diejenige, welche das Gesetz für die Verleihung der
Immunität bestimmte.
In Gallien hatte man schon vor Strabo's Zeit (Jemeindeärzte,' in
Kleinasien vielleicht schon früher* und in Latium jedenfalls unter
Trajan, wie aus einer (irabschrift hervorgeht, welche dem besoldeten
Arzt der Stadt Ferentinum gewidmet ist.*^ In Rom wurde für jeden
Bezirk der Stadt ein Arzt angestellt.
Die Gemeindeärzte waren vorzugsweise dazu verpflichtet, Arme
unentgeltlich zu behandeln; doch war ihnen die übrige Praxis keines-
wegs verwehrt. Femer wurden sie bei Epidemien und anderen Ereig-
nissen, welche mit einer Zunahme der Krankheiten und Sterbefälle
verbunden waren, zu Rath gezogen; ausserdem gehörte der medicinische
Unterricht zu ihren besonderen Obliegenheiten.
Von der Gemeinde erhielten sie eine Besoldung, welche haupt-
sächlich in Naturallieferungen bestand. In grösseren Städten, wie in
Rom, bildeten sie Collegien, welche sich, wenn eine Stelle erledigt
wurde, durch Cooptation ergänzten. Doch unterlag ihre Wahl der
kaiserlichen Bestätigung. Manchmal scheint das Amt auch von dem
Vater aaf den Sohn übergegangen zu sein.®
* Digest. L, tit IX. de decretis ab ord. fac., c. J.
* Digest. 1, tit. 13, c. 1. » Strabo IV, 1.
* Vercoutbe a. a. 0. p. 351. — Orelli: Inscript lat., No. 3507.
•'• Marqt'Audt a. a. O. ^'II. 75.'). ♦* VERrormE a. a. 0. ß. 821.
Der ärztliche Stund in Born, 111
Unter der Regierung der Kaiser Valentinian I. und Valens (368 n. Chr.)
wurden die amtlichen Competenzen und Beziehungen der Gemeindeärzte
in ihren Einzelheiten festgestellt.^ Seit dieser Zeit führten sie auch
officiell den Titel Archiatri populäres, dessen Entstehung jedenfalls in
eine frühere Zeit fällt Das Wort Archiater kommt schon bei Are-
TAEüs vor* und ist ofifenbar nach der Analogie anderer Ausdrücke
mit der Wurzel äox gebildet, um die Würde, die höhere Stellung zu
»bezeichnen, '
Am firühesten scheint es zur Bezeichnung der Ärzte des kaiser-
lichen Hofes gebraucht worden zu sein. Schon Stebtinius Xenophon,
über dessen Lebensschicksale durch die Auffindung seines mit Inschriften
bedeckten Leichensteins vor Kurzem interessante Aufschlüsse gegeben
wurden,* führte den Titel eines Archiaters, und vor ihm vielleicht schon
iL Lrviüs EuTYCHus.* Ebenso wurde der Leibarzt Xero's, Andbo-
MACHU3, zum Archiater ernannt, weil der Kaiser damit, wie Galen
bemerkt, ß andeuten wollte, dass er die übrigen Ärzte durch Erfahrung
und Wissen überrage. An einer anderen Stelle gedenkt Galen der
Ärzte Magnus und Demetrius, welche zu seiner Zeit die Würde des
Archiaters bekleideten.^
Später führten die Hofarzte den Titel Archiatri palatini im Gegen-
satz zu den Archiatri populäres, den Gemeindeärzten. Am Hofe des
Kaisers Alexander Severus gab es sieben Ärzte, von denen aber nur
der erste, der eigentliche Leibarzt, einen Gehalt in baarem Gelde bezog,
während den übrige^ Lebensmittel geliefert wurden. Ausserdem
nahmen sie an allen Privilegien und Begünstigungen Theil, welche
den Archiatem und Ärzten überhaupt verliehen worden waren. •*
Wie der Hof und die Gemeinden, so hatten auch manche (Je-
nossenschaften ihre eigenen Ärzte. Ebenso wurden für einzelne Be-
amten-Kategorien, das Theaterpersonal, den Cirkus und die Gladiatoren
besondere Ärzte angestellt®
Auch die verschiedenen Truppentheile erhielten ihre Ärzte, die sie
ins Feld begleiteten und die erkrankten und verwundeten Soldaten
' Cod. Theodos. XIII, T. 3. de med. et profess., c. 8— 10. — Cod. Justin.
X, T. .^>2, c 10.
• Aretaeuh: de acut. cur. II, 5.
^ G. CuRTirs: Gnindzüge der griechischen Etymologie, Leipzig 1879, S. 189.
* M. DuBois: Un m^ecin de Tempereur Claude. Bull. d. corresp. helli''n.
I^si, No. 7. 8.
^ R. Briau: Archiatrie romaine, Paris 1877, c. 2.
• Galbk XIV, 211. ^ Galen XIV, 261.
* Lampbidiüb: Alexander Severus, c. 42.
® R. Briai;: Uaasistance mMicale chez les Romains, Paris 18H9.
112 Der medicinisehe Unterricht im Alterthum,
entweder in ihren Zelten oder in den Lazaretten behandelten. Sie
trugen WaflFen, wie die übrigen Soldaten ^ und genossen die den übrigen
Ärzten gewährte Immunitat Über die Rangverhältnisse der Militär-
arzt« und ihre Beziehungen zu ihren Vorgesetzten bestanden genaue
Bestimmungen.' An der Spitze des ganzen Militär-Sanitatswesens stand
vielleicht ein General-Sta])sarzt.^ Desgleichen war die Marine mit
Ärzten versehen; es gab darunter sogar Specialisten, wie aus einer Be-
merkung Galen's hervorgeht.*
Ärzte, welche sich durch ihre Thätigkeit hervorragende Verdienste
erwarben, wurden mit Titeln und Würden, mit Bangerhöhungen und
anderen Ehren ausgezeichnet. Wie überall, so waren es auch in Rom
vorzugsweise die Hoförzte, denen diese üunstbezeugungen zu Theil
wurden.* Müsa wurde vom Kaiser Augustus in den Ritterstand er-
hoben und seine Statue im Aeskulaptempel aufgestellt. Stebtinius
Xenophon erhielt für seine Leistungen als Militärarzt von Claudius
die Corona aurea und hastn pura; als kaiserlicher Leibarzt erlangte er
einen derartigen Einfluss, dass er zum Staats-Sekretär für die griechi-
schen Angelegenheiten ernannt wurde. Seine Heimath, die Insel Kos,
verdankte es ihm hauptsächlich, dass sie von Steuern befreit wurde.*
In späteren Zeiten geschah es nicht selten, dass Ärzte hohe Stellungen
am Hofe oder in der Verwaltung des Staates annahmen und damit
wahrscheinlich ihrer bisherigen Berufsthätigkeit entsagten.
Der Verfall des römischen Reiches erstickte das wissenschaftliche
Streben und vernichtete manche vortreffliche Einrichtung, welche auf
dem Gebiet des Unterrichts und der Heilkunde geschaffen worden war;
aber die wesentlichen Grundzüge dieser Organisation blieben erhalten,
wenn sie auch durch Unverstand und Erbärmlichkeit missbraucht und
bisweilen sogar in ihr Gegentheil verkehrt, wurden. Die reiche medi-
cinische Literatur, welche gerettet wurde, überlieferte der neuen Zeit
die Errungenschaften der alt<»n und wies der ärztlichen Forschung die
Wege, welche sie wandeln muss, wenn sie Erfolge erringen will.
^ Aaf der Trajans-Säule in Rom sind zwei Militärärzte dargestellt, welche
Wunden verbinden und Pfeile ausziehen und dabei bewafifhet sind.
^ K. Bhiau: Du scrvice de sante niilitaire chez les Romains, Paris 1866.
^ Achilles Tatiüs: de Clitop. et Leucipp. amor. IV, 10.
♦ Galen Xu, 786. * Cod. Just. XII, tit. 18.
« Tacitus: Annal. XII, 61.
II. Der medicinisclie Unterriclit im Mittelalter.
Der Einfluss des Christenthums.
I)iT rnmischc SUiatsor^rHiHsniiLs wurd<* Uiirrh schl<'iclii'iMji: Knink-
if\[m, weiche sein Lebensmark ziTstorten^ einem langen Sierhihnin
iführt, (lem die siegreichen Angriffe äusserer Feind** ein unnlhm-
Enrle Ijereitt^ten.
Die Untahiffkeit luni Verwurfenlirit auf dvm Tlirom^, dw Tfit^Iun^^
kr Rei^ierung unter mehreren einander luii^sgünstiiren und l.»efelidenden
Machthalw^m, die O»rruption der Beamten und die Kauf liehkiit einer
ükTmüthi^ren und ülH^nnäclitig^'u Snldateska untergruben sein** politiscfn'
ühtenz, wahrend die Loekeroni^: der Famiiienf>andej die Genusssucht,
Hochmut h und die Verschwendung der Peiehen nel)en dem Elend
tlpr Miissen, nnd die freche Schamlosigkeit, mit wf^lcher das Laster sieb
jor Aller Augen zeigte, das social^ L(dien in Rom vergifteten. Die
hm Naturvölker des Nordens, welehe zuerst als g(Mlüngene »Söldner-
aren, ilann als umworbene Hp2?'ehtltzer niul zuletÄt als gebietendi^
lem'n dorthin kamen, beschleu?Hgteri den Ziist'tzungsprozess und
ph'M dem durch innere Leiden zerrütteten, aus unzahligen Wunden
"l»lnt*Miden tind verstümmelten rnmisehen Keiche aus Mitleid endlicli
jjon Tode^sstoss,
IkT Maunesmuth und Heldensinn, welcln^r den Namen d<T Ronier
Ulf Uiibm iiedeckt und ihren Staat gross gennicht batte, war erloschen.
\\*nn eine vereinzelte kühne That an die Zeilen der Vergangenbei!
irinnerte, «o erhellte sie nur für ^nnen Augenblick wie ein leuchtender
iitz di*» <limkele Nacht der Gegenwart.
Der nach idealen Zielen ringende Ehrgeiz suchte seine Aufgaben
ORUgsweiso auf dem (iebiet der Theob^gie und der entsagiingsvuUen
Vümmigkeit^ Diese Denkweise, welche von den sittenstrcngeu An-
ngern der 8toa vorbereitet, aber erst durch das Christenthum allge-
meiner verbreitet wurde, sah iii dem geduldigen Ertragen der Leiden,
114 Der medicinische Unterricht im Mittelalter,
in der Enthaltsamkeit von den Genüssen des Lebens die vornehmste
und höchste Tugend, die der Mensch anstreben soll. Einen wirksamen
Ansporn dazu gab die christliche Glaubenslehre, indem sie die Aussicht
eröfl&iete auf ein Leben nach dem Tode, in welchem alle Ungerechtig-
keiten gesühnt werden, die Tugend ihren Lohn und das Laster seine
Strafe erhalttm sollten. Den Armen und Elenden dieser Welt wurde
damit die Hoffnung auf eine bessere schönere Zukunft gewährt, welche
sie über den Jammer der Gegc^nwart trösten konnte, den Reichen das
Mitleid in die Seele geträufelt und di(» Sünder mit Furcht und Schrecken
erfüllt und dadurch zur Besserung geführt. Diese Lösung der socialen
Fraj^e entsprach den Bedürfnissen und dem Culturzustande jener Zeit
und niusste sich daher allgemeine Anerkennung erringen.
Die ersten Anhänger dvs Christenthums gehörten den Kreisen der
Unterdrückten, der Enterbten an; später fand es auch in den mit
Glücksgütt^rn gesegneten, sogenannten höheren Klassen der mensch-
lichen Gesellschaft Gläubige, welche, angewidert von der moralischen
Verkommenheit ihrer Zeit, in den L(»hren des neuen Evangeliums Trost
und Erhebung suchten.
So lange die christliche Kirche aus solchen Elementen bestand,
bewahrte sie ihre Reinheit und blieb die Religion des Friedens und
der Liebe, welche ihr erhabener Stifter geträumt hatte. Als ihr aber
mit <ler zunehmenden Verbreitung auch die Macht und der Reichthum
zulloss und dadurch eine Masse ehrsüchtiger und charakterloser Streber
angezogen wurde, wurde sie zum Tummelplatz menschlicher Leiden-
schaften gemacht und stiftt^te manchmal mehr Unheil als Segen.
Das Christenthum beschäftigte sich nur mit der ethischen Erziehung
des Menschengeschlechts; der wissenschaftlichen Ausbildung stand es
gleichgültig, zuweilen sogar feindlich gegenüber. Es war dies auch
natürlich; denn in einer Weltanschauung, welche, wie die christliche,
ihre Ziele in einer übersinnlichen Welt der Ideale suchte und die sitt-
liche Vervollkommnung der Menschen für deren wichtigste oder einzige
Aufgabe erklärte, konnte der wissenschaftlichen Forschung keine grosse
Bedeutung zugestanden werden.
In direkten Widerspruch zum christlichen Dogma aber trat die
letztere, wenn sie die Erscheinungen der Natur, z. B. den Körper des
Menschen, welchen der christliche Glaube für unrein und werthlos,
wenn nicht verächtlich erklärte, zum Gegenstande ihrer Studien machte.
Die Naturwissenschaften und die theoretische Medicin haben daher
unter d(»r Herrschaft der christlichen Kirche keine wesentlichen Fort-
schritte gi^macht. Dagegen verdankt die praktische Heilkunde ihrer
Anregung die Gründung zahlreicher Krankenhäuser und anderer Wohl-
Der Einflu88 des Christetühuvis. 115
thätigkeitsanstalten, welche die Humanität wie die arztliche Heilkunst
in gleichem Maasse forderten.
Die Entwickelung der Wissenschatten wurde in jener Zeit auch
noch durch andere Verhältnisse und Thatsachen gehemmt, üie be-
standigen Kriege und Raubzüge feindiichtr Volksstämme, die religiösen
Verfolgungen und dogmatischen Streitigkeiten, die durch die Unsicher-
heit des Besitzes und des Lebens hervorgerufenen socialen Verände-
rungen und die schweren Seuchen, welche die Länder entvölkerten und
in Wüsteneien verwandelten, lenkten die Aufmerksamkeit von den
wis5k»nschaft liehen Studien ab und nahmen den Gemüthern die dazu
«erforderliche Ruhe.
Al)er die wichtigste Ursache des wissenschaftlichen Stillstandes lag
darin, djuss die Völker, welche das Reich der Römer unter sich theilten,
ihnen an Bildung bei weitem nachstanden und daher zunächst die
Aufgal>e hatten, deren Cultur in sich aufzunehmen. Dieser Prozess
dauerte Jahrhunderte und fand eigentlich erst am Knde des ilittelaltc^rs
seinen Abschluss.
Die Theilung der römischen Monarchie in eine östliche und eine
westliche Hälfte gab dem alten Gegensatz zwischen dem Orient und
dem Occident, der niemals gänzlich verschwunden war, wieder einen
deutlichen politischen Ausdruck. Damit begann aber zugleich die Auf-
irisung des grossen Staatsorganismus, von dem nun ein Glied nach dem
anderen getrennt wurde. Die losen Beziehungen der Provinzen zur
<Vntralgewalt in Rom oder Konstantinopel erleichterten deren Loslösung.
Die germanischen Stämme, welche die Völkerfluth aus dem Norden und
Osten gegen Süden und Westen trieb, machten sich in ihren neuen
Wohnsitzen bald heimisch und gründeten neue Staaten. Als das 5. Jahr-
hundert zu Ende ging, geboten die Ostgothen, denen später die Longo-
l>arden folgten, in Italien, die Westgothen in Spanien und dem süd-
westlichen Frankreich, Burgunder und Franken im Osten und Norden
dieses Landes, während angelsächsische Stämme nach Britannien über-
setzten, und die römische Provinz Afrika eine Beute der Vandalen
wurde. In Germanien blieben sächsische, bayerische, allemannische und
fränkische Stämme zurück, und die Herrschaft der Byzantiner wurde
in Asien von den Persern, in Europa von den (lothen, Hunnen und
Slaven mehr und mehr zurückgedrängt.
Die Eroberer behielten einen grossen Theil der politischen und
socialen Einrichtungen bei, welche sie in den von ihnen unterworfenen
lindem vorfanden. Es war dies ein Triumph, den die höhere Cultur
der im physischen Kampfe UntiTlegenen über die geringere Bildung
ihrer Sieger feierti». Die letzteren erkannten die grossen Vortheile,
116 Der fnedicinisohe UnterrieM im Mittelalter,
welche ihnen aus der Bereicherung ihrer Kenntnisse erwachsen würden,
und sorgten daher dafür, dass die Scliulen und Unterrichtsanstalten
soviel als möglich erhalten wurden.
Der civilisatorische Einfluss der Könier hatte sich in allen Theilen
des Reiches, namentlich aber in der we^stlichen Hälfte desselben, geltend
gemacht. Zahlreiche Bildungsstätten in Gallien, Spanien, Britannien
und Nordafrika gaben davon Zeugniss. Die literarischen Leistungen der
römischen Schriftsteller, die aus diesen Ländern stammten, zeigen, wie
erfolgreich jene gewirkt haben. ^
Nach dem Muster der höheren Unterrichtsanstalten zu Athen,
Alexandria und Rom entstanden Hochschulen sowohl in den Ijändem
des Orients als in verschiedenen grösseren Städten Italiens, Galliens
und Spaniens, 2 an denen neben der griechischen und römischen Lite-
ratur, Grammatik, Geschichte, Philosophie, Rhetorik, Jurisprudenz,
Mathematik, Physik und Astronomie zuweilen auch Medicin gelehrt
wurde. Ihre Organisation war in vielen Beziehungen ähnlich derjenigen
der englischen Universitäten. Sie wolltim nicht so sehr für einen be-
stimmten Beruf vorbereiten, als eine alles Wissen ihrer Zeit umfassende
Allgemeinbildung bieten.
Die Professoren dieser Hochschulen wurden auf öffentliche Kosten
besoldet und genossen Immunität, Steuerfreiheit und andere Privilegien.
Ihre Zahl war beschränkt und richtete sich, wie diejenige der Archiatri,
nach der Grösse der Stadt. An der Hochschule zu Konstantinopel,
welche im 5. Jahrhundert n. Chr. gegründet wurde, waren 31 Profes-
soren angestellt.^ Ausser den von den Stadtbehörden oder der Regie-
rung (»mannten Professoren scheint es noch Lehrer gegeben zu haben,
welche gleich unseren Privatdocenten, ohne bestimmten Gehalt zu em-
pfangen, die Lehrthätigkeit ausübten. Söhne wohlhabender Eltern
wurden häufig von Pädagogen zur Hochschule begleitet, die, halb Hof-
meister und halb Bediente, in den meisten Fällen dem Stande der
Sklaven oder Freigelassenen angehörten.
Die Lehrer bezogen von ihren Schüleni ein auf Vereinbarung be-
ruhendes Honorar. Da dasselbe eine wesentliche Quelle ihres Einkommens
» MoMMSEN a. a. 0. Bd. V, S. 69 u. ff., 100 u. ff., 176 u. ff., 643, 655 u. ff.
— Gibbon: Geschichte des Unterganges dos römischen Weltreiches, übers, von
J. Si'OiisciuL, Bd. I, S. 59.
^ F. C&aher: Geschichte der Erziehung und des Unterrichts im Altcrthum,
Elberfeld 1832, Bd. I, S. 477 u. ff.
" J. C. F. Bahr: De literarum universitate Constantinopoli, Heidelberg
1835. — Saviqny: Geschichte des römischen Rechts, Bd. I, S. 396.
Der EHnfluss des Ckristenthmm. 117
bildete, so musste ihnen viel daran gelegen sein, recht viele Schüler
zu unterrichten.
I)jis Studentenleben, welches sich in Kom und Athen entwickelte,
glich in manchen Beziehungen dem unserigen. Die Studierenden ver-
einigt-en sich nach ihrer Heimath zu landsmannschaftlichen Verbindungen,
suchten dafür die neuen Ankömmlinge, die „Füchse", mit allen Mitteln
der Überredung, der LLst und manchmal sogar der Gewalt zu gewinnen,
feierten Trinkgelage und Schmausereien und Hessen gelegentlich der
ül>erschaumenden Jugendlust die Zügel schiessen. Auch an tollen und
übermüthigen Streichen und beklagenswerthen Ausschreitungen fehlte
•*s nicht.
In Antiochia kam es vor, dass die Studenten einen Pädagogen,
der sich ihr Missfallen zugezogen hatte, in eine Decke hüllten und
dann so lange in die Luft schleuderten und wieder auflingen, bis er
ohnmächtig wurde. Der Philosoph Libanius, der damals dort eine
Lehrkanzel hatte, hielt deshalb seinen Schülern, welche sich wahrschein-
üch an diesem rohen Spass betheiligt hatten, eine Strafrede, in welcher
er sagte, „es sei schon schlimm genug, wenn sich Studierende an ge-
wöhnlichen Bürgersleuten vergreifen, einen Goldschmied beschimpfen,
einen Schuster necken, einen Zimmermann stossen, einem Weber einen
Tritt versetzen, einen Krämer herumzerren, oder einen Ölverkäufer be-
drohen; wenn sie al)er sogar einen Pädagogen misshandeln, so sei dies
eine Beleidigung eines der ehrenwerthesten und nützlichsten Stände
und verdiene, dass sie dafür mit dem Stock und der Peitsche gezüchtigt
würden". 1
Übrigens waren die Studierenden strengen Gesetzen imterworfen.
Nach einer Verordnung Valentinians (370 n. Chr.) mussten sie beim
Beginn ihrer Studien Zeugnisse der Obrigkeit ihrer Heimath vorlegen,
worauf dann ihr Name und ihre Wohnung und der Stand der Eltern
in ein öflentliches Verzeichniss eingetragen wurde. Es war ihnen
unUTsagt, ihre Zeit in Vergnügungen zu vergeude». Wenn sie diese
Gebote übertraten, so setzten sie sich körperlichen Strafen aus und
konnten von der Schule entfernt werden. Der l^räfekt der Stadt er-
stattete alljährlich einen Bericht über die Fähigkeiten und das Jk'tragen
der Studierenden an die voi gesetzte kaiscTliche Behörde.^
Mit dem 20. Lebensjahre sollten die Studien beendet sein. Es
scheint also, dass man ziemlich früh damit anfing. In der ITdschlich
* LiBANiüs: Orat. et decluinat. ed. J. ,J. Ueiske, Altenburg 1795, T. II f,
p. 254. 259 (/rc^ roü tdnrfTOf;).
» Cod. Theodos. L. XIV, T. 1, 1.
118 Der niedicinisehe UnterricJU im Mittelalter,
dem SoRANUs zugeschriebenen, aber jedenfalls auf alten Quellen be-
ruhenden Isagoge in artem medicani^ wird das 15. Jahr als die ge-
eignetste &it für den Beginn der niodicinischen Studien erklärte Der
Verfasser sagt bei dieser (i(^l(^genheit, „dass der Studierende fleissig,
talentvoll und scharfsinnig sein müsse, damit er schnell begreife und
lerne, und dass er (^inen kräftigen Körper brauche, damit er die ihm
bevorstehenden Anstrengungen ertragen kann". Ferner wird von ihm
verlangt, dass er eine wissenschaftliche Vorbildung besitze und in der
(rrammatik, literaturgeschichte, Rhetorik, Mathematik und Astronomie
unterrichtet worden sei. „Der Arzt", heisst es weiter, „muss Milde und
Bescheidenheit mit der geziemenden f]hrenhaftigkeit verbinden, einen
unantastbaren Charakter besitzen, darf nicht hochmüthig auftreten und
soll die Armen wie die Reichen, die Sklaven wi(^ die Freien in gleicher
Weise behandeln." —
Die medicinischen Vorträge, welchi» von gelehrten Theoretikern,
den latrosophisten, wie sie genannt wurden, an den Hochschulen ge-
halten wurden, besUmden in philosophischen Betrachtungen und tief-
durchdachten ErörtiTungen verschiedener Fragen der Physiologie und
Pathologie; aber sie genügten nicht, um d<»n Zuhörer zur Ausübung
der ärztlichen Berufsthätigkeit zu befähigen.
Diesem Theile der ärztlichen Erziehung wurde von den Archiatern
und überhaupt von den praktischen Ärzten, welche Unterricht in der
Heilkunst ertheilten, in einer zweckmä«sigeren und wirksameren Weise
entsprochen.
Die Sophisten-Schulen und höheren Lehranstalten verlangten kein
bestimmtes religiöses (ilaubensbekenntniss von den Lehrern und Schülern.
An ihnen unterrichteten Heiden und Christen, und in ihren Hörsälen
drängten sich Anhänger verschiedener Kirchen und Sekten. Xur unter
der kurzen Regierung Julians wurden die Christen vom Lehramt an
den heidnischen Schulen ausgeschlossen.
Schon damals wurden schwache Versuche unternommen, um das
Christenthum von der Bildung der Heiden zu emancipiren; aber erst
ein Jahrhundert später gelang es den Bestrebungen eines Salvianüs,
Pritdentius, Orosius u. A., eine Lit<»ratur mit christlichem Inhalt zu
schaflFen, welche sich auf die Schriften des alten und neuen Testaments
stützte. Die Gleichgültigkeit und Verachtung, welche die Leuchten der
christlichen Kirche gegen die geistigen Schöpfimgen der Griechen und
Römer kundgaben, ^ die Einseitigkeit, mit der man sich bei der Aus-
^ Val. Ro8e: AnecdoU graeca et graecolatina, Berlin 1864, H, p. 169. 244 u. ff.
* Archiv f. Geschichte ii. Literatur; herausg. v. F. C. ScnLOfSEB u. Behobt,
1, S. 253 u. ft.
nl di?8 Stoffes auf die jüdisch-cbrisHichf Überlieferung be^ohmnkte
und die tendenziüso Entstelloni,^ d^r CiJilturerruTisT^enschafteri des AlkT-
bums gdh*'i\ ilios«*n literarisrlu'n PifMliiktni vm sölir imvorthrilliaftes
liebt und iTkläron es, wenn aat'y^eklärt«' Zeitg<»nos8en^ die nicht in
«ligiüson Voriirtlieilen liefangen Wiiren, darin leinen Fortschritt in der
^IBtelHtuelien EntwiekeUiniLf des meiiHhliclM-n Uisrhlrclits rrblirkten»
AVenn der Kampf zwischen dt^r cliristliehen und der iintiki'n Bildung
Alt ikn Waffen des GeisU*s entiiJchiiHlen worden wän\ so musste er die
fVrk'^p'nheit der letzteren dartliun; aljer er wurde bald auf das Ge-
ht^t ivr pulitischen Macht vi'ri<»i^t, wo d**r Siej? Pcttij^ni^n'n zutallt,
^tt*l<:ber der Stärkere kt
Ab die Christen, nachdem sie Julirliunderte Inndureh von den
Ifiridm rerfolgt worden waren^ die HiTrsnfmffc im Staat erlangt^»«, be-
'ipinneii sie ihrerseits, üire einstigen Bedrücker zu verfidgen. Eifrig
beffiöhtY die Wurzeln, mit welchen die Menschheit an der heidoiselien
Jirfifangenhelt hing^ auszugn*ben, Ix'kämpften 8ie das auf dem Studium
liliT Alten )>enih<*nde ünti*rnchtssyst<'tii und sucfit^'u es in ihrem Sinne
Urozuge^jtalten, damit es eine mit dem christlichen Dogina \ei'einhare
llnrni erhielt. Wenn man damit nicht zum Ziel kam, su f^nill man
Ijur <iewalt und hob die LrhransLaltvn auf. Durch liu Edikt Jnslinians
m Jahre 529 wurden die [diilositpbijscln'n Schulen xu Athen und
lAleiandria ges<'blosscn. Die letzten griecliiseheii Philosfiidu^i ver-
en ihre Ueiniath und sinditm in der Fn^mde Schutz und geistige
wiiieit
In Konstanünupel und anderen Orten, uumenthch in (hm Ländern
ib W**stensi wurden die Musentempel in rhristhchc l'ntenitbtsanstalten
n^ewandeit. in denen das Studium d^^r Religinn die massgebende
lle erhielt. Die tieistlichen füjernahmen rlie Leitung th^r Erziehung
I wurden die Vertreter der WksenschutL Da ihnen aber der reli-
i(i$e Glaube das huchste Gesetz war, so wurden der Forschung Grenzen
"gtstcHrkt, welche sie nicht üliei'scbn'iteu durfte.
In den Schulen, welcln^ an den Bisse hi*tksirzen und bei dt»n KlösÜM'n
vnUtanden, wurden nicht blos Tbeuhigie und Kirchen gescbiclit^', sondern
ile Wissenschaften gehdirt, weh-b** theils zur Allgemeintdldung ixehnrten.
nU für <las tägliche Leben brauchbar und nützlich erschiein^n. Auch
die Heilkunde w*urde hfluüg in den Kreis der UuterriehtsSgegenstande
ogen; namentlich beschäftigte man sich in dt*n Schulen des Orients
hmit
Dt hl. Bkkedikt fülirtr diese Einrichtung dann auch im Abi^nd-
ttde ein und regte die Mitglieder des Ordens, den er stiftete, zu
diciniHchen Studien an. Auch ('Assinrnuj empfahl d^^n Miuichen, in
deren Kloster er sieh mruckfifezogen batte^ nachdem er als Hinü
des Ostg^tthenkOnig^ Theodorich viele Jahn* hindurch eine herrorragend
Rolli» im politischen Lel>en g^e'^pit^U hatt^s di** Bes^häfliirung mit d^»
Heilkunde und gub ihnen ausfuhrliehi* Rathsi^hhige, wrkhe medicij
nischen Schriftsteller des Alterthum»« sie ihren Studien zu Grunde leg
sollten« ^
Sehr eifrig wurde die Medicin, wie es scheint, in den Schulen
der Nestorianer ^pfle^. Hohe (leistliehe dicker Sekte worden w»^gi*n
ihrer ftrrtliehen Tüehtierkeit gerahmt und von den Fürsten zu RatlJ
Die Unterrichtsanstalten der Xestorianer waren eingerichtet wi»j
die Schulen des hl. Oriuines zu Alciandria.* Als Lehrer an den-
selben wirkten auch Andersgläubige, s^gar H»*id**n, naturlich nur tal
den profiinen Wissensichaflen. Die Schüler mussten für den Unterricht)
ein Honorar zahlen, das manchmal nicht unbedeutend war. Das I^chr-
geld für arme Schüler »ihlte die Kirche, welche ihnen aiisserdem noch
I rnter^tütximfen gewährte.
Die bekanntesten Lehransl^Uttin bestanden zu Edessa, Nisibis. S*^-
leucia und Dorkena; später wurden auch in Bagdad« Mesena, Hir
^Hati^tha, Jemama und anderen Städten Syriens derartige Schulen
gründet.* Manche warten sehr besucht; Sisibis cählte einmal 804) Schuld
tirun denen einzelne bis ^m Italien und Afrika kamen.
Als die NestorianiJii^hen (ielehrt^^n durch den religiösen Fanatismu
der bjiantintschen Kaiser aus Edessa vertrieben wurden, flüchteten m
Vtmm. wa m w^eenüich zu dem Auf^^chwunge beitrugi^n, den
WisBens^afteiif besonderK die Heilkunde, an der Schule von <io»>
(ilisapur erfuhren. Die ersten Anfönge den^lben reichen riel leicht bis
a. Jahrhundert zunick;^ ihre Hiüthezeit erlebte sie unter Kesira
f QSi'hirran «im sechsten Jahrhundert.
Dieser Monarch war ein gründlicher Kenner der griechi^^chen Lite-
'mlur und wvihlwollender Beschdlier aller wiarienfrtiimieiwn Bentri^
iMD^m. Bei ihm fanden di# Tertriebdnen K^loflttlir dmdbe herz-
liebe Aufnahme wie die Philot^ophen ron Athen: in der glehAen Wet^
Mid (Brderte er die |üdi$chen und syrischen Gelehrten,
den P^TSeni di** rnltur d»*r Uneehen ü^»ennift*lt»n. 1t <rhirUe
^ CAVKiMa: Institut, divizu iecL I, c. Sl.
* XmmLkMt: Biblk>tbl^c« Orientalin Rom llt^ Ell, pmn t, pu laa.
* Anciuxi «. «. O* m, pftn S, p. 919 II. C
* Ammiuxi a. m. O. Ill, ^mn % p. 92C
^ X IL Scsrtjs: De Goodisapom Pen«r«Bi 4|«oadia
icmL PHn^fkolÜ. I7SL XIU^ p. 4ST «. £
Der
Ohristenlkutns.
12!
mixi^n LaibaTTt Bitrzweih nach Indien, damit d0f8en>e die dnrtige
Hrilkun»it können lerne und Arzneien und inrdiciniHche Schriften mit-
hnngfs und stellte, als er mit d^^iii bvzantiniseln^n Kaiser Frieden
schloi^, die Bedingung:, das« ibm der Arzt TMiiin^rs . mis Palftstinu,
eiiii»r df^r berühmtesteu Pniktiker seiner Zeit, auf ein Jahr üherlassen
würdf.
In OoudisÄpur beifihrti^n sich das ahendlärnüsi^lie Wissen und die
Wewheit den Morien binde?*, liier trat die t,'riechisL"he Mediein in Ver-
btnduns^ mit der Heilkunst dw PerstT mi<l Jndier und diese Vermäli-
liiii^ barg in sieh die Keimi^ zu di^ni Aufseh wuiic:^, dtn diese Wissen-
schaft unter den Arabeni erfuhr»
Der mediciniiiche Unterricht an den Schulen zu Uendisapur wurde
hauptsächlich, wenn auch nieht auss(diliesslieh von den Xesturianisehen
Gelehrten ertheiltv Kr war nieht ldc>s thei^retii^eli, sondern vorzut^sweise
prafeiib^cher Xatur und fan<i im Kriinkenlniuse statte ^ Das letztere Idiel»
auch unter der ambischen Herrsehüft erluiUen und wurde nueh zu Kndr
de« lehnten Jahrhunderts erwäiint.
Die medicinisehe Wi^ssensehaft miu^hte in der Periode des Verfalls
de« romi8C5hen Eeiches und der darauf folirenden Zeit keinr hemerken.s-
werthen Furtschritte, Die Erziihun*: der Ärzte war im A 11 f^'^ni einen
wenijft^r zweck uiilssig als früher. Es fehlte an manchen yortretiliehi'n
Ki' * 'Jen, welche den medicinischi^n l^ntrrricht bri d+n llomeni
ers J hatten.
Sie anatomischen Studien wurd<m hauptsächlich nach Hik'hern
l»etrielien. An die Zer^diedt^ninp: mi*nsclilichpr Leiclu^n war bei den
rpligifiüen und socialen Vonirtheilen, weicht' darin eine 8chandunj,^ der
Meßüchen würde «ahen, nicht mehr zu denken. Sogar die Sektionen
thierbicher ('adaver waren nicht immer mofj^lich; denn sie brachien
deii Forscher mindestens in rlie Uefahr, für einen Zauberer gehalleu
m werden,'
Das anatomische Wissen erfuhr daher nur wenige Bereicherungen,
fcra denen die Entdeckung des Ollactoriu.s als eines seUjslsständigen
Nerven und die liChre, dass die Kntwiek<dung der Schädelknoch^'n und
der WirhelHauie von der Bildung de^s Gehirne und Kückenmarks al>-
hange^ vielleicht allein Erwähnung verdienen.^
Die anatomischen und physiologischen Schriften Galen's bildeten
' üAin a. a. O. HL pat» 2, p. 940 o. C
Ä)M i.RjijM MADAUReKBi^: Apolo^a, C^ 81».
* TiiBcintiLL's PtioT<j(irATiJJLUKBt De forp. hiinittti, CtibrictL «d, A. Greeuldllf
Eford IMt, p. 139. 151.
122
Der medkmUclie Untmriehi im MilMalkr,
<He Gnmdla^'e. dos Unt-errichts in fliesen Uc^^rnständi'U, Das aimto
Wissen^ welches derselbe dort tiiedergelept hatt^, erfiiUte nach
MeiTiiiiiLr der Arzte j^^ner Zeit die hofh^tiTi AnlnrdiTün^^'n, welt-li
ihre Kenritiiissi/ auf dii*setn Urftid, ^rslrllt werden ihirftni. Die
siiltute, zu weleheu t*r l>ei seinen aiijitoini8ehen llntersuchaniyen gel
war, s(*hieneji ihnnu wi^An einer Uerichti^mn^^ n<jeh einer Kruäm
lieili'nrii!^^ zu sein,
Den Ldeiehen Uhurakfer drr Vollrndung schrieben sie iWn pljv
l(j^i?>ehen 'rhenricn (iA1;kn's im, iJrr leleoluLrisnuis. wivhiheni rr huidi
nnct die aulrichüg(^ Bewunderung^ der ^^ütt liehen Allmaelil und Web:
der er bei jeder (ieh^^enheit Ansdruek gjib, bewegten sieh anf <
\\n\\v\\ \\vY thristlichfii Autltasstini,' und landen daher bei d<'n eh
licln^n Uelt^hrU'n willkunimene Anlnahmi'. Diesen» Urastand** verdanll
es Ualkn zum irrossen Theib-, dass sein** Werke vun den nnt I
tiücdii-r llnitalitiit j^ep'n die Uterarischrn Denknirib*r d<*s AltfU'th
wnthenden Theusiiphen der ehri.stljehen und islamitischen Am iii
vrrniehb'K sondern sur!;:liilt!^ erhalten und eitriuf studiert und \v»
verbreitt*t wunl^n.
Waliriiul di<" Ihenn'tijJeheM l)is<M|dinen tb*r Medirin /.um Stillst
verurtheilt win*den, rrotlmi^* sieh dru" finiktisehen Jleilkund«* durch
tiriindun;,' vun Krankenhäoseru die Aussieht auf eine erfulj^reiehe wi
schal tiiofit' Ht*arbeifcun!L(. Die WuhlthalijLrkeitsanstaltt'n. weicht' die eh
heb<' Niirbstt'nliebr ins Lebern rirf, lM*t"n (icle^ftiihHit zur Heobm'hUing .,
vun Krankheiten und Deidrn aller Art und erleiehterten es den ArzlJ|H
sieh in ihrer Kunsl aus/ubild-n und Krl;diruntrf^*n /n siunundn,
Wrnn niiin brli;Mi|ih'l hitt, dass di<' Irnindnii^' »db'ntlicIjMr \W
spiUiler einzitr ^md jdlein \nm rbrislenthum au^^n^gangen H4*i, m
dies frei lieh nitdit riehtii;. Sehnn die Buddhisten kannten ih*ra;
Anstahf^nJ und dir lalrri^/r» d<'r ^^ritrhisrhin \i%h\ bcstuidrrs diejeni^i%
wrlrdio auf otlrnflirbe Kosten unterhalten wurden, waren ^ewis» im
Wt'stiitliefM'U nidits Antl^^res als öifentlirhc KrankeniiäuNcr. I>i<* VaK
tuilinarit^n drr Hnmrr, wi'lelie ITir tli»* Skbivrr» und i\W Snidaten eingp-
ri(^htet wurden, unterseh ied**ri sirb d;iv<ni vielleicdlt nur dadureh, da»?
sie für liestimnitt* Klassen der H(^vnlk/uiin*: bi'sttnnnt wan*n» Die
Spanier fanrh'n. als si(> nach der Kntdeckun^' Amerikas nach Meiikii
n«ii, auch ftnrt Spitäler, ih'rien m sogar grossem» Lob »pnndet*^«,*
hat daher Herlir, wenn er saj^t» ,^chiss je«le (*ultur, welche
fijH /w MJni'ni y'Hwis^iMi M;»ji^s«' nnbb'H und »'in»» nndir
arffl^
Hl
LH.
l%v iH}\\i\mnX uf Mcxlro, f. Uu lsi;a, 2, Auli, 1, p. 20.
Form der Gt\^ollschjtrt hcrstHllt, i-nUlich auch 7MT Orfmdimg
ninkerianstalteij filhnm winl*'*
Das unbe,str«'itl>aro Venlitnist des rhrisrrnthiuns über ist i\s, rlir
|dt»r Verborgenht'it j^lrihindpn Funken vvhtt^r M^^nsrhenliphp zur hellen
imtne der Beer^isterung an2:i'tm'ht 7M Irnhvu. Kebn^ an<Ji're Relit^inn.
pm* pi»liti>*rho oder Süeiale Matiit Imt soviel fnr dif* Hnmiinitiit ^n-.
isH und treschaffV»!!, wie das rhristenthuni. Wo sieh dassMllH* ver-
^»itete und Anhan^tT gewann, wurden Werke der Harmhrrziijkeit ^'efi!>t
der WohUhfiri^'kHt Tem|)el errichtet.
Di«' aus.<erord«'ntlleln*n Krfolffe, wt'lrhi* die ehrisilidie Keli^'ion in
engten Jahrhunil*Ttrn nach ilirer Ent^tehunix errani^, h(/ruht<^n
berlich xum grossen Theile auf den huinanitaren Ideen, die es ver-
date, AUiTdinirs hat auth dä< Alt« rtlunn Thaten dfT MensehcnlielM^
fiirgidinicht, welche die Bewuntl^rnni,^ herausiurdi'rn; aber sie waren
vi»rt*iim*lt und erzielten keine nachhaltig«* Wirkung'. Das diristen-
1 tr die humanitären Bestrelningen drr Einzrln^^n und irah
iLikeit einvn eollrftiven Austlrut-k.
IlHiS Alterthum sah in dem Sklaven ein mit riw mensehüehen
prache hecrabtes Thier, ein zur Ausb«'utuiiir bestimmtes Besitzthnm:
iliristi-nthum konnte die Sklaverei zwar ni<Oit absrhaffen, aber es
dwh anf die arich im Sklaven vorhandene Mens<;henwärde hin.
<*Ai'«> jLrab den Landwirthen den Kalh, sie mm'hten die alten und
anken ^Sklaven v<*rkaufen. wie das Kindvieh, das nieht nifhr zur
it tauglich ist, und das alte Eisen,* Viele Herren jagten ihre
Haren, wenn hie durch Krankheit oder Alter erw**rbsuntahi^' ^Hw^ird^Mi
irf'ii. aus dem Hause, sodass der Kaiser Claudius, um diesem rnfuti^
!^t<'qern, die letzteren in die^^em Fall für frei f^rklären Uess,^
Das ('^hristenthum predifrte Mitleid mit den Unterdrückten. Unter-
öteiti)^ der Armen und Hiltlosen und Htle^e iler Kranken. Viel»»
iKBfr (iläubii^'cn gaben ihn* Besitzthümer den Be^lurtYigen ndcr der
ßn'ie, damit sie davon Almosen s|)ende. Die Kirche zu Hom £(e-
brtf im 3. Jahrhundert loOtJ Armen den täglichen Unterhalt/ und
ii'ji'iiige zu AntiöChia ernährte deren zur Zeit de.^ hl. (^HRVsosTtiMi s
icr 8000. *
Die Errichtung der christlichen Armen- und Krankenhäuser und
Jerer Woblthatigkeitsanstallen scheint im Orient begonnen zu haben.
* VtftLitow: über Ilüspitäli^r um! Tjazarettie in seiiwii geai*mmelteii Abhaiüb
llmigen, BerÜn 1679, It, 8. 8.
' Cato: de re rudt,^ i\ *J. ^ Suetom: Ülnudius^ c. 25.
* KrtiEBtt^»: Hbl, eceles. \^1, 4a* ^ CimvttrwT. : bom. *a; in Miittiu
124
Der imdmnisehe Onierrwht im MiäekUier.
In (iriechtjulüod wurden die Sklaven hej<»er und menKchlicher lH»hand
als in jedem anderen kinde der antikin Welt;^ hier fanden Arme
l'Venidr sclitHi XU dfn Zeiten d«^s HritinithuiTis in drn X^mumIhH
trriHidliche Autnahnu' niid ürzllicht» Pllci,^ wenn hu* erkrankten.
Chri^t^ntbum organisirte dann die Ausübung der WohUhätitrkeit
rief Aüstaltf^n ins Leb«*n, wf'lrh»' in solcher Grr«<»e und Ausdehnu
vurhtü iiiumals existirt hatten.
Die vom hl. Basilu« (370—79) js'egründete Anntalt zu Ca
glich einer Stadt; sie enthielt zahlreiche \Vrthniin<ren für Arme ud3
Kranke, wurde vnrtreffljth !or**h*iti^t und hatt<5 besondere Arzt«' und
Krankenwärter in ihrem Dienst^ (irkgob vok Nazuxz nennt Aim
Anstalt 5,den Schatz der Frunimigkeit^ wo die Krankheit eine Schul»*
der Weisheit wird, wu das Elend sich in <jlück um^'c?italtet^**^ EAq^si^
erhielt L J, 375 ein Htj!<pita), welche-s mit MH\ Lagers tätt4?n versehen
wurde.*
Nach di(»sen Vorbildern entstanden auch an anderen Orten Klein-
anien^ sowie in Alexandna und Konijtantiuopel. ähnliehe Anstalten für
lieidende und fiebre<hliche. In Rom wttrd»% wie der hl. HiF.K<»?fYMC:j
erzählt, das erste christliche Krankenhaus von der NVittwe Fahioto,
welche vmu tiem alten iieschlecht der Fabier abstammt4:% zu Ende des
4. Jahrhunderts gegröndet^ Ihrem frommen Beispiel foljorten m^im
reiche Privatleute, und die Errichtung von WohlthäticrkeitÄanfttalten
_wurde bei «len vornehmen römischen Oamen Mode. J*>denfaü« brachte
der Men^^^bheit mehr Segen, wenn die hl. Paula ein H*iJsjiital er-
[itu, als wenn sie ihre Tochter zur beständigen Jmir ': tfl v«r-
ttitheilte, obgleich »ie dafür vom hL Hixleoüymv» mit >i l eiaer
Schwiegermutter Gott<^ l^lohnt wurde^ wie Gibbok erzahlt*
Auch an aaderen Orten Italieiifi, sowie in Gallien un<l Spanien
wurden Kranken- und Armeahäiisef errichtet, Dit Bischof HM»na
¥on Herida (573—606), ein Clolhe, gründete ein Hospital, in welchem
Ghrklen wie Juden, Sklaven und Freie Aufnahme (iinden, und b«-^timmte,
dlBi die Uäifte aller Geschenk'*, wiche die Kirche * rlu*lf <lte^rr Vn-
ntn€^H
« KoftOKo a. a. O. V, 290. _
' Gma»m tom Kaisaki: OnU. Anelw. in ISasIL u. Orat de {laiiperinil
— BAaur«: ^p«t 94,
* C, Saamm: Dm l>ftigetlicfce GcaeJbtiialt ia ^cr allrtaii«dicu W< It tiiid
Um^t^taMma^ dmtA da» ChtwieBikmm, Impng 1057, & 246.
* E. CmjkMtmLz Die diriülklir Bmiailmiijgtfit in 4r9 cnCen JahrhundtTtcri
fibtfi. r. Wtcwnpi, ll*raliari: IBM, & '^
HtBmmwmm: E|iw 77, Ed, VmllanL
a. a. O. TU, eifL 37.
Der Einfhtss des ChrUtmihmns,
125
Mt glsgl^beIl wurde. Den Ärzten, welche dort, angestellt wurden, l>e-
bU er* in der Stadt umher zu g:eheti und die Kranken einzuhiden,
ßh diesem Hause hrin^^en zu hissen. Das Hntpl-Ditr'u zu Lyun
i. J. 542 von Childeliert J. gestiftet und stand unter der Auf-
loht Ton Ijiien.^
Die Kirche erklärte die Krank<'npllepre für ein fjottgeJTilliges \\ i/rk.
Die Gläubigen wetteiferten daher miteinander, den Leidenden zu helfen,
ond scheuten dabei selbst vor den nie*irigsten und unanij^enehiusten
Verriehlungen nicht zurüek. Fabiola trug die Kranken auf ihren
imeQ zum Lager und wusch ihnen die Wunden aus, welche Andere
kiitm aiuuschauen vennochten.- Die Kaiserin Placilhi Auj^rnsta ver-
OeIiMc- in den Spiti^ilern die Dienste einer Magd.^
ine aufnpferun|^v*dl*^ Thätigkeit entfalteten die Christen hei den
Kpidemien, welche in jener Zeit die Menschheit heimsuchten,
Ab Im 2). und 4. Jahrhundert ansteckende Seuchen in Alexandria
Carthagü wiltheten, nahmen sie sieh der Kranken uhne Tuter-
ied <les reli^noseri (jlauhi'ns an, plle^^ten sie untl bestatteten die
TWten. * Viele wurden dabei seihst von der Seuche ergritten und er-
Mft Heldenmuth der Liehe, welchen <lie Chrif?t«^n bei derartigen
Ad^enhiäten zeigten, erfüllte auch die Andersgläubigen mit staunen-
der Bewundenmg. Selbst Julian, iler eifrigste (iegner des Christen-
Umitig, lit^ss ihrem wühkhätigen Wirken diese Anerkennung zu Theil
wia^den. „Wir sehen »^ schrieb er, „was die JVinde der Giitter stark
nucbt, ihre Menschenliebe ^e^^n die Fremdlinge und Annen, ihn?
"^^TL'fiill für die Tüdten und ihre wenn auch gemachte Heiligkeit des
s*** Er fühlte sich dadurch bewogen, das Beispiel der Christen
neu, unii l»e.sehloss in aUen Städten Huspi taler zu errichten.
. -. den Krankheiten erregte namentlich der Aussatz, unter dessen
Kanen eine Menge von Hautleiden verschiedener Art zusammengefasst
wnnlmi, damals die üflentliche Aufmerksamkeit. Die Aussätzigen wurib^n
mgmv ihres abschreckenden AusM^hens von ilen Leuten, sogar van ihj'eii
€ig«iieD Verwandten und Freunden gemieden und wegen der (Jefahr
dfT An?steckujig, der man sich aussetzte, gefürchtet.
Die Christen erbarmten sich auch iliet^er üngläckhchcn und gaben
ham m den Ho>ipitälern Unterkunft und PHege. Der hl. Basjliu«
<.\ F. JIi:u8i»i;t:it im J^uim [, S* 772 n. ft'.
* Tiieoih/uft: Hi»t. eccleß- V, 19.
• Ei*^E»jres.- Hist. ecdci. VU, 22. IX, 8. — Soäombjicis: Hkt oocle«, V» 16,
126 Der msdieinisdie Unterricht im Mittelalter,
,,umarmte sie wie Bruder, nicht weil er mit seinem Mathe prahlen
wollte, sondern um Denjenigen ein Beispiel zu geben, welchen er ihre
Pflege anvertraute."^ Er räumte ihnen eine besondere Abtheilung in
seiner Anstalt zu Caesarea ein.
In Konstantinopel wurde ein Spital nur für Aussatzige bestimmt,*
und in Italien entstanden an vielen Orten die Leprosen-Häuser früher,
als die Anstalten für die übrigen Kranken.^ In fYankreich gab es
schon zur Zeit des hl. (tregor von T<jür8 (560) Aussatz-Häuser, und
in einer Testaments-Urkunde v. J. 636 werden Anstalten dieser Art
in Verdun, Metz und Mastricht erwähnt.* Hundert Jahre später sam-
melte der hl. Othmar die Aussätzigen von den Feldern bei St. Gallen
und richtete ihnen ein Spital ein.
Ausser den Armen- und Krankenhäusern schuf die christliche Liebe
auch Anstalten, in welchen altersschwache Greise, Krüppel, Blinde, arme
Wöchnerinnen, Waisen und verlassene und ausgesetzte Kinder aufge-
nommen und verpflegt wurden. Das Aussetzen der Neugeborenen
wurde allerdings schon unter Valentinian verboten; aber die socialen
Misastände hielten diesen verl)recherischen Gebrauch aufrecht.* Im
5. Jahrhundert kam in einigen Städten (jralliens, z. B. in Arles, l'rier,
Macon und Ronen, die Sitte auf, die Kinder, deren man sich entledigen
wollte, vor den Thüren der Kirchen niederzulegen. Die Geistlichkeit
nahm sich der armen Verlassenen an und liess sie erziehen. Die ersten
Findi^lhäuser sollen zu Trier, Angers und Mailand entstanden sein.®
Leider äusserte sich die Fürsorge, welche die Christian den Kranken
und Hilfsbedürftigen widmeten, nicht immer in diesöl: edlen und ver-
nünftigen Weise. Unverstand und Aberglaube deuteU^n die Worte des
hl. Jacobus:^ „Ist J(»mand krank, der rufe zu sich die Ältesten der
Gemeinde und lasse sie über sich beten und salben mit Öl im Namen
des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen,
und der Herr wird ihn aufrichten", dahin, dass die Hilfe des Arztes
überflüssig sei, und die Kraft des Gebetes allein genüge, um den Kranken
gesund zu machen. Damit kehrte man wieder zurück auf jenen theur-
^ (tbboou V. Naz.: orat VII l a. a. ().
' Ditanoe: Conatantinop. Christ, Paris 1680, IV, 165.
* McRATORi: Antiq. ital. med. aevi, T. I, Dissert. 16.
* R. ViBCHOw: Zur Geschichte des Aussatzes in Vircuow's Archiv, Bd. 20,
Berlin 1861, S. 169.
' Leckt: Sittengeschichte Europas von Augustus bis zu Karl dem Grossen,
Leipzig 1870, II, 20 u. flf.
* Chastel a. a. 0. 8. 53. 138.
' Neues Testament, Epist. Jacobi, c. 5, v. 14. 15.
Der Einflu88 des Chriatmihums^
127
en Standpunkt, von dem aus die Krankheiten als Strafen Gottes
erscheiDen. die nur durch Bussübun^en und Gebet«^ beseitigt werden
eo.
Wie einst zu den Aeskulnp-lVuifutln, so kanum jetzt die Lridtiiden
die christliehen Kirehen, um vuii den Priestern Rath und HiliV zu
Glückliche Erfolge, deren Ursaeh** man der Fürbitte eine»
n zuschrieb, hattyeu einen vennehrten Znhujf vroi Kranken zur
So entwickelte sich namentlich in Kircheu, in denen rlju (je-
der Heiligen ruhten, ein Cultiis, welcher sieh vi»n dem Aeskulaj»-
ist fiist gjir nicht unterschied.^
Die Kranken brachti^n durt ilie Näclite mit FEtsieo und Beten /Ji
iler Hoffnung^ dass ihnen der Heilige im Traume uder wahrend des
\s erscheinen und die Heilmittel ungcbeu werde, welche ihre
mg herl>eizufuhren sreei^niet wsiren, und <lie i^riester erklfirten die
acinationen und TraumbildtT der Patienten, schrieben die Kr/iih-
n der i^dücklieheu Kur^n, welche stattfambii, nierler und sorgten
r, diüis »Üc Krinnerun^^ daran ilureh bildlicbe Durstellungen der ge-
lten Kürpert heile, welche in dt^ii Kirchen niedergelegt wurden, bei
Im Gläubigen fortdauerte.
D\v Verehrung, welche d<^n ^Iilrtyrern, die für ihren (ilaubeu den
W erhtten hath^n, gez(»ll( wurd*\ führte schon sehr fnib dazu, djLs,s
' ' neu eine grosse Heilkraft zu ge-sehr leben wurdo, Üie Kranken
„: :. /iHung von ihren Lriden zu iinden, wenn sif tlen Leichnam
dinalben oder Ciegenstäiide, welche von ihnen herrührten, ansrhauen
vfcr berühren, ihr Grab besucben, oder den Staub, der da^^seltie be-
^fckte. geniessen durften, Amulette und Wunder spielten in der Heil-
kumle der ChriFten A)rtan eine hervurragimde Rolle.
Die ni)'8tisclirn S<diwärmereien der Neuplntoniker und Neup^tbat'-o-
llfT, welche ein^t abä Watten im Kamide ^j^egi^n die ehristlicho Kirche
wnrendet worden waren, fanden nun Eingang in deren Hallen. Unter
ikn»iii Schutz konnten sich Betrug und Aberglaube auf einem Krbiet
pkrnd machi'U, wo von dir W'ahrheit nicht idus der Fortschritt der
Wissenschaft, sondern auch di** tJesundheit, oft sogar das Leben der
XeQSi'hen atdiängt^
Die niedicinische Literatur j^ner Periode trug den (Jharukter der
üuselbststandigkeit. Arm an originellen Ideen, untahig zn eigenen
Pöiwhungen, begnügti' man sich damit. Das, wiis die vorangegangenen
Zeiten geschaflen batten, zu sammeln und zu gedrängten Auszügen zu
lerari^iten.
' Aiif. Marionan: La m^deciDc dans IVf^lise au dmume aiMo, Pnris lö8T.
128
Der fmämnüuAe VfUerrkht im MiUMU&t.
Die praktischtm Ärzte vt^rtan^teii Hrcejitbüeher, welche d<»m
liehen BtHiürfniss t-ntsprachon. Diesi^r Art waren die 8c*hrift4^n
Qi^rNTrn Skiuints SAMiixrtTs, Sexttts PLAcrrrH Papyrknsls^ VikiI
CIAKUS, MaüCKLIAts EMflHlCLS, Lt^CIlTS ApITLI-UOS. CaH81ÜS Fe
Theodorus PßisciANüs IL A.. die lateinischen Übersetzungen eirixel
Worke der Hippüknitiker, des Dk^skorioks, (Ialen und Sokancs
die Compilatioiien aus Pijnius, ('aelii:s ArRELTAM« n» A. Sie zeigf
in ihrer Sprache, wie in ihrem Inhalt den nisehen Verfall des ^m
schaftlichen (iiistes, welelier rliPse Peri<")ii ki*nnzeic'hn«*t.
W^^rthvoller und gidmltreiclier waren liie literarisrh«"n Leistung
der Griechen auf diesem Gebiet; doch konnte man auch hier erkenn«
dass diH seho[)feriscb<* Kraft des AltiTthiims j^esehwiinden war Anoi
für die Gi'iocben galt das Urtln-il, welchl^s «Irr l'hilosnpli Lox(UNi>
3. Jahrhundert über «eine Zeit|2fenos8en fallt«': „Gleich wie Kindl
deren zarte Glieder zu sehr eint^^ecn^^^t woi'd*^n sind» Zvvitl'^' hleiln^n,
ist uui^er zärtlicher, durch Vorurtheile und die Ge\V(»hnheiten eiuil
verdienten Sklaverei gefesselter (teist unffihi^, sich ait^^zudehnen uq
jene Grösst* zu erreichen, die wir an dm Alten bewnnderu.*'*
Im 4. Jahrhundert legte Ouiuasii s auf Wunsch und Befehl At
Kaisers Julian, de^ssen Leil>aRt und Fn?und er war, eine Sammlufl
von Kxcerpten aus den wichtic^sten Schriften der bedeutendsten \\\A
cinischen Autoren des Alterthnms an,^ welche er mit manchen inU^ra
santcn Zusätzen bereicherte. Nach dem gleichen Plane stellte Akt
im 6. Jahrbunflert eine Meng«' von Abhaudlun*::en über die einzelne
'Fheile der Heilkunde zusammen. Da viele derselben v(m Är/ten hu
rühren, deren W^^rke verloren ^e^angen sind, und darin manch»' Thi
Sache bericlitel wird, welche man sonst nirgenils erwähnt tindet,
bildet diese Sammlnnpr eine unschätzbare Quelle nicht blos für
Geschichie der itcdicin, sondern auch für diejenige der Phib»*5opli
und anderer Wissenschanpu. Leider wird die Benntzunpr dersellM
sehr erschwert, wenn nicht unmiitdich gemacht durch den l^mstan
dass der griechische Text des Werkes bisher noch nienuils VftllstrnnH
gedruckt worden ist.
Um dieselbe Zeit wie AftTirs^ leide auch ALhx.woKu i kamjam^
weichen Fheini» dem HiceoKitATEs und AiunwKrs an die Seite stellt!
Seit langer Zeit der erste Arzt, der originell im Deuken und Hände
war, rief er die Erinnerung an die grosse Vergangenheit «1er griechische^
' LoNuiKüs: Dp .'«ubliin., c. A4 niicU Gibbon,
' Sie wunle von Cir. Daksmiikiig mit UnlerBtiitxung der hwsaUSi^ \
berausgegebun. i Paris 1851—76.)
wieder wach. Sein Lehrbuch der speciellen Pathologie und
ipie der inneren Krankheiten, welches von mir herausgegeben
den istj enthält eine Fülle von ärztlichen Beobcichtnogen und Er-
krangen, die er in seiner lansyährigen Praxis gemacht hut, und lässt
dem Autor einen Mann erkennen, der ein richtiges Urtheil mit
lichein Wissf-n verkinfl
Dem 7. Jahrhundert gehört das von Fauli-s aus Aegina mit
Selbstständigkeit ver&tsste Compendiiim der gesammten Heil-
de an, welches namentlich in seinen chirurgischen Abschnitten von
Wt^rth ist, weil darin die operativen Leistungen der Chirurgen
Zeit austuhrlieh geschildert werden.^
Die medicinischen Schriften der Byzantiner trugen fast ohne Aus-
den Stempel der Obertlächlichkeit und bestanden, wie die Werke
HKLKTtr», Theophanes Nonnus, Simun Seth, N1KETA8, Deme-
rs pEPAGOMEKUS, NiooLAiTs MyiiEPsis u. A, zum grossen Theile
kritiklosen rompilationen und Reueptsammlungen. Daneben ent-
kelte sich eine encyklopädische Riclitung, welche in PHf^Tius, Micuaeij
tiUB u. A. ihre Vertreter fand und auch in den Origines des Bi-
hof8 Isnmft von Sevilla und den Elementa philosophiae des Mönchs
:da zum Ausdruck kam.
Die Encjklopädisten durcheilten im Fluge alle Wissenschaften,
Sprachen von Gott und der Welt, von Himmel und Erde, begannen
nüt der Theologie und schlössen mit der Kochkunst Auch die Medicin
wgm sie in den Kreis ihrer Betrachtung; doch lieferten sie selUm
inekr als ein Verzeichnis» von Namen für Dinge, die sie selbst nur
wenig kannten.
Einen würdigen Abschluss erhielt die Medicin der Byzantiner durch
FfANKEs AcTüAHirs, dcssen Schriften über den Kam und über die
kysiologrie und Pathologie der Seele sich nach Inhalt und Form den
en Utenirischen Leistungen der Griechen anschlössen,^ ,,Dem letzten
ckern einer ersterbenden Lichtflamme gleich*^ wie Haeskk sagt^
chien er, kurz bevor die Türken den ruhmreichen Namen der Griechen
Jahrhunderte auslöschten aus der Geschichte der VCdker,
Wenn man die geistige Thätigkeit jener Periode überblickt, so darf
' Tn. PrwTHMAKK: Alexander von Tralles, Originaltext und Übersetzung,
Wit>ri 1978'7Ö, 2 Bde. Auf S, 108— 286 der Einleitung dazu findet man eine
Dirstpllnng der wissenscbaftlicben Leistungen und Verdienste des Alexander
TnlJiatius.
' F. Adams: The seven books of Paulus Aegineta, London lö44— 47.
• J, L, Idbleb: Phyaici et raedici Graeci minores, Berlin 1841/42, I^
J812-386. n, 1 — 193. 353—403.
TvfcwMjkMift Untvrrlclii. ' 9
Die arabi^e Oultur,
131
Die»*»r rnu^tand »*iwohl als die Pflege iinii Ausbildung, welche «ie
in Folge dw^en erfuhr, erklären es, dass sie die Sprache der (gebildeten,
Gelehrten wurde. Sie ^wann für die mohammedanische Welt
Bedeutung, welche die kteinisehe Sprache für da.^ christliche
r hatte.
AÜmälig wuchs au^ ihr eine reiche Literatur, eine blühende Tultur
or, deren Gebiet wie ein breiter Gürtel fast die Hfüftc d*T damrils
nnten f>fle iimfasöte. Indier im Osten, Gothen in Spanien, Ar-
ier und Tartaren am kaspischen und Äthiopier am Ausgange des
irn Meeres, nahmen mit der Religion auch die Sprache der Aral>er
\llerdings behielten diese verschiedenen Nationen für den volkn-
imlichen Verkehr ihre eigene Sprai^he hei, und aui^nahmsweise lie-
auch diese einmal ein literarisch^^ Produkt, das sich indessen nur
\ die F«»rni der Buchstaben von der arabischen Literatur uiit^'r-
in seinem Inhalt aber den gleichen Geist-, die gleiche Denkweise
te,
Dat^ arabische Volk hat zu Dem* was wir die arabische Kultur
n, vielleicht nur wenig l>eigetTagHn. Die Wurzeln dersePinn sind
1 den Persem, den Griechen Kleinasiens und Alexandnas und in
fndi»"D zu suchen; an ihrer Entwickelung betheiligten sich fast alle den
.Vrabem unterworfenen Völker von den Saiilen de« Herkules im West*^n
hl« lu dem M<»ere der Finstemiss im fernen Osten, wie die Araber den
indischen Ocean nannten.
Während der ersten Decennien ihres weltgeschichtlichen Auftretens
KU sie mit Thronstreitigkeiten und EroVienmgskriegen so sehr U^-
[ligt, dass sie für die Künste des Friedens nur wenig ilusse fanden,
fo waren „die Tage der Unwissenheit*', Bekannt ist die von Abulfarait'
tMfrichtet^ Anekdote, dass Omar, als er nach der Einnahnn* Ab'xandrias
aefragt wurde, was mit den vielen Büchern geschehen solle, die sich
durt Iwfanden, geantwortet habe: „Entw«Hier enthalten diese Schriften
Ihis was im Koran steht, und dann sind sie übertlüssig; oder sie ent-
halten andere Dinge, dann sind sie schädlich. In beiden Fällen müssen
üie vertilgt werden-^* Mögen dieser Erzählung auch keine Thatsacheu
IQ ftrunde liegen, mögen die Irerühniten Bibliotheken der Pt^b'mäer
^hon früher, wie es historisch feststeht, grosstentheils dem Feuer und
der Zerstftningswnth eines fanatisirt.en Christenpöbels zum Opfer ge-
k|JdleQ '^in, immerhin kennzeichnet sich darin der Geist, welcher die
~«rsl«n arahii^chen Er^^yorer beseelte.
• ABITLFULAGIX78: Higt djnast. ed, Pococke, Oxon. 1672, p. 114. — v. Uajimer-
PrwjsTALL: LiteraturgeBchidite der Araber, Wien 1850, Bd. I, Einl S. XXXVIIL
9*
132 Der medioinüche Unterricht im Mittelalter,
Erst als die politische Herrschaft der Araber gesichert war, erst
unter der Dynastie der Ommajaden, zeigten sich höhere geistige Be-
strebungen. Der Khalif Muawija, welcher seine Residenz in Damaskus
aufschlug, gründete dort Schulen, Bibliotheken und Sternwarten. Er
liess ausländische Gelehrte, namentlich Griechen, an seinen Hof kommen
und übertrug ihnen die Ausführung wichtiger Arbeiten; sogar die
Moscheen wurden unter der Leitung griechischer Architekten und
Künstler erbaut.
Die griechische Geistesbildung gelangte theils von Aleiandria aus,
theils durch die Vermittelung der Syrer und über Persien zu den
Arabern. Auch die Medicin wählte diese Wege.
In Alexandria bestanden im 7. Jahrhundert mehrere ärztliche
Schulen, in welchen der Unterricht nach Galen's Werken ertheilt
wurde. ^ Unter den dortigen Lehrern der Heilkunde befand sich Al-
KiNANi, ein christlicher Arzt arabischer Abstammung, welcher sich
später zum Islam bekehrte. Er scheint wesentlich dazu beigetragen zu
haben, dass die medicinischen Studien und der ärztliche Unterricht
von Alexandria nach Antiochien und Harran verpflanzt wurden.* Um
dieselbe Zeit lebte der Grieche Theodocus, der als Leibarzt des Hed-
schadsch, des blutgierigen Statthalters von Irak, eine einflussreiche Stel-
lung einnahm, als medicinischer Schriftsteller durch seine vortreflFlichen
diätetischen Vorschriften Beifall erntete und als Lehrer der Heilkunde
mehrere Schüler, wie z. B. den Fobat Ben Schannatha, einen Israe-
liten, zu berühmten Ärzten heranbildete.' Der Prinz Chalid Ben Jazid,
welcher von Makianus, einem christlichen Mönch, der vorher wahr-
scheinlich als Lehrer an der medicinischen Schule zu Alexandria ge-
wirkt hatte, in der Heilkunde unterrichtet wurde, liess sich vom älteren
Stephanus, einem Griechen aus Alexandria, medicinische, alchymistische
und astronomische Werke aus dem Griechischen ins Arabische über-
setzen. Dies waren, wie der Verfasser des Fihrist sagt, die ersten
Übersetzungen aus einer fremden Sprache, welche unter der Herrschaft
des Islams angefertigt wurden.
In Kleinasien, wo der Hellenismus schon seit der Zeit des grossen
Alexander von Macedonien einen massgebenden Einfluss besass, den er
auch unter den politischen Wechselfallen der römischen Periode zu
behaupten wusste, hatte die griechische Literatur viele Freunde und
Verehrer gefunden. Gelehrte Nestorianer, welche an der Schule zu
* L. Lbclebc: Histoire de la mödecine Arabe, Paris 1876, I, p. SB u. ff.
' V. Hammeb-Pübostall a. a. 0. Bd. H, S. 194. — Fbeikd: Hist medicinae.
Venet 1735, p. 89.
' Leglkbc a. a. 0. I, p. 82.
lebe
Lehrthstigkeit ausübten, übersetzten die Schriften des Art-
dem Griechischen ins Syrische* * Schon früher hatte man
e 'Tbersf'tzungen des neuen Testamente und anderer theologischer
toke angefertigt Die Nestorianer setzten diese verdienstvolle Thätig-
auch fort, als sie in Persien Unterrichtsanst^lten gründeten und
der Schale zu Gondisapur eine erfolgreiche Wirksamkeit entfalteten,
irigens waren sie nicht die Einzigen, welche derartige .^Ixheiten iint^r-
len*
Auch die Mitglieder anderer Religionsgenossensehaften und Sekten
ben sich auf diesem Gebiet Verdienste. Mehrere Jakobiteii machten
ebenfalls als Übersetzer bekannt,* anter ihnen namentlich Sergiüh,
am Hofe Ke^ra Nuschirwans lebt-e. Er war der Frt-und des
ischen Geschichtsschreibers Agathias, mit der griechischen Sprache
vertraut als mit der syrischen, durch Gelehrsamkeit ausgezeichnet
und der beste Übersetzer seiner Zeit® Von ihm wurden mehrere me-
-Ijcimsche Werke, denen er, da er Arzt war, sein besonderes lnter*^se
widmete, aus dem Griechischen ins Syrische übertragen, z. B. einzelne
Schriften des Hipihjkrate«; femer schrieb er Erklärungen zu Art-
5.TDnELBö und ergänzte das medicinisehe Compendium des Alexandrini-
<hen Arztes Ahkün.*
Die zahlreichen jüdischen Gelehrtt-n, welche sich in Syrien und
n niedergelassen hatten, vermittelten nicht blos die Bekanntschaft
it der hebräischen Cultur, sondern düri'ten auch zur Verbreitung der
lechischen Literatur, besonders auf dem Gebiet der Medicin, beige-
in haben. Das Unterrichtswesen der Juden war vortrefflich orga-
und ihre Hochschulen zu Tiberias in Palästina, zu Sepphoris und
in Syrien und zu Sura und Pumbeditha in Persirn erlangten
Ruf.*
rch die Übertragung griechischer Werke in die syrische, he-
Msobe oder persische Sprache wurde den Arabern das Studium der-
üHien näher gerückt Die verwandtschaftlichen Beziehungen dieser
en zur eigenen erleichterten ihnen die Übersetzung der Schrift-en
Arabische.
Unt«r den ,\bba8iden wurde die^e Thätigkeit in systematischer
eise betrieben und geleitet Stehen AI Mansur, der zweite Klialif aus
* J. G. Wenw*^«: De auctorum Graecorum vemonibus et commentjiriiB
SjTiidfi Arabicts Armeniacis Persicisque commentatto, Lip«, 1842, p. Ö.
■ WiiJfBJi'H a. a* *>. p, 11.
* AoATBtAf?: Histor, IVj c, 30. — AssBitAia a. a, O. T, II, p. 315. 323. —
ÄtCLFAiLk« a. a. (>. p, 94, 172.
* Wasf&KH a. a. Ü. Index XXXV. * Cramkr a, a. U I, 8. 109 u. ff.
134 Der medunmst^ Unkrricht im Mittdalter.
diesem Herrschergeschlecht^ der O^ründer der neuen Hauptstadt Bagdad,
beauftragte, wie Ibk Abu Osetbia berichtet, seinen Leibarzt Gbobg
Bachtischua damit, medicinische Werke der Griechen ins Arabische
zu übersetzen. ^ Nach Hadji Khalfa's Angabe soll er Gresandte nach
Konstantinopel geschickt haben, um von dort die Schriften Euklids und
naturwissenschaftliche Werke zu holen.
Einer seiner Nachfolger, der von der Sage gefeierte Harun al
Kaschid, der Zeitgenosse des fränkischen Kaisers Karl des Grossen, mit
dem er auch im Verkehr stand, stellte nach der Niederl^^ des byzan-
tinischen Kaisers Nicephorus die Friedensbedingung, dass ihm Hand-
schriften griechischer Meisterwerke ausgeliefert würden. Auch die
Schätze dieser Art, welche ihm in Ankjrra und anderen griechischen
Städten, sowie auf der Insel Cypem in die Hände fielen, waren ihm
eine willkommene Kriegsbeute. Er befahl, dass dieselben in die arabische
Sprache übertragen würden. Dabei stand ihm einer seiner Ärzt^,
Johannes Mesue (Maseweih), ein syrischer Christ, welcher unter AI
Mamun eine hervorragende Stellung erlangte, mit Rath und That
zur Seite.
Dieser Fürst errichtete ein Übersetzungs-Institut, in welchem Werke
aus fremden Sprachen ins Arabische übertragen wurden. „Zu diesem
Zweck versammelte er", wie IjEO Apbicanus schreibt,* „eine grosse
Menge Gelehrter, welche verschiedene Sprachen kannten, und erkundigte
.sich nach den Schriftstellern und Schriften in griechischer, persischer,
chaldäischer und ägyptischer Sprache, deren ihm viele genannt wurden.
Darauf sandte er viele seiner Diener nach Syrien, Armenien und
Ägypten, um die bezeichneten Bücher zu kaufen, und sie brachten un-
endliche Lasten derselben zusammen. Nun liess AI Mamun die nütz-
lichen Bücher, welche die Medicin, Physik, Astronomie, Musik, Kosmo-
graphie und ( -hronologie betrafen, aussondern, und machte zum Vorsteher
der Übersetzer aus dem Griechischen Johannes, Sohn des Mesuj^ weil
damals die griechischen Studien unter den (Christen blühten. Viele
Andere wurden demselben untergeordnet. Für die persische Literatur
bestellte or den Mahan und den so eben genannten Mesu£:. Diese
und viele andere Gelehrte übersetzten die Medicin des Galen und
darauf sammtliche Werke des Abistoteles.*^
Von den byzantinischen Kaisem erbat sich AI Mamun eine Anzahl
griechischer Handschriften, woljei ihm der gelehrte Photius, welcher
^ Wenrich a. a. 0. p. 13. — Lbolskc a. a. 0. I, p. 124 u. ft.
' Leo Afbioanüs in Fabricius Bibl. Graeca, Hamburg 1T26, XIII, p. 261.
— Mbvbr a. a. 0. Uly 115.
Zeiilanp an Hofe zu Bagdad lebte^ als Vermittler cüeitte. Auch
lisehe Werke, wie die Schrift Chanaks über die Gifte und der Ajar-
des SusRUTA und des Chabaka, wurden übersetzt und zwar, wie
Mheint, sninächst ins Persische und dann ins Arabisi^he. Die in-
heu Ärzte Maickah, Saleh Bkn BatjEk u. A,, welche sich in Bagda«)
hatten, leisteten dabei wesentliche Dienste J Ebenso
wach einzelne Pnxlukte der chaldaischen Literatur den Weg zu
Arabern,
Diese übeisetzungs-Anstalt blieb auch unter den Nachfolgern AI
Kiims bestehen; unter den Gelehrten, welche an derselben ange^
llt waren, hat sich namentlich HojTEtH (Johankttius), welcher die
ittgsten medicinisohen Autoren der ririecben übersetzte, bekannt
cht
Auf diesen Grundlagen entwickelte sieb allmälig eine selbststän^Ügp
cini^he Literatur Die Anfönge (lersetben reichen bis in das
.Jahrhundert zurück; ihre Blüthe erlebte sie aber erst im IK Jahr-
dert
Der Aufechwung der arabischen Cultur wurde ausserordentlich
)»e^nsügt durch den Zerfall des Reiches in mehrere unaljhängige
gtttlen. Die Fürstensitze der Samaniden in Bochara, und der Gha«-
nawiden in Ghasna, der Buiden in Persien» der Hamadaniden in Meso-
potamien und Sjrrien, der Edrisiden in Magreb, der Aglabiten in Quai-
nttD und der Fathimiden in Ägypten bildeten oft KrjataUisationspunkte
^ftr blnstlerische und wissenschaftliche Bestrebungen. Den wirksamsten
hutz al>er fanden dieselben bei den Ommajaden in Spanien, welche
lört nach ihrer Vertreibung aus der Heimath um die Mitte des 8. Jahr-
zur Herrschaft gelangten.
Abderrahmau, der erste Ffirst dieses Hauses, vergrösserte seine
Besidenz Cordova und verschönte sie durch Bauwerke, deren Reste owh
die Bewunderung hervorrufen. Er pHanzte dort die erste Palme:
liin Ereignis», welches er durch eine Klegie verherrlicht hat, in der er
'ier Sehnsucht nach dem fernen Bagdad ergreifenden Ausdnick gab.*
Die glanzende Periode der arabischen Herrschaft in Spanien be-
giQii mit Abderrahman IlL Er liess gnissartige Bauten aufführen,
Wttserleitimgen und Landstrassen anlegen und Gelehrte aus dem Morgen-
nach Spanien kommen. Die Gelehrten standen an seinam Hofe
^ Zu Mohiimtneds Zeit bestand in Bauiia im .'^ötOicheTi Arahieti eine be-
rühmte medicLnisehe Schafe, deren Voretand, HArft Bkh Kaldah, in Indien »eine
Kenntiiia»e gesammelt hatte, wie Lasskk (IndiBche Alterth. H. b\9) erzählt
V, HAMMSK-PtntoOTAix a, tt. 0, HI, 31, — Mete» a. a, O. III, 126,
136 Der medimnische ünterrickt im MütelaUer.
in grosser Achtang und hielten, nach Fachwissenschaften gesondert^
Berathungen.
Noch grössere Aufmerksamkeit widmete sein Nachfolger Hakim IL
den wissenschaftlichen Bestrebungen. Er war selbst ein Gelehrter und
nahm persönlich Antheil an den schwebenden Streitfragen. Überall
liess er seltene Bücher aufkaufen, die er durchstudierte und mit An-
merkungen versah. Seine Bibliothek soll 600,000 Bande enthalten, der
Katalog derselben allein 44 Bände gefüllt haben. Er gründete in
Cordova eine Art von Akademie, deren Mitglieder mit Specialforschungen
über die Geschichte des Landes, über Literaturgeschichte und Natur-
wissenschaften beauftragt wurden.^
Wenn die Wissenschaften unter solchen Verhältnissen gediehen,
so verdankten sie dies zum grossen Theile allerdings der wohlwollenden
Förderung, die ihnen von den regierenden Herren zu Theil wurde;
aber die Erinnerungen, welche die römische Cultur in Spanien zurück-
gelassen hatte, die Pflege der letzteren durch die westgothischen Er-
oberer, die Niederlassung strebsamer und unternehmungslustiger Juden,
welche überall Schulen errichteten und Bildung verbreiteten, und die
glückliche Verschmelzung des semitischen Charakters mit den roma-
nischen und germanischen Elementen übten ebenfalls beachtenswerthen
Einfluss darauf aus.
So kam es, dass sich zu einer Zeit, in welcher das übrige Europa
in Unwissenheit, Aberglauben und Sittenrohheit versunken war, axd
der spanischen Halbinsel ein reiches, auf allen Gebieten intellektueller
Thätigkeit fruchtbares Geistesleben entfaltete. Im 12. Jahrhundert
besass Spanien 70 öffentliche Bibliotheken und 17 höhere Lehranstalten.
150 Schriftsteller nannten Cordova, 52 Almeria, 61 Murcia und 53 Ma-
laga ihre Heimath. ^
Die Leistungen der Araber in der Mathematik,' Physik,* besonders
in der Mechanik und Optik, femer in der Chemie,* Astronomie^ und
Geographie^ sind bekannt Sie waren es, welche die Messungen und
das Experiment in die Naturforschung einführten. Alhazens vortreflF-
* Vergl. R. Dozy: Geschichte der Mauren in Spanien , deutsche Obers.,
Leipzig 1874, II, S. 68 u. ff.
» Mich. Casibi: Bibl. Arab. Hisp. Eecur., Madrid 1760, T. U, p. 71.
' M. Cantob: Greschichte der Mathematik, Leipzig 1880, I, S. 593 u. ff.
* J. C. Poijoendorpf: Geschichte der Physik, Leipzig 1879, S. 56 u. ff.
^ H. Kopp: Geschichte der Chemie, Braunschweig 1843, I, S. 51 u. ff.
* W. Whewell: Geschichte der inductiven Wiasenscbaften, übersetat von
LiTTRow, Stuttgart 1840, Bd. I, S. 184 u. iL
7 0. Peschbl: Geschichte der Erdkunde, München 1877, S. 104 u. ff.
Arbeiteii über die Strahlenbrechung bereiteten das Verstandniss
Physiologie des Sehens vor, und Gebkh wurde der Begründer der
chaftlichen Chemie.^
Medicinische Wissenschaft und medicinischer
Unterricht bei den Arabern*
Di*f ilalicin erfreute sich schon in der frühesten Perinde des Is-
wie ABur*FAHAG sagt,^ einer eifrigen Pflege, (jkichwohl haben
Araber auf diesem <iebiet nur geringe Fortech ritte und keine Eot-
kimgen von bahnbrechender Bedeutung gemacht, Ks lag dies buupt-
licbheh an der unselbstötiindigen Kntwickeluug, welche die Heilkunde
h anderen Wissenschaften bei ihnen nahm.
Daraus entsprang auch jener unbegrenzte Auturitütsglaubey der
m abhielt, die Richtigkeit der übernommetien Wissensresultate zu
prüfen, und ihnen den Muth raubte zu selbststiindigen Forschungen,
I)hzu kamen sociale und religiuse Vorurtheilet die jeden Veniuch, der
m «lieser Richtung unternommen wurde, im Keime erstickten.
Die Anatomie und Physiologie blieb daher im W'esentlichen auf
ifALEN'schen Standpunkte Da die Sektionen menschlicher Leichen
ih den religiösen iilauben der Mohammedaner verboten wurden, so
or ;in eine Vermehrung der anatomischen Kenntnisse nicht zu denken*
Zu&liige Beotmchtungen, wie sie Aui*el-Letif bei <jelegenheit einer
Kpidemie in Ägypten machte, wo es ihm gelang, durch die Unter-
^nt'hiiDg der Schädel der Gestorbeneu mehrere Irrthümer üalejj'h in
^kt 0^tenli>gie zu Uerichtigen»' lnM»4(»ii eine Ausnahme, Im Allge-
mmen beschränkte >ivh die auatomische Literatur auf Auszüge und
lum* Compendien, die sich auf die SchritUvu Galkn's stötstten.
El»enso sklavis<'b folgte man den physiologischen Tlieorien desselben.
Sdhfit die vielversprechend«ii Ergebnisse, welche die Physik und Chemie
^kf dem W^ege des Experiments erzielten, änderten danin nur wenig*
^■m war nicht im Stande, dieselben vollständig für die Physiologie
Htes Menschen zu verwerthen, und gelangte nicbt dahin, auch hier diese
I Methode der Forschung anzuwenden*
^y ^ H. Korr: Beitrüge zur Geechicbte der Chemie, Braurischweig 1875, 111,
■Tl? 0. ff.
' AmvLWAUAu a. a. U. p, 160. — Yergl. auch A. SpuEKüEit: De origin. med.
ib., Liig4L-Eata\r. 1840, p. 6.
* Aai>oi.LATti*iuj Hbt Aegjpt. ed. White, Oxon. löOO, p. 277.
138 Der medieiniacke Unterrieh^ im Mittelalter.
Grossere Selbstständigkeit bekundeten die Araber in der praktischen
Heilkunde. Ihre zahlreichen Schriften über diesen Gregenstand sind
allerdings ebenfalls abhängig von den Werken der Alten und bestehen
^össtentheils aus Auszügen, Umarbeitungen oder Übersetzungen der-
selben; aber hier und dort findet sich doch auch eine eigene Beob-
achtung, eine selbstständige Erfahrung, welche zeigt, dass der Verfiasser
das wissenschaftliche Material beherrschte und zu vermehren im Stande
war. Die wissenschaftlichen Leistungen eines Bhazes, Ali Abbas,
Abülkasem, Avicenna, Avenzoah, Avbrboes, Maimokides, Ibn El-
Beithar, Oseibia u. A.^ nehmen einen ehrenvollen Platz ein in der
Geschichte der medicinischen Wissenschaft und verdienen umsomehr
Aneritennung, als sie in eine Zeit fielen, in welcher die Entwickelung
derselben nirgends Fortschritte machte?.
Die arabischen Ärzt^ widmeten der Untersuchung des kranken
Körpers grosse Sorgfalt. Sie zogen dabei zwar sämmtliche Krankheits-
erscheinungen in Betracht; aber den meisten Werth legten sie auf die
Form des Pulses und die Eigenschaften des Harns. In der Prognostik
erlangten sie eine bemerkenswerthe Geschicklichkeit. Der Diätetik zollten
sie gebührende Anerkennung* und den Arzneischatz vermehrten sie
durch eine grosse Anzahl von Heilmitteln.
Sie waren eifrig bemüht, die Ursachen der Erkrankungen zu er-
forschen, und erzielten auch darin einige Erfolge. Avenzoab deutete
bereits auf die Krätzmilbe hin und hob deren Beziehungen zur Ent-
stehung der Scabies hervor.^ Abulkasem hint-erliess eine vortreffliche
Beschreibung des Medina -Wurms und der dadurch hervorgerufenen
Krankheitszustände. ^
Die specielle Pathologie verdankte den arabischen Ärzten manche
Förderung; sie gaben über die Ursachen und den Charakter einzelner
Krankheiten, z. B. der schweren Pestepidemien, der Pocken, Morbillen
und anderer exanthematischer Leiden,* der Schwindsucht,® des Gesichts-
schmerzes ^ u. a. m. werthvoUe Aufschlüsse.
* F. Wüstenfeld: Gesch. der Arab. Ärzte u. Naturforscher, Göttingen 1840.
• Vergl. £l-Akteri*8 treflEliche Verse bei v. Hammer-Pük(}STAll a. a. 0.
Bd. VIT, S. 499.
' Raspail: Memoire sur Thistoire naturelle de Tinsecte de la gale im Bull,
gen. de therap., Paris 1834, T. VII, p. 169. — F. Hebra (Acute Exantheme u.
Hautkrankheiten in Vibohow's Handbuch, Bd. III, S; 413, Erlangen 1860) glaubte
nicht, dass Aveitzoab die Krätzmilbe kannte.
* Abulkasem: Chirurgie II, 98, Edit. Leclerc, Paris 1861, p. 230.
' Rhazeb: De variolis et morbillis, Edit Channing, I^ondon 1766.
• Waldenbirq: Die Tuberkulose, Berlin 1869. S. 25.
' Avicenna: Canon HI, fen. 1, tract. 1, c. 12.
Dagegen machte die operative Ghimrgie bei den Arabern offenbare
Die Vernachlässigung der Anatomie und die den Orien-
eigenthümliche Scheu vor blutigfen Ein^'rilfen in den menschlichen
ins trugen die Scheid daran, x\n die St*^lle des Messers tmt<*n
Atzmittel und das (Uüheisen. Wo die Chirurgen früher t^chnitben,
sie jetxt genöthigt zu ätzen und zu brennen. Schon AurLKA^EM
flägte den Verfall der rhinirofir. „üif 0(w^mtionHkunst" schrrilit er*
^ \nn un8 verschwunden» fast ohne irgend welche Spuren xu liinter-
m* Nur in den Schnften der Alten findf't man liorh einige Hin-
darauf; aber auch sie jtind durch sehlwht»' Übersetzungen, durrfi
fiümer und YerwwhNelunir^'n nahezn unvt'rstjlnrllich und unbniucli-
Uffwiinlen."^
Bei dieser iMdegenh^it hencht<4 t*r nirhn're Krlr-tmissc aus (irr
welche ein grelles Licht auf die Unwissenheit seiner chirurgisehrii
en werfen» IMe Cauterien bildrtf^n das gebniuchlirhste und wich-
Handwerkszeug de^s Wundarztes, Das (rlüln-isen wurde neben
lompression, der Kälte und der Licntur zur Stillnrig der Blutung(*n
ilohl«»n;* CS wurde bei einer Menge von Leiden angew^^ndet, z, B.
iliähmungi*n,' bei Wundt»n und Fisteln/ bei (rangraen,* beim Krebs
jiihI anderen Keubildungt-n/ bei der Lepra/ zur Eröffnung der Leber-
?t® hei der cariosen Hüftg^elenkentzündnng und der Spondylar-
ce der Kinder** u. ;i. m>
ehinirgisehe Pjn»tr»chnik wurde vrui ihm arabischen Ärzten zu
oben Stufe der Kntwicketung geführt Ein grosser Thei! der
cblr ^.-fi Instrampntr, dtn^n Alibilrhmgen den Handschriften
Abt m })eigeg^^hen sind, diente diesem Zweck.
[)ie chirurgische Openiticnsk-unst trat der Pyrut^^chnik gegenüber
■^den Hint+*rgrand und vennocbre nielii jenen Urad der Vidlendung,
PHb sie unter di^n Wundär/teii der nlmiselien Kaiserzeit (^reicht hatte,
; XU behaupten. Die Amputatitm wagte man nur am Vurderarm oder
m Unterschenkel und höchstens in dem zumlchst gel(-Lri>n»-n Ellen-
liijgim- oder Knie-Uelenk^ niemals aber am 01>erarm und am (*ber-
: st^bmkel auszuführen. *** Die Haut wurde dabei oberhalb und unterhall)
der Stelle, an welcher eingeschnitten werden sullte, durch Binden tixirt
^
' Abulkabkm: Introd. a. a, «). p. 1. • Arülkaäkm I, hü a. h. (K p. 56.
• ASTUCAr^EM A. ft. O. L 6, 9, p, IT. l^.
• Am LK^Miai a. ä. O. h 17, 19, 3ß, p. 25. 27. 38.
' AMUULkSWM ft. &. ü. L 52, p. 54,
' XBühKA»tM fl. a. O. I, 50, 53, p. 53. 54.
' ABtrt.KA0Bii a. ft. O. I. 47. p. 50. * Abülkabem h. a. 0. h 28. p. 33.
• ABrhKAuRM a. a. O I, 43. p. 46, ^* AutaicAsKiH a, a. O. IT, 89, p, 21»,
140 Der medUnnische Unterricht im MiUelaUer.
und vor dem Beginn der Operation nach oben gezogen, um einen mög-
lichst grossen Hautlappen zur Bedeckung des Stumpfes zu gewinnen.
Die bei der Amputation auftretenden Blutungen stillte Abulkasem
durch styptißche Mittel und durch Cauterien; von der Unterbindung
der Gefasse sagt er in seiner Beschreibung dieser Operation kein Wort
An einer anderen Stelle erzahlt derselbe, dass er bei einem Kranken
einen Theil der nekrotischen Tibia resecirt habe.^
Die Tracheotomie wurde zu seiner Zeit nicht mehr ausgeführt
Er kannte dieselbe nur aus den Berichten der Alten, hielt sie aber
für angezeigt in Fällen, in denen durch Neubildungen die Gefahr einer
Erstickung drohte.^ Ayenzoar unternahm die Operation, wie er an-
giebt, an einer Ziege, um die Folgen derselben kennen zu lernen.'
Der Steinschnitt wurde von Abulkasem beschrieben, welcher dabei
auch der Lithothrypsie gedachte.^ Moses Maimonides verbesserte die
Methode der Beschneidung, welche auch von den Arabern ausgeübt
wurde, und führte verschiedene Vorsichtsmassregeln ein, welche bei
dieser Operation zu beachten sind.^
In der Behandlung der Knochen-Frakturen und Verrenkungen,
welche Abulkasem in seinem dritten Buche besprach, folgte man den
bewährten Grundsätzen der Ärzte des Alterthums.® Erwähnung ver-
dient nur, dass Avicenna die Einrichtung des luxirten Humerus durch
direkten Druck, d. i. die direkte Reposition, empfohlen hat^
Der graue Staar wurde durch Depression der Linse beseitigt^
Die Extraktion hielt man, wenn nicht für unmöglich, so doch für sehr
gefahrlich.® Abulkasem gedenkt, wie schon Bhazes vor ihm, auch
der Heilung des Staares durch Suction und bemerkt dabei, dass dieses
Verfahren in Persien geübt wurde, ^^ Ebenso erwähnt auch der Augen-
arzt IsA Ben Ali diese Operations-Methode; ein Manuscript seines
Werkes giebt am Rande eine Zeichnung der Hohlnadel, welche dabei
* Abulkabem a. a. O. 11, 88, p. 216.
^ Abulkabem a. a. 0. II, 43, p. 120.
=» Avenzoar: Altheiflir., Lib. I, IV. X, c 14, Venet. 1542.
* Abulkasem II, 60 a. a. 0. p. 151 u. ff.
* J. B. Friedbeich: Zur Bibel, Nürnberg 1848, II, S. 46 u. ff. — H. Plom:
Geschichtliches und Ethnologisches über Knabenbeschneidung im Deutschen Arch.
f. (Jesch. d. Med., I^ipzig 1885, VIII, S. 324 u. ff.
* Abulkasem III a. a. O. p. 270—342.
' Avicenwa: Canon IV, fen. 5, tract 1, c. 11. 14.
^ Abulkasem II, 23 a. a. 0. p. 91 u. ff.
^ Avenzoar: Altheisir., Lib. I, tract. 8, c. 19. — Avicenna a. m. 0. III, 3,
tract. 4, c. 20.
^^ Abulkabem II, 23 a. a. 0. p. 93.
Rucht rurde.* Cawamüsali, welcher diese Operation mehrmals
e, schickte derselben eine Incisian in die Cornea voraus, damit
Hohlnadel leichter eingeführt werden k*jnnte,*
Die (leburtshilft^ war Sache der Hebammen, welche nicht blos die
|B Drtimalen Entbindungen erforderliche Hilfe leisteten, sondern sogar
bart.shilflichen Operationen unternahmen. Die dureli die socialen
Je bedingt<e strenge Absperrung der Frauen hind^-rte die Ärzt^,
mit diesem Gegenstande praktisch zu beschäftigen. Sie hatten
wohl nur ausnahmsweise Gelegenheit;^ in ihren ^Schritten befassten
gich hauptsächlich damit, den Hel>aramen Medicammte zu em-
pfehlen^ welche sie bei den hilfesuchenden Frauen anwenden sollten,
pd Rath^sehläge für die Ausführung i^inzelner Operationen zu »^rtheili^n. *
Untier df»n von Abulkasem angegebenen Instiiimentt^i, welche zur
sbeforderung abgestorbener Früchte dienten, findet sich ein Dila-
irium, welches einige Ähnhchkeit mit der (Teburtszange hat;'^ doch
es klar, dass es niemals, wie schon Muldeä bemerkte, zur Ex-
üon lebender Kinder verwendet worden ist, ^ Eine andere Zeicli-
tmg zeigt die Form des Kranioklast^n und wurde auch zum gleichen
Zweck gebraucht.'
Eine erfreuliche Erscheinung ist das rege Interesse, welches die
indktsebeD Arzte der Geschichte ihrer Wissenschaft widmeten. Die
Serie des Ibx Dscholdschol und Ibn AbuOseibia^ bilden eine un-
zbare, leider noch wenig benutzte tjuelle für die medizinische Ge-
üchtsfi.trschang wie für die Culturgeschichte überhaupt. Der histo-
«;he 8inn, welcher den Arabern anerzogen wurde, veranlasste sie,
ihre Schriften mit einer Menge von ( 'itaten zu schmücken, durch welche
manche wichtige That^ache vor der Vergessenheit geschützt wurde.
[.Welche überraschenden Autschlüsse über die Culturzustiinde, besonders
Medicin, des Alterthums dürfen wir erwarten, wenn einst die lite-
en Schätze der mohammedanischen Musensitze des Orienti^ und
afrikasy wie in Quairuan, der Wissenschaft erschlossen werden! —
Schon in den ersten Zeiten des Islams wurden überall bei den
' SiCBKt im Arch. f. Ophthalmol 1868. Bd, XIV, 3, [j, 9,
■ Lgclbbc a. a. 0. I, p. 535,
' a J. V. Sisbold: Geschichte der nebiirtahilfe, Berlio 1S39. L S. 272, Anm.
* ßiBBöLD a. a. O. I, S. 298 u. E
* ÄBüLEA^EM II, 76, 7t a-a. O. p. 180 u. ff. u. Aubaug Fi,^ 103.
• J. Mfli»er: GeBchichte de? Zangen u. Hebel in der tieburtshilfe, Leipsög
im, S. 9, — Sjebold a. a. O. I, S. 295, Anm. 1.
' AsüutAswK a. a. O. Fig. 106.
• WavTwnwKLD a. a. 0. S, 132 u. ff. — LfiCLEftc a, a. O. II, löT u. W,
142
Der msdmnische üntmriöht nn Miüehlter,
Moscheen JUementÄrschulen eirichtt^t, m d**nt'n dU* Kinder den
lesen lenit4:'u. Daran schloss sicli spatt'c die Lektüro aiideror S<*hri
sowie die Granimtittk und der UnU^Tieht im SchrcilM^tK I)f-r B«»»*]
J<^r ÖohuU' bei^mnn mit dem t>. Lebensjahre, '
Die Kelit^non kg nicht h\m dem nuHleren, dundeni aach d
hülieren Unt^*nicht zu Urunde, Auch die höheren Lehranstalr^en sUin
Anfangs mit den Moscheen in Verlundun^* In den Nischen und iihxi\
derselben oder in ansUhssenden Sälen ver^jammelten iJelehrte ei
Kreis wissbegieriger Schüler um »ich und hielten Vorträge iiher l
lügische, philologische, idnlusophische» juristis*t*.fae und medicinii
Fragen.
Wahrend der ersten Jahrhunderte durfte Jeder als Lehrer aotf
trett^ü, ohne das» er seine li<.*tiihigung dazu nachzuweisen brau»'lil4";^
nur von den Lehrern der Theologie und der Jurispmdenx v^v
man, diiss sie über ihre Aunhildung durch einen von der offen
Meinung unerkannten Li^hrer dieser Wissenschaften Kechenschaft
Manche Lehrer iibt4?n neben ihrer Lehrt hätigkeit noch einen an
deren Beruf aus; sie wirkten als Vurle^ser und Pnnlij^T an den Mosclii*
als Beunite, Bichtfi", S(*krdare, Marktaufseher, ja selVint at« Kaitfln
und Handwerker.^ Die Lehrer der Heilkunde waren sieherlich in A
meisten Fällen *tls praktisehe Ärzte thätig.
Da tut* Vorträge uni*ntgeltlich slattfandfu, so war m ganz nal
lieh, das8 tli(» 1/ehrer, wenn m nicht eigenes Vernnigen bttsa^aen, di
öine andf^re Beschäftigung für ihren Lehensunterhalt stjrgt4^n. Tw
gaben den Studierenden Kost und Wohnung, um durch die (iewchi^
und Gelder, welche ^ie dafür von ihnen erhielten, einen Beitrag
Bestreitung ihrer Ausgaben zu u'ewinnen. Zuweilen wählten sie mS
aus ihnen auch einen Schwiegersohn aus.^
Die Vorlesungt'u bestanden entweder in fraien Vurträgen oder
wiu-den aus Heften vorgeh^en. Reidit witzig bemerkt SAMAf'riscHA
„Der liuhni des (ielehrten liegt in seinen Heft-en^ wie der Ruhm
Kaufmanns in seiner Kasst*,** Die Wi^rU^ des Ijehrer-s wurden von den
Studierenden nachg<*schriel>en, und die letzteren setzten sich sogar einer
lingi^ aus, wenn sie <lies unterliessen. Der Lehrer überzeugte sich
durch Fragen, üb die Sc^hnler den Inhalt seines Vortragtss ver«landen
hatten. ^lanchmal folgten darauf Disputatorien, bei denen
j
gelegen
^ D. Hancbkbo: Ober das Schul- and Lehrweaea der MuhaniedMier
Büttelalter, München IHÖO, S. 4 ir ft'.
' F. WfVxENFELn: Hir- v\kademi*>n der Amber und ihr© J^hrer, (löttio
1837, S, 6,
* Hankbkro a. a. O. S. 3L
amsh einmal Torkam, ilass ein tüchtiger Gelehrter, der sich zu-
anu»r den Zuhürem hefcind, dem LeJirer selbst eine Xieilerla^e
tete. »
B^ Zutritt zu den Vorlegungen war Jedem ohne Unterschied dtT
tat. gestattet Man ^ab in den Hörsälen neben Jünglingen,
fauini dem Knabenalter entwachsen war^-n, gereifte Miinner und
rtige Greise, Manehe kamen aus weiter Ferne» um die Ansicht^-n
berühmten Lehrers kennen zu lernen- Da in allen dem Islam
rfenen Ländern die arabische Sprache beim Unterricht, gebraucht
gü war e*» den ( lelehrten der verschiedenen Nationen leicht, sich
«inander zu rerständigen und ihr Wüssen zu vermehren oder An-
mJtzutheilen.
Die durch die religiösen WalltahrU^n erweckte Reiselusit tjer Aral>er
It? dadurch auch bei den Grelehrten und Studenten gefördert. Auf
0 Wanderungen von einer Hochschule xur anderen vermitteiten sie
instausch der geistigen PIrrungens<^haften und trugen auf diese
ki^ dazu bei, dat^s sich die Cultur in allen arabischen Lfnulern gleich-
ig entwickelte.
Die Studenten liessen sieh oft von ihren Lehrern Zeugnisse über
Besuch ihrer Vorlesungen ausstellen und schriftlich di*^ Erlaubniss
den, die Kenntnisse, welche sie dort gewonnen hatten, durch Wort
Schrift weiter zu verbreiten. Einzelne Lelirer waren in dieser
t sehr entgegenkommend. Y*m einem derselben heisst es in
etwas überschwänglichen Weise: „Er l>edeckte die Erde mit Zeug-
über Gehörtes und mit Licenzen zum lA^hren/*^
Manche Schulen und Moscheen besassen grosse Bibliotheken.
hat deren 40 besebrieben^ und v, Hahmeä-Püegstaxi.
rt<? dazu werthvolle Zusätze.^ Die Bücherlieijhaberei war übrigens
bei Privatleuti'n sehr verbreitet. Der Ai7i Aiäuzäu (Ihn Dschezzar)
rUess, als er i J. 1009 zu Qmiiruan st^irb, rqjie Bildiothek, welche
Centuer wog.*
Seit dem 1 L Jahrhun*lert entstanden die MadarLs, die man weder
UDserPO Akademien, wie es W'üstenfkld thut, noch unseren Gymnasien,
wk'MfTiKii vorschhlgt., gleichstellen darf. Die meiste Ähnlichkeit haben
mu den englischen Colleges, Es waren dem höheren Unterricht
1 Hahebou» II, H, ä 8, 12. ' Hanebeho a. a. O. B, 22.
* QuATKBMiiLE: SiiT le goüt de* hvres chese les Orieutaux im Joiiro. asiat.,
r. in, t VI, p. 35, Paris 1838, u. »er. IV, t. XI, p, 187 u. ff., Paris 1848. -
JL a. O. l, 583 IL ff. — Ä, v. Kbemeh; Culturgeschiclitc des Orients unter
dfn Khalifen. Wien 1877, IL S. 434.
* Lecleec ft. h. 0, If 584.
144 Der medidnische Unterricht im MütdaJUer,
gewidmete Pensionate, in welchen Lehrer und Schüler zusammen
wohnten. Einzelnen standen prachtvolle Gebäude zur Verfügung; alle
waren mit Bibliotheken ausgestattet
Die berühmtesten Madaris befanden sich zu Bagdad, Basra, Bochara,
Nisabur, Damaskus, Samarkand imd Cahira;^ Spanien besass in seiner
Blüthe 17 derartige Anstalten. Wüstenfeld hat deren 37 beschrieben
und dabei über die Lebensumstande der Lehrer, welche an denselben
thätig waren, und ihre literarischen Leistungen ausführliche Mitthei-
lungen gemacht.
Wenn man das reichhaltige Verzeichniss ihrer Schriften durchsieht,
so findet man, dass sie hauptsächlich die Theologie, Rechtskunde, Phi-
losophie und Philologie betreflFen ; nur wenige handeln über Mathematik,
Astronomie, Chemie, Naturwissenschaften und andere Gegenstände, kein
einziges aber über Medicin. Es scheint darnach, dass diese Anstalten
vorzugsweise der Erlangung einer humanistischen, theologischen und
juridischen Ausbildung dienten, während für den Unterricht in den
Naturwissenschaften und in der Heilkunde andere Institute vorhanden
waren.
Die Gesellschaft der „Brüder der Reinheit", welche im 10. Jahr-
hundert, zu Basra entstand, rechnete den Unterricht nicht zu ihren
eigentlichen Aufgaben. Allerdings suchte sie durch Herausgabe theo-
logischer, philosophischer, mathematischer und naturwissenschaftlicher
Abhandlungen Bildung zu verbreiten; aber das Ziel, welches sie dabei
verfolgte, war die Verbindung der Vernunft mit dem Glauben und die
Begründung oder Läuterung des letzteren durch die Wissenschaft.
F. DiETEBici hat ihre Bestrebungen und Leistungen durch eine Reihe
werthvoUer Schriften erläutert
Den Charakter einer Universität zeigte in manchen Beziehungen
das vom Khalifen Hakim Biimrillah i. J. 1105 zu Cahira gegründete
„Haus der Weisheit". Dort wurde neben anderen Wissenschaften auch
die Medicin gelehrt, und unter den reich besoldeten Lehrern, welche
an demselben angestellt waren, befanden sich nicht blos Theologen,
Grammatiker, Philosophen und Rechtskundige, sondern auch Mathema-
tiker, Astronomen und Arzte. Es war auch Nicht- Mohammedanern,
z. B. Juden und Christen, erlaubt, den Vorträgen, welche hier gehalten
wurden, beizuwohnen und die der Anstalt gehörige Bibliothek, welche
18 Säle füllte, zu benutzen.*
Das Studium der Heilkunde geschah auf verschiedene Arten. Wer
* Wüstenfeld a. a. 0. S. 6.
' V. Hammbb-Pdbostall a. a. 0. Bd. I, Einleit, S. LXIV.
dem äratlichen Beruf widmen wollte, konntp <iie dazu erforderlichen
bmännischen Kenntnisse entweder unter der persönlichen Anleitung
' fiiH>s älteren erfahrenen Arzt(?s, zu welchem er sieh in die Lehre begab,
in mediciniseheu Lehmnstjüten oder in den mit manchen Huspi-
verbundenen änjtliehen Schulen erwerben. Viele mögen alle
fopi Methoden verbunden haben» um eine gründliche Ausbildung in
lex Heükujist zu erlangen.
Die medjcinischen Vorleöungen, welche in den mit den Moscheen
tienhüngenden höben*n Unterrichts-Instituten und ahnlichen An-
z. B, in dem Hause der Weisheit, stattfanden, betrafen^ wie m
letelBt, vorzugsweise theoretische Cfegenständo und machten die Schüler
gut der Literatur bekannt» während da.s pruklische ärztliche Wiaaeu
Ittipteachlich in d*'n Krankenhäusern erworben wurde.
Nach ALlcrizi^ gab es in Ägypten schon in der Vor-Islamitischen
at Hospitaler. welche mit Ärzten und Medicamenten versehen waren.
^Bei den Mohammedanern dienten die Moschee und die dazu gehörigen
gMude häufig als Herberge für arme Fremde oder als Lazareth für
unke.
X'^nter der Herrschaft des Islams wurde das erste Hospital für
ke i. J. 707 vom Khalifen El Welid Ben Abd-el-Malik errichtet,
felcher auch dafür sorgte, dass unbemittelte Reisende* wenn sie er-
eiu ärztliche Hilfe erhielten. „Er stellte in dem Hospital Ärzte
nd bestritt ihre Ausgaben; er befahl^ die Aussätzigen einzusperren,
üt sie nicht auf die Strassen gingen, und sorgte für ihre und der
^Blinden Bedürfnisse.^*
Später wurden in allen grösseren Städten Hospitäler mid Kranken-
iaser errichtet, welche ihre Entstehung frommen Stiftungen verdankten.
%e meisten derselben dienten zugleich df»m medicinischen Fnt er rieht.
m nahm dabei die Einrichtungen, w»khc an der medicinischen Schule
(rOödisapur und den mit Spitälern verbundenen ärztlichen Lehr-
dten der Nestorianer bestamlen, zum Muster. Die Spitalärzte
hier zugleich als Lehrer der Minlicin und unt^.*rrichtt^ten ihre
köler in den Terscbiedenen Theilen der Heilkunde.
Die Nachrichten', welche uns über die arabischen Krankenhäuser
erliefert worden sin<i^ gewähren einen Einblick in deren \ t-rhältnisse
Dttd Zustinde. Das Hospital zu Gondisapur, welches durch mehrere
iii ■ ' mm unter der ärztlichen Leitung von Mitgliedern der Familie
JU'A (BucHTJEsr) stand, bewahrt^ auch unter der arabischen
MjLCKoas Bescbretbung der Hospitäler in el-Cahira oach Wüstemtelps
im Janus, Breslau 1846^ I, S. 28 u. ff.
PMCKXAJm, l7ot«n1cht. 10
146 Der medicinisohe Unterricht im Mittelaiter.
Herrschaft seinen guten Buf. Es war mit einer wohleingerichteten
Apotheke verbunden, welcher der Stammvater einer anderen berühmten
ärztlichen Familie, der ältere Mssufi, durch 40 Jahre vorstand. I. J. 869
war der um die Arzneimittellehre verdiente Sabur Ben Sahl Direktor
dieser Anstalt Sie bestand wahrscheinlich noch in späteren Zeiten;
doch trat sie in den Schatten, als die glänzend ausgestatteten Hospitäler
der Araber in Bagdad und anderen Orten zu Ansehen gelangten.
In Bagdad existirti^ schon im 9. Jahrhundert ein Krankenhaus und
eine medicinisohe Schule.^ Ein zweites gründete i. J. 914 der Vezir
Ali Ben Issa. Derselbe lernte bei einer Epidemie den Mangel an Ärzten
und Medicamenten kennen, welcher bei den Truppen und auf dem
Ijande herrschte, und beschloss deshalb, etwas zur Besserung dieser
Zustände zu thun. Er ordnete an, dass die Kranken täglich von den
Ärzten besucht würden und Arzneien und Nahrungsmittel empfingen,
und Hess ein neues Hospital eröffnen. Als man ihm mittheilte, dass
einige Dörfer, welche grösstentheils von Juden bewohnt waren, der ärzt-
lichen HiKe gänzlich entbehrten, antwortete er, dass man auch für die
Ungläubigen sorgen müsse.
Auf Sinan Ben Tsabet Ben Corra's Veranlassung* wurden in Bagdad
noch andere Krankenhäuser erricht^^t. Die Mittel dazu boten die zu
Wohlthätigkeitszwecken bestimmten reichen Vermächtnisse der Sedjah,
der Mutter des Khalifen Mottawakl. Das grösste und berühmteste
dieser Spitäler wurde L J. 977 vom Buiden-Emir Adhad Ed Daula ge-
stift43t, oder vielleicht nur, nachdem es schon früher existirte und in
Verfall gerathen war, mit grösseren Mitteln wieder hergestellt' Bei
der ursprünglichen Gründung, die wahrscheinlich um ein Jahrhundert
zurückreicht, soll nach Ibn Abu Oseibia's Angabe Rhazes mitgewirkt
haben, indem er einen in hygienischer Hinsicht geeigneten Platz dafür
aussuchte.
An diesem Hospital waren 24 Ärzte angestellt, welche nach ihrer
Tüchtigkeit im Bange auf einander folgten. Es gab unter ihnen Spe-
cialisten, indem sich Einzelne nur mit der Behandlung fieberhafter
Krankheiten, Andere mit der Heilung von Wunden, mit dem Einrichten
von Luxationen oder mit Augenleiden befassten. Die Kranken waren
nach der Art ihrer Erkrankung in verschiedene Abtheilungen gesondert-
Merkwürdige Beobachtungen, welche die Ärzte an einzelnen Krankheits-
* M. 8tein8chneideb in Vibchow's Archiv, Bd. 52, S. S72.
^ Aus dcüsen Lebensbeschreibung nach Leclebo a. a. 0. I, 865. 559 u. ff.
'^ V. HAMHsa-PuBGSTALL a. a. O. ly, 858. — Wüstbmvuj) : Geaoh. d. arab.
Arzte, S. 42, Anm. — Leclebc a. a. 0. I, 561.
^maehlen, wurden uiedergesichrieben und aufbewahrt. Die Ver-
deö Hospitals leitete ein hoher Beamter, z. B. ein Kadi; unti^r
Irland ein Okonum, Lbx El üaristania, der eine Zeithing als
it an die^ser Anstalt wirkte, hat eine Gescliichte derselben verfasst,
iDJder vexloren gegangen ist Dieses Krankenhaus existirte noch im
'l3* Jahrhundert, vielleicht auch in späterer Zeit.
Ferner bestanden zu Merw, zu Kay, dem Geburtsort des Rhazks,
Ltpahan, Schiras. Jerusiüem, Antiochia, Mekka und Meilina Kranken-
In Uain^iäkus gab es mehrere; das grösste verdankte ani^ehUeh
Nureddin seine Enti^tehung. Es diente zugleich ah nietlicinische
Dötalt In (k*ni mit Teppichen bedixrkten Hofe wurden nach der
jigung der Krankenvisiten medicinisehe Vorträi^e ^^ehädten, welche
Lft mehrere Stunden dauerten. Eine me<iiciniscbe Bibliothek, welche
\mh iu der Anstalt befand, sorgte für die literarischen Bedürfnisse der
i>lm*nden und Lernenden. Die Zahl der 8chQier war sehr grus^. In
[im Verzeichnis» der Lehrer finden sich Namen, welche zu den lie-
pfihmtesten der arabischen HeilkTinde gehören.* Die Kranken wurden
Itaeh ihn*n Leiden eingetheilt; es gab z, B, eine besondere Abtheilung
|för Attgeukranke.^ Die Verf»flegung war so vortrctflich, dass Mancher,
rieAnn-EL Letif erzählt,^ sich krank stellte, um in der Anstalt bleiben
IsD «iürfien; denn er wurde dort „mit zarten Hühnernj Backwerk, Sorbet
lltod fruchten aller Art" bewirthet
In DamiLskus bestanden neben dieser Ani>talt noch andere medici-
Schulen; zuweilen d(jcirte derselbe Lehrer an zwei solchen In-
Die medicinischfui Schulen von Damaskus nahmen im Ki. Jabr-
udürt den er:iten Rang ein unter allen ihren Schwester-Anstiilten und
Ibrrstrahhen durch ihren Ruhm sogar diejenigen zu Bagdad und Cairo.
Cber die Spitäler Ägyptens und ihre Ürganisation hat Maübizi
iführliche Nachrichten hinterlai4sen. Er berichtet, da^s da« erste
Crankenhaus von Lbn Titlün um d. J. 875 gestiftet und mit reichen
Mitteln zu seiner Erhaltung ausgestattet wurde. ^^Er trat für tla.s Ho-
die Bestimmung, dn^ darin weder ein Soldat noch ein Sklave
M:»mmen werde: auch richtete er für da.^ Hospital zwei Bäder ein,
Qe für die Männer und diks andere für die Frauen, und v<'rjnachte
PNtle dem HospiUl und anderen xVnstalten. Er betahi ferner, das!4,
^ Wetio dieses Hospital erst von Nureddm, welcher 1173 starb, ijeötiftet
|l»ezogea sich ©inzelße der hier erwähaten Thatsachen wahrscheinlich
rKrankenhftuser Bagdada.
^ LecLSBc a. a. O. I, 565 u, ff. — Abulfarao a» a. 0. p, 343.
^ AMShAujkTtri Elution de fEg^pte ed* Süv. de Sa4sy, Parid 1810, p. 44L
10'
I
148 Ikr midiöini9öh§ f'nierridu im Mitielaiier.
wenn ein Kranker gebmcht würde, ihm mm^ Klmdffr tind nein Gdil
»bgt»nommi'n unri bt?i rli*m Hospital-ViTwaltiT in Venrahrunj? ^i.^^v\m\.
4mn ihm iumIiti» Kloider ?in^*?,ogi'n, n im Bftt $riile|ürt, ihm Mss^'/i
igegf'ben, und **r durch Arznei un*! Nahrungsmitttd und durch Arzi«
lH*dient wi'rdt»n solltt^ bis er hiTgi'stA'llt sei: dann u*u*hdem er ein jun^^
Huhn und Kin"h»^u zu pssi»n l»eknnim**n, soll «t entlassen werdiMi um
«ein Geld und seine Kleider zurückerhalten/**
In dem Hus]>it4il liefand Kich auch eine Ablheilun^ für tieiä^v
kranke. Diese Aast^lt scheint nicht lange existirt xu haben; zu Mackizi^
Zeit war sie nahezu vollständig vergessen. Dersidln* erwähnt diinn
das Hospital Kafub'«, welch«^ i. J. 95T in der »Stadt Mi^r ernchtt't
wunbs uud dasjenige, welches nach der Ktra.s.««e Kl Ma^mtir genannt
wurde und. wie i>s seheint, nur kurze Zeit bestanden hat.* In Fofttath
extstirte »ehon Im 10. Jahrhundert ein Hospital; ein anderes« an wel-
chem IiiN Anr OffKiBiA kurze Z(*it ärztliche Dienwt« verrichtete, ver-
dankte dem Nasr Haladin seine Knt**tehun<j:,
Die bedeutendste aller dieser Stiftunj^en war das grotae Mansuri-
sehe Hospital zu Oainn Der Sult.in El Mansur Uilavun lie- "\h^.
i, J. 1283 aus einem lurstlicben Scbloss, welches bis dahin ♦! in-
zciBisin zum Wohnsitz gtHÜent hatte» mit jk'rosjjcm Aufwand herrichien.
Die UrundnuiUi rn. die Steine und Mannorsaulen jenes Theile?* de*
8ch lossei?, welches niederj?erissen wurde, verwendete man zum Bau dw
Hospitals. Alle Handwerker von Stisr und (Jairo mussteii dabei thäti^^
.sein und durften wiihnnid dieser Zeit keine Arbeit tür jindere Leute
übernehmen. Der Sultan ritt tätlich zum Bauplatz, beaulsichtij,ne die
Arbeiter, half so|?ar sidbst mit und nr»thi|rte die Vurübergehenden, Steine
zu tnigeu Oller andere Dienste zu verrichten. Er hatte übrijErens bei
dem Bati ein merkwürdiges Gluck; beim Ausi^i^niben der Erde fand ein
Arbeiter ein mil ttobl und Edelsteinen gefülltes Kastchen, dessen Wertli
die sannntlicben Baukosten deckte.
Vier grosse Krankensale umschlossen den Hof; in Jt^lem derselben
war em SprintTbruTmen, welcher aus einem in der Mitte des Hofus be-
tindlichen Wav-^tTbehalter gespeist wurde. Als der Bau der Anstalt
vollendet war* sprach der Sultan: ..Dies habe ich gei^tiftet für nietncj&
<iileiohen und für Geringere; ich haln» *^ liestimmt zu einer Stiftung
für den K«'mig und den Diener, den Soldaten und den Emir, den
Cirosst'n und den Kleinen* den Freien und den Sklaven, für Manner
nnd Frauen. Er bestimmte dafür die Medicament4s die Arzte, und
alles Cbrige, was Jemand darin in irgend einer Krankheit nuthig haben
MAeMii m&Bk WC0V»fsi.d*6 Obcnetsimg a. a. O. S, SO.
Ute* Der Sultan i^tellte männliche und weibliche Bpttmacher an
Bedienung der Kranken und bestimmte ihnen die Oehalte; er
icbtde die Betten für di*^ Kranken ein und versa ti sie mit allen Arten
^ToD Decken, die in ir^rend einer Krankheit notbig wiin n. Jede Klasse
\i>o Kranken bekam einen besi»nderen Kaum. Die vier Säle de^ Hn-
pitals bestimmte er füi* die an Fiebern und dergleichen Leidenden,
nen Hof sunderte er für die Auj^en kranken, einen für die Verwundeten^
\men für Diejenigen, welche an Dorehfallen litten, und einen für die
nuen; ein Zimmer für die Reconvalescenten theilte er in zwei Theile,
|jjei) einen für die Männer, den andenm für die Frauen. An alle diese
rte wurde das Wa^sser geleitet. Ein besimderes Zimmer war für das
EDcten der Speisen, Medicaraente und Sjnipe, ein anderes für da.s
eben der Confekte, Balsame, AiigensallKMi ii. dgl. bestimmt An
PTfTSchiedenen Orten wurden die YorhUh«^ anfhewahrt.; in einem Zimmer
nmi die Sjrupe und Medieamente allein. In einem Zimmer hatte
tfrr Oberarzt seinen Sitz, nm medicinische Vorlesungen 7ai halten. Die
/IM der Kranken war nieht begrenzt, sondi^m jeder Bedürftige und
welcher dahin kam, fand dort Aufnahme; ebensowenig war die
IfMt des Aufenthalts eines Krankten darin liesHmmt, nnd es wurde
BUS sogar Denjenigen, welehn ym Hause krank lag^en. Alles, was sie
KitJiij^ hatten, verabreicht.**^
Dieses Huspital erfuhr im Verlauf der Zeit manche liauliehe Ver-
tk^ssernngen und Erweiterungen. Im Garten wurde ein grosses Zelt
ichtet^ damit die Kranken di>rt im Schatten spazieren ^'ehen konnten,
[ine im Thoro des Haspitols ^'elegene Cisteme» aus welcher die Tbien»
trinken ptlegten, wurde verlegt, „weil die Leute durch den stinken-
If'Q Genich des Schmutzes belästigt wurden", und eine Wasserleitung
ngek^gt.
Der Stifter der An^stalt vermaehte derselben su vielen Gmndbesitz,
der jährliche Ertrag desselben nahezu eine Million Dirhem euis-
lebte. Zwei Beamte waren damit beanftragt, die aus den tlriinii-
Itöeken der Anstalt zuöiessenden (relder «nnzutreiben; andere hatten
Controlle der Ausgaben oder die Aufsicht über die Gebäude und
Küche.
Wie LecLlEBC angiebt,^ wurden in diesem Huspital Anfangs nur
Äoke und erst später Leidende aller Art aufgenommen. Sie
iirden dort gut verpflegt und genossen ein behaghehe^s Leben. Wenn
an Schlaflosigkeit litten, so wurde ihnen durch Musik, (Uirch
' Maorjxi öach WüerEMFELD ä,
' Leclerc ä. a. 0. L 570.
. 0. S. 34,
150 Der medieimacke Unterricht im Mitteiaitm'.
Märchen-Erzähler und andere Zerstreuungen die Zeit vertrieben. Beim
Verlassen der Anstalt erhielt jeder Pflegling 5 Goldstücke, damit er
nicht genöthigt war, sofort schwere Arbeiten zu übernehmen.
Mit dem Hospital war eine Moschee yerbunden, in welcher zu
jeder Zeit der Koran vorgelesen und erklärt wurde. Femer befand
sich dort eine Bibliothek, in welcher 6 Eunuchen als Diener angestellt
waren, ein Waisenhaus nebst der dazu gehörigen Schule und eine
höhere Lehranstalt. Es dürfte zu jener Zeit keine Wohlthatigkeits-
Stiftung in der Welt gegeben haben, welche sich an Grossartigkeit
Pracht und Ausdehnung mit dieser Schöpfung messen konnte.
Maobizi beschreibt dann noch das Muajjidische Hospital in Gairo,
welches um d. J. 1420 eröffnet wurde, aber nur kurze Zeit als Heil-
anstalt diente. Auch in Fez gab es, wie Leo Afbicanus berichtet,
Krankenhäuser; einzelne hatten besondere Abtheilungen für Geisteskranke.
Spanien soll reich an Hospitälern gewesen sein; doch sind die
darüber vorhandenen Nachrichten sehr spärlich. Zu Algesiras bestand
im 12. Jahrhundert ein Krankenhaus und Cordova soll nach einer
wahrscheinlich an orientalischer Übertreibung leidenden Mittheilung
sogar 50 derartige Anstalten besessen haben.
Die liebende Fürsorge, welche die Mohammedaner den Irren wid-
meten, hatte ihren Grund in der Religion. Sie sahen in den Hal-
lucinatiunen und wirren Reden dieser Kranken häufig Äusserungen
einer überirdischen Welt und zollten Denen, welche damit begnadet
wurden, gebührende Verehrung. Die Christen huldigten der gleichen
Anschauung; aber sie erblickten darin Strafen Gottes und Wirkungen
des Teufels und der bösen Geister. Die Geisteskranken fenden daher
in den Ländern des Islams ^eundliche Worte und sorgsame Pflege in
den Hospitälern, während sie von den Christen wie Verbrecher behan-
delt, in die Gefangnisse geworfen und geschlagen oder als Zauberer
und Hexen mit Feuer und Schwert vertilgt wurden.^
In Bagdad und Cairo bestanden Irrenanstalten längst, bevor man
in den Ländern der Christenheit an die Errichtung derselben dachte,
und hier entstanden die ersten in Spanien, auf dessen geistige Ent-
Wickelung die arabische Cultur den grössten Eintiuss ausgeübt hat.
Auf dem Gebiet der Irrenpflege neigt sich die Waage der Huma-
nität entschieden zu Gunsten der Mohammedaner; das Christenthum
zeigt hier einen hässlichen Flecken, welcher dem Religionseifer seiner
Anhänger zur Last fallt.
^ Le< KY a. a. 0. II, 68 u. fF. — Dbsmaisona: Deerasilee dali^n^ en Espagne,
Paris 1859.
IXe Araber hatten m ihren Spitälern besonder« Abtbeilungen ffir
fieiiduedf'neii Arten der meDschlichen Leiden; aueh gab es be-
"Simdere Amtalten für einzelne Krankheiten, l B, diejpni|?en der Augen,
Die Studieremleo, welche diese Krankenhäuser besuchten, wurden
er unter d^r Anleitung erfahrener Ärzte in die Kunst eingeweiht,
\ Krankheiten zu erkennen und m behandeln. Sie wohnten der Aiis-
bnmg ühirurgisüher Operationen bei und konnten auch manch mal
Bigp praktische Kenntnisse in der Gi^hurtshilfe erwerben, wie es ihnen
" Au Bb5 Abbas empfahl.
In den Apotheken hatten sie Gelegenheit, die Bereitung der Arz-
jgifn kennen zu lernen. Die Arabt^r haben die Apotheken in die Heil-
nile eingeführt; es scheint^ dass sie durch die Nestorianer damit iie-
gemaeht wurden.^ Die arabisehen Apotheker handelten nicht
it Arzneigtoffen , namentlich Sandeüioh, weshalb sie auch Szan-
«lAläfii genannt wurden, sowie mit Päufümerien, k<»smetis(^hen und an-
^ifcp'ü Mitteln, sondern beschätYigten sich auch mit der Zunanimensetzung
^r^elben zu Medicanienten und führten \\\\\ Dispensatorien ein. Die
fsU'niaTische Anwendung der Destillir- Apparate uml \Xw Ertindung
nzelner Formen der Arzneien war ihr Verdieust,
Ihre chemischen und butanischen Studien kamen ihnnn dabei sehr
Statt**n, Die Botanik iiiidete, \ti(? Hadji Khalfa sagt,* eine HilfK-
chaft der Medicin, Viele Ärztin waren eifrige Botaniker: von
Kddtn Ibn AöziTBi wird erzählt, dass er sieh auf sinnen l»»-
ichen Exeurstionen von einem Maler begleiten Uess, welcher die
mm in ihren verschiedenen Kntwiekelungsstadicn zeichnete»^ Mi)-
Bkx Ali Ben Fabak, der Leibarzt des Fürst*'n von Cadix,
id sogar sehon einen botanischen Oarten angelegt haben. *
Die arabischen Arzte trachteten nicht blos darnach, sich gn'ind-
liclie Kenntnisse in iler Merliein unfl in den Naturwissrnsrhaften zw
en, sondern widmeten auch den lehren der Philosophen ein
t Interesse und standen an der Spitze aller hberalen BestTebungen,
imen eines Avicen^a, Avempaoe, Avehkoes und Moses Mai-
Dis glänzen fast noch nu^hr in der Geschichte der Philosophie als
'in derjenigen der Heilknnd(\
Die Grundlage ihrer philosophischen Ideen fiildete das Aristotelische
System, welches sie nach verschje*lenen Richtungen weiter entwickelten.
R. SpflsnaKL: Gee»chichte der Botanik^ Leipzig 1^17, I, S. 2Q5.
Himi Khalfa: Lexicon bibliographicmn et encyclopaedifum ed. G, Flögel,
1845, 1\ IV, p. 114.
> Hadji Khalfa a. a, O. T. I, p. 227, No. 80t. — Lbcleec a. a* 0. I, 564.
* CAtfuu ft. %. O T U p. 89.
Ika- mediemiäehB üni&rrkki im MiUeiaÜBr^
Wabruiid A\iCEawNA dadurch zu einem telei>logischen Th«tömii8 gefühn
wunit\ iWr ibn den christlichen Schulen di*ü Mitteljilt»:'rs empfahl, ^v
hingt e AvKRKOKS zu einem pantheistiHchen Natunilif^mus, welcher w»*ifen
seines rationiüistisihen TlmraktfTs uieht nur von der ehri)stlichen Kirch««
\i'i'd}immt wurde, sondern ihm auch unter seinen eig-ent-n Landslruuu
imd Ghiubens^enussen viele <jegiier schuf* Wenn AvKHH<>f:s erkÜrtf,
dass (he Kehj^noM nur der schwachen Geister we^rn da nci» diwsj der
MenHch auch uhne die Offenharunp, nur allein durch die Vernunft m
Krkenntniss d(*s Wesens der Din^e gehingen krmne, wenn er an di>»
St*dlc einer durch den allmäehtisfen Willen der *ri*ttheit ent-Htandeai'u
8ehr»pttiii^' eine nach Art der Ari8ti>teüschen Entelechien durch ilie 2eik
aus den» Zustande «ler Möglichkeit in denjenifren der Wirklichkeit ^Im-
geführte Natur setzte^ und die Ewigkeit der Welt and der Materie, di«»
Verst^hmelzung der Gottheit mit der Natur und die Wesenseinheit dw
Vernunft prisligte, sii rüttelte er an den i^indamenlen der mun«)-
thei^tisclien Keügiunssjrsteme und musste einen erhitterteu Kampf üpr*
Mhen erwarten.*
Auch sein Sehider und Anhäo^^er. der judist^h»' .Arzt Mm^ses Maj-
MtiKiDBB erfuhr diesi, als er den Versuch machte, die V»in?chrifleii di»s
Talmuds mit den Forderungen der Vernunft zu versöhnen. Kr eroffii^^j
tler freiereo Bkbiung im Judenthom die Bahn. „Vi»n Spinoza hk m
Mjssuslbbubx hat^"" wie MrNik sagt, ,/ias Judeothum keinen fm-
mmigm Denker berrorgebnichl, der nicht von Madauxidbs die erste
Weihe t^rhalten hat,*-
In den Ländern de^ Idams bemühte während der ersten Jahr-
lutmleil» mam BM^hens eine religiöse Toleranz gegen Andersgläubige,
via ääe bii dfO Chri^^ten zu jener Zeil nirgends gefunkt n wurde. Die
MAieifEn Leluiavlahen und medicinisolien Schulen der Araber hatten
unU'r iksvn Ldhivni ebenso wie unter ihren Scbülem Tide Juden,
und Bektmiusr aiidarar BdigianciL An ihren Htispitälem
ttkhl Um mobammedaaifieh«, aondeni auch christliche und
jidisciM Ante angaileUl, und Kranke, w«>klie nicfal dem herrschenden
IltMboi mgtbotleOt Attdüi dort eWnfidk frfiiiidlielia Aufnahme und
v^lihrotkjide Pflege,
9thm der Pmph«! HiihamnwJ adbsl httHe wmaum Anliäiigem einen
rng!itNig"lT ab Anl inpAdilfn.* An den Höfen der EbaUfen und
imbamB^dan^llfii Fftrslt-n fpielteo Juden und Christen ^ namentUch
^isfifatmmft, als Ldbante e«ie berromjrcnde RüUe; aneh zu anderen
t' hen Strilnogrn im Sanitätswe^irn worden sie tiefonlert^
> f. lüjuttft-Frw^vALL a. a. O. IL S. iti. — Aaru^i
a. a. O. p. n.
MuHein, Wissenschaft w. medidn, Unterricht hei den Arabern. 153
Die Ausübung der ärztlichen Praxis stand Anfangs Jedem frei;
aber allmälig wurde es üblich, dass sich die Arzte von den Lehrern,
welche sie in der Heilkunst unterrichtet hatten, Zeugnisse geben liessen,
weil sie dadurch dem Publikum grösseres Vertrauen einflössten.i Ein
ärztlicher MissgriflF, welcher den Tod eines Patienten zur Folge hatte,
war die Veranlassung, dass i. J. 931 alle Arzte von Bagdad und der
Umg^end aufgefordert wurden, sich prüfen zu lassen; nur den Ärzten
des Hofes und solchen Ärzten, deren Tüchtigkeit allgemein anerkannt
war, wurde das Examen erlassen. Alle übrigen Heilkünstler, deren
Zahl 860 betrug, mussten ihre Beföhigung zum ärztlichen Beruf durch
eine Prüfung nachweisen, welche der Leibarzt des Khalifen, Sin an
Ben Tsabet Ben Cobba abnahm.* Meyee' glaubt, dass dies nur
eine vorübergehende, gegen die Charlatane gerichtete Polizeimassregel
war, weil kein Nachfolger dieses Examinators genannt wurde; aber
ähnliche Einrichtungen bestanden zu Bagdad auch im 12. Jahrhundert
and in Gordova schon früher.* Es scheint mir darnach nicht zweifelhaft,
«iass die Anfange des ärztlichen Prüfungswesens bei den Arabern zu
suchen sind.
Wie bei allen orientalischen Völkern, so war es auch bei den
Arabern eine häufige Erscheinung, dass der Sohn den Beruf des Vaters
wählt«. Einzelne Familien, wie die Bachtischua, deren Stammtafel
Meyer zusammengestellt hat,* die Coera,® die Honein und die Zohb,^
welcher Ayenzoae angehörte, lieferten durch mehrere Generationen
Ärzte, von denen Einzelne sehr berühmt wurden. Auch auf anderen
<jebieten der Gelehrsamkeit war dies der Fall, wie das von Wüsten-
feld® angeführte Beispiel der Familie Sobki beweist.
Manche Arzte beschränkten ihre Thätigkeit auf einen speciellen Theil
der Medicin, z. B. die Augenheilkunde.
Schon in früher Zeit wurde di(^ Einrichtung getroffen, dass Protu-
medici ernannt wurden,® welche, wenn dies nicht blos ein Titel war,
die Aufsicht über die übrigen Arzte führtcm. Wahrscheinlich war dieses
Amt stets mit demjenigen des Leibarztes verbunden. Vielleicht hing
»*s mit der Einführung der ärztlichen Prüfungen zusammen?
* Leclerc a. a. 0. I, 574.
» Casibi a. a. O. T. I, p. 438. — Leclerc a. a. 0. 1, 576.
» Meter a. a. 0. III, 122. * Leclerc a. a. 0. I, 577.
» Meteb a. a. 0. in, 109.
• WCstbkfeld: Gesch. d. arab. Ärzte, S. 34 u. ff.
' WüBTEHFKLD a. a. 0. S. 88 u. ff.
• Wüstenfeld: Akademien der Araber, S. 119.
* Lbclebc a. a. 0. I, 576.
tmg BETtMAM^ der Y^iftmer im bolES anbiidiefli W<>rkes
mm jgyp^Jwffa'P Hofe wh hmbttrti irir
Dtf Anit »i H«rbcnlai (Apollitker?)
L^otli^ t*niMiii
Die Ante mIumh in mtUtm Leboi eine bemtmglg SteUmif i
■Miiiiii erlioftra ak Framde nd Billigeber der Herr^ehfr
Die Leibinle aa deai Hofe der Kiuüfen eThiehen ri*i€
b, ab aaden OeMule ufid Beamtet
««den fliil Ehren mid Anoäetooniai tVrhaiift. Nkht Weni^n*
imgifn die Wärde de» ¥enr»^ veiehe, ireao aocli nkbl immft
Bange eines Miniislef», ao doch jedenbUi denvnugen imsenfT gehi^i
ratlif nnd Hofriüm entipfaeh.*
Andaeeadls aehonl ea dm iiallielien Blande aoeh nicht an j«
Elementen gefehlt m haben^ weldie daa Pnblikain mit den tmlaut
Mitliln der Charklanerie anloofeen. Rsaibs tfihlu* sich tUdurch
fOSnlaart, eine Sbfarift zn nnflumm ^üher die in der luedioii]
Konsl Torkünimt^nden Umstinde^ welche die Hf^rxt^ de^r meitsten
sdun TOD dt^ achtbarsten Ärzten ablenken and den niedri^ten
iraiden.'«'
Die anibi«ichen Äizte lie^sen der idealen Aufgabe ihre»
zwar rolle Anerbennang in Theil werden; al^er sie biildtj^t«m
nüchternen Aaf&ssnng des Letiens and nahmen «Üe Dinge, wie
wirklich sind, nichl^ wie sie sein sollten. In dem .^Führer der
ak dessen Autor der Jude Isak ii<RAKLi gilt, wc^rrlen ihnen b^beni«^
regeln ertheilt, welche davun Zeiigni^^ geben. Durt btMsst vs: ^W
wichtigste Aufgabe des Arztes ist es, Erkriinkungen m TcrhStem** —
«Die mei.sten Krankheiten heilen ohne Bei^^fand de« Arztes durrh i\w
Hilfe der Natur," — „Vermagst Du den Kranken durch diütetisdi»*
Mittel EU heilen, so unterlass die Verordnung von Arzneien !** — „V«r*
hu» Dich bei I>eineii Kuren niemal?» auf Wundermittel, da tfie meistens«
auf Thorheit und Aberglauben beruhen!" — ,,Stelle den Kranken div
Ctenesung in Aussicht, selbst wenn Du auch nicht davon überzeugt
birt; denn Du wirst dadurch jedenfallH i\m Heilbe^treben der Natur
nntendötzen/* — „Wenn der Arzt von weither gekummen ist utul
eine fremde Sprache redet, dann halt ihn die Menge für klug, dringt
sich zu ihm und sacht seinen Rath/* — ^Sprich niemals ungiinstii»
ftber andere Arzte; denn ein Jeder hat seine glückliehen und.
* V. HA>ii«Rii-Puii«>srrALL a. a, O. Bd. L Einleit., i>, L.
LfiCLCitc a. a» 0. I, 57S,
M* SrEinficKirEtDKR in Yntcnows ArcJuv, Bd. 8<t, SL 574 u. fll
in. WitBmsekafl u, m^iein. Ünterridü im dm Arabern, 155
lücklich«*ii Stunden. I^iss Deine Tliaten Dich rühraen, nicht Deine
igf^*** ^ — .^Bc^snebe den Kranken^ wenn es ihm am schlimmsten er-
hu In dieser Zeit verstandijafe Dich iiüt ihm üIkt Dciiim Li»bn;
wenn der Kranke gesund ist, erinnert er ^ieh an niclitK*' —
Je IVin Honorar so hoch als möghch; denn wiis Du nnentgeJtlich
st wird fTir ereringr geachtet!" — „L<i.ss Dir die Heünntr von Fürsten
Rei<*hen angelegen sein: denn sie werden nach ihrer (leiiesuiig
en Dich freigebig sein. Dich stetes preii^ün und liehen, während di»"
Beinen Lente Dich, wenn sie geheilt sind, no(^h hassen, wenn sie an
Honorar denken/** — Sollte man nicht glauben, dieses Ikreh wiin»
geschrieben? —
Die arahischeCnItur sink fast ebenso rasch von ihrer Hidie herab,
^ie dieselbe i-rkhinimen Iiatte, Die berühmten Schulen der Nest<»-
waren schon im 9» Jahrhundert im Verfall,^ Die hüheren Lehr-
ilton der Araber erhielten sich bis itis 14, Jahrhundert und gingen
allmälig oder rasch zu ilrunde, und mit ilinen sehwand auch
mssienschaftliche Lehen» welches der Menschheit su reiche Früchte
m hatte,
ie Religionskriegts welche im Osten unter dem Namen der Kieuz-
von einigen heutA»gierigen Abenteurern unteraommen wurden und
7m Wfsten zur Ero))ening Spaniens und der süditalienischen Inseln
darch christliche Fürsten führten, riefen den Glauhensfanatismus der
Mfthsunine4hiner hervor' und lähmten ihr geistiges Streben. Die mon-
^lischen und türkischen Stämme, die im 13, Jahrhundert sengend und
modletid in die Länder der arisch-semitiscljen Welt einbraclien» zer-
trit^ö di^ alt^en Kulturstätten Asiens und verwandelten blühende Städte
In wüste Kinöden, Der Orient hat sich von diesem Schlage niemals
wieder erholt, und die türkische Herrschatlt wurde gleichbedeutend mit
im geistigen Tode. Aber im christlichen Abendlaude bildeten die
Aitelänfer »ier arabischen Ctiltur die Keime zu ileni geLstigen Auf-
j«hwunge. welcher an den Schulen von Salerno und Montpellier seine
em«^n Triumphe feierte.
^ SojLve im Giom. Veneto di öcienze mediche 1861, ser. IL t, Ijh, p, 393
t.i — 0. KjküFMJLyN im Ma^^u f. d, Wisseiisch. ti Judenttvami?, Berlin 1884,
SL«T a.£
* As&EHAxi &. a, 0. lU, pars IL p> 940.
• V. KitEi4eit: Ihn Chaldim uod seine CnUargescJitchte, Wieu 1879, 8. 89.
Die Medicin der Gernianen und der Unterricht
in den Klosterschulen.
Die germanischen Stämme, welche nach der sogenannten Vi
wandemng in der westlichen HfUfte det* römischen Reiches zur
Schaft gelangten ^ standen im 5. Jahrhundert laug-st nicht mehr.
der niiHirigren ( 'nlturstnfe^ \rie sie Tacitcs geschildert hat. ' Im Kli
wie im Frieden waren sie mit den Rumern in Verkehr getreten
hatten deren Cherlegenheit in den Wissenschaften und Künü^Um km
gt^lemt. Als Soldaten im römischen Heere, als freudig begru&ste Bunde
genoswsen oder als UeiÄ^eln für die heschwurenen Vertrage erhielt4*n
Gelegenheit, die ^' ortheile der römischen Cultiir zu geniessen und Ke
nisse zu erwerben, welche sie ihren Landsleuten, die in der Hein
zurückgeblieben waren, übermittelten. Die Keime edler Ge^ittun^
giTmanischen Volke, welchen TAcrrus ein bewundern ngsvuUes U
spendet^ wurden durch die höhere Bildung veredelt und weiter m^
wickelt.
Als die Stämme der Giithen und andere deutsche Vrdker aus ifc
bisherigen Wtdinsitzen durch die von Osten andrängenden Horden
Hunnen vertrieben wurden, und von Thateudurst und Sucht nach Reich
thum und Macht erfüllt, ihre weltgeschichtlichen A\\anderungen anträtea
besassen sit* bereits eine Sei) riftsp räche, ein geonlnetes Stcuit.swesen, ein
gesicherte RechtspHege und mancherlei Kenntnisse auf den ver
tlenen Gebieten des geistigen Lebens. In der Heilkunde huldigten ^i]
der Anschauung, dass die Krankheiten durch überirdi.sche (tewaltti
erzeugt würden, welche durch Gebete und Zauberei versöhnt werdtt
müssen; ab<^r sie versäumten darüber nicht die Anwendung heilkräftigoi
Kräuter und anden^r Mittel^ deren günstige Wirkung die Erlahrauj
gelehrt hatte. Den Frauen, welche im germanischen Lebeu eine seh
hervuniigende Ridle spielten, lag es hauptsachlich oh, dit* Wunden
xerbinden und die Kranken zu jitlegetj, ^
Krst allmiUig, vorzugsweise unter tiem Eintltiss der romischen Cultü
i-ntwiekelte sieb bei ibnen ein eigentliclier ärztlicher Stand. Die grie
i-hischen und n'»niischen Arzte, welche durch den Beruf eines Militari^
arztes zu ihnen geführt wurden oder, wie ORiBAsnrs und A
in vier Verbannung mler als <iesandb' bei ihnen weilt«n, dürften da
nicht nijnig beigetjugen haben.
' Tacitps; GermimiM
Ät, Pari», oct. 1873.
» Tacitc» m », ä c. 7. 8. IS.
i\ :». U» u. ji. Kh — GtiBos a. a. G,
d. —
Wenn GüizoT* sagt, dass es schwer sei, die preistigen Zustande
ien ?or der Völkenvanderang zu schildern, hj gut dies be*
?on der Heilkunde. Aus der vergleicbenden Liiitruistik er^ie)»t
lenlingi», dass sie bestimmte Bezeiclinun^«'u ftir i^mzelne Krank-
hatWn.' und die Analogie mit der Cxilturentwickelung anderer
T, namentlicb mit den Zustanden der Ui^rmanen des Nordens, lässt
1« Foljß^t.Tungcn zu.
Auob di>i1 übten weise Frauen die Hcilkiinst aus. und man wr-
sogar eine weibliehe inittheit dvr Heilkunde', Eir mit Namen, ^
ilde, ,,die Äi'ztin", und di** Narni'n vtrsümden die Kunst des
idens* Wenn Sigrdrifa (Bnuihilde) zu Sigurdr sagt, dass rr
einer gewissen Art kennen raiisse. damit das Kind von der
T gelöst werde* und wenn es vum Jarlssrdin Konr heisst, dass t»r
n kanntje und den Frauen bei iler Entbindung Beistand leistete,
ndelt es sich ott'enbar um mystische Zauberfurnieln, denen ein
rban^r Einfluss auf den Geburtsakt zugeschrieben wurde. Auch
GringTihrolf halt' bei der Entbindunt]^, indt^m er die Hände auf-
Fürsten und Helden galten, wie schon Odhin, der Arzt, als be-
erfahren in der Heilkunde;* es deutet dies vielleicht darauf
dass die letztere vorzugsweise von den angesehenen Männern,
iflohe an der »Spitze eines grossen Haushalts ständig, ausgeübt wurde,
ich wie es nuch zur Zeit Cat<>'s in Rom geschalL
Unter den Krankheiten, weiche genannt werden, treten Geistes-
^»ruDgen, Impotenz, aber am häutigsten die chronischen Geschwüre
des Tnterschenkels aui^ welche manchmal sogar tödtlich endeten. Mit
der Behandlung der Wunden wusste man recht gut Bescheid, Selbst
die Amputation wurde ausgeführt und der Verlust des Unterschenkels
(lafcli künstliche Nachbildungen aus Holz ersetzt. Die Stelzfüsse waren,
«k tsi scheint, nicht selten. Auch von der Bauchnaht ist die Bede,
stammen diese Mittheilungen aus der Zeit der Wikinger-Fahrten,
Icher schon Berührungen zwischen den Germanen des Nordens
den entwickelteren Culturzuständen weiter vorgeschrittener Völker
den.
Goixot: Cqutb d'hietoire moderne. Ilistoire de la dvilisation eii France,
1829. 1, p. 204.
* Ai». Pictkt: Die alten Krankbeits-Namen boi den Tndogermanen in der
jZeitochr, t vergl. SprAchforschimgT Bd, V, S. 321 u, C
- » K. WEOfHOLD: Altnordbches Lebeu, Berlin 1S56, S, 385 u, ff,
I • Sigardbarkotda L, 17, Fafnisirml 12. Sigrdrifumal Ö, liigsmal 40. For-
9^T UX 276. Saxo Gramm. I, 1, 25, 33. 129. Prof. R. Heinzel in Wien
I die Güte, mich auf diese Stellen aufinerkdam 2U macben.
Snohhi Stüelüson und HRAF^r SwBiKRi^BKNHOiN erlangten dt
ihre gJik'klichetj Kuren oinen groBHen Kut I)«r letzter© soll sogsr i
Blasensteirisehniit mit ^lückliclieTn KrMg ttusjßrcfuhrt haben.
mythische Vit t>lf*j^alf als der Patron der nordJHchenrhimrjjren,* Ingig
dm Ku8senkuni^ Injüfvar Tochter, griindete t'in kkdnei? Hospital
Übergab dem lindhändigen Fraurnvolk die Pllego der Kninken. ^
Im t(l Julirhuiidi'i't gab os in, Xvnwegon lieiinU f»ine M^ngf
Ärzten, weleh«* ihre Klingt gewürhsmäs^ig auNÜbten; niftti hatte m^
schien Hausärzte, welehe reiehlich belohnt wnnbnh* E.* exiÄtirte aa
bereite eint* M<Hlidniilt>jVxe; die Hohr des ärztünhen Honorars richU
sich uaeh der Sohwere devS Leidens^ wtdehes ireheilt worden war,
hl d('ni Sütlurniannlä!i<lisebrn (irsrlzhoeh, di^ nllerding?« er«t 18
vrruHVnlUrht wurdt% aber auf aJfi'ii Kinriehtungen beruht, wnrd*»
«tininil, diuiii nur Derjenige als Xni antTkannt wt*rde. der ^lim
wunde, einen Knuehenbriich, t^inr iniirn* Verbdzinig, eine Veistüma
lung oder eine tiefe Stiehwunile geheilt hat. Die Oohurtshilfe 1>|
natürlieli den FmiKTi uherliwsen. Übrigens wird lierdts den Ka
Schnitts gedaeht
Es wäre unrichtig, wenn man dkm* Nachrichten, von denen
zelne ufleiibur das (Gepräge späterer Cultiir-Eintlüsse zeigen, Auf
(Jennanen iler ersten Jahrhunderte «bortragen wollte, wie e» '
muncben mediciuiscdum lliötorikeni gt^^cheln^n ist Sie biTechtigvn
htichstt^ns xit i'inigen Vermiithungen über den Zast^ind der Heilkuuili'
bei ihnt'n.
Die Kentitniiise und Einrichtungen, welche die Uulhen, die Lou
barden, die Franken, die Burgunder und andere gt^rniaiiise.ht» Htäu
aus ihrer Heimatb in die \on ihnen unterwort'em'n Lander uiitbrachtfV
verschmolzen raseli mit Dem. was die vorangegangenen t "ulturpertodt^u
dort zurückgelassen lialterK Die llereitwilligkeit, mit welcher »ich dif
8ieger der höheren liildung der besiegten Vrdker fügten, zeigt, das« m
fähig und reif genug waren, dieselbe in sich aufzunehmen. Ihre Heil-
kunde ging auf in dem metücinischen LehrgelNliKbs welches die tiriechrn
und Utinier aufgerichtet hatten. Nur in der Volksniedicin eriüelU'ii
sich einzelne Erinnerungen an die Arzneikunde der Kelten, Bask
Uacleu, diithen und Angelsachsen.
In den (ieset^en der Westgothen. weiche zuni Theil schon
^ Sagooliihliothek do9 akundhiav. Alterthunui, bemuag. Tau P. E» Mfi4Ji,
übi^rä. vüfi K. LAi iiMAMN. Berlin Iil6, 8. 176. — L. Fjlyb: lUfii 8w«<iiibJ{irDä«Di
Uv og virknomhtHb Kris^tiitniii I8TS.
« Giiimm: M>'tliolog. 994. HOL ' Wrinholii a. a. O. 8. 39a
* Va|tnlitdUiigii MgA* C 18. 29.
Die Medicin der Oermanen t«. der Unterrichi in den Klosterschulen, 159
5. Jahrhundert niedergeschrieben wurden, aber ohne Zweifel viele rö-
mische Elemente enthalten, wurde vorgeschrieben,^ wie viel der Arzt
för Terschiedene Euren, z. B. die Staaroperation, verlangen durfte.
Bevor er dieselbe unternahm, schloss er mit dem Kranken oder dessen
Verwandten einen Vertrag, in welchem das ärztliche Honorar festgestellt
winde; doch durfte er darauf nur Anspruch machen, wenn die Behand-
lung einen gfinstigen Erfolg hatte. Im anderen Falle musste er für
den unglücklichen Ausgang derselben haften. Wurde dadurch der Tod
<>ine8 Leibeigenen herbeigef&hrt, so wurde er genöthigt, den Schaden
zn ersetzen; handelte es sich um Nachtheile, die der Gesundheit oder
dem Leben eines Preigeborenen zugefügt worden waren, so wurde er
m einer entsprechenden Geldstrafe verurtheilt oder den Verwandten
des Geschädigten oder Verstorbenen zur Bestrafung t\berliefert.
Bezeichnend für die sociale Stellung, welche der Arzt einnahm, ist
«, dass er weibliche Personen aus dem Stande der Freien nur in
<jegenwart ihrer Verwandten oder Dienstboten sehen und ])ehandeln
durfte, damit er derartige Gelegenheiten nicht zu unsittlichen Scherzen
misgbrauchte. Das westgothische Recht enthielt auch Bestimmungen
über die geistige Zurechnungsföhigkeit, über die Strafen der Verbrechen
gegen die Person, z. B. deren Verletzung und Verstümmelung, über
Kindesabtreibung und über geschlechtliche Vergehen.
Von besonderem Interesse ist die darin enthaltene Verordnung,
da8S der Arzt für den Unterricht in der Heilkunde, den er seinem
Schüler ertheilte, ein Lehrgeld von 12 Solidi zu fordern b(Techtigt
war; es geht daraus hervor, dass die Ärzte wie im Alti.rthum durch
die persönliche Unterweisung eines Meisters in ihrer Kunst ausgebildet
wurden.
Die Gesetzbücher der Alemannen, Salier, Ripuarier, Burgunder,
Bajuvaren, Friesen, Sachsen und Longobarden enthalten ebenfalls Be-
stimmungen über die Strafen von Verletzungen und anderer Verbrechen
gegen die Person.*
Die Erziehung der Ärzte geschah handwerksmässig. Der Lehrling
der Heilkunde begab sich zu einem angesehenen Arzt, der ihn mit
medicinischen Kenntnissen ausrüstete. Manchem Ärzte suchten ihr Wissen
in den grossen Städten des byzantinischen Reiches und Italiens zu ver-
ToUstandigen. Auch befanden sich unter ihnen viele Griechen, Römer
und Juden, welche namentlich als Ärzte an den fürstlichen Höfen ge-
sucht waren.
» Leg. Wiaigoth, lib. XI, tit. 1, de mediois et aegrotis. — F. Dahk: West-
gotkiflche Studien, Wfinbuig 1874, 8. 3. 61. 145. 220. 229. 230 u. m.
* Corpus juris German. autiq. ed. F. Walter, Berol. 1824, T. I.
160 Der medidnische Unterrioht im MütekUter,
Der griechische Arzt Petbus ^ wirkte als Leibarzt des Westgothen-
Königs Theodorich IL Am Hofe der Merovinger bekleideten dieses
Amt MarhiEtf von Poitiers^ welcher sich aus dem niedrigsten Stande
zu dieser Stellung emporgeschwungen hatte, und Beoval, der seine
arztliche Bildung in Eonstantinopel erworben hatte. ^ Der letztere
führte eine Hoden-Exstirpation mit glücklichem Erfolge aus. Die Thätig-
keit eines Leibarztes am fränkischen Hofe war zwar sehr eintraglich,
wie die Beichthümer Mabileif's beweisen, aber auch mit manchen
Gefahren verbunden. Als Austrigildis, die Gemahlin des Königs Gun-
tram, von einer Seuche, welche L J. 580 wüthete, dahingerafft wurde,
verlangte sie, dass ihre beiden Ärzte Nioolaüs und Donaths sofort
nach ihrem Tode hingerichtet würden, zur Strafe dafür, dass sie sie
nicht gerettet hatten, und der fromme Guntram hielt sich für ver-
pflichtet, den letzten Wunsch seiner sterbenden Gattin zu erfüllen.'
Karl der Grosse soll arabische Ärzte zu Bath gezogen haben, wie
BüLAEus und Fbeind behaupten;* doch sind diese Angaben, wenn sie
auch bei dem Ansehen, welches damals die arabische Medicin genoss,
gerade nicht unwahrscheinlich klingen, doch nicht durch den Nachweis
der Quellen verbürgt Sicher ist, dass einer seiner Leibärzte den deut-
schen Namen Wintabus führte.*
Ln Leben Ludwigs des Frommen wird erzählt, dass die Gemahlin
Karls, Hildegard, ihm zwei Söhne gebar, von denen der eine sofort
nach der Geburt gestorben sei, der andere, nämlich Ludwig, aus dem
Schooss der Mutter gehoben und künstlich ernährt worden sei* Ob
es sich dabei um den Kaiserschnitt oder um eine durch Manualhilfe
vollzogene Geburt handelt, ist ungewiss. Der grosse Karl hatte übrigens
über die Medicin eine geringe Meinung,^ welche sich vielleicht aas
4em verwahrlosten Zustande der Heilkunde seiner Zeit erklärt
Es war daher begreiflich, dass er bemüht war, diese Wissenschaft
zu heben und die Kenntniss derselben zu verbreiten. Aus diesem
Grunde erliess er in dem Capitulare von Diedenhofen (Thionville)
V. J. 806 die Vorschrift, dass die Knaben in der Heilkunst unterrichtet
werden sollten.® Meyer® glaubt, dass sie nur eine Anleitung zur
* Fbedegar: Chron., c. 27, Übers, v. 0. Abel.
» Gregor v. Tours V, 14. VII, 25. X, 15. • Grbgok v. Tours V, 35.
* Fbeind: Hist med., p. 148.
'^ Eioil's Leben des Abtes Sturm von Fulda, c. 25, Ed. Migne, T. 105, p. 448.
* J. L. W. Schmidt im Progr. des hess. Gymnas. zu Gieasen 1872, 8. 5.
' Einhard: Vita CaroU Magni, c 22, ed. Pertz, Hannov. 1868.
^ Pertz: Mon. Gterm. III, p. 181, De medicinali arte ut inftuites hanc
^liscere mittantur. * Meyeb a. a. 0. III, 418.
Die Medicm der Oemumen u. der Unterrief U in den Kloster schulen. 161
Krankenpflege erhalten hätten, da man „Kinder doch nicht Medicin
ätadieren lasse**. Aber das Studium dieser Wissenschaft wurde im
Alterthum schon in früher Jugendzeit begonnen. Ausserdem befanden
sich in den Schulen jener Zeit Knaben von 14 und 15 Jahren.^
Übrigens wird sich dieser Unterricht zunächst wohl nur auf die
L^üre medicinischer Schriften des Alterthums, welche erklärt- wurden,
beschränkt haben, wie dies auch in vielen Klosterschulen der Fall war.
Später lernten die Schüler die Arzneipflanzen kennen, wozu ihnen in
den kaiserlichen Gärten Gelegenheit geboten wurde. ^
Aach die Ausübung der praktischen Heilkunde scheint man in
den Bereich des Unterrichts gezogen zu haben. Die Worte in Alcuin's
Gedicht an Karl den Grossen^ lassen sich kaum anders deuten, als
dass in der Nähe des Hofes ein Krankenhaus bestand, in welchem die
Ärzte ihre verschiedenen Verrichtungen vornahmen. „Der Eine öflEnete
den Kranken die Ader, ein Anderer mischte Kräuter im Topf, Jener
kochte einen Brei, während Dieser ein Getränk bereitete."
Als Vorbild für diese Einrichtungen dienten wahrscheinlich die
Krankenanstalten, welche mit vielen Klöstern verbunden waren. Die
Mönche beschäftigten sich eifrig mit der Krankenpflege. „Lernet die
Eigenschaften der Kräuter und die Mischungen der Arzneien kennen,"
rief ihnen Cassiodob zu;* „aber setzt alle euere Hoffnung auf den
Herrn, der Leben ohne Ende gewährt Wenn euch die Sprache der
Griechen nicht unbekannt ist, so habt ihr das Kräuterbuch des Dio-
scoRiDBS, welcher die Pflanzen des Feldes mit überraschender Richtig-
keit beschrieben und abgebildet hat Nachher lest den Hippokrates
und Galen in lateinischer Übersetzung, d. h. die Therapeutik des letz-
teren, welche er an den Philosophen Glaucon gerichtet hat, und das
Werk eines ungenannten Verfassers, welches, wie die Untersuchung
ergiebt, aus verschiedenen Autoren zusammengetragen ist Femer
' J. Ch. f. Baehs: De literarum studiis a Carolo Magno revocatis ac schola
FaUtiiia instaarata, Heidelberg 1S56, S. 26, Anm. 33.
» Capit de villi«. Vergl. Meyeb a. a. 0. lU, S. 397 u. ff.
' Alcütmii carmina, Ed. E. Dümmler in Mon. Germ. Poet, lat, 1. 1, p. 245,
Xo. XXVI, V. 12—16.
Aocurrunt medici moz Hippocratica aecta;
Hie venas fundit herbas hie miscet in olla,
Itie coquit jnUtes, alter sed poctäa praefert;
Et tarnen^ o medici, cunciis impendite gratis
üt manihus vestris adsit benedictio Christi.
Wenn man anstatt seeta in der ersten Zeile tecta liest, so erscheint die Beziehung
aof ein Hospital noch deatUcher.
* Cj&MiODOB: Inst divin. lect. I, c. 31.
PcflcnAjni, Unterfieht 11
162 Der medicinische Unterricht im Mittelalter.
studiert die Medicin des Aureliüs Caeliüs, das Buch des Hippokbates
über die Kräuter und Heilmethoden und verschiedene andere Schriften
über die Heilkunst, welche ich in meiner Bibliothek aufgestellt und
euch hinterlassen habe."
Unter den Benediktinern machten sich Einige, wie der Abt Ber-
THARius zu Monte-Casino im 9. Jahrhundert, als Ärzte vortheilhaft be-
kannt.^ Vielleicht schon in früher Zeit wurden dort fromme Pilger
und Kranke aufgenommen und gepflegt, wie es der Gründer des Ordens,
der hl. Benedikt, im Orient gesehen und dann vorgeschrieben hatte.
Doch stammen die sicheren Nachrichten darüber, dass in Monte-
Casino Anstalten dieser Art bestanden, erst aus dem 11. und 12. Jahr-
hundert. 2
Die Sitte, die hilfsbedürftigen Kranken in die Kirchen und Klöster
zu bringen, damit die Priester sie mit Weihwasser besprengen und für
ihre Genesung Gebete verrichten, erlangte in den ersten Jahrhunderten
des Mittelalters allgemeine Verbreitung. Daraus entwickelte sich all-
mälig die Einrichtung, dass dort Anstalten errichtet wurden, in denen
Gebrechliche und Leidende Unterkunft fanden. Die Priester und Mönche,
welche darüber die Aufsicht führten und den Kranken als Bathgeber
zur Seite standen, wandten ausser den psychischen Mitteln auch heil-
same Kräuter und andere Medicamente an, deren günstige Wirkung
sie aus der medicinischen Literatur oder durch die eigene Erfahrung
kennen gelernt hatten.
Auf diese Weise wurden die medicinischen Kenntnisse zu einem
Bestandtheil der Bildung des Geistlichen, deren er bei der Ausübung
seines Berufs bedurfte. Die Schulen des Mittelalters, welche die Er-
ziehung des Klerus als ihre wichtigste Aufgabe betrachteten, suchten
diesem Bedürfniss zu genügen, wenn sie die Heilkunde, allerdings nur
in rein theoretischer Weise, in ihren Lehrplan aufnahmen. So geschah
es in vielen Klosterschulen, namentlich Galliens, z. B. in Rheims,
Chartres, Fleury, Dijon, Bec in der Normandie und St. Denis. ^
Auch der Reichthum an medicinischen Handschriften, welchen
manche dieser Klöster besassen,* sowie die literarische Thätigkeit ihrer
^ S. DE Renzi: Storia docum. della scuola medica di Salerno, 2. ed., Napoli
1857, p. 64 u. ff.
» TosTi: Storia della badia di Monte Casino, Napoli 1842, I, 229. 341 u. ff.
II, p. 193. 209. 289. — Reg. S. Bened. 36 in Muratori Script, rer. Ital.
* J. B. L. Cuomel: Essai historique snr la mddecine en France, Paris 1762.
* Die Bibliothek zu T^ernsee enthielt z. B. i. J. 1500 281 medicinische
Schriften, wie Lahmebt (Volksmedicin u. medicin. Aberglaube in Ba3rem, Würz-
barg 1868, S. 4) erzählt.
Die Medizin der Germanen u. der Unterricht in den Klosterschulen, 163
Mönche beweisen, dass die Heilkunde dort fleissig getrieben und stu-
diert wurde.
Wenn die Schüler durch den Unterricht und die Lektüre medi-
cinischer Schriften einige allgemeine Kenntnisse der Heilkunst erworben
hatten, so werden sie vielleicht darin auch praktisch ausgebildet worden
sein, indem sie unter der Aufsicht ihres Lehrers Arzneipflanzen auf-
suchten und sammelten, die Bereitung der Medicamente übten und bei
der Behandlung der Kranken Dienste leisteten. Es ist sehr wahrschein-
lich, dass sich diese Verhältnisse ungefähr so gestalteten, wie es der
Verfasser des Tagebuchs^ des Walafridus Strabo mit fruchtbarer Phan-
tasie und anerkennenswerther Sachkenntniss schildert. —
Manche Lehrer der Heilkunde erlangten grossen Ruf. So erzählt
RiCHEB, dass er i. J. 991 zu Herebrand nach Chartres reistfe, um von
ihm die Erklärung der Aphorismen des Hippokrates zu hören. Der-
selbe unterrichtete ihn auch in der Semiotik der Krankheiten und
lehrte, worin Hippokrates, Galen und Soranus übereinstimmen. Er
besass bedeutende Kenntnisse in der Arzneimittellehre, Botanik imd
Chirurgie, wie Richer rühmend hervorhebt. ^ Aus der Schule von
Chartres gingen viele berühmte Ärzte hervor, unter ihnen Johann, der
Leibarzt Heinrich I. von Prankreich. An der bischöflichen Schule zu
Rheims wirkte Gerbert d'Aurillac, als Pabst unter dem Namen
Sylvester IL bekannt, eine Zeitlang als Lehrer der Medicin.
Am Hofe Karls des Grossen bestand ausser der Palastschule, in
welcher die Kinder des Kaisers und einiger vornehmen Würdenträger
unterrichtet wurden, eine Art von Akademie, zu deren Mitgliedern die
bedeutendsten Gelehrten jener Zeit gehörten. Sie führten als solche
besondere Namen; Alcüin hiess Flaccus, Karl selbst wurde König David
genannt Sie beschäftigten sich mit Theologie, Philosophie, Arithmetik,
Geometrie, Astronomie, Latein, Griechisch, Geschichte, Geographie und
Poesie.' Diese Akademie scheint aber nur kurze Zeit bestanden zu
haben, während die Hofschule noch in der Mitte des 9. Jahrhunderte
blühte.
Im J. 789 beschloss die Synode von Aachen, dass in jedem Kloster
und Domstift eine Schule sei, in welcher die Knaben die Psalmen, die
' Dasselbe wurde in dem Jahresbericht der Erziehungsanstalt des Benedik-
tinerstifts zu Maria-Einsiedeln (1856/57) veröfTentlicht, ist aber eine Dichtung de^
P. Habtim Mabtt und keineswegs echt, wie einzelne Autoren seltsamer Weise
geglaubt haben.
« Pebtz: Monum. Germ., T. V (script. 111), p. 643.
• W. F. C. Scumeidler: Die Hofschule und die Hof - Akademie Karls de»
GrooBeu, Breslau 1872.
11*
IM
Der medioinMm ünkmidU im Mitteiaämr,
Schriftzeichen y den Gesang, das Bereohnen der kircblicbea Feiertags
and die lateinische «rrammatiic erlernen könnt^en«^ Das Muster dieser
UnterrichUanst alten war die Schule m Tours, wo Auoxn^ seit 7äß ak
Jkl)t de« St Martin-Klosters lebte.
Berühmte Schulen dieser Art entstanden in Fulda, Hersfeld, Cone^,
Heichenau, 8L Gallen, Mainz, Worm.s, Speyer, Köln, Müniuter, Bremen,
Hildeshrini, Mtijjfdeburg, Taderbornj Halberstadt^, in Salzburg, Freiöing,
Passau, Tegemsee, Benediktbeuem, Regensburg, in Mailand^ I^arma and
anderen Orten Italien;^ ebenso bei vit:^len Klosteni Frankreichs, in Eng-
land, /.. B, in Cantt-»rbury, und in Irland,
Dem Unterricht^ der dort ertheilt wurde, lag die Iiehrm»^thcHie der
Mimischen Schulen zu Grunde. Die Unterrichtsgegenstande wurden m
einer bestimmten Reihenfidge vorgetragen und umtji.sst<.*n in der eineü
Abtheilung die drei sprachliehen Fficher, nämlich die Grammatik, Khe^
Umk und Dialektik, und in der anderen die Arithmetik, GeomHm,
Astronimiie und Musik. Man nannte dies das Trivium und da- ifiui-
driviunu
Die BegriJle dkser liehrgegenstunde deckten sich aber keine^swogs
mit ilen heutigen; denn in der Rhetorik wurden z. B, nicht blus die
(Irundrc^geln der Beredsamkeit gelehrt, simdern auch der lateinischi
lieschälftsstvl geübt, da die Geistlichen zu jener Zeit die Urkunden aiw-;
stellten und die Kanzleigescbäfte besorgten. Daran schlosä sich bäul
das Studium des Hecht« und der Gesetze. Unter Geometrie verstani
man haupt.<jicblich die Geographie und die Erdbeschreibung, de
Kenntniss Hrabanus Mauiiuh namentlich tür die Arzte als nuthwendi
eruchtete, weil sie dadurch die eigenthumlichen klimatischen Verhall
uisse der vei^ichiedenen Gegenden und die Ijage der einzelnen 0
kennen lernen und sieh darnach bei den Verhaltungsmassregeln,
siB bei den Krankheiten ertheiien. richten konnten.^ Auch wurde d
der Unterricht in den Naturwissenschaften verbunden, indem die wich
tigsten der damals l>ekannlen Thatsaohen aus den drei Naturreiche]
aus der Anthropologie und Meteorologie gelehrt- wurden.
Später wurden überall, wo eine Pfarrei war, Schulen gegründ*
Der Unterricht beschränkte sich hier auf die elementaren Gegenst/mdeJ
Seit ilem Aufblühen der Städte, seit dem Ende des 12. Jahrhunderts^
entstanden auch Stadtschulen, welche das gleiche I/ehniel anhebt
* F. A, Si'ßcuT: Geschichte de« Unt^rriohteweaens i« Deutechlajid von de
Alterten ZeiU?u bb zur Mitte Ue» 13. Jahrhunderts, Btattgart 1885» S. 2U
* 8i*KCirr a. a, 0. 8. 145. — St. Fklljueu: Compendiam der Naturwb^oiH
Schule «t Fulda im 10. Jahrhandert, B^rhn 1879, S. 2*i,
Die Mtdicin der Oermanm u. der VnimricM in den Klmiertirkuiefi. 165
vie die Kloster« und Stiftssohülen, und sie in ihren Ijeistungeii manch-
Buü sogar nhertrafen.
Dies war die Vorbildung, welche die unterriGhteten Ärzte Jener
Z#it, Ikföoiiders diejenigen, die dem geistlichen Stundu angehörten, be-
sastezL Dass es neben ihnen viele Heilkimstler gab, welchen dieselbe
mangelte, anterliegt keinem Zweifel. Die grosse Menge der Empiriker
blieb ohne Kenntniss der medicinischen Literatur und lernte die Heil-
tmnde wie ein Handwerk.
Die wissensehaftliche Bearbeitung der Medicin lag gänzlich dar-
nieder, Der Schatz des Wissens; , den man aus dem Alterthum über-
nommen hatte, wurde nicht vermehrt^ ja nicht einmal unversehrt er-
halten. Ea gab in jener Periode keine Naturforschung und kaum eine
Naturbcobachtung.
Die medicinische und natnrwisKenschaftliche Literatur b<:?stand
tiaupUachlich in Auszügen und Bearbeitungen der älteren Werke. Nur
Iten fanden darin selbst^tändige Mron und Erfahrungen einen Platz.
erher gehören das Receptbuch des Mailiiuder Erzbischofs Beneiuctis
Cm&Pijs, das encjklopädische Werk des Hbabanus Maukus, Erzbischots
V '* nz und primus praerrjffor (Tm'nianiae, was K. ScHMrr* als »,erster
i-' uf» Deutschlands" übersetzt, ferner die Schilderung der PÖauzen
de» WAi^FRnius S^rRABo, Abtes von Heichenau, die medicinisnhen
Schriften des A!)tes BEirrHAUirs, des rätbselhafteu Macee Flcikidus
Booh über die Heilkräfte der Bilanzen, der Lapidarius des Bischofs
Marhod von Rennes, der Bestiarius des Engländers Phiupp von Thaün,
(he Naturlebre seines Landsmanns Alex^ikbek Neck am, die Physica
der hl. Ulldegarü, Äbtissin des Klosters auf dem Rtipert-sherge bei
Bingen, „eine unverkennbar aus der A'olksüberlieferung geschöpfte
HeiliTt ' re" wie Mevkr^ dieses Buch treffend kennzeichnet, und
«l*T V-, ^uchene Physiologus,
Das geistige Leben des christliehen Europas jener Zeit glich einer
durib ihre einförmige Flachheit und öde Unfruchtbarkeit ermüdenden
Landschaft; nur selten iiegegnet dem Wanderer ein Punkt, welcher
v»iöen Blick zu tesseln vermag.
Da tauchten im Süden unseres W'elttheils Bilder voll berauschen-
der Farbenpracht auf, welche den Muth neu belebten und die Brust
it Hoffbang erfüllten. Das glänzende Gestirn der arabischen Cultm*
ergoÄs sein IJcht über diese Länder und sandte einige Strahlen nach
eo übrigen Theilen des christlichen Abendlandes, welche hier erwür-
lenil nnd zugleich aufklurend wirkten.
. ( McYEs iLa. 0. HL 51t^,
Die Schule von Salerno.
In Salerno in UTiter-Itcilieii* wo sich der Einflciss der Arak^r
Folge der Nachlinrschafl; Siciüeus, welches lange Zeit ihrer Herr<«Ii«
unterworfen war, zunächst geltend m:tchte,^ entstand eine niedicini«^
Schule, welche schon im 10. Jahrhundert einen weitverhreiteten
erlangte.
Der Ursprung derselben ist unbekannt, obwohl schon viel dar
phrieben worden ist^ Wenn raan von den leeren VermnthiJTigt'aj
absieht, welche einzelne Autoren darüber ausgesprochen haben, so tretenj
folgende Meinuni^en in den Yordergnind. Einige ghiubten, da*«s fiel
'schon im 7* Jahrhundert exiKtirt und an die Traditionen de^ Griechen-
thums angeknüpft, habe, welches sich in Sprache und Sitte in jenen
(legenden läufrer erhielt, als im fibrigen Italien;^ Andere, wie K. Seiri.:yGKi. i
FurnNoTTi^ und eine Zeitlang auch S, mi Kkxzi, leiteten die Grtln- 1
düng derselbi^n von den Benediktinern ab, welclie in Monte-rnsino, in I
La Cava und Salemo selbst Klöster errichtet hatten, wahrend H aller
XL A. dieselbe den ArabiTU zuschrieben, Mi:yrn* stelUe die H)'[Mithe>e
auf, dass in Salerno Anfangs eine Gilde, eine Zunft der Ärzte bestanden I
habe, welche ihre Lt^hre geheim hielt, und dass die letzter«* erst darch '
' roKsTAXTix AFRKwxr^ verütfeutlicht und dadurch der (rrund zur Ent-
winkelnng einer ärztlichen Unterrichtsanst^It in unserem Sinne geh^
wurden sei, rberzeugende Beweise für die^e Ansichten minien von]
Niemandem geliefert.
Die historischen Thatsachen der Salernitanischen Medicin reichen}
bis in die Mitte des f*. Jahrhunderts zurück: in Docnmenten %\ J, 848 1
und 855 werden die dortigen Ärzt^* ,h^si:F und JosrA erwähnte* Vm\
«1. .1. 900 lebte Raoentphiu, ein Longobarde, wie der Name zeigt, ab 1
Leibarzt des Fürsten Waimar von Salerno, und ♦^in halbes Jahrhundert
-später der Arzt Pi^rrRrs, welcher lieim Fürsten Gisulf in h<dier Gunst
stand und zum Bischof von Salerno erhoben wurde. In dieser Zeit
treten noch andere Arzte auf, welche dem geistlichen Stande angfi»}
horten; aber neben ihnen ütiten in Salerno auch jüdische Arzt« diij
Heilknnst aus, wie durch historische Zeugnisse festgt^tellt ist*
' Vergb A. F. \\ 8cBAt*K: Poesie und Kunst der Aimber in Sp«iiie
Siaitkn, Berlin 1865, II, 1—252.
• G, MoKof>ci: Studij e»ui diiiletti greci deUa terra d'0&*aiito, NiipoH 1S7Ö.
• Storiik bdla medicina, Livorao 1855, H, p, 24" u. ff.
• ■. m. a ni, 45t.
^ S. tks Rtstiz Sroria docum. dt\\M «cuoU ni^Ni di Sftknia, NtpoÜ 1S57, ^
p, 151 u. i: « a PC Rehii: CoUecHo Saiernitiinii fll, 3tb, MapoH 1852,
Die Ante Salemos hatten im 10. Jahrbandert lien?its etnen sol
li<?ti Buf, dass sie ab Leibärzte an fremde Udfe grezogt^n wnrdeu. Einer
bi?n !?pielte am Hofe Lndwi^ des Einfältigen von FrankTeich ein«
liniige Eolle. Er war Ant der Gemahlin desweU»en, als si
en ihm und seinem CoUegen DEH<»LDrs^ welcher aU ärztliche]
^nd des Königs «liente und später Bischof von Amiens wurde, ein
^haftlicher Wettkampf entspaDii, der wie Rjcukb* enahlt, die
hatte, dass sie sich aus Xeid gegenseitig zu vergiften traehtelen
Vornehme Kranke suchten bereite zu dieser Zeit Salerno auf, u
üfe der duriigeu Ärzte in Anspruch zu nehmen. Aus diese)
ide hegab sich Bischof Adalberon von Verdan i. J. U84 dorthr
aber keine Heilung von seinem T^eiden.* Auch der Abt I>e.^ideriu
ler nachher unter dem Namen Victor llj. den pahstlichen Throi
hoffte hier seine durch Nachtwachen und Fasten zerstörti^ G
eit wieder zu erlangen.'* Herzog Guiscard schickte seinen Solin
und hierher, damit seine im Kriege erhaltene Wunde geheilt
; wegen derselben Ursache verweilte auch Wilhelm der Eroberetj
[pätere Konig von England, in Salerno. Der Kuhm seiner Arati
mehr und mehr, und aus fernen Landern kamen die Patienten,
Isich von den dortigen Ärzten behandeln zu lassen* Der Minne -
Haütmanx vos dkk Ace verlegte den Schauplatz seines ruh-
n tJedichts ,,Der arme Heinrich** hierher, liess seinen Ritter aber
durch die Kunst der Ärzte, sondern durch ein Wunder voi
nesen.
das Alter und die Entstehung der Schule v<«n Salerno wussti
schon im 11. Jahrhundert nichts Bestimmtes anzugeben. Der al«
und Arzt bekannte Alphanüs, welcher später zum Erzbischof
Salerno erhoben wurde, schreibt, dass die Heilkunst dort schon
uaimarus IL, *L i. im 9. Jahrhundert geblüht habe.*
Der normannische Hist^jriker ÜHDKiticrs Vitalis, welcher um
'• 1140 lebte, erzählt^ dass^ als »ler berühmte HorjoLB^rs, genannt
CJoEuKA, nach Salerno kam, dort schon seit alter Zeit bedeutende
iiusche Schulen liestanden.* Auch bei einer anderen «lelegenheit
Igt dieser Autor ihren längst bestehenden Ruhm.
!' Rintsn: HisL» lib. 11, c, 59 in Pertz: Monum. Germa»!,, T. V i!*tMipt. lll), ]
iclS
1
I
[' Ge&t epiöcop. Vlrdun. in Peutz: Mo»k Genn., T, VI iscript. IVu p. 4T]
Pukv. Chrou., üb. l in 1*ehtz: Mon, Germ., T. X isciipf. Villi, p, 3(51. j
M t»c Rexzi: Stori« doc. della Brnoin, \k 150.
j* iie Rbkzi: Collect Salem. I, p. 95, Aniri.
I* Ord. Vit. Hist. eccles. Hl in Hi«t. Normaun. t^eriptor, od. Duchenne, Pariil
]p. "17* i,w/'> maxi mag meäicorum Hrhohe ah antiqittt fempotf hnbtntitr*\
168 Der medidnischs Unterricht im Mittelalter.
In der alten Chronik von Salerno, welche Ant. Mazza benutzte
und dann Salv. de Renzi wieder auffand,* wird berichtet, dass die
dortige medicinische Schule von vier. Ärzten gestiftet wurde, nämlich
vom jüdischen Babbi Elinüs, dem Griechen Pontüs, dem Sarazenen
ADAiiA und einem Salemitaner, welche in ihrer Muttersprache vortragen.
Unter den ersten Lehrern werden GuoLiEiiMus de Bononia, Michael
SCOTTÜS, GUGLIELMÜS DE RaVEGNA, EnRIOüS DE PaDUA, TeTULUS
Geaecüs, Salomonus Ebbaecs und Abdana Saracenüs genannt Es
ist selbstverständlich, dass diese Nachrichten nicht als historische That-
sachen angesehen werden dürfen; aber es liegt darin wahrscheinlich
ein Körnchen Wahrheit verborgen. Man wollte damit andeuten, dass
zu der Gründung der Schule von Salerno Angehörige verschiedener
Nationen, Juden, Araber, Griechen und Lateiner, beigetragen haben,
dass der Unterricht dort Anfangs in verschiedenen Sprachen ertheilt
wurde, und dass die medicinische Lehre der Salemitaner sich aus den
wissenschaftlichen Errungenschaften der Griechen und Römer, der
Hebräer und Araber entwickelte. Einzelne der angeführten Namen
sind durch eine unrichtige Schreibweise verdorben; es ist leicht zu er-
kennen, dass Elinus aus Elias entstanden ist, und Pontus in Gario-
pontus, Adala in Abdallah verbessert werden muss.
Aus diesen Mittheilungen ergiebt sich, dass wir nicht wissen, wann
und wie die Schule von Salerno entstanden ist Die Anfange derselben
waren entweder so bescheiden, dass sie unbemerkt blieben, oder sie
reichen so weit in der Zeit zurück, dass sich Niemand daran erinnern
konnte.
Die wechselvollen politischen Schicksale dieser Stadt, welche ihre
Bewohner mit den Römern und Griechen, den Longobarden, Arabern
und Normannen in Berührung brachten, mussten tiefe Spuren in ihrer
Cultur-Entwickeluüg hinterlassen und einen mächtigen Einfluss ausüben
auf alle Gebiete des geistigen Lebens.
In Italien erhielt sich die im Alterthum gebräuchliche Einrichtung,
dass Privat- Gelehrte Schüler annahmen und in ihren Wissenschaften
unterrichteten, auch im Mittelalter. ^ Wenn die Arzte diesem Beispiel
folgten, so wird es ihnen in Salerno, dessen mildes Klima und herrliche
^ Mazza: Urbis Salem, bist, et antiq., Nap. 1681, abgedruckt in Graevius
et Pubmakn: Thesaur. antiq. et bist. Italiae, Lugd. Bat. 1723, t. IX, pars 4. —
DE Renzi: Storia docum., p. XXVI u. ff. u. Collect Salem. I, p. 106 u. flf
' W. Giesebrecht: De litterarum stadiis apud Italos primis medii aevi
saeculis, Berol. 1845, p. 15. — S. de Renzi (Storia docom., p. 161) ftihrt eine
grosse Anzahl von Ärzten an, welche zur Zeit der Longobarden in Italien prak-
tizirten; einer derselben wird zugleich als magiatmr 9eolae bezeichnet
Die Sdiule von Salemo, 169
Lage an der Meer^bucht, unweit von schattigen Wäldern und heil-
kraftigen Mineralquellen, die Kranken aus weiter Ferne anzogen, niemals
an Schülern gefehlt haben.
Es ist nicht bekannt, wann die Ärzte, welche in Salemo die Heil-
kanst lehrten^ sich zu einer gemeinsamen Wirksamkeit verbanden und
eine Organisation gaben. Anfangs durfte, wie es scheint, als Lehrer
der Heilkunde jeder Arzt auftreten ohne Unterschied der Nationalität
nnd des religiösen Glaubens. Später befanden sich unter den dortigen
Lehrern der Medicin viele Geistliche, von denen einige sogar zu hohen
kirchlichen Würden gelangten. Aber niemals gewannen dieselben das
aossdiliessliche Recht, zu lehren, wie dies an den meisten übrigen
Hodischulen des Mittelalters üblich wurde. Zu allen Zeiten bewahrte
die Anstalt ihren weltlichen Charakter, welcher in ihrer Entstehung
begründet war.
In Salerno wurden sogar die Frauen zur Lehrthätigkeit zugelassen,
und einige derselben traten auch als medicinische Schriftstellerinnen
auf. Am meisten bekannt unter den weiblichen Ärzten wurde Trotula,
die Verfasserin eines oft citirten Werkes über die Krankheiten der
Frauen und die Behandlung derselben vor, während und nach der
Geburt. In ihren Schriften erörterte sie alle Theile der Pathologie,
selbst die für das weibliche Gefühl recht peinlichen Erkrankungen der
mannlichen Geschlechtstheile. Ihre Berufsgenossin Abella schrieb de
natura aeminis kumani. Einer späteren Zeit gehören die durch Schön-
heit und Klugheit gleich ausgezeichnete Costanza Calenda, die Tochter
des Priors (Vorstandes) der medicinischen Schule, femer Mercuriade
und Rebecca Güarka an.
In der ersten Zeit des Bestehens der Schule von Salerno waren
die Lehrer derselben wahrscheinlich nur auf die Honorare angewiesen,
welche ihre Schüler für den Unterricht zahlten. Später empfingen sie
bestimmte Besoldungen, welche verschieden waren und bei Einzelnen
12 Unzen Goldes jährlich betrugen; im Verlauf der Zeiten wurden
dieselben natürlich erhöht. Auch erhielten die Lehrer Steuerfreiheit
und zuweilen auch die Nutzniessung von Häusern und Grundstücken. ^
Den medicinischen Unterricht ertheilten gleichzeitig mehrere Lehrer,
wie aus dem von S. de Renzi mitgetheilten Verzeichniss derselben
hervorgeht.*
Zu ihren Vorträgen hatten Angehörige aller Nationen Zutritt;
' DB Renzi: Collect. Salern. I, 366 u. fF. — Storia docum. a. a. O. Anhang,
Docam. No. 296 u. ff.
* DB Bbnzi: Collect. Salernit. I, 517. III, 326 u. ff. Es enthält 340 Namen
auf einen Zeitraiim von ungefähr 1000 Jahren.
170
Der medioinuchc XJnkrridd im Milidalier.
Bnsowenig bildete dabei das Geschlecht oder die Religion ein
derniss. Sehr zahlrf*ich waren unter ihnen im 11, Jahrhundert
israelitisrhen Studenten vertreten^ wie Mazz\ berichtet. Wenn
der jüdische Reisende Bkx.iamix von Tudela erzahlt, An^% er, ilg
i. J. II (jO Sulerno besuchte^ unter seinen vielen dort lebenden Glaui
genossen keinen einzip;en Ai*2t ^etroffi'n habe, sa widerspiieht di
Angabe allen übrigen Nachrichten» nach welchen es iheib ausdriickli
bezeugt wird» dass einzelne Salernitanisehe iirzte der mosaischen
gion angehörten, theils aus deren Namen vermutbet werden darf.*
Aus weiter Ferne kamen die Studierenden, um sich in Salej
der Heilkunde zu widmen, sogar aus Deutschland und Frankreich.
Student aus Köln, welcher im 12. Jahrhundert in Salernr» medicinüi
Vorlesungeil besucht hatte, von dort alier wegeu Krankheit in
Heimath zurückkehren miisste, klagt in einem Gedicht über die
verhtKsteu betrügerischen Leute vrm Salerno.^ Kin anderer Schul
Aegiuii^s (Gilles) vok Cuubkil, welcher spätH" als Canonicum
Leibarzt de.s Königs Philipp August von Frankreich in Paris lel
verkündete dürt in Wort und Schrift drn Hubni der mediemisol
Schule von Siilerno.
Über die Art des Unterrichts iu den einzelnen DiscipUneu
Folgendes bekannt:
Die Anatomie wurde an Schweinen gelehrt. In der von eii
ungenannten Verfasser herrührenden Ihmamimiio anaimmm^ weh
otVenbar einen t'ollegieu -Vortrag bildete, wenlen Vürsehriften ertliälf
wie dabei vertahren werden sullte, iJarnaeh wurde diis Thier du
die Durchschneidung der Halsgcfas.se getödtet, dann an den Hin
beinen aufgehängt und, nachdem es ausgeblutet hatte, zum Unterricht
benutzt. Derselbe beschränkte sieh, wie es scheint, hauptsächlich auf
die Eröffnung der grossen Körperhuhlen und die Demonstration «kr
darin gelagerten Organe, Daran sclüossen sich einigt* Bemerkungen
über die Gestalt und den vermeintlichen Zweck derselben beim Menschen-
Man stutzte sich (hibel auf die Schriften des Galen, Rufuh und Tn»)-
PHiLi:s PjniTospATHAKirs, ohne dass man deren wissenschaftliche Höhe
zu erreichen vermochte. Auch Cupini's Anatomie des Schweines bestüml
im Wesentlichen nur in einer Aufzählung der wichtigsten Körpertheile,
* Vcrgl. M. STr:iN!*t'itNKn»EB in VjncnowH AiThiv^ Bd. 38 (18H7), 8.74 ii,
* LitfidibuM eternufii nniluff negat csmc SakruHtn;
Jtttic pro morbis tottis circum/htit orbis.
XfC debef t^pertu, fafeoj\ docintm Saferni
{htnmris exnttti miJii .mt gen/t ilh fhlo^n,
Jao. Gkimm: GeiUchte des MittdAtters tu Kleine Schriften, ßc^rliii l$$6p S. 64
I
Die Schule von Salemo. 171
Doch finden sich darin einige Hinweise auf eingehendere Untersuchungen
und pathologisch-anatomische Beobachtungen. So wird z. B. gesagt,
dass man die Lunge durch Einführen eines Böhrchens von der Trachea
aas aufblasen kann. * Femer ist von Stoffablagerungen im Herzbeutel
und im Pleura-Sack die Bede.
Mehr Pflege widmete man der praktischen Heilkunde. Schon
L J. 820 wurde in Salerno vom Erzpriester Adelmus ein öffentliches
Hospital gegründet, welches mit dem Benediktiner-Kloster in Verbindung
irebracht wurde. Später entstanden noch mehrere andere Krankenhäuser
und Wohlthätigkeitsanstalten, die mit reichem Besitz ausgestattet und
von Krankenpfleger-Orden geleitet wurden. ^ Ob dort auch klinischer
Unterricht ertheilt wurde, ist ungewiss.
Archimatthaecs giebt in einer Schrift^ ausführliche Rathschläge,
wie sich der Arzt beim Besuch des Kranken verhalten soll. Er möge
<ich unt^r den Schutz Gottes stellen, heisst es dort, und den Beistand
des Engels, der den Tobias begleitete, anflehen. Auf dem Wege zu
«iem Kranken soll er den Boten, der ihn geholt hat, über die Verhält-
nisse und Leidenszustände des Patienten ausfragen; denn wenn er später
nach der Untersuchung des Pulses und des Urins keine bestimmte
Diagnose zu stellen vermag, so wird er den Patienten wenigstens durch
die genaue Kenntniss der Krankheitssj mptome in Erstaunen setzen
und dadurch sein Vertrauen gewinnen. Auch hält es der Verfasser
tür zweckmässig, dass der Kranke dem Priester beichtet, bevor der
Arzt zu ihm kommt; denn „wenn davon erst später die Eede ist, so
glauben die Kranken, dass sie verloren sind". „Wenn der Arzt die
Wohnung des Patienten betritt, soll er weder hochmüthig noch gierig
aussehen, sondern mit bescheidener Miene grüssen, sich hierauf in der
Xähe des Kranken niederlassen, ein Cietränk, das man ihm anbietet,
zu sich nehmen, und mit einigen Worten die Schönheit der Gegend,
die Lage des Hauses und die Freigebigkeit der Famile loben, falls dies
passend erscheint" Hierauf wird die Art besprochen, wie der Puls
und der Urin untersucht wird. „W^enn der Arzt den Kranken verlässt,
soll er ihm versprechen, dass er wieder gesund werden wird, der Um-
^bung desselben aber erklären, dass er schwer krank sei; denn wenn
der Patient dann geheilt wird, so wird der Ruhm des Arztes um so
grösser sein, wenn jener aber stirbt, so werden die Leute sagen, dass
der Arzt dies vorausgesehen hat." Der Verfasser erörtert dann die
^ DE Rekzi: Collect. Salern. II, 389.
• DE Rekzi: Storia dociim. della sonola med. di Salerno, p. 563, Doc. 320.
^ Anon3rmi Salernitani de adventu medici ad aegrotnm ed. A. G. E. Th.
Heiuchel, Vratist 185Ö. — i>e Kenzi: Collect. Salernit. II, 74-81. V, 333— 349.
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des Afatan ntitaku^ thm Pblai «Uilleii.
Die Sehildinnr der KisdAeÜoi iii aatogetwo and wird du
wneht iribeliitladig^ Betdiaektang HiMiicfciMlkliL Namentlich
dfiBi die Büetoibfluy der IslenrillBH-Ffebcr, der GeielesiitäF
PkieiiMme^ PhthU^ der I^epni^ dea IiOf i» CiMliMii martuum^ mi
10 des GeeeUedrtefheOen rorkoniiiieBdeii 6«eliwibr&, rniter denen
hkifl SB crienneii istr htifaigdtobeii zu werden. Die SalemiT
Ant^ erfesnoten die Wk profaaetiKlie Be^l^utung innncber
BfWfkmm tmhi pxi; m erklirtai rie^ deai Sehwindsaehtige, hei wehhin
DneMUt aoAreleB, haU darsof iteriieiL
im der BdMidliiiir legten äe gnNKO Wertb auf eine vernün%
fwgilie Letewweht mid ebe panende Ernährung. Wenn z, B. der
Teidaebt einer teghoifiidep Loogen-Fbiiiiriai vorlag, 90 linsen sie den
KfSBlea (Ol und kiiftig niliren. Pnemnoniker moseten sich in ^\m
erwlmiten Luft, z. B. im Wint^pr im geheizten ZiniuMr,
,^ Zar AbkUblting der Luft de« Krankenzimmeni emplkbl
ArwhMüVft du» Emrichtiiog, daas beständig W&^sertropfen zur Erde
folkn und dart rerdunslen.^ Bei Müzaasebwennngen veronlnete um
Die Chirurgie nahm einen niedrigeren ätandptmkt ein^ ab« zu dff
Zeiten der Griechen und Römer. Es lag dies tbeils an der Vemiwh-
ttlrignng der Anatomie^ tbeüs daran, daas die Cbirargie weniger Ton
dpn ir^bildeten Ärzlen ab von den Empirikern auegeübt wurde« U-
* jm Rrvsu: Collect Sikkni, II, 215 u. C
* im Rom: Collect. Sdernit II, 74t ffiat etiam arttfieialiter pluviaU§
Dl« ä^ekule von Salemo.
173
■ »QDders seitdem sehr viele Mitglieder des arzüichen Standes dem Klerus
■ loigehürteiL
^■l In der äU^?ri*ii Zeit beschränkten sich die chirurg-ischen Kenntnisbe
Kupt^chlich auf die Behandlung der W uoden, die Heilung derKnochen-
totfibe und dus Einrichten der Verrenkungen. Erst am Ende des
12* Jalirhanderts unternahm es ein ArzU die < tnindsatze der Chirurgie,
««Idie sich durch Tradition erhalten hatten, schriftstellerisch zu ver-
ticteo. Dieses Werk, welches den RuGaiKuo zum Verfasser hat, aber
hilüag oacb seinem späteren Bearbeiter Rolaxik» genannt vdrd, zeigt,
imt die Chirurgen der Salernitaiiischen Schule nicht m sehr in den
.ScIuiAeD der Alten als in der eigenen Erfahrung Belehrung suchten.
äi(0 «rarden dadurch freilich vor jenem kritiklosen Nachbeten fremder
Beolmebtiingen^ wie es in der arabischen Literatur häutig zu Tage tritt,
lüwahrt, aber zugleich der wichtigen Anregung und Orrektur, welche
4i« KenutnLäs der Geschichte einer Wissenschaft bietet, bis zu einem
geiris^ii Oracle beraubt. Immerhin ist es bemerkenswerth, dass unter
den Mitteln der Blutstillung neben lien Stypticis auch der blutigen
Saht und der Unterbindung gedacht wird.^ Zur Beseitigung des
Kropfes wnrde der innere Gebratich des Meerschwammes empfohlen
oder die Operation mittelst des HasirseiLs ausgeführt; um Recidiven zu
vrrhüten, wurde dabei die ganze Kapsel exstirpirt^ Auch wurde von
im Ma*Äage des Kropfes Geltrauch gemacht.^
^^ Von den übrigen Operationen werden die IVepanation, tlie Ent-
femiuig der Xasenpolypen, die Resektion des LInterkii*fers,^ die Ope-
mlkm der Hernien, welche nach der Anleitung des Patlits .Leoixeta
föigeoammen wurde, und *ler .Steinschnitt nach der Vorschrift des
Cmsm genannt. Die Staaroperatiou geschah durch Hkleroticonyxis.
JV : t von geschwürigen Zerstimingen im rraumen und am männ-
L : de tue Heile, welche sich auf carcmomatöse und syphilitische
! rknmkuugen beziehen, sowie von bösartigen Gr^schwülst^^n des Mast-
unü$ und der Gebarmutter,
Der Verfall der chirurgischen Operationskunst und die häutige
\aweodutig des GlQbeisens beweisen den Einliuss der arabischen Heil-
kmitt. Noch schlimmer als mit der Chirurgie stand es mit der Ge-
liiirtsliilfe, obwnhl di«^ses Fach von wissi'n^^chaftlich trebildeten Frauen
' Chirutii. lUmmn in i*£, Kknzk ( ViUcct. Sah.'ni. IL 43tJ*
' A. WotrtKÄ: Die chirurg. lV4i«udhmg des Kropfeä, Berlin 1887, S, 10 u. ff-
' tPl HitK£i: CoUlh.^L Srtlrrait. II, 445, 513. 628. 650 (lib. II, iler Gloasen der
Mdstcr). Die rät kiBcl haften vier Meister erinnern au die vier Doktoren der
jcu Bologna, von denen SAvraüv (Geschichte des römiBcbeii
bearbeitet wurde. Die TmormuL deutet nur nn einer einzigen
ihres Werkes muf die Wendung hin.^ Im Allgemeinen bestand fij
GebttrtBh&fe luiitptiiehlich in der Anwenduni? innerer Medicami'nte
{»jdiiselm lütleL
EEat tele sbgttehbMBene Orguni^tiun irhielt die Schule ron|
lenm ent Avoh fie fon d«r Staatsbehörde angeordnete Einfüti
fm RifampB«. Kdoif Boger (Bnggienj) erlie^^s bereite i, J. 1140|
Ottili: „Wer von an aa die ärztliche Praxis ausüben will, ml]
VUbimk t^rstellen und ihrrm Urtheil nfl
Bty dies zu nnterla^äen, wird mit (ielang
OBDfeaa beelraft Diese Anordnung hati
ITvieilkaaeB «asetai BeidM» tor den ans der Unwi^seii
' ftiedrieh U. ImstMiigie dieses (resets
■ SaktM L J. 1240 eine iiusfuhrlicfi
Jim warn Ae nefioaiwfe Wi^ieniHdiaft nur te
ai io MÜAen Vc
f,wenn man vurbe
hat, 0D beetiminen wir, ib» XirDiand xum SturlJQm
werdap befor er «ich aieht dm Jahn» liindii
wA Logik heiehiftigt hat Kaeb diet^en dm Jihrpn mag er, wenii
wül^ zam Studium der Medicin (iberi^ehiu« Auf da«« li^tztere muü
fanf Jahre veniyn<ipn und mh innt^rljalb dkaser Zeit auch Könnt]
in der Chirurgie em erben, weil dieiselbe etai^n Theil drr Hfilku
bildet. Nachher, aUi^r iii^hl früher, darf ihm die Eriaubniss, zu
tlziren, erthcilt vverdf-n, vunuisjri^setzt, da«» er «ch dem van der
hCirde Torgeschrieln»nen Kxam*»n unterzieht, nnd daWi ein Zeug
darüber, dass ur die gesetzmuMai^je Zeit studiert bat, vorlegt'**
..Die Lehrer s<dlon wahrvnd des Quinquenniums in ihren Vi
le>iungen fachte Schriflen do^ Uii-i-ukhatkis und (Jalen fibtr i\\r TlMork
und die Praxis der Heilkunde erklfiren." ■
,,Aber auch wenn die vur^'eschnebenen fünf Jahre dei> metijcinucben
Studium^s vorüber sind, wird der Arzt nicht sofort selbststandig pr
ziren, sondern nuch ein Tolles Jahr hindtirch in der Ausübung i^04
Berufs einen iilti^ren erfahrenen Pmkliker zu Rath ziehen.*'
* »m Rkkui Collect 8tücru. 1, 1^^ a. Ü\ v. Siknold «. a. O. I, 81T.
* Quuquu atnodv me$hri tttlu^rif, officialibus nosfritf ft judietbu*
Stnttif eorum dittcuiiendui* judiciu ; quod Jfi aita terfieritaie prenuntpseritf eo
r^mUrimgaiur bonts auü omttibuj* pMicnti», Ifoc euttu profipeetum e»t, »
^ft^a mtstro auhjerti prrirlitentur tx impfriiia mcdicorum. lliaL ili^jh
IL iinp^rat ml, HiiillHrtj-Brelialk'H, pHria 1»54. T, IV, pa» I, |i. 149, lit j
* Hwt diplrmi. Fn.l. It ii. u. (i |». 236, lib. 3, tit. 46.
er die Beweggründe, welche die Einführung ärztlicher Prüfungen
iefen, wird gesiigt: ,*Wir tunleni den Nutzen des Einzelnen,
lern wir für das allgemeine Wohl sorgen. Wenn wir deranach den
^hweren Verlast und unersetzliaren Schaden ins Auge fassen, welcher
der Unwissenheit der Ärzte entspringen kann, befehlen wir, dass
ift Niemand den Titel eines Arztes in Anspruch nehme und
iktiziren oder zu kuriren wage, wenn er nicht zuerst zu Salem o
fier öffentlichen Versammlung durch da^s Urtheil der Lehrer für
befunden worden ist, sich dimn durch schriftliche Zeugnisse seiner
er sowohl ak unserer Beamten über seine Ehrenhaftigkeit und
wissenschaftliche Reife vor uns oder unserem Stellvertreter aus-
en und in Folge dessen die staatliche Erlaubniss zur Ausübung
fPraiis erhalten hat Wer dieses Gesetz übertritt und ohne Liceir/.
iziren wagt, wird mit Einziehung seines Vermögens und Ge-
his zu einem Jahre bestraft/*^
In Bezug auf die Ausbildung der Chirurgen wurde bestimmt, „das>
1 Chirurg zur Priuis zugelassen werde, bevor er nicht durch schrift-
Zeugnisse der Lehrer der medicinischen Facultiit den Nachweis
bfert hat, dass er wenigstens ein Jahr hindurch den Tlieil der Heil-
de studiert hat, welcher die Befähigung zur Ausübung der Chirurgie
liht, dass er in den Collegien namentlich die Anatomie des mensch-
l^n Körpers tleissig gelernt hat und auch darin vollkommen erfijhren
ist, wie die Operationen mit Erfolg ausgeführt werden, und auf welche
Weise nachher die Heilung zu Stande kommt." ^
Ih Wenn der Arzt die Prüfungen bestanden und die staatliche Er-
PBbiss zur Praxis erhalten hatte, so wnrde ihm ein Diplom ausgestellt,
fulches lautete: ^.Notum faeimiis ßdeiitali restrae, quod fideiis nosier
y. S\ ad curiam nostram a^^cedens, exarninaius , int^ntus fidelis et de
fmn fidelium ortua et suf^mens ad ariern mediaifiae exef'cendamf exHtit
fir noitram ciifiam approhains. Prrjpter qtiod de ipsius prtnierUia ei le-
W^^M^ficmfisi, recepto ab eo in curia nostra ßdeHtafis amramento ei de
^MPItt fidelUet ex^rcenda juxta cofistietudimm juramenio, dedimus m
ticentiam arwcendi artem medimnae in parHbus ipsisr u( amodo artmn
ipwww ad honorem et fidelitnttm nostram et Hatiiteni eonim *iui indi^ent,
fiddüer iln debeat erert^ere, Quocirca fidelifaU vestrae praeeipiendo man-
ikfuuif, fpmtenm nulhw »it, qtti pmedwtum N. N, fillelem nostmm st^per
arte fjMfl medicinae in terri^ ipfth. ut dirfnm e.^t, exeremda impediai de
«Atero vei perturhei.*'^
^P • «. m. O. p. 150, tit 45, * u. a. U. p. 23ti.
H 'ftraiDR ViRKm: EpiBt., Hb. VI, e. 24, BaaiL 1740. - Hist. cHjiK Friil. II.
^tO. p, 150, Anm, 2.
176 Der medicinisohe UtUerricJU im Mittelalter.
In dem Eide, welchen der junge Arzt bei dieser Gelegenheit
schwören musste, wurde er verpflichtet, „Armen unentgeltlich seinen
Kath zu ertheilen und Apotheker, welche die Medicamente nicht den
' Vorschriften entsprechend zubereiten, der Behörde anzuzeigen.**
Ferner wurde gesetzlich angeordnet, wieviel er für einen Kranken-
besuch verlangen durfte. Darnach betrug die Ma}umaltaxe für eine
Kranken Visite am Tage innerhalb der Stadt einen halben Gold-Tarenus,^
ausserhalb des Ortes drei oder höchstens vier Tareni nebst Ersatz der
Reisekosten.
Dem Arzt wurde es untersagt, mit den Apothekern Geschäftsver-
bindungen einzugehen oder selbst eine Apotheke zu halten. Die Apo-
theker wurden angewiesen, die Arzneien nach der Vorschrift der Ärzte
zu bereiten und zu bestimmten Preisen zu liefern. Bevor sie zur Aus-
übung ihrer Kunst zugelassen wurden, mussten sie sich durch einen
Eid verpflichten, die Medicamente nach der vorgeschriebenen Form
herzustellen und sich dabei keinen Betrug zu Schulden kommen zu
lassen. Gleichzeitig wurde angegeben, welchen Preisaufschlag sich die-
selben bei Arzneien, welche vielleicht lange Zeit vorrathig gehalten
werden müssen, ehe sie zur Verwendung kommen, erlauben dürfen,
und ein Gesetz über die Anzahl der Apotheken in den verschiedenen
Städten des Landes in Aussicht gestellt.^ Ausserdem wurden Inspek-
toren ernannt, welche die Bereitung der Arzneien überwachen und
deren Tadellosigkeit durch Zeugnisse bestätigen sollten; in Salemo selbst
führten die Lehrer der Heilkunde die Aufsicht darüber.'
„Gleichzeitig verordnen wir," heisst es an derselben Stelle, „dass
Niemand über Medicin und Chirurgie irgendwo Vorlesungen halte,
als zu Salemo, oder den Titel eines Lehrers annehme, wenn er nicht
in Gegenwart unserer Beamten und der Lehrer dieser Kunst sorgfaltig
geprüft worden ist." Den Beamten, welche bei der Ausführung dieser
Gesetze ihre Pflichten verletzten, wurde die Todesstrafe angedroht
Die Verordnungen des Kaisers Friedrich 11. dienten den späteren
Einrichtungen des medicinischen Studiums als Muster. Sie bildeten die
ersten Versuche einer staatlichen Organisation desselben.
Leider wurde in den folgenden Jahrhunderten der Einfluss der
weltlichen Behörden hier wie auf anderen Gebieten durch die zu-
nehmende Macht de^ Klerus zurückgedrängt Diese Thatsache gab der
Cultur eine eigenthümliche Färbung und beherrschte die Entwickelung
der Universitäten bis in die neueste Zeit.
* Em Grold-Tarenns war eme Goldmünze im Gewicht von 20 Gran.
» Hist. diplom. Frid. II. a. a. 0. p. 236. » a. a. 0. p. 151, tit 47.
Die Schule von Salerno, 177
Die medicinische Schale zu Salemo erlebte im 11. und 12. Jahr-
handert ihre Blüthe. In dieser Zeit entMtete sie eine reiche literarische
Thätigkeit, Ton welcher die Werke eines Gabiopontus, Petboncellus,
Xhpnxsv^ der beiden Copho, der Platearier, des Constantinus Afri-
CAKus^ welcher durch seine Übersetzungen viel dazu beitrug, dass die
iSalemitanischen Arzte mit der arabischen Heilkunde bekannt wurden,
das Arzneibuch des Babtholomaeus, welches schon bald nachher ins
Deutsche übertragen wurde,* die Schriften des Afflacius, Abchimat-
THASU8, MusANDiNüs uud Aegidiüs VON CoBBEiL, die Receptensamm-
lung des Nicolaus Pbaepositüs, die Uroskopie des Maübus, vor Allem
aber die berühmten Gesundheitsregeln der Schule von Salemo, welche
in alle Sprachen übersetzt wurden und mehr als 200 Auflagen erlebten,
Zeugniss geben.
Im Jahre 1252 beschloss der König Konrad, die medicinische
Schale zu Salemo zu einer Universität zu vervollständigen, an welcher
auch die Jurispmdenz und die artes gepflegt werden sollten. Aber sein
Plan kam nur theilweise zur Ausführung. König Manfred stellte L J. 1258
die Universität Neapel, welche kurz vorher aufgehoben worden war,
wieder her, und es blieb in Salemo nur die medicinische Schule be-
^heiL Allerdings wurde dort neben der Heilkunde auch Rechts-
wissenschaft gelehrt; aber es wurden in diesem Fach keine akademischen
Würden verliehen.*
Als in Neapel und anderen Städten Italiens und Frankreichs me-
dicinische Schulen entstanden, verminderte sich die Zahl der Studie-
renden in Salemo. Dazu kam, dass auch die Lehrkräfte, welche dort
wirkten, allmälig von denjenigen anderer Hochschulen übertroffen wurden,
und ihre wissenschaftliche Thätigkeit erlahmte. Schon Aegidiüs von
CoRBEUi klagte darüber, dass in Salemo bartlose unreife Knaben die
Würde des Arztes erhielten und als Lehrer der Heilkunde auftreten durften:
„O wie tief bist Du von der Höhe des Ruhmes, Salerao,
Der einst so sehr Dich geschmückt, wie tief doch zu Boden gesunken!
Denn wie erträgst Du es doch, dass jetzt Deinem Boden entspriesset
Manch* unreifes Pflänzchen unwürdiger Söhne der Heilkunst,
Denen weit besser wohl ziemt Schulmeisters kräftige Ruthe
Und die gediegene Zucht des viel erfahrenen Alters,
Als dass sie selbst nun mit Pomp des Katheders Stufen betreten!'''
^ Jos. Haüpt in den Sitzungsber. d. K. Akad. d. Wiss., Philos.-histor. KL,
Wien 1872, Bd. 71, S. 451 u. ff.
' J. A. DE NiORis bei J. C. G. Ackermann : Regimen sanitatis Salemi, Stendal
1790, p. 83.
' AjBomius V. Cobbkil: de medicam. compos., v. 569 u. ff. nach H. Haeseb
in Nord o. Sfld 1877, m, 7, S. 145.
PoscmiAmi, Unt«rrieht. 12
Im 14. Jahrhuodert asLgte Pkthaiica: „Es geht die Hage, da« i
Maücin in Salemo ihren Ursprung ^enammen hat, aber Alle« fll
etamal dem welkenden Alt^r zur Beuti*,**
In den darauf folj?endt*n X/i^iien sank dii^ Schule ?on Saleruo jii«||
und mehr, und alle Versuche, ihr durch PrirUegien und Üot^itioDö
frisches Leben einzuäü«i«en, waren vergehhclL Ein Dekrwt dj?r fiu
zdsisohen ßet^erung, welche eine Zeitlang die Ueiehicke dm Laaili
leitete, machte am 29. November IBl l der Existenz der ältesten
dicinigchen Schule Kuropus ein Ende.
Dia medicinischa Schula zu Montpalliar.
Anoh die Entstehung der medjcini^hen Schule zu Monl;>dlin
liüllt sich in sagenhaftes Dunkel Alan weiss nicht, wann die dortign
Arzte hegonnen haben^ Schüler in der Heilkiimli* zu unterrichtea
Unter den Irrten, welche im 10. untl II. Jahrhundert zu Huntl
pellier die Praxis ausübten, befanden ifich wahrscheinlich viele Jad«f
und Araber; die Thatsache. dass ein grosser Theil der Bevulkenmi
dieser Stadt aus Angeh«>rigen dieser Nationen bestand, und die 'Sm
Spaniens, wo die jüdischen Arzte unter der arabischen Hen"schaß sein
zahlreich und antr*♦!-*eh^■n waren, rechtft^rti^en ' 'nie. An An
Triumphen^ welche die arabische Medicin in Sj , harten
Juden einen hervorragenden Antheil.
Die Xamen eines Mfi^-EB MAr%iiiMitKs, CHAi>DAi ScHAi'itoi r,
Halevi, Nachmanidks» u, A. erzählen von ihrem Wirken auf vei
denen Gebieten des geistigen Lebens. Die Rabbiner und jüdiachi
Gelehrten beschfifligten sich gern mit der Medicin, und die inedicini^cb
Schulen der Juden zu Toledo, Graua^la und tL'ordova stünden in hi
Ansehen. Die arabischen Fürsten der iberischen Halbinsel ebemu
ihre christlichen Nachfolger wühlten mit Vorliebe Juden zu
Leibärzten. *
Aber die groiisten Verdienste erwarhea sich die jüdischen
indem sie die Vermittelun? zwischen lier arabischen Heilkunde tti
dem christlichen Abf*ndlande übernahmen. Theils durch Cberäetxung"
arabischer Werke, die sie anfertigten, theik durch das lebendige Wc
machti^n sie die Bewuhner der benachljarten christlichen Lander
Ml m
ten ja
i
^ J, Bfexz: Ober die jüdlachen Ärzte im Mittelalter, Berlin ISäfl, B. Ui
schaftlichen Errungenschaft^ii ihrer semitischen Stammes-
m bekannt.
Die arabischen und jüdischen Kchulen Spaniens bewahrten anch
nach der Erobern ng dieses Landes durch die Christen lange Zeit den
Ruf der rtelehrsamkeit. Noch im IL und 12. Jahrhundert pilgerten
viiaeitsdiirs;tige Foi-scher, wie Gerbebt, der später als Pabst Sylvester IL
pnannt wurde, Hekmanxus Conteactus^ Davu» IIohlky, Pietro von
KMAMOf Arxald von Villanova u. A. nach Spanien, besonders nach
Toledo, um dort in das Wissen der Araber eingeweilit zu werden.
Diesen YtThältnissen mxLss ohne Zweifel ein bedeutender EinHuss
auf die Entstehung und Entwiekelung der Schule vun Montpellier zii-
geechrieben werdend Man hat sogar nachzuweisen versucht, dass ein
^Mischer ^Irzt aus Narbonne der Erste gewesen sei, der dort medici-
^^peben Unterricht ertheilt habe. ^
Als Benjamin von Tudela i. J. 1160 M(jntpellier besuchte, fand
iT viel« Juden unter den dortigen Einwohnern, wie er erzahlt* Aber
lehon damals machte sich die Reaktion gegen di«^ Macht der Juden
geltend. Graf Wilhelm von Montpellier bestimmte 1121 in seinem
XsitMiient, dass kein Sarazene oder Jude zur Würde eines Stadthaupt-
wmm (Bailli) ssugelassen werde, und 1145 und 1172 wurdi^ dieses
Verbot in Betreff der Juden erneuert, da es den Sarazenen gegenüber
heinlich nicht mehr noth wendig erschien. Jedenfalls beweist
That^ache^ dass vor diesiT Zeit die Araber und Juden in Mont-
pellier gleiche Rechte wie ihre christlichen Mitbürger belassen und
An*ipruch auf die angesehensten Stellen erheben durften.
Bis zur Unterwerfung Spaniens dnrch die Christen herrschte dort
Geigt der Toleranz, welcher auf die Humanität wie auf die Wissen-
>aft fordernd gewirkt hat; in die^ Periode fallt, wie historisch fest-
ht, die Gründung der medicinisehen Schule zu Muntpellier.
Xh Bischof Adalbkbt von Mainz i. J. 1137 dorthin kam, bestand
k»selbe liereits und l>esass sogar schon eigene Gebäude, wie aus den
ort**« des zur gleichen Zeit lebenden Bischofs Ansemius von Havelberg
hervorgeht* Bischof Adalbekt Hess sich von den Ärzten, welche in Mont-
pellier die Heükunde lehrten, über die Ursachen der Naturerscheinungen
* Ravüh, in d^r R<!'Viie tht^rapeut. du midi, Moiitpellicr 1855, — Caamolv:
H' Hfl jiiifB^ Bnixdles 1844, p. 77. — A. GEBStAiH: Hktoire de
In ntpelHfT. MontiieUier 1851, T. I, p. LXIX.
* AjrsKr.Mt epi&copi Havelbergensis vita Adelberti Moguntitii in Bibl. rer,
fmiao. ed, Pli, JaflfiV, BeroL 1866, IIl, 592. — A. Dchoücitbt: Uü documeiit
oxri^ux «ur F^ok do iii«^dt?cine de Monti»eUier in der Gaa, hebd. des sciene« mM.
de MoiitfifTlIien H», Juli 18M6.
180 Der mediciniscJie Unterricht im MitidaUer,
und der Krankheiten unterrichten, und zwar „nicht etwa weil er (Ge-
winn aus der Eenntniss dieser Dinge ziehen wollte, sondern nur, mn
das tiefverborgene Wesen der Dinge kennen zu lernen," wie sein Bio-
graph hinzufügt
In einem Briefe des hl. Bernhard v. J. 1153 wird erzahlt, dass der
Erzbischof von Lyon, als er erkrankt war, sich nach Montpellier begab,
um sich von den dortigen Ärzten behandeln zu lassen, und bei dieser
Gelegenheit nicht blos das Geld verbrauchte, welches er bei sich führte,
sondern noch Schulden machte.^ Jean de Salisbury, welcher auch
derselben Zeit angehört, erklärte, dass Diejenigen, welche sich der
Medicin widmen wollten, die dafür erforderlichen Kenntnisse in Salemo
oder Montpellier erwarben. Auch Aecüdius von Ookbell und Habt-
M.VNN VON der Aue haben für den alten Ruhm der Schule von Mont-
pellier Zeugniss abgelegt Der Mönch Caesariüs von Heistebbach
nannte Montpellier die „Quelle der medicinischen Weisheit" und be-
merkte mit Bedauern, dass die dortigen Ärzte £»i die Wunderheilungen
nicht glauben wollten und in ironischer Weise darüber sprachen.
I. J. 1180 erliess Wilhelm IV., Graf von Montpellier, die Ver-
ordnung, dass Jeder, „wer er auch sei und woher er stammen möge,
ohne dass er von irgend wem darüber zur Rede gestellt werde, das
Recht habe, dort medicinischen Unterricht zu ertheilen.**^
Obwohl sich in Folge dessen die medicinische Schule sehr hob,
war diese schrankenlose Lehrfreiheit doch nicht aufrecht zu halten,
weil dadurch manche ungeeignete Elemente angezogen wurden. Die
Lehrer und Schüler wünschten deshalb, dass Massregeln dagegen ge-
troffen wurden. Es ist bezeichnend für die Macht, welche der Klerus
unterdessen gewonnen hatte, dass man sich an den päbstlichen Legaten
wandte, der im Einvernehmen mit den Bischöfen von Maguelone,
Avignon u. A. i. J. 1220 die gewünschten Bestimmungen traf.
Cardinal Konrad, welcher dadurcli die Grundlagen zur weiteren
Entwickelung der Schule von Montpellier schuf, war ein Deutscher und
stammte aus dem schwäbischen Geschlecht der Grafen von Urach. Er
wies in den Statuten, die er entwarf, zunächst darauf hin, dass die
Heilkunde in Montpellier schon seit langer Zeit blühe und Ruhm ernte,
und gab dann das Gesetz, dass fortan Niemand dort als Lehrer dieser
^ Expendit et quod hahebat ed quod non ßiabebat in Bemard. Epist 307,
nach AsTRuc: M^moires pour servir a rhistoire de la facolt^ de m^ecine de
Montpellier, Paris 1767, p. 7.
' MandOf volo, laudo atque eoncedo in perpetuum, quod omnes howUne»
quicumque sint vel undecunque sint, sifie aliqua interpellatume regant seolas
de ßsica in Montepessulano. Astruc a. a. 0. p. 84.
Die medieimsche Schule xu Morüpeükr, 181
Wissenschaft auftreten dürfe, der nicht darin geprüft und vom Bischof
Ton Maguelone unter Zuziehung und nach Befragen seiner Lehrer die
Licenz erhalten habe, dass Niemand als Schüler betrachtet werde, der
nicht bei seinen Studien der Anleitung seines Lehrers folgt, dass der
Bischof Yon Maguelone in Gemeinschaft mit drei angesehenen älteren
Lehrern einen Kanzler wähle, welcher die Disciplin überwachen und
die Streitigkeiten zwischen den Meistern und Schülern schlichten sollte,
dass der Bischof den Kanzler durch seine Autorität unterstütze, und
dass alle Lehrer und Schüler einander beistehen und Sorge tragen,
dass auf die Schule keine Schande falle. ^
Manche Studierende unterbrachen ihre Studien, wie aus Abschnitt 14
dieser Statuten' hervorgeht, auf längere Zeit, um die ärztliche Praxis
auszuüben, und kehrten dann zur Fortsetzung der Studien nach Mont-
pellier zurück. Die Schüler zahlten den Lehrern Honorar für den
Unterricht, den sie empfingen.
In den Gesetzen Konrads war allerdings keine Rede davon, die
Andersgläubigen von der Schule auszuschliessen; doch wurden dieselben
ohne Zweifel durch den mächtigen Einüuss, welcher darin dem Bischof
eingeräumt wurde, einigermassen zurückgedrängt. Gleichwohl gab es
dort im 13. und 14. Jahrhundert noch viele jüdische Studierende und
Ärzte, wie Jacob ben Machib, bekannter unter dem Namen Profatius.
der wahrscheinlich sogar als Lehrer thätig war.^
I. J. 1230 wurde bestimmt, dass Niemand die ärztliche Praxis
treibe, bevor er von zwei Magistern der Heilkunde, welche der Bischof
zu Examinatoren wählte, geprüft und für fähig befunden worden sei.
Der glückliche Erfolg der Prüfung wurde ihm durch ein Zeugniss,
welches die Unterschrift des Bischofs und der Examinatoren trug,
bestätigt
Wer die ärztliche Praxis ausübte, ohne sich dieser Prüfung unter-
zogen zu haben, wurde mit der Strafe der Excommunication bedroht.
Doch blieben die Chirurgen von der Verpflichtung, sich examiniren zu
lassen^ befireit. Aber die Gesetze gegen die Kurpfuscher wurden, wie
es scheint, nicht streng beobachtet; denn sie mussten von Zeit zu Zeit
immer wieder ins Gedächtniss zurückgerufen werden.
* AsTBüC a. a. 0. p. 37.
* QtMfido seholaris redit a lociSj in quibtuf practicaverii, Itbere siht aiffffcaf,
quemeunque voluerit, magiafrum, dum tarnen priori suo magistro non teneatttr
raiione salari rel alterius alieujus rei. Aotrcc a. a. 0. p. 39. — A. Gbrmain
a. a. O. T. III, 424.
* Cabmoly a. a. 0. S. 90. Derselbe erw&hnt noch andere jüdische Lehrer
der Medtdn, z. B. Samuel Ben Tibbon.
182 Der mediciniscfie Unterricht im Mittelalter,
Die Statuten und Lehrpläne, welche L J. 1240 gegeben wurden,
stützten sich auf die für Salemo erlassenen Verordnungen des Kaisers
Friedrich 11.^
Die medicinische Schule war somit vollständig organisirt Neben
ihr wurde in Montpellier seit dem Ende des 13. Jahrhunderts auch
Unterricht in der Rechtskunde ertheilt; ebenso gab es schon 1242
Lehrer der philosophischen Disciplinen. Pabst Nicolaus lY. fasste 1289
den Entschluss, dort ein Studium genet-ale, d. h. eine Universität zu
erricht<?n; aber es gelang ihm nicht, die medicinische Schule mit den
übrigen Facultaten zu einer Lehranstalt zu verschmelzen. Sie bewahrte
eifersüchtig ihre Rechte und behauptete ihre Selbstständigkeit
So kam es, dass in Montpellier fortan eigenthch zwei Universitäten
bestanden, von denen die eine nur die medicinische Facultät, die andere
die übrigen Facultaten umfasste. Jede von ihnen bildete ein besonderes
Institut, hatte ihren eigenen Kanzler und führte den Namen einer
Universität Sie waren auch dazu berechtigt; denn man verstand unter
dem Studium generale im Mittelalter nicht die Vereinigung aller Facul-
taten an einem Ort, sondern eine höhere Unterrichtsanstalt, welche
allgemein zugänglich war und Zeugnisse ertheilte, die überall Geltung
hatten.^ Der Ausdruck Studium generale machte im 14. Jahrhundert
demjenigen der Universität Platz, mit welchem der BegriflF der Corpo-
ration, der organisirten Verbandseinheit verbunden war. Daneben ge-
brauchte man bereits zu jener Zeit auch die Bezeichnungen .^Gynina-
aium'' und „Alma mater' für die Hochschule.
Während an der aus der juristischen, philosophischen und theo-
logischen Facultät, welche erst 1421 errichtet wurde, bestehenden
Universität zu Montpellier der Bischof fortan die Würde des Kanzlers
bekleidete, wurde an der medicinischetf Schule dieses Amt auch femer
einem Lehrer derselben übertragen. Alle Versuche, welche später ge-
macht wurden, um die letztere vollständig dem klerikalen Einfluss zu
unterwerfen, waren vergeblich. Die medicinische Facultät behielt ihre
Autonomie selbst unter der centralisirenden Macht der französischen
Könige, und Ludwig XIV. fühlte sich sogar veranlasst, ein Dekret,
welches die Vereinigung der medicinischen Facultät mit den übrigen
Facultaten anordnete, wieder zurückzunehmen.^
> Gerhain a. a. 0. T. III, p. 424.
* H. Denifle: Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400.
Berlin 1885, I, S. 15 u. ff. — Vergl. dagegen G. Kaufmann: Greschichte der
deutschen Universitäten, Stuttgart 1888, I, 98 u. ff.
' A. Dubouohet: Documents pour servir k Iliistoire de runiversitä de m^
decine de Montpellier in der Gaz. hebd. des sciences m^. de Montpellier 1887, No. 4.
Die mediemische Schule xu Montpellier, 183
Da die Wahl des Kanzlers durch den Bischof und drei von ihm
zugezogene Lehrer manche Unzuträglichkeiten im Gefolge hatte, so
befahl Pabst Clemens V. L J. 1308, dass der Candidat fortan ausser
der Zustimmung des Bischofs zwei Drittel der Stimmen sämmtlicher
Magister der medicinischen Hochschule vereinigen müsse.
Gleichzeitig wurde bestinmit, welche Bücher dem Unterricht zu
Gründe gelegt werden sollten, und die Studien- und Prüfungsordnung
dahin erläutert, dass jeder Studierende mindestens fünf Jahre medici-
nische Vorlesungen hören und während acht Monaten oder zwei Sommer
hindurch ärztliche Praxis ausüben müsse, ^ bevor er zur Promotion zu-
gelassen werde.
I. J. 1350 wurde gesetzlich bestimmt, dass Niemand ärztliche
Praxis treibe, ehe er den Grad eines Magisters erlangt habe.^ Aus
dem an den Pabst gesandten Rotulus v. J. 1362 geht hervor, dass
alle Scholaren der Medicin zu Montpellier in artihus graduirt waren, ^
also eine allgemein-wissenschaftliche Vorbildung besassen.
Die Statuten der dortigen medicinischen Schule v. J. 1340* ge-
währen einen Einblick in die Zustände derselben. Sie beschäftigen sich
mit der Würde des Kanzlers, der die Gerichtsbarkeit leitete, mit dem
Dekanat, welches Demjenigen, welcher die Lehrthätigkeit am längsten
ausübte, übertragen wurde, hauptsächlich die Vertretung des Kanzlers
zur Aufgabe hatte und eigentlich nur ein Ehrenamt war, mit der Wahl
von zwei Procuratoren aus der Zahl der Lehrer, welche die Aufsicht
über die Verwaltung der Güter und Besitzungen der Universität führten,
mit den zweimal im Jahre stattfindenden allgemeinen Versammlungen
der Lehrer, in denen über die Angelegenheiten des Unterrichts und
die Finanzen der Schule berathen wurde, und mit den Pflichten der
Lehrer und Schüler.
Die letzteren mussten sich sofort nach ihrer Ankunft den Pro-
curatoren vorstellen, welche ihre Namen, und den Tag, an dem sie
ihre Studien begannen und beendeten, in ein Buch eintrugen und dafür
eine Taxe erhoben, welche eine verschiedene Höhe hatte, je nachdem
es sich um einen Scholaren oder um einen Baccalaureus handelte, und
* Z» locie famosis quinque anniSy si in ariibus magistri exMant idonei,
alioquin per sex annoSy pro quolibet anno octo duntaxat mensibus computatis
efuidem faeuUatem audiverint medicinae, ae in similibus locis per octo menses
aut per duas aeetaies €td minus ejusdem medicinae praxim duxerint exercendam.
AsTBuc a. a. O. p. 46.
' Awnajc a. a. 0. p. 54.
' Dkviflb a. a. 0. S. 355, Anm. 562.
* A. DuBoucBXT a. a. 0. Gaz. hebd. No. 6 u. ff.
184 Der medicinische- Unterricht im Mittelalter,
unseren Gebühren für Immatriculation und Exmatriculation entsprach.
Die Studierenden gelobten bei der Aufiiahme in den Verband der Hoch-
schule, deren Gesetze gewissenhaft beobachten zu wollen.
Sie waren verpflichtet, während der ersten drei Jahre der Studien-
zeit nach Abzug der Ferien, durch volle 24 Monate medicinische Vor-
lesungen zu besuchen. Hierauf folgte eine Prüfung, bei der jeder der
Lehrer eine Frage stellte, und darauf die Promotion zum Baccalaureus.
In dieser Eigenschaft setzte der Studierende seine Studien noch min-
destens zwei Jahre hindurch fort, hielt aber zugleich Vorlesungen über
einzelne Abschnitte aus den medicinischen Schriften der Alten. Den
Schluss des Studiums bildete die Bewerbung um das Magisterium der
Heilkunde.
Als ordentlicher Lehrer wurde Derjenige betrachtet, welcher min-
destens den ganzen Winter hindurch regelmässigen Unterricht ertheilte.
Die Lehrer wählten in ihren Versammlungen die Gegenstände, über
welche sie vortragen wollten; der Ältere hatte dabei den Vorrang vor
dem Jüngeren. Auch wurde streng darüber gewacht, dass nicht ein
Lehrstoff, welcher binnen einem Jahre abgehandelt werden sollte, auf
mehrere Jahre vertheilt würde.
Anfangs war jeder Magister und unter gewissen Beschränkungen
sogar jeder Baccalaureus berechtigt, die Lehrthätigkeit auszuüben, ohne
dass er jedoch dafür irgendwelche Besoldung empfing. Erst i. J. 1498
wurden vier ordentliche Lehrkanzeln der Medicin errichtet, deren In-
haber für den Gehalt von je 100 livres das ganze Jahr hindurch un-
entgeltlich vortragen mussten. Die Besetzung dieser Professuren erfolgte
durch den Bischof auf Vorschlag der übrigen Lehrer der medicinischen
Schule. Die Besoldung der Professoren wurde unter Carl IX. auf
400 livr. und unter Heinrich IV. auf 600 livr. erhöht. Ausserdem
waren sie gleich den übrigen Mitgliedern der Universität von Steuern
und manchen anderen Lasten befreit.
Die medicinische Schule zu Montpellier erlebte im 13. und 14. Jahr-
hundert ihre Glanzperiode. Aus weiter Feme kamen damals die Kranken,
wie der Bischof von Herford aus England und der König Johann von
Böhmen, um bei den dortigen Ärzten, welche namentlich wegen ihrer
praktischen Tüchtigkeit geschätzt waren, ^ Hilfe zu suchen. Ihnen
erwuchs eine gefahrliche Concurrenz, als die Universitäten, welche in
jener Zeit in Italien, Frankreich und Deutschland gegründet wurden,
zur Blüthe gelangten.
^ Abnald von Villanova: Bre\'iar. IV, 10. — Guy von Chauliac: Chir..
tr. VI, d. 2, c. 2.
Die ältesten Hochschulen Italiens. 185
Die ältesten Hochschulen Italiens.
Kaiser Friedrich II. schuf i. J. 1224 die Hochschule zu Neapel,^
an welcher alle Wissenschaften gelehrt werden sollten, damit die wissens-
darstigen Jünglinge nicht genöthigt würden, „wie Bettler ausserhalb
des Landes die geistige Nahrung zu suchen".^ Anfangs waren hier,
wie es scheint, sämmüiche Facultäten vertreten; aber schon 1231 ging
die medicinische ein, weil die Heilkunde nach einer kaiserlichen Ver-
ordnung fortan nur in Salemo gelehrt werden durfte. I. J. 1252
wurden auch die übrigen Facultäten nach Salemo verlegt und mit der
dortigen medicinischen Schule zu einer Universität vereinigt.
Doch wurde die Hochschule zu Neapel schon 1258 wiederhergestellt.
Da sie in der Hauptstadt des Landes gelegen, von Norden und Osten
leichter zugänglich und mit grösseren Rechten und Geldmitteln aus-
gestattet war, als ihre ältere Schwesteranstalt zu Salemo, so überholte
sie dieselbe später durch die Zahl der Schüler sowohl wie durch ihre
Bedeutung und ihre Leistungen.
Gleich den Anfangen der Hochschulen zu Salemo und Montpellier
verlieren sich auch diejenigen von Bologna in sehr frühe Zeiten.'
Kaiser Friedrich I. versprach der dortigen Universität i. J. 1158 seinen
Schutz und verlieh ihr eigene Gerichtsbarkeit. * Sie war damals eigent-
lich nur eine Rechtsschule; doch wurden im 12. Jahrhundert auch
andere Wissenschaften gelehrt, und die Ärzte waren vielleicht schon
zu einem Collegium verbunden.^
Im 13. Jahrhundert wurde die medicinische und philosophische
Facultät als „Universität der Artisten" neben der juristischen organisirt.
Die juristische Schule behielt indessen auch später durch die Zahl der
Lehrer und Studierenden das Übergewicht über die anderen Facultäten.
Die medicinische Facultät wurde erst seit 1280, als Thaddaeus
FiiOÄENTiNüs dort als Lehrer wirkte, in weiteren Kreisen bekannt und
» MuRATOBi: Rer. It. Script VIII, p. 496.
* Hüillabo-Br^holles a. a. 0. T. II, p. 450. Disponimua apud Napolim
doceri artes etOuscunque profes^ionis et vigere sftulm, ut jejuni et famelici doc-
trinarum in ipso regno inveniant, unde ipsorum aviditati satisfiat neque com-
pellantur ad investigandas scientias peregrinas nationes expetere nee in alten is
ngionibus mendieare.
• F. C. V. Saviokt: Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, Heidel-
berg 1834, Bd. III, S. 164 u. £P.
^ Cod. Aath. Habita. — Giesebbecht in den Sitznngsber. d. K. b. Akad.
d. WiflB., histor. Klsase, 1879, Bd. II, S. 285.
^ M. MsDia: Compendio storico della scuola anntomica di Bologna 1855, p. 3.
186
Der medieinischs ü§ii&rridii im MittelaUtr.
berühmt» Cbrigens hatte die Organisation der Universität zu Bol
ihren Schwerpunkt nicht so sehr in den Facnltäten aU in den C
raiiurn^^'n licr Schüler.
Diei?elben schieden sich Anfangs^ in die Citraniontiini und
ritramontani, vi*d denen sirh jede aus mehreren Nationen znsai
setzte. Diese land^mtinnsehaftlichen Vereinigungen der Studierem
welche ihr Vorbild in den Verbiodunge» fanden, die an den Hi
schuhen des Alterthiims, z. B, in Athen, bestanden, entspranj^en
Bedürfniss, sich nach ihrer heimathlichen Zusammengehrnigkeil in
Fremde an einander anmschliessen^ luid or^^anisirten sich nach Art
italienischen Zünfte. An der Spitze jeder der beiden Scholaren-O
rationen stand ein Rector, der also dort ursprünglich durchaus
das Haupt der Universität war, sondern nur die Ant:ele^'enheiten
Studierendenj die ihn zu ihrem Vertreter gewählt hatten^ leitete,
fangs wurde diese Würde an Professoren ebensu wie an Studier«
verliehen, seit der Glitte des I *1 Jahrhundert.s jedoch nyr nnch m ilk
letzteren, und in den Statuten der Universität aus dem 14, Jahrhtuii
wurde dies sogar gesetzlich anerkannt^ Seit dem UJ. Jahrhundert
es für beide 8eh<daren-('Orporatiünen nur einen einifiigen Rector.
Als die italienischen Städte, in denen sich Hochschulen befen
mit einander wetteiferten, um durrh Verleihung \on Vorrechten
Auszeiidinunghn fremde Studierende diu'thin xu ziehen, (^rlangt^*n
letzteren alimälig tdne ausserordentliche Machtstellung, und die
fessoren gi-riethen in ein Abhüngigkeitsverhältniss zu ihnen. In Bol
und Padua erhielten die Studierenden sugar das R^'cht, die Profess«
zu wählen.^
In ^(ontpellier durften ilire Vertreter, ilie Pn*eurati>ren. den
fessoren den Gehalt sperren, wenn sie nicht tieissig Vorlesungen hiel
Der aus der Mitte der Studierenden gewählte Rector, der
nur ilber d'w Corporation, welcher er angehörte, die Gerichts)wirfc
besessen hatti^ übte sie später über ilie ganze Universität, sogar über
die Professoren und deren Familien, aus. Allerdings stand ihm dnbei
ein Mitglied der juristischen Facultät als Rathgel>er zur Seite, und e»
durfte sich ein ähnliches Verhältnis^ rntwickelt haben, wie es im Ij
und 17. Jahrhun<lert zuweilen auch an deutschen Universitäten
' Ad rcrtorahfii igiinr offhfttm eUgatur Scolaris no9trae ummrtttaiin
diu BfeatnteQ clor UDiversitÄt Bologna, Saviqxt a, a. O. Bd* HI, S. 643.
* L\ MEiNt:iis: Goachirlitt' der Entstehung und Eutwit-kelung der hol
Schulen unseres Erdtheils, Göttinf^cn 1802. — Savionv a, ä, O, IM. 111, 8, 292 ii.ff.
* Thomai* m. Fklix Plattbr: Zwei Autobiographien, her v. Fechter, Bu^
1840, 8. 155.
Die üUeMen HoeksoM/m Italiens.
187
hat, wenn man Studierenden ans voraehmen Familien das
»t tibertrng»
Auf das Studien- und Prüfungswesen hatten die Beetoren keinen
Sntiusä; dies blieb den Prufes^sriren il Verlassen, Die letzteren erhielten
für den Unterricht^ welchen sie ertheüien, von ihren Schülern Honorare;
»it dem Beginn des 13. Jahrhunderts ^ewährt^^ die Stadt ausserdem
31» gewisse Bejsoldung.
Nach einem Bericht, welchen derCardinal-Legat Anglicus IJ. 1371
L^te, ^ lehrten in Bologna damals 3 Magister die the<»rt*tische,
praktische Medicin und einer die Chirurgie. »Sie wunien von der
SiAflt besoldet; doch gab es neben ihnen noch andere Lehrer, welche
keilten Gehalt bezogen. Im J. 1388 waren dort ^S Professoren an-
gestellt^ darunter 14 Medicioer, 27 Legisten, 12 CanoniÄten und 15 Ai-
tislc% Ommmatiker und Marter der Notariatskunst: i. J. 1451 betrag
lue Zahl der Lehrer sogar mehr als 170^ und es erfolgte deshalb eine
Vernnnderung der Lehrkanzeln.^ Unter den Professoren , welche im
JlittelaUer dort wirkten, befanden sich Franzosen, Deutsche, Spanier,
^igliknderp Portugiesen. Polen und Griechen,^ und ebenso waren auch
Mfst den Studenten alle europäischen Nationen vertreten.
Die Protessiiren mussten sdch beim Antritt des Lehramts durch
ICD Eid verpflichten, ihre Wissenschaft an keinem anderen Ort zu
[iren als in Bologna und mit allen Kräften zum Gedeihen der dor-
ligen Hachschnle beizutragen.* Gleichwohl wurde dadurch nicht ver-
hüMt daj^ bei verschiedenen Gelegenheiten Schüler und Lehrer in
(grösserer Anzahl aus Bologna fortzogen und einen anderen Studiensitz
mibiiohten. Schon 1222 geschah dies und gab die Veranlassung zur
Grftiidttiig oder Erweiterung der Hochschule zu Padua, wo vielleicht
«ehoit lange vorher Schulen für einzelne Wissenschaften bestanden hatten.
Die Universität Padua wurde nach dem Cluster derjenigen von
BologU eingerichtet. Auch in Padua stand der Rect^r an der Spitze
der Scholaren-Verbindungen, deren man nach ihrer Nationalitat vierunter-
sebiedf nämlich die der Italiener, Fniuzusen, Provenzalen und Deutschen/
Auh hi**r wurde der Rector aus der Zahl der Studierenden gewühlt;
m wurde von ihm nur verlangt^ dass er einen unbescholtenen Ruf be-
ittz^ mindestens 22 Jahre alt sei und ein Jahr in Padua von semem
eigenen Vermögen gelebt habe.
* DcxiPLE a. a, 0. 8. 208 a. ff.
* E. Com: Le ouivemtA italiane nel uiedio evo> Firenze 1880, S» 2ö7,
' yiAXLtTi: Reportorio di tutti i profe.'^gori deir universitik di Bologna» Bo-
1«4T. * E. Coppf a. ft. O. S. 78, Anm.
* F. C. CiiLLe: 8taria dello studio di Padova, 1824.
188
Der rmdieiniai^ ükimriM im 3Httelalier,
Wie dk Uoifenäiyil Bologna wurde aueb diejenige zu Padaa t»
mgiwtm fon Jniiln besneht Im J. r2<32 gab es in Padua dn
Ldmr
1«. Jfl
I nd d€r Naturwissenschaften. Das Studium
in ftdoa and Bologna eigentlich erst im 15.
fli Tendlj, welche seit 1220 bestand, verdanll
in Frige TOQ Streitigkeiten i. J. 1228 ein
dar Pknfemm and Stndcnlen in Padua diese BUidt verlies», eii
imntn ftMiwiwniig. Dnr Bmlk der Stadt Yercolli schloss niit Aem»\\»
wmm Tafng;^ tu w^Ieban sie durch verschiedene Vortheile k*wog«a
wdB, dnnliin xu übersiedeln. In Yercelli waren alle Fächer m-
ttnim: die Xediein Imtle zwei Lehrkanzeln. Doch existirt« die Ho
flriUlk nicht viri linger als ein Jahrhundert.
Die Uni¥ersität zu Ticenza entstand wahrscheinlich auf Am
indem Sdinfer und Lehrer ron Bologna dorthin kamen.
alü BeiAteiduile im Beg^inn des 13. Jahrhunderte eioeu
gÜu^m Ru£ Erst 1261 wurde ein liehrer der Medicin anga$t«llt,
«ne jährliche Bej^oldun^ t<hi 15t J lihrae denariorum erhielt-
In Modena, wo iUe juristisicbeii Wissenschaften schon nn 12. Ja
Itnndert mbig gt^trieben wurden, gab e:s eist im 14. Jahrhundert m
Iriiter der K* ^ Reggio (Emilia^ besass seit 1188 eine ^!thi
WSkiailB^ die abv grosse Bedeutung erlangte. Die Hoeh-scbtilt*
Artizo^ nn welober auch die Medicin gelehrt wunie. bestand l)ep
im 13. Jahrhundert,' wanie aber erst 1355 förmlich zar Univc
erklart umi ging im 16. Jahrhundert wieder ein.
^lena war schon 1203 wegen seiner vortrefflichen Schulen
kaunt. Im J. 1241 wurtle dort amsser anderen Wis^i^ " n aq
die Uedictn gelehrt^ und 1247 gab es bereits drei Lti^ 't
eiplin. kU u J. 12S5 im Stadtrath die Berufung fremder Profesi
zur Sj>rai*he kam, suchte man auch den in der <*himrgie erfabreiii^
R^vNlcvii» i\x gewinnen; ausserdem lehrt»; dort ein Maütster Oj
dir Medicin.^
Im J, IH21 vergrT^öierte sich die Universität zu Sienifc, da nie'
\\>ix BoUkgmi »Thiell. Dixo Di Garbi», welcher damals in Sien» dit?
Jdedioin vertrat^ bezog einen jährlichen Gehalt von 1155 Lirt*. Später
^iik die Tuivei'situt, und ihr Vertall wurde auch nicht wesentlich auf-
Ift^hdUiu dttdnivli Jt^v <\^ vom Kaiser Carl IV. i. J. 1357 die
« CWh IL a. CI. !^ 111» o. ff. - 8avii»ct b. iu O. Bd. UI, s. eee u. £
• 8%vim:^\ ^ a. i\ Dd. nU S. 512 u. ff.
Die üiUstßn Hochschulen liaiien».
189
Anierkeiuiuiig als Studmm gttieraU empHng. Erst am Ende (lt>^ 1a, Jahr«
hasdiats bab äe ^oh wieder.
Pi»e*'nza he8as8 am ScIiliLsiji ilei* 12. Jahrhiniderls eine Kechts-
^Jiule, wflchf 1248 zu emer Universität erhoben wurde. Als Lehrer
♦Kt Uedicin wirtte daiiiate der Miigister Hugo, ein Kleriker, Die
Huchacbnle erlangt-e erst anter Galezza Visconti ein gewisses kn^
^\mn\ L J. 1399 hatte sie 71 Lehrer, unter denen sich 22 Mediciner
Vfandt^o. Sie wurde schon 14U.*i wieder aafgrehoben.
Am Sitz der päljstliehen Curie entsttind 1244 eine mit den Rechten
einer Universität au8gestattete Unterrieh t^anstalt^ in welcher Theologie,
Junsprudenz, orientalische Sprachen und später auch Mediein gelehrt
wttrdexL Hie betand sich zuerst in Avij^non und dann in Korn, wo
fir mit der dort seit 1303 bestehenden Hochschule vereinigt wurde.
An derselben lehrten i. J, 1514 88 Professoren, nämlich 4 Theo-
bgeiv 11 Canuuisten, 20 LegiKten, 15 Mediciner und 38 Philosophen,
U&theunitiker, Rhekiriker und Grammatiker; dagegen war die Zahl der
Sefaöler verhältnissmassig gering. Unter dem Pabst Alexander VL
iMSgaim der Bau der Sapienza, deren Hallen noch heut als Sit7. der
Universität Rom dienen.
In Perugia bestand im 13, Jahrhundert eine Rechtsi^ichule ; doch
wurden daneben liuch andere Wissenschaften und namentlich die Me-
dir-- ' 1 hrt^. Im J, 1308 erklärte der Pabst die Schule für eine
Ui :, Es jGrab an derselben Anfangs nur einen, aber seit 1314
zw^i Lelirer der Mediein, welche indessen nur stets für einen Zeitraum
Mm 3 Jahren angestellt wurden. In der Matrikel von 1339 erscheinen
lieben 4 Doktoren des canonischen Rechtes, 3 des Civilrechts, 1 der
Philoisophie, 1 der Lo^ik auch 3 der Mediein und neben 119 Studenten
Jurisprudenz 23 Mediciner; doch waren dies sammtlich Auswärtige^
die Linheimischen nicht aufgezahlt wurden J Die Mehrzahl der-
«dbeD i^tammte allerdin^ aus Italien, aber viele auch aus Deutschland.
% ' th ist dabei, dass die Lehrer und Schüler der Jurisprudenz
d* lünus, diejenigen der Mediein und der Philosophie den
Tittd Magister ffihrteru
Im Jahre 1342 wurden die Lehrkräfte vermehrt und in den
tutt'n von 1366 bestimmt* das^ mindestens T Lehrer der Heilkunde
Turkanden Strien. Im J, 1431 gab es deren 8, von denen einer speciell
Unterricht in der Osteolotne ertheilen musste.
Trevis'» hatt-e im 13. Jahrhundert eine höhere Lehranstalt, die
[J. 1814 In ein Studium yenerah umgewandelt wurde, welches 1318
* Dwmaut a. a. n. T. s :,4e.
Copfi a, a. O. S. riT, Vum,
190 Der medioinisofie Unierricht im Mittelalter,
das kaiserliche Privilegium erhielt. Die Stadt beschloss, 12 Lehrtaandn
zu gründen, von denen droi für die Medicin bestimmt wurden. Di€«r
Universität war nur eine kurze Dauer beschieden; denn sie hatte sdum
im Beginn dos 15. Jahrhunderts zu sein aufgehört
Die Hochschule zu Pisa ging 1343 aus einer Bechtsschule hervor.
Sie musste mit manchen widrigen Verhältnissen kämpfen; so. wurieo
z. B. 1359 sämmtliche Professoren entlassen, weil das Geld für ihre Be-
soldungen fehlte. Im J. 1403 wurde die Universität aufeehoben nnd
erst 1473 unter Lorenzo de Medici, der sie sehr begünstigte, wieder
eröffnet.
Von dieser Zeit an hob sie sich rasch und erlangte noch a
Schluss des 15. Jahrhunderts eine hervorragende Bedeutung. Zmi
grassen Theile verdankte sie dies dem Umstände, dass die Univenittt
Florenz, welche schon im 14. Jahrhundert berühmte Mediciner unt«
ihren Lehrern hatte und Stiftungsbriefe vom Pabst und vom Kaiser
besass, i. J. 1473 nach Pisa verlegt wurde.
Auch die Universität Pavia entwickelt« sich aus einer Rechtssohole,
Sie wurde 1361 vom Kaiser Carl IV. zu einem Studium generaU er-
hoben. Die Heilkunde fand dort eifrige Pflege und Förderung.^ Unter
den Studierenden befanden sich viele Deutsche.
In Ferrara gab es im 13. Jahrhundert berühmte Artisten-Schulen.
Sie wurden 1391 zu einer Universität vereinigt und gleichzeitig dafür
Sorge getragen, dass auch die Eechtswissenschaft und die Medidn ver-
treten waren. Im J. 1474 lehrten an der dortigen Hochschule 51 Pro-
fessoren, darunter auch mehrere Mediciner.
Turin erhielt 1405 und Catania 1445 eine Hochschule. Auch in
Parma, Cremona, Lucca und anderen Städten Italiens wurde während
des Mittelalters zeitweilig Unterricht in einzelnen Wissenschaften, z. B.
in der Rechtskunde und Medidn, ertheilt, ohne dass sich jedoch dort
ein mit gesetzlichen Privilegien ausgestattetes regelrechtes Universitäts-
studium entwickelte.
Die ältesten Hochschulen in Frankreich.
In Prankreich entstanden in jener Periode eine grosse Anzahl von
Hochschulen. 2 In Orleans, Angers und Eheims gab es schon im
* Alf. Corradi in den Meniorie e documenti per la storia delF universitH
di Pavia, Pavia 1878, J, 99—145.
* £. Pasquieb: Kechcrehes de la France, Pans 1688, p. 888 u. ff.
£6 cfK^leyi HöehnchläM th t^nkrmdk.
im
liJahrhimdart oder noch früher besucht« ReclitsschuleB« welche später
m riüversität^Mi erklärt wurden. Sie waren bemühty fremde Stndierende
4nhiii zn ziehen und gewährten ihnen aus diesem Grunde manche
Vfirra-bte, 80 hatten die Studenten aus Deutschland in Orhuins ihre
i re Gericht^t^arkeit und freien Eintritt in das Theater und wurden
•iijjr rntrf*rschied der Geburt wie Adelige behandelt J
Der Unterricht in der Medicin wurde dort nur ausnahmsweise fr-
tbedt und erlangte niemals besundere Bedeutung. Angers hatte z. B.
i J. 1302 unter 44 Lehrern nur einen einzigen, welcher Heilkunde
rortrog. Ähnlich stand es in Toulouse, wo 1229 ein Sfudium ijmercde
^^pxinAel wurde. Ebensowenig wurde die Medicin an den Hoehschulen
wAfignon, Cahors, Grenoble und Orange beachtet, welche im 14, Jahr-
Immlert errichtet wurden.'^
Eimebie derselben hatten niemals viele Studenten. Von Orange
|hf, wie GnLKiT^ erzählt, der Witz, dass die gesammte rniversität
BOT ^m drei Pei^**nen bestehe, nfinilieh dem Rector. dem Schreiber und
im Pedell.'
Auch die Hochschulen zu Perpi^an, Aix, Dole, Cat^n, Poitiers,
Valence, Lyon. Bordeatu, Bourges und Nantes, die bis zum 10* Jahr-
himdert entstanden, erlangten keine grössere Bedeutung.
Die Entwickelung der politischen und socialen Verhältnisse Frank-
»ichs brachte es mit sieh, dass die kleinen Provinzial-Universitäten in
il«n Hintergrund gedrangt, wurden durch Paris, welches den Mittelpunkt
üllw L^' Lebens bildete.
h i\ersitiit entstand durch die Vereinigung der von einander
ttnabhängigen höheren Schulen zu Paris, in welchen schon im 12. Jahr-
hundert die Rechtskunde, die Medicin und mehrere andere Wisseu-
Achaften gelehrt wurden. Über die Einrichtungen derselben und die
Stadien, welche in ihnen gepflegt wurden, hat Johann von Saubbüry
^enanere Nachrichten hinterlassen. '
Es ist nicht bekannt, wie es kam, dass die Lehrer derselben Dis-
ctplin sich an einander anschlössen und einen Verband bildeten. Wahr-
scheinlich geschah dies i. J. 1209 aut Veranla^^sung des Pabstes Inno-
66m III. , welcher den Meistern der verschiedenen Wissenschaften bo-
lUiI, «ich Gesetze zu geben. ^
' äAficnnr A. n. O. Bd. HI, S. 402 u. ff.
* G* Batlk: Le» m^decins d'Avigiioii, Avignon 18S2, p, 4a u. ff.
* V *'- rrni: Ulysäe« BelgicoGallkUB» Lui^d-Batar. 1691, p. 468»
$ARES8BRiEiiiH[8 : Met-jilog, , Üb. 11, c. 10, Ed. MigDe (Patrol. Int.
üd. Vj% \i, ötiTu
' A. F. Tr&it: Histoiro de ri^ucaliaii en France, Paris ld&8.
192
Ikf rmdieirdffjhf. OHliy&ftl im muääUer.
Im J. 1215 traten die Magistri der vier Disciplinen Ix^ü^Uäi
rurporatjonen* als Facultat^*n in unserem Sinne^ auf untl hatten i
besonderen Statuten J Ihre Vereiniwrung zu einer Univeri^itat erfa
jedoch erst 1254.
Xtben ihrer Einth«nlungr in die Facultaten bestand schon im
13. Jahrhundert zu Paris diejenige in vier Nationen, welche offenbir
den an den italienischen Universitäten vorhandenen Einrichtungen Dach-
gebildet wan Dieselbe scheint sogar auf die Verwaltung der Hooh-
schule grcjsseren Eiutluss ausgeübt zu haben, als die Scheidung d|^
Facoltäten. |
Das Studium der aries lUßeraim bildete die Vorstufe lu demjemgen
der Theologie, der Jurisprudenz und der iledicin, und die philosophiiKjh«
Faeultät dient-e den drei ülmgeü gleichsam als Grundlage*
Unter der „medicinischen Faeultät** verstand man nicht blos, wie
heut^ djis Lohrer-Cullegium der medicinisehen Schule, sondern die Zunft
der diplomirten Arzte zu Fans. Da Anfangs jeder geprüfte Arzt be-
rechtigt war, die Lehrthiitigkeit an der Hochs^chole auszuölien, so kg
es naht*, beide r'orponitiuuen zu id^-ntiliciren, umsomehr als in ihnen
baulig dieselben Personen die leitendt^ Rolk^ spielten.
Aber nicht jeder Arzt konnte und wollte zugleich als Lehrer »einer
KuuKt thfitig sein. Die iir/tliche «'orporation beschloss deshalb» all-
jährlich einige ihrer Alitgheder zum Lehramt tu deputiren. Üa^iselbe
verengte jedoch manche Kenntnisse und Fähigkeiten, wnlche nicht
Jeder besitzt, urnl es war daher selir naturlieh, dass sieh allraalig eine
Klasse von Ärzten entwickelte, welche die Lehrthätigkeit zu ihrem
Beruf machte. ^
Diese Verhäl misse müssen surgfallig berücksichtigt werden, w4|
man die damaligen Zustande der Universität Paris und des medicinisch«
Studiums an derselben richtig verstehen will Sie erklären die selbst-
standige Stellung der medicinisehen Faciiltät gegenüber der Universität^
den KmJluss der dem Lehramt fornstehenden Ärzte auf den medicinLächen
Unterricht und manche andere Thatsachen, welche in den historischen
f^berlieferfuigen seltsam und räthselhalt erscheinen.
Der Kector war auch in Paris ursprünglich das Haupt der Sehe*
laren-Oirporationen, der Xatiunen. Da ihre Mitglieder als Schülei
<»der als üraduirte zur philosophischen Faeultät gehörten oder in Be-
ziehungen standen, so machte es sich von selbst, dass er allmiilig dif
Leitung derselben erhielt. Die Faeultät der Artisten bildete abt*r de«
CTnindst4jck der gtinzen Universität: daher kam es, dass der lieotot
■ Bi:laei78: üiatona umvemtatifl Paneiensis, Pftrij \%^^ — TS« T. lll^ p. 81.
Die äUeatmi Hochsdiultn in Fhmkreieh.
193
aa deren Spitze trat Schon 12B0 galt er als Hanpt der ge-
Uuiversitat; nur die theologische Facultöt machte davon eine
Ausnahme: doch wurde sie in der Mitte des 14. Jahrhunderts ehenfallsi
Miier Aatoritut unterstellt.
Zum RecU)r konnfe nur Jemand erwählt werden, der einen aka-
tien Grad in der philosophischen Facultfrtj also eine Wissenschaft-
lle AllgemeinhÜdung besass* AUmalig entstand der Gebrauch, diese
ie einem Manne in hervorragender Lebensstellung zu übertragen,
bigweilen, wenn auch lucht immer, dem Lehrer-Collegium angehörte.
gleiche Einrichtung herrschte später auch an den Hochschulen zu
Wien» Prag n, a. 0,
Ein Dekan der medicinischen Facultät wird i. J. 1267 erwähnt;
war Petbus I^emonexsls. ^ Der Dekan wurde von der arztlichen
deren Yor^tand er war, gewählt. Er durfte, wenigstens in
spiteren Zeiten, die Lehrt hätigkeit nicht ausüben, damit die letztere
iMit diiioh die administrativen Geschäfte, welche ihm übertragen wurden,
vqnwritltoigt würde.
Die Lehrer der medicinischen Facultät schieden sich in diejenigen,
V ' 7,n Vorträgen verpflichtet waren und durch dieselben eine be-
(e Lücke im Studienplan ausfüllten, und in solche, welche aus
bdem Willen Vorlesungen hielten.
Die f*rsteren führten den Vorsitz Un Disputationen und feierhchen
öeiegenheiten und wurden DiKiorps «»der Magistri ariv regente^ genannt;
flire SteUimg entsprach ungefähr derjenigen unserer ordentlichen Pro-
fMonnL Die übrigen MitgbefbT «les Lehrkfirpers, die Dotiore^ non
m/mfen^ hatten keine Vei^pÖichtung zur Lehrthätigkeit und dafür auch
kauen Antheil an verschiedenen Vorrechten und Einnahmequellen,
irdche jenen vorbehaltt^n war^n.
Die I-^hrer der Hochschule unterrichteten gewöhnlich in ihren
Wohnungen. Die medicinische Facultät erhielt erst 1505 ein eigenes
Gebäude, Bm «lahin fiindon die Versammlungen derselben in der Kirche
im Mathurins oder im Dom zu Notre-Dame statt.
Über das numerische Verhältnis« der einzelnen Facultäten giebt
dw» Tbstfiache Aufechluss, dass es i, J. 1348 in Paris 32 Magistri der
Hj,..j....... i^ ^l^^ canonischen Rechts, 46 der Medicin und 514 der
OTT w gab. '
De la fkciuUe de medecioe de Paria im JoamAl des progrtß dea
i «!t InetitiitioDS oiiidicalee, Paris 1822.
ITcnii DxjrirtR a, a. 0. I, S. 123, dem ich diese Zahlen entnehme, sie
Dllicli ftlf rnjmites hält, »o widerspricht dies*' Annahme allen übrigen Ver-
UntMTkht.
_i^
18
Die Zahl der zum Collegium di^r krtte, alao zur medidnis
FueultHt zu Paris gehöronden Doktoren , betrug i. J. 1311 29, LJ,]
1395 31 und von 1391 — 1431 durchschnittlich 36, Als die EnglÄod^^r
1442 Paris iHdagerten, waren nur 10 bis 12 diplomirte Irrte in dfr
Stadt anwesentj; doch sehaarle sich um sie ein^ Menge von Schüler
welche unter ihrer Aufsicht die Praxis aasübten»
Auch später wuchs die medicinkche Facultät nicht in dem gteiri
Verhilltniss wie die Stadt Paris; denn l J. 1500 bestand die dortig«
raedicinische Facultat aus 72^ i, J. 156G aus 81, lt>26 aus 85, J63i
aus lUL 1GT5 ^ms 105 und 176H aus 148 Doktoren.^ Neben ihoea
existirten in Paris eine grosse Anzahl von Ärzten, welche zwar mr
Aut^übung der Praxis berechtigt waren, aber nicht den Doktor-I
erworben hatten und daher auch nicht Mitglieder der mediciniHC
Facultüt sein konnten, sowie von geprüften ('hirurgen und andern
Gesetz legitimirten Heilkundigen.
Die Organisation und die Einrichtunsren der Universität Paris
deten das Vorliild für die meisten H<>oh>;chijlen. welche in den folgen
Jahrhunderten in Deutschland, England und den übrigen Staaten
grüiidi^t wurden.
1
tm 1
Die übrigen Universitäten Europas im Mittelalter,
Die ältesten Universitäten Spanieos entJitanden wahrscheinlich nni
dem Einlluss der arabischen Traditionen.
In Palencia gab es schon zur Guthenzeit berühmte iSchülen: m
Heginn des \K Jahrhunderts errichtete .Ufons VIIU dort eine Um-
versitat, an welcher jedoch die medicinische Facnltät fehlte, Übripem
bastand die Hochschule nur kurze Zeit.
Die Universität Salamanca, welche von Ferdinand 111. i. J. 1243
gegründet wurde, entwickelte sich, wie es scheint^ aas einer IvJithednl-
»chulf. An ihr waren alle Fächer mit Ausnahme der Theologii», die
r^rst im 14. Jahrhundert hinzukam, vertreten. Den medicinischen Unter-
richt prtheillen Anftings nur zwei Lehrer^ wie dies auch an anderen
Hochschulen jener Zeit der Fall war. Salamanca erlangte einen Riit
der weil ülter die Grenzen Spaniens hinausreichte und wurde vom
Hiftib
A, Ki*niNU£ii: Paris im 13, Jahrhundert, Leipzig 1856. ^ J. C. HABincKt
i<!r(.4ioi hiKtonqii(*ä sitr la faculti* de modecine de Paris, 183^. i
Die äkfi^n Ummt*si(äim^ Europas im MiUdälter,
195
IhAmt Martin T. neben Bologna, Neapel nnd Paris zu einer der vier
tisleo Ui^ckscliulen iler Christenheit erklärt^
Geringere Bedeutung hatten die übrij^^en Universitiiten der iberisdieu
HBlbmsel. In Sevilla wurde vorzugHweLse das Studium der orienbilischen
S|iiach«n. hesonders des Arabischen, getrieben; die Hochschule diente
xttf Eniehang von Missionaren und wurde erst im Beginn des 16. Jahr-
bonderts mit den übrigen Pacultfiten au9ge.stattet.
Die Universität zn Lissabon wurde 1288 gestiftet, aber 1308 nach
Oaimbra verlegt Dieses Schicksal widerfuhr ihr noch mehrere Male:
n sie kam 1338 wieder nach Lissabon, 1354 wieder nach Cöimbra»
TT wieder nach Liiüsabon, und 1537 wieder nach Coimbra, Es macht
fiel den Eindruck, als ob die beiden Städte mit einantier einen Vertrag
gfiolilo?^en hätten, dass der Sitz der Universität zwischen ihnen un-
glMir alle 20 Jahre wechsele Es wurden an ihr alle Wissenschaften
feetehrt: doch bestand für die Heilkunde i, X 1400 nur eine einzige
lidurfeanzel.
Spanien erhielt aussenlem um 1260 in Valladolid, i. J. 1300 zu
UMBj 1354 zu Huescs, 1411 zu Valencia, 1446 zu Gcrona (?), 1450
an Barcelona. 1474 zu Saragossa, um 1480 zu Si^^ienza, 1482 zu
Avila, 1483 in Palma, und 1499 zu Alcala Universitriten. An einigen
Ton ihnen fehlte die medidnische Faciiltät.
Die spanischen Universitäten schienen durch die politischen Er-
.sse wie durch die geographische Lage ihres Landes vorzugsweise
in der grossen Aufgabe berufen zu sein, die arabische Cultnr dem
ichen Europa zu übermitteln, und durften hoffen, dass sie in
der Anregungen, welcho sie aus dem ihnen übergebenen reichen
Wiasensscbatz ihrer semitischen Vorgänger erhielten, flurch lange Zeit
änt niÄSSgt*hende Rolle unter den höheren Unterriclitsanstalten behaupten
wÄfd^n» Wenn sie gleichwohl keinen nachhaltigen Einlluss auf die
EntWickelung der Wissenschaften ausübten und nach einer kurzen
Bl&lht»periode, welche wie ein treunrlhchpr Lichtschimmer die (teschichte
des 16. Jahrhund<Tt« verklärt^ in einen Zustand geistiger Erstarrung
Tersanben, der ihnen die Fähigkeit selbstständiger Bewegung nahm^ so
liegt die Schuld an dem politischen und religiösen Dnick, welcher hier
eine bebjjiellose Höhe erreichte. Seihst in den schlimmsten Zeiten der
DeffM^lJe and des Aberglaul»ens hat es dort an frischen Blüthen des
fijstigefn Lehens nicht gefehlt; aber sie wurden zertreten und kunnten
nur JtiiT Reife gedeihen, wenn sie dem heimischen Boden entzogen
V,iicj^ FütijfTK: iliätoria de las umveraidadesen£spaJt% Madrid iaS4,d&,$Bde.
13^
196
JDer mediamiBeke IMemehi im MütäaUst.
Dio alten englischen Universitäten zu Oxford und Cambridge
wickelten sich allmrüig au.s den Schulen, welche schon im 12. Ji
hundert dort existirten.^ Es lasst sieh nicht bestimmen, wann m
Charakter von Hochschulen annahmen. In den ersten Dec^innien
13. Juhrhonderts erscheinen 8ie bereits als organisirte akadem:
Kurperschaften, als l^niversitiit«n.
Die Heilkunde wurde in diesen Studienanstalten neben andi
Wissenschaften zwar auch gelehrt, aber nur als ein Theil der all
meinen philüsophisehen Ausbildung:. Für diesen Zweck genügte
Lehrer dieser Disciplin, welcher den Schülern die wichtigsten Thatisi
derselben mittheilte. Ähnliche Verhältnisse herrschten an der B
schule zu 8t Andrews, welche 1411, ai Glasgow, die 1450, und A
deen, welche 1494 gegründet wurde.
Auf deutschem Boden wurde die erste Universität i* J, 1348
Prag, der Residenz iles Kaisers Carl lY, errichtet. Ein wohlwollend^
Freund und Gönner aller wissenschaftltcliefi und künstleri«chen
strebun^'en, war derselbe eifrie: bemüht» die Linterthanen sein i' n
namentlich aber seines böhmischen Krblandes, mit ilen Yuit ; li
italienischen und französischen Cultur bekannt zu machen. Xm
Ci runde schuf er in seiner Hauptstadt ein Studium f/meralr, welche«
narh dem Muster der Pariser Hochschule einrichtete.
Dasselbe enthielt sämmtliohe vier Facultäten, und den Profei»jrBii
wurden feste Hesoldungeu angewiesen. Die Studierende» wurden wie
in Paris und liolugua in vier Nationen ein^'etheiltj uamlich in «lle
bohmistüiei bayerische, sÄchsisehe und polnische. An ihrer Spitze ütaod
der Reetor, welcher zum KlnruSj aber nicht zu einem yeistlicheo Orden
gehören, d. h* eine d<'r niederen Weihen besitzen, mindestens 25 Jahre
alt, und legitimer Herkunft sein und ein tadelloses I^l)€n gefiitot
haben rausste.* Es konnten zu dieser Würde auch Studierende gl»
wühlt werden.
Die oberste Aufsicht über die Universität wurde dem Erzbisehof
von Prag übertragen, also einem hohen (Teistlichen, wie dies zu jener
Zeit bereits an vielen Hochschulen üblich war.
Die Universität Prag hob sich sehr rasch, Schon BbubsCb m
Waitmuel, ein Schriftsteller des 14. Jahrhunderte, sagte» das« „tl
k<inem Ort in Deutschland die Wissenschaften solche 8i>rgsame Pflep
fanden, wie in Prag, und dass dorthin Studierende aus England nnci
* H. C. Maxwell Lytk: A history of the ujiivcrsity of Oxford froni th<
«•Arliest timea to 1530, London 1886. — James Bahs MuLUsruicit: The niiiv«mty
of Cambridge (reicht bis z. J. 1535), Cambridge 1873.
* W. Tomek: GeMhichte der Frager UniverBität Prag 184«.
Dk ithfigm i'mversitäien Europofi im MitteMter,
197
Frankreicb« der Lombardei, aas Ungarn, Polen und den angrenzenden
Landern kain^n, unter ihnen Söhne von Adeligen und Fürsten und
üe Prälat^en aus den verschiedenen Theilen der Welt,"^
Wt^nn auch die AngalM^u niier die Zahl der Student-en, welche die
Hodidchnle damals zahlt«, übertrieben,^ jedenfalls aber sehr nnyerläss-
lich stnd^ 90 lässt sich doch annehmen, dass dieselbe nicht unliedeutend
umr. Jm J, 1372 constituirte sich die juristische FMcultät aLs besondere
UniTefnätät und wählte ihren eigenen Eector; sie bestand damals aus
37 Mitgliedern der böhmischen, 48 der bayerischen, 41 der polnischen
nsd 29 der sachsischen Nation.
I>a6 medicinidche Studium fand keineswegs die gebührende Be-
rück^chtjgung; es wurde durch einen oder hfichstens zwei Lehrer ver-
Irelen« Als die ersten werden Xicölat^; uy, Kevtcka, Balthasar dr
TuBtiA tmd Waltheb genannt.
Die nationalen und religiösen iStreitigkeiten, welche später in Prag
sosbrachen, hatten die Folge, dass viel fremde Studierende die rlortige
ÜBiTersitat Terliessen and die Studien vernachlässigt wurden. Damit
beganii ihr Verfall, der auf dem Gi'liiete der Mniücin am Schluss des
15, Jahrhunderts bereits ziemlich deutlich zu Tage trat.
Die Wiener Universität wurde 13tj5 gestiftet, trat aber eigentlich
1385 ins Leben. Sie wurdt» nach dem Vorbild der Pariser Hoeh-
höle organisirt. Wie dort, schieden sich auch hier die Mitgheder
elben in vier Nationen, an deren Spitze Procumtoren standen, welche
den Roctor wählten. Das Haupt der ganzen Universität war der
»r, welcher ^lieaelbe nach auasen vertrat und dit^ Gerichtsbarkeit
Bbti^. Das Amt des Kanzlei-s bekleidete der Probst der St. Stidans-
Kkehi,
IHe medlcinische Faeultät biMete die Vereinigung der diplomirh*ii
Arne; ihr Vorstand, der Dekan, wurde von ihnen gewählt. Zur Lehr-
ibitigkeit waren sie sämmtlich berechtigt; doch übten nur Einzelne
dieai^lhe aus und zwar selten mehr als 0 bis 8,^ Die DmioreR rcqmt^^
erhi^dt^n bestimmte Besohluniri'n. Die ersten Lehrer der Mediein wan^n
msiriFLE a. a. 0. I, S. 6O0.
^DwTiÄch »on es in Prag damals 30 000 Studeutt^o gegeben hnbeu; vun
BolOgntL. Oxfortl und Löwen existiren ähnliche Berichte. Wahrscheinlich rechnete
mtsi äsLxa nicht blos die Studenten und S*-hülitr, welche fiir die Univeraitäts^
atudi^n vorher»»» t4?f wurden, aouderu auch alle Jene, welche in früheren Jährten
^ die Beamten und Handwerker, die zu dej Hochschule
iiigeu standen, Veri^l. Paiuse» in SYBer/n hiiitor. Zeit-
?. l»»l, Bd. if>, 8. 2tit n. ff.
' J. Ajchba<*m: Oescliiehte der Wiener Universität, Wien ixf'^'^ T S M26.
198 Der medidniache Uriterrichi im 3fütelaUer.
Johann Gtallici aus Breslau, Hebmann Lurcz aus Nürnberg, Her-
mann VON Treysa aus Hessen, Conrad von Sghiverstadt und Martin
VON Wallsee.
Im J. 1364 gründete König Kasimir von Polen in Krakau eine
HoGhschule, an welcher zwei Lehrkanzeln für die Heilkunde bestimmt
wurden. Doch wurden diese Pläne erst i. J. 1400 verwirklicht Auch
für Kulm wurde 1387 ein päbstlieher Stiftungsbrief erwirkt; aber die
Universität scheint nicht ins Leben getreten zu sein.
Die Universität Heidelberg entstand 1386. Sie hatte Anfangs nur
vier Professuren für alle Facultäten. Der erste Lehrer der Medioin wurde
1390 angestellt Er blieb auch lange Zeit der einzige Vertreter dieser
Wissenschaft ^
In Köln a/fih. wurde 1388 eine Hochschule gestiftet, die einen
glänzenden Anfang nahm. Sie bestand bis z. J. 1798 und wurde erst
unter der französischen Herrschaft gleichzeitig mit den Universitäten
Trier und Mainz aufgehoben.
Die Erfurter Hochschule, welche schon 1379 die Rechte eines
Studium gefierale erhielt und jedenfalls seit 1392 als solches bestand,
erlangte im 15. Jahrhundert einen grossen Ruf, besonders durch ihre
Pflege der Rechtswissenschaften. Sie existirte bis 1816.
Die beiden ungarischen Hochschulen zu Fünfkirchen und Ofen,
welche im 14. Jahrhundert erricht<?t wurden, hatten nur eine kurze
Dauer; die letztere wurde am Schluss des 15. Jahrhunderts wieder-
hergestellt
Auch die Universität Würzburg existirte nach ihrer Gründung
i. J. 1403 nur 10 Jahre. Ihre Geschichte, die für die Heilkunde eine
ausserordentliche Bedeutung besitzt, beginnt eigentlich erst L J. 1582,
nachdem sie nach langer Pause wieder eröffnet worden war.
Im 15. Jahrhundert wurden femer die Universitäten zu Leipzig
(1409), Rostock (1419), Löwen (1426), Greifswald (1456), Freiburg i/Br.
(1457), Basel (1460), Trier und Ingolstadt (1472), Tübingen und Mainz
(1477), Upsala (1477), und Kopenhagen (1479) gestiftet*
Die medicinischen Studien spielten an diesen Hochschulen eine
bescheidene Rolle. Für den Unterricht in der Heilkunde waren selten
mehr als ein oder zwei Lehrer vorhanden, und häufig betrug auch die
Zahl der Schüler nicht viel mehr.
^ J. F. Hautz: Geschichte der Universität Heidelberg, Mannheim 1862, 2 Bde.
» Vergl. Paulsen in Sybel's histor. Zeitschr. 1881, Bd. 45, S. 266 u. ff.
Di© Bildimg der Ärzrte im Allgemeinen»
Die CniTersitäten des Mittrlalters waren andere Anstalten, als
der Cf^genwan. Die Begriöe, welche mit den Dingen ver-
en werden, wechseln mit der Zeit ebemso wie die Namen, mit
di^^ii man sie Itezeichnet.
Die Hochschulen jener Periode waren aber auch unter einander
ir verschieden, je nach d^v Zeit und dem Ort ihrer Entstehung:. Die-
.gen von Salerno und Montpellier erscheinen als medicinische Fach-
liuieiif an welche sich die übrigen Facultaten in ziemlich loser Weise
"angliederten.
Die Hochsohnlen in Bologna, Padua und anderen Orten Italiens
i^lachen wandernden Kolonien von Professoren und Studenten, welche
dort ihren Sitz aufschlugen, wo ihnen möglichst viele Freiheiten und
iürtbeile gewährt wurden; manche traten in Verbindung mit einer der
lilrcich*'n Kechtstfchulen, welche in vielen Städt*-^n seit langer Zeit
bestanden.
Die Universität Paris und die nach ihrem Vorbild eingerichteten
Hocb^^chulen Englands und Deutschlands machen den Eindruck Ton
philosophischen Facultaten, welche der Heilkunde neben anderen Wissen-
en einen Platz innerhalb des Kahmenjs ihre;? Studienplans ge-
en; an einzelnen derselben, wie in Paris, Wien, Prag^ Basel und
Jt^ren Orten^ stand der medicinische Unterricht in engem Zusammen-
mit der ärztlichen Zunft, wie dies ursprünglich auch an den
ftltettteu mcdicinischen Schulen zu Salerno und Montpellier der Fall
wtkT. Ww die Handwerker und Künstler in ihren Gilden, so nahmen
ch die Meister der Heilkunst das Recht in Anspruch, in ihren Ver-
imlungen zu besutimmen, in welcher Weise sie gelehrt werd*^n sollte
Q&d wej: da<4 zur selbstständigen Ausübung derselben erforderliche
Wiflien besitze.
Auch an ikn übrigen Hochschulen bedeuteten die medicinischen
f^iütaien etwas Anderes, als heut; denn sie boten in jener Zeit keine
V- " ' '' : i -che Ausbildung, sondern nur die auf der Literatur
h^ Grundlage dazu, und überliessen es den 8tudie-
reoden^ tdch j^pfiter unter der Anleitung eines praktischen Arztes oder
in Krank' ' n« ilie erforderlichen praktischen Kenntnisse in iler
HeilktUHt rben. Dadurch wurde der Schwerpunkt der ärztlichen
Erziehung aus der Faeultät und damit zugleich auch aus der Univer*
sitÄt verlegt, wie dies namentlich in England geschah, während in
DeutsrhlaniL wo es hfiufie an den nijtb wendigen Anstalten fehlte und
die Mittel dürftig und lieschrankt waron, die praktische Ausbilelaog i
Ärzte alHThaiipt vernacblüssis^t wurde.
Im Allgemoim^n gestaltet« sich <ior Gaiij^ der medicinischen Stud
durch Gewohnheit sowohl wie durch i^esetzliche Verordnungen an
versehiedenen Huchschulon ziemlich gleichartig. Die Vorat
derselben liiMet*' der Bi'sitz einer allgemeinen wissen^icbatllicheii
bildung, widehe die Unterriehtsgegenstände iimfasste, die an den Klo
und Domsehulen, some an den Stadtschulen gelehrt wunlen. \V<
diese höheren rnterricht.^austalten in Städten existirten, in weld
später Lini\ersitrit**n errichtet wurd»*n, so wurden sie den letzteren
Terleibt, wie in Paris, Prag, \\'ien u. a. 0* Daher kam es, ilas»
Studierende an der Universität selbst die zu ihren ^späteren FachÄtmtlaT
erforderliche Vorbildung erwarben, indem die philosophischen F^ieultaM
gleichsam die Stelle unserer Gvmnasien vertraten. Diesem Einriohti
erhielt sich an den nsterreichischen Hochschulen in der Form
beiden philosophischen Jahrgänge, welche vor dem Be>ginu der nm
cinischen Studien absolvirt werden mussten» bis 2, .1, 1848 und \mt4
an den englischen Hoehschuleii in modiücirter Form noch heut.
Schon Kaiser Frirdrich IL lielahl, wie envalnit, dass dem iiegimi
der medieinischen Studien eine allgemeine wissenschaftliche Au^bildai||
vorausgehe, auf welche drei Jahre verwendet werden sollten. Albnlhf
wurde es an den meisten Hochscliulen üblich, da^^ die Studierende^
bevor sie das meilicintsche Studium begannen, m caiihiiM graduirttfl
jedenfalls aber durch einige Jahre Vorlesungen an dfT philosophischfn
Facultät horten* In Paris konnten sie nach einem zwe^ähngen iiesQ
derselben das Baccalaureat, nach einem 3 V, jährigen die Lioenz
das Magist eriam der Philosophie erlangen,*
Die Studienzeit der Mediciner dauerte vier oder fünf Jahre, kon
al>er um ein halbes oder ganzes Jahr abgi^kürzt werden, wenn der l
diereuile einen akademischen Grad in der philosophischen Faeultfrt
besass. Sie zertiel in zwei Abschnitte, deren erster die ersten zwei
oder lirei Studienjahre umfasste und mit dem Bäooslaureats-Gxameo
Iiteohlo9ar während der zweite sich aus den beiden letzten Studienjahren
znimmmensetzte und mit der Licenz zur Praxis sein Ende fand.
Der medicinische Unterricht l>estand hauptsächlich in theoretii
Vorträgen, Uenselhen wurden die medieinis^^hen Schriften der AMi
und ihrer arabischen and italienischen Commentatoren zu Grunde gele
Der Lehrer knüptle an die Lektüre dieser Bücher fachmännische
klamngen und Erzählungen aus seiner eigenen Praxis. Gewöhn!
L. Hakk: Du« ITnterrichtBweBeo in Frankreich^ Breslau 184S,
Die Bildung der Ärxit im AUgemeinen.
201
wnrdcii dfe versebiedenen ünt^rrichtsgegenstände unter den Lehrern
derartiist vertheilt^ dass ein einzelnes Thema in abeftnundeter Weise
%< ■ II \\Tirde, 2. B, die Anatomie, die Fieberlehre, der Äderlass,
diL i.*... ai% die Anneimittellehre, die specielle Pathcdogio, die Chirurgie
0. «, m. Die Auditorien, welche in bildliehen Darstellungen jener Zeit
Dh**ir»en,^ /,<Mgen den Lehrer auf erhöhtem Sitz, wie er seinen Scliülem.
fidrh auf Bänken niedergelassen haben oder in seiner Nahe stehen,
aus einem dickleibigen Buche vorliest, währeiul diesellien seine Worte
jiachsrhreibitn,
Ff^er den Inhalt der medicinischen Vorlesnnj^^en giebt ein Studien-
|»lan der medieinischen Facultät zu Leipzig uns dem Ende des 15. Jahr-
hmiderts genauen Aufechluss, Darin wurde bestimmt,* dass die erste
Tdrldstmy- im Winter um 7 Uhr, im Sommer um H Uhr früh beginne
und über die theoretische Medicin handele. Es \vurden auf diesen
(kgenstand drei Jahre rerwendet und zwar der Art, dass den Vor-
Ien im ersten Jahre der erste Canon des Avtcenxa mit den Er-
rangen des jAcoBüt? FoR<>LiviENsLs, im zweiten die m-^ pann des
Galek mit dem Commentar des TnrsiANrs und im dritten die Apho-
tismen des Hippokeates nebst den djizu gehörigen Bemerkungen Galen's
ab Richtsiichnur dienten. Um 1 Uhr Nm^miitUgs fanden die Vor-
teungen über die praktische Medicin statt, welche ebenfalls einen Cursus
fun drei Jahren in Anspruch nahmen. Dabei wurde im ersten Jahre
das 9. Buch des Liber mediemalis ad Almnnsnrem des Khazes, welches
dtö Pathologie enthält, mit den Bemerkungen des Joh. ABcriiAKiTB;
im zweiten die Fieberlehre und im dritten die allgemeine Therapie
oadi d^m Canon des Avicek^*a mit den Erklärungen des Dino de if abbo
ILA» zu Grunde gelegt.
Ne1)en diesen ordentlichen Vorlesungen ^ welche die angestellten
Prufessoreu abhielten, behandelten einzelne znr medicinischen Facultat
gehr)rige Doktoren in ausserordentlichen Collegien besondere Themata,
die sie freiwillig wählten, z, B, die Prognostik des Hippokbates,
Ähnlich war der Lehrplim, welchen der Professor an der medici-
nischen Facultat zu Wien, Martin Staikpeis, i. J, 1520 den Studie-
Cod. Galeni Dreod., No. 92, foL 20^ m\ 39'. 29e^ No. 98. foi 587'. eOS**.
Miucrx St. Mabc: LV^eole de Balerue, Paria 1S80 (Vignette). — Lacicou:
'•t lettres au moyeD-age, f*aria 1877. — L. Gkioer: Renaissance and
rs Berlin 1862, S. 408 (naeh einem Deckengemälde des Lauretitiii^
iiK.
■F. Zabxcks: Die Statutenbücher der Universititt Leipzig, 1861, S, 88,
202 Der medicinisdie Unterricht im Mittelalter.
renden empfahl ^ Er zählt in seinem Buch die medicinischen Schriften
auf, welche sie lesen sollten, und zwar nach ihrem Inhalt so geordnet^
dass sie in ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge geeignet erscheinen, den
Studierenden allmälig mit den einzelnen Theilen der Heilkunde bekannt
zu machen. Unter ihnen werden die wichtigsten medicinischen Autoren
des Alterthums und der Araber und ihre Erklärer, sowie eine Anzahl
italienischer Ärzte, deren Werke damals eine grössere Verbreitung erlangt
hatten, genannt
Staixpeis erörtert dabei den Nutzen dieser Lektüre für den künf-
tigen Arzt und giebt den Rath, dass immer mehrere Schüler zusammen
studieren sollen, damit sie einander gegenseitig über Dinge, welche dem
einen von ihnen unklar sind, belehren können. „Vor dem Schlafen-
gehen muss jeder Schüler Das, was er am Tage gelernt hat, wie ein
Ochs wiederkäuen (fol. XVII)." Auf diese Weise vergingen die ersten
drei Jahre der medicinischen Studienzeit
Während der zweiten Hälfte derselben, also nach der Erlangung
des Baccalaureats, beschäftigten sich die Studierenden der Medicin damit^
Vorlegungen über einzelne Gegenstände zu hören, an den Disputationen,
welche allwöchentlich unter Aufsicht der Professoren stattfanden, Theil
zu nehmen, anatomischen Zergliederungen beizuwohnen. Hospitaler zu
besuchen und die praktische Behandlung der Krankheiten kennen zu
lernen.
Die Disputationen, welche schon in den Schulen der latrosophisten
des Alterthums üblich waren, und auch von den Arabern eifirig ge-
trieben wurden, bildeten einen wesentlichen Bestandtheil des medici-
nischen Unterrichts. Sie entsprachen der ganzen Erziehungsmethode
der scholastischen Periode, welche mehr in der dialektischen Gewandtheit
als in der Tiefe des Wissens, mehr in der todten Schulgelehrsamkeit
als in der praktischen Tüchtigkeit, welche das Leben fordert, ihr Ziel
suchte. Im Grunde genommen dienten die Disputationen als eine
nützliche Ergänzung der theoretischen Vorlesungen; denn sie boten
den Schülern Gelegenheit, zu zeigen, ob und wie sie den Inhalt der-
selben in sich aufgenommen hatten.
Sie waren somit gleichsam Prüfungen, welche die Studierenden in
Gegenwart ihrer Lehrer und Mitschüler ablegten. Die Lernenden
wurden dadurch auf Lücken ihres Wissens und die Lehrenden auf
Mängel des Unterrichts aufmerksam gemacht Leider entarteten diese
^ Martin Stainpei8: Liber de modo studendi seu legendi in medieina, Vienn.
1520, f. VII u. ff. — A. V. Rosas: Geschichte der Wiener Hochschule u. bes. der
med. Facultät, Wien 1843, I, 149 u. ff.
Der UfUerrieht in dfr AneUotfm,
203
häutig in hohle Redeübun^en, welche nicht die Sache
fiirdwleo, sondern nur «üe persönliche Eitelkeit befnedii^'km. Die jungen
ente „pmhlen ih\m mit Hippokrates und Galen, grhraiichen iinge-
iche Worte und hringen überall ihre Aphommen an*\ sagte
JtlllAXN VliN SaUSBüHY.
Die Baccalaiireen waren aussenloüi verpflichtft, die jungen Studie-
aden zu unterrichten, indem sie ihnen Atischnitte aus den medicini-
b^D Schriften der alten Auti/ren übersetzten and erklärten und Vor-
über einzelne Tlieile der Heilkunde hielU^'n. Die Gewobnheit
auch hier bestimmte Regeln; so wurde es in Paris eingefülirt^
iiam über die Aphorismen des Hiiuhikrates 50, über d^ Buch de
'^« 3U« über ilie akuten Krankheiten 38, über iUe Prognostik
•sh V.>rlesungen stattfanden,^ Es unterliegt keinem Zweifel dass diese
l ntarrirhbimethüfie lür die Studierend»'« manche Vurtheile hatte. Die
J*^iiten^ welche sie «päter in ihren Schulen anwendeten, verdankten
ihr «im grossen TheUe die Lehrerfolue. die sie erzielten.
Der Unterricht in der Anatomie.
Der medicinisehe Unterricht an den Universitäten trug also im
Wesentlichen einen theoretischen Charnkter; nur auf einzelnen Gebieten
«nirden Versuche gemacht, denselben mit praktischen Demonstrationen
m verbinden. So wurde die Anatomie zwar hauptsächlich nach Büchern
^U^hrty aber durch Zeichnungen und Abbildungen, durch die Betrach»
mng lebender Körper und die Zergliederung todter Thiere und Menschen
t'rlfiiitert
Leider haben sich nur wenige anatomische Zeichnungen aus jener
irit t^r halten, Hknri de Monheville, welcher zuerst Professor in Mont-
pellier und «päter Leibarzt Philipps des Schönen (1285 — 1314) von
Frankreich war, gab seiner Anatomie 13 Abbildungen bei, wie Guy
Ti>x ('HAiTLiAt^ berichtet. 2 Die königliche Bibliothek zu Berlin besitzt
dm CuUetfienhtift einus Studenten, welcher i, J. 1304 die Vorlesungen
(leiHi^lben naohgeÄchrielien hat; am Hände betuiden sich rohe Feder-
z HD, denen H. de MoKBEViLiiE's Abbildungen wahrscheinlich
->. fiienten.
EiB Pergament-Codex aus dem Anfang des 15. Jahrliunderta^
welcher in der königlichen Bibliothek zu Dresden aufbewaJirt. wijd,i
eathfilt loitiuleii mit AbbildiiTigt*n, welche Towinge aus dem är/^ '
Leben. diirunkT aiicli mehiTre aiiatiimische Demonstrationen, dai
Aus dfnsellien scheint hervorzugehen, dass beim Unterricht
Personen vorgestellt wurden, an denen die einzplnen Theile des* mi n&th-
liehen Körpei^s g«*zeigt und erläutert wurden. Vielleicht wurden tili
inneren Organe durch Umrisse auf der äusseren Haut gezeichnet? —
Das gebnuichlicbste Hilfsmittel des anatomisehei] Unterrichts bil*
deten die Zergliederungen von Thieren, In Salerao benutzte man im.
vorzugsweise Schweine; an anderen Hochschulen ahmte man dim
Beispiet nach* Ff^rnt»r wurden auch Biiren, Affen, namentlich »bet
Hunde zu diesem Zweck verwendet.- In den Rechnungen der medi-
cinischen Facultaten jener Zeit spielte daher der Ankauf von Schweinea
imd anderen Thieren zu anatnmi^ohen l'ntersuchungcn bisweilen ki
unbedeutende KolU'. Die Zergliederungen thierischer Korper büel
auch gebräuchlich, nachdem die Sektionen menschlicher Leichen
stattet worden waren, da sich nur sehr selten die Gelegenheit zur Vor
nähme derselben bot.
In den ersten Jahrhunderten des Mittelalters wurden sie d\mk
dir religi*>SLii und politischen Gesetze ebenso wie durch die socialen
Vorurtbeile vi^rhindert. Es scheint* dass die Arzte jener Zeit die«i^
wichtige Mittel der medicinjschen AusliUdung auch nicht entl>ehrten;
denn das anatomische Wissen Galjin's und seiner Erklärer genügte
ihneo, umi ein Bediirfniss zu Si4bststandigen Forschungen war nicht
vorbanden. Die verstandigen Ante verkannten freilich niemals, welche
Bedeutung die Anatumie für die Medicin besitzt;* aber erst im IS. und
14. Jahrhundert gelang es, die Hindernisse zu beseitigen, welche im
Studium derselbt'ii erschwerten uder unmöglich machten.
Kaiser Friedrich IL ermahnte die Studierenden von Salerno, sich
' Cod. Galeni No. 92. 93 mit dem Commentar des Nicol. v. Beggio, No. 92,
fo). n\ 2Ö". 34**. bQ\ r)9*, H3''. UK 96 ^ 109'. 151', 1Ö8\ lß4^ 169^ ITT».
304*. — L. Choittlant: Geschichte uiid Bibliographie cl(?r anataiiiiseheTt Abbildang,
I^ipzig 1S.52, S, 2.
• MoHTiiNO t de anatomia (matrida j. — Mag. EicharduB bei HAfi^Ka a. a, 0,
I, 8. 786. — J. Hthtl: Vergangenheit und Gegenwart des Modoutna für menBck^
liehe Anatomie an d. Wiener Universität^ Wien 1809, p. XIL
* So erkbirte Taddeo ALiJEüoTn i 12*^3 — 1303 )* däöä er über das Wesen der
Schwangerschaft iiieht genaue Auskunft geben könne» weil er leider niemals
Gelegenheit gehjilit habe^ eine Schwangere zu seciren. — A. Cobbadi: Dello
itudio e deU' m^segnümento delF anatomiu in Italia nel medio evo in Eendiconti
lel R. istit. LombariJü^ Milano 1873, sen II, vol. VI, p. 684.
der Aiiatotiiie m beschäftigen, niid Terordnete, dass kein Ghimrg
itr Ftaus zogelasscB werde, bevor er den Nachweis geliefert habe,
er «ich ein Jahr hindarch dem Studium der Anatomie gewidmet
Acf den Antrag des Maktiakls, Frotomedicus von Sicilien,
erüesi er i* J. 1238 den Befehl, dass alle fünf Jahn? in Gegenwart
d«r Ante «md Ohimrgen eine Leiche secirt werdet
In Bologna fanden wahrscheinlich schon im 13. Jahrhundert
Sektionen menschlicher Leichen statt Im J. 1302 wurde auf Befehl
Richters dort sogar eine gerichtsärztliche Sektion vorgenomjnen, da
»rdacht vorlag, dass ein Mann vergiftet worden sei; zu dieser
Untersuchung wurden 2 Ärzte und 3 Chirurgen hinzugezogen.
Aus der Schilderung dieses Ereignisses geht nicht hervor, dass es
Fall dieser Art war, isondern im Gegentheil, d^iss man in
Untersuchungen und der Beurtheihmg ihrer Ergebnisse bereits
Erfahrungen besass.^ Aus dem gleichen Grunde soll WiilHELM
Hauceto den Leichnam des Neffen des Marchese Pallavicini secirt
kaben. '
Der Minoriten-Mönch Sallmbeni erzählt, dass während einer Seuche,
<iie L J, 1286 in Italien wüthete, ein Arzt viele Leichen, deren Tod
dadurch herbeigeführt worden war, ötfneti^ um ilie Ursache des Leidens
zu ergründen. Während der grossen Pestepidemie von 1348 haben
iene Ärzte diesen Vei'such iremacht;* leider war das Resultat^
ehern sie dabei gelangten , nicht viel werth.
Man scheute sich auch nicht, die Leichen vornehmer Personen,
ndche fem von ihrer Heimath starben, durch Kochen und Maceration
fitr den Transport herzurichten. So erging es den Bischöfen, Fürsten
und adeligen Herren, die rait dem Heere Friedrich Barbarossa *s 1167
die Nähe von Rom kamen und dort einer Seuche erlagen/* und dem
selbst, als er im Flusse Saleph bei Jerusalem »Strunk. ^ Ebenso
machte man es mit der Leiche Ludwigs IX. von Frankreich, der 1270
W\ Tunis starb/ sowie mit derjenigen Philipps des Kühnen und seiner
(jcmablln. ^
* A, BüsnuiLAjevE: Precie de fhistoire de ranatoinie, Gawl 1840» p. 47.
' Mcnici n- a« 0. p. 5 u. if. 10.
* PücoÄCiTTi: Htoria della inedkina II, p&yts II, 351.
* A. ivaRRAiii: AnnttU delle epidemie in Itaha, Bologna pro a, 12S<1 u. 1348,
* G, H* Peätje: Monunu Welibrtvin ant in Script ler. German*, Uauhov.
littd, p. 41.
* BiOfKi»t«rnr8 Pethubcäo; Gesta regni Henrici II, iu Script, rer. Brit med.
London l»67, T. 40, Vol. H, p. 89.
^ Coiiium a. a, O, aimo 1270,
* MtriuToiif: Eer. Script, it. VIII, 861.
206 Der m^diciniscfie Unterricht im Mittelalter,
Pabst Bonifaz VIII. verbot dieses Verfahren i. J. 1300^ und nahm
damit der anatomischen Forschung, welche damals eben wieder begann,
ein Hilfsmittel, dessen Verlust ihr empfindlich war. Mondino schrieb,
dass gewisse Knochen nur deutlich zu erkennen seien, wenn sie durch
Kochen praparirt würden, dass er dies aber nicht thue, weil er sich
fürchte, eine Sünde zu begehen.* Sein Commentator Berengab von
Cakpi sagt ihm freilich nach, dass er dieser Sünde nicht immer
Widerstand geleistet und doch manchmal menschliche Knochen ge-
kocht habe.'
MoNDiNO, welcher in Bologna die Lehrthätigkeit ausübte, hat eine
grosse Anzahl von Leichen-Sektionen ausgeführt.* Er selbst erklärt
bei einer Gelegenheit, wo er über die Grössenverhältnisse des jung-
fräulichen, des in der Menstruation begriffenen und des schwangeren
Uterus spricht, dass er i. J. 1315 zwei weibliche Leichen zergliedert
habe. * Bei seinen Arbeiten sollen ihn sein Prosector Orro Aoenio aus
Lustrula und eine junge Dame, Alessandba Giltani aus Persiceto,
unterstützt haben. *^
Der praktische Unterricht an der Leiche wurde in vier Lektionen
beendet, wie Guy von Chauliac berichtet, welcher bei Bebtüccio,
einem Schüler Mondino's, gehört hatte. In der ersten Vorlesung wurden
die Organe der Ernährung, d. h. diejenigen der Bauchhöhle, „weil sie
am schnellsten der Verderbniss anheimfeilen," in der zweiten die membra
spirittuilia, also die der Brusthöhle, in der dritten die nrnnbra animata
(Gehirn) und in der vierten die Extremitäten besprochen.^
Um die Bänder, Knorpel, Gelenke, grösseren Nerven u. a. m. zu
sehen und zu studieren, wurden die Leichen längere Zeit an der Sonne
getrocknet, in die Erde vergraben, damit sie faulen, oder in fliessendes.
^ Decr. de sepulturis. S. auch Cobbadi: Dello studio doli auatomia a. a. 0.
p. 865.
* MoNDiNo: De anatomia auris. ' Comment. Bonon. 1521, f. 510.
* multotiesy wie Gxnr von Chaüuac in seiner Chirurgie (I, 1, 1) schreibt.
* MoNDiNo: de anatom. matrieis.
* Wenn Al. Macchiavelli (Effemeridi sacro-civili, Bologna 1786, p. 60 u. ff.)
von der letzteren erzählt, dass sie verstanden hätte, die Blutgefässe selbst in
ihren feinsten Verästelungen zu reinigen, ohne sie zu zerreissen, und sie dann
mit einer gefärbten Flüssigkeit gefüllt habe, welche nach der Gerinnung die
Form der Gef^sse deutlich wahrnehmen Hess, so wird diese Erzählung durch
keine älteren Autoren verbärgt. Es ist nicht recht wahrscheinlich, dass man zu
einer Zeit, da die Anatomie noch einen sehr niedrigen Standpunkt innehatte,
bereits die Kunst der G^f&ss-Injektion gekannt habe. Yergl. M. Medioi a. a. 0.
p. 28 u. ff:
' Guy v. Chaüliac: Chirurgia a. a. 0.
Der VnUrtkM m der Anatomie,
207
zmrfnl4*Q aoch in kocheirdes Wasser gelegt Manche Anatomen, wie
<ler Magister Kichardus, fanden eine derartige Behandlung des mensch-
ti*^n Körpers .^schrecklich*^ und zogen es deshiilb vor. die Anatomie
den Leibern von Thiereu zu lehren. Andere wird weniger die reii-
giw» Scheu, als der umstand^ dass sich nur selten liie (felegenheit zu
Sektionen naenschlicher Korper 1>ot, dazu veranlasst hMben,
Manche Ärzte verschati'ten sich die Leichen, wenn sie dieselben
nklit auf rechtmässige Weise erhalten konnten, durch Dit^bstiihL So
spielle h J, 1310 ein Prozess in Bologna, in welchem ein dortiger
Lilirer der Medicin und vier seiner Schüler angeklagt waren, die Leiche
mieB Gehenkten heimlich ans dem Grabe genommen zu haben, um
an seciren,' Derartige Falle mögen sich in jener Zeit ziemlich
ereignet haVjen. Man rechnete mit dieser Thatsache und Uess
dii» Leichen nehmen, weil man sie nicht gern geben wollte. ,,Die Be-
ginn die Entweihung der Gräber schwiegen", wie Corkabi sagt,^
Ine ilaas sie aufgehoben wurden, und man schritt nur dann ein.
wenn offenbare Gewalt angewendet oder grosses Ärgemiss gegeben
worden war**
Nur ganz allmaiig w^urden für die Vornahme der Sektionen mensch-
hchjer Leichname legale Formen gefunden. Der Senat Ton Venedig
Ti*r»)rdnet€ L J. 1308, dass alljährlich eine Sektion srattünde, damit sich
4ie Ärzte und ('hirurgen über die l^age der einzelnen Theile des Körpers
unterrichten könnten. ^^
Die Universität Montpellier erhielt 1376 das Kecht, alle Jahre die
Leiche eines Verbrechers, an ilem die Todesstrafe vollzogen worden
war, zu zergliedern,* und der Universität zu Lerida wurde 1391 das-
ibe Privilegium vom König Johann I. verliehen.^ Derselbe bestimmte,
tias® die Stdiltobrigkeit zu diesem Zweck den Leichnam eines Verbrechers
liefere, welcher durch gewaltsames Untertaueben ins Wasser getödtet
worden war, damit der Körper völhg unversehrt erscheine.
Ferdinand der Katholische erlaubte den Ärzten und Chirurgen zu
?08sa, die Leichen der Personen, welche in dem dortigen Spital
g^tort»en waren, zu öffnen, wenn sie es für nützlich hielten,^ und der
Pabst ge^ttete die.s den Ärzten des Klosters della Guadelupe zu Estre-
madura.^ Die medicinische Facultät zu Tübioi^en erhielt vom Palast
» Mitwct a- a. O. jj. 3«, 42T u, ff. ' Cobradi a. a. n. p. 642.
* (*o1ltlA^r Ä. a. 0, p. 6H5. * Asrnrc a. a, 0. p, 32.
* O&muiK a, Ä, 0, IIL \:u. — Dkn^fle a. a. 0. L S. 50T.
* A. Fl» Motisjux: Hi^toria bibliografica de la niedicina espagfiolat Madrid
IMl, I, 252.
* \liif*r»'»v fi n (y II i?'» Leider sa^t er nicht, wann dies ^escheheii \**i
208 Der inedicinischc Unterricht im Mittelalter,
Sixtus IV. L J. 1482 das Recht, die Leichname von hingerichteten
Verbrechern zu seciren.^
In den Statuten der Universität Bologna v. J. 1405 wurde an-
geordnet, „dass sich kein Doktor oder Student der Medicin, überhaupt
Niemand eine Leiche aneignen dürfe ohne Erlaubniss des Rectors.'^
Wenn Sektionen unter der Leitung eines Professors statt&nden, so wurde
eine bestimmte Anzahl von Studierenden aufgefordert, denselben bei-
zuwohnen; bei der Zergliederung einer mannlichen Leiche durften nicht
mehr als 20, bei derjenigen einer weiblichen, weil dieselbe seltener
vorkam, nicht mehr als 30 Schüler anwesend sein, damit Jeder Alles
deutlich sehen konnte. Kein Student wurde zu diesen Demonstrationen
früher zugelassen, als nachdem er bereits zwei Jahre medicinische Vor-
lesungen gehört hatte.
Der Rector musste dafür sorgen, dass allmalig sämmtliche Medi-
ciner Gelegenheit erhielten, eine Leichensektion zu sehen, und dass bei
den Einladungen dazu die Mitglieder aller Scholaren-Corporationen die
gleiche Berücksichtigung erfuhren. Aus diesem Grunde wurde be-
stimmt, dass kein Student, welcher die Sektion eines männlichen Leich-
nams gesehen hatte, in demselben Jahre ein zweites Mal zu der gleichen
Demonstration hinzugezogen würde. War dies im folgenden Studien-
jahre geschehen, so wurde er überhaupt nicht mehr zu der Sektion
einer männlichen, sondern nur noch zu derjenigen einer weiblichen
Leiche eingeladen, so dass er während seiner Studienzeit im günstigsten
Falle der Zergliederung von zwei männlichen und einem weiblichen
Körper beiwohnen konnte.
Die Kosten, welche die Erwerbung, der Transport, die Herrichtung
und Bestattung der Leiche verursachte, mussten die anwesenden Stu-
dierenden tragen; doch durften sie bei einem männlichen Körper nicht
über 16, bei einem weiblichen nicht über 20 Bologneser Pfund be-
tragen. Von dieser Summe erhielt der Professor, welcher die Sektion
vollzog, 100 Solidi. Die Mitglieder des Lehrer-Collegiums lösten sich
in dieser Funktion ab; kein Lehrer durfte die Aufforderung der Stu-
dierenden, die Zergliederung einer Leiche vorzunehmen, ablehnen.*
Im J. 1442 wurde gesetzlich angeordnet, dass die Obrigkeit oder
die Gerichtsbehörden von Bologna der Universität alljährlich zwei
Leichen und zwar eine männliche und eine weibliche oder, wenn die
letztere nicht zu erlangen war, zwei männliche für anatomische Zer-
^ L. F. Fsoriep: Die anatomischen Anstalten zu Tübingen, Weimar 1811,
Beil. I, 14.
* Statut, deir uniy. di Bologna v. 1405, Rubr. 96, bei Cobradi: Dello studio
deir anat in Italia a. a. 0. p. 688 u. ff. 647.
grbpfipfUD^en liefern. Es war dabei nicht vorgeschrieben, dass sie von
hingi'nchtet«>n Verhrecheni stammen, sondern Ami Ermessen der Be-
It'f ' * i>si*n, sie zu bi'^ehaffen. auf welche Art, es möglich war
,'tf ßeri potmt}\ nnr «lurtten sie nicht von Personen her-
rühren* w*»lche in Uologna ihre Heimath hatten,* Ähnliche Verhältnisse
lieetanden in Ptwlua* Ferrara und Pi,<a.^
Im Allgemeinen ptlegtp man zu anatomischen Untersuchungen rlie
Körper ron Verbrechern zu verwenden, an welchen die Todesstrafe voll-
ifiC»-o worden war. Das Volk brtrac1itett% wie schon im Alterthum,
die Verstümmelung oder Zerschneidung des todten Leibes als rine Ent-
w<eihan^, welcher man höchstens Personen aussetzen durfte, die durch
fluchwürdige Verbrechen die allgemeine Verachtung auf sich geladen
hatten.
Ais die wissRuschaftlichen Bedürfnisse wuchsen, genügte diese Art,
das Leichenmaterial zu beschallen, nfcht, und man musste dasselbe
rn>ch auf anderen Wegen zu erwerben suchen. Aber auch dann hielt
man daran fe-st, dass zu diesem in der öttV-utlichcn Meinung entehrenden
Zweck nur die Leichen fremder oder, wenn einheimischer, doch nur
iolclier Personen venvendefc wurden, welche vun nii^derem Herkommen
Es war eine Ausnahme, wenn man in Pisa dazu auch die
todten Korper der Bürger dieser *Stadt, sowie der Studenten und Dok-
wenn es ihre Verwandten gestatteten, benutzte, und erklärt sich
iofat aus dem demokratischen (reist, welcher damals dort herrschte.*
^Ȋler und in weit geringerem Umfange als an den Hochschulen
Itilieti^ entwickelte sich der praktische Unterricht in «ler Anatomie an
«k« Universitäten der üljrigen Länder. In Paris begann man erst im
lö. Jahrhundert mit derartigen Demonstrationen. In Prag fanden seit
1460 anatomische Zergliederungen statt, nachdem die dortige medici-
nischi» Facultät durch Schenkung in den Besitz eines eigenen Hauses
gelangt war,* In Wien veranstaltete der von Padua dorthin berulene
ProfiKSor GAiiEAZZo DI S. Sofia i. J. 1404 die ersten anat^miischen
DiniaDstrationen, zu welchen ihm eine männliche Leiche geÜefert wurde.
Jäe geschahen im Burgerspital und dauerten acht Tage. Nach der
g derselben sammelte der Professor bei den Zuschauern Geld,
m die Kasse der Facultät Üoss.^ Es vergingen 12 Jahre, bi^
fii Diehttte ojfentliche anatomische Sektion stiittfand; dies geschah dann
> SCftfQt T. 1442, Rubr 19, bei CoREJkoi a. a. O, p. 043.
• Cüiuillii a. a. 0. p. 638.
• FAimoKi: Hist ncatl. Fiaan., FUa 1792, T. 11, 73,
• Htittl; Geschichte <I«^r Anatomie in Prag, 1841, S. 9.
• llrKVi.: Vergaügt'idieit und Ge^nwart a. %, O, B. VllL
Vnlefiithl
_M^
210 Der fnedicinisdie Unterricht im MittelaUer.
wieder 1418. Zu diesen Demonstrationen wurden Doktoren und Stu-
denten der Medicin, Chirurgen, Apotheker, Gelehrte und vornehme
Standespersonen eingeladen.
Im J. 1433 wurde ein besonderer Lector der Anatomie, Dr. Joh.
AiGEL aus Nürnberg, angestellt. Auf eine seltsame Weise wurde die
Facultat L J: 1440 in ihren Erwartungen einer anatomischen Sektion
getauscht. Es war ihr zu diesem Zweck der Körper eines Verbrechers,
welcher gehenkt worden war, übergeben worden; aber als man die
Zergliederung vornehmen wollte, kam derselbe wieder zum Leben. Er
wurde in Folge dessen begnadigt und in Begleitung des üniversitäts-
Pedells in seine Heimath Alt-Ötting in Bayern abgeschoben, wo er
später wegen neuer Verbrechen doch noch am Galgen starb.
Im J. 1452 wurde in Wien zum ersten Male eine weibliche Leiche
zergliedert; doch wurden dabei nur Ärzte und Chirurgen zugelassen.
Im 15. Jahrhundert fanden doH; ungefähr alle 8 Jahre einmal ana-
tomische Demonstrationen an der Leiche statt.
Die Statuten der medicinischen Facultat zu l'übingen v. J. 1497
bestimmen, dass alle 3 oder 4 Jahre eine menschliche Leiche öffentlich
zergliedert werde; ein Professor musste während dessen die Erklärung
dazu aus Mondino's Anatomie den Zuschauem vorlesen. Ähnlich ver-
fuhr man an anderen deutschen Hochschulen.
Es war unter solchen Verhältnissen kein Wunder, dass die ana-
tomische Wissenschaft in jener Periode keine sichtbaren Fortschritte
machte. Mondino's anatomisches Werk, welches seit den Zeiten des
Alterthums das erste war, dessen Verfasser menschliche Leichen zer-
gliedert hatte, befand sich trotzdem noch vollständig auf dem Stand-
punkte Galen's.
Auf teleologischer Grundlage ruhend, liefert es auf etwa 80 Seiten
eine ziemlich dürftige Beschreibung der Lage der einzelnen Theile des
Körpers, namentlich der Organe der drei grossen Körperhöhlen, und
ihres vermeintlichen Nutzens; von den Muskeln werden nur diejenigen
der Bauchwand ausführlicher beschrieben. Zahlreiche Bemerkungen
über Krankheiten und Operationen an einzelnen Körpertheilen, welche
in die Schilderung derselben eingestreut sind, weisen darauf hin, welchem
Zweck das Buch dienen sollte. Gleichwohl erlangte dasselbe ein ausser-
ordentliches Ansehen und bildete durch mehr als zwei Jahrhunderte
das beliebteste Lehrbuch der Anatomie.
Das anatomische Wissen erfuhr auch durch Guy von Chaxjliac,
Matthaeus de Gradibus, Peter von Argelata und ihre Nachfolger
keine bemerkenswerthen Bereicherungen. Die rohen Holzschnitte, welche
der Leipziger Professor Magnus Hundt seinem anatomischen Werk
Der Unterricht in der Arxneibereiiung und der ärxüiciien Praxis. 211
beigegeben hat, ^ werfen ein schlimmes Licht auf den Zustand der Ana-
tomie im 15. Jahrhundert
Auf einer höheren Stufe steiien die anatomischen Zeichnungen in
dem Werk des Johannes de Kbtham, weil sie zum Theil von tüchtigen
Künstlern, wie Bened. Montagna, herrühren.
Der Unterricht in der Arzneibereitung und der
ärztlichen Praxis.
Zum Studium der Arzneipflanzen bot sich in den Gärten, welche
bei vielen Klöstern bestanden, Gelegenheit. Auch manche Ärzte, wie
Uatthaeus Sylvaticus in Salerno und der Magister Walter in
Venedig, welchem der Senat zu diesem Zweck i. J. 1333 einen Platz
anwies,* legten derartige Gärten an. Aber die Universitäten besassen
in jener Zeit dieses werthvolle Lehrmittel noch nicht, und die Kennt-
niss der Arzneipflanzen wurde hauptsächlich durch den theoretischen
Unterricht und durch Bücher, welche manchmal mit botanischen Zeich-
nungen verziert waren, vermittelt.
Die Droguen und die Bereitung der Heilmittel lernten die Stu-
dierenden in den Apotheken kennen, die vom 13. Jahrhundert ab in
allen grösseren Städten entstanden. Stainpeis empfahl den Studenten
und jungen Ärzten, zu diesem Zweck oft die Apotheken zu besuchen.
Felix Platteb' erzählt, „dass er in Montpellier neben stetigem Stu-
dieren und Lektionen-Zuhören sich sehr übte in Präparationen von
allerlei Arznei, wohl aufeumerken in der Apotheke," und viele Kräuter
sammelte, die er „zierlich" in Papier einhüllte.
Die Apotheker bezogen einen grossen Theil der Uroguen von aus-
wärts, und es entwickelte sich in diesen Dingen im Mittelalter ein
reger Handel, der aus dem Orient über Italien führte.^ Ausser den
ArzneistoflFen hielten die Apotheken übrigens noch andere Artikel, ver-
schiedene Specereien, Gewürze, Wachskerzen, Papier, Zucker und Süssig-
keiten zum Verkauf; an vielen Orten, namentlich in Deutschland, übten
die Apotheker zugleich das Pfefi"erküchler-Handwerk aus und waren
» CHOULAirr a. a. O. S. 24. « Meyer a. a. 0. IV, 255.
• Plattkb a. a. 0. S. 151.
* W. Heyd: Geschichte des Levantehandels, Stuttgart 1879, II, 550 u. ff.
14»
212 Der niedicinische Unterrieht im Mittelalter.
verpflichtet, den Rathsherren der Stadt alljährlich in der Fastenzeit
allerlei Näschereien als Gaschenk zu übersenden.*
Über die Arzneistofle, welche damals in den Apotheken vorräthig
gehalten und am meisten gebraucht wurden, und deren Preise giebt
ein Vertrag v. J. 1424 Aufschluss, in welchem ein Apotheker sich ver-
pflichtet, die erforderlichen Medicamente für den herzoglichen Hof zu
Este zu liefern.^ Eine Bestätigung und Ergänzung erfahren diese
Mittheilungen durch die Angaben, die über den Inhalt einer Apotheke
zu Kosel in Schlesien i. J. 1417' und über die Drogaen und Medi-
camente, welche die Apotheker in Frankfurt a. M. i. J. 1450 verkauften,*
gemacht worden sind.
Von den Einrichtungen der Apotheken jener Zeit zeichnen einzelne
Abbildungen des oben erwähnten Dresdener Codex und verschiedener
medicinischer Incunabeln ein deutliches Bild.^
In Italien und Frankreich bildeten die Apotheker schon im 13. Jahr-
hundert Genossenschaften, die sich ihre eigenen Gesetze gaben und
streng darüber wachten, dass ihre Rechte nicht verletzt wurden.® In
Deutschland sollen die ersten Apotheken zu Wetzlar 1233, in Schweid-
nitz 1248, in Würzburg 1276, in Augsburg 1285, in Esslingen 1300
und in Frankfurt a. M. 1343 errichtet worden sein. Im 15. Jahr-
hundert besassen nicht blos alle grösseren Stadt«, sondern schon viele
mittlere und kleine Orte, wie z. B. Znaim, Pressburg, Krems, Budweis,
Olmütz, Brunn und Kuttenberg Apotheken.'
Die Ausbildung der Apotheker geschah handwerksmässig. ® Als
Lehrbücher dienten hauptsächlich die Werke des Nicolaus Mybepsos,
Nicolaus Praepositits, Christoph i>e Honestis, Saladin von Asculo,
QuiRicus DE AuGusTis u. A. Bcvor den Apothekern die Erlaubniss
zur Ausübung ihrer Thätigkeit ertheilt wurde, mussten sie sich einer
* A. Phiuppe: Geschichte der Apotheker, übers, v. H. LtT)wio, Jena 1859,
I, S. 87.
' A. CoRRADi: Su i documenti storici spett. alla medicina, chirurgia, fax-
maceatica, in Annal. oniv. di med., vol. 278, Milane 1885.
' Hensghel im Janus, Breslau 1847, II, 152.
* J. A. Flückioeb: Die Frankfurter Liste, Halle 1878.
» Cod. Galeni No. 92, fol. 181^ 182*. 193*. 265*. 266*. — Choulant in
Naümann's Arch. f. d. zeichnenden Künste, Leipzig 1855, Bd. I, 2, S. 264. —
H. Peters: Mittelalterliche Apotheken im Anzeiger des germ. Nationalmuseums,
Nürnberg 1885, Bd. I, H. 1/2. — A. Essenweik in d. Beil. z. Anz. d. germ. Nat,
Bd. I, No. 11/12.
* A. Gorradi: Gli antichi statuti degli speziali in Annali univ. di med^
Vol. 277, Milano 1886.
^ Stainpeis a. a. 0. f. 29. * Staikfeis a. a. O. f. 29 ^
Aar t\titmchi in der Arttmhereitimg unä der cttzUielmi /Vcwi>. 213
len, bei welcher ihre Meister tiiid einige Arzte die
Trafen stellten. Die Aufeicht über die Apotheken und ihre Visitationen
mirde Tun den Ärztin, in späterer Zeit überall von den 8t4idtärzten,
Wie der praktisehe Unterricht in der Heilmitte] lehre, so lag auch
«I ' ' Unterweisung in der Behandlung der Kranken ausser-
b. , ,i^aben, welche sich die Universitäten stellten* Aber man
darf dajnaus nicht etwa schliessen, das» die Studierenden jener Zeit
überhaupt keinen Unterricht am Ivrankenbett erhalten hätten» Nam-
hafte Hiskmker kamen zu dieser irrigen Meinungj weil in den Nach-
nchten, welche von der alteren Geschichte der Hochschulen und
ischen Facultäten handeln, darüber wenig oder gar nichts ge-
d.
Der praktische Untenicht in der Krankenbehandlung geschah un-
Ton den Universitäten, weil die letzteren nicht in Verbindung
'm mit Hospitälern.
Wenn der 8tu<lierende der Medicin das Baccalaureat^-Examen ah-
gelegt halte, so trachtete er, sich unter der Anb>itung seines Lehrer?,
tai rlem er die theoretischen Vorlesungen gehört hatte, uder eines an-
n erfahrenen Arztes in der medicinischen Praxis auszubilden. Er
beeleitet^e ihn zu diesem Zweck, wenn derselbe seine Patienten besuchte,
oder bemühte sich, in den Krankenhäusern die Gelegenheit zu erhalten,
flie Heilung <ler Leiden zu sehen und zu erlernen. Hatte er bereits
ige Kenntnisse auf diesem Gebiet erworben, so durfte er seinen
ister unterstützen und vertreten und unter dessen Aufsicht und
itwortung beginnen^ selbst die Kranken zu helmiideln.
Diese Methode der ärztlichen Ausbildung, welche der heutigen
gleicht, wimle schon in der medicinischen 4Studien»:irdnnng des Kaisers
Friedrich IL empfohlen. Die jungen Ärzte zu Salemo standen, wie
erwähnt, nach Beendigung der gesetzlichen Studienzeit noch ein volles
Jahr imt-er dt»r Aufsieht eines älteren Praktikers, V»evor sie selbstetandig
Uitt Kunst ausüben durften.
In dem schon mehrmals erwähnten Galen-Codex des 15. Jahr-
ii ' ^ n -ten hnden sich mehrere Initialen-Miniaturen, welche
I r iHHveisung hindeuten. So zeigt Nu. 03 foL 461*' das
id eines an Marasmus leidenden, im Bett liegenden Kranken, bei
lem der Arzt steht und seinem Schüler ein Recejd «liktirt; ausser-
dem sind noch zwei Wärterinnen anwesend Die Abbildung auf
fdl 365** stellt einen Arzt dar* welcher seinen Schülern zwei Kranke,
*l * "1 mit Geschwüren bedeckt sind, demonstrirt; fob 4R8'*
/' I iirLnsehe Operation am linierschenke], w^'lehe rUr Srhnler
214 Der medidnische Unterricht im Mittelalter,
in Gegenwart des Lehrers ausführt, 500 ^ die Eröffnung eines Abscesses
in der Achselhöhle. In CodL 92 fol. 268** erscheint eine Kinder-Poli-
klinik, und fol. 158* und 295** werden nackte Schwangere vorgestellt^
In Montpellier, wo schon i. J. 1198 ein Hospital existirte, war es
üblich, dass die Studierenden der Medicin, nachdem sie das Bacca-
laureat erlangt hatten, unter der Anleitung eines erfahrenen Arztes die
ärztliche Praxis ausübten. Astbuc* führt in den Biographien der früheren
Lehrer der Medicin an der Schule zu Montpellier verschiedene Fälle
an, in welchen dieses System beobachtet wurde, und betrachtet die-
selben keineswegs als besondere Ausnahmen, sondern als allgemeine
Regel.
Die medicinische Facultät zu Paris forderte i. J. 1449 von ihren
Baccalaureen, dass sie fleissig die Hospitäler besuchten oder einen tüch-
tigen Arzt bei seinen Krankenbesuchen begleiteten, und verweigerte
ihnen, wenn diese Vorschrift nicht erfüllt wurde, die Zulassung zur
Licenz.^
In den ältesten Statuten der Wiener medicinischen Facultät aus
dem 14. Jahrhundert wurde bestimmt, dass die Baccalaureen der Me-
dicin die Heilkunst innerhalb der Mauern Wiens nur mit Wissen und
unter der Leitung ihres Lehrers oder eines anderen Doktors der Wiener
Facultät ausüben durften.* Stainpeis gab den Studierenden vortreflf-
liche Rathschläge, wie sie dabei verfahren sollten.^ Vor Allem gilt es,
wie er sagt, die Ursache der Krankheit zu ergründen; hierauf wird
der leidende Theil genau besichtigt und dann der übrige Körper einer
sorgfaltigen Untersuchung unterzogen.
An der Universität zu Ingolstadt mussten die Baccalaureen der
Medicin nach den Statuten von 1472 dem Dekan einen Eid leisten,
dass sie innerhalb der Stadt und im Umkreise von sechs Meilen nur
1 Vergl. auch Cod. Galeni No. 92, fol. 7^ 17^ 43*. 75*». 121*. 128*. 208».
224*. No. 93, fol. 458*. 471 ^ 475'». 482»». 496*. 504*. 535^ 560*».
' AsTRüc a. a. 0. p. 236 (apres san baccalaurSat, il alla en Provence pour
y exercer la nUdedney suivant Vv^age de ce tempa-lä), p. 243 (apräa quoi il
alla passer le temps, qu'il etoit alors destine pour s' exercer ä la pratique apres
le ha<icalaureat) u. a. m. — Vergl. Platter a. a. 0. S. 154. — In den Statuten
von 1240 heisst es: Item nulhis maxister presentet aliquem (zur Licenz), nisi
Hie steterit in practica extra viüam Montispessulani per dimidium annum (nach
Oebmain a. a. 0. III, 424).
' Hazon: Eloge historique de la facult^ de m^decine de Paris, 1770, p. 20
(qu'ils suimssent les köpitaux ou la pratique de quelque fnaUre pendant le cours
de la licence, faute de quoi üs n'etoient point admis ä ce degre),
* J. Zeisl: Chronol. dipl. universit Vindob. Vienn. 1755, Statut, p. 80.
» Staiupeis a. a. 0. f. 102*» u. ff.
ikniaki^ besuchen and praktioiren wurden^ wenn sie als Stell?ertTeter
Ares I^hrers oder eines anderen Doktors der dortigen Faciütät auf-
gBiltUt irorden seien/^ Sie hatten also ungefiilir dieseO^en Funktionen,
wi0 imseFt' Pniktikantrn nn «len poliklinischen Instituten mancher
Hochschalen.
An lIo!5pitälern, m welchen die Baccalaureen der Medicin Gelegen-
ii zur praktischen Ausbildung in der Heilkunst landen, war im
Ijttelalter kein Mangel Ihre grosse Anzahl muss umsomehr Erstaunen
als uns nur ein Theil derselben bekannt ist Die Nachrichten,
ke sich darüber erhalten haben, sind unvollständig und lückenhaft,
dt sie sich auf Deutschland beziehen, oder die Leprosenhkuser be-
tTpften, wunien äe von Vibchow zusammengestellt.^
Ein reiches Material liegt ausserdem zerstreut in den Archiven
»md Bibliotheken; viele Quellen sind wahrscheinlich noch unerschlossen.
Es wäre eine dankenswerthe Aufgabe, eine Geschieh ti^ der Gründung
«lud Entwickeiung der Spitäler im Mittelalter zu schreiben; sie würde
•iuf die Geschichte der Medioin wie auf die allgemeine Culturgeschichte
Dcben Lichtblick werfen.
Das Christenthum hatte eine ^lenge von Wohlthätigkeitsanstalten
JM Leben gerufen, wie ich in einem früheren Abschnitt auseinander-
etet habe. Cberall wo seine Lehren verkündet wurden und Gläubige
entstanden neben den Kirchen und Klöstern auch Hospitaler
wi Häuser für Arme und Gebrechliche aller Art Die christlichen
lüsssionüre, welche aus Italien und Frankreich nach den Ländern des
)iordens und Ostens Europas kamen, waren Träger der Cultur, indem
Humanität predigten und Wissenschaften lehrten^ wenigstens soweit
m dabei mit ihren eigenen Interessen nicht in Conttikt geriethen.
Cnvergängliche Triumphe feierte die christliche Wohlthätigkejr
Gründung zahlreicher geistlicher nod weltlicher Ordensgenossen-
ichalt^n, deren Mitglieder die Pflege der Kranken zu ihrer Lebensaufgabe
chten. Ein Enthusiasmus der MenschenUebe erfüllte die Herzen,
ihn die Welt nur ein einziges Mal gesehen hat Hochgeborene
Küistinnen und arme Bauern, Kitter und Burger wetteiferten miteinander
den Werken der Barmherzigkeit, Wohl niuglich, dass Viele nicht
sehr der Idealismus der Liebe, als die Hotfnung aui' die Belohnungen
rftlBTitir und andere weniger edele Beweggründe dazu führten, ihr
(\ PiLtvTL: (ieschichte der lyndwig Maximilians-UnivordtÄt za Ingolstadt,
but, MilDchen l^t72. t 50, II, 43.
■ Votfmow» Archiv, Bd. 18. S, 138—102. 2T8— 329, Bd. 19, S. 43-Ä8.
\,4 >ft W I »;k -\'a>^ I"^Q — 512.
^.i Ik-
1
216 Der medidniscJie Ufiterricht im Mittelalter.
Leben dem Dienst der Menschheit zu weihen; aber haben ihre guten
Thaten deshalb vielleicht weniger Segen gestiftet? —
Das Sehnen und Bingen nach Idealen, welche die von der Gregen-
wart unbefriedigte Menschheit in einer übersinnlichen Welt der Zukunft
verwirklicht glaubte, wirkte veredelnd auf den Charakter, milderte die
Rohheit der Sitten und umgab manches Unternehmen mit einem Zauber,
ohne welchen es vielleicht thöricht oder verächtlich erschienen wäre.
Dieser romantische Zug drückte auch den Ereuzzügen, in welchen
sich wilde Lust nach Abenteuern und gemeine Habsucht mit frommer
Glaubenseinfalt verbanden, ein eigenthümliches Gepräge auf. Wenn
auch das eigentliche Ziel dieser militärischen Expeditionen, das Land,
in welchem die Wiege des Christenthums stand, von der Herrschaft
der Mohammedaner zu befreien, nicht, wenigstens nicht dauernd erreicht
wurde, so hatten sie doch für die Entwickelung der Cultur manche
wohlthätige Folgen; denn es wurden dadurch Handelsbeziehungen zwi-
schen dem Orient und dem Occident eröflöaet, der geistige Gesichtskreis
der Bewohner Europas erweitert und bei den Christen im Verkehr mit
den Andersgläubigen das Gefühl der Zusammengehörigkeit geweckt,
welches sich in der Stiftung von Hospitälern und Ordensgenossenschaften
äusserte, die sich zu gemeinsamem Wirken auf dem Felde der Kranken-
pflege verbanden.
Das grosse Hospital, welches die Johanniter im 12. Jahrhundert
in Jerusalem besassen, vermochte 2000 Kranke aufzunehmen. Es be-
stand aus mehreren Gebäuden, welche, wie der Bitter Johann von
Maundeville berichtet, von 124 Marmorsäulen getragen wurden.
5 Ärzte und 3 Chirurgen, welche an diesem Krankenhause angestellt
waren, besorgten den ärztlichen Dienst^
Im J. 1236 besass der Orden 4000 Ordenshäuser, welche über
die verschiedenen Länder der Christenheit vertheilt waren; aber schon
ein Jahrhundert später klagte Pabst Clemens VL darüber, dass sich
die vornehmen Ritter desselben lieber an schönen Pferden und Hunden,
an Schmausereien, prächtigen Kleidern, goldenen und silbernen Gelassen
und Kostbarkeiten aller Art ergötzten und Reichthümer anhäuften, als
dass sie Kranke pflegten und Almosen spendeten.^
Auch der deutsche Orden, welcher eine grosse Anzahl von Ho-
spitälern errichtete, wandte sich seit dem 14. Jahrhundert mehr und
mehr von der Krankenpflege ab und zog es vor, durch kriegerische
Eroberungen politische Macht zu gewinnen.
^ F. v. Raumes: Geschichte der Hohenstaufen, Leipzig 1858, VI, 489.
• J. Taaffb: The history of the holy müitary sovereign order of St. John
of Jerusalem, London 1852, ad ann. 1848.
Der üni^rrißhi in dsf AtitmhBrdmng und der ärUlicimi Praj:is. 217
I' - n d^ Lazaristen, welcher ebenfalls in Palästina entstand
und die Pflege der Aussätzigen zur Aufgabe hatte, gründete eine Menge
füU Leprosen-Häusi^rn,^ Als <ier Aussatz in Folge der Verbesserungen
der Hygiene und der richtigeren Diagnostik der verschiedenen Leiden^
irdclie man bis dahin anter seinem Namen zu^immengefasst hatte^
nQmälig sreltener wurde, und in einzelnen Ländern schon im 16, Jahi-
bondert gan^lich erlosch, fühlten sich -Hn T^iti».r *\m hl. Laxürus ihrer
Pflicht^ Kranke zu pflegen, überhoben.
Treuer hielten an dieser Aufgabe die luirgeilicheu Krankenplleger-
&ncK«Renschaften fest, wenn auch einzelne derselben später ebenfälls
ettsn. Der Orden des hh Geistes war eine Schöpfung des Pabstes
^iByenz IIL, der ihn zum AVerkzeug ausersehen hatte, um dadurch
{^^Krankenpflege eine uie ganze Christenheit umfassende Organisation
m geb«n.* Es macht, wie VmüH«»w schreibt, einen ergreifenden und
tagleich ?ersöhnenden Eintinick, zu sehen, wie „dieser gewaltige Marm,
irelcher den Kaiser demuthigte und Könige entsetzte, der unerbittliche
Verfulger der Albigenser, seinen Blick mitleidsvuU auf die Armen und
Kraukeu wendete und die Hilflosen und Elenden anf«ucht<***,^
er Orden des hl. Geistes wii-d zuerst in einer Urkunde v. J, 1198
it; damalh be^ass er bereits zwei Hospitäler in Rom, «lineis in
Montpellier und noch sieben andere in Frankreich. Im J. 1204 wurde
tks Ton Innocenz IJl. erbaute Hospital zu S. Spirito in Rom eingeweiht;
der Boden, auf dem es errichtet wurde, soll schon unier dem Pabst
^mmachu8 im G. Jahrhundert das alte Sachsen-Hospiz getragen halben.*
Der Orden zimi hl Geist entfaltete eine ausserordentliche Tbätig-
keiL Schon liald nach seiner Entstehung stiftete er an verschiedenen
♦)rten, wie z. B. in Zürich, Halberstadt, Wien, Spandau, Breslau, Riga,
Löbeck, Bremen und Hamburg, Krankenhäuser oder übernahm die
Leitung von Anstalt-eu, welche wie diejenigen zu Memmingen^ Frei-
liorg i/ßr., Mainz und UM, schon in früherer Zeit bestanden, Vibchow
it die Nachrichten über 154 Krankenhäuser dieses Ordens in Deut^ch-
Dd^ welche mit wenigen Au^snahmen im 13. und 14. Jahrhundert
^egrdndei wurden, gesammelt.^ Daneben bestanden noch viele Spitiller,
welche von anderen Krauls " r- Genossenschaften geleitet wurden.
\Jh} Grüiniung von \ i i^kcits- Austeilten folgte dem Wege,
' W V, K-ALSILK H. Ä* U, VI, 534.
• Hcetek: Gf«chichte de* l'ftbate« Innozenz lU., Hamburg 1842.
' ViMcnow: G^^anirnHte AbhstiHlliiUjü^eii, Ikriin 1879, IT, 8.24.
• C. L. MoiiiaiiMi: DegU isrituti <li c4iritÄ, Roma 1810, p, m, — GRE(»oiioviL'fi:
Oftdaiübte der Stadt Boin tm MitteUilter, Stuttgart 1859, 11, 467.
• Ymcni^ Ä, ft. M. U, 45 a. ff.
218 Der mediciuMtc Unter rickt im Mittelalter.
auf welchem sich die Cultur in Europa verbreitete. Italien, Frankreich
und das südliche und westliche Deutschland gingen voran, und die
nördlichen und östlichen Länder unseres Welttheils folgten ihnen. Um
ein Urtheil über diese Thätigkeit und ihre Erfolge im Einzelnen zu
erhalten, ist es am besten, ein beschränktes Gebiet ins Auge zu fassen.
Thüringen, Sachsen, Brandenburg, Pommern und Schlesien, also die-
jenigen Länder, welche damals etwa die Grenze der Cultur bildeten,
waren schon im 13. Jahrhundert reich versehen mit Hospitälern und
Leproserien;^ selbst kleine Orte, deren Namen in der Geschichte kaum
genannt werden, besassen derartige Anstalten. In Schlesien gab es
deren zu Breslau (1214), Kloster-Trebnitz, Neisse (1226), Neumarkt
(1234), Bunzlau (1261), Brieg (1273), Glatz (1275), Münsterberg (1276),
Liegnitz (1280), Sagan (1283), Steinau(1290), Ratibor (1295), Gr.Glogau
(1296), Görlitz (1298), Sprottau und Schweidnitz (1299), Beuthen (1802),
Oels (1307), Frankenstein (1319), Freistadt (1320), Löwenberg (1322),
Leubus (1330), Strehlen (1347), Goldberg (1348) u. a. 0. Allerdings
sind die Angaben, welche darüber gemacht werden, unYollstä.ndig und
ungenau; aber sie liefern doch ein Bild von dem Keichthum an An-
stalten, welche man zur Pflege der Kranken getroflFen hatte.
Es darf wohl angenommen werden, dass es in jenen Ländern,
deren Cultur älter und mehr entwickelt und deren Reichthum grösser
war, jedenfalls nicht schlechter, sondern wahrscheinlich noch besser
damit bestellt war. Frankfurt a/M. besass im 13. Jahrhundert schon
drei oder vier Krankenhäuser. ^ Das für Kranke und Sieche errichtete
Katharinen- Hospital zu Regensburg hatte in der Mitte des 13. Jahr-
hunderts 250 Pfleglinge. Eine derartige Zahl bildete damals sicherlich
eine Ausnahme; denn die meisten Hospitäler jener Zeit waren klein
und konnten nur wenige Personen aufnehmen.
Die Leiter der Regensburger Anstalt machten auch darauf auf-
merksam, dass dieselbe überfüllt war, und dass in Folge dessen die
Luft verpestet und Krankheiten auf gesunde Leute übertragen wurden.
Welche Unreinlichkeit und sanitätswidrigen Verhältnisse noch im
15. Jahrhundert in einzelnen dieser Spitäler herrschten, zeigen die
drastischen Mittheilungen, welche Thomas Platter über seinen Aufent-
halt im Krankenhause zu Breslau hinterlassen hat^
Es ist leider noch wenig erforscht, inwieweit und in welcher Art
» ViBCHOw's Archiv, Bd. 1«, S. 150 u. ff, 275 u. ff. 310 u. ff.
' Gr. L. Kriegk: Deutsches Biirgerthum im Mittelalter. Frankfiirt a/M. 1868,
I, S. 7G II. ff. — VV. Stricker: beschichte der Heilkunde in Frankfurt a/M.,
1847, S. 129.
' Platter a. a. O. S. 22.
Die ärztlichen Prüfmigen, 219
die Spitaler des Mittelalters zum Unterricht der Studierenden der Me-
dicin und jungen Ärzte verwendet wurden.
Die Errichtung von Krankenanstalten erfolgte an vielen Orten
früher, als sich dort wissenschaftlich gebildete Ärzte niederliessen. Die
Krankenpflege ging somit häutig der Krankenjjehandlung voraus.
Die ärztlichen Früfcmgen.
Die medicinischen Prüfungen, welche die Studierenden der Heil-
kunde ablegen mussten, bevor sie zur Praxis zugelassen wurden, hatten
ihr Vorbild an den Einrichtungen, die der Kaiser Friedrich II. zu
Salemo geschaflFen hatte.
Im Verlauf der Zeit traten jedoch an die Stelle des einen Examens,
welches am Schluss der Studien stattfand, die Prüfungen für das Bacca-
laureat, die Licenz und das Magisterium oder Doktorat. Diese aka-
demischen Grade wurden zuerst, wie es scheint, in Bologna und Paris
eingeführt In Salemo und Neapel wurden sie von Carl von Anjou
1278 und 1280 angeordnet, wie aus den von S. de Rp:nzi citirten
Documenten hervorgeht.^
Wer sich um das Baccalaureat der Medicin bewarb, musste zwei
oder drei Jahre hindurch medicinische Vorlesungen gehört haben und
dann in einem mündlichen Examen, welches vor den Mitgliedern der
medicinischen Facultat stattfand, den Nachweis liefern, dass er sich
eine allgemeine theoretische Kenntniss der einzelnen Zweige der Heil-
timde erworben hatte. Durch einen feierlichen Akt, die Determination,
)m welcher der Candidat eine ihm gestellte wissenschaftliche Frage
erörterte, wurde er aus der Klasse der Scholaren in diejenige der
».Baccalarien", wie es in dem corrumpirten Latein des Mittelalters heisst,
versetzt. Das Wort wird von einigen Erklärem mit haculum, dem
Stock, in Verbindung gebracht, der den Baccalaureen angeblich als
Zeichen ihrer neuen Würde überreicht worden sein soll.* Mit grösserer
Wahrscheinlichkeit wird es von hac^a lauri abgeleitet; es erinnert an die
Krönungen der Dichter mit dem Lorbeerkranz, von denen die Geschichte
<les Mittelalters erzahlt.
Auf das Baccalaureat folgten nach einem Zeitraum von zwei oder
«Irei Jahren, welche der Candidat zu seiner weiteren fach Wissenschaft -
* S. DE Renzi: Storia docum. della scuola med. di Salemo, Doc. No. 287. 291.
' DB Kemzi: Storia docum. della scuola med. di Saleruo, p. 556.
220 Der viedicinische Unterricht im Mittelalter,
liehen, namentlich aber zur praktischen Ausbildung benutzte, die Prü-
fungen, welche der Ertheilung der Licenz vorausgingen. Bei der Zu-
lassung wurde vorausgesetzt, dass der Baccalaureus ausser den Vor-
lesungen, die er besucht hatte, an den Disputationen Theil genommen
und dabei den Professegen mehrmals geantwortet, einige Vorträge ge-
halten, den anatomischen Demonstrationen beigewohnt und sich in der
praktischen Heilkunst ausgebildet habe. Die Examina wurden ebenfells
von der medicinischen Facultät abgehalten, bestanden in der Erklärung
eines Hippokratischen Aphorismus, der Beschreibung einiger Krank-
heiten und der Beantwortung der Fragen, welche daran geknüpft
wurden. War das Ergebniss günstig, so wurde der Candidat durch
zwei Mitglieder der Facultät dem Kanzler der Universität vorgestellt,
welcher ihm in feierlicher Weise die Licenz ertheilte.
Da die Kanzler-Würde überall von hohen Geistlichen bekleidet
wurde, welche sich als Vertreter des Pabstes, des obersten Schutzherm
des Unterrichts, betrachteten, so fand dieser Akt in der Kirche statt
Derselbe trug daher gleichsam einen religiösen Charakter, welcher
Andersgläubige, z. B. die Juden, von der Erlangung der Licenz aus-
schloss; doch scheint man schon in sehr früher Zeit einen Ausweg ge-
funden zu haben, indem man die Verleihung der Licenz in solchen
Fällen der Facultät überliess.^
Die Ärzte, welche in den Prüfungen ihre Befähigung zur Aus-
übung der ärztlichen Praxis gezeigt und die Erlaubniss dazu erhalten
hatten, wurden Meister oder Magistri genannt Nachdem bei den Ju-
risten zu Bologna der Doktor-Titel üblich geworden war* und in allen
Rechtsschulen Eingang gefunden hatte, begannen auch die medicinischen
Facultäten, denselben zu gebrauchen.
Das W^ort „Doctor" kommt schon in der Literatur des Alterthums
vor^ und bezeichnet dort einen Lehrer (von docere). In diesem Sinne
wurde der Doktor-Titel auch von den medicinischen Facultäten zunächst
Denjenigen ertheilt, welche als Lehrer der Heilkunde thätig waren.
Dies geschah an den meisten Hochschulen bereits im 13. Jahrhundert
Da das Recht, zu lehren, jedem Arzt zustand, welcher zur Ausübung
seiner Kunst legitimirt war, so wurde auch der Doktor-Titel allmälig
allen Ärzten gegeben.
* DE Kenzi a. a. O. p. 558. 572.
• Savigny a. a. 0. I, 476. — Gbuneb's Almanach fiir Ärzte, Jena 1789,
S. 250 u. ff.
' Cicero: de erat. I, 19. — Sueton: Caesar c. 42. — Valer. Maxim. II, 3.
— Quiktilian: Instit erat. XI, 3, XII, 2. — Ebsoh ii. Gruber: Encyklop. sect I,
Th. 25, S. 237 u. ff.
Die ärxilicimi PHlfmigen,
221
Als man anfing, zwischen den Doctores k^entes d non kgtmtes,
zwuschi^n I>t»njeni^en, welche die Lehrfchnfci|?keit ausübten, und Jenen»
welohe dies unt-erliessenj zu unterscheitlen, entstand der GeV»rauch, die
wsteren I^ofeasoren zu nennen. Auch dieser Ausdruck stammt aus
dem Altprthum;* er kommt von profiten\ „eine Kunst oder Wissen-
üclmllr öffentlich ausüben oder lehren". An den deutschen Universitäten
lani der 1^'tel «.Professor'* erst im 16. Jahrhundert auf, und zwar
rarden damit nur diejenigen Lehrer der Huehschule bezeichnet, welche
mit der Abhaltung von Vorlesungen beauftragt waren und für diese
Uhnhäticrkeit eine Besoldung oder Remuneration bezogen. Es waren
lües aljki die Mitglieder des Lehrer-Coliegiums, wdche man trüber
£%)rlörA» re^eniejt genannt hatte.
Der Wechsel in der Bedeutung d(-r Titulaiun-n und Formen der
UfVfUehkeit , wie er sich im Verlauf d^T Zeiten vollzieltt, hat seinen
(trund tum gro8sen Theile in der menschlichen Eitelkeit, Heut ergeht
M ^^ T-sor-Titel wie einst dem Doktor-Titel : er wird an Ärzte
1 I [ Irhe dem Lehramt ganzlich fenistehen, während manche
I Lebrer der Hochschulen schon nicht mehr so geni den Titel von Pro-
1 bttOTtti, als denjenigen von Geheimen Ratben, Hofräthen oder Ke-
I rimmggräthen fuhren.
Die Würde eines Doktors der Medicin konnte Jeder erlangen, der
^^|t£ Lioenz zur Ausübung der arztlichen Praxis besass. Zu diesem Zweck
Hkren keine besonderen Pnifungen erforderlich; dagegen wurde ver-
langt, dass der Candidat von ehrenhaft/er und ehelicher Abkunft-, un-
l»nchalten und sittsam, mindestens 26 Jahre alt, ohne körperliche
Mangel und wohltrestaltet sei. An einigen l'niversitäten wurde das
Alter auf 28 Jahre festgesetzt und ein Nacblai^s in dieser Hinsicht nur
n gestattet, wenn der Candidat nicht zu weibisch und jugendlich
Personen, welche raissgestaltet oder abschreckend hasslich
sollten nicht zugelassen werden und zwar aus einem sonder-
ten Grunde; man befürchtete nämlich, dass sich schwangere Frauen
an ihnen versehen konnten.
Der Promotion^Akt war mit einer oftentlichen Disputation und
enen Ceremonien verbunden, w»^k'he die Aufnahme des Can-
in die ärztliche Zunft versinnbüden und ihm die hohe Bedeu-
tung seiner neuen Würde deutlich vor Augen führen sollten. Die
P«er wurde unter Glockengeläute und Theilnahme der ganzen Facultät
I
' Cecjub: Pmef. «* U, 6. — Sufton: RUetor. 5. — Quim-iUAN: Institut
••f*t Prooem. a. l, 9. XU, 11, — Savioky a, a. 0. I, aö6. — H. Cokriko: Antiq.
»cid. I, 26.
^
tt Der msäictmmkB VnkrnM im UUidaUmr.
"llllf
Danli
vollzogen. 9h befnuui mit ciuiem Vurlnige d^ Doktaranden, detnj
Verdienste von dem Profeasor, welcher den Akt leitete, in einer B«di
b»4eiichtet wnrd^^n. Der Candidat l*»gti' dann einen Eid al>, das er
er Zeit seinn Pllichten gegen <lie Fiumltat and den ärztlicheD Sun<l
überhaupt erfüllen werde; hierauf wurde ihm der sogenannte Doktorhut
aufgesetzt, ein Kin^' im d^n Fine**r geHti^ckt als Zeichen des ritterlichen
Rangei^, dem die DoktorwQrde gieichgeachtet wurde, ein goldener Ciürtel
umgelegt, und ein Buoh des HiPi'öiUiATiöi ror ihm aufgeischlagen.
Dann wurde er einiiretaden, sich an der iS^*ite des Promotors nider-
zulassen, Mm Diesem uniannt und ihm der Segen ertheilt. Mit dem
Dank des neuen Doktors schlos.s die Feier, welcher em Gai?tmahl folgte
an wfdchem n\h^ Mitglird^-r der Pacultat Theil nahmen.
Die Au>*gaben dafür, .sowie die Taxen, welche gezahlt, und ib«
fcenke, die an ver^ehiedene Personen vertheilt wurd(*n, machten dw»
Doktnr-rromotion zu einer ziemlich kostvspieligen 8aehe, In Wien hatte
drr Candidat die Verpthchtimg, einem Doktor der mediciuischen Faruital
fiinen vollständigen Anzug zu schenken; es mussten dazu 14 ElJea
Tuch von guter Qualität verwendet werden. Cbrigenjj hlieh e^ dim
unbenommen, mehrere seiner ('ollegen auf diese Weise zu erfreo«*n.
Ferner erhielt jeder Doktor diT Facultat ein Barett und ein Paar g^
wirkter Handschuhe, jeder Lieentiat und Baocalaureus ein Paar gewöhn-
licher HatMischuhe, „wobei jedoch der Anstand und die Ehre der Facultit
zu berüeksiehügen sind,"* Ähnliche Anforderungen wurden auch aa
anderen Universitäten gestellt. Am meisten betrugen die Ausgaben,
welche die Promotion m Paris verursachte* Armen Doktoranden w>irdfn
wenn sie sieb durch ihre Kenntnisse aiiszeichnileu, die hohen Spesei
ausnahmsweise erlassen, und an einzelnen Hochschulen geschah dies regel
massig in bej^timmten Zeitniurnen.^
Manche wurden durch die mit der Promotion verbundenen ün
kosten von der Bewerbung abgeschreckt und begnügten sioh diimit» d
Licentiaten die arztliche Praxis auszuüben. Die letzteren genossen il
dieser Hinsicht die gleichen Rechte wie die Doktoren. Es bestam
zivischeu ihnen nur der einzige Unterschied, dass die Doktoren voll
berecbti^rte Mitglieder der Facultät waren, über die Ani^elegenheite!
derselben Berathungen ptlegten und Beschlüsse fassten und an e:
Beneficien Theil nahmen.
In dem Wesen des Simlium gemralr lag e^, diis^ die Doktor-
in allen T.rindeiii der rhristrnhrit Gtltung hatte. Alierdinirs
* Roms IL a. O. r, a 3&. — Haütj! h. u n 1, 160.
• Coppt a. a. 0. p. 204.
Die Chirurgie und Gebtirtskilfe. 223
schon in früher Zeit einige Beschränkungen geltend gemacht; doch
lichteten sich dieselben nicht so sehr gegen das Recht, überall die
ärztliche Berufethätigkeit auszuüben, als gegen den Anspruch, als voll-
berechtigtes Mitglied in die medicinische Facultat einer anderen Uni-
versität aufgenommen zu werden. Die Facultäten sahen in der Pro-
motion eine wichtige Einnahmequelle, welche geschmälert wurde, wenn
Doktoren, die an fremden Hochschulen promovirt worden waren, ohne
Weiteres als Mitglieder derselben betrachtet wurden. So weigerten sich
die Ärzte von Bologna i. J. 1298, einen Collegen, den Sohn eines
dortigen Bürgers, in ihre Genossenschaft aufzunehmen, weil er in
Sdemo die medicinische Doktorwürde erworben hatte und noch nicht
30 Jahre alt war. Derselbe antwortete selbstbewusst, dass er den Mangel
an Jahren durch Kenntnisse ersetze. ^
Zwischen Paris und Montpellier herrschten bestandig derartige
Streitigkeiten, und ebenso war es auch an anderen Hochschulen. Den-
^Iben wurde erst ein Ende gemacht, als bestimmt wurde, dass die
Doktoren, wenn sie die Aufnahme in eine Facultat nachsuchten, von
welcher sie nicht ihren akademischen Grad erhalten hatten, einige
Prüfungen, die jedoch in der Hauptsache nur eine Formalitat waren,
ablegten und bestimmte Taxen bezahlten.
Die zur Praxis berechtigten Ärzte, welche an den Universitäten
ihre theoretische Ausbildung erlangt hatten, zerfielen also in die Dok-
toren und die Licentiaten, die sich aber nicht durch ihr Wissen, sondern
lediglich durch den Titel unterschieden.
Die Chirurgie und Geburtshilfe.
Nach ihrer Thätigkeit sonderten sich die Ärzte in solche, welche
iauptsächlich innere Krankheiten, und in solche, welche äussere Leiden
behandelten. Die Trennung der Chirurgie von der internen Medicin
bestand, wie früher auseinandergesetzt worden ist, schon im Alterthum.
Sie dürfte sich auch nachher während der ersten Jahrhunderte des Mittel-
alters erhalten haben, ohne dass jedoch eine strenge Scheidung der Ver-
treter dieser beiden Disciplinen stattfand. Wenn sie durch ihre Kennt-
nisse und ihre Tüchtigkeit einander ebenbürtig waren, so werden sie
sicherlich auch im gesellschaftlichen Leben dasselbe Mass von Achtung
genossen haben.
MmrEBs: Geschichte der hohen Schulen, Bd. II, 8. 267.
In der Studienordnun^ des Kaisers Friedrich IL wurde diV
sammengehuri^^keit dieser \mdtm Theile der Heilkunsl henorgehuh
und die medicini^chen Scbiilen zu Salerno und Montpellier vridniet«
der (liinirsjie im Lebrplan die gebührende Aufmerksamkeit und hi|.'
deten beide Katep>rjen der Ärzte aui% Mau bezeichnete die HeiU
kündigten als mediri phyffm uuil medm chirm-gi und wollte damit ri«|.|
leicht andeuten^ dass sie eine äquivalente fachnirinni!*ebe Ausliilduii^j
hesassen. Auch wurde der Titel Phjsici anstatt Medioi gebraucht.
Leider vernachlässig:ten später die meißten Universitäten nach den!
Vorgänge von Paris den Unterricht in der praktischen Heilkunde, be.|
sunders in der ChimrjL^ne, Da gleichzeitig den Ärzten, welche den]
geistlichen Stande angehörten, die Ausübung der Chirurgie untem^J
wurde, so stellte sich das Bedürfniss heraus, dass eine Klasse von Hei
kundigen existire, welche die Wundarzneikunst zu ihrer besünde
Aufgabe machten* Dazu kam, dass die Kriege und bestandigen Fehdei
zwischen den kleinen Territorialh^rren, die Ki^uzzüge, namentlich ab
die grossen Seuchen, welche im Mittelalter die Länder verheerten, dpnl
Beweis lieferten, dass die vorhandenen Ärzte weder nach ihrer MI,]
noch nach ihren Kenntnissen den Bedürfnissen genügten. Diese Uin^j
Stande begünstigten die Bildung eines chirurgischen Standesi^ die eiifent-]
Üoh erst im 1 3. Jahrhundert deutlich hervortrat, ^
Derselbe setzte sich zusammen aus Doktoren und Licentiat-en dflij
Medicin, welche hervorragende Neigung oder Begabung zur Chirurgie
'führte, auÄ Hrilküustlern, denen aus religiösen oder socialen l.triiiid«
ilie Erlangung akademischer ürade versagt war, und aus jener
von Empirikern, welche sieh eine benierkenswerthe Sicherheit in d«
Behandlung chirurgischer Leiden erwürben hatten. Er barg also
mentü von sehr verschiedener wissenschaftlicher t^ualität in sich.
Die Chirurgen Italiens und Fninknnchs standen im AUgemeineil
den Ärzten ihrer Heimath ebenbürtig zur Seite, Sie besuchten einiä
Zeit hindurch die Vorlesungen an der Universität^ und erwarben m\
eine allgeniein-wissenschaftliche und rachmfinnisehe Bildung, welche den
Forderungen jener Zeit entsprach. Viele waren zugleich zur Behand-
lung der inneren Krankheiten berechtigt und zeichneten sieh darin
eben so sehr aus als in der Chirurgie, Die Namen eines Huno und
TEODimiot) BüKüüGNoNi, BnuNu VON LüNüuniityo, Wxr^umjtt
Saijcktu, Lanfhanohi, Henei de MoNDEvUiLE, Gut von Chait
* A. OiUAfRLir; Stiidii sidP esermio rlelia medidna m Itnü* uegli uldmi
tre Becoli iloi medio ovo, Miliinu 1885, p. 5»
" Carri a, si, O. p. U>9.
fBVEB ron Aboelata, Makcello Cüman^o, Leox. Bebtapaqua IL A,
gehöreii zu den glänzenflsteo, welche die chirurgische Literatur jener
35eit irie die Geschichte der Heilkunde überhaupt aufweisen kann.
Die Pariüer Chirargen bildeten schon um die Mitte des 13, Jahr-
bunderte eine Geno^^eniichafU welche sich nach dem Master der medi-
cinischen Facnltat organisirte. Sie wurde nach dem hl, Casmas, welchen
sie lu ihrem Schutzpatron wühlte», <las CuUcge de St ('tjme genannt.
Die Mitglieder desselben hielten regelmil^sige Vejsamoilungen ab,
m welchen m die Standes- und Unterrichtsangelegenlieiten l»esprachen,
md ertheilten ihren Schülern Unterricht in ihrer Kunst. Der letztere
wie es scheint^ vorzugsweise praktischer Natur» indem die Lehr-
fioge ihre Meister zu den Kranken begleitjefcen und dort dhi chirurgischen
Verrichtungen kennen lernten. Lanfranchi, welcher am <Jollege de
8t r^me lehrte, fahrte in Gegenwart seiner Schüler die chirurgischen
Operationen aas und wurde dabei von ihnen unterstützt. Auch wohnten
die Schüler den öffentlichen unentgeltlichen Krrinkenordiiiatiünen bei,
welche die Mitglieder des College abhielten, und besuchten mit ihnen
(üc Hosipitaler. an denen ihre Lehrer angestellt waren. Einzelne ver-
sahen dort, vielleicht die Funktionen, welche unsere Heilgehilfen und
Kmoken Wärter verrichten. Ausserdem wurden sie zu anatomischen De-
monsirationen zugezogen, wenn sich dazu die Gelegenheit bot.
Die Schüler mussten sich am Sehluss ihrer Studien einer Prüfung
unterziehen; schon 1254 verlangten die (Chirurgen, dass zu diesem Zweck
£iaminatüren ernannt würden. Ein Edikt Philipp des Schonen v. J.
1311 be^timnit^, dass Niemand die chirurgische Praxis ausüben dürfe,
der nicht von den Meistern für tlihig erachtet und \um Leihchirurgen
(tefi Köniigis die Licenz dazu erhalt^^n habe.^ Später wurden die Stu-
dJÄrenden der Chirurgie genothigt, an der Universität den Grad eines
MogUifr firttftm ZU erwerben und einige Vorlesungen an der medici-
ai/K;hen Facultat zu hören.
^^ Im .1* 1416 wurde das ('ollcge de St. Come als besondere Facultat
^B|r Pariser Hochschule einverleibt
^B^ Die Zöglinge desselben erlaugten somit eine wissenschaftliche Aus-
^öildttDgj welche keineswegs hinter derjenigen der Ärzte zurückstand.
Trotzdem wurden sie ihnen in der socialen Rangordnung nicht gleich-
IMChiei Diese Zurücksetzung des chirurgischen Standes^ welche zuerst
in Paris zu Tage trat» hatt^? ihren Grund theils in dem schon erwähnten
Lm^itande, dass sich der Klerus, welcher damals im geseüschaftüchen
Üben die erste Stelle behauptete, von ihm fern hielt, theils darin^ dass
: De la fwcultt* de möd. ii<- Paris *i. ji. ü, ls::2.
886
Her tncfimmmühfi Ufüerrkkt im MiUrlaUe/\
äoh onter den Berufsgenossen der Chirurgen auch viele ungebi
Leute vun niederem Herkonmien l>efandeii^ vor Allem aber in
Eifersfichteleien und Streitigkeiten mit der raediciniscfaen Fm
welche eine unberechtigte wissenschafiliche Superic^rit/it in \m*^\
niihni.
Der Kampf zvvisclien tSen Ärzten und den Chirurgen dauerte Sj
zum Beginn des is. Jahrhuiidert-s und wurde mit einer Eihiuprun'
geführt, welche auf beiden Seiten bekkigenswerthe Ausschreitnn
Gefolge hatt*e. Die medicinische Fai^ultÄt m Paris le^e L J. laoo
ihren Mitgliedern nnd Studierenden die Verptiichtung auf. keine Clnrun:iii
auszuüben, und schloss dieselben aus, wenn sie dieses Verbot übe^
tratren. ' ha sie bei den Chirurgen zu wenig Demuth und L'nler-
würügkeit fand, so setzt« sie e:» 1372 durch, dass d*'n Barbierera Am
Recht ertheilt wurde, nicht bloö den Aderlaß« auszuführen^ sondern iln
ganze sugenannte kleine Chirurgie auszuüben und Geischwure q^l
Wunden zu behandeln, su hinge i?ie nicht lebensgetahrlich seien, Chrigwfl
mag sich auch wohl die Nothwendigkeit einer Klasse von lleügehilti»«
ergehen haben, welche den Ärzten zu jeder Zeit zu Diensten -^
nm die alltäglichen niederen chiriirgisichen Verrichtungen aur/u:.,i.ivii,
denn die eigentlichen Wundärzte mit faehniännii*cher Bildung waren
selten und daher sehr *H*«chriftigt.
Durch diese Einrichtungen wurde diettrenÄe zwijjichen den Chinirgm!
und den Barbierern, welclie wahrsfcheinÜch niemals unüb^r^teighar wu«
noch mehr verwischt. Die Pariser mediciniBche FacultÄt war beutrehi,
tien letzteren die Möglichkeit, sich zu ('hirurgeti heranzubilden, m tr-
leichtern, indem sie L J. 1491 Vorlesungen für sie eruöhete, weifte
in französischer Sprache gf-balten wnirden und die verschiedenen TheÜe
der Chirurgie und Openitianskunst hehandelten.^ In der That giiigtn
auch aus dem Stande der Barhierer eine grosse Anzahl von Chirurgen
hervor, von denen sich Einige um die VervuUkommnung der Ueilktmsl
unvergängliche Verdienste erworben haben.
In den übrigen lüederu des christlichen Europas befand sieh die
Chirurgie auf einer niedrigeren Stufe, als in Italien und Frankreiok
Wenn der Niederländer Jehan Ypehman im 13. Jahrhundert und da
Engländer John Ahdebn im 14, Jahrhundert ihre Berutl^genoeseo in
der Heimath an Wissen weit überragten, so verdankten sie dies ledigUota
dem rmstunde, dass sie ihre fachmrlnni«che Bildung in Frankreich er-
halten hatten.
» A. F. TfliKYi Hlittoire de l^i^ucatioii en France, Paria 18&Ö,
Die Chirurgie u?td Gthurishilfe,
22T
Spanien soheinen einige Zeit hindurch güDistigere Yerhalt-
Ddea zu haben. In Saragossa wurden die Ärzte in der
1^ geprüft and erhielten den Titel von Medico-Chinirgen ; eine
KtmiehtUDg, die erst i. X 1585 autgehoben wurde. ^
Wekhe Art von Heilkünstlern in Deutschland die Chirurgie aus-
e, zi*igen einige Thatsachen, die aus dem Ende des 12. Jahrhunderts
chtet werden, Ala der Markgral" Dedo von Rochlitz und Groiz den
»r Heinrich VJ, i. J. 1190 nach Italien begleiten sollte, fürchtete
ff wegen »einer Dickleibigkeit \\ws heiase Klima und die Strapazen der
Reise und Hess einen Arzt kommen, der ihm ohne Weitercis den Leih
aQfschnitt um das Fett herauszunehmen. Der Markgraf ging au dieser
M»ltNftmen Oi>eration natürlich zu Grunde.-
Der Herzog Leopold V. von Österreich brach öich i. J. 1195 durch
cmen Sturz vom Pferde den Unterj^chenkel, so das« die Bruchenden
Knochens durch die Haut hindurch drangen. Seine Ärzt*3 behan-
dten ihn mit Ptlastem und Arzneien, bis der Brand eintrat Sie
ireigerten sich^ die Amputation vorzunehmen, obwohl der Patient sie
lerlaogte. Einer seiner Diener vollzog sie dann; aber der Erfolg war,
me vorauszusehen, ein ungünstiger. Der Herzog starb am folgenden
Tage,* Verwegenheit und Feigheit, <lie lünder der Unwissenheit, waren
4ie Eigenschaften, welche die grosse Masse der deutschen Chirurgen
Zeit kennzeichneten.
Selbst die ßündth-Erzney des deutschen Ordensritters Heinbich
voK PfoiitPEL^Ki/r, des hervorragendsten Wundarztes, welchen unser
Jf'iterland im 15. Jahrhundert hervorgebracht hat, kann sich nicht
den chirurgischen Werken der Italiener und Franzosen messen;
iem m war eigentlich nicht viel mehr als eine Anleitung zum Ver-
bimleu und Behandeln der Wimden und äusseren S(*.hüden.
Nirgends vermochtre sich die Chirurgie während des Mittelalters
m der Höhe zu erheben, welche sie im Alterthum erreicht hatte.
A!' ' finden sich in den Schriften einzelner Wundiirzte Bemerkungen,
«* jH richtige Erkenntniss der Aufgaben der Chirurgie, eine vor-
treffliche Beobachtungsgabe und eine reiche Erfahrung liekunden; aber
4 Jfon derselben war die geistige ünselbstständigkeit, die das
.ilter beherrschte,
ron», BoEtiooKüNi em[dahl eine möglichst einfache Behandlungs-
^ V. DK 1^ FiTEifTE a, ft. O. 11, p. 479.
* Chron. tnont. stiren, ed. Eckatein im Pro^. d latein. Hauptscbule zu
Halle, tUlLe 1844, p. bX
• WiUit tf» Niwbitrüh; lliat. rer. Angl. Hb. V, c. 8 in Rer, brit med. «evi
W^ T. Si, Äbth. 2, p, 482 u, 01, London 1885.
15*
weise \mä wieg auf die Heiliifip p^- primnm hinJ TTnter «len Blaw
«tillunj?smitteln wurde von Lanfranchi u. A, auch die Unk*rbm<tnng
erwähnt. Derselbe suchte femer die Diaürnostik der Schädel -Fraktur<;ii
zu fikdei-n mu\ heschrfuiktt^ die Tropunatiim auf dlejeni^»n) F;ill**, in
denen dasUehirn durch eingcflrungene Knochen-Fragmente in MitHiien.
8i*hiift gezogen war.^ Guy von ('IIauuac sehrieb, liass der Verleüie,
wenn man einen MetallsUlj, den er zwischen den Zähnen halt, beml
einen Schmerz an der Ht^lle des Schädels^ wo der Bruch ist, empftn
Kr stallte ebenfalls die Indicalionen zm Trepanation fest und schild
die Ausfulirung derselben.^
Der Amputatiim gmg er aus dem Wege; trat Brand in einer
tremiliit auf, so wartete er^ bis sich derselbe in dem xunäeh^l gelft
Gelenk abgrenzte und sich dOcS Glied von selbst ablost-e.* Bei der
handlung der Fraktur dea Olierschenkels wendete er die dauernde
tension des Gliedes au, die er durch ein Gewicht, welches an eil
über Rollen laufenden Schnur zog, herbeizuführen suchte.* Die Bmkn,
die zum Verband gel^rochener Extremitäten gebraucht wurden, \m\
man vorher mit Eiweiss, welches nach der Gerinnung eine gewisse
beweglichkeit des (tliedes bewirkte.**
Man kannte die Schlundsonde und benutzt»^ sie zur künstlicl
Ernäbrung.^
Fisteln wurden durch die Enzian wurzel erweitert oder mit
Messer in i^ffene Wunden umgewandelt/ In der Operation der Ma^'
darmlist^ln genoss Jhun Ahdeun einen grossen Ruf,*'* Die Herriiei
wurden durch an<iauernde Hiickenlage oder durch Bruchbänder
handf*HJ" Eine wesentliche Förderung erfulir die Herniologie dui
tiFY V. CiiArLiAf\ wetcber verschiedene Fni-men der Hernien ni
ihren Hrucbjdorten nuterschied und die Varicoc^le, Hydrocele
Sareocele überhaupt davon absondertet' Die Radikalheilung suchte tm
um
' Chirurj?. TT, t\ *JT, • Lakfrakohi: ('hir. parva, c. t.
* Guy V. Chaümac: Ars chirtirg. tr. III, doctr. 2, c«p. 1, Venet IM6.
* Gnv V* CuAtTLiAC tt. a. 0. tr. VI, d, 1, c. 8.
* GvY w CiiAtJUAc H. a. <>. tr. V, d. 1, c» 7 fad pethm Uyo pandiis ph
transaundo chordam super parva m pohgeam ; itaqiie tmehit tihiam in
hf^tudim). * Grv v. CaAüLrAc- a, a. fX tr. V, d. !, c. 1.
^ M, C, Brorkx: La Chirurgie de M, J, Ypermim in den Anrml. de T«
d'arcb^^ol de Bi'lgii|uc, Anviirs 1803, p. 12H~326,
^ Gut V. CitAULiAc ii. n. O. trju't. I¥, d. 1, c, fj.
" A, Gore im Dubbu Journal of metÜcai acience 1883, p. 26^ u. C
*' Bkoi-:k7c: Ypermän a. a. 0. p, 178*
'^ Gl v v; Chai UAO a. a. O. tr. VI, d. 2, c, (i, 7. — E. Auiviit: Dil* He
b^gic d. Alton, S. lOl n. ff.
eil Atzungen der Brachpforte nach Reposition der vorgefallenen
jeweiile zu erzielen. Zu der Entfernung des Hodens^ welche btji
Scroul-Hernien aniefewendet wurde, entschlossen sich nur die heröm-
denden Empiriker.
Aach der Steinst'hnitt^ welcher nach dtr Methodn des Celsus aus-
wnrde, lag in den Händen von Specialist^n dieser Art Bei
ren dpr Harnröhre wurden Bouofies aus Wachs, Zinn i>d<^r Silber
niucht. Bei Erkrankungen der Blase und lieim TripfK-r vt^rurdiiüte
JoiiN Abdebn Einspritzungen»
Einzelne Beschreibungen von Ueschwüren und brandigen Zer-
störungen an den Gesehleehtslheilen be/ii4ien sich niit grusst^r Wahr-
»cli'^inlichkeit auf venerische Affectionen. Auf die älti*re Geschichte der
Sjphili», von der man lange Zeit irrthümlicher Weise annahm, da^ss
4% mu Ende de.^ 15. Jalirhunderts überhaupt erst entstanden sei, wirft
die Enählnng. dassj Yprrman mit einer Quecksilber-Salbe viele „Aus-
ß" geheilt habe, ein klärendes Licht J Übrigens wurde dieses
ifl dllinuls häufig bei Geschwüren und Hautleiden gHbraucht.*
fei ▼* Ghattluc gab den Rath, hartnäckige Geschwüre durch Auf-
iner Bleiplatte, welche mit Quecksilbersalbe l^estrichen war, zu
öln. Beim naniiioin empfahl er das Glüheisen und df^n subli-
mjrtcD Arsenik.^
Eine bedeutende Bereicherung erhielt die Chirurgie diocli das
Wi«?drniuflebi'n der plastischen Üperatiunen^ welche, wie erwähnt, schon
im Alt^rthuni bekannt waren. In Noreia und Preci in Calabrien lu^-
lehafügten sich die Mitglieder mehrerer Familien seit Jrher mit der
Ausführung einzelner chirurgischer Operationen, z, B. der Bnichuperatiou,
dem Steinschnittj der Staaroperation u. a. m. Hier tauchte auch die
^-rete Kenntniss der Hhinuplastik auf. Der Wundarzt Bkanca^ welcher
im Beginn des 15. Jahrhunderts zu Catania in Siciiien die Praxis aus-
übte» erregte flnrch die Kunst, fehlende Nasen und Lippen dnroh
Htfrrtberziehen benachbarter Theile der Gesicht^^baut zu ersetzen, be-
f>schtigteÄ Aufsehen.* Auch sein &.^hn Antonio besass darin eine
jfTDÄie Oedchicklichkeit; doch wurde später statt der Haut des Gesicht»
«iüt» geeignete Stelle der Haut des Oberarms zum Ersatz des Substanz-
nflutftes Terwendet Dieses 0|»erationsverfahren wurib« allinälig bei
' Bkoiucx: Ypermao a, a. O. p. 145.
' Atumlen von Waverley bei Alp. Corram: Nuovi dofumenti jier in storia
MU tanlattie veneree in Ann. nmv. di med. Md&ao iaS4, vol. S69, p, 269.
* Otrr V. Chaüijac a. a. O, tr. IV, doctr. 2, c. 6.
* Barth, Ficitre: De viris üluirtr. Floren t, 1745, p. 38. — E. Zrju: üe»i'hichte
I liif. Chirargie, i.eipsig 1863, S. 188 ir, rf.
230 Der medicmische Unterricht im MittelaUer.
den Chirurgen bekannt und gelangte sogar nach Deutschland, wie aus
Pfolspeundt's Buch hervorgeht.
Nicht unerw'ähnt darf bleiben, dass man bei den grossen chirur-
gischen Operationen bereits anästhesirende Inhalationen anwendete.
Sie wurden zuerst im Antidotarium des Nicolaus Praepositus erwähnt;
man Hess zu diesem Zweck Lösimgen narkotischer Substanzen, z. B. von
Opium, Hjoscyamus u. a., von einem neuen Schwamm aufsaugen, der
hierauf an der Sonne getrocknet, vor dem Gebrauch in heisses Wasser
gelegt und dann dem Kranken an die Nase gehalten wurde, damit die
aufsteigenden Dünste ihn in einen Zustand von Betäubung und Schmerz-
losigkeit versetzen.^
Die Augenheilkunde lag grösstentheils in den Händen von Em-
pirikern, welche mit Salben und Medicamenten die Heilung der Krank-
heiten des Auges versuchten. Die besten Augenärzte gab es, wie
Ali. Benedbtti sagt, im Orient;* von dort kamen Einzelne, wie
Benyenutüs Graphbüs, nach Europa und erzielten durch ihre Kunst
grosse Erfolge. Die Staaroperation wurde, wie im Alterthum, durch
Depression der erkrankten Linse, ausgeführt; Gut v. Chauliac schreibt,
dass man sie, um ihr Wiederaufsteigen zu verhüten, so lange damieder-
halten soll, bis man drei Vaterunser oder ein Miserere gebetet hat*
Noch schlimmer als mit der Augenheilkunde, stand es mit der
Geburtshilfe im Mittelalter. Die Arzte, welche dem geistlichen Stande
angehörten, durften sich nicht damit befassen, damit sie vor einer un-
ziemlichen Vertraulichkeit mit Frauen bewahrt wurden, und die übrigen
Heilkünstler thaten es auch nicht Unwissenheit, Bequemlichkeit und
andere Ursachen hielten die Arzte ab, Geburtshilfe zu treiben. Sie
wurden zu Gebärenden nur gerufen, wenn es sich darum handelte,
abgestorbene Früchte aus dem Mutterleibe zu entfernen oder die nach
der Geburt zurückgebliebene Nachgeburt zu lösen. Auf diese beiden
Aufgaben beschränkte sich im Allgemeinen die ärztliche Thätigkeit auf
diesem Gebiet Guy v. Chauliac sagt in seinem chirurgischen Werk,
dass er sich dabei nicht lange aufhalten wolle, weil die Geburtshilfe
gewöhnlich nur von Frauen ausgeübt werde.
Allerdings ist in dem naturwissenschaftlichen Werk des Thomas
VON Cantimpb*:, sowie in dem Breviarium, welches vielleicht mit Un-
recht dem Arnald von Villanova zugeschrieben wird, von der Wendung
* Guy V. Chauliac: Chirurg., tr. I, doct 1, c 8. — A. Corradi: Eecursioni
d*uii medico nel Decamerone in Atti dell' istitato Lombarde, 1878, p. 127 u. ff.
* A. HnuscH: Geschichte der Augenheilkunde a. a. 0. S. 295.
* Guy V. Chauliac a. a. 0. tr. VI, doctr. 2, c. 2.
JWß Chirurgie und Qehurishiife.
231
»ttf den Kupf und die ¥\i^m die Rede, ^ und auch Guy spricht Yon der
Fmirandelung der äaomalen Kindeälage in eine normale; aber es la»st
ach nicht entscht*ideu, inwieweit diese Bemerkungen nicht blos auf
Üterarischen Reminii^cenzen^ sondern auf eigenen Erfahrungen beruhten.
Dor Kaiserschnitl wurde ansi^^efuhrt, wenn die Schwangere vor der
G^lMirt starb, um wenn möglich das Leben des Kinde.s zu retten. xUich
an Lebenden wurde die Operation in einzelnen Fällen unternommen.
Schon der wegen seiner arztlichen Geschicklichkeit berühmte Bischof
Paull:» voif MjKRtDA, welcher im (». Jahrhundert lebte, entfernte bfli
eitter Extra-Üterin-Schwangerschaft durch einen Einschnitt in den ünter-
Wh ein abgetitorbenes Kind.^ Im J, 1350 wm*de au einer schwangeren
Fnwi m Medingen in Schwaben, welche, weil sie angeblich drei Hostien
i;estohlen hatte, um sie den Juden zu verkaufen^ zum Tode veruriheilt
w»irden war, der Kaiserschnitt vollzogen, bevor sie verbrannt wurde. ^
Die Geburtshilfe lug hauptsächlich den Hebammen ob^ welche auch
die bei der Geburt erforderlichen mauuelien Eiugriö'e unternahmen.
Ihre Ausbildung geschah wahrscheinlich handwerksmassig. Ihre me-
dicinischen Kenntnisse waren sehr verschieden in den einzelnen Ländern.
In Itaüen und Frankreich erhoben sich Einzelne derselben zu Ärztinnen,
deren Wissen sich über die gesammte Heilkunde erstreckte; in Deutscb-
Imd waren sie selten mehr als geübte Wartefrauen, welche in der
OebartiKhilfe einige Erfahrungen gesammelt hatten.
Pnlfimgen wurden Anfangs nicht von ihnen verlangt Über ihre
Befähigung urtheilte die öflentüche Meinung, welche in diesem Falle
durch die angesehensten Frauen des Ortes vertreten wurde. Dieselben
AiulA'n auch eine gewisse Aufsicht üiier die Hebammen. Spfiter standen
die letzteren unt^r den Siadtärzten, wek-he sie über ihre Kenntnisse
enminlrten. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts begannen einzelne
Mdte in Deutschland^ Hebammen anzustellen. Ihre Besoldung war
freilich nicht bedeutend; so erhielt die erste Stadt- Hebamme in
Ffttkftirt ft- 31 jährlich vier Gulden, und von den übrigen jede zwei
Orfden,*
* Armaüp V, ViLLANovji: Hrrvtanum, Hb. Ol, v. 4.
* C. F. liic;aisr<i£it im Janu8 I, IM u, C
* G. Lamxert: Volksmediciu u- medicm. Aberglaube in Bayern, Würzburg
IMS, 8. 12.
^ iU[a(»K a. a. 0. I, 14
232 Der medidnisdie Unterrichi im Mittelalter.
Der ärztliche Stand und die medioinisohe Literatur
jener Zeit.
Ausser den Ärztea für innere Krankheiten, den Chirurgen und
Augenärzten gab es Zahnärzte und Specialisten für verschiedene innere
und äussere Leiden.^,
Die Barbierer und Bader waren eben&lls zu gewissen ärztlichen
Verrichtungen berechtigt. Sie unterschieden sich in den ersten Jahr-
hunderten des Mittelalters von einander und verschmolzen erst später
zu einer Zunft. Die Bader waren damals zahlreicher als heut, weil
die Sitte des Badens allgemeiner verbreitet war. Jede Stadt, ja sogar
viele Dörfer hatten öffentliche Bäder. Frankfurt a. M. besass im J. 1887
wenigstens 15^ und zählte unter seinen Bürgern 29 Bader; Mainz hatte
im 14. Jahrhundert 4, Würzburg im 15. Jahrhundert 8, Ulm 11, Nürn-
berg 13, Augsburg 17 und Wien 29 öffentliche Bäder. ^
Zu diesem zur Heilkunst durch die gesetzlichen Verordnungen
mehr oder weniger legitimirten Heilpersonal traten noch andere Kate-
gorien, welche das Herkommen als Hechtstitel für diese Beschäftigung
betrachten durften. Hierher gehörte zunächst der Scharfrichter und
zwar nicht etwa in dem Sinne, dass derselbe durch seine Berufsthätig-
keit allen Leiden des Menschen in summarischer Weise ein Ende machte
sondern der Henker verrichtete in der That ärztliche Dienste, indem
er die Wunden, welche die Folter geschlagen hatte, behandelte, die
ausgerenkten Glieder wieder einrichtete u. a. m.
Die Ausübung der ärztlichen Praids war allerdings in den meisten
Ländern nur Denjenigen gestattet, welche durch erfolgreiche Prüfungen
ihre Befähigung dazu nachgewiesen hatten. In Paris wurde die Kur-
pfuscherei schon L J. 1220 verboten. Übertretungen dieses Gesetzes
wurden streng bestraft, wie die Akten eines darauf bezüglichen Pro-
zesses V. J. 1311 beweisen.^ Es kam sogar zur Excommunication.
Auch in Wien wurden Leute dieser Art vom Empfang der Sakramente
ausgeschlossen.* Gleichwohl fehlte es nicht an Kurpfuschern beiderlei
* Chiaprlli a. a. 0. p. 7 u. AFI — S. de Benzi: Storia docum. della scuola
med. di Salerno, p. 559.
« Kmeok a. a. 0. II, 15 u. ff.
' Gr. Zappebt: Über das Badewesen mittelalterlicher und späterer Zeit im
Archiv für Kunde österr. Geschichtsquellen, Wien 1858, Bd. 21. — R. Hoffmann:
Die Augsburger Bäder und das Handwerk der Bader in d. Zeitschr. d. histor.
Vereins f. Schwaben, 1886, Jahrg. 12.
* Hazon a. a. 0. » Rosas a. a. 0. I, 124 u. ff.
Dar ärzilich£ Siand umi die medwiniscJie LUeraiur jener Zeit, 233
ßeischlechts. tTbrigem» kam m nicht seltan vor^ dass Empiriker, welche
keine systematische medicinische Ausbildung erhalten hatten, von hohen
Herren and Behörden Zeugnisse und Diplome empfingen, wenn sie
Erfolge in der Hoilkunst erzielten, und Mangel an Ärzten herrschte.
Übear die Hohe der ärztlichen Honorare lä^st sich ein uogetahres
Crtheil fallen ^ wenn man die ge^^etzlichen Taxen, die in einzelnen
Öftren bestanden, in Betracht zieht. Darnach wurde im 14. und 15. Jahr-
hundert zu Venedig für jede ärztliche Visite bei alltäglichen Krank-
heiten 10 Soldi gezahlt; in Mailand durfte der Arzt für jeden Tag der
Behandlung 12 — 20 Soldi, für einen Besuch in der Nacht einen Du-
kaieHy und ausserhalb der Stadt für jeden Tag 4— tJ Lire fordern.^
John Aädhbn verlangte für die Operation der Mastdarmtistel ein Ho-
norar von mindestens 100 Gold-Sols. Reiche und vornehme Patienten
beschenkten Uire Ärzte mit grossen Summen und Landgütern, wälirend
Annen ihre Schuld durch ein Paar Hühner, durch Eier, oder
ichle abzutragen suchten.^
Aach die Besoldungen, welche die Leibärzte und Stadtarzte be-
fugen, zeigen, wie hoch die ärztlichen Dienste damals geschätzt wurden.
Die Herzöge von Savoyen, welche bekanntlich nicht zu den reichen
Fürsten gehorten, gaben ihren Leibärzten einen jährlichen Gehalt von
40 bis 60 Oulden; am Hofe zu Neapel erhielten sie dagegen 100 bis
3(X3 Dukaten. In Prag wurde den küniglichen Leibärzten der Niess-
uch mehrerer Landgüter eingeräumt.
Das Institut der Arduatri populäre, der besoldeten Stadtärzte, wie
t» im Alterthum bestand, hat sich in manchen Städten Italiens wahr-
sdieinlich ohne Unterbrechung durch da« ganze Mitteialter erhalten.
Die Ostgothen und Longobarden übernahmen es von den Römern und
' 'lieferten es vielleicht unverändert ihren Ntichfolgern in der Herr-
1 Italiens,
In Rom, ebenso wie in Däneniark und Schweden, war der Name
(jhiater als Titel für einen höheren Medicinalbeamten bis in die
leste Zeit üblich.
Die Stadtarzte hatten di«' PÜicht, die j>tadtischen Beamten, sowie
en der Stadt unentgeltlich zu behandeln, den ärztlichen Dienst
stadtischen Krankenhäugern zu versehen, den Gerichl^ljehörden
^ Sachverständige zur Seite zu stehen und in Kriegszeiten die Bürger
Feld zu begleiten; ferner führten sie die Aufsicht über die Apo-
n find nfiV'ntlit hen HTnisMr und leiteten die öttentliche Geiiundheits-
' Cllf AFÜLLl II. a* U. p. 29.
234 Der medieinische Unterrkht im MütdaUer,
pflege. Später übernahmen sie an manchen Orten auch den Unterricht
des niederen Heilpersonals und examinirten dasselbe.
In Venedig gab es 12 Arzte und 12 Chirurgen, welche von der
Stadt angestellt waren; davon empfingen die ersteren Jahrgelder von
15 bis zu 100 Dukaten, die letzteren von 10 bis 130 Dukaten. Selbst
kleinere Orte widmeten diesem Zweck in ihrem Ausgaben-Budget eine
bestimmte Summe. Treviso zahlte seinen drei Communalärzten 728 Lire
jährlich, Conegliano den Ärzten 350, den Chirurgen 250 Lire, und
Palermo bewilligt« den beiden dortigen Stadtärzten 50 Goldunzen
jährlich. ^
In Deutschland wurden erst im 14. Jahrhundert Communalärzte
angestellt. In einer Verordnung des Kaisers Siegmund v. J. 1426
heisst es: „Es soll in jeder Reichsstadt ein Meister-Arzt sein; der soll
haben hundert Gulden. Die mag er niessen von einer Kirche. Und
soll männiglich arzneien umsonst und soll seine Pfründt verdienen
ernstlich und getreulich." ^ Frankfurt a. M. hatte 1348 einen Stadt-
arzt, welcher die Kleidung und 10 Malter Kom erhielt;' später gab
es deren drei, deren Besoldungen sich zwischen 10 und 100 Gulden
bewegten.
Auch für das Militär, die Hospitäler, die Klöster und für einzelne
Geföngnisse wurden Arzte gehalt-en, welche eine bestimmte Besoldung
erhielten.
Die Arzte, wenigstens die Stadtarzte, genossen an vielen Orten
Steuerfreiheit und andere Vorrechte. Einige erhielten von den Städten,
in denen sie sich niedergelassen hatten, kostenfrei das Bürgerrecht In
gesellschaftlicher Beziehung standen sie im Range der Adeligen.
Die Mitglieder des ärztlichen Standes gehörten grösstentheils den
wohlhabenden Klassen an; man findet unter ihnen z. B. die Namen
der vornehmsten Familien Italiens vertreten. Dagegen gingen die
Chirurgen, namentlich in Deutschland, wohl vorzugsweise aus den ärmeren
Ständen hervor.
Ungemein zahlreich waren die Juden unter den Ärzten, Als
während der ersten Jahrhunderte des Mittelalters das medicinisohe
Studium in den christlichen Staaten des Abendlandes damiederlag, war
es ihnen vergönnt, durch die Berührung mit der arabischen Cultur
und aus den Forschungen gelehrter Rabbiner Belehrung zu schöpfen.
Es war daher nicht wunderbar, dass sie ihre christlichen Zunfbgenossen
* Chiapelli a. a. 0. p. 22. 31.
' Moehsen: Geschichte der Wissenschaften in Brandenburg, Berlin 1788,
S. 564. — P. Frank: System der medicin. Polizei, Wien 1817, VI, 1, S. 174.
• Kbieok a. a. 0. S. 8.
Wiss^ und Geschicklichkeit Qliertrafen. Bo kam es, dass sie. be-
aders in jenen Ländüm, in denen wie z. B. in Deutschland, die
Heilkunst am meist^en verna«*hlas8ifft warde, die gesuchtesten Ärzte
mirden.
Nicht hlüs Fimtfn nnd regierende Herren, selbst Bischöte und
Pähste hatten jüdische Leibärzte; in den meisten Klöstern waren Juden
Ärzte angestellt, wie Abnali» vnx Villanova i^ohreibt,^ In Prag
im 12. Jahrhundert, fast die ganze ärztliche Praxis in den Hunden
jiidisrhfr Ante; ähnlich scheint es in Avignon gewesen zu sein.* In
Frankfurt a. M. war i. J. 1574 Auam Loniceufs der ranzige christ-
hche Arzt: seine durtigen Gediegen gehörten sämmtlich dem israelitischen
«ilauben an,' Es erklärt sich dies zum Theil daraus, dass den Juden
^ie meisten übrigen gelehrteTi Carrioren rerschlossen waren. Allerdings
urde auf mehreren Kirchen-Concilien bestimmt, daas die Christen
kerne judischen Ärzte zu Rath ziehen sollten; aber die (teistlichen
»hrten sich selbst nicht an dieses Verbot, Auch hatte es keine Geltung,
Iri'nn an dem Ort gar kein uder wenigstens kein tüchtiger Arzt des
''bri^tlieben Glaubens vorhanden war.
Als die Wolfen der religiösen Leidenschaften hoher gingen, und
dii» Judenverfolgungen begannen, machten sich die Folgen auch auf
diesem Gebiet bemerkbar In den Statuten der medicinischen Pacultat
1^1 Ir* ' V. J. 1472 wurde den christlichen Ärzten Terboten, mit
ihren ., . .. u 'U CoUegen (Vinsüien abzuhalten,* und in der Hebammen-
<Mnung, welche 1451 zu Regensburg erlat^sen wurde, heisst es, dass
<lie!»lben zu jeder ihrer Hilfe bedürftigen Frau gehen sollen, ,,nur allein
/n e'iner Jüdin sollen sie nit kommen**,*
Der Klerus wurde ?on der Ausübung der amtlichen Praxis sowohl
iltirch die Gesetze der Kirche als durch die zunehmende arztliche Con-
«^arrenz, welche ihm seit der riründung di*r Universitäten entgegentrat,
mehr und mehr zurückgeschreckt Auf den Concilien zu Rheims (1131),
im Utenin (11391, zu Montpellier (1162), Tours (1163), Paris (1212),
im Lateran (1215) und durch die Decretalen der Pabste Alexander lU.
(1180) und Honorius IIL (1219) wurde den Geistlichen untersagt^ ärzt-
hebe Praxis, besonders Chirurgie, zu treiben,
Diet^es Verbot wurde wahrscheinlich nicht befolgt, weil es so oft
• GüDBHi?<K' Goecliiclite des Erziehungswcacnfl der Jud*^n, Wien, I, S. 155.
• J, r. U Afixen in der Pm^^er Vierteljahraachrift 1866, Hd. *^0. — G. Bayle
• W. SnuacKu: Geschichte der Heilkunde in Frankfurt »i. M.. 1847, S. 68.
• P&ABTL a. Ä. 0. n, 47,
L* G, LAHitinrr: Gescliichte des bür^erliehen Li^b«ii^, Reg«üdburg t880, 8, 2S9.
236 Dei' niedicini^die Unterricht im MittelcUter.
wiederholt werden musste, jedenfalls aber häufig umgangen, wozu
Stipendien, Dispensationen^ und manche andere Einrichtungen sogar
direkt aufforderten. Immerhin wurde soviel erreicht, dass sich die
Geistlichen wenigstens von der Ausführung chirurgischer Operationen
und der Behandlung der Frauen fernhielten. Dagegen blieb das
medicinische Lehramt an manchen Hochschulen noch lange Zeit in
ihren Händen. Es lag dies daran, dass mit den Lehrstellen zuweilen
Pfründen verbunden waren, deren Genuss den geistlichen Charakter
ihres Inhabers zur Voraussetzung hatte. So war z. B. der Professor
der Medicin an der Wiener Universität H. Lubcz zugleich Pfarrer von
Hohlfeld in Bayern; er hielt sich dort einen Vikar, während er selbst
in Wien die Lehrthätigkeit ausübte.*
In Folge dieser Verhältnisse wurde auch an vielen Universitäten
das Cölibat von den Lehrern der Medicin gefordert Als L J. 1479 der
Kurfürst Philipp einen Laien als Professor der Heilkunde in Heidel-
berg anstellen wollte, protestirte die Hochschule dagegen, weil er kein
Kleriker war. Es wurde erst durchgesetzt, nachdem der Pabst i. J. 1482
gestattet hatte, dass auch Laien, sogar verheirathete, zu Professoren der
Medicin ernannt wurden. ^
In Paris, wo man das Cölibat so streng beobachtet hatte, dass
dem Jean de Pois i. J. 1395, weil er sich verheirathet hatte, sogar
die Licenz entzogen wurde, wurden diese Bestimmungen durch den
Cardinal d'Estout^ville 1452 aufgehoben. An manchen Orten setzte
man sich stillschweigend darüber hinweg und gewährte in solchen
Fällen auch Pfründen an Bewerber, welche nicht allen Vorschriften der
kanonischen Gesetze zu genügen vermochten.^
Der Klerikalismus machte sein Übergewicht auf allen Gebieten
des öffentlichen und privaten Lebens geltend. Er blickte aus allen
geistigen Bestrebungen, welche die Periode der Scholastik erfüllten,
siegesgewiss hervor. Auch die naturwissenschaftliche und medicinische
Literatur wurde davon beherrscht. Sie diente ebenfalls nur dem einen
Zweck, die Wissenschaft zur Begründung und Stütze des theologischen
Dogma zu machen.
Die naturwissenschaftlichen Werke des 13. Jahrhunderts trugen
einen encyklopädischen Charakter. Die hervorragendsten Autoren waren
der Dominikanermönch und spätere Bischof von Regensburg Albebtijs
^ A. CoRRADi in Bend. d. R. ist Lomb. 1S78, ser. II, v. VI, p. 863.
' AfiCHBACH a. a. 0. I, S. 410.
3 J. F. Hautz a. a. 0.
* Paulsen in Sybkl's histor. Zeitschr. Bd. 45, S. 310. 434. — Hefklb: Con-
ciliengeschichte VII, 855.
Der ärzilkM ^and und du mtdimninriht LUfratur jener Zeit, 237
3S, der llmorit BabthoIiOmäus Anolicus, die Franzosen Thomas
vcix CaktimphK und Vincbnz von Bbauvais, die Italiener Brüketto
LiToa, der Lehrer Dante's, und RisTOBin d^Are^^zo und der Deutsche
KtTXRAT VON Megenbekg; auch die vnn Mönchen des Klosters Mainau
fftrfiisste Naturlehre gehört hierher.
Die eigentliche ärztliche Literatur liereri»- hauptsächlich Erklärung^-
»shriflen zu den Werken der Alten und der <lurch lateinische Über-
Mzangen bekannten anibi.schen Schriftsteller Dieser Art waren die
Arbeiten von Tabheo Alderotti^ genannt FLORENTnorfi. Dtno und
ToMMAHd DI Garbo y Bartolomeo Varignaka, Tuhhigiano, Giacomo
uEhUL TtjRHK, Giovanni und Marsilio di S. Sofia, Giacomo »e Dondi,
Fmakcesgo DJ PrKBtMONTE Und Jacques Dei^par^ aus Touma3^
Kurze für den Unterricht der .Studierenden und den Gebrauch der
Änt* i»f rechnete Auszüge der umfangreichen therapeutischen Werke der
iber und gedrängte Zusammenstellungen der gebräuchliehsten Heil-
ri entspHUrhen den Bedürfnissen des Tages, Hierher gehören der
sanaiionis des Sjmük von Genta, die medicinisehen Pandekten
*'to Matthäus Sylvattcith, der Aggregafor Brixinmta des GüOLrEiiMo
Cosn. die medicinisehen Compendien des Gilbertcs ANOLicrs und
im Schotten Gorim^n. und die Schriften des Johann von Tornamira.
des Portugiesen Valescüs von Taranta, des Florentiners Niccolo
FAwnjcxn^ des Michele Savonarola, Antonio GrAiNERi u. A.
Einen unabhängigeren St^mdpunkt nahm der durch seine natur-
wisi^nschaftlichen Kenntnisse hervorragende Peter von Abano ein.
welcher in seinem CorteiUator tliffermtiamm eine strenge, zuweilen zer-
si^lzende Kritik der damaligen Theorien der Heilkunde lieferte. Um
dieselbe» Zeit traten der Engländer Roger Bacon und der Catalonier
^Ai*D VON ViijLanova für die Freiheit der Forschung ein lunl er-
Irtcn, dass die Xaturwissensehaften und die Medicin nur allein durch
die Beobachtung und die Erfahrung eine sichere Grundlage erhalt-en.
Sie bahnten dadurch eine selbststandigere Richtung in der Heilkundig
an^ welche sich in den Schriften ihrer Anhantrer, besonders an den
Heholen zu Montpellier und Prag, kund gab und sich auch in den
17*' TiMU Sammlungen von Krankengeschichten äusserte, welche im
fl 15. Jahrhundert, verfasst wurden. Bei allem Festhalt-en an den
benähenden Lehren brachten sie doch manche werthvolle eigene Be-
pbacbton^, welche eine Bereicherung der medicinisehen Wissenschaft
Kidete.
8o beüchrieb Huoo Bencio Falle von periodischem Wahnsinn,
rhot» und Syphilis. Matteo Ferrari i»e Gradiiuts behandelte
dtiitf-n. di^r :im Srbiriljkrampf litt, und beobachtete die mit
238 Der tnedwhmclie UnterricfU im Mittelalter,
Verzerrung des Gesichts verbundene Lähmung des N. Facialis, Hallu-
cinationen des Gesichts und hartnäckigen Speichelfluss. Bayebius be-
richtete über einen Paralysis der oberen Extremitäten mit Störung, der
Sprache und Gedächtnissschwäche, welche angeblich nach einer heftigen
Halsentzündung zurückgeblieben war.^ Henbi de Mokdeville und
Guy von Chaüliac sahen Fälle von Verletzungen des Gehirns mit
Verlust von Substanz desselben, ohne dass dauernde geistige Störung
eintrat.*
Gleichzeitig mit dem Wiederbeginn einer selbstständigen Eranken-
beobachtung wurde ein regeres Studium der Anatomie und ein erfolg-
reicher Aufschwung der Chirurgie vorbereitet, wie ich an einer früheren
Stelle auseinandergesetzt habe. Auch andere Zweige der Heilkunde
wurden gefordert; es entstand eine durch den Reichthum ihrer Erzeug-
nisse bemerkenswerthe balneologische Literatur, welche die meisten der
damals bekannten Bäder in Betracht zog. Auch Deutschland war
darunter vertreten; der Nürnberger Barbier und Meistersänger Hanns
FoiiZ verfasste l J. 1400 ein „Büchlein von allen Bädern, die von
Natur heiss sind."
Daneben erschienen besonders in Deutschland auch viele populäre
medicinische Schriften; es waren dies für den häuslichen Gebrauch
bestimmte Receptsammlungen oder diätetische Verhaltungsmassregeln^
die nach dem Muster des Regimen ScUemitanum bearbeitet waren, wie
das Arzneibuch des Oktolf von Bayerland, der Mainzer Gesundheits-
garten u. a. m.
Das Mittelalter war somit in geistiger Beziehung keineswegs co
öde und unfruchtbar, als es von manchen Schriftstellern dargestellt
wird. Es herrschte ein reges Leben auf allen Gebieten der intellektuellen
Thätigkeit. Wenn die Ergebnisse derselben nicht den Mühen und
Arbeiten, welche aufgewendet wurden, entsprachen, so lag dies daran,
dass die letzteren eine falsche Richtung verfolgten oder auf ihrem Wege
Hemmnisse fanden, die sie nicht überwinden konnten. Das Joch der
Scholastik lastete auf der Wissenschaft, und die Autorität der Kirche
wies ihr Ziele an, welche ihrem Wesen fem lagen und unerreichbar
waren.
^ Ch. Daremberg a. a. 0. I, p. 338 u. Ö*.
' Guy V. Chaüliac a. a. 0. tract. HI, doctr. 1, c. 1.
^m-^mellicinisclie Untern (^f^fiTfleFl^
Der Charakter des 16, Jahrhunderts,
.lemehr das Wissen sich vennelirte und yerbreitet«, desto mebr
Imh sich «üe Überzeu^ng Bahn, diiss der Gredatike von den Fesseln,
wdche ihn darnieder hielten, erlöst werden müsse* Wa.s im 13. Jahr-
hirodert nnr von wenigen auserlesenen Geistern ^^efühlt und kühn und
tiDerschrocken verkündet worden war, erfüllte am Schluss des 15. Jahr-
iönderts die Herzen aller Gebildeten, Der Drang nach Freiheit und
Mbötetändigkeit machte sich auf allen Gebieten des geistigen Lebens
gcileod und bildete in der Kunst wie in der Wissenschaft^ in der Re-
ligioD wie in der Politik den Grundton, der überall hindurchklang.
Mächtige culturhistorische Bewegungen, wie diejenigen des 10, Jahr-
honderts, entstehen nicht plötzlicli, sondern sind die Frucht einer langen
wfbereitenden Thätigkeit Sie bestehen längst, bevor sie in die Er-
iichanuog treten, der oberflächlichen Betrachtung entzogen und nur
im kundigen Auge erkennbar. Gleich den Keimen der Pflanzen,
' |j den Erdboden erfüllen, reifen sie in der Verborgenheit und
11' 11 herv'or, wenn ihre Zeit gekommen isL
Die Wurzeln der reformatorischen Bestrebungen des Iti. Jahr-
knderts reichen weit in da« Mittelalter zurück. Ihre Geschichte erzahlt
ron vergeblichen Vei^suchen, fruGhtlosen Mühen, zertretenen Hoflhimgen
und blutigen Opfern. Um die Freiheit des Gedankens wurde schon
in früheren Jahrhunderten mit Begeisterung und Hingebung genmgen;
aber die Kampfer standen vereinzelt und wurden von ihren Gegnern
öberwalügt
Luther und Melanchthon hatten ihre Vorläufer, welche für ihre
Üljerzeugung in den Tod gingen.
Die Unterdrückung des Ranbritterwesens und die Angriffe gegen
Feudalismus wurden durch die Entwickelung eines unabhängigen
ohihabenden Bürgerthum^ vorbereitet und begünstigt.
840
D&r tmiiemimsim Uni/erridü m der NmixmL
Kirnnt nnd Wi«!sensc!iafl wnrden dureh den Humani^inu^, welcl
seit Pi-rruAHCA in Italien gei^flefsft wur<1e, zum Studium der Antike
der Beobachtung der Natur zurückgeführt Die Künstler machten
von den mitU^liilierlichen Traditionen hs und gahm ihren Geslalt«?
einen freieren AuMruck, welcher der Nafur nbgelanscht \iiid danur
wahr war und die Herzen erwärmte.
Was für die Kunst die Früh-Renuis-Hiuiw, das wrir für di«* Wissf^
8chaft das Studium der römischen und griechischen Orijcrinal werke uinl
der Beginn einer selbstständigen NaturforscJiung. In den Schulen ib
^littelaltern hatte man die Schriften der römischen rlassiker nur selti»ii|
und diejenigen der griechischen niemals in ihrem ursprünglichen Text
kennen gelernt. Das I>at/ein, welches beim Unterricht und im iöglicbfa
Verkehr zwischen den T.Hhrern und Schülern gesprochen wurde, wir
sehr verschieden von der iSprache eines Cicero oder Quintilian. Dil
griechische Sprache wurde nirgends in den Bereich des Unternchli
gezogen, und die Kenntniss derselben war so selten, da8S pKTBAUCi'
i. J. 1360 kaum zehn Gelehrte in Italien zu nennen vermochte^ welcta
sie verstanden J
In den ül»rigen Ländern stand es damit ji?denfalls nicht beaer.
Die literarischen Werke de^ Alterthums wurden dem Mittelalter hanpt-
sächlich durch lateinische Übersetzungen. Bearbeitungen und Aunzüg^
zuganglich gemacht, welche häniig nicht nach dem Original, sondm
nach arabischen Übertragungen angefertigt wurden. Auf die Forin
und den Ausdruck der Spruche legte man dabei wenig Gewicht: denn
8ie wurde nicht als Bildungsmittel des Ueistves iKstrachtet, sondern gdl|^|
nur als die werthlose Schale für den kostbaren Inhalt^ den man suchte!!^!
Al>er auch dieser erhielt sich nicht rein und unvertalscht; denn er
erfuhr diejcmgen Änderungen, welche man im Zeitalt«! der Sehula^lik
für die Autorität der Kirche \md das Seelenheil der (»laubigen fuT
nothwendig hielt.
Als man erkannte, dass man bei diesem Verfahren nicht in den
vollen ungeschmälerten Bt^sitz der reichen Schätze des Wissens gelangte^
welche das Alterthum hinterlassen hatte, begann man, die Schriften
derselben wieder in ihrer ursprünglichen Überlieferung zu studieren.
Die heidnischen ilüssiker erwachten zu neuem Leben und vci i
mit flammenden Worten die Grösse und den Kuhm der Verga i
Am frühesten ge^schah dies in Italien, wo zahlreiche Überreste von
Bauwerken, Statuen und Inschrift-i'n an die Ciiltur der Homer erinaertt'n.
4
M 107.
n. Vuiut: Dif^ WlfMlerbelebung dtss clManiV'ben AlU^rthoins, Berllo 1
Der Charakter des 16, Jakrhmiderts,
241
diesem Boden lernte man zuerst wieder die echte Latinität kennen,
lind von dort greUing'te diese Wissenschaft im 15, Jahrhundert auch in
andtTo Lander, An den deutschen HochschuU*n wurden Lehrkrmzpln
fir lateinische Ek>quonz und RhetiJrik errichte'!, d^ren Inhaber durch
ihn* Beden and Di<^htuii|,a^n die Bewunderung und den Neid ihrer Zeit-
ssen erre^iften, Gleiehxeitig f»riangte diu Kunntniss der grierhisehpn
lie eine aUgemoinu Verbreitung^ in den Kreisen der Gelehrten,
war die^ zum grossen Theile das Verdienst der ^rieehifsichen Flucht-
e, welche nach der Unterwerfunj[f ihre^^ Vaterkndes durch die Türken
Italien kamen und dort eine neue Heimath fanden. Cheysolajias,
RGios VON Tbapeziint, Tetkodoros Gaza, BessarioNj Konstaiton
flxsoRTs u. A, brachten viel*^ werthvolle ^Tieehi>?che Hundschriften mit
[vnd jiiimmelten einen Kreis von aiiserwählten Schülern um sich.
An den Höfen der für Kunst und Wissenschaft empfanglichen
[Torsten Italiens^ namentlich unter den Mediceeni, entwickelte sich ein
Caltns des Hellenen thums, welcher die hervürra<:j:endsten Männer des
Staates vereinige, tlelehrte Geselhchaften, welche sich Piatonisehe
ihtiemien nannten, ^ mrichten die Ptie^re der ^meehischen Literatur zu
ihrer Lobensauf^^abe, Die heiteren Formen des griechischen Lebens
»nt)erten ihnen Bilder lachenden Menschenglücks vor die Seele, die
sie dem traurigen Ernst der christlichen Entsagung entrückten, welcher
die Freude hasste und verdammte. An den Idealen der Freiheit und
antiken Heldengrösse richtet^^n sie sich auf, wenn sie die Betrachtung
der trnstlüsen politischen Zustände der Gegenw^art darnieder drückte*
Die Schriften der Weisen des Allerthums boten ihnen reiche Anregung
ßtid Belehrung auf allen Gebieten der wissenschaftlichen Thatigkeit;
hier fanden sie die Grundlagen der PhilosophiCj Rechtswissenschaft-,
Mathematik, Astronomie, tJeographie und Physik, der Naturwissenschaften
ond der Heilkunde.
Mit der Wiederbeieluing der griechischen und r<imischen Literatur
erschlos-S sich eine Welt von Ideen und Bestrebungen, welche geeignet
erschienen, an die Stelle der abgestorbenen Lebensformen des Mittel-
alters zu treten. Der nach einer modernen Entwicklung der Cultur
ringende Geist des Zeitalters glaubte darin eine wirksame Watfe für
den grossen Kampf gegen die Kirche und die Scholastik zu tinden
und tauschte sich nicht. Allerdings blieb der Humanismus auf einen
kleinen Kreis beschrankt; aber derselbe bestand aus der geistigen Elite
der Völker.
' P. ViLi*4Äi: Niculo Mttccbijivelli und seine Zeit, Deutsche Übers., Rudol-
it 1882, I, 147 u. ff.
Puiomuinf, Uotarrlcbt. lg
242
Der fnedicini9Ghe UnterriM in der Nenzeä,
Die Ideen des Humanisinus ergriffen die Gemüther mit solc
Macht, das« sich ihnen Niemand entziehen konnte, nicht eijimitl
jenigen, welche darin ihre nutürlichen Feinde sehen mussten» die Ver*^
treter der Kirche und des Klerikalismiiis. Selbst am pätistlicheri Hofe
fjinden sie gastlJcht» Aufnahme. Nicolau^ V. war ihr wohlwollenJer
Freund uoil Gönner, wenn auch vielleicht mehr aus persönlicher KikU
keit, als aus innerer Cbeneugimg. Piiis IL hatte vür seiner
bestei^ung, als er noch den Namen xVeneas 8vhiu8 führte, mit gru
Eifer för ihre Verbreitung in Deutschland gewirkt und blieb alle
ihr treuer Anhänger und Vertheidiger in Wort und Schrift
Ihre Wirkungen äusserten sich übrigens weniger in der Reli
ak in der Kunst und Wissenschaft, Die llumani^ten vermieden
Allgemeinen direkte Angriffe gegen die Dogmen der Kirche, Au< 1
nicht zu l)efürehten, dass die lustigen ^ bisweilen sogar etwas tu
Götter Griechenlands den christlichen Cultus verdrängen würden, wen«
dies auch manchen Vertretern des Humanismus nach der Art
Fetek LüdeHj Buscbiüs oder Lijüch von Huttek vielleicht en^u ;
^ewe^en wäre. Der Einfluss, welchen die humanistischen Studien auf
die christliche Eeligion ausübten^ lag hauptöachiich darin, ians sie n
einer Vergleichung mit den supranatumUstischen und ethischen An-
schauungen des Alterthums herausforderten and dadurch eine freiere
Beurtheilung der christlichen Lehren ermöglichten*
Reiche Anregung verdankte die Kunst der Antike. Der im-
lllgrenr.te IdeenkreLs der jüdisch-christlichen Legende^ welcher bij» dahm
den Künstlern nahezu ausschliesslich die Stoffe geliefert hatte, die durch
die bestandige Wiederholung allmalig monoton wurden, erhielt em^
angenehme Bereicherung durch die Mythologie der Griechen und die
Hetdengeschichte Roms. Dabei zeigte die Behandlung der Form einen
augexwungenen kühnen Charakter, welcher einen wohlthuenden Gfgen-
zu der Steifheit und Inl^holfenheit früherer Zeiten bildete.
Dadurch traten die Ge^talten^ selbst diejt^nigeii, welche der traii^
lenteu Welt der religiose^i Mystik entnommen wunien, dem Fühleo
iu lleosdien näher. Verklart von den Ideakn d€» Guten, Schöoen
und Wahren erschienen sie dem Auge nicht mehr fiQster-4irobend, über*
mlbch-gewikUig, sondern als Frahdmi verküntiende, Segen sipendiüide
Michle.
Wer keitnl nidit daä glan2eode Dreigesüm in FlDreiu: Lioif a&iki
UA Turci, Rj^ASL SiAfi2iu and Michklaxoklo BroMitBüm? Ein
Jihrimiidfrt, veldies drei solehe Künstler neben einaiider sah, durfte
äkli wqU dem vielgepriesenen Zdt&ller des Pkbikugs vergleichen. Alle
Um nmfMssten die Kunst als Oanzes; aUe Drei waren llil«r^ Bildhauer
Der Charakter des 16, JaJirhunderts. 243
und Architekten zugleich und schufen in jeder dieser Künste Grosses,
der Unsterblichkeit Werthes. Lionardo war aber nicht blos Künstler,
sondern auch Mathematiker, Ingenieur, Physiker und Physiologe und
hat sich in der Geschichte der Wissenschaft ebenfalls einen ehrenvollen
Platz erworben.
Die Blüthe der italienischen Kunst wirkte anregend auch auf die
übrigen Länder, namentlich auf Deutschland und die Niederlande. Die
Namen Albkeght Dükek, Hans Holbein und Lucas Cranach geben
Zengniss davon.
In Nürnberg gediehep die Holzschneidekunst und die Goldschmiede-
kunst zu hoher Vollendung. Deutschlands freie Städte erzeugten ein
Bürgerthum, welches kunstsinnig und kunstverständig war und heitere
Lebenslust mit sittlichem £mst verband. In ihm fanden die künst^
lerischen und wissenschaftlichen Bestrebungen eifrige Anhänger und
Vertreter.
Auf dem Felde der Wissenschaft wurde der Humanismus vorzugs-
weise von d«i gelehrten Vereinigungen gepflegt, welche allenthalben
nach dem Muster der sogenannten Platonischen Akademien entstanden.
Am bekanntesten unter ihnen wurde die Rheinische Gesellschaft, zu
deren Mitgliedern Männer wie der gelehrte Abt Trithemius, der Nürn-
Ijerger Patricier Willibald Pirkheimer, femer Rudolf Agricola,
der Dichter Conrad Celtes, Joh. Reuchlin, Erasmus von Rotterdam
u. A. gehörten.
Das wachsende Interesse für die Literatur der Griechen und Römer
hatte zunächst die Folge, dass die überlieferten Texte mit einander ver-
Uflichen und auf Grund linguistischer und sachlicher Erwägungen ein
Wortlaut festgestellt wurde, welcher allen Anforderungen zu entsprechen
dChien. Damit begann die wissenschaftliche Behandlung der Philologie,
welche auf die Culturentwickelung der folgenden Zeiten den weittragend-
sten Einfluss ausübte. Die Philologie übernahm die Kolle des Zauberers,
der das in tausendjährigem Schlafe befangene Dornröschen der Wissen-
schaft erlöste, und blieb ihr auch später ein väterlicher Freund, welcher
ihre ersten Schritte mit ängstlicher Sorgfalt überwachte. Der Philologie
verdanken es die Wissenschaften und nicht am wenigsten die Natur-
wissenschaften, dass sie die richtige Methode der Forschung einschlugen;
denn von ihr lernten sie die peinliche Genauigkeit in der Sichtung des
wissenschaftlichen Materials und die strenge Kritik der gewonnenen
Ergebnisse.
Auch bei der Neugestaltung der Medicin leistete die Philologie
wesentliche Dienste. Es wurden Ausgaben der meisten medicinischen
Autoren des Alterthoms veranstaltet. Die Ärzte, welche sich an dieser
16*
UtoTari«ch**n ThSti^kett betheiligten, bereiteten sich dazu durch
tftchtis,'«^ philuiü|,nHeli*» JÜldung vur; nicht wenige von ihnen wirkT^^ni
\A\rvr der alten 8[»nichHri, bevor sie sich der Heilkunde zuwandte
Die Kf^mitniss d^s firiechischen ^alt in jener Zeit als notbwendig
wiKHf'ovirhiittli*'hf«s Hiirsinittei für Jeden ^ d<'r auf den Namen eines
hildeton Ante Anspruch erhob, ähnlich wie man heut von ihm verlanu
dfi8.H er mit dem Mikroskop umzugehen versteht.
Wi>nn die durch den Humanismus iingefachte literarische Wifl
hiimkeit Avt Arzte in ungeahnter Weise sieh entfaltete und zur Vei
breitung der medioinisebf'n Wissenschuft beitrug, so war die« allenlijjg
zum gr<»sstt*u Theib* das Verdienst der Buchdruckerkunst, welche
15. Jahrhundert orfunden wurde. iSie tmt nicht unvermittelt ins Leb
lifnn sie war vorbereit-f*! durch die Holzschneidekimst, durch die KupW
tttecherei, durch tue vielleicht aus i'hina nach Europa gebrachte, ikü
lieh inivnllk«*mmHne Methode des Druckes mit feststehenden Letb
und durrli ;ind<"re rm^itande. Gleichwohl war ••s Mn ausserordenllicl
Fortschritt, als nuui uui *\m Jahr 1440 begann, boiui F^nirk Uwi'^
liehe Typen 7ai gebrauchen.
Krst daduirh wurde der Druck umfiingreicber Werke, der Uv\t
m (Irussvn, rnno^^Vwhi, Freilich litt die Buchdruekerkunst im Anfafl
an vi*'b*n Minigeln; sie war sehr mühsam und in Folge dessen aiid
8t'hr kostspielig, So dauerte z» B» der Druck der Bibel, de?» erst!
grossen Werkes, dm aus cier von (tnTF.NBEKCi gegründeten, j«pi
FtTsivSüH('>FFKii'srh«»n Uuchdruckerei in Mainz hervorging, II Jah
und erforderte 40lJn (ftjiden, bevor noch der 12* Bogen vollendet
Mit di'U Verbi*ss<*rungen» welche die Buchdruckerkunst erfuhr, na
m allnmlig t^int-n grosseren Aufschwung. Daremkerg schäfjit die Zahl
dvv tniMlii'inischi*n Schrillen, welche bis zum J, 15tX> gedruckt worden,
auf ungefiihr 8tHK*
Die ntmt» Krtindung übte auf die gf»istigen Bewegungen de«
lö, .Jahrhunderts eine mftohtigt* Wirkung aus. Die Kanzel, welche bis
dahin der einjJire Ort gewesen wHr, von ilem aus zum Volke gesprochfn
wunb». erhielt einen Nebenbuhler, welcher ihr gelegentlich feindlidi
ent4(t»g«n trat Die freiheiUiohen Ideen fanden hier einen Bundesg«-
nys^n, und d<^ Kampf gegen die bisherigen Autoritäten wurde mit
Wirtesamen Waffen geltthrt, AbtT die grösste Bedeutung erlangte die
Buchdniokerkunst för die Kntwickelung der Wis8eoi?chaft; d**nD die
gi^iniigipn tlrrungefisoluifteii konnten jet^t zum Gemeingut Aller und
Jed^iu U*icht lOgtalsHeh gwiaoht werden.
' Cmu Dam
Uistoire d«i
T* U »18.
Dm- CharaJder Hm 16, JcJirhundeßrts.
246
Diis Studium der aus dem Alterthum übernominenen ÜterliefeningeTi
Wgt© mx kritisohen Prüfung ilirer realen Begründung an, und die da-
durch henorgerufenen eigenen Beobachtungen führten zur Berichtigung
Intbumer und zur Entdeckung neuer Thatsachen.
We Reformation der Wissenschaft welche sich auf diese Weise
vtitlzog, bildet neben derjenigen des religiösen und politischen Lehens die
ULI"' ~* te Erscheinung der durch die Emancipatiun des indi\iduollen
Ci lianikterisirten Strümung der Zeit^
Bie^e Richtung erhielt eine unerwartete Förderung durch die Knt-
- \merikas^ welche am 8chUi.ss des ITi. Jahrhunderts die Ver-
,' und diüj Staunen der Menschen erregte. Man fand dort
ibe BeTiMkeniög, die körperlich ebenso gebildet^ geistig ebenso geartet
wie diejenige Europas^ und eine CuUur, welche viele Ähnlichkeiten
te mit manchen Einrichtungen dej alten Welt. Tun diesen Dingen»
%«jirir Tun der Thierwelt und dem Ptlaiizen-Ueichthurn des neuen Welt-
üieils hatte weder die Kirche noch da^i Altertbtjm »^twas gewu^sst. Von
den beiden hoch!*ten Autoritäten, welche man damals kannte, verlassen
^Wtleii die Denker und Forscher plötzlich selbststiindig und genöthigt,
tMrf ihre eigenen Beubachtungen zu vertrauen.
Wenige Decennien nach der Entdeckung Amerikas erfolgte die
cmlfi Unischiifung der Erde, und damit wurde der unwiderlegbare
B**w#^U geliefert, dasö die Erde rund i^^t. Schon die griechischen Natur-
philos&ophen ahnten die Kugelgestalt derselben» und AuisiTuTELEs nahm
S6 ük sicher an; aber Lactantiits und andere Kirchenvater^ hatten
i\»m Ansicht verworfen und für absurd erklart, Ihre Autorität erlitt
womit eine bemerkenswerthe Niederlage. Noch mehr wurde die Autorität
itor Kirche erschüttert, als die angeblich schon von Pythac^üras auf-
g^i^teÜte belincentrisrhe Theorie durch Kopehxikls und Kepler be-
irrundet wTjrde.^ Die llieolugen Itekampften dieselbe, weil sie sehr
richtig erkannten, dass mit ihrer Annahme die Erde nur als einer der
unzuhlbaren Sterne, welche dtLs Firmament beleben, erscheinen und der
MetiÄch als ihr Bewidiner die ihm von der christlichen WelUmschanung
Tmdirirte herrschende Stellung verlieren werde. Auch der Streit zwischen
*i«r heliocentrischen tmd der geoc^ntri sehen Lehre wurde gegen die
Kirche entj^chieden.
ü \^\ begreiflich, Amy durch diese Ereignisse der (Tlauhu an die
TtuulaDglichkeit des menschlichen Erkenntniss-Apparats, welchen die
it . ;i, H, o. ,^. m ü, ff. — W, Whewell a, a, O. J, 22B vi. ff.
1 1 a, a. 0. I, 361 u, ff. — J. W. Drapcr: Geschichte der gei«tigeo
kelang Eurnp^, I^ipeig 1871, S, 521 u. ff.
240
Dtsr
UfUerricM in der tümmi.
▼an der kirclili<?hen Autorität ge.stötzte Scholastik i^epredigl hatt<*,
graben wurJi*. Am weit4*st'eu gmg der Proti^stantismas, indem «
Berechtigung Am menschliehen Urtheik sogar auf das theoloj
Dogfina ausdehnte,
Aul keinem Uebiet des ^'eistigen Schaffens wirkte die errtii
geistige Selbstständigkeit tiefer und naehhaltiger als auf denijen
Naturwissenschaften und der Medicin,
Die Mineralogie erfuhr zum ersten Male eine wissenschatUichi
tmchtung: der Arzt Georg Aortcola machte den Verj^ueh« die
ralien auf Hrund ihrer äusseren Merkmale in verschiedene U
einzutheilen. Dir BoUnik begann aus dem Abhängigkeits-VerhiUl
in welches sie zur Arzneimittel- und Nahrungsmittellehre gerathun
lit'rauszutreten nn«l sich zu einer Wissen>?chaft zu entwickeln^ die
ihrer seihst willen getrieben wunle* Sie wurde durch eine Mertgp toh
PHanzenbeschreihungen bereichert, und die Flora Kuropa^ sowohl vii*
diejenige der neu entdeckten überseeischen Lander genau erfut^lit^
liinigo BoUmiker truteruahmen e$. zur IHchU^ren Übersicht die PtlanMa*
n.ich bestimmten Ähnlichkeiten in verschiedene Ahtheilungen zu scheiden;;
rDNRAij Gkssnkh utid A. Cesalpfni benutztem dazu bereits die Blöthe»-
und Früchte, waren also gleichsam Vorläufer LmNic's»
Auch für die Zoologie begann eine neue Periode ihrer Oeechichte
Des gelehrten Gessner's groases Werk bihiete den Markstein derselben:
es enthielt nicht hlos alle Thatsachen, welche auf diesem ^tebiet in den
vorangegangenen Zeiten festgi?stellt worden waren, sondern noch eiiw
grosse Anzahl neuer Beobachtungen. Andere Forscher wählten einzeln«'
Klassen des Thierreichs zum «Jegenstande ihrer Untersuchungen, wii^
z. B. Bkmin die Vögel und Rcjndelkt die Fische, o^ler be^-hiiftij^^eii
sich mit der Thierwelt fremder Lander,
Klienso machte sich in der Physik und Chemie eine rege Thatig*
keit hemeikiuir. Schon Ni("*u*Ars Cusanus, der freisinnige Bischot voii
Brixen, und der grosse Kunstler Lit>NAa0o 0a Vusct bearbeiteten dji
Physik mit glücklichem Ilrfolge, ^ Wahrend dann die Mathematik düiol
HrEiioNYMUsCAKüANis/rARTAüuiA, wclchcr die Losung der GleichuagiBl
dritten Grades entdeckte, u, A, gefördert wurde^ machte auch die Opäl|
erhebliche Fortschritte, die sie haupt^sachlich dem GiAMBATribTA PoRTit
dem Kriinder der Catnera obsct^ra^ und Juil Käpleh verdankte. B^
deutende Erfolge errangen die Phjsik und Chemie jedoch ernt id
17. Jahrhundi'rt: er^t in dieser Zeit erlangten sie für die Medicin duif
irrosse Bedeutung.
^ooiirKnour h. a. ü. S. US iL ff.
Die Emaneipation vorn AutorUätsglavhen auf dem Gebiet der Mediein etc. 247
Die Emaneipation vom Autoritätsglauben auf dem Gebiet
der Mediein und die Fortsehritte der Wissenschaft.
Die Heilkunde machte den gleichen Entwickelungsprozess durch,
wie die ganze übrige Cultur; sie schüttelte das Joch der nur auf Tra-
ditionen beruhenden Autoritäten ab und wurde selbstständig. Nur in
Verbindung mit den die ganze Zeitrichtung erfüllenden Bestrebungen
erscheint diese Thatsache natürlich und begreiflich; losgelöst von ihnen
kann sie sich wohl dem Gedächtniss, nicht aber dem Verstände ein-
prägen.
Die Emancipationsbewegung gab sich in allen Zweigen der Mediein
kund und erreichte in einzelnen Disciplinen, namentlich in der Ana-
tomie, Arzneimittellehre, Chirurgie und Geburtshilfe, bereits im 16. Jahr-
hundert beachtenswerthe Resultate.
Die Anatomen hörten auf, an die Unfehlbarkeit Galen*s zu glauben,
und fingen an, eigene Untersuchungen an der Leiche anzustellen.
Gabriele Zebbi sonderte in seiner anatomischen Beschreibung des
menschlichen Körpers bereits die Knochen, Muskeln und Gefässe; er
machte auf die schrägen und kreisförmigen Muskelfasern des Magens
aufinerksam und erwähnte die Thränenpunkte, die Ligamenti uten
u- a. m.^ Ali. AcHiLLiNi bemerkte die Einmündung des Duetm cholc-
doekus in den Zwölffingerdarm, sowie die Blinddarmklappe.* Behengab
VON Carpi berichtigte verschiedene Irrthümer Mondino's und gilt als
der Entdecker der Keilbeinhöhlen und des Wurmfortsatzes; ferner wies
er darauf hin, dass beim Mann der Thorax, beim Weibe das Becken
eine grössere Breite besitzt.^ Canani lieferte eine vortreffliche Schil-
derung der Muskeln und sah zuerst die Venen-Klappen an der Vena
azygas.^
Alle diese Forscher übertraf an Reichthum der Entdeckungen An-
DBEAS Vesalius, den man den Reformator der Anatomie nennen kann.
Er stammte von einer deutschen Familie ab, welche ursprünglich den
Namen Witing führte und von Wesel nach Brüssel üliergesiedelt war.
Vesal's Untersuchungen umfassten alle Theile der Anatomie und
schufen die Basis eines neuen anatomischen Lehrgebäudes.* Er gab
Aufschlüsse über die Ernährung der Knochen durch die Gefasse des
' Medici a. a. 0. p. 43.
* BüBooRAEVE a. a. 0. p. 55. — Medioi a. a. 0. p. 51.
' Carpi: Commentaiia com ampl. addition. super anat. Mundini, Bonon. 1521.
* Amatcs Lüsitanus: Curat, med. cent., Basil. 1556, p. 84.
* BuBOOBAEVi a. a. 0. p. 72 u. ff.
248 Der medicinisc^ie Unterridä in der Xeuzeü.
Periosts und die Vasa nutrienia und zeigte zuerst, dass der Nerv in
den Muskel eindringt. An den Gefässwänden unterschied er zwei Lagen,
von denen die innere eine stärkere Consistenz besitze und aus Muskel-
fasern zusammengesetzt sei. Ziemlich richtig beschrieb er das Herz,
seine Lage, Bewegungen und Gestalt- Veränderungen, sowie die Klappen-
Apparate; doch Termochte er sich niemals vollständig von dem alten
Irrthum zu befreien, dass das Blut durch die Scheidewand des Herzens
hindurchtrete. Aber während er in der ersten Ausgabe seines ana-
tomischen Hauptwerkes v. J. 1543 daran noch gar nicht zweifelte, er-
klärte er in der zweiten Auflage v. J. 1555, vielleicht unter dem Ein-
fluss Sebvet's, dass er nicht einsehen könne, wie es möglich sei, dass
das Blut, wenn auch nur in einer sehr geringen Menge, aus dem
rechten Herzen in das linke durch die dichte fest« Substanz des Septums
hindurchschwitze. ^
. Ein bedeutender Fortschritt zeigt sich in seiner Beschreibung des
Bauchfells und Magens, sowie in der Schilderung der Leber und der
männlichen und weiblichen Geschlechtstheile. Er kannte die Schwell-
körper und die Samenkanälchen, deutete auf die Samenbläschen hin,
und erörterte die Veränderungen, welche der Uterus durch die Schwanger-
schaft erfährt Grosse Sorgfalt widmete er der L^ntersuchung des Ge-
hirns; er hob den Unterschied zwischen der grauen und weissen Substanz
hervor und bemerkte das Corpus callosum, das Septum hmdum, die
Zirbeldrüse, die Vierhügel u. a. m.
Vesal's Entdeckungen riefen ein unerhörtes Aufsehen hervor;
nicht blos in den Kreisen der Ärzte war man erstaunt über die Kühn-
heit, mit der er die Unrichtigkeit dessen nachwies, was man bisher
für wahr gehalten hatte. Die Verehrer des Alten, die Anhänger der
geltenden Autorität, befeindeten ihn aufs heftigste. Allen voran sein
früherer Lehrer Sylviüs, der ihn mit einem gerade nicht sehr feinen
Wortspiel auf seinen Namen einen Vesanus, einen Verrückten, nannte,
der mit seinem giftigen Hauche Europa verpeste.^
Die Entdeckungen Vesal's wurden in vielen Punkten verbessert
und ergänzt durch seine Zeitgenossen Eustachio und Faloppio. Der
erstere beschäftigte sich namentlich mit der Struktur der Nieren und
erwähnte bereits die Bellinischen Röhren.^ Dagegen wird ihm mit
Unrecht die Entdeckung der nach ihm genannten Klappe an der Mün-
dung der unteren Hohlvene zugeschrieben, da dieselbe schon früher
» H. ToLUN im Biolog. Centralblatt 1885, Bd. 5, S. 474 u. ff.
' Jacob. Sylvixjs: Vesani cujusdam calumniarum in Hipp, et Galen depulsio,
Paiiß 1551.
' BuRQORAEVE a. a. 0. p. 201 u. ff.
Dm EmancipatioH mmi Autoriiäisyla^then auf dem Ud/id der Mcdmn etc* 249
Mfiimt war* Er bereicherte ausserdem die Kenntniss des Gehörorgans^
(»(*ol>achtete die Mu^kebi der Paukenhöhle, die Spindel der Schnecke
ttnd die Ohrtrompete, welche nach jetzt seinen Namen führt, und
lunterliesji eine vorzügfliche Beschreibung der Grundfläche des Gehirns.
FALOTriü, der geniale Schüler Ve?^al% ermtrüilirte die Entdeckungen
Lehrers mit gewissenhafter Sorgfalt, und berichtigte und ver-
^MLi»taodigte sie durch eine Menge neuer Thatsachen* Neben Vesal
lial er am meisten zur Neubegründung der Anatomie beigetragen.
Er gab werthvolle Aufechlusse über die Entwickelung der Knochen
Zähne, lyeschrieb das Felsenbein genauer, bereicherte die Mjolojne
rch musterhafte Schilderungen der Muskeln de.s ansj^eren Ohres, des
Antlitzes^ des Gaumens und der Zuni^e^ sprach sich über die anasto*
I Verbindungen einiger OefTLs^se ans, z, B, zwischen den Caro-
j den Vertebral-ArterieUj und entdeckte den Xcrvu^s trotMcaris.
Auch die Anatomie der Sinnesorgane verdankte ihm einige Fort^hritte;
HT stellte Hehr genaue Untersuchungen an über die einzelnen Theile
dcÄ Gehörorgans und des Aages, wobei er z. ß. da.s Ligamentum cilmre,
die Tunim hyalaidea und die Linse besser kennen lehrte. Ebenso war
mit den weiblicben Geschlechtsorganen der Faü; die Eileiter haben
len Namen in der anatomischen Terminologie verewigt.
Von den fibrigen Anatomen jener Zeit haben sich Ingrassias durch
9*'^ «'ulugis^ehen Arbeiten, besonders durch die Entdeckung des
^i-.^.i ..-eis und der unteren Muscheln des Siebbeins^ Akajkziü» welcher
die Anatomie des Fötus eingehend studierte, Yaholio, an den die
Brücke erinnert, durch seine Untersuchungen des Uehims und Nerven-
üjsiemä, VuijChbh Koyteb durch seine Beiträge zur Entwickelungs-
gfticliieht^ und pathologischen Anatomie^ Fabrizio ab Aquapendentk
dttrch die erste voUstiindige Beschreibung der Venenklappen, ('AssKKKt
durch seine Arbeiten über die Organe der Stimme und des Gehi'irs,
Aubiak van dek Spigel, der seine Aufinerksamkeit vorzug^jweise der
]>ber zuwandte, von welcher ein Lappen noch heut seinen Namen
tJHgtf SAii«)MOx Albi-irti durch seine Schilderung der Thrfinen-Werk-
zeage und Peter Paaw, welcher zuerst auf die Rassen-Verschieden-
heiten der Sehadel auftnerksam machte, um die Entwickelung der ana-
tonusehen Wissenschaft verdient gemacht.^
Geringer waren die Fortschritte^ welche die Physiologie in jener
Zeit machte. Es war dies auch ganz begreif lieh: «lenn man musste
'* '- ^ ^handensein der anatomischen Thatsachen feststellen, ehe
* iL Spkbmqel: Veraach einer prugmat Geschichte der Arziieikund«^ Haue
Ult 64 IL ff.
250 Der medidnisofie Unierricfä in der Neuzeit,
man nach dem Zweck derselben fragen durfte. Doch erkannte man
wenigstens die Fruchtlosigkeit der spekulativen Richtung und kehrte
wieder auf den Weg der induktiven Forschung zurück, den schon Abi-
sTOTELEs gezeigt hatte.
So injicirte EusTAOfflO Wasser in die Nieren-Arterie, um die Bil-
dung des Urins kennen zu lernen.^ Recht bezeichnend für die voll-
standige Veränderung, welche sich in der Denkweise der medicinischen
Forscher vollzog, sind die Worte Realdo Colombo's, dass man aus
der Zergliederung eines Hundes an einem Tage mehr lernt, als wenn
man beständig den Puls fühlt oder mehrere Monate hindurch öalek's
Schriften studiert*
Michael Sebvet und Realdo Colombo, der Prosector und Nach-
folger Vesals im Lehramt zu Padua, waren die Ersten, welche den
alten Irrthum berichtigten, dass das Blut durch die Scheidewand des
Herzens aus dem rechten Herzen in das linke übertrete, und auf den
Weg durch die Lungen hinwiesen. Wem von Beiden die Priorität
dieser Entdeckung gebührt, lässt sich nicht sicher feststellen, wenn auch
eine Menge von Wahrscheinlichkeitsgründen für Sebvet sprechen.'
Übrigens hat weder der Eine, noch der Andere klar und unzweideutig
auseinandergesetzt, wie der Übertritt des Blutes aus der Lungen-Arterie
in die Lungenvenen erfolgt
Der Aufschwung der Physiologie begann erst im 17. Jahrhundert,
als mit der Entdeckung des Blutkreislaufs die Experimentalforschung
zur Herrschaft gelangte.
Die Fortschritte in der Anatomie mussten namentlich auf die
Chirurgie, also den Theil der Heilkunde, der auf die Kenntniss des
Baues des menschlichen Körpers am meisten angewiesen ist, einen an-
regenden und fördernden Einfluss ausüben. Die Operationsmethoden
der Chirurgen des Alterthums waren zum Theil seit langer Zeit ver-
gessen oder wurden doch nur von Wenigen ausgeübt, die sie wie ein
Geheimniss bewahrten und deren Kenntniss im engsten Kreise ver-
erbten. Sie mussten gleichsam wieder aufs Neue erfunden werden;
diese Aufgabe lösten einige geniale Praktiker, welche das Bedürfniss
zur Verbesserung der bisherigen Heilmethoden führte.
Nur in beschränktem Maass wirkte darauf die Wiederbelebung des
Studiums der alten Literatur hin; denn die ungelehrten Wundärzte
wurden im Allgemeinen davon nicht berührt, und den studierten Ärzten
* Barth. Eüstachiüb: De renum structura, Venet 1564, c. 37. 46.
' Realdo Columbo: De re anatomica, Venet 1559, IIb. XIV, p. 258.
• H. Tollin im Deutschen Archiv f. Gesch. d. Med., Bd. VII, 1884, S. 171
u. fF. und in VmcHow'a Archiv, Bd. 91, S. 39 u. ff.
Dk Ewancipatum mm Aui&rüäisglauben auf dem h'ebiet dmr Medidn ete. 25 1
fehlte häufigr das praktische Verständniss für die Beurtheilang der toh
*len Alten hinterlassenen Erfahrungen,
Eine ausserordentliche Bedeutung für die Entwickelung der Chirurgie
^hatte die Einfübrung der SchusswatFen in die Kriegskonst. Während
vorher huaptsiichlich nur Hieb- und Stichwunden zur Behandlung
t>ekam, trafen jetzt die Schusswunden in den Vordergrund. Die da-
^dorch erzeugt;en Verletzungen hatten Erscheinungen im Gefolge, die
dahin vollständig unbekanni waren» Die Schriften der Alten gaben
IttAbfr natürlich gar keine Auskunft Die Chirurgen waren daher
ligt, selbst Beobachtungen anzustellen und Erfahrungen zu sam-
rin, wie die Schuss wunden tu beurtheilen und zu behandeln sind.
lorch erhielt ihre Emancipation von der tTadilionellen Autorität und
'-■'•-' * keit eine mächtige Forderung,
I die Schusswaflfen herbeigeführten Zerstörungen
imd manche Zufalle und Nachkrankheiten. welche dabei beobachtet
yrurden, erregten den Verdacht, duss ausser der mechanischen Ver-
ätzung noch andere Umstände wirksam sind. So kamen die Chirurgen
auf die Vermuthung, dass die Schusswunden durch Verbrennung und
iVergiflung erzeugti werden, und erklärten dies durch die Natur der
Btutle, nämlich des Pulvers und Bleis , welche die Verletzung hervor-
rufen. Um diese vermeintliche Wirkung unschädlich zu machen, be-
idelt^n sie die Schusswunden mit reizenden und ätzenden Mitteln.
Diese Kurmethode erlangte allgemeine Gültigkeit, bis ein glück-
iiober Zufall einer richtigeren Erkenntniss die Wege ebnete. Es fehlte
ch einer Schlacht an heissem i>l, um die Verwundeten zu cauterisiren,
er beruhrate franzosische Chirurg AMKuoihE Pa^kI:, welcher diese
Thatäache in sehr anschauUcher Weise geschildert hat, * wendete daher
itt dessen nur einen Verband aus einfacher Digestiv-Salbe an und
'«ah mit Besorgniss den Folgen entgegen, welche dieses Verfahren haben
wurde. Wer aber beschreibt sein Erstaunen, als er am nächsten Morgen
ad, dass diejenigen Wunden, welche er auf diese Weise behandelt
itte, ein gut^s Aussehen darboten und weder schmerzhaft noch ent-
indet und geschwollen waren, wie die übrig«^ Wunden, die nach der
Ilen Methode cauterisirt worden waren. Wiederholte Versuche be-
itiglen diese Erfahnmg, und die günstigen Frfolge, welche man mit
lieser einfachen Behandlungsweise erzielte, beseitigten alhnälig die dem
Kranken wie dem Arzt unbeciueme Cauterisation.
* ot-iivri- *i AnihrLurnj Pftf^ ed. |»ar J. F. MALQAiQin, Pari« lÖ4ü. T. 11,
p. IÄ7 o. C — Li; pArLHim; Ambroise Part** dapW»8 de» noiivoaux iioonm<*nt«»
Far(: and Macioi lieferten femer de» Nachweis, dass dk Seh
wunden auch nicht durch Verbreunung erzeugt werden, da man FJmteij.j
kut^eln auf Säcke, die mit Schiesspulvt^r v,n^fullt sind, abfeuern konae,
ohne dass dieselben dadurch in Brand gerathen. *
Jeden&lLä aber wurde dm Wesen der Verlegungen durch die mm
Art iler Kriej^fuhrung wesentlich verunziert. Die Geschosse führten
groHse Zerstörun^^en der Knucben herbei^ welche mit den früher fiWicheji
Waffen gar nicht uder nur selten erzeugt werden konnten.
Die bis duhin wenig geübte Amputation wurde daher jetzt haiiliger
erforderlich. Mit den Vi^rmolirti-^ Ivrfahrungen gr*wann*^n <Ü»^ Wund.
ärzt** grossere Sicherheit in der Ausfiihrnng dieser Operation und fingen
an, dir bisherigen Methoden zu verl>es,sern. Die Imupt^^ächlicbt^n
Fehler dei^Nelhen liestanrii^n darin, da**:^ man «lie Aniputatiun zu langt'
hinausziischielien ptlegte, sie im kranken, im brandigen Flei^ch iia>-
führte und deji Stumpf mit dem Glüheisen oder lieissem i)\ c^iub^ri^rt*'^
um die Blutungen /n stillen und die ni»krutisehen rTewid^stbrilj' m
Abstossung zu hring«Mi,
Rs war daher ein bedeuten^ler Fortschritt, als B«jtau/i iüt* '
Fordciung aufstellle, dnsi- ihv Ampnfatiun stdVjrt unt^'rnomraen werdu, Jj
wenn sieh die Zeichen des drohenden Brandes zeigen, als ferner »li«fl
i'liirurgen wietier begannen, die Abtrennung in den g(*sunden TheÜt^n
vorzunehmen, unti als Hanns von (TKRsi>«mF, welcher sich rühnn'ii
durfte, ung<dnhr UOt» Amiiutationen ausgeiührt zu haben, den Sturapl
mit einer feuchten Tlüerblase bedeckte und mit kühlenden Mitteln
hundclt<\ I^r gewann dadurch eiiu' ausreichende Bedoekung des Stumpft
mit Haut' und Weiehthf'ilen, welche btü der Anwdidung des {][
mens in zu umfangreicher Weise zerntort worden waren.
Um der mit der Opeiation verbundem^n rjefahr der \Vrblu
vorzubeugen, wurde das Glied oberhalb der Einsrhndtslinie mit iiindefl^
fe^t umschnürt. Durch den Druck, welchen die letzleren auf die Blui-
ifasse und Ner\en ausübti^ri, hoffte nnin, wie A, Pak^: schreibt,* nich|
\h\m <lie Blutungen zu verhüten, sondern zugleich die S4:'hnierzen
vermindern und eine lokale l ni^midindlichkeit herbeizuführen.
Die mcistf^ Sidierheit gf^ifcu die drohenden Blutverluste g<nväb
die Unterbiiulung der Arterienstiimnie, welche durch \, VsiiH wiedi
empfohlen wurd(\* Sie war, wie erwiihnt, schon d*ii Ghirtirgen d<
* Oeuvres dAuibn l^arr a. n. 0. T. H, 184,
' Oeuvres «rAmbr. Parc a. a. O. T. H, p. 222,
* Oeuvre« d'Ambr. Titrc a. 14. O, T- 11, 226 u. tj; — Aiiamkiswicis: Die.
mi^chmjisclven Bluti^filliin^Diittel bei verlet^t^ii Arterien von l^iir«^ bi« auf
»i.Mh.h Zrit, Wiir;^lnirL^ Is72.
Dk Kmandpatum rom ÄulnriiHisfflauben auf defn Gebiet der Medicm eUk 253
Altei mt; ancb im Mittelalter vmrdo sii* toq einzelnen heiror-
ragenden Operateuren gelogentlich ausgc öht Pak!-: erzählt, dass er
*iurch das Studium Galkns zu dem Versuch, lüe Gt'fasso zu unter-
MnJ»'ii, angeregt worden >{ei; er brachte dieses VeriiihreB i. J. 1552 bei
**inpr Amputation des Unterschenkeln zuerst wieder zur Änwenduni^r»
Spater nahm er anstatt der Unterbindung der isolirten Arterien die
itur tn mass€ vor, iodem er die Nerven mit den Gefässen zusammen
iterbfind. Man glaubte dadurch das Ausströmen des „Nervengeistes*^
"m Terhiiten, Bt^i Nachblutunefen wurden die Gt'lTissstämme von aussen
nut d»*n Fingern comprimirt; auch i^t von riner Methode die Rede,
welche nat*.h der etwas dunkelen Beschreibung von Ä. PAHfe der per-
Btanen Ligatur ra entsprechen scheint.
Unter den in Folge von Verwundungen auftretenden Krankheiten
iirde das Erysipel, der Hospital brand, din DiphthtTJe» die Pyaemie,
^wie Trismus und Tetanus beobachtet'
Eine bedeutende Bereicherung erfuhr die Technik des Steinschnitts
ün 16. Jahrhundert Die bis dahin gebräuchliche, von Celsüs be-
iriebene und von Paulus Aegineta vereinfachte Mrdhode wurd**
lurch verbessert, da^s vor der Operation eine katheterariig g<4'Tümmte
lohLäonde, welche mit der Convexität nach dem Perineum drängte, in
die Harnrr»hre eingeführt wurde. Indem der Schnitt in die Pars
ranacea in der Rinne die^^er Hohl^onde gezogen wurde, erhielt die
ud des Operateurs eine dchere Leitung, welche für den Krfolg von
gTr»s8.er Bedeutung war. Man nannte dieses Verfahren die Operation
mit der grossen Geräthschaft und betnicbtet Bkknabd{j m Rapaxlo
ab den Erlinder derselben. Allgemeiner bekannt wurde sie durch
MaHIANO SA?JTt>.
Die Nachtheile, welche der Steinschnitt vom Perineum aus zu-
weilen im Gefolge hatte, namentlich die Ver^ntming der Prustata und
ifcr Samenausfuhrungsgänge und die dadurch hervorgerufene Zeugungs-
rnßhigkeit, vor allen Dingen aber die Unmügliehkeit, sehr grosse
Steine oder, wenn sich dieselben abgesackt haben, auf diesem Wege
durch die Perineal-Wund«' zu entfernen, regten zu dem Gedanken an^
ob f« nicht n " ' sei, den Stein von oben her durch einen Ein-
ichnttt über i jubfintuge herauszuholen.^ Pierre Franco führte
Arm hohen Steinschnitt zum ersten Male i, J. 1560 mit glücklichem
' F Wrnrg; Prncticft der WundaxUney, BäbcI 1642, 8. 27t 538. 645 u* ff.
— '\\ riache Studien über die Boiirthpilun*; und Ikbindlung
der K III 1859, S. 15 u, W. — Wolzendokff im Deutsi-heu Arcbiv
t G«ciL d. Medinn, Lid. IL 8. 23 il tl'., Leipzig 18T9.
» P \\ nttvTftM«: Disr bob'^ Kt-^tii-^ilmltt seit 8«ioem ünsprunge, Leipzig 1851.
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Würdig di*r Sebnitt aiif der ift die HiniriÄbn* «logcfuhrteii Fitn*.b^*iii>
imtlich Tofi d^r Baphe aoagcfälirt ud dufcb die Pr«i6Uta verlang
Dtr 8isittiiil«ifitdtiiill, wm dintt Teciyirai gen^tiDt vrtml«',
wmgsitmm den TartbeQ, daas dibci selhit Slcöie fem bedt^utFod«
tJmbnge etitfernl werden kofmla.
P, Fhaivcd nuclite dusitf infiiierimiif diss Blaaensteioe
weiblichen Geschlechl häufig dnroli etne ein&che Erweiterang ri^
Hamn>hxe heraaäju:ebracbt werden.
l)w Lithothrypsiie war nahezu in Vergessenheit gemtheo.
BuKKDiciTi erzähltes dass einige Cbiiurgen deji Bbsenstein, ohno
ein Kinschnitt gemacht wird, mit eijipmen Instnunenten zertröjiiiiierten.*
hidt alier von iliet»em Verfahren niöht riei
Ein<* eigen thumliche Methode beschrieb Pri.»speb Au'Dn,* wele
er in Ä|^)pton kennen gelernt harte. Sie Viestand darin , diiös
Harnröhre erweitert und dfT Strin von ausis4'n in die^ielbe hineii
g»*drjingt wurde.
Die Hornipu suchte ni;yi diireh anhaltende KüekfnLige oder Brnc
bander zur Ileiliini; zu l^ringen; üuch entsuhlosü man &'ieb nieht seit
zur Rmlikalfnieration. Zu diesem Zweck wurde bei Leistenbrüchen
Pforte nach der Reposition dt^r vorgefallenen Eingewridr mit eine
feinen goldenen oder bleiernen Uraht oder einem Faden vemäl
AMnRoiHi«: PajiIc erwarb ^ich das grosse Verdienst^ das** er das operative
Kingreiten so viel als mögiieh auf die eingeklemmten Hernien
schnlnkte. Nur in diei>en Fallen führte er ilie regelrechte? Herniotiimi
auH, Allerdinga haben andere Chirurgen, wie 1*. Feanco und Rtius
dies «ebon vor ihm getban; aber erst durch A, Par£ wurde dieses"
Verfahren Inj i'ingeklennnten Hermen wissenschaftlich begröTidin onc
^ At. BftNKDtcrtTs: Umnitim a vertice ad cmlcem marbartnn signa, cftuaae eli
UanU. I&OH, Hb. XXn, a48.
* })v. mtsdidutt Atigjptonim III^ e. 14.
Die Emaneipaiion vom AtUoriiätsglavhen auf dem Gebiet der M&iimn etc, 255
damit den Kranken dieser Art, welche man früher häufig ihrem Schicksal
ril)erlassen hatte, die Aussicht auf Rettung geboten. ^
Auch die operative Beseitigung der Harnröhren-Strikturen durch
gewaltsame Trennung mit dem Messer, welche schon die Chirurgen der
römischen Kaiserzeit gekannt hatten, wurde durch A. Par*: wieder der
Vei^ressenheit entrissen. Ausserdem wendete man gegen dieses Leiden
Bougies an, die mit geeigneten ArzneistofiFen bestrichen waren; sie
worden namentlich von Lagüna empfohlen.
Die Kenntniss der plastischen Operationen hatte im 16. Jahrhundert
längst aufgehört, das Geheimniss der Empiriker von Norcia und Preci
ru sein. Mehrere tüchtige Wundärzte befassten sich damit und er-
warben sich in der Ausführung dieser Operationen eine grosse Ge-
schicklichkeit. Die meisten Erfolge auf diesem Gebiet erzielte Gaspabk
Tagliacozzi, Professor in Bologna, welcher das Verfahren ausführlich
beschrieben hat*
Zum Ersatz des Substanzverlustes benutzte er, wie schon Ant. Beanca,
die Haut des Oberarms. Aus ganz Europa kamen die Patienten zu ihm,
um sich von ihm operiren zu lassen. Wenn es auch nur eine witzige
Anekdote ist^ dass er einst in seinem Hospital zu gleicher Zeit 12 deutsche
Grafen, 19 französische Marquis, 100 spanische Granden und einen eng-
lischen Esquire gehabt habe, welche sämmtlich durch Liederlichkeit ihre
Nasen eingebüsst hatten und neue von ihm verlangten,^ so zeigt sie
doch, wie weit verbreitet sein Ruf als Operateur war.
Tagliacozzi erntete für seine menschenfreundlichen Handlungen
wenig Dank. VAn bornirter Glaubensfanatismus sah in seinen Ver-
suchen, den Verlust der Nase oder der Lippen zu ersetzen, einen frevel-
haften Eingriff in die Rechte des Schöpfers. Als er gestorben war,
hörten die frommen Schwestern des Klosters, in welchem man seine
irdischen Überreste bestattet hatte, mehrere Wochen hindurch eine
Stimme, welche ausrief: „Tagliacozzi ist verdammt!** Auf Betreiben der
Geistlichkeit in Bologna wurde seine Leiche deshalb ausgegraben und
an ungeweihter Statte beerdigt*
Die Glaubenseinfalt des 16. Jahrhunderts findet in dem niedrigen
Culturzustande jener Zeit eine Entschuldigung. Die Menschen des
19. Jahrhunderts dürfen aber nicht mit geringschätzendem Lächeln
darauf herabsehen; denn als vor etwa 40 Jahren die Anwendung der
* E. Albebt: Die Hemiologie der Alten, S. 180 u. ff. — A. Gyeeoyai im
Deutschen Arch. f. Gesch. d. Medicin, Leipzig 1880, Bd. III, S. 326 u. ff.
• De chiruigia curtoram per insitionem, Ed. Troschel, Berol. 1831.
• J. Bicosstaff: The tatler, London 1723, IV, No. 260.
* A. CoBBAAi: Dell* antica autoplastica italiana, Sep.-Abdr. 1874.
256 Der medidnische UnterricfU in der NeiixeiL
Äther-Narkose bei schweren Geburten vorgeschlagen wurde, eiferten die
englischen Zeloten dagegen, indem sie sich auf das Wort der Bibel
beriefen: „Das Weib soll mit Schmerzen gebären!"
Ausser Tagliacozzi machten sich auch andere Chirurgen, wie
Gbepfon in Lausanne und Coktesi in Bologna, durch ihre glücklichen
rhinoplastischen Operationen bekannt. Der Verlust der Nase wurde
übrigens nicht blos durch Krankheiten, besonders die Syphilis, sondern
zuweilen auch auf Befehl der Obrigkeit herbeigeführt Eine derartige
Strafe traf nach der Gesetzgebung des Kaisers Friedrich IL Ehe-
brecherinnen und Mütter, welche ihre Töchter der Prostitution über-
lieferten. Das Augsburger Stadtrecht v. J. 1276 bestimmte, dass den
„fahrenden Fräulein oder Hübschierinnen", wie sie genannt wurden,
die Nase abgeschnitten würde, wenn sie sich während der Fastenzeit
oder Samstags Nachts auf der Strasse herumtrieben, ausgenommen wenn
vornehme fremde Herren in der Stadt anwesend waren. ^
Die Augenheilkunde nahm an den grossen Fortschritten, welche
die Chirurgie in jener Periode machte, keinen bemerkenswerthen An-
theil. Sie lag nahezu gänzlich in den Händen herumziehender Kur-
pfuscher, welche oft, ohne irgend welche Kenntniss von dem Bau des
Auges und dem Wesen der Krankheiten, die sie behandelten, zu be-
sitzen, mit verwegener Dreistigkeit die schwierigsten Operationen unter-
nahmen. Als einer dieser Leute, welcher kurz vorher noch Bedienter
gewesen war, gefragt wurde, wie er denn so keck sein könne, den Staar
zu stechen, antwortete er, dass der Patient dabei ja nichts zu verlieren
habe; denn wenn die Operation misslinge, so bleibe er doch nur blind
wie vorher.
Auch die Geburtshilfe wurde während der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts vollständig vernachlässigt Wie gering die Kennt-
nisse der Ärzte auf diesem Gebiet damals waren, zeigt das Lehrbuch
fQr Hebammen, welches Euchabius Röslin i. J. 1512 unter dem Titel:
„Der schwangeren Frauen Rosengarten" herausgegeben hat Dasselbe
enthält unglaubliche Irrthümer und Abbildungen von verschiedenen
Kindeslagen, die nur von einer fruchtbaren Phantasie ersonnen, in
der Wirklichkeit aber niemals beobachtet werden können.
Auf einem ähnlichen Standpunkt befanden sich seine Nachahmer
Walther Reiff und Jacob Rüepf, Bürger und Steinschneider zu
Zürich, auch als Dichter geistlicher Komödien bekannt Noch un-
bedeutender war die der Lucrezia Borgia gewidmete Schrift des
* Hüillard-Bräholles: Hist dipl. Fried. U, a. a. 0. IV, p. 168, 170, Hb. HI,
üt 74. 80. — Lammebt: Zur Geschichte des bürgerlichen Lebens a. a. 0. S. 76.
Iajjk BoKACcrüou, Professor in Feirara, in welcher unter ADderem
embU wird, da*8 von Schwangeren manchmal 7ü und mehr Früchte
I?l*»ich7.»*itiir aliiringen; der Yerftisser scheint dieselhen mit Eingeweide-
würmexn verwechselt zu Iahen.*
Erst mit dem Aufschwung der Anutomie und Chirurgie erötfnete
Odl auch für die Geburtshilfe die Aussicht auf eine wissenschaftliche
G^ilftttung. Wiederum war es Aäihkoise PaiU^, welcher richtigere
ABiMihauungen und l)essei*e Behandlun^smeth*»den anbahnte. Er be-
stimmte (li** Indieationen für die Vorn;Uime der Wendung, welche zwar
schon im Altertham bekannt war. aber nachher nur selten geübt wurde,
lind gnh eine Anleitung zu ihrer Ausführung.^ Ihm war es zu danken.
iiBsst dieselbe fortan einen dauernden Platz in di-r operativen dehurts-
hiife U^hauptete.
»Seine Lehren wurden von Fikrhk Franco und Jacques Gun.LE-
MHAr weiter entwickelt und fester begriVndet. Der erstere empfahl,
zur Extraktion des lündes ein dreiannig*s Specuhim in die Scheide
fuizuführen, in welches er den Kopf nder die Füsse zu leiten suelit^*;
er kam somit der Erlindung der (leburtszange schon ziemlich nahe»^
Optllemeaü lieMbaehtete bereit« die Plamita praenaj fdme das« er
jedoch die Art ihrer Entstehung erkannie, und führte bei der Tochter
des A< PABft das Accotwhentmi fmr^ au.s.
Der Kaiserschnitt wurde an Lebenden unternommen; rloeh scheint
»ich in mehreren Fällen, üb»*r welche berichtet wird, nnr um den
Bauchschnitt hei Extra-Uterin-Schwangernchaft geliandelt zu haben. So
erzählt Baühin^ dass Jacob Nufer^ ein Schweizer Hodenschneider,
J. 1500 «einer schwangeren Frau, nachdem 13 Hebammen und
j^brere Cliinirgen vergeblich versucht hatten, dieselbe auf natürlichem
Tege zu entliinden, den Leib aufgeschnitten habe, »,wie er es bei den
Schweinen zu than gewohnt wa^*^* Dsiliei soll ^x sofort nach dem
ersten Schnitt ein lebendes Kind herausbefürdert haben.
Dagegvm müssen andere Falb^ auf den eigentlichen Kaiserschnitt
b'7.ogen werden.'^ Man scheint denselben sogar häutiger, als noth-
wendig war, ausgeführt zu haben; A, Pah^-: warnte davor und wies auf
dl»* (Tefahren der Opt^ration hin. Aber miin war noch nicht so weit
in ibr Wissenschaft vorgf^srlnitb'n, um die Bedingungen feststellen zu
' \L C. J. V, StEBoi^t» a, a. O, 11, 17.
' Oeuvres d'Ambnn8€ Pan' ofb Mauuicjnk. T, H» r»2S u, tl.
* 8tKnou> a. a. 0. II, S3.
* C. 4, V. ÖlEflOLD a. tu < ». II, 04 u. ff,
* SntROtn A. ft. 0. II, lOa u. ff. — O. Wach»: Der Witteiib<!>rger Kaiä^ersclmitt
UIO, IMpmig 1668.
258 Der msdiGinutcke UnterricfU in der Neuzeit.
können, nnt^^r welchen der Kaiserschnitt vorgenommen werden soll,
wenn auch Abanzios Arbeiten über die Beckenenge den Ärzten vielleicht
eine Ahnung davon verschafften.
Auch auf anderen Gebieten der Heilkunde regte sich der Geist
des Kriticismus und rüttelte an den durch die herrschenden Autoritäten
gestützten Lehren und Einrichtungen.
PiERKE Brissot erklärte, dass es unrichtig sei, den Aderlass bei
entzündlichen Krankheiten möglichst entfernt von der leidenden Stelle
vorzunehmen, wie es damals üblich war, und führte* ihn im Gegentheil
in der Nähe des erkrankten Theiles aus. Seine an den hergebracht<»n
Meinungen festhaltenden Gegner griffen ihn deshalb heftig an und
])ehaupteten, dass seine Neuerung eben so gefahrlich fiir die Körper
sei, als der religiöse Glaube Luthers für die Seelen.^ Wichtiger als
dieser ganze Aderlassstreit war es, dass in Folge dessen Zweifel auf-
tauchten, ob der Aderlass überhaupt in gewissen Fällen immer er-
forderlich sei.
Um dieselbe Zeit bekämpfte Mich. Seuvet die irrige Lehre von
der Kochung der Säft<». Femer erfuhr die übertriebene Bedeutung,
welche man dem Puls und der Hamschau beilegte, eine vernünftige
und nothwendige Einschränkung. Gewissenlose Abenteurer und un-
wissende Empiriker trieben damit einen unerträglichen Missbrauch.
Dcis Uringla« bildeten gleichsam das Wahrzeichen des Arztes, wie man
an den Bildern der niederländischen Schule sehen kann, und sollte
über die geheimsten und wunderbarsten Dinge Auskunft geben. Rs
war begreiflich, dass sich ehrliche Ärzte und verständige Laien, wie der
Bischof DüDiTH VON HoREKOwicz, gegen dieses Treiben wandten und
eine wissenschaftliche Behandlung der Urinlehre anstrebten.
Freilich konnte dies erst dann mit Erfolg geschehen, wenn die
Chemie eine höhere Entwicklung erreicht hatt^. In dieser Richtung
hat Niemand während des IG. Jahrhunderts mehr geleistet, als Theo-
PHRASTüs BüMBASTüs Pabacelsus vou HohenheioL Dieser Mann,
welcher zu den merkwürdigsten Erscheinungen der Culturgeschichte
gehört, ist von Einigen über Gebühr verherrlicht, von Andern mit Spott
und Verachtung überhäuft, selten aber vorurtheilslos und gerecht be-
urtheilt worden. Er war eine Faustische Natur, welche die höchsten
und edelsten Ziele ins Auge fasste, aber mit ihren kühnen, weitgreifenden
Plänen Schiffbruch litt und im Kampf mit den umgebenden Verhält-
nissen Alles, sogar sich selbst verlor.
' K. Sprbnqel: Geschichte der Arzneikande 111, 176 nach Morkaü: De
Töiss. sangiün. in pleurit, Paris 1030, p. 102.
Aber diese traurige ITiat^ache kann ihm nicht das grosse Ver-
dienst niuben, welchas or sich um die M<'diein orworben haty indem
»»r di«^ Säft4:>thearie der Alten bestritt und zuerst dem Gedanken Aus-
dmck ^b, dass der Lebensprozess ein chemischer ist und chemische
VernnderuDgen \lk Bedingungen der Gesundheit und Krankheit l)ild<'n.
Er erkannte die Unrichtigkeit der aus dem Alt^rthum stammenden
Lehre, di^ss das Herz der Sitz der Warme sei, und sagte, duss jeder
KürjHTtheil seine Wärmequelle in sich trage. ^ Er wries auf die Analugie
der Gicht mit den Steinleiden hin, in(l»'m es bei beiden Krankhiutcn
iir * ' ' ; rnng fe.ster Stoffe komme, und empfahl in diesen Fällen den
«p ilkali nischer Sauerlinge. Die innere Anwendung verschiedener
chemischer, l^eson<ler8 mineralischer Substanzen wurde von ihm zuerst
ucht; zu die.sen geljören das Quecksilber in verschiedener Gestalt,
hrere Bleiverbindungen, antimtinhaltige Arzneien, du' Schwefelmilch,
ier Kapfervitriol, der Elsensafran und andere Eisenpräparate.
pARACKLSüs erklart^*. dass die Chemie nicht die Aufgabe habe,
'tüld zu fal>riciren, sondern Arzneien darzustellen. p]r widmete dieser
Wissenschaft ein eifriges Studium^ und war /,. B. der Erste, der sich
im Bestimmung des Eisengehalts der Mineralwässer d**r Galläpfel-
tinktur bediente, Die übelen Folgen, welche der länger fortgesetzte
^lebranch einzelner mineralischer Stoöe, z. B. des Quecksilbers, hinter-
t, entgingen ihm keineswegs; er hatte sie an den Arbeitern df'r
h
iSei^wi
erke von Idria kennen gelernte Ebenso schilderte er die Wirkungen
d(?3* Arüeniks und die Krankheiten, denen die Bergleute beim Schmelzen
mancher Met^ille ausgt^etzt sind. Indem er die Chemie aus den Händen
ier Alchimisten befreite und der Heilkunde nutzbar nuicbte, giiU er
Ae Anregung zur wissenschafrlichen Bearl>eitung der Chemie und zur
Begründung der medicinischen Chemie.
Die Wirkungen dieser That^^achen zeigten sich in der Pharma-
kwliigit*; zahlreiche halb- oder ganz vergessene Arzneien warden wieder
in Krinnenmg gebracht und andere neu erfunden. Gleichzeitig erfuhr
•l**r Arzneischatz durch die Medicamente, welche aus Amerika einge-
führt wurden, manche Bereicherung.
Kaiser Carl V, gebrauchte auf Vesals Verordnung, rds er an d<T
<'rirht damiederlag, eine Abkuelumg der China-Wurzel. Das (tuajak-
Mi crhiDgte einen gr*:>ssen Ruf als specitisches Mittel m?ixm\ die Sj-philis,
CiJiTCH VON HrTTKK, wclchcr seihst an dieser Krankheit viele Jahre
liöy hal die Wirkungen de^ Guajakholzes ausführHch geschildert^^
' Pakacslsyts: Puramirtim, Lib, I. * Kupp: Gtjscli. der Cbcmie ii. a, O. I, »6.
• U. V. Hüttek: Du Guajaci mcdu'iim, Mo^unt. 1519. — F. F- A, Porruw:
ilnv du cboTiLlier ullenamid Ulrifh ih» J lüften siir hi miilRilir fmin^aise, l^you iSßr».
260 Der medieinisctie Unlerrichi in der Neuzeit.
Auf dem Felde der inneren Medicin forderte der durch den Kampf
gegen den Autoritätsglauben geweckte Geist der Selbstständigkeit eine
Menge von Beobachtungen zu Tage, welche zur Kenntniss der Krank-
heiten viel beitrugen. Das Wesen der Syphilis, die damals mit un-
gewöhnlicher Heftigkeit und in seuchenhafter Ausbreitung auftrat, und
deshalb für eine neue Krankheit gehalten wurde, die aus den neuent-
deckten überseeischen Ländern nach Europa gelangt sei, wurde durch
die Feststellung der genetischen Beziehungen zwischen den secundären
und tertiären Folgezuständen und der primären Lokal-Affektion in ein
überraschendes Licht gestellt. Mit dem Verlauf, den Erscheinungen
und der Behandlung dieses Leidens beschäftigten sich zahlreiche
Schriften, welche alle Theile des Krankheitsbildes l)erücksichtigt€n.
Aus derselben Zeit stammen die ersten Mittheilungen über den
Scorbut. Vascü de Gama verlor auf seiner Expedition i. J. 1498 nicht
weniger als 55 seiner Schiffsgefahrten, die an dieser Krankheit zu
Grunde gingen.^ Auch in den Küstenländern der Nord- und Ostsee
und in einzelnen andern Gegenden wurde das Auftreten derselben
beobachtet.
In das Ende des IG. Jahrhunderts fallen femer die ältesten Berichte
über die Kriebelkrankheit, den Ergotismus convulsivus, der sich von
der gangränösen Form dieser Intoxication, welche man in früheren
Zeiten gewöhnlich als Ignis sacer bezeichnete, sowohl durch die Krank-
heitserscheinungen als durch die geographische Verbreitung unterschied.
Durch das sorgfältigere Studium der Krankheitserscheinungen und
den Fortschritt der medicinischen Wissenschaft gelangte man auch
allmälig dahin, dass die vielumfassenden nosologischen Begriffe des
Aussatzes und der Pest in die einzelnen Krankheiten, aus denen sie
sich zusammengesetzt hatten, zerlegt werden konnten. In Folge dessen
erlangten neben verschiedenen Leiden, die sich durch Ablagerungen in
der Haut kennzeichnen, die typhösen Erkrankungen einen selbststän-
digen Platz in der wissenschaftlichen Pathologie.
Fkacastorio, der hervorragendste Epidemiograph des 16. Jahr-
hunderts, veröffentlichte die erste Beschreibung des exanthematischen
Typhus. Baillou hinterliess die ersten unzweideutigen Schilderungen
des Keuchhustens und des Croups.
Ausser diesen fundamentalen Arbeiten verdient die casuistische
Iterator hervorgehoben zu werden, welche für die Entwickelung der
eilkonde von grosser Bedeutung war. Einzelne Beobachtungen bieten
^ A. Hibsoh: Handbuch der historisch-geographischen Pathologie, Stattgart
n» 868 o. ff.
aoch jetzt Interesse, wie diejenigen über (rallensteiEe von Al. Ben^detti,
ferner die duxcb eine Abbildung illastrirte Bescbreibunf^ der Nieren-
steine des Herzogs Albrecht V, von Bayern, denen der V'olk^giaube die
Gesstalt vun Jesuiten-Kopten andichtete/ der von F, YALLEiuoiiA erzählte
Fall, in dem eine Pistolenloigel, welche in die Buuchhidile eingedrungen
war^ nach einiger Zeit, ohne weitere Folgen zu hinterlassen, durch den
After entleert wurde,* der Bericht des Dodonaehs, welcher bei der
Sektion eines franzosischen Prinzen, der lange Zeit am Tripper und an
Xierenschmerzen gelitten hatte, Vereiterung der Ureteren und Ver-
liärttmg der Nieren land,^ die psychiatrischen Erfahrungen Felix
Pi*4TT£BS, welcher sich gegen die Zwangsmassregeln und die Ein-
sperrung der Geisteskranken in Getangnisse aussprach, u. ä, m.
Welche reiche Vermehrung des Inhalts die medicinische Wissen-
aft im lU. Jahrhundert erfahren hat^ lasst sich hier leider nur
undfuten; denn eine ausfuhrliche Schilderung der einzelnen Fortschritte
de zu weit fuhren und ist nicht die Aufgabe dieses Buches. Die
Dgel'ulirten Beispiele, werden genügen, um zu zeigen, wie sich der
Mjjeist in der Entwickelung der Medicin wiederspiegelte.
Die Universitäten im 16. Jahrhundert.
is mit ungeahnter Kraft sich entfaltende Geisteslehen hatte die
*irQiidung zahlreicher Universitäten zur Folge. In Spanien und Por-
tugal, welche durch die üherseeischen Entdeckungen in den Vorder-
grund der öffentlichen Interessen gedrängt wurden, wurden Hochschulen
»Toledo (1520), Baeza (1538), Composttdla (1534), Granada (1540),
Omna und Gandia (1549), Almagro (1552). Orchuela (1555), Terra-
piU (1572) und Oviedu (1580) errichtet; selbst in der neuen Welt^
iB Lima (1551) und Mexiko (1553), entstanden Universitäten,
Aber ihre Bedeutung für die Entwickelung der Wissenschaft blieb
geruiif. Sie sanken rasch in Vergessenheit, als Spanien, dem das
Schick vdl die Holle der leitenden Seemacht zugedacht hatte, durch die
kurzidchtige Gkubenspolitik seiner Herrscher und den beschränkten
f ' " MUS seines Volkes von der politischen Hohe, die es erreicht
abgestürzt wurd^.
• L ntiifi ü. DiaTBt iu Vutcüows Archiv, Bd. 96, S. 501 u, fil
JObftcrvut. mficJicm., Hb, IV, c, 9, Lugd. 1605.
%||iiii6w obeervat. exompla rara, Ilarderwyk 1521^ p. 72, c. 41.
262 Der medicinMic J^ntcrricht in der Nieuxeii.
England und die Niederlande, welche an Spaniens Stelle traten
und bald den Handel und Verkehr mit den überseeischen Ländern
beherrschten, wussten besser den Vortheil ihrer Lage auszunutzen.
Sie blühten empor und wurden die wohlhabendsten Lander der Welt.
Sie vereinigten die Keichthümer Amerikas mit den Schätzen Asiens
in ihrem Besitz; denn auch der Orienthandel, welcher bis dahin seinen
Weg über Italien genommen hatte, schlug eine andere Richtung ein
und gelangte zur See nach den Küsten Britanniens, Hollands und
Xorddeutschlands.
Tn dieser Thatsache liegt die Jirkläning der merkwürdigen Er-
scheinung, dass diese Lander fortan auch auf den geistigen Gebieten,
in der Kunst und Wissenschaft, eine hen^orragende Rolle spielten,
w^ährend sie andererseits auf den Verfall Itulicns, der mit jener Zeit
])egann und am Schluss des 17. Jahrhunderts deutlich zu Tage trat,
ein Licht wirft.
Italien erhielt im 16. Jahrhundert nur zwei Hochschulen, nämlich
zu Mac^rata (1540) und zu Messina (1548). In Frankreich wurden
Universitäten zu Kheims (1558), Douai (1561), Besan9on (1564) und
Pont-fi-Müusson (1572)^ gegründet, denen sich die in der französischen
Schweiz gelegenen Universitäten zu Lausanne (1536) und Genf (1569)
anschlössen. Ausserdem errichtete der König Franz I. das College de
France, an welchem unentgeltliche Vorlesungen gehalten wurden, deren
Besuch Jedennann gestattet war. Unter den reich dotirten 12 Lehr-
kanzeln befand sich auch eine für Medicin.
Auf den brittischen Inseln erhielt Edinburg 1583 und Dublin 1591
eine Universität. In den Niederlanden entstanden derartige Anstalten
zu Leyden (1575) und Franeckcr (1585). An der östlichen Grenze
der Cultur wurde Wilna (1507) zum Siti einer Hochschule gemacht.
Auch die Zahl der deutschen Universitat<?n wurde erheblich ver-
mehrt. Schon auf dem Reichstage zu Worms i. J. 1495 richtete der
Kaiser Maximilian I. an die Kurfürsten die Aufforderung, dass Jeder
in seinem Lande eine Hochschule gründe. Was die Kurfürsten thaten,
das wollten auch die übrigen Landesherren durchsetzen, wenn es irgend
möglich war. So wurde eine Menge von Universitäten ins Leben ge-
rufen, von denen manche kaum die nothdürftigsten Mittel zu ihrer
Existenz erhielten.
Im J. 1502 errichtete der Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen
mit kaiserlicher Genehmigung die Hochschule zu Wittenberg, welche
^ ToüBDEs: Originc de rcnseignement mM. au Ijorraine. La £Acaltö de mM.
de Pont-iii-MoussoD, Paris 1876. — Leüband: L'universit^ de Douai, Douai 1888.
DU üniversitiUen im 16, Ja^irhtmdmi.
263
den folgenden Decennien den Mittelpunkt der religiössen Refonn-
egung läldofca Darauf fols^te 150G die Gründung der Universität
m Frankfurt nO. für die Markgrafschaft Brandenburg.
Die erste Hochschule, die nach der Kirchenspaltung' entsUind und
einen ausgesprochen protestantischen Charakter trug^ war diejenige zu
Mikrhurg in Hessen, welche 1527 errichtet wurde, aber erst 1541 die
^llg^gung de^ Kaiser« erhielt Gleich der Marburger Universität
^^^^id auch diejenige zu Königsberg in Preussen (1544) unter
[ÄELlKcuTHüiis Einfloss; sein Schwiegersohn Sabinits war ihr ei'ster
^B ^ Dillingen gründete der Augsbnrger Bischof ü. vun Truchsess
LJ, 1549 eine Bddiingsanstalt für Kleriker, welcher 1554 vom Pabst
die Rechte! einer Universität verliehen wurden. Sie wurde später von
Jen Jeriuiten geleitet und lb04 aufgehoben.-
Die Entstehung der Universität Jena (1558) hatte darin ihren
!rT Kurfürst Johann Friedrich ran Sachsen, als er nach
heu Schlacht bei Mühlberg genothigt wurde, sein Land
ßfoi da^enige seines Vetters Moritz zu vertauschen, eine Universität
Nähe seiner Residenz haben wollte. — Seinem Beispiel folgte
Julius von Braunschweig und schuf 1576 die Universität
Imstädt, welche bis 1809 existirte. Die medicinische Eucultiit der-
führte in ihrem Wappen einen gekrönten Ochsen unter einena
In den I/mderu der Habsburgischen Dynastie wurden Hochschulen
i<»Unür2 (1573) und (iraz (1585) mit katholiscbem (lianJikT errichkt,
jedoch nicht mit allen Facultätcn ausgestattet waren,
Nor die Universität zu Würzburg, welche i. J. 1582 vom Fürst-
hof Julius Echter wiedererüffnet wurde, besass reichere Hillsmittel
ilas medicinische Studitmi. ülirigens hatten auch tue übrigen der
entstandenen Universitäten selten mehr als einen Professor der
ücin. Itte Theologie stand immer noch im Vordergruude.
Die protestantischen Hochschulen kämpften nicht weniger eifrig
im neuen Glauben, als die katholischen Universitiitt*n unter jesuiti-
ter Führung die Autorität des Pabstes verth einigten. An der Hoch-
bule j£u Helmstedt wurde Niemand geduldet, der nicht dem Juthe-
hm Glauben anhing. Der Herzog von Braunschweig erklärt« 1584
General-Consisturium, dass es besser sei, wenn derartige Leute
' M. roFrEu: Die Grilndung der UuiveraitÄt zu KöDigjaberg, 1844.
' Pauläem: Go6chicbte des gelehrten Unterrichte a. a. IX 8. 268.
^ Uoicbtclitc der ehemaligen Hochschule su Heixostädt, Helmstedt 1ST<^.
264 Ber mediciniscfie Unterricht in der Neuzeit. '
„zum Teufel führen, als dass sie seine Kirchen und Schulen verunreinten
und befleckten".^ Aber es war doch schon ein grosser Portschritt zur
Toleranz, dass er die Andersgläubigen nur ins Jenseits wünschte und
nicht mehr gewaltsam dorthin befördern liess.
Leider kam auch dies unter der Herrschaft des Protestantismus
nur zu oft vor, wie abgesehen von den grausamen und blutigen Ver-
folgungen, deren Schauplatz England und die ihm unterworfenen Länder
waren, das Beispiel des unglücklichen Michael Servet beweist, der auf
(.'alvins Betreiben in Genf den Scheiterhaufen besteigen musste, weil
ihm das Verständniss für die Dreieinigkeit Gottes nicht gelang.^
Die Wirkung der Kirchenspaltung auf die Universitäten, welche
sich der religiösen Keformbewegung anschlössen, äusserte sich zunächst
in der Loslösung von Rom, in der Beseitigung der päbstlichen Ingerenz.
Aber der kirchliche Einttuss wurde dadurch nicht aufgehoben; es traten
nur an die Stelle der katholischen Theologen die protestantischen, deren
Herrschaft in manchen Ländern, z. B. in England, sehr drückend war
und sich in unberechtigter Weise auf alle möglichen Gebiete des geistigen
Lebens ausdehnte.
¥An freierer Geist beseelte die protestantischen Hochschulen Deutsch-
lands. Die Geistlichkeit der neuen Kirchen gewann hier geringere
Macht und entwickelte sich allmälig zu einem Organ der Staatsgewalt^
die aus Gründen der politischen Zweckmässigkeit brutale Ausbrüche
der religiösen Intoleranz vermeiden musste. In Frankreich wurde die
Verstaatlichung der Universitäten und überhaupt des gesammten Schul-
wesens, welche in den protestantischen Ländern Deutschlands unter dem
Einfluss der Kirchenspaltung zu Stande kam, durch die Kraft der Re-
gierungen allmälig herbeigeführt
In den katholischen Ländern Deutschlands vollzog sich dieser
Prozess erst im 18. Jahrhundert, in anderen Staaten, z. B. in Italien,
im 19. Jahrhundert Derselbe hatte manche Veränderungen in der
Organisation der Universitäten im Gefolge. Die Kanzler-Würde wurde,
wenn man sie nicht gänzlich abschaffte, mit hohen Beamten oder Ver-
trauensmännern der Staatsregierung besetzt und die Licenz nicht mehr
von der Kirche, sondern vom Staat ertheilt
Der kosmopolitische Charakter der Universitäten hörte damit auf;
sie waren fortan nichts weiter als die höchsten Lehranstalten des Staates,
und ihre akademischen Grade hatten nicht mehr, wie früher, Geltung
^ Paulsen a. a. 0. S. 178 nach E. L. T. Henke: Georg CaUxtus und seine
Zeit, Halle 1853.
* W. £. H. Leckt: Geechichte der Aufklftrung in Europa 11, 31 u. ff.
■brd
für alle Üknder der Christenheit, sondern nur für einen engbegrenrten
IK>irtisrheu Bezirk. Die schrankenlose Freizüi^^igkeit, deren sieh die ge-
lehrten Stände im Mittelalter erfreuten, wurde aiiigehohen, und es ent-
irickelte sich alhnälig ein Prohil)itiv-Syj^tem, welches die Wissenschaft
aar aocrkannte, wenn sie innerball) der eigenen Grenzpfahle erworben
en war.
Eine grosse Umwälzung erfuhren im Allgemeinen die finanziellen
Verhültnisse der Univei-^itaten Deutschlands und mehrerer anderer
Ultider, welche sich dem Protestantismus anschlössen. Die Professoren
mioren die Au.^sicht auf eine Vermehruufr ihrer Einnahmen durch
fette Kuchenpfründe«, Die geringe Erhrdiung ihrer Besohl un gen, welche
\m der Säcalarisation der Kindiengfiter erfolgte, hot dafür nur einen
itürfligen Krsatx. Ül^erall fühlte man, dass der sichere Rückhalt, den
mn m den reichen <reldinitteln der Kirrhe geliabt hatto, nicht mehr
ti'rliiUiden war
W' 'f!i;fügig «he Mittel waren, welclie «lamjds die Erhaltung
dner 1 1. ...it erforderte, zeigt da,s Jahres-Budget der Tühinger llfieh-
«!hule Ton 1541/42. Die Einnahmen betrugen 5176 fl., die Ausgaben
'J853 d.; in den letzteren waren die Professoren-GehaltiT für 3 Theo-
l*»gent 6 Jurist-en^ 2 Mediciner und 10 Artisten mit je 40 — 200 Jb,
im Ganzen 2304 tl enthalten.^
Die Bedürfhis.se einer kleinen Universität in jener Zeit waren nicht
l>f*cteatend, wie das Beispiel von Greifswahl zeigt, wo sich sanmitliche
iLaanüichkeiten derselben in einem einzigen H*mse )>efanden. Sie be-
sUndm aus drei Hörsälen, dem Seuatssaal^ dem Laden für die aka-
•iemiüche Buchhandlung, dem Biblinthekzimmer, dem Archiv, zwei
Prufessoren-Wühnungen, mehreren Kammern, in clencn Studenten wobnlen,
und dem Carcer im Souterrain J
Die kafholiscben Hüchschulen befanden sich in dieser Beziehung
io einer günstigeren Lage, Pabst Julius IIL erliess i. J. 1553 eine
Ballt», nach welcher e« gesetzlich gestattet war, geistliche Pfründen an
wi'lilirhe Professoren zu verleihen» was übrigens schon seit langer Zeit
?d>rduchlich war und stillschweigend geduldet wurde.
Das CöÜbat der Univeraitätslehrer wurde dadurch gegenstandslos
und hurte allmälig auch in den katholischen Ländern auf. An den
prok^jstantiÄchen Hochschulen war es selbstverständlich ausgeschlossen;
doch wirkte die Gewohnheit so mächtig, dass man z. B. in Tübingen
Jaran noch festhielt und es sogar von den Professoren der Medicin
» F. PAULffiK in Svbbl's hbtor, Zoitachr, ISSJ^ ßd. 45, S. 278 u. ff,
* R PADLBI5Ä a. a. O. 8. 304. 407.
-•^
266 Der niedidnisdie Unterricht in der Neuzeit.
verlangte, nachdem die Universität schon längst protestantisch ge-
worden war.
Die Besoldungen der Professoren waren verschieden in den ein-
zelnen Ländern und Facultäten ; diejenigen der Mediciner standen denen
der Theologen und Juristen im Allgemeinen nach. In Paris erhielt
jeder Professor der Heilkunde i. J. 1505 12 livres jährlich.^ In
Königsberg wurden den beiden Lehrern der Medicin i. J. 1544 Be-
soldungen von 200 und 150 fl. ausgesetzt* In Heidelberg bezogen
die drei Professoren der Medicin vor der Reformation Jahresgehälter
von 180, 160 und 140 fl. Im J. 1588 wurden dieselben erhöht auf
270, 180 und 170 fl. ; ausserdem erhielt Jeder freie Wohnung, sowie
ein Fuder Wein und 12 Malter Korn jährlich. ^
Der Herzog Wilhelm von Bayern stellte 1537 einen Rechtslehrer
in Ingolstadt mit 300 fl. Gehalt an. Dies war die höchste Besoldung,
die damals auf einer deutschen Universität gezahlt wurde.*
Die Studentenschaft wurde von den grossen Begebenheiten der
Zeit ebenfalls mächtig ergriffen. Der auf allen Linien eröfl&iete Kampf
gegen die Autorität, der Humanismus, welcher in den ungezwungenen
Lebensformen der antiken Welt seine Ideale fand, vor Allem aber die
Kirchenspaltung erzeugten einen Geist der Freiheit und Unabhängigkeit,
welcher sich manchmal gegen jede Beeinträchtigung der Selbstständig-
keit auflehnte.
Die Senatsprotokolle der Tübinger Universität enthalten merk-
würdige Belege für die Sittengeschichte der Studierenden des 16. Jahr-
hunderts. So beschwerten sich die Nonnen von Suchen in einem
Schreiben v. J. 1564 beim Senat, dass sie durch die häufigen und zu-
dringlichen Besuche der Studenten belästigt wurden. Viele Studenten
in Tübingen waren verheirathet und Familienväter; i. J. 1575 wurde
den jungen Studierenden verboten, sich ohne Einwilligung ihrer Eltern
zu verehelichen. Im J. 1589 wurde dem Senat angezeigt, dass eine
Wittwe mit Studenten Unzucht trieb; zur Strafe dafür wurde sie ,4n
einem Stüblein an die Kette gelegt".^
* Hazon a. a. 0.
* D. H. Arnoldt: Historie der Köuigsbergischeu Universität, Königsberg 1746.
* Hautz a. a. 0.
* Meinebs: Geschichte der Entstehung der hoben Schulen, Göttiugen 1802.
^ B. v. Mohl: Nach Weisungen über die Sitten und das Betragen der Tü-
binger Studierenden während des 16. Jahrhunderts, Tübingen 1871. — Job.
Hubeb: Deutsches Studentenleben in Kleine Schriften, Leipzig 1871, S. 864 u. ff.
— B. Gebha&dt in der Zeitschr. f. allgem. Gesch. her. y. Zwiedihbck-Südkvhobst,
Bd. IV, 1887, S. 962.
Die Universitäten im 16'. JaJir hundert, 267
In Wittenberg kamen ahnliche Excesse vor.^ Auch unter den
Studenten katholischer Universitäten herrschte ein roher gewaltthätigcr
Ton, wie die Nachrichten über Ingolstadt beweisen. ^
Die Studenten wohnten theils in Bursen oder Convikten, wie sie
s(^hon im Mittelalter existirten, theils bei Privatleuten oder Professoren.
Die letzteren fanden in dem Gelde, welches sie für die Aufnahme und
Verpflegung der Studierenden empfingen, eine bisweilen recht erwünschte
Einnahme-Quelle. Martin Lutheü's Sohn hielt eine vielbesuchte
Studenten-Pension in Wittenberg.^ In Heidelberg kam es nicht selten
Tor, dass die Professoren den Wein, welcher einen Theil ihrer Gehalts-
bezöge bildete, öffentlich ausschenken liessen; sie durften sicher darauf
rechnen, dass ihre Hörer dabei mindestens ebenso fleissig erscheinen
irürden, als in ihren Vorlesungen,
Arme Studenten waren der bittersten Noth ausgesetzt. J]in er-
greifendes Bild dieses traurigen Daseins hat Thomas Platter in seiner
Selbstbiographie gezeichnet. Hungernd und frierend, in Lumpen ge-
hüllt und bettelnd durchzog er mit seinen Gefährten die Schweiz und
Deutsehland. Die fahrenden Studenten bildeten ein Vagabundenthum,
welches die Leichtgläubigkeit und Unwissenheit brandschatzte und in
manchen Gegenden zu einer argen Landplage wurde.
Eine tiefe gesellschaftliche Kluft trennte diese Bettelstudenten von
den reichen und vornehmen Studierenden, welchen an den meisten
Universitäten eine bevorzugte Stellung eingeräumt wurde. Dieselben
suchten häufig durch kostspielige Schmausereien und Gelage, durch ein
verschwenderisches Auftreten und übertriebenen Kleiderluxus Aufsehen
zu erregen. So kosteten z. B. die Pluderhosen mancher Studenten über
100 fl.: eine Summe, deren Bedeutung man erst begreift, wenn man
bedenkt, dass der aus drei Gängen und einem Quart Wein bestehende
Jlittagstisch für die Tübinger Studenten damals mit 38 fl. jährlich be-
zahlt wnirde. Gesetze, Predigten und Bücher eiferten gegen die Ver-
schwendungssucht der Studenten, aber, wie es scheint, ohne Erfolg.
Professor Musculus zu Frankfurt a/0. geisselte die Sitte der Pluder-
hosen in einer Schrift, welche den Titel führte: „Vermahnung und
Warnung vom zerluderten, zucht- und ehrverwegenen pludrichten Hosen-
teufeL (Frankfurt a/0 1556.)" Ein Senatsbeschluss der Tübinger Hoch-
schule V. J. 1554 verwarnte „die Edelleute, so neuerlich hierher ge-
konunen, wegen ihrer Bruttalhosen und Blossgesäss und forderte sie
auf, solch' unfläthig und kriegerisch Kleid abzulegen."
" J. F. A. Gillet: Crato von CraflPtheim, Frankfurt a/M. 1860, I, 101.
* B. GsBBARDT a. a. 0. S. 957. ' Paulsen: Gesch. d. gel. Unterrichts S. 161.
Der medicinische Unterricht
Die Veränderungefl, welche die medicinbcbe Wissenschaft erfii
ftüsserteu ihren EmÜiLss auf den medicinischen Unterricht dadurch,
die Summe des Lehr,stotle?s sowuhl wie die Anicahi der Professuren
die Lehrmittel vermehrt wuriien, und die Methode der är/tlicheu All
hildunicf, entsprechend der grösseren Bedeutun^,^, welche die Anaton
und Cbirur^^ie erhmgt huMeu, iillmahg eine etwas mehr praktiscl
Richtung erhielt. Die cuiturhi^ torischen Ereignisse, die Erhudung
und Entdeckungen, uhten ehenfaüj^ eine mjjchtige Wirkung auf
Unterrichtswesen ^lUi^.
Vmf der ErÜndung «ler Buchdruckerkunst gehörten Bibliothek
zu tlen seltensten und kosthar^ten Dingen. Die medicinische Facuitj
zu Paris besiiss i. J. 1395 nicht mehr als *J Werke, unter welche"
iler Continen« des IJhazks am hnchsten geschätzt wurde- Ak dei
König Ludwig XL dieses Werk i. J. 1471 nusleihen wollte, um es
schreiben zu lassen, funJen deshalb lange Bcratlmngen der Facultj
statt, und dieselbe ertheille ihre Bewilligung erst, nachdem der Kön
eine Caution von 12 Mark Sill»er erlegt und 100 Thaler Gold hei^
liehen hatte.'
Privatleute waren nur mit Aufwand grosser Mittel im St-ande, sich
Brichersammlungen anzulegen. Selbst ein so hervorragender und ver-
mögender Arzt, wie TAWJEti ALDERorri, hinterliess bei seinem T'Mle
nur 4 Bücher; im Naehhuss des Ar/tes Fhkibank fand man nicht nie
al« 3 Bücher. =*
Die Anfertigung der Alisuhrift eines Werkes nahm Jahre des
gestrengteslen Fleisses in Ans|jruch und setzte Kenntnisse voraus,
damals wenig verbreitet waren. Mit der Erhndung des BücherdnK
vollzog sich in dieser Hinsicht ein Umschwung, iihnlich demjenijjei,
der in neuester Zeit geschah, als die Muschinen--Vrbeit den Handbetiij
in der Herstellung der Waaren ersetzte.
Die Gründung und Vermehrung der Bibliotheken der Hochschü
wurde dadurch erleichtert oder eigentlich erst ennoglicht. Die JJi
versitäten gewannen damit ein Lehrmittel, welches die Entwickelung
des Geisfes und CIiürakt^Ts in gleicher Weise orderte. Sie erkannten
die Wichtigkeit desselhen sehr gut und waren bemüht^ die für dg
^ J. C. Sabatieh a. a. O. — KoasoAJtTEN (Geschichte der Universität Greifii-
wald, Greifswald 1857, 11, 2S2) giebt ein VerzetcbnisÄ der Bücher, welche
1482 im BestU der dortigen medidnUchen Facultät bt^fumieiu
* K&LEOE a. a. 0. 1, 17.
Der medieinisehc VnterriolU.
269
|pH»1
Erwerbung Ton Büchern erforderliclien Oeldniittel herbeizuschalfen und
die Benutzung der Sammlungen durch zweckmassige Einrichtung^en
nnd Vurscliriftfn zu roj^eln. ^ Die Bil)liotbpksordnung der mtMÜcinischen
Facultas zu Montpellier v. J. 1534 bestimmte, dass die Bibliothek im
Sommer um 6 Uhr, im Winter um 8 Uhr früh geöffnet und Xach-
mitta;^ um 4 Ulir geschlossen wurde, und machtn die Studierenden,
welche sie benutzten, für jeden Schaden, der durch Verlust oder Y^^r-
onreinigung der Bucher ent^stand, verantwortlich,*
Im 16. Jahrhundert begann man auch, die Universitäten mit bo-
luiiaichen Gärten auszustatten. Die Republik Venedig ging darin allen
Ibtifen Staaten mit gutem Beispiel voran, indem sie 1545 in Padua
«Den bfitanischen Garten anlegen liess.^ Darauf entstanden diejenigen
PiÄi (1547) und Bolugna (1568), wo s[iat4*r A. Cksali'im, „der
ie Botaniker seines Jahrhunderts*^ lelirte und wirkte, Leyden er-
Melt 1577^ Montpellier 1593 einen botanischen Garten. An den deut-
«heo Hochschulen wurden die ersten zu Leipzig (1580). Breslau (1587),
Basel (1588) und Heidelberg (1503) gegründet* Sie hatten zunächst
tohl nur den Zweck, clas Studium der Arzneiptianzen zu begünstigen.
Der Unterricht in der Bot^inik wunle mit Demonstriitionen der
Ptbnzen verbunden, welche das Verständnis^ des Vortrags ausser-
'trdentlich erleicht-erten. Ausserdem wurden dazu Herbarien, Samm-
lungen getrockneter Pflanzen, welche ungetihr seit der Mitte des
16. Jahrhunderts eingeführt wurden/ sowie Aldrildungen der PHanzen
benutzt.
Schon im Alterthum pllegte man botaniscbe Werke mit Zeich-
nongen zu verzieren. Diejenigen der Handschriften des DnisKnniDES,
welche sich im Besitz der kaiserlichen Hofbibliothek zu Wien belinden,
n aus dem 5. Jahrhundert. Auch aus der späteren Zeit, be-
aus dem 15. Jahrhundert, haben sich mehrere Pflanzen-Zeich-
ntingen erhalten."
Durch die Ertindung des Holzschnitts und Kupfersiichs wurde es
HlügUcb, die Abbildungen in wünschenswerther Weise zu vervieltaltigen.
Hertorragende Künstler, ja sogar die Meisterhand eines Guido Reni,
entirarfen die Zeichnungen dazu. Die botanische Literatur wurde im
' l^EAjrrr. a. a. O. I» 21"».
• DcnoüCHET in der Gaz, hebd, dm efu»nc. m«*d. de Montpellier 1887, No. 11,
p, 124. Vergl. auch dn^ »ehr dctaUÜrte Reglement «ler nibliotbek der EcoJe de
m^ecioe zu Ftirb y. J, 1395 bei Sabatier a. a. 0*
• Meykr a. ft. U. IV, 26ß u. ff, * lUrrz a. n. iK
• MKYßi a- A. O. IV, 266 u. ff.
• Mvfioi a. a, r». i\\ 2i:\ n. ff.
270 Der medieinische Zlfiterriehi in der Neuxeit
15. und 16. Jahrhundert mit einer grossen Anzahl von illusti
Werken dieser Art bereichert.
Noch mehr verdankt« die Anatomie der bildenden Kunst
berühmtesten Maler jener Zeit widmeten der Anatomie des me
liehen Korpers ein eifriges Studium. Lionabdo da Vinci Hess
von seinem Freunde, dem Anatomen Marc Antonio della T(
\m\1 über den Verlauf und die Form der Muskeln und die Lage der
zelnen Theilo des menschlichen Körpers belehren. Er lieferte ihn
Zeichnungen zu einem anatomischen Werk, welches derselbe he
geben wollte, das aber niemals erschienen ist. Dieselben kamen s
grösst^ntheils in die Biblioteca Ambrosiana nach Mailand und
nach Paris; ein Theil gelangte in den Besitz des englischen Kö
hauscs und wurde theils durch den Stich, theils mit Hilfe der P
graphie veröffentlicht.^
Auch MiCHELANOELo beschäftigte sich viele Jahre hindurch
I anatomischen Studien und wurde dabei während seines Aufenthai
Rom vom Anatomen Realdo Golombo unterstützt, der ihm den Leicl
eines wunderbar schönen jungen Negers zu diesem Zweck überliess.*
den Leichen in den Kellern von S. Spirito zu Florenz betrachte
den Bau des Menschen; mit grosser Aufmerksamkeit folgte er
Sektionen, welchen er beizuwohnen Gelegenheit erhielt Es ging i
die Sage, dass er, als er den Heiland am Kreuz darstellen mi
einen lebenden Menschen als Modell benutzt habe, gerade so, wie
dies bekanntlich auch im Alterthum von Pabrhasios erzählte, al
den vom Geier zerfleischten Prometheus malte.*
Von den anatomischen Zeichnungen Michelangelo's mag
Skizze einer Leichen-Sektion und das Bild eines männlichen Köi
dessen Muskeln stark hervortreten, erwähnt werden; das letzt-er
durch die genaue Abgrenzung der Proportionen ausgezeichnet, j
Rafaels Skelett-Studien sind streng nach der Natur gezeichnet; d
innere W^ahrheit und den Ernst des Ausdrucks machen sie einei
greifenden Eindruck.
^ Vasari: Leben der ausgezeichneten Maler, Bildhauer und Baume
Deutsche Übersetzung, Stuttgart 1843, Bd. III, S. 26. — R. Knox: Great i^
and great Anatomists, London 1852. — Choulant a. a. 0. p. 6 u. fF. — K.
Marx : Über Marc Antonio della Torre und Lionardo da Vinci in Abhdlgc
Göttinger Soc. d. Wissensch., Bd. IV, 177 u. tf. — C. Langer in d. Sitzung
d. k. k. Akad. d. Wiss. Math.-Naturwiss. KL, Wien 1867, Bd. 55, 1, 637.
' A. CoRRADi in Rendic. del K. Ist. Lomb. di sc e lett., vol. VI, 8<
p. 643.
• Hae8er a. a. 0. II, 27. — Choui-ant a. a. 0. p. 10 u. fF. - Ann. Se
Controvers., Hb. X, c 5 (No. 34).
m
TörtreOliche Darstellungen der Muskeln und des Bkeletts des
lilichen Körpers gah liosBu de Itossi, ein S<jhüler des Andrea
PUL Sabto, welrhe durch d^»Tl Kupferstirh venielfaltij^:! wurderL^ Auch
die Skulptur wurde vod dieser Richtung heeioflüsst, wir dir im Mai*
Under Dome beündÜehe, von Makco Aciratk herrührende Statue des
hL Uartholomäus l»ewei«t, an welcher die Muskeln Idosgelej^t erscheinen.
Vk8als anatomische Tafeln und die seinen beiden grosseren Werken
Jvpigegebenen Zeichnuno^en stammen aus der Schule Tizians, wsihr-
«cheinlicb grosstentheils von Johann CALCAiiy einzelne Blatter unti Ver-
eningen auf anderen ?ielleicht von Tizian selbst. Möglicher Weise
r*rt dazu ausser den beidun bekannten 1^'iguren eines männlichen
imd weiblichen Korpers auch das Titelblatt, auf welchem Vesal er-
rhemt^ wie er im anatomischen Theater in Gegenwart eines grossen
Zuschauer- Pul ilikums die Zergliedeniog einer Leiche ausfuhrt^
tJeringeren Werth haben die anatomischen Tafeln der Vor-Ve^salisclnn
Periode, wie z, B. Bart. Paksarotti's Aderlassüj^ur, welche, wie es scbfint,
tum ITnterrieht der Chirurgen und Bader diente. -
Albrecut Dürer und Liünardo da Vikci gaben W*eike über die
schlichen Proportionen heraus,' welche in fremdi» Sprachen ülier-
t wurden und einen grossen Einllu^ss ausübten, wie aus den Arbeiten
mehrerer spanischen Künstler hervorgeht Einzelne Anatomen lieferten
ebenfalls werthvoUe anatomisishe Zeichnungen, Das Bild, welches Varolio
Fon der unteren Fläche des «iehims entwaii^ zeigt richtige, wnin auch
derbe Contouren und war otfenbar für den Unterriebt bestiramt.^
Bkrrnoar von Carpi war nach dem Zeugniss von Bexvenitt<»
ftBJuan. nicht blos ein erfahrener Arzt und Anatiun, sondern auch ein
gmchickter Zeichner. Er stattete seine anatomischen Werke mit Holz-
idinitten aus, weiche ebenso sehr die Interessen der Kunstler als die-
jeQigefn der Ärxte borücksichtigten. Auch die Myologie des Cannani,
«nrie die anatomischen Hehriften von Charles Eätienke (Sti-tphanits),
EuKTAuiiiii und VoiiC'HKR Koytkr, welche selbst Tiele anatomische Zeich-
Bangen machten, des Spaniers Valverde i>e lL\Mrscu, femer von
Güini (ViDios), Jacqejes GfiiiLemeau, Felix pLArrEB, Salomok Ai^
»KKTt, 0 irLio CAssEiao und Adrian VAJf ijen Spigkl waren mit Ab*
liildiiDgen versehen.
Neben den anatomischen Zeichnungen, welchi' für die ärztliche
bUdung ohne Zweifel eine grosse Bedeutung hatten, und dem tlieo-
» CHoiTUk3fT tt. a- 0, S, IG u. ff, » Cmoülawt a. a. O, S. S9 u. C
* A. W. Hicsbr: Kunst und Künstler des 16. Jahrbtmdcrta, I^ipzig 1863,
r. 341. IV, 163.
* Citi}in«AjrT a. si. < ». 8. 69.
üftiMchim Vorirag bildeten die praktiscben Demonstrationen« zu weklif4
die Ldeben-Zerglieilerungen Gelegenheit boten, das gebräuchlichste Ub^
mittel in der Anatomie. r)ies<-lhen wurden im Verbiuf dei^ 16, Jahr.
hundert« an allen Universitäten, wrloho mit nhJiftinischen Facoltü
rerbnnden waren, eingeführt
Anfang« gingen sie in der UeiÄe vor .sit li. dd^n »ler Professor i
Kathoder um die Beschreibungen nnd Erklärungen der einzelnen
den Körper« vortrug, während die Sektion selbst von einem ChinjE
udcr Barbier aiisgrführt wurde. Die gelehrten Doktoren glauJiten häq
ibiss ihreWimW herubge.setzt werde, wenn sie sich mit der Zergliedcr
von Leichen ijelasisleit Als Vesal in Paris stndiiTte^ lag der
tomische Unterrieht d^rt gänzlich in den Händen ,,un wissender H
fw;herer*\ wie er er/.älilt>* ,,welche sirh darauf besebränkt(*n, die Mi
de» Unterlribh in zerrissenem und s^ebniählich zerfetztem ZuKtiinde
zii/i'igen, Himst aber keinen andern Muskel und keinen Knötchen demoB-
strirten und noch weniger eine geordnete Übei-sicht der Arterien, Yt'neo
und Nerven gaben**, GüiNTER vux Andehnach,^ welcher in Paris den
ariatinnisehen Unterricht ertheilte, hielt sich von praktischen Arbrilen
Cerri; Vi'Ihal sagt von ihm. dass er das Me-sser wuhl niemals zu andprii
Dingen, aU zum Zerschneiden des Bratens gebraucht habe.
Die italienischen Anatomen schlugen eine richtigere Methode «ja,
iiiiiem sie selbst die Leichen-äektionen ausführten. Diesem Um^tandi;
war 4VS gewiss haupt^chlich zu Terdankeiiy dass fast alle gro
teniisehen Kntdeckungen jener Zeit tod Italien ausgingen*
Die anatomisohm Schulfla diases Landes waren die besten
^xnx'n Wflk Alle krerTomgecMlen Anatomen des 16. Jahrhund«
bal>tm hier ihre Aushildiiag erhalten; miler ihren Lehrern linden äch
dte tJOammia^m NaaMit ««Um dia Qtidudite dMer Wiaaeiiflchrt
fenuit Maa ImpJutnlrte anh bä der AsswaU deisdben keiimin^
aiif Italkai, sdodeni aahn dit ticlUigatoi Lehrkräfte aller Länder; aaoh
»elu^ei« yjiilwiiiift üA DMiHhe willclai ab Lebiar der Anatomie
an ~ -^ ^ - -
Aaf Alks.
' winde L X H9Ü in Bologna.
Umk dam Ibeler desselben ent^
(IMSV Aniodaa (1&5S) und an ande
Shi gIQS90$
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C^KIl
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flu laa flu c
Der medidniadie ühierricht
273
licht« war der Mangel an Leichen, welcher nur ganz allmülig beseitigt
wurde. Noch Vesal erklärte, dass er so selten Gelegenheit gehabt
habe^ den Uterus schwangerer Frauen zu seciren, dass er eigentlich
gar nicht wiüse, wodurch sich derselbe von demjenigen einer schHangeren
Bündin onterscheide. ^ Als Student in Paris und später in Löwen be-
«achte er mit seinen GetTihrten Nachts die Friedhöte, um nienschliehe
^JCoooheii auszugraben und zu sammeln ; einmal soll er bei einem solchen
^fkiiflDg «sogar auf den Galgen gestiegen sein und das Skelett des ge-
knkteu Verbrechers herabgeholt haben, ^
Ahnlich ging es auch an anderen Orten zu. Felix Plätteb
terichtet, dass er als Student in Montpellier mit seinen Freunden, nnter
ienen »ich ein „verwegener M^ncb des Augustiner-Klosters" befand^ hei
Sacht, y,nachdem sie einen tüchtigen Trunk gethan*^, auf dem Kirch-
kofe mit den Händen Leichen ausgegraben und die Knochen heimlich
iö die Stadt getragen habe,^ Aber nicht blos die Studierenden, sondern
weh die Professoren l»eklagten sich üVier den Mangel an Leichen.
HüKDELET in Montpellier soll deshalb sogar seinen eigenen Sohn, als
ißm gestorben war, secirt haben. Ferner wird von ihm erzählt, dass
er deinen CuUegen Fontan«), währond derselbe schwer krank darnieder-
^t gebeten habe^ dass er seinen Körper nach dem Tode anatomischen
Zwecken widmen möge.*
Allerdingä gab es in den Statuten der medicijiischen Facultäten
Bastiinmungen , dass jälirlich eine oder mehrere anatomische Demon-
slnitionen stattlinden und die Behörden das dafür erforderliche Leichen-
Haterisl liefern sollten. Aber die letzteren kamen diesen Verpllichtungen
nicht immer na<*h, und selbst, wenn dies geschah, so genügte das
Studien-Material kaum für den Unterricht, geschweige denn, dass es
für die L'ntersuchungen der anatomischen Forscher ausreichend war.
Es war daher erklärlich, dass sie sich dasselbe, wenn sie es nicht
auf legalem Wege erlangen konnten, auf andere Weise zu verschaöen
«lebten. Der Kauf und der Diebstahl der Jjeicheu waren in Folge
tegen nicht selten und wurden von den Behörden mit einer gewissen
Tokr&nz betrachtet, wenn es zu wissenschaftlichen Zwecken geschah.
^' scheint dif*s maachmal zu offenkundig getrieben und auch
üi- „,.... aL zu haben, sodass dagegen eingeschritten werden mtisste.
In Padua verkingte das Volk l J. 1550, dass die Gesetze gegen
' VtaJtLtü«: Eptat radic cb7n, dccoct. rat, pertractaiüä nacli A, Corbapi
•■4.O. p. 634,
* H. ToLuif im Biolog. Ceotralblatt 1885, Bd. V, 276 u. ff,
' Fiux Pi.ATr^B: Sclbetbiographie a. a, 0. 8. 152.
* Ciiaju.Dt a. a. 0. p. 943. — Portal: ilmt de lanatomle I» 522.
ItnKwtAnr, Onttfilcbi. IS
■W-^^^
274
Der meSßinisdm Unkniehi in der Neuzeit
dU' Entweihung der Gräber und den Ijeichenraub streng:er geliandhab
wfirdeiL ^
DtT V^n'niihiiie thr Lin4*lKvii-8ekti<jnfn sUuiden niclit mehr, wk
früher, religiöse, sfindern Kocialo Voriirthcile entgegen. Nur dasWoU
wMm iinsichtsvoller liehörden und din thatkrülltig** UnttT^tutzuug
Viirnehmer Herrm, welche sieh für die Anatomie interessirlen, crmilif.
lichte es den Forschern, da.s nothwendige Studien-Material tn erirerbea.
Faloppio erhielt Gelegenheit, in einem einzigen Jahre 7 mensch-
liehe Leichen zu seciren^ ükaleio (^olumho l»rachte es sogar auJ' R'
Veux Plattkr berichtet, dass er während einer H*»jjhrigen Tb^tigkeit
mehr als fiO Leichen zcrjrliedert haber' eine Zahl, welnbe für jene Zeil
iiusst rgew((bubcb buch war. Vesal erhielt während seiner erfolgreichm
Wirksamkeit an den Hochschulen 7U Fadua^ Vm\ und Bolugua mml
I^fichen, als (*r vvrinscbte; si^* wiinlen ilim von den t: : ^
ans den *S[>itillern gcliifert. Ilic tfichter hatt^'n die <
die Venirtbcilten eine TodeMart zu wähli^n^ welehe V|':sai> im Int('res$i^
\U'v iinvt'Tsehrten Krbnltung der Körper voiNchlng, oder dl«* Hinn
auf seinen Wunseh aufzuschiel»rn bis zu i^in-T Znit, in webdicr .ilh
an Leichen lierrschte.
Ibesrs Entgegenkiinirneu w\^ soweit, ilas?. Cusimi» von MülUCf
ihm^ als er behufs Lnsunir diT dsuuals noch uru^ntsohiedeiren* Frage, ob
das Ihjmen viiyimiafis existire, in Verlegenheit war, woh**r er rix»
I>assendcs weibliehes Objrkt nehmen mllie, den lieiehnani einer frümmi»ö
Nonne, welche kurz vorher ge8torlien war, zur Verfügung stellte, Ihr
durch konnte, wie Hyrti- bemerkt, dieseK wichtige Attribut der Jungfern-
sefjafl in Heine Hf^chte eingest»tzt werden, wan viu*her nicht möglicli
war, da die Jungfern, welche vom «ialgeu geliefert wurden, s^ich fli
widinlich nicht mehr im Besitz dessclhr-n befanden. f
Der praktische Unterricht in dvv Anatomie bestand hauptsächlich
iji der Demonstration der Leicbentheile; nur ausnahmswtise erhielten
die Sluilierendcn liidegenheit, scÜist an th»r Zergüedcrung mitzuarbeiten»
Aus den Statuten der mefliciniscbcn Facultätcn lasst meh übrigens er-
kennen, dass die Zahl der jährti<*!jt'n Sektionen, welche zur Ausbildung
drr Arzte ^^ehr»rten, allniälig xuniihm.
In Leipzig wurde 1519 angeordnet, dass jeden Jahr eine Leiche
iitfentlich /jT^licdert werde, da ohne anatomische Zergliederung dit
» K. CohOMno ti. a. O. üb. X\', p. 262,
* F. pLATERCf»: Dir corp. huDti. »tractura et hau, Buü. 1583, in
nonifc trat'li dem Titelblatt.
MI. ToT4JK \m Uiolo|<. Criitmlbl. V, 847.
Der medidnisctie UnterrictiU 275
Kenntniss des menschlichen Körpers und seiner Krankheiten unmöglich
seL^ Die gleiche Vorschrift findet sich in den Statuten, welche der
Herzog Ulrich für Tübingen erliess.
In Prag lag nicht blos das anatomische Studium darnieder, sondern
die ganze Universität war herabgekommen. Der Priester Jacob an der
Teynkirche nannte sie i. J. 1517 ein „verrostetes Kleinod". ^ Medicin
wurde im 15. und 16. Jahrhundert kaum mehr gelehrt. Anatomische
Demonstrationen wurden erst durch Johann Jesensky (Jessenius) ein-
geführt, welcher dort am Schluss des 16. Jahrhunderts eine Professur
der Medicin übernahm.'
Nicht viel besser war es in Wien während der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts. Erst nachdem Aicuuoltz das Lehramt der Anatomie
angetreten hatte, üanden wenigstens in jedem Winter einmal öffentliche
Zergliederungen statt Doch hörte dies später wieder auf; denn 1567
baten die Studierenden der Medicin, dass wieder einmal eine Sektion
vorgenommen werde, da dies seit mehreren Jahren nicht geschehen sei.
Ihr Gesuch wurde aber abgewiesen; sie wiederholten es daher im
folgenden Jahre, aber mit dem gleichen Erfolge; erst 1571 wurde ihr
Wunsch erfüllt*
In Basel hat Vbsal um 1542 die erste Zergliederung einer mensch-
lichen Ijeiche veranstaltet Das Skelett derselben wird neben demjenigen,
welches von Felix Platter präparirt worden ist, noch jetzt im ana-
tomischen Museum der dortigen Universität aufbewahrt^ Der letztere
unternahm in Gegenwart der Ärzte und Wundärzte und anderer Zu-
schauer in den Jahren 1559, 1563 und 1571 öffentliche Sektionen.
Regelmässige anatomische Demonstrationen wurden jedoch erst ein-
geführt^ nachdem C. Bauhin zum Professor der Anatomie und Botanik
ernannt worden war. In Edinburg erhielt die Chirurgen-Zunft i. J. 1505
dieErlaubniss, einmal im Jahre die Leiche eines Gerichteten zu zergliedern.
Die Statuten der medicinischen Facultät zu Montpellier v. J. 1534
enthalten genaue Angaben, wie sich die Studierenden bei den Sektionen
zu verhalten und wieviel sie dafür zu bezahlen hatten. Im J. 1598
wurde dort ein anatomisches Theater errichtet und ein Prosector mit
100 Thalern Gehalt angestellt.«
^ Zabncks: Statutenbücher der Univeniität I^eipzig, 1861, S. 39.
* W. Tomsk: Geschichte der Prager Universität, 1849.
' J. Htstl: Geschichte der Anatomie in Prag, Prag 1841, p. 11.
* BofiiLs a. a. 0. n, 85. 89. 104.
* Hia im Corrospond.-Blatt der Schweizer Ärzte, 1879, S. 121 u. ff.
* DiTBOuamrr in der 6az. hebd. d. scienc. mdd. de Montpellier, 1887, No. 11
n. 17. — AffiBüc a. a. 0. p. 66 u. ff.
18*
276 Der msdicinische Unterricht in der Neuzeit.
In Paris wurde das Amt desselben schon 1576 geschaffen; es
wurde mit einem Chirurgen besetzt, welcher die praktischen Ver-
richtungen ausführte, während ein Baccalaureus der Medicin, der sich
durch seine anatomischen Kenntnisse auszeichnete, die theoretischen
Erklärungen aus der Literatur zusammenstellen und vortragen musste,
Der letztere führte den Titel Archidiaconus. Der Prosector hatte eine
sehr abhängige Stellung. Er stand unter der Aufsicht des Professors
der Anatomie, welcher, wie es in den Statuten von 1598 heisst, darauf
achten sollte, dass sich der Prosector nicht herumtreibe, sondern fleissig
mit anatomischen Zergliederungen und Demonstrationen beschäfbige
(fio?i »inat dissectorem divagari, sed contineat in officio disseoandi ei
demomirmidi). Es wurde femer bestimmt, dass jährlich mindestens zwei
öffentliche Sektionen veranstaltet würden. Gleichzeitig wurden die Be-
hörden angewiesen, keine Leiche ohne Wissen des Dekans der me-
dicinischen Facultät zu anatomischen Zwecken herzugeben und bei der
Lieferung derselben zunächst die Professoren und Doktoren der Medioin
zu berücksichtigen, und sie nur, wenn die letzteren darauf verzichteten,
den Chirurgen zu überlassen.^
Die mit den anatomischen Demonstrationen verbundenen Kosten
wurden überall von den Zuschauem, also von den Studenten, getragen,'
während die theoretischen Vorlesungen der Professoren seit dem Beginn
des 16. Jahrhunderts unentgeltlich abgehalten wurden.
Bei weitem später als die anatomischen Zergliederangen wurde der
praktische Unterricht in der Heilmittellehre und der Behandlung der
Krankheiten in den Bereich der Universitäten gezogen.
Die Arzneistoffe und ihre Zusammensetzung lemten die Studierenden
in den Apotheken kennen. In Paris wurde 1536 gesetzlich angeordnet^
„dass die Baccalaureen der Medicin die Ärzte bei der Visitation der
Apotheken begleiten sollten, damit sie sich über die Droguen unter-
richten könnten".^ Apotheken gab es damals bereits fest in allen
Städten. Sie waren mit Destillations- Apparaten, chemisch-pharma«
ceutischen Feuerheerden und Öfen, pharmaceutischen Waaren und ver-
schiedenen chimrgischen LTtensilien, welche dort zum Verkauf vorräthig
gehalten wurden, ausgestattet.*
* D. Puylon: Statuts de la facult« de medecinc cn runivereite de Paris
1672, Art. 56 u. Nachtr. Art. 5. — A. Piket: Lois, decrets, reglements et circu-
laires conc. las facultcs et les ecoles preparatoires de m^decine, Paris 1880, I,
Art. 56, Nachtr. Art. 8.
' Vergl. Cebvbtto a. a. 0. p. 139.
• Philippe a. a. 0. S. 153.
^ H. Peters: Aus pharmaceu tischer Vorzeit, Berlin 1886, S. 25 n. ff., 111 u. ff.
Der medmnische UntemcfiL
2T7
Dturch ein Edikt Ladwig XIT, t. J. 1514 wurden die ApoUieker
ron Paris von der Gemeinschaft irüt di?n Gewürzkrämern j mit denen
bis dahin zu einer Zunft vertanigt waren ^ Imfreit Wer sich dem
af des Apothekers widmete, musste, wie es in den von Franz I. er-
enen Statuten beisst, eino gute Schulbildung crhaUmi und soviel
iM^in gelernt haben, dass er die in lat-einischer Sprache geschriebenen
brbucUer der Pbarmacie und die Pharmakopoen verstehen konnte,
Bd hierauf eine vierjährige Lehrzeit in einer Apotheke durchmachen.
In Paris i'i'urde die Einrichtung getroffen, dass sie während der Dauer
tti^s Jahres in jeder Woche zwei Vorlesungen über dip Apothekerkunst
Srii^n, welche ein dazu geeignet-es angoatibt'nes Mitglied der medicinischen
racoltät hielt. Die Prüfung fand vor einer aus Ärzten und Apothekeni
kicstehenden Commission statt und bestand aus einem theoretischen und
^em praktischen Theile; in dem letzteren mas.ste der Candidat zeigen,
er in der Kenntniss der Arzneipflanzen erfahren war, und durch
Herstellung von fünf Compositionen st^in Meisterstück liefern.^
Auch der Unterricht am Krankenbett big ausserhalb des Lehr-
plang der Universität. Die Studierenden der Medicin wandt.en sich zu
flies^em Zweck an ihren Lehrer oder einen anderen beschäftigten Arzty
der ihnen in seiner Privatpraxis oder einem Hospital ^ an welchem er
tbätig war, die Gelegenheit bieten konnte, Kranke zu beobachten un<l
Behandlimg zu lernen.
An einigen Hochschulen wurden die Professoreu durch gesetzliche
Be^stimmungen aufgefordert, ihren Schülern die dazu erforderliche An-
tung zu geben. Jn Wien, Heidelberg, Würzburg, Ingolstadt u, a, 0»
iiieltcn sie den Auftrag, die Studierenden zuweilen an das Bett ihrer
Patienten zu führen, vorausgesetzt dass die letzteren dadurch nicht be-
iigt würden. In Basel war der Stadtarzt, welcher zugleich das Lehr-
nt der praktischen Heilkunde liekleidetr und das stridtisehe Hospital
B, verpflichtet, den Studierenden der Mediiüu den Zutritt zu dem-
selben zu gastatten und die Patienten, welclie in diesem Krankenhause
bandelt wurden, vorzustellen.^ Jn Paris durften die Baccalaureen der
ledicin unter der Aufsicht der Mitglieder der Facultät und in ihrer
Vertretung die arztliche Praxis ausüben,^
Aber die systematische Anleitung zur Behandlung der Kranken
* PinuFTB a. a. 0. 8. 165 ü. ff.
' (>, liio^Kii: Zur GeBcbichte der iiicdiciii. Facuhüt in Ilt'idtdbor*;^* IH76, —
; T. KCllikkk: Zur Geecbidite der medkin. FacuUät in Würzhur^s 18TK —
P MiBOircK: Die ttiedidn. Fat uUiit in Basel, 1860» 8. 32 u. fl, — W, Vischeh:
'Jwuli. d- üidv. Ba»el na^Ld 18(.0.
* l*«fiT Ä. a. 0. lu PtrvTüÄ a. a. U. Art ftO.
278 Der medicinische Unterncht in der Neuzeit.
fehlte; diesen Mangel konnten gelegentliche Beobachtungen und zu-
sammenhanglose Erfahrungen nicht ersetzen. Nicht blos die Arzte, wie
z. B. der schwedische Leibarzt W. Lemnius/ sondern auch verstandige
Laien sahen dies ein. Der Philosoph P. Ramüs forderte i. J. 1562 in
einem Briefe an Carl IX. von Frankreich, in welchem er verschiedene
Reformen des Unterrichtswesens vorschlug, die Einrichtung klinischer
Lehranstalten.*
Dieser Gedanke war damals bereits verwirklicht worden und zwar
in Padua. Giambattista da Monte (Montanus), welcher gleichzeitig
mit Vesal dort lehrte, soll die klinische Unterrichtsmethode schon 1543
angewendet haben.' Aber nach seinem Tode (1551) hörte diese Ein-
richtung auf und wurde erst 1578 wieder erneuert
Um diese Zeit begannen die Professoren Albebtino Bottöni und
Marco Oddo, von denen der eine die Abtheilung für Männer, der
andere diejenige für Frauen im Hospital des hl. Franciscus leitete, auf
Verlangen der deutschen Studenten dort Klinik zu halten; auch wurden
die Leichen der Patienten, welche im Krankenhause starben, wenn es
die Jahreszeit gestattete, geöflFnet, um den Studierenden den Sitz und
die Ursachen der Krankheiten zu zeigen fsed cum in fine Octobris codi
eonstUutio frigtdior esset, professares cadavera aperiunt et looa affecta
auditoribus demonstrant) . Leider wurden die Sektionen schon nach kurzer
Zeit verboten, weil Ungehörigkeiten vorgekommen und Leichentheile
aus der Anstalt verschleppt worden waren.*
Als Bottoni und Oddo starben, liess der Eifer unter den Lehrern
und Schülern nach, und der Unterricht beschrankte sich zuletzt haupt-
sächlich auf die Untersuchung des Pulses und des Urins.
Die Versuche, den Unterricht in der Heilkunde praktisch zu ge-
stalten, traten jedoch im Lehrplan der medicinischen Facultäten weit
zurück gegenüber den theoretischen Vorlesungen, welche die mass-
gebende Stellung behaupteten. Nach den Statuten der Würzburger
medicinischen Facultät v. J. 1587 gab es dort drei Ijchrkanzeln der
Heilkunde. Der Inhaber der ersten, der Professor der Theorie sollte
» P. Frank a. a. 0. VI, 2, S. 189.
' Qu. Joürdain: Ilißtoire de runiversitc de Paris au 17 et au 18 8i<^clc,
J*aris 1862—60, T. I, p. 3.
' G. Ceryetto: Di Giambattista da Monte e della medicina italiana nel
secolo XVI, Verona 1839,-8. 51.
^ A. CoMPARETTi: Saggio della scuola clinica nello spedalc di Padova 1798,
p. 6 u. ff. — C. Neübert in d. Beiträgen zur prakt Heilkunde, her. y. Clarüb
u. Radius, Leipzig 1836, II, 148 u. ff. — Dagegen bringt P. A. O. Mahon (Hi-
stoire de hi m6deeine cliuiquc, Paris 1804) nichts über den klinischen Unterricht.
Der msdicinMie UnterridU. 279
im ersten Jahre pritnam primi libri Ai^ioennae et libros Galeni de mor-
ftcrtim differefiHis , catisis et sipnptomatibus , im zweiten Galeni artent
medieinalem cum HippocrcUis prognosticis, im dritten de pulsihu^ et urinLs
nach AcTUABius, ferner de victus ratione in mmhis acut in nach Hippo-
KRATES, Gedeni de alimeniorum facultatihus und Avieennae tertiam primi
Tortragen, der Professor der Praxis im ersten Jahre über allgemeine
Therapie lesen and dabei auch den Aderlass und die Purgationen^ sowie
das Wesen der Fieber nach Avicenna erörtern, im zweiten und dritten
specielle Pathologie und Therapie der einzelnen Krankheiten vortragen,
und der Professor der Chirurgie im ersten Jahre de tumorihus nach
(lALEN, im zweiten über Geschwüre und Wunden nach Galen, Hippo-
KÄATES und den Arabern, und im dritten über Frakturen und Luxationen
nach Galen und Hippukbates sprechen. Daneben musste er im Sommer
Arzneimittellehre vortragen und die officinellen Pflanzen vorzeigen, und
im Winter Anatomie und Physiologie lehren. Genauer wurde das
Lektionsverzeichniss von den Professoren in den Hundstagsferien fest-
gestellt, damit es mit demjenigen der übrigen Facultäten in den Katalog
aufgenommen und veröffentlicht werden konnte.*
In einem amtlichen Bericht, welcher 1569 über die Lehrthätigkeit
der Professoren der Medicin in Heidelberg erstattet wurde, heisst es:
1. Professor Cukio liest degeneribtis morhorum ex Gaieno, erklärt Hippo-
fraiis de morhorum signi^ und hat 3 — 4 Zuhörer. 2. Professor Erastus
hält keine Vorlesungen, weil er sich auf der Messe in Frankfurt a. M.
befindet 3. Professor Seegmund Melanchthon trägt über die Heil-
kunst nach Galen vor und hat etwa 5 Schüler.^
Dieser Bericht wirft auch ein Licht auf die Frequenz der me-
dicinischen Facultäten jener Zeit Dieselbe war im Vergleich zu heut
sehr gering. In Leipzig gab es selten mehr als 4 — 6 Mediciner. Die
Hochschule zu Basel zählte 1556 2 Professoren und 2 Studenten der
Medicin.' In Erfurt wurden in dem Zeitraum von 1392—1520 neben
120 Doktoren der Theologie und 40 der Jurisprudenz nur 5 Doktoren
tier Medicin creirt.
Viele Deutsche bezogen Universitäten des Auslandes, namentlich
Paris, Bologna, Padua und Montpellier. In Padua gab es i. J. 15G4
ungefihr 200 Deutsche, welche die Rechtswissenschaft studierten. * Die
Mediciner suchten vorzugsweise Montpellier und Padua auf, wie aus
* A. V. KuLUKBB a. a. O. S. 58. — F. v. Weoele: Geschichte der Univer-
sität WOnbiug, 1885, U, 191 — 199.
« J. F. Hautz a. a. O. » Platter a. a. 0. S. 169.
* Bfmrass: G^eschichte der Entstehung u. Entwickelung der hohen Scluilen,
Gottingen 1802.
zahlreichen IjebeDsbeschreibungen hervorragender krtie des 16. Jaluw
hunderts hervorgeht ^ Ein Göttinger Arxt hinterliess in seinem Testoi
ment 1420 ein Le|:riit. von ÜOO Fl., aus dessen Zinsen ein anner Studwjf
der Medicin durch 4 Jahre in ilünipellier erhalten werden «ollte,^
Auch Felix Platter begab sich von Basel dorthin, um die
dicinischen Studien zu absolviren.
Der ärztliclie Stand und seine Stellung zu den
Bewegungen des 16, Jahrhunderts.
Die ärztlichen Prüfungen geschahen nach den gleichen Vorschriften, ]
wie frühen Doch sanken die akademischen Grade durch die Leicht»!
fertigkeit, mit der sie an manchen Hochschulen verliehen wurden, selir"
im Werth, Schon 1503 klagte man darüber, dass „Pferdehändler, Tiei-
hiin<ller nnd andere gemeine Leute, die von Aristoteles nicht duJ
Geringste wissen und nicht einmal die ersten Elemente der Gramraatikl
kennen'*, die Magister-Würde in der philosophischen Facultät zu Fang
erlangten. ^
An einigen franzusischen Universitiiten wurde sogar der mediciniscke
Doktor-Grad für Geld verkauft König Franz L fühlte sich dadurch
veranlasst, nur die medicinischen Diplorai' von Paris und Montpellier
anzuerkennen. *
In Padua entstand die seltÄume Sitte, dass die Examinanden Bei-
stande zur Prüfung mitbringen durften, welche ihnen die Antwort
auf die Fragen, die gestellt wurden^ zutlüsterten. Noch bequemer war
es den Prüflingen gemaelit, wenn man ihnen, wie Auolstix Lkts
in Helmstädt berichtet, die Fragen nel)s;t den Antwort^en vorher schril
lieb übergal)/ Dazu kam, dass die Doktor-Würde nicht Idos von dfl
Universitäten, sondern auch vom leihst und vom Kaiser verliehen wur4
' Meuüijou Aoam: Vitae Oc*rmaiiorurii medkoniin, Heidelberg 1R20*
A, BernN8ZKY: Die Uoiversität Paris und die Fremden an derselben im Ml
alter, IkrUii 187Ö, S. 115 u. W.
* Schmidt: GGtünger ürkundcnbuch II, 20-
» nvLAms; Mi8t. niiiversihit. Paris Hi73, T. VI, p. 11.
* IL ToLLrN in Viucifowa Archiv 1K80, ßd, 80, S. 60 u. im Biol Centralblat
Bd. V, 8. 341.
* C. >r EINERS: über die Verfaüsung und Verwaltung deutscher üniv»
täten, GöUingen 1801» I, 328 n. ff. u, C Minirinuit Geschichte der Entstehung
Entwickehmg der hoben Schulen, I, 1S8.
1
u. mm SUUung itu den B&migun^fh des Iß. JahrK 281
Im 14. Jahrhundert erhielten sogar die Pfalzgrrafen das Recht, Doktoren
zu ernennen, ebenso wie aie bekanntlich auch beiugt waren, uneheliche
Kinder zu If-icritimiren.
Für striche Verhültui.sse mot-hto manrfimiü die drastische ScliilderunjJ:
en, welche Petbabca von der Dottor-Promötiiin hintorla^son hat
„Da erscheint der junge Mann, bläht sicrh auf und murmelt einiges
^iin verstandenes Zeuicr, währc»nd ihn das Volk anstiiunt und soine Froimde
mit Beifall bognisscn. DaVioi werden die Glr>ck»'n ^^oläutet, Trompeten
ebia^n, Ringe und Kusses gewechselt und ihm das runde Barett des
lei^ters auf das Haupt lü^esotzt Hierauf kommt derjeniicre, welcher als
jnkopf den Katheder bestiegen hatte, als weiser Mann herab. Dies
ist eine Verwandlung, von welcher Ovid nichts wusste**.*
Viele Studierende verzichteten wegen der Kostspieligkeit und der
gmngen Achtung der Doktor-Würde gänzlich darauf, dieselbe zu er-
werben. Daraus erklärt es sich vielleicht, dass man die Diplome ver-
t heTTi»rnigender Ärzte, wie Jac. Sylvhts, Ves^vi., M. SEHvFrr,
LT u. A, nicht aufzufinden vermochte.
le Chirurgen waren von der Erlangung des medicinischen Dokter-
1«« überhaupt ausgeschlossen. Nur \n Italien, wo die Trennung der
Chirargie von der übrigen Heilkunde niemals so vollständig wiir, wie
in den übrigen Ländeni, machte man eine Ausnahme.
Auch in Frankreich empfingen die Chirurgen eine wiss<'nsehtiftliche
AQ»bildung. Das College de 8t>C6me erhielt 1545 das Recht, akademische
(irade m verleihen. Die Zöglinge desselben mussten 4 Jahre studieren
imd nirht blos Vorlesungen ülier Chirurgie, sondern auch über Anatomie,
Ar/THMfiilt teilehre u.a,m. hören. Leirler dauerten die Eifersüchteleien und
S \un\ zwischen der chirurgischen Facultatn wie man das College
Jr* iSt% Ci>nie nennen kann^ und der medicinischen zum Schilden der
gemeinsamen Wissenschaft auch in dieser Zeitperiode fort.
Die Ärzte waren bemüht, den Chirurgen in den sogenannten
Barlder-tThimrgen ebenbürtige Gegner zu schaffen, indem sie Sorge
trugen, da-w die letzteren eine grössere Summe von allgemeinen und
chwLssenschaftlichen Kenntnissen erwarben. Wenn dies zu manchen
TJnzutniglichkeiten zwischen den beiden Klassen von Wundärzten führte,
^-trf-c es iioch das Gute, dass dadurch hochbegabten Mitgliedern des
:en Chirurgen-Standes die Möglichkeit geboten wurde, sich zu
Utiirargi^n, zu Operateuren in unserem Sinne zu entwickeln. Das Bei-
«-■ ' : ÄMMiOisK PARft zeigt, wieviel die Chirurgie und damit die
^1 Uerhaupt, diesem Umst<inde zu verdanken hat.
^ rmiAftcu: De veni saplenta, Dtab I. (Op. cd, Baail. 1554, p. aofi.)
282 Der medidnisdie ühterricJU in der Neuxeii,
Freilich verfolgte die medicinische Facultat bei ihrem Vorgehen
nicht diesen loblichen Zweck, sondern sie wollte das Ansehen der
Chirurgie darnieder drücken und die Vertreter derselben zu ihren er-
gebenen Dienern machen, welche ihre geistige Überlegenheit bereitwillig
anerkannten. Dieser Standpunkt kennzeichnet sich deutlich in den
Worten M. Skrvins, welcher 1G07 schrieb, ,,que la acience n'est pour
ceux qui nofit que la main, qu'ils doivent laisser ä juger aux m^dedfis,^
Als einer der Professoren, Robebt le Secq, in der Prüfung der Chirurgen
i. J. 1606 auch die Physiologie berührte und auf die Thätigkeit der
Muskeln, den Mechanismus der Bespinrtion u. a. m. einging, protestirte
die medicinische Facultat dagegen, weil dies wissenschaftliche Streit-
fragen seien. ^
In Deut^jchland und anderen Ländern erhob sich die Chirurgie
selten über das Handwerk. Nur an einzelnen Universitäten wurde die-
selbe gelehrt. In Wien wurde 1537 ein Profe^or der Chirurgie an-
gestellt, welcher eine jährliche Besoldung von 52 fl. erhielt.'
Die deutschen Wundärzte gingen fast ohne Ausnahme aus dem
Stcmde der Barbierer und Bader hervor. Sie erlernten bei einem Meister
die Behandlung der Wunden und Geschwüre, der Frakturen und Luxa-
tionen und bildeten sich dann in Spitälern und im Militärdienst weiter
aus. Einzelne, wie Hieronymus Bbünscuwyg, Hanns von Gebsdohf,
Felix Würtz u. A. erwarben sich eine bedeutende operative Geschick-
lichkeit
Der Mangel an studierten Ärzten, welcher in Deutschland herrschte,
und die vielen Kriege und Seuchen, welche dieses Ijand im 16. Jahr-
hundert zu ertragen hatte, liessen die Chirurgen als eine Nothwendig-
keit erscheinen; dazu kam, dass ihnen mit der Behandlung der äusseren
Ijeiden auch diejenige der Geschlechtskrankheiten zufiel Da sie die
Ärzte an praktischer Gewandtheit und Erfahrung häufig übertrafen,
dem Volk in socialer Beziehung näher standen und billigere Forde-
rungen für ihre Dienste stellten, so erfreuten sie sich einer grossen
Beliebtheit. Viele wurden als Leibärzto an fürstlichen Höfen, im Com-
munaldienst oder in hervorragenden ärztlichen Stellungen beim Heere
beschäftigt
Die Ärzte nahmen an den geistigen Bewegungen des 16. Jahr-
hunderts lebhaften Antheil. Wie immer, so schlössen sie sich auch
damals in ihrer grossen Mehrheit der freiheitlichen Richtung an.
Es war leicht begreiflich, dass der zum Kadikalismus neigende
* D. Pün4>«: Statuts de la facultc de mMecine, Paris 1672.
lam a.a.O. * Bobas a. a. 0. II, 51.
Der ärzfiiehe Siand u. ^ne Stellung zu dun
pABACBEiftrs aUen Strömungen, welche sich liegen die bestehenden Auto-
riliten richteten, mit Begeisterung folgte und ihr Anwachsen zur ver-
het^r<?n(k*n Flutb ersehnte. Aber auoh die besunin^noriy ruhig urthoilentlen
Uänner führte ihre t herzeugnng in das Lager der Retbnnatioi]» iiament-
üeh aU sie siihen, dass sieh dieselbe innfThülU der drenzeu der niitur-
Lichen Entwickelung vollzog.
Die Heerführer des Protestantismus widmeten der Medicin ein
y^ies Interesse. jüL/vhtin Luther liess seinen Sohn Fattl die Heilkunde
Mudiert^o; dersellie wirkte später als Leibarzt in Gotha, Berlin und
Dresden und trat auch als medicinischer Hchriftsteller auf. Mklanch-
TWOn's Hchwieg^ersohn. Caspar PeuceRj war Professor der Medicin in
Wittenberg, sein Xeffe SmoMTTND in Heidelberg. Adam von Bodkn-
rnsLs, der 8ohn des Theologen Karlstadt, übte in Basel die arztliche
Prari» aus, Crato von Craffthkim vertauschte auf Martin Lüthkh*s
Kath das Studium der Theologie, welches er unter dessen Leitimg be-
onnen hatte, mit demjenigen der Heilkunde; er hat darin grosse Kr-
Mge errungen und als Leibarzt in Wien liei drei Kaisem hervorragende
KeBste geleistet Er war der Mittelpunkt des Protestantismus in
Breslau und spater der eifrigste Vertreter desselben am Wiener Hofe, ^
Auch sein Colicge L)h»mrdes Cörnahi's (HAGEN'nrrr), Leibarzt des
KiUJSters MaximiUan Il.y gehörte wahrscheinlich diesem Uhiuben an.
In Wien erklärten sich i, J, 1584 drei Arzte vor ihrem Tnde fiir
oonfessionnloSf und ein vierter verbat sich das Glockengeläut bei seinem
Ibniss und verlangte^ dass sein Leichnam in ungeweihter Erde
ttet werde. Der Doktor der Medicin (^aspar PDiCHPArH liess^
ik er 1568 das Rectorat der Wiener Universit^it }>ckleidete, die For-
ilcrung der Statuten, dass sich die Lehrer derselben zum romisch-katho-
rben Glauben bekennen sollen, beseitigen und das Wort mthotimr
4iin*h dtrUüanm (f'utn) ersetzen. Gleichzeitig wurde bestimmt, dass
Angehörige der Augsburgischen Confession zur Doktor- Promotion zu-
Hflitisen wurden.^ Sogar in Ingolstadt, dem Mittelpuiikt der kirchlichen
FU^iküoiu liubligten mehrere Professoren der mediciniseben Faeult^it
dner freieren religiösen Meinung; sie wurden deshaU) durch den Je-
aU2*ma«i, der bald darauf dort zur Herrschaft gehingte, aus ihren Stel-
ngen gedrängt.'
AU das 10, Jahrhundert zu Ende ging, hatten die geistigen Be-
mg^eii, mit denen e,s begonnen hatte, fast überall den Sieg errungen.
• J. P, A, Oattr; Crato von Crafllheim u. seine Froande, Fraiikfart a/M,
1SB0. II, II.
* pAiTLäffK- Geechichte dea gelphrten Unti^rrichta, S. 272..
tiefe]
Soweit Mr riunj iwolutiomiren Charakter trugen^ waren sie all«
gescheitert; aber sie erreichten ihr Ziel, wenn sie sich innerhalb
nunftgeraasser Kefonnen bewe«?ten. Ihr |jr<>ster Erfolg bi^^t'ind jed
darin, diiss selbst ihre GogiuT genothigt wurden, ihre Berechtigii
anzuerkennen, die bisheri^'i'n Wege verliessen und neue Bahn**« ei
schlugen.
Wühl nirgendvS hatte die lUlugsehar der geistigen Arbeit
Furchen gezogen, als auf dem Boden der Naturwissenschaften und
Medicin. Buch muss ihre Bedeutung nicht so sehr in Dem, was
reicht wurde, gesucht werden, als in Dem^ wjis die Zukunft, der wii
schaftlichen Forschung versiimch.
Erleuchtete Geister, wie FnANnrs Bachn von Verulam, bcganni
zu erkennen, welche nuissgehende Rolle den Naturwissenschaften in
Cultur-Entwickelung der Menschlieit Ueschieden war- Dieser her?«
ragende englische Staatsmann und Philosoph, wehiher gleichsjun
Facit aus den geistigen Errungenschaften des 16. Jahrhunderts
erklärte, das^ der induktive Euipirismus allein die Lösung der Fi
zu bieten vermag, welche die wissenschaftliehe Forschung anstrebt
War er auch selbst nicht im Stande, die Wissenschaft durch tu
l'iintdeckun gen zu bereichern, Siß hat er ihr doch die Wege gewii
welche zu ihnen führen. Er hat allerdings den richtigen Zusammi
hang mancher Ersidieinungen geiihnt, deren klare Erkenniniüs
späteren ialjrliunderten vorbehalten war. So sprach er )>ereits
Vennuthung aus, dass die Luft der Pflanze zur Nahrung dient,
die Farbe eine Modifikation des Lichte, die WarnK' eine Form der
wegung sei, und dass es dereinst gelingen werde, die Minerulijuell
künstlich nachzubilden.^ Er wies auf den Werth der ViTisektioi
auf die Bedeutung der pathologischen Anatomie, der Statistik
Meilungs-Kesultiite u. a. m. hin. Aljer seine verdienstvollsten Leistauj
liegen auf dem Gebiet der Erkenntnisstheorie; er hat die iMethode
Forschung so klar und ausfuhrlich entwickelt, wie es vor ihm n>
niemals geschehen war.
Bacon war weder jener seichte hohle Schwätzer ohne jede 0:
nalit^it der Gedanken, wie ihn Einigt* dargestellt haben, noch je
schopterische Genius, aus dessen Haupt tlie Wissenschaft in vollend
Schönheit entsprang, wie ihn Andere geschildert haben. Er glich dei
Zeiger am Zitrerbbitt der Uhr, welcher uns sagt, wie weit die
vorgeschritten war.
I
H. V. BAMBERaGH: über Bai'vii von Vvrulam. WOntburi; 1865, S, IS. Sl i
Die experimentelle Richtung der Naturwissenschaften,
der Physik und Chemie während des 17. Jahrhunderts.
Die Erwjirtungen, welche der Aufschwung der Naturwissenschaften
im 16. Jahrhundert erregt hatte, wurden im folgenden Jahrhundert
im mchsten Maa^^se erfüllt. Hatte man sich vorher darauf beschränkt,
die Thatsachen in der Natur zu beobachten und die Existenz der Dinge
bstzusteUen, ho begann man jetzt, nach deren Ursachen zu forschen
OIhI ihre gegenseitig<.»n Beziehungen ssu ergründen. Man wallte die
FoTgtoge im organischen Leben in ihrer Entwi«;kelung kennen lernen
md stellte zu diesem Zweck Versuche an, bei denen das Vorgehen der
X»tur aaf künstliche Weise nachgeahmt wurde,
D;is KxpfTiment trat in den Vordergrund und gab der Denkweise
des 17. Jahrhunderts eine charakteristische Färbung, Kein Gebiet des
gmäg^n Schatten- wurde dadurch mehr berührt, als die Naturwissen-
«oiuiflen un<l die Mediciu, Sie verdankten dieser Richtung die An-
rpgimg zn neuen Forschungen und gewannen dabei diejenige Sicherheit
ihrer Lehren, welche zum Wesen der Wissenschaft gehört.
Die Physik, Chemie und Physiologie ^ also diejenigen Disciplinen,
wekhe hauptsächlich auf das Experiment angewiesen sind, wurden in
dieser Ziüt durch eine Menge Entdeckungen bereichert Für sie begann
eine neue Periode ihrer Ueschichte,
Auch lue Mineralogie, Botanik, Zoologie und Anatomie machten
Weulvndc Fortschritte. Die Krystallographie wurde durch die Beobach-
gen Nie. Stkno*s und Gulielmixi^s über die Streifung und Zu-
ensetznng der Krj stalle und die L^n Veränderlichkeit der Winkel
gefordert Kon, Böyle bemerkte die Krjstallisation des Wismuths aus
dem .SchmelzfluHS^ und der dänische Arzt Erasmis Bartholinüs fand
dm Isländischen Kalkspath die doppelt« Strahlenbrechung (167U), welche
dann von Huygens genauer untersucht wurde und für seine Undu-
lalions-Theorie des Lichts von Bedeutung war. ^
Gleichzeitig erfuhr die Botanik wichtige Veränderungen. Während
die specielle PHanzonkenntniss durch zahlreiche Arbeiten über die Flora
einzelner tk»gcnden und Länder vermehrt wurde, trugen die verschie-
deneu Versuche, die Ptlanzen nach der Ähnlichkeit ihrer Organe in
Familien und Gruppen m sondern, dazu bei, dass ihr Bau genauer
»ludiert wurde. Aber erst die Begründung der Phytotomie durch
lULrrr.ai und Giurw und ihre vortrefflichen Untersuchungen der fei-
^ngei
« F. V. KoiTKtx: Geachichtc der Mineralogie, München ld4S4, S, 8 n. ff.
_jäL.
neren Struktur der Pflanzen, besonders ihre Arbeiten Aber die Blütiia
Früchte und Samen, sowie der eiperimenteüe Beweis der Sexualität ia
rflanzeüreiche durch R. J. Camerakius ermo^liehten die Aufi^tdlu
eines Systeiiii«^ welches den Forderungen der WissenschaR entsprach.
LiNNi-:, welcher diese Aufgabe iöste^ gab der Botanik durcb iJi||
mit der Diirchfuhrurig der binären NümencbUur verbundene metbodii
Charakteristik der liattungen und Arten eine bestimmte abjLje^bloäwa
Form, nelM?n welcher die Entdeckung eines naturlichen Bj'stems
wiinseht'ii^wertbe** Postulat der Zukunft vorbehalten blieb.*
Der Zoulogie wurde mit der Verwendung der Loupe und in
llikroskop^ zu wissenschaftlichen Vnter^uchungen eine neue Well vd
licbewesen erschlossen, von deren Dasein man bis dahin keine Ahiumg
gehabt hatte, Lkki \vF!NtniKK entdeckte die Infasiunsthierchen, bt^schmll
einzelne Rilderthiere, l»eü!>achtete die faeettirten Augen «ter ln«eklci|
und studiert« die Entstehung und Entwickelang vei^chiertener niod<*r
Thierarten. MALPiiiFii gab fil>er die Struktur und Zusjimmeniietxum
der Organe des thierischon Körpers merkwürdige Aulschlüsse
spmch bereits den Gedanken au^, Ama tler complicirt^' Bau der hölu-r
entwickelten Organismen dem einfacheren der niederen VVeücn analog
igt und durch ihn verstrmdlich wird. Kr kam sogar iler Entdeekung
der thierischen Zelle schon ziemlich nahe, während \Un\. H*>oke. auf
den zelligeu Hau der Ptiimzen aufmerksam machte.
Die zootomischen Arlieiten Swammeudamh, vim deren GenaujgkeU
üeine Untersuchungen mehrerer Mollusken, »ler Urogenitd^Organe dos
Frusche^, di*r Anatomie der Biene u. ;l m. Zeugniss geben, und die
Beobachtungen F. Heipt's ül>er die Urzeugung, durch wolehe er den
Nachweis lieferte^ d^uss sich im faulenden Fleische keine Maden ent-
wickeln, wenn luan die Fliegen davon abhält, übt-en natürlich auf die
wissenschaftlichen Anschauungen einen klärenden Kinlluss aui^ Auf
Grund dieser Ergebnisse durften dann John Kay, J. Tu. Ku-iun', Lixke
u. A. di^n Versuch machen, durch eine systematische Klas,sitikation der
Thiere das Studium tlei*selben tu erleichtern und eine übersiebtlicho
Darstellung der zoologischen Wissenschaft zu liefern. '
lue bedeutendsten rmgestaltungen erlebten in jener Zeit iiUri iiic
Physik und die Chemie. Als die letztere durch Pak^ioelwus und sein^
Anhänger von der Alcbymie abgelenkt und auf die Arzneimittellebn»
hingewiesen wurde, cb nahm sie einen Aufschwung» welcher für dj^
* J. Saüus: Geschichte der ßolauik, Müncheu 1875, B. 64 u. ft, 246 u. ff,,
417 \u C
" V. CäMVBi GeecUichtc der Zoologie^ Mütichen 1»72, 8. 3ö6 u.
Die experimenieüe Richtung der Natunt^issensch, etc, während d, 17. Jahrh. 287
Medicin wie für die Chemie gleich segensreich war. Es wurde eine
grosse Anzahl neuer Arzneien entdeckt und die Technik ihrer Bereitung
in mannigfacher Weise gefordert
Vielleicht nicht weniger bedeutend war die Wirkung, welche die
chemischen Anschauungen und Kenntnisse auf die Physiologie und
Pathologie ausübten. Ein Theil der Ärzte sah in allem organischen
Geschehen Gährungs- und Zersetzungsprozesse und wollte die meisten
Äusserungen des gesunden und kranken Körpers durch chemische Vor-
gänge erklären. Diese chemiatrische Richtung ging manchmal zu weit,
indem sie sich an Aufgaben wagte, dpren Losung bei der geringen
Entwickelung, welche die Chemie zu jener Zeit erlangt hatte, unmög-
lich war; aber sie hatte das grosse Verdienst, dass sie die Ärzte an
den Gedanken gewöhnte, von der Spekulation wenig, von der Unter-
suchung der Thatsaehen viel, wenn nicht Alles zu erwarten.
Die Chemie verdankte dieser Erkenntniss viele Entdeckungen und
eine bedeutende Vermehrung ihres Inhalts. Der Arzt Llbaviüs erfand
die Bereitung der Schwefelsäure aus Schwefel und Salpeter und er-
Irannte^ dass sie identisch war mit derjenigen, welche sich aus Vitriol
•»der Alaun bildet Er stellte zuerst das Doppelt-Chlorzinn durch
Destillation des Quecksilbersublimats mit Zinn dar und kannte die
Färbung der Glasflüsse durch Zusatz von Gold. Turquet dk Mayerne
lehrte die Sublimation der BenzoO-Blumen.
Auch J. B. VAN Helmont bereicherte die Chemie mit einer Menge
neuer Thatsachen. Er sprach den Satz aus, dass nur diejenigen Metalle
aus einer Losung ausgeschieden werden, welche schon vorher darin ent-
halten waren, und gab damit der Goldmacherkunst den Todesstoss. Jlr
entdeckte die Kohlensäure und führte den Begriff der Gase für Luft-
arten, welche nicht mit der atmosphärischen Luft übereinstimmen, in
die Chemie ein. Von der experimentellen Methode seiner Forschung
liefert der Versuch, welchen er anstellte, um den An theil des Bodens,
des Wassers und der Luft an der Ernährung der Pflanze zu studieren,
einen deutlichen Beweis.
In den Schriften Glaubeüs, welcher über das schwefelsaure Natron
und mehrere andere Salze genauere Aufschlüsse gab, findet sich sogar
a-hon ein ahnungsvolles Verständniss der chemischen Verwandtschaft.^
Eine tiefere Begründung erhielt dieselbe durch Robert Boyle, welcher
in seiner Corpuscular-Theorie die Auflösung chemischer Verbindungen
in ihre Bestandtheile und deren Vereinigung mit denjenigen anderer
» KoFP a. a. O. I, 111. 114. 120 u. ff. 130.
288 Der medioinische Unterricht in der Neuzeit,
chemischer Verbindungen durch die Anziehung und Abstossung, welche
sie aufeinander ausüben, zu erklären suchte.
Mit BoYLE begann die Zeit, da man die Chemie um ihrer selbst
willen studierte und nicht mehr als blosses Hilfsmittel betrachtete, um
den Stein der Weisen zu finden, wie die Alchymisten, oder um neue
Medicamente darzustellen, wie die Chemiatriker. Er entdeckte die
Phosphorsaure, das Kupferchlorür, die flüchtige Schwefelleber und war
der Erste, welcher das entgegengesetzte Verhalten der Sauren und
Alkalien gegenüber gewissen Pflanzenfarben beobachtete. Von ihm
rührt der Gebrauch her, Papierstreifen mit Pflanzenfarben zu tranken
und als Reagentien zu benutzen. Boyle erwarb sich grosse Verdienste
um die Begründung der analytischen Chemie, sowie um die Verwendung
der Chemie zu technischen Zwecken.^
An dem weiteren Aufbau der wissenschaftlichen Chemie nahmen
KüNKEii, Becheb, W. Hombekg, Lemeby, Stahl, F. Hoffmann, welcher
sich vorzugsweise mit der chemischen Untersuchung der Mineralquellen
beschäftigte und z. B. in dem Seidlitzer Mineralwasser das Bittersalz
auffand, Makggkaf, der Begründer der Eunkelrübenzucker-Fabrikation,
DU Hamel, der auf die Verschiedenheit des Natrons und Kali auf-
merksam mjichte, die Darstellung der Soda lehrte und ihr Vorkommen
in der Asche von Pflanzen, die an der Meeresküste wachsen, nachwies,
H. Cavendish, dessen Untersuchungen über das Wasserstoffgas, welches
er leider für das gesuchte, nicht existirendu Phlogiston hielt, über die
Wirkungen, das specifische Gewicht und die Absorbirbarkeit der Kohlen-
säure durch Wasser, öl und Alkohol hier Erwähnung verdienen, Bebg-
MANN, welcher die Lehre von der chemischen Verwandtschaft bearbeitete,
Scheele, der sich um die organische Chemie Verdienste erwarb und
ausser verschiedenen Pfianzensäuren die Milchsäure und die Harnsäure
entdeckte, aber auch die anorganische Chemie durch die Auffindung
mehrerer neuer Elemente, wie das Chlor und Mangan, forderte, u. A,
einen hervorragenden Antheil. Viele unter ihnen waren zugleich Arzte
und widmeten daher den Beziehungen der Chemie zur Medicin ihre
besondere Aufmerksamkeit.
Leider wurde der Fortschritt der Chemie beeinträchtigt durch vor-
gefasste irrige Meinungen, welche sich zu Dogmen von allgemeiner
Geltung entwickelt hatten. So nahm man an, dass der Verbrennungs-
prozess von dem Vorhandensein eines Stoffes, den man Phlogiston
nannte, abhängig sei, und dass die grössere oder geringere Verbrenn-
lichkeit eines Körpers darauf beruhe, in welcher Menge er diesen
1 Kopp a. a. O. I, 165 u. ff.
Hv^
.., i v^. ;..,4*hen Brennstoff enthalte. Die phlogistiä^sha Theorie, nach
deren Analogie man den Säuren einen säuern Stoff, die sogenannte
ÜMurts and den kaustischen Alkalien einen kaustischen Stoff zu (i runde
kgte. beherrscht^e die Geister Ucihezu ein Jahrhundert und wnrde erst
durch Lavoiseek beseitigt.
Ein glücklicherer Stern waltete füjer der Physik/ indem die
fof^her hier nicht durch hiiltlose unbegründete Hypothesen in ihrem
Hfthf^üe heeinflusst und auf Irrwege geleitet wurden, sondern ihre ganze
^iiJtige Kraft dazu gebrauchten, Bausteine herheizn tragen, welche zu
Errichtung eines Lehrgebäudes der wissensehaftU<'hen Physik ver-
det werden konnten,
GALitiEi, de?4sen Leistungen in der Astronomie und dessen Martyrium
för seine Überzeugung heknunter sind als seine Verdienste um die
Phjsik^ entdeckte di<^ Fall- und l*{^ndclgesetze. Er erkannte die Be-
imtang dm Satze« vom Parallelogramiii der Kräfte und versuchte mit
Hilfe desselben die Bahn geworfener Xürper zu bestimmen, tjleieh-
müg mit STEvmtJs bearbeiteti' er auch die Hydrostatik und Hydro-
djnaaiilL „Wenn ein Kinzelner anf die Ehre des Begründers einer so
mirnch verzweigten Wissenschaft^ wie die Physik ist, Anspruch machen
iftnOt schreibt Pt»oGEND(UtFF [a. a, 0, S. 268), so ist sie unbedenklich
ketnem A^ndern als GALrLEi zu ertheiien; denn er hat den Griuid zu
wfcwenHidiaftliehen Mechanik gelegt, die alle übrigen Theile der
mehr odi^r weniger als Nerv durchzielit".
ScboD 1597 verfertigte GALiiiEi einen Thermumeter, mit dessen
' '^r «ich auch Rem» Fludd, Säkctohiits und Cohn. Deebbel
i : ^1 haben.
OALüiEt^s hochbegaliter Schüler Türricelli stellte die Gesetze des
AusSlac^c^ns von Flüssigkeiten aus Rr^iren fest, erfand (1643) dt^n Baro-
ntter und erklarte die Veränderungen des Luftdruckes für die Ursachen
im Steigens und Fallens der Quecksilbersäule. Pascal lieferte dafür
(irr i»are Beweise und zeigte, diiss man mit Hilfe des Barometer»
du .: .. ]. in terschiede zweier Orte feststellen kann. AL\iiinTTE, J. PEogxTp^r
und SiKCLAiK führten diesen Gedanken weiter aus und brachten ihn
er Verwirklichung näher, Pascal construirte einen Wein-Barometer,
rend Berti und 0. v. Guebicke 8t<itt des Quecksilbers Wasser in
difi Rubre einschlosseii.
Der Bürgermeister von Magdeburg und ehemalige Ingenieur der
Feßlung Erfurt^ Otto von Gcericke, ersann die Luftpumpe und setzte
die auf dem Reichstage zu Regensburg i, J. 1 054 v<Tsammelten Fürsten
' ,j. 1. I >>*i*iKM>ni:n» Geschichte der Physik, Leipzig 1879^ S. 204 u. ff.
M^
290 Der mediciniscJie UnierridU in der Neuzeit,
durch die Versuche, welche er damit anstellte, in kein geringem Er-
staunen. Er macht« gute Beobachtungen über das Gewicht der Luft
und verfertigte den ersten Manometer, um den Grad der Dichtigkeit und
des Druckes der Luft zu messen. Auch wies er nach, dass im luftleeren
Kaunie kein Ton zu Stande kommt und keine Verbrennung stattfindet
Seine Beobachtungen wurden durch Boyle vervollständigt, welcher
die Elasticitat der Luft genauer studierte und das irriger Weise nach
Mariottb genannte Gesetz entdeckte, dass die Volumina derselben Luft-
masse im umgekehrten Verhältnisse zu dem auf ihnen lastenden Drucke
stehen.
Um die gleiche Zeit versuchte man die Geschwindigkeit des Schalles
zu bestimmen. Gassendi gab an, dass derselbe in einer Sekunde einen
Weg von 1473 Fuss zurücklege. Mebsenne kam der Wahrheit schon
etwas näher, indem er diese Zahl auf 1380 Fuss ermässigte. Waren
auch die Resultate, zu denen sie gelangti^n, unrichtig, so schlugen sie
doch die richtige Methode der Untersuchung ein, und dies war schon
ein ausserordentlicher Fortschritt. Selbst ein Newton vermochte nicht
alle Fehlerquellen zu vermeiden; er berechnete die Geschwindigkeit des
Schalles auf 906 Pariser Fuss in der Sekunde, weil er, wie Laplace
gezeigt hat, den Einfluss der Wärme nicht genügend berücksichtigte.
Die bedeutendsten Fortschritte geschalien in der Optik. Sie wurden
begünstigt und zum Theil überhaupt erst ermöglicht durch verschiedene
Instrumente, deren Erfindung in jene Zeit fiel. Das Femrohr befähigte
das Auge zum Sehen in die Ferne, das Mikroskop eröfifinete ihm die
Einsicht in die Welt des Kleinen. Durch diese beiden optischen Hilfs-
mittel wurde das menschliche Sehvermögen in ungeahnter Weise ver-
stärkt und der Forschung Gebiete erschlossen, welche jenseits der natür-
lichen Grenzen des menschlichen Erkennens lagen.
Die Heimath dieser Erfindungen war Holland. Wem ihre Priorität
gebührt, ist zweifelhaft; doch scheint es, dass die Brüder Janssen,
welche im Beginn des 17. Jahrhunderts als Glasschleifer in Middelburg
lebten, wenigstens in Bezug auf das zusammengesetzte Mikroskop die
meisten Ansprüche darauf haben. Es ist hier nicht meine Aufgabe,
auf die Geschichte dieser Entdeckung näher einzugehen, und auch über-
flüssig, da sie von Harting eine ziemlich erschöpfende Darstellung
erfahren hat. ^ Welche ausserordentliche Bedeutung das Mikroskop für
die Naturwissenschaften erlangt hat, lässt sich mit Worten nicht ge-
nügend schildern.
* F. Habtino: Das Mikroskop, ins Deutsche übers, v. Theile, IH. Theil,
raonschweig 1866.
IH§ experimentelk RiMu fig der Naiwmsset^i. eic, wrihreml d. 1 7, Jahrh, 291
1 Un*
i"'
Dit» Instrumente wurden allmalig in mannigfacher Weise ver-
k'j«ert und TervoUkonimnet Die Krfiadung dvr Spiegel-Teleskope durch
James Gregory, diejenige des Mikronieters oder Fadenkreuzes durch
Koa HiKiKK, die erste Construktion achromatischer Linsen aus einer
Comhinaticm ?on Krön- und Flintghis durch Moue Hall u. ii, m.
!)chlii8sen sich späkT danin im.
Man wagte sich jetzt sogar an die schwierigen Probleme des Lichts
der Farben. Der grosse Denker Descartks (*'aktesilts), dem die
Mathematik die Einführung der negativen Wni'zeln der Gleichungen
und die Begründung der analytischen Geometrie verdankt, versuchte
eine Erklärung des Kegenbogens und ontwickelte dabei das Gesetz des
EinJkll»- und ReÜexwinkels. Snell stellte das VtThältuiss der Medien
m der Brechung der Lichtstraiilen fest, und Ghtmalhi entdeckte die
Diffraction oder Inllesiou des Lichts, sowie die Dispersion oder Farben-
itreuung,
Schon der Letztere, nocli mt»hr aber Houkk, als er seine Be-
ngen über die Farben dünner Blattrhen verölfentlichtey hatte
eitle Ahnung von der wellenförmigen Bewegung des Lichts, welche
HnroENs, gestützt auf das Phänomen der doppelten Strahlenbrechung^
m seiner Cndulations- Theorie zu einer wissenschaftlichen Thatsache
Oliub. Freilich dauerte es langer als ein Jahrhundert, bis sie allgemein
anf>rkannt wurde; denn Newton hatti» behauptet, dass das Licht aus
konkreten Theilchen bestehe, die mit grosser Sehnolligkeit vum leiichtiMi-
den Körper ausge^^andt werden, und seine Autoritiifc war so mächtig, dass
ilir lüber alle Versuche, der Wahrheit zum Sieg«* zu verhelfen^
Vi II waren. P>st 1815 gelang es den Bemühungen eines Feesnkl
ßnci Arago, der ündulations-Theorie überall Eingang zu verschaffen.
Aus dem Ende des 17. Jahrhunderts stammen auch die ersten
Miltbeilungi'n über die Erscheinungen der Polaris.itit>n, welche Newton
fwir lifSübachtetc, aber selbstverst-andlich nicht zu erklären vermochte*
Dagegen kam er bei seinen Versuchen über ilie Dispersion des Sonot n-
lirhtÄ, welche er in der Weise anstellte, wie es schon Gkimaldi und
vor diessem der Prager Arzt Maecijs Mahci von Kronland gethan hritt43n»
m d^^m wichtigen Ergelmiss, dass das weisse Licht aus unzählig vielen
Farhenstrahlen von verschiedener Brechbarkeit zusammengesetzt wird
ood jodem Grade von Brechbarkeit eine bestimmte Farbe entspricht,
SBWTtjNS -tVnsicht über die Entstehung und das Wesen der Farben war
nicht richtig; es scheint, dass hier Leone. Eitler zuerst (174B) den
riohfta^ci Zui^ammenhang geahnt hat
Dem 17. Jahrhundert gehören femer eine Anzahl physikalischer
Kat4eckungen an^ welche die Cultur nach verschiedenen Richtungen
292 Der medidnisoJie Unlerricht in der Neuzeit,
mächtig gefordert haben. Hooke ven^ollkommnete die Taschenuhren
durch die Spiralfeder, und Hüygens erfand die Pendel-Ühren.
Der Marquis von Würcester, der Kapitän Savery, Moreland,
Papin u. A. studierten die Dampfkraft genauer und ersannen Maschinen
zu ihrer praktischen Verwerthung. Dieselben litten Anfangs an manchen
UnvoUkommenheit^n. So musste das öffnen und Schliessen der Hähne
am Einspritzrohr und Dampfrohr von Menschenhand besorgt werden.
Da bemerkte eines Tages ein kluger Bursche, dem dieses Geschäft an-
vertraut war, dass das Drehen der Hähne mit der Bewegung des
Balanciers zusammenhing. Er verband sie daher mit Bindfaden und
sah, dass die Maschine fortan von selbst ging. Der Bindfaden wurde
später natürlich durch andere praktische Vorrichtungen ersetzt Papin
machte sogar schon den Vorschlag, die Dampfkraft zur Bewegung von
Schiffen zu l)onutzen.
Auch die ersten Beobachtungen der elektrischen Erscheinungen
reichen in jene Periode zurück. ^ Der Engländer Gilbert, welcher den
tellurischen Magnetismus entdeckte, fand, dass die Elektricität durch
Reiben entsteht, aber nicht in allen Körpern erzeugt werden kann und
vom Magnetismus verschieden ist 0. v. Guerickb beobachtete mit
Hilfe eines von ihm construirten Apparates, der eine Vorstufe zur
Elektrisirmaschine bildete, ausser der schon bekannten elektrischen An-
ziehung auch die Abstossung, von der man bis dahin nichts wusste,
sowie das Ijeuchten und Knistern beim Elektrisiren. Den eigentlichen
elektrischen Funken beschrieb dann der englische Forscher Wall
i. J. 1698, welcher dieses Licht und das beim Elektrisiren entstehende
Knistern bereits mit dem Blitz und Donner verglich. Stephan Gray
stellte (1729) den Unterschied zwischen Leitern und Nichtleitern der
Elektricität durch Experimente fest, zeigte, dass die Elektricität von
einem Körper dem andern mitgetheilt wird, und dass dazu nicht immer
die direkte Berührung erforderlich ist, sondern schon die Annäherung
genügt; er wies femer nach, dass es bei der Elektrisirung der Körper
nicht auf deren Masse, sondern nur auf ihre Oberfläche ankommt^ und
war der Erste, welcher das Wasser und den Menschen elektrisirte und
sich dabei bereits des Isolirschemmels bediente.
Bald darauf machte Düeay die wichtige Entdeckung, dass es zwei
verschiedene Arten der Elektricität giebt, von denen die eine am Glase,
die andere am Harz haftet Daran schlössen sich die Verbesserungen
der Apparate zur Erzeugung von Elektricität durch Böse, J. H. Winkleb
u. A., welche zur Construktion der Elektrisirmaschine führten , femer
^ E. Hopi>b: Geschichte der Elektricität, Leipzig 1884.
DU experimenteUe Richtung der Naturunssensch. etc. während (L17, Jahrh, 293
die Erfindung der Verstärkungsflasche, die ziemlich gleichzeitig von
MusscHENBBOEK In Lejden und dem Baron Kleist in Pommern ge-
macht wurde, sowie die Entdeckung der atmosphärischen Elektricität
durch Le Monnieb, die Erfindung des Blitzableiters durch Benjamin
Franklin und die Herstellung des ersten Elektrometers durch John
Canton.
Endlich müssen hier noch einige Fortschritte in der Physik er-
wähnt werden, welche der gleichen Zeit angehören. Der Thermometer
wurde auf Anregung des Mediceers Ferdinand IL verbessert. Man erfand
auch schon den Differential-Thermometer. Amontons, der das Hygroskop
ersann und den Einfluss der Wärme auf den Barometer studierte, ver-
fertigte den ersten wirklichen Luft-Thermometer. Durch die Graduirung
und Anbringung einer Skala am Thermometer, wodurch sich nament-
lich der Danziger Fahrenheit Verdienste erwarb, wurde seine prak-
tische Verwendbarkeit sehr erhöht.
In Florenz machte man die ersten Beobachtungen über die spe-
cifische Wärme, die man Wärme-Kapacität nannte.
Alf. Bobelli gab Aufschlüsse über die schon von Lionardo da
Vinci gekannten Erscheinungen der Capillarität.
Aber alle diese Thatsachen traten an Bedeutung zurück vor J. New-
ton's Entdeckung der allgemeinen Gravitation,^ durch welche die unendlich
complicirten Bewegungen der Himmelskörper nach den allgemein gül-
tigen Gesetzen der Mathematik und Physik erklärt und der Beweis g(»-
liefert wurde, dass die letzteren im ganzen Weltall Geltung haben.
Dieser Gedanke übte den grössten Einfluss auf die Emancipation des
menschlichen Geistes von den mystisch-transcendenten Gewalten aus
und gab ihm eine Macht, die in das Gebiet des tTberirdischen zu
reichen schien.
Wenn sich Newton sonst kein Verdienst um die Physik erworben
hätte, so würde die Gravitationstheorie genügen, seinen Namen in der
Geschichte dieser Wissenschaft unter den Ersten zu nennen. Er war
einer der grössten Mathematiker und Physiker, die jemals gelebt haben.
Will man die für die Physik an Ergebnissen und Entdeckungen so un-
gemein fruchtbare Geistesrichtung jener Zeit mit einem W^orte be-
zeichnen, so darf man nur an Newton erinnern, der Uir hervorragendster
Vertreter war.
Welcher mächtige Umschwung in der Denkweise hatte sich voll-
zogen in dem Zeiträume von Gaulei bis Newton! Die Naturwissen-
* W. WüEWETiL: Geschichte der inductiven Wissenschaften, Stuttgart 1840,
II 158 a. ffl
m
Der medieimKhe Dnienicki m der NemML
iehiftaiv welebt noeh fan 16. Jabriiandert Tan den herr^henden Auto.
rMteD imtordraekt imd bevormuiHlet, ran 4er Oflentlicheji Meinung mit
Gleicb^ltigkeii rider Misflachtmig behandelt und mir von Wenigen ^
pflegt und tti '' ' ''urdert wurden, utandf'ii jetzt im Brennpunlrje
^der (^eij$Ugen l fnl durfum olin<* Hebe« die höchsten Proble
meniM:;hlfchen \u den Bereich ihrer Unlersuchungen zie
Mit i f'r n^ng die Natudoneliun^ an ihre AI
gabim, Uli Krwartniigeii Qberstaigeiiden ErtVilge^
«ie errang;, ftchienea zu der Hoffnung zu berechtigen^ dam ihr
Bch ranke gaaetzt sei AIm sieb dieselbe nicht erfüllt«* und der mn
lii:h**n Krkenntniis unfik*rwindliche Hindemisse entißrf'g»*ntraten, ilaj^
lähmte der neiR.««^ und die Arbeit begann xu stocken« Man waifl
jsieh wit*d(*rum anderen BeHtrebungen zu, welche mehrErfulg versprachst,
alä die Beachiiftigung mit den Naturwissemjchaften,
Auf den siegreichen Aufschwung, welchen die Naturwij^en^hdfl
im 16. und 1 7. Jahrhundert erlebten, foljfte ihr Niedergang oder StilT
«tarHl im 18. Jahrhundert, weh^hesi keine wesentliche Vermehnmg ^
WiHMerisJnhalt>i brachte, aiier unter dem £inllu8s einer encjklopädidelfl
Hicbiunt,' (ier (n-lHter zu einer Sammlung und Sichtung der gewonnenen
l'>g«<bniMHe lührle, die für ihn* weitere Kntwickelung nützlich und uo|
wendig war.
Die mikroskopische PorachuEg in der Anatomie und
das Experiment in der Physiologie, fl
\}m H>. Jahrhundert sali die glänzenden Triumphe der Anatompn,
welche iien Hau deH menselilirhen KnrperH erforschten; dem IT^Jahr-
humlert drih-kte (hi« [ibysiobiglsehe Experiment-, welches einr ;»nf Tbttt-
phen bef^'nmdete WlsHenschaft schuf, die Signatur auf, H
Dil' Auiiliunii^ wurde, soweit es durch Untersuchungen mit dfflF
unbtnvatlriefcM Auge miV||lich war, in ihren wesentlichen (Trundzügea
Hchun im Ui. Jäihrhund<'rt lostge.ste|lt, IHe folgenden Zeiten haM
di<* Autgabi'y dir iTriuik'eTien Wissens- Resiilj^ile zu firüfi^n. zu UeriÄ
tigf'n und durch l*<4ailforschungen zu vervollständigen und weiter hqA
/ufirtieiien. fl
IHese UnlrrsuclHniifcn gewannen durch <iie Loupe und das Mikrt*-
8ko|i rinr Tiefr und (iründlichkeil, w*»l('ln* msin früher nicht erreirkii
konnte. Die Anatomen widmeten daher ihre Aufmerksamkeit hau]>t-
michlieh der feinerm Struktur der Org:jmp, welche mittelst der
l>u mih^09k<^. thrschg* in d. Afiaiamie ti. d, ExpennierU in d, Physiologie, 29 ö
entdeckten optischen Instrumente in erfolgreiclier Weise untersucht
rarde. Die basten Mitroskope besass Leeifä^enhoek, welcher sie selbst
Ktt«aminen?ti'tzt^. Sie ermnglif^hton rine lOO — 270f;ji^lie Vergrössening,
irährend die Instrumente^ welche anilere Forscher Vienutzten, höchstens
fine 143 fache Vcrgr^^'sseninj,' zuliessen,
Leeuwenhoek schilderte den rührigen Bau <ler Knochen und be-
merkte V*ereits die Knochen -KorpercheUj welche spater von Purkinje
«ieder entdeckt und genauer beschrieben wurden, ^ Er wies ferner auf
die Schmelzsubstanz der Zähne hin, deren ubriy:e Siruktur von Malpiohi
aufgeklärt wurde. Clupton Havers eutdeckte die noch jetzt seinen
Nomen fuhrenden Knochenkcinäle;* dv IIamkl studierte flie Bildung
ilts* Knochengewebes und erkannte, dass sich dasselbe unter Betheiligung
des Perioi*ts aus Knoqtel entwickelt, wobei die Gefässe nach seiner An-
gabe da*? erforderliche BUdiingsmaterial zuführen; J. Th. Klinkohch
in Prag lehrte dann die Ent-stehung des Knochens aiis Bindegewebe,
während Haller an der Entwickehiug desselben aus Knorpel festhielt
und die Umwandlung vun den Gefäi^sen, welche die von ihm entdeckten
Primordial-Knochen kerne umspinnen, ausgehen iiess.
Daneben wurde auch die makroskopische Kenntniss der Osteologie
bereichert. Natu. HiaHMuRE entdeckte die Höhle des Oberkiefers,
ÜLAüs Wurm beschrieb die nach ihm genannten, schon von Eustachiu
^r' -r/ n NabtkTiochen, Th- Kerckkinu verfolgte die Entwieketung
il' ius am Fötus, und Frleur. Ritysch machte auf die Ver-
schiedenheiten de^ mannlichen und weiblichen Skeletts, namentlich auf
die Unterschiede in der Form des Beckens und des Brustkorbes bei
bnidf-n (ie-schlechtern aufmerksam. Die Biindeilehre erfuhr durch Josias
WwTBBECHT eine sorgfältige Bearbeitung.^
Die Struktur der äusseren Haut wurde von Malpighi, an den das
HfU mumsum noch \w\ii erinnert, nnd LKKUWENiitiEK untersucht,
welcher die glatten Schuppen der Epidermis, sowie die durch die Bil-
.Ton Schwielen und Narben erzeugten Veränderungen der Haut
lie Ablagerung des Pigments bei farbigen Menschenrassen beidi-
Achtete. Über die Struktur und die Funktion der Nasenschleimhaut
l^b t!. \\ Schneider einige Aufschlüsse,*
Mit der Zusammensetzung der Muskelsubstanz beschäftigten sich
A, BoRKtiU, R. HnoKE und vor Allen Nicolaüs Steno, welcher auf
Br!
' i\ J. llAJkXMAKK in der NederL Tijdflthr. v. Getieesk t87l, tl, l— Se.
• Cl, Haveuh: nbaerVHtionea de oaaibus, Anwtelod. 1731, \). fiJt.
■ Jon. Wkitäreiiit: Syiidesmologie, Deuteehe AuÄgabc, Strassburg 1779,
* K- F. H- Marx in den Abhandlungim d. kgb Ges. d- WIbb. zu Göttingen?
die Gleichartigkeit ihres Baues bei Menachen und Tbiereo hinwies u\
zeigte, flass Gefasse und Nerven in die Muskeln eintreten, und daaa
letzteren aus Filirillenlififidelii bestehen und von einer Haut umgel
sind, welche auch zwischen die einzelnen Kibrillenbündel eiridrini
Leeüwenhoek bemerkte die Querstreiftm^ der Muskelbundel und lehrte,
dass das Wachsthum der Muskeln nicht durch die Vermehrung^ sondern
durch die Ver^Tusserung der rrimitivbündel ertulgt Er erklärte» dm
die Muskelsubstjinz aus kleinen Kugeln zusammengesetzt sei, R HrHJXJj
hielt dieselben für Prismen,
Das Studium der Üetiisslehre wurde durch d.is neu entdeckte Jq
jektions-A^erfiihreny um dessen Vervollktjmmnung sich Swammjckdam du
RiTVscii die m*»isteri Verdienste erwarben, ausserordentlich »*rlcichlert.
Zur Einspritzung in die GefT*s.se verwendeten sie gefärbte, leicht gerinn
tjiire harzige Flüssigkeiten. Ruysch, von dem mim sagte, das^ er ilii
Hiinde einer Fee und iiw Augen eines Luchses besitze, kunnte dadurcfc
das V(U'handensein und die Vertheilung der Blutgefässe an KörjMi
sttilen riacli weisen, die man früher für gelajsshjs gehalten hatte K
beschrieb auch die Bronehialgef^usse und die Kranzgefässe des Herzemj
Kkrckreng ftind an iler Ffurtader des l*ferdes die Vasa vasomm^ um
liEELiWENHOEK erläuterte die Struktur der Gefiisshäute.
Der Bau des Herzens wurde von Steno, L«>web und Vikusshi
aufgeklärt Daran schlössen sich später die Arheiten von \Vi\Hii4)w und
Senac an. Die Lungen wurden wm MvVLPIGhi sorgfältig untersucbt;
derselhe wies nach, dasH sie aus kleinen Bläschen hesU^hen, deren Wand«;
mit Gelassen reich verseben sind.^ Eine musterhafte Darstellung der
anatomischen Verhältnisse der Lelier gab *ti.issun,^ wahrend >Uhi'iGEi,
welcher auch zuerst den acinösen Hau der Drüsen erkannte/ der Mik
seine Aufmerksamkeit widmete.
Die Ausibreitung des Bauchfells schilderte James Dt»uahAs, dciseii
Name sich noch durch andere Beobachtungen in der Geschichte d'
Anatomie erhalten hat. Die Schweizer Ärzte Peykk und Brunneb enl
deckten die Drüsen des Darnikanids. G. Wir^uxo fand den Duei\
pancreatiem, Stkko den Ausführungsgang der Parotis, Wharthiic dßi
jenigen der Unterkieferdrüse mid Quihixur Rivmus denjenigen d
(flau du la mibli ttg ualtj*.
Den Bau der Niertm untersuchten Malpight, Belkini imd Bebt
* BrROORARVK a, a. 0. p. 2U4 u. (F.
^ De pulmonibus epiet duae in MALPiomi Op. omnia^ London 1686,
193 u. ff.
* F. Glisson: Anatomia bepatb, Amst^-lod, 1659.
* M. Malpioih: De structura fjbiudiilarum conglob., Londoy 1697.
IHe mikrmkup, Fbrschg, in d, Analomie ti* d. Bkperin
m, 297
führend die Kenntniss der Sexnalorgfane durch W, Cowter, der die
nach ihm genarintea, Hclion früher lK»kannten Dnlsen bt'schneb, diirrli
VxmxM DK Gbaäf, welt^her dif Follikel des P^iei-stoeks schilderte, durch
D, Santoriki, dt*r die mrpöra luiea einer nfiljereo Untersuchung^ unter-
mg, tiod liosooJerj? dart*h William Hi-xtku geturdert, wurde, welcher
die besten Bf'ohachtungen tilx^r die Anatumie des Hodens ansiellte und
dir» i^rstp richtige Dan^tellung der Venin derun(]r<^'n, welche d^T rtrnis
durch die SchwanpTschaft ertTihrt, veWVilV^nflichte.
Aaf »^inern niedrigen Standpunkte befand sieb die Neurologie.
Stexo gestand ofl'enherzig, dass er von dem Bau des Gehirns nichts
nsTKtehe, und meinti% dtiss es den übrigen Anatomen ehensu ergebe.
& Terlangte, dass man die Nervenfasern durch die rfehirnsubstanz ver-
M^j war sich indessen der Schwierigkeiten dieser Untersuchungs-
methode wohl bewu>wt, und zweifelte, ob man jemals ohne besondere
Apparate damit zum Ziele kommen werde, ^
Wn.Lis, der Entdecker des iV/^rni.v flfW€.v.vor/i«,?, SvLviiTsund Hi^Mi»iTttY
Rn>i*EY lieferten gute Beschreibungen des iiehiras; J,J. Wepfer schil-
derte die Verbreitung der Blutgefässe desselben; Vieüssens bemerkte
die Pvr I ■ ,i unfl Oliven der Medulh nhlongaia und fand, dass die
Imrte h Nervenfiiden vom Trigeminvs erhiilt;^ Lancisi machte
atrf die Faserung des f\w)nis caüomrn aufmerksam und untersucht« den
Bau der Zirbeldrüse; MATirfftHi gab über die Vertheilung der grauen
and weissen Substanz des (jelm-ns Aulschlüsse und beobachtete den
Clwrgang der Fa«erzüge des Rückenmarks in das Gehirn.^
In Betreff der feineren Struktur ibT Gehirn uiaase gelangh^ man
iti keiner klaren Anschauung. Man hubligte im Allgemeinen der
BypotUene, dass die graue Substanz des Gehirns aus Blutgetüssen urul
i\mm Follikeln best-ehe, von ch-nen weisse Nervenfasern ausgehen.
Die peripherischen Nerven wurden genauer l>eschrieben und mehrere
'landien entdeck^;, wie z. B, da.s Ganglion Gasseri am Nen^ijn irifie^
Hit groitserem Erfolge wurde die Anatomie der Sinnesorgane be-
^Wtet Rutsch entdeckte die nach ihm genannte Memltran der
idea dojä Auges; Leeitwenhoek schilderte die Zusammensetzung
"->* aus Fasern, die sich zu Blättern vereinigen; Meibom be-
' W. i^tENKKRs in den Mana-Laat'her Stimmen 1884, VII, H. 25, 26. —
Tb. PmcTiBfAXN in der Wiener Neuen freieo Presse 1886, 26, November.
' R. VrEuasEX«: Neurographia universalis, Lugd. 1685, p. 82. 170.
■ M. MiLPioHir De cerebro io Op, omnra a, a. *>, III, t ii. ff.
A. B. R. HmscH: Paris quiiiti nervorum encephali disquiaitio anaiomiea,
""n. n^6, p, 20.
298 Der medicinisdie Unterricht in der Neuxeit,
schrieb (1666) die in der Substanz ies Augenlidknorpels eingelagerten
Driisen^ und Steno die Thränen-Organe; Poubfoüb du Petit fand
den zwischen den beiden Blättern der Membrana hyalaidea des Glas-
körpers um den Rand der Linsenkapsel verlaufenden Kanal; Zinn
machte auf die Zonida cüiaris aufmerksam; Demoubs beobachtete die
seinen Namen fuhrende Haut an der hinteren Fläche der Cornea.
Mit der Anatomie des Gehörorgans beschäftigten sich Duveeney,
ViEüssENs, Valsalva, Cassebohm, Cotügno u. A., während der Bau der
Stimmwerkzeuge, besonders des Kehlkopfes, durch die Untersuchungen
von Dbelincoübt, Santobini und Wbisbebö aufgeklärt wurde.
Die grössten Erfolge feierte die physiologische Forschung. Das
Zeitalter des Experiments, wie man das 1 7. Jahrhundert nennen kann,
führte eine vollständige Umwälzung der bisherigen Anschauungen herbei
und machte die Physiologie zu einer Wissenschaft
Die Entdeckung des Blutkreislaufe bildete den Grundstein, auf
dem das Lehrgebäude derselben errichtet wurde. Schon Skbvbt und
Realdo Colohbo lehrten, dass das Blut aus dem rechten Herzen durch
die Lungen-Arterie und die Lungen-Venen in das linke Herz gelange;
aber erst Will. Habvey lieferte den Beweis dafür, indem er auf diesem
Wege Wasser von der Ä. ptdmonalis in das linke Herz trieb.
Es lag nahe, dieses Schema auch auf die übrigen Gefässe des
Körpers zu übertragen. Dieser Annahme stand jedoch die damals
herrschende Lehre entgegen, dass die Arterien hauptsächlich Luft, und
nur wenig Blut enthalten, und dass das Blut ebensowohl in den Venen,
wie in den Arterien in centrifugaler Richtung fliesse.
Habvey beseitigte diese Irrthümer.^ Er öfinete Arterien unter
Wasser und sah, dass keine Luftblasen aufsteigen; er schnitt Arterien
auf und beobachtete, welche Menge von Blut sie enthalten. Er be-
schäftigt« sich femer mit dem Mechanismus der kurz vorher entdeckten
Venenklappen und machte den Versuch, von den Stämmen aus Luft
in die mit Klappen versehenen Venen einzublasen. Dabei fand er, dass
die Klappen so gestellt sind, dass sie den Blutstrom in der Richtung
von den Stämmen zur Peripherie hemmen und erschweren, in der um-
gekehrten, also centripetalen Richtung dagegen erleichtem und fordern.
War diese Thatsache richtig, so tauchte die Frage auf, woher das
in den feinen Verästelungen der Venen vorhandene Blut stamme. Da
sich nicht denken liess, dass das Arterienblut in den Organen voll-
ständig verbraucht wird, so ergab sich von selbst die Erklärang, dass
* H. Meibom: De vasis palpebranim novis, Lugd. Batav. 1723, p. 135 u. ff.
• W. Karvea-: Works ed. by R. Willis, London 1847.
iH€ mikro^ccp, fbrifchg, in dL Anatomie u.
in d, Physiologe. 299
^ wie ea beim Lnngenkreislauf nachgewiesen worden war, in die Venen
ftbertritU Die Art, wie isich dieser Übergang vollzieht, wurde erst von
ttikU»iQifi aufgeklart, welcher die Capillaren entdeckte und zuerst mit
dem Mikroskop den Übertritt den Blutes aus den Venen in die Arterien
beubachtett*.
Habvby hielt an der irrigen Ansicht fest, dass die Leber die ßc-
reitungsstätte de-s Blutes bilde. Den richtigen Sachverhalt erkannte
man en»t, als Gaspare Aselli die Cliylus-Getasse, Je.vn Pecquet den
DuäHB ihor^micm und 0. Rüdbeck und Th, Bartholinüs das Lymph-
^^(ässsTstem auffanden und auf deren Bedeutung für die Bereitung des
Blutes hinwie.sen.
An die Entdeckung des Blntkreislaufi^ schlössen sich eine Reihe
Pntersnchungen über das (jefa-sssystem, das Blut, seine Zusammen-
ung, Bereitung, Bewegung u. a. m* an. A. BnuKLLi führte zuerst
den Gedanken aus, dass das Gefasssystem einem hydraulischen Werke
fläche, und versucht** die Kraft zu l>erechnen, mit welcher da.H Blut
dorcb dio Gefasse liie*;st. Er kam dabei freilieh zu falschen Resultaten,
die dabei in Betracht kommenden Verhältnisse noch nicht genügend
*1^kannt waren. So schätzte er z. B. den Widerstand, den die sich
immer mehr verengernden Arterien leisten, ausserordentlich hoch.*
WfuiAJi CoLB machte deshalb darauf aufmerksam, da^sf die Summe
derQoersc! ' '' '" •■ mit ihrer Entfernung vom Herzen zunimmt
Süd das G .1 i ab ein Kegel darstellt, dessen Gnmdiiäche
JS der Peripherie des Korpers und dessen Spitze sich am Herzen
befindet, ^
BKLLtKi zeigte, das» das Blut um so langsamer tiiesst, je mehr
<ich die Gefisse in Zweige vertheÜen* Stephan Hales suchte die
'Stärke des Blutdruckes und dieGeschwindigk<4t der Blutbewegung durch
^jmc K»*ihe von Experimenten festzustellen und führte zu diesem Zweck
^Hbe Glasrohre in die durchscbnitUme Arterie eines lebenden Tbieres
em, um zu beobachten, ^-ie hoch das Blut getrieben wii'd.^ MoLVNEt^x
tmd LKKirwF.NHOEK betdiachteten unter dem Mikroskop die Geschwin-
dlgkeii der Blutbewegung.*
Der Lrlitniiische Arzt Allen Moui.in machte den ersten Versuch,
die Menge des im Kr»rper i'nthaltenen Blutes zu bestimmen. Kr nlTiu^te
die Herzen lebender Thiere uud berechnett» aus der Blutmenge, die sie
* ÄLr. BoKKLLi: De motu animiiliuin. Lii^il. Bat. 1(185, l, p. 91 ti. fl'.
* Witi- Cotie: D»^ öpcretjone aiiiiiuili, (ieiiuv. 1696» c. 7, p. 2B,
' 8rr. Halrh: Bücfnostatirjue oti h\ statiquu des ATtiinAOx^ Fmnziiä. Obers.
fWfnrrkimgrn von Dfc SAUVAnR, ücncve 1744.
* Fhik». Tinmactjoita, London imh, No. 177, p, 12H6.
fa8st«ii, und der freflchwiTidigkeit der Blotbewegong die Quantität
im Korper enthaltenen Blates. Bei dieser ziemlich unvoUkamme
Methode gelangte er zu dem Ergohniss, dass diis Gewicht der Bl^
menge ungefähr den zwanzigsten Tlieil des Köri)€rgewichts auiüma
Auf die Zusammensetzung des Blutes warf die Entdeektmg
Blutkörperchen y welche Malpighi zuerst bemerkte, ein aufklären
Licht Sie wurden von SwA!kLMKiii>AM als eitormige Gebil<ie*
Malpighi als korallenartige Schnüre, und von Leeuwenhoek, der ik
Gestalt an verschiedt'uen Thierkhisst-n studierte, als flach-ovale Kü
cheu 1>eschriehen, Hb:w8ün glaubte, dass sio ein kleines Bläst^hen
halten, und sprach die Ansicht aus, dass sie hauptsächlich in der
entstehen* Vieussens und Cherac dachten sogar schon an die
miiM^he Untersuchung des Blut-es. A, Badia und Mknoheni liefen
den Nachweis, dass das Blut Eisen enthält; F. Qüeskay, der um
National-Ökonnmie hochverdiente B<*gTfmder des physiokratischenSjstea
lehrte^ dass das Blut folgende Best^indtheilo enthält: 1) WassiT, 2)
weissartige Stoffe, welche in der Hiize gerinnen und, wenn sie fau
eine alkalische Scharfe entwickeln, 3) Fetti», welche in der Kälte
werden, in der Wärme zeriliessen und eine ranzige Schärfe eneu
4) Gelatinöse Stoffe und 5) Gallige, seifenartige Substanzen,* Rm
setzte die Untersuchungen über das physikalische und chemische Vd
halten des Blutes fori und heschriftigte sich eingehend mit der Geri
nung desselben, deren Ursachen er durch verschiedene Experim»^nte ;
erforschen bemüht war.*
Man hatte beim Aderlass oft zu beobachten Gelegenheit irrhaht, (
das Blut sich röther tarbty wenn es mit der Luft in Berührung koma
Ebenso war schon den Alt-en die Thatsache bekannt, dass das arterid
Blut heller ist^ als diis venöse. r*!e latrophysiker, wie MALPKirfi,
rAuiN u. A. erklärten diese Erscheinung dadurch, dass das Blut ibi
die eingeathmete Luft eine feine Zertheilung erfahre, wahrend die (!b
miatriker einen chemischen Einlliiss drr Luft annahmen. Ihre Versuch
den Bestand thi'il dei'selbcn, der diese Wirkung äussert, zu ergründ«
führten natürlich nicht zum Ziele, li Bathübst und N» Hensha1(
sprachen die Ansicht aus, das.s es derselbe Stoff gei, welcher auch
der Salpetersaure eine wichtige Rolle spiele.
Die Art, in welcher die Luft auf das Blut wirkt^ wurde von Dom.
* Philosophical Transactioiis, Londun 16H7, Deeemb.» No. löl, p. 4S8 tt ff-
* F. QirKa.sAv: E8.sni pbyatiiuc nur locMinomie amnialef PariB 1747, II, 342
u. ff., IIJ, 31 IL a: — HAE8EU a, a, 0. II, 5W2.
■ WiiL. Hkwhon: Vfun Blut, Doutfw^he Obers.» Nürnberg 1780. — E. B«üfKK;
Vorlesungea über rhyBiologii», Wien 1H8.^). I, 81 lu ff'.
[Hu miJarattkop. [^seh(f. in d, Anatomie u» (L Experiment in d. Pht/eiohtfie. 301
Üi ............ ^ 1...U; : untersucht, indem er durch Einblasen von Luft
In die Luni^eo st<^rbender Thiere nicht blos den Farbenwechsel des
Blutes herrorziirufen, sondern aiinh die l^eweqrnngnn des Herzens glei<3h-
am neu xu beleben vermochte.* Um die gleiche Zeit stellten Petek
und Haehek Experimente mit den Herzen iibgeHtarl>ener Thiere und
gehenkter Mensehen an, welche sie durch Einbhisen von Luft wieder
in Bewegung setzten.-
Saktobio, welcher trich durch die Erfindung verschiedener physi-
käli^her Instrumente bekannt machte,^ wollte das Verhältniss zwischen
den Kinnabmen und xVusgaben des Körpers bestimmen, uiitornahni zu
diesem Zweck durch 3U Jahre genaue Wägungeii der Nahrung, die er
lu sich nahm, und der Excremente, welche ausgeschieden wurden, ver-
glich die Krgebnisse mit dem Korperguwieht und fand dabei, diiss ein
Theil der aufgenommenen Nahrung auf UTisichtbare Weise in der Form
Toö Uu&en (Per^piraiio imensibüis) den Küq)er verlisst.^ De^ys Doüabt
wiinlerhulte »iiese Versuche und bemerkte dabei, das« bei zimehmendem
Alter die sirhtbaren Produkte der Ausscheidung vermehrt werden.
Die Prozesse der Verdauung, Ernährung und Absonderung wurden
tun di*n latrophvsikern und den Cbemiatrikern in verscbiedenartiger
Wdsi* l»eurtheilt, Wfthreml die Einen ilei Ansicht huldigten, dass der
Magtn eine zerkleinernde, zerreibende Wirkung auf die Nahrang au^s-übe,
ftubten die Anderen, dass dinsellie durch die ('hemischf^n Kräfte des
pieheb, des Magensaftes, des pankreatLsL-heii Saft^'s uuil der Galle
Msn^t^t und in einen Brei verwandelt werde» Die künstlichen Ver-
be, welche 8i*allanzani und ( 'ahminati später anstellten,
\eit beide Momente in Frage kommen.*
Ähnlich verhielt man sich dem Vorgang der Absonderung und
riährung fler Organn gcg(*nüber; diM^h war es keinem Zweifel unter-
würfen, dass die Erklärung der latropbjsiker, wtdche auf den BluU
dnu^k^ die Form, die Verästelungen and Krümmungen der Geiaase,
Bd die Pnrosität der Capillaren hinwicsi^n, sich mehr uuf dem Buden
Thatisachen bewegte, als ilirjenige der Chemiatriken
Die Entdeckung des Blutkreislaufs lenkte die Aufmerksamkeit der
hxTscher auf die tbierische Bewegung überhaupt Niool. Steno machte
' Phtloeoph. Jexperimenta and obaervationfi of RO0. Hookk etc. p. by W. Dsa-
■AM, LoDdon 1726, p. 372 u, E
• Pktkrj: l*arcrga anatom. et medica, Genev. 1681, p* 198.
» K. äpuijfOBi. a, a. O. IV, 422 u. ff.
• Sajict. Sauctoruts; De statica medicina, Venet 1614, secfc. L
• SrAUJUczAKi: Versuche über das Verthumogi^geechäft de^ Menseben und
dedeaer Thicrartcn, Disutsche Obers,, LfixjKig 1785.
den ersten Versuch , die Thritigkeit dor Miüikoln naßh den ollif^in^in»
jürftltigfen Lehrsätzen der Mechanik zu erklären. ^ Bei dieser Oeleginhi^i
ven>BViiÜirhte er seine Beiiharhiun^en über die Veraniienin^i'n *y
Furm und Cuiusi.stenz, welelie der Muskel bei der Zu^^mmenzielio^
und Ausilehnung erfahrt. B
Wenige Jiibre später (108U) erschien A, Boueua'h hernhiiili^
Werk de mohi animalium^ iu welchem die e^imjdicirten Bewej,ninge« m
die Thriti(j?keitÄriUS8erunffen der einzelnen Muskeln aufgeh^ist wimliin.^
Her VerfiiHMer vertrücli durio die Knu(*hen iitid die sich daran an}»»^t7>'nden
Muskeln mit jdiysikulischen Hel»el-Af>paraten. Um die Krufr. i'iin«
Muskels zu bestimmen, hinißr ^^ »lu demselben so viele Gewichte aojiii,
«eine Fasern ztTrissen.
Sehun Stkno ujnchle tU** Her>harhtiing, dass die Mu.^keLstibs(^
<hus vuin KiniliiKs der Oefa^se und Nerven unabhängige VerraoiLfen
sitze, zü Uewes^unpni an;i:eregi zu werden, wie e« be MAfiCHKTTis nur
ITir das Herz nnd die Ihirmnniskehi nngenrimmen hatte. Durch &-
]HTim(Mite an Fröschen und Schihlkrötrn wurde festgestellt, dass dit*
Bewe^nin^'slahij^^kiit selhnt nach der Entfernung des Gehirns ni»ch vur-
lianden ist. SrKXi» wii's auf die Kolb* hin, welche thibei das Blut sipiell;
er unterlmnd die absteigende Aorta des Frosrdie.s und /«'igte, dasis AmM
die Ijähmuii^ der Muskeln des Hinterleibes fulgt Auch Bachjvi tmdlfl
die rrsache der ilem Muskel^'ewebe innewnhneriden ( -nntnuttilität wF
Hlute und s;ih in den Nerven nur die l'^rreger der Bi*\veguiig. \s
inaehle hei dieser fielegenheit Andeutungen, welehe sieh auf die Unter-
st'b^^idung der glutti'U \m\ den (iniTgestreiften Muskelfasern beziehi^ii
lassen.^* Mavow hid» dagegen i\v\\ Einlluss der atmtjspliariscfini Lull
auf die Muskeltbatigkrit heiTirn fl
GhissoN bi^traelilrtr die Irritabibtiit als eine der Materie u^mt-
hanpt zukommi'udc Kigensebaft;* Wilus sehrieh dieselbe nur (kui
Muskeln zu. Auf Grund einer grossen Anzahl von Untersuchung»'!)
und Vivisoklioncri stt-lltt^ A, Hallkk spiUer fest, welclien ^Irud von
St jisiläilitiii und Irrilabilitiit tlie versehiedeuen Gewebe und Organe \\\^
Kerpera be^it-zen. Er kam dabei xu dem 8öhlu««, da^s die Seiisibilitüt
an das Vijrhandrnsein von Nerven, die IrriUbilitÄt am da^jenigi'«
Muskelsnhstanz gebunden sei.
' Nu;. Stknünii* elementorum inyolo^iae ppwimen bou musculi dcacriptio
gcnmetrieaj Flor. 1607, ■ a. a. 0. l, p. lö u. AT.
" Qt, BAOLt%'f: De fibra motrice et morbosÄ in deuaöo i*pem omnia ni«iioi>*
pract et anatom.^ Antwerpeii ni!>.
* (Iwwion: De ventriciilo et intefltinis, Amatelod. 1077^ p. 168 u. tf» nich
G. H. MsvKR in Haeseb*» Archiv, Jena I84a, V, p. 1 u. Öl
9 mikrosköp, FbrstJ^j. in d. Anatomie ii. d, Experiment in rt Pht^siolo^ie* 303
Diö Nervoii daehti» man sich mit rinein Fltiirfuni ifeffillt, und
Hlissox isprach mgar vnn Strrnnen, die in den Nerven auf und nioder
gvheru S*»lh8tv erstand lieb luibt^n ilfosfllM'n mit dem, was man heutig
dantitier vpreteht^ imr die Ahnliehktüt des Ausdrucks gfomein.
li] d*T Krklänmg der Nerven-Tliätigkeil ginj^en dir latruphysiker
und die Cheniiatriker aaseinander, indem Jene mit Nkwtdn Vibniti(men,
Kpannnntren und Kr^chlaftun^en, Diese tdieniisehe Umsetzungen des
NervitiwlnhalU annahmen. Dif^jenigen, welche wed<T die eine noch di*.»
imdt*re neutung bttfriedigte, nahmen ihr»? Zuflucht zu den hypothetischen
I^!»*'n*4griÄtem, die auf alle Frasfeu die j^ewrinsfdite Antwort gaben.
Dtts ttehirn iralt allgemein als das <j(iitnim der geistigen Thiitig-
INlt Willis wagten sogar, die ?erschi< denen Swlen-Vemiögen in den
♦r 'm Theilen den Gehirns zu l<»kalisiren; so verlegte er den Sitz
ri' ^ iHidung in die Streifenhiigely des GedaclUnisses in die Mark-
mUiT\z, und der animalisdien Funktirmm in dits Kleinhirn,
K. Win*TT lieferte dureb eine ^leniji* von Vivisektinnen den Nach-
weis, «las» die Bewegungstabigkeit ni>eh langt» Zeit naeh dem Tode or-
h^iltjfn Wpibt, und wies darauf bin, dass »ich enthauptete FrMsche „plan-
massig und wie mit Bewusstsein tiewegen". Kr seblüss diiraus, dafw
dÄit Gehirn riieht das einzige Cf*ntruni diT geistigen Tbatigkeit sein
W«im\^ lli«* i^bysiolugischen Funktionen des Hfu4*enmarks suehti«
Cm^dani zu erforn^hen, der zu tliesem Zweck partielle Zerstöningen
dt-sM'lben Vornahm.
Der gTosRp AHtronum Kki'leb entwarf die Gnindzügo einer richtigen
riitHirie d*^ Sehens, hemerkt<* flie Verscliii^denbeit der Kus^elahsebnitt^
an der vorderen und hinteren Flache der Linse, erklärte, dasi^ diese^s
Ofg-xn kiniu^wegs der Sitz des Sehvermögens sei, nie man damals
irUubte, simdern dazu diene, die einfallenden Licbtsiralilrn in vnt"
!t|irechendor Weise zu brechen, verfolgte die Scbieksale der letzteren,
bis sie die Netzhaut tn*flen,* und zeigte, dass Kurzsicbtigkr«it imtj Fern-
Jchtigkeit anf Anomalien der lirechenden Medien lieruhen und durch
nde Brillen mit conc^iven tüler convexen tiläsern ein rielitige.s Bild
d»^ Sehidijekti* hervorgebracht wird, Pat^T SrnEiNER in Wien vervoll-
ständigte diese UntiersuebungHu und bewies durch dm nach ihm ge-
nannte fjcperiment, das.s ein Gegenstand nur innerhalb einer bcstiraniten
Unlfernung vorn Auge deutlich gesehen wird. Er mcichte dabei auch
lue Beobiichtiing, daas eich die Pupille bei der Betrachtung naher Gegen-
* Rijö. WiirTT: An eamj od tbe vital and invobint«ry motiona of auimals,
Edinburgh 1751, p, 344 u. ff., 384 u. ff. — IL Wbytt: Physiological esflaje, Ethn-
htir^h 176^ p» 107 n. ff., 214 n. ff.
■ PoGusstDoityF iL. a. O. 8. \m n. ff.
■lieht
804
Der tMdümudi» ünltrriAl m der Nmtxtä.
M&i
.nde verengert. Der Prior des Kloi^ten* jtu 8t Martin, K 5U&i(
'iQacbte die Kntdt^clnmjB:, da*s die EititritteteUa des Sehnerven füj
litrahlen anempfindlich xat^
Die Physiülügie des Gehörs wurde Ton Cu Pkbraült, dem
ruhDiten Arzt und Architekten, denn Erbauer d*^ Umvre in Pari^
ündet. Er i*ah zuerst die auf dem Spinilhlatt der Schnecke
ttiLsbreiteiiden Nervonfaden und erklärte 8ie für da« Organ der Gel
EnifTfindung;* aiicli erkannte er die RoUe^ welche das Ijühynntli
iSen hulbzirkelfunuigen Kanälen t>ei der Furtleitung dt^ Sehalles äji^^
iVuvEHNEv vertülgte die Verbreitung im Gehörnerven im innem
genauer und ergänzt^' die Ergebnisse Prrraült's in einzelnen Pun
Darauf folgten VaijSauva'h vortTeffliche Arbeiten*
Cl. Pkbhault versuchte auch die Ent^t^diung der Stimme m
kliiren, indem er auf den Bau di's Kehlkopfes hinwies, Dkxyb Dm
meinte, ihiss der Tun durch die in Folge lier Schwingungen der Luft
(•nUteliende ZuHammenziehung oder Erweiterung der Stimmritze erzcagt
wird; \s'i\ Fkkhkin erkannte» da-ss dabei die Vibrationen der Stimm-
bfinder die wiehtigsU* Dedeutung haben* ^ ^^
y\ ('ampek wollte aus den Versehiedenhejk?n im Bau der StiQ^I
Werkzeuge versehiedenrr Thierklassen die Differenzen ihrer SUmtMJn
erklären. Mit der lii}sioli>gie der Sprache be^w^haftigten sich Aaikjlvx,
W, V, Kkmi'ki.en' und KiiATZENSTEm, welche die ersten Ma^^chinen zur
Nachahniun^ d'T nifuschlichen Spruebe cunstritirlen.
Als Orgarn' des Gesehmacksinns wurden schon viui MalpioH! und
Ukluni die PapiUen der Zunge erkhirt. In die Papillen der Ilaiit
verlegte MAr.eHsrfi den Sitz der Ta^templindung. Hohs wii's iiuf die
Verschiedenheit des Tastsinns vom Wärme-Sinn hin, und der (ienfer
l'bilosuidi BoNNBT warf bereites die Frage auf, oh die Zung« für jede
Art Von Crescbmacksemptinrlung besondere Nerven und djis Ohr (ur
jeden Ton eine besondere Chorde besitze.*
Zu den wichtigsten Tagesfragen^ welche die Naturforscher des
17. und IH, dfthrbunderts fM*schäftigten, gehörte die Lehre von der
Er56üugung und l^ntwirkelung fies thierischen Enil>rjo. Auch hier
1
^ Li*ttreH *k'riti*a p;ir M.vtiroTTK, PB<'<iüKT et Prriuiti-t mir Iö »ly'öt dNit«
Mouv*.'Hij tliM'ouvertti tomliHut ta veiii« jiftr Mabiottu im Rccucil do phisieur» tmt&
de tnftth(^iimti<(Tie de rat-iid. rojiili' den BcieoiCH, Paria 1676*
* OiMivn'« diverses dt^ physifftie et de oiecfiantquc» Leydcn 1721, Vol. If
p. 247 II. IT. {du bruit, partie III).
* Hißt, de Tafftd. royale dea aciencea avec Ics meuKdres etc., Paria 1700,
p. 244 u. C, ran p. VM «. ff., SSö u. ff., IWl p. 66 u. Ö\, 174l p. 409 uJL a
* Brief llojmot» an Halter nach Habse» a. a. 0, II, 596.
Will. Habtky, welcher den Untersuchungen eine feste Basis gab.
_ .«?in er den Hatt ausspriich: Omne nnimal e<r. om. Er lehrte, das*
mh dii^ tVneht um <km von d«^r iinttrr stamniimdt^n Ei entwickele
und d<»r mannliclio Siinien nur die Anregung zu diesem Vorganf?« gebe.
Man huliü^-ti^ der Meinung, da^^s sich dsi^s Ki wahrend der Be-
gattung vom Ovarium loslöse; aber schon Kebokring berichtet, das8
ibm wribliche Personen erzählt hätten, es werde bei jeder Menstruation
«io Ei auHj^estossen. ^ Die Eiertheorie wurde noch mehr begründet durch
SirAMaasEDAM, MALPmnt und Redi, welche den HARVEY'schen Satz
in Ornnf mnim cj- om erweiterten und sogar auf die Pflanzen an-
wendeten.
Eine mächtige ErHchütterung erfuhr diese Lehre durch die Ent-
ikunipr der Hamt^nthierchen, welche Jon. H^ui i. J. 1677 zuerst be-
kt4^. l^EEtJWExiiüEK, welcher diese Beobachtung bestätigte und die
Spemmtozoen als geschwänzte^ mit einem runden Kopf versehene, in
r ■ - fhlcr Bewegung begriffene, ausserordentlich kleine Thierchen
Htellt^ auf Gnind dessen dio Hypothese auf, dass nicht die
Ker, fwindem die Samenthierchen die Keime der Frucht lulden, Haht-
ne Ähnlichkeit zwischen den Spemmtuzoen und der
ilt zu erkennen und betrachtete di< 'selben als präfor-
mirte Embryonen. Der schöngeistige Leibnitz sprach sogar von drr
Unsterblichkeit der Kanientbierchen.
Diesen Tnuiniereien machte Antönto Vallisneri ein Ende, indem
^r di6 hohe Bedeutung des Eies für die Entwickehmg der menschlichen
fVucht bestlitigte; doch beging er den Fehler, dass er die Spennatozoen
for unwesentliche zuläüige Bestand tfit^ib^ des Samens hielt und daher
ik einfltisslos fär die Zeugung erklärte. Diese Ansieht wurde auch von
BPFFfw, Haller u. A. vertbeidigt und erlangte nahezu allgemeine
UdluBg; rrst SpaUiAneaki beschäftigte sich wieder genauer mit der
JVBgc^ wo die wirkende Ursache der Befruchtung liege, und unternahnj
diesem Zwi'ck eine Reihe künstlicher Befruchtnngsversiiche mit
nlirJiem Samen.*
Über die Entwickelung der Fnicbt» Ijesonders über die Bildung
iV ms gab HArxiJ^R einige werth volle Aufschlüfise; der fiitAle
K..,^M.,M ,. ,i.de schon von Ditvehxey ausführlich dargestellte
Die meisti^n Fonscher huldigten der alten theologisi*hen Evolutions-
Tlii»orie. nach welcher die Keime der organischen Wraen wn ih'V
' Th. KrakOtiirxfii Anihrv»poj|^cnift icljnograpbica, Amstc'IixJ. 1671, p. 3.
* Hi>AtLJi]K2AJ«i: Veniticbe nl>er «lie Erat^ngiing dm- Tbierr und PHnuzeii,
Obem., Leipzig 178«
■Airx« rnt^rrtcbt. 20
306
ikr m0d«0«9Misak0 üfämrieM m der NeuzmL
Scliöpfiiiig de« ersten dt»r8elb©n prüforniirt seien und ^leicb^an schachtel-
artig in dnunder strecken. Sie wurde beseitigt (iurch die b'lire von
der EpiiErenesls, in welchf^r ('AspAit Frip:i:»r. Wolff auf iinm\\ mn
gfroKseii Anzahl j^orgfälti^j^t^r Beobachtungen den Nachweis lieftTtp, <1a
die Organe in ihrer Anlage nicht von Anfang un vorhanden m
.sondern dciss die einzelm^n Theile des Kurpers in Folgte einer
von Differenzirungen aOniiilig in die Erscheinung treten.*
Mit groshieni Sch^ufsinn wies er auf die analoge Entwirkelung
Pliiinzen und Thiere hin und machte dabei bereits Andeutungen der^
<H>ETHE entwickelten Metamorphosenlehre im Pflanzen niche, ebenso i
er aucli benierkte, dass düs Nervt-nsjstem, der Darmkaniil und die <1
Usm und Muskeln des^ thierisehen Ki^irpers aus gesonderten KeitnlAg
liervorgelnn. Für die «JrundbeshnnHheiie des Körpers erklärte er IcHi
Kügelchen uder Biascben: vieUeicht sprieht sich darin Uvrnls (>j|
Ahnung der Zelle aus? —
Die Portschritte in den übrigen Theilen der HeilkuK
während des 17, und 18. Jahrhunderts,
Wii^ iti der Phjsiidogie, m machten sich auch in der PalUöloj
die Gegensätze zwischen <len Jatrophysikern und den Chemiatrikei
geltend. Man verbuchte die Krankheiten tlu*iJs dureh mi'chanii*
Stornngi^n» z. B. durch Stocknugcn des Blutes oder des Nerven-lnhii
theils durch chemische Vorgänge, durch Gährungen und Zersetzuiigi
zu erklären. Hervorragende Denker nuter den Ärzten, wie Bmim
PlTCAlKX» HeLMuNT, SyLVITS, WlLU^i, BuEHHAAK Uud Fu. HnFtMA
errichti^ten auf diesen Theorien kunstvolle Lehrgebäude der PatJ
Inj^icj deren Hinfälligkeit mit dem Forisehritl tkT Wissimnehafl.
*I'age trat.
Ihr Lueken und Fehh^n l>e.sunder8 die Einseitigkeit^ welche eiß^
ilicst^r mt'diriui sehen Systeme y.eigten, führte dazu, div^s man sie s
d^ynauiischrn lly|H)thei>en verschmulz, wie es schon von PARACELssiTy ?i
sucht und dann von Hki.mont und Willis wiederholt wurde, Iki
wurde die dyjuxmische Theorie, welche in manchen Bt'isiehungen am
l^elin^n der Pn^umatiker des Alterthums erinnerte^ aber selhstverstiu
* C. F, WoLFi?: Tlicona ^'enerationie, Halle 1709, — C. F. Wölpf: Ob
«lir Bildung ih's DjirnikannlH im bebditchMi lliibtjcluüi, Bt^Hiu 1H12| S. 57, 125, l
lieh «fem diristlichen Glauben ontspreehend umgeformt worden war,
junäehst nur zur Erklärung dt*r letzten Ursachen des organischen Ge-
M>behens benutzt
HTAHii entwickelte tüeselbe zu einem Aniniismu^, der die wissen-
schaftUrhe Erforsohuni^ der Medicin als überrtössig lietrachtute. Zu
einem ahnlichen Sebluss* wenigstens in Bezug auf die theoretischen
Onimlia^en der Medicin, gelangten jene Ärzte, welche, wie Sydenham,
unbefriedigt von den Versuchen, die Theorie mit der Praxis zu ver-
s<jhnen^ an der Lösung diesvT Aufgabe venweifelten und die auf der
Erfahrung mhende Heilkum^t für das einzige Ziel ihres Htrebens er-
klilrten.
Die künstlichen SchulsysU*me, welche dem Scharfsinn und der
Phantasie entsprangen, überlebten sich nvsch und glichen den schil-
ittnnien Seifenblasen» welche durch ihren Farbenreichthiim einen Augen-
blick blenden, um dann spurkis unterzugehen. Nur was die Erfahrung
in jener Zeit errungen, was die üeoiiuchtiing der Wissenschaft erschlossen
hat, da^ ist gebliet>en und einer der vielen liuusteine gewuninn» welche
das Fundament der Heüknndo bilden.
Eine reiche casuistisehe Literatur förderte die Kenntniss der Krank-
heiten im Einzelnen und lenkte die Aufmerksamkeit der Ärzte auf
8/mptomen-Oruppeny welche früher nur wenig oder gar nicht he-
tet worden waren, tr leichzeitig wurde die Diagnostik der Leiden
neuen Hilti;mitteln bereichert uud mit der Sammlung der Berichte
öbir die Veränderungen an den Leichen die wissenschaftliche Bear-
beitung der pathologischen Anatomie vorbereitet Sylvius beschrieb
lue Tuberkelherde der Lungen und leitete von dem eiterigen Zerfalle
derselben die Schwindsucht al». ^ WiiiLis schilderte den Diabetes ^tneUHua
oad hob dabei den süssen (leschmack des Urins hervor, den er sich
nicht zn erkhlren vermochte,^ VVeulhof lieferte die erste Beschreiliung
der ßlutflecken-Krankheit.^
Aus dem 17. Jahrhundert stammen auch die frühesten Mitthei-
longen über die Kaehitis, deren Erscheinungen schon von B. KEusNun
dimrt, ron Whis>tleb, A. i»e Boot und Glisson ausführlicher dar-
llt wurden. In die gleiche Zeit fallen verschiedene Berichte über
endemisclie Vorkommen des Kretinismus, welches schien BAJiACEj.sim
in einigen Alpengegenden beobachtet hatte, sowie die ältesten Nach-
ncht^n über Am epitlemische Auftreten der unter dem Namen der
' Fis, DK i.K lloM Stlvii Opera medicÄ, Tnyect ad Hhenum cl Amstclml
16Ȁ, p. 692 u. ft:
* Tw. Wtr.Lia: Do iiHnis in Op. omuia, Amstt-lo4. 16G3, p. 38H n. ff.
P *r WnULiior: Opern rned. ed. Wichnimiii. [(aiinovt*r 17T5^ 11, p. iiiJ4, Tftl.
20*
Sibbens in Schottland und unter dem d«^r l?ädp>iy?e in Hkandinav:
hpkunnt>4'n Syphilbformen.
Ain^li (lii* niui>noHtik il<*r Kr5tnkln*i{eü t-rtuLr in dmer I*eri«
einige liemerkenswerthü KürUschritte, deren volU» Bedeutunja: allerdj
enit später erkannt wurde. Ausser der Untersuchansr des Urins
df'K Pnlses, iiber welchen Solaxo i»k liDQtTE?<» Th* Boudkü u. A. oeh
vielen seltsamen und sogar absurden Angaben auch einzelne neue wefl
Völle Mittheilungen machten, begann man nueh andere diagncwt
Hilfsmittel anzuwenden.
Saxtorio benutztem den Thermometer zur Bestimm ong der Wän
des Körpers, und Bokbhaave, CocRBtTRN u. Ä. machten davon in dii
är/ilichen Praxis einen ausgedehnten Gebrauch.' Anton hk
«teilte auf die^e Weise fest, daas die Temperatur de« Körpers wahn
des Fieberfrostes nicht herabgesetzt^ wie man damals allgemein anii
sondern im Gegentheil erhöht sei, machte zuerst auf die merkwür
Erscheinung der postmortalen Wärme aufmerksam und beobachteti^
dass das subjektive Wärmegefühl der wirklichen Temperatur zuwnlen
gar nicht entspricht, und dass die Temperatur gelähmter Gli**ilnuuvi>n
niedriger ist als diejenige gesunder.*
Grosses Jntf^re^^se erregten die Erkrankungen des Herzens. Lajjo
brachte die Undulation der Jugularvenen mit der durch die Insuffic
der Triciispidalklappe erzeugten Erweiterung des recht^^n Herzens
Verbindung/^ Auüihtini bemerkte srhr tretfend, dass die Schwierigkd
der Diagnose der Herzkrankheiten zum grossen Theile darin ihren
(irurid habe, dass bei ihn^^n Krankheitszustande verschiedener Art zu-
saiumentreffen, und gab den Kath, bei der Untersuchung des Heneni*^
die Hand auf die Herzgegen<l des Kranken aufzulegen.*
Weilaus die grösste Errung**nschaft, welche die Diagnostik die
Zeit zu verdanken hat, war ilie Entdeckung der Percussion durch da
Wiener Arzt Auenbhügqek.^ Leider blieb sie fast ganzlich iinbe4icbt(
erst im 19, Jahrhundert wurde sie zu einer .,Fackel, welche,
Cii. G, LiTDwuf in Leipzig i. J. 17tl3 ^*ig^^f Uchi brachte in die Fia
stemiss, die über den Krankheiten der Brusthöhle li^^rte'^
Auch die [Kithologiscbe Anal<»mie that einen machtigen Schritt'
nach vorwärts. Man hörte auf, in den Veränderungen an der
* WüxoKRrjrH : Diiü Vi rlmlteii der Pjjfenwänne in Krankheiten, Lisipi)|;1
* TiL PuyciiMANN: Uw MvtVu'ln In Wien, 1884, S. 19.
■ Lanci»4(: De motu cordi» et aneurygmatiba», Lugd. Batav. 1740, p,
pur» IL *^Äf>- ft, prop. 60.
* ArjiEitTiNi: Opuacidii ed. M, H. Rornberg, BeroL 182Ö»
* AiTENifRrnüRii: Iriventum novum. Vimlob, ITßl.
[Hi FortsrJiHiie in d. übru^en Thälm tU Beük während des 17, u, 18, Jahrh, 30 9
oieltts wt?iter als Ciiriositaten zu sehen, welche die Schaulust der nach
Mt^nh^iten haschenden Sammler befriedigten, und begann ihren Zu-
sunmenhang mit den Erscheinungen am Kranken zu ahnen und zu
erfon^chen. Schon W. Hae\t;y erklärte, dass man aus der Sektion eines
MeascheUj der an der Schwindsucht oder einer anderen chronischen
Krankheit ^estorbf^n sei, mehr lernen könne als aus der Zergliederung
von zehn Gehenkten, Benevieni, Th. Baktholentts, Bonet, Ridlky,
LAXriHi, Vaiäalva u. A, legten in ihren Schriften eine Menge werth-
roller Beobachtunßfen nicder.
Wepfee machte den ersten Versach, die Lehre von den Erkran-
kungen des (iehirns xan dem Wust mystiscii-transcendenter Spekula-
tionen zu befreien und durch die patholugisch-anaiomischen VeräBde-
ran^ren dieses Orgairs zu begründen. Er beobachtete die Vemarbung
apf»plektißcher Herde und beschrieb bereits den später nach Futheüulll
jrenannl^n Gesichtsschmerz. Im 18. Jahrhundert machte Fontaka die
«ichti^^ Entdeckung, dass die Drehkrankheit der Schafe durch Hyda-
titlen im Gehirn verui'sacht wird.
Die Pathologie de^ Getasssyst^m.s verdankte den Arbeiten von
\ -, LANCisr und Sknac wesentliche Fortschritte. Vieusskns*
^'■' i le die Verwachsung des Herzens mit dem Herzbeutel und l>e-
«ehrieb den lhjdrop& perwardn und die P^rumrditiit. Mit bewunderunga-
^^' * V"' lieit schilderte er die gegenseitigen Beziehungen zwischen
u- ^ >ühen Veränderungen an der Leiche und den Erschei-
nungen am Lebenden in einem Falle, in dem er von der Stenose des
linken Ostmtn rctwinwi die Erweiterung der Pulmonalvenen, da.s Lungen-
Mfm, die Vergrosser ung des rechten Hertens, die wassersüchtige An-
schwellung der Fusse und die Kleinheit des Pulses ableitete, sowie bei
einer anderen Gelegenheit, wo er Verknocherung der Aorta ascendens
«nd Verknöcherung mit Insuftieienz der Semilunarklappen beobachtete
and daraus den theilweisen Rückfluss des Blutes in das linke Herz
and das Herzklopfen erklärte.
Laa'cisi gab nähere xiufschlüsse über die krankhaften Verände-
rimgen, besonders die Verknocherungen der Klappen und die Erwei-
terung und Vergrösserung des Herzens.^ Senac machte zuerst auf die
durch pathologische Verhältnisse hervorgerufene rechtsseitige bigerung
des Benenn aufmerksam.-'' Bedauerlicher Weise standen der richtigen
fl<;artheilung der Thatsachen häutig die irrigen Ansichten der Ärzte
* J. Philipp im Jarni« II, 580-59Ö. lU, 316—326.
' Pini.nfP im JÄiiaa III, BIS u. ff.
• SKarAc: Trait6 tie la structure da cocur, Paris 1T49,
ülier die B<?deiitnjig der sugenünnten Herzpolypen en^geo, ob
schon IvKRCKRrpfG dieselben für eine LeiehenerHcheinun^r erklärt hath
Ihren Höhepunkt erreichte die palhologische Anatomie jener Perit*
in J. B. Morgagni, der im Besitze des gerammten Wissens»
ches sieh anf diesem Gebiete ani^esanimelt hatte, die pewonneneü
gfelmisse iliireh z;ihlreich(* eisfene I^rfahnin^en benehtigt«» und er^iiizl(
und die Aufprabe dieser IHsciplin /Jim ersten Male klar und deutliol
entwickeU>e,^
l^r zog bei Beinen Untersuchungen auch das Experiment zu
Aueh Stephan HaiiEs bediente sich desselben und erzeugte mjtteli
l\inspritzung von Wasser in das Gefasssystem knnstliehen Hydropi
JlALia:Ft"s Arfjeiten ül)er die SensibiÜtiVt und lrrit;ihilitat stftt
sieh hauptsäehlieh auf Versuehe an Thieren und Vivisektionen, Kr
kannte deren Nutzen und erklärte: „Kin einzi,s,'es tb^-artiges l' -i\
hat oft die aus der Arbeit ganzer Jahre hervorgehenden T;n! .: . ..aj
beseitigt. Diese Gniunanikeit hat der Physiologie mehr genutzt al^ fai
alle anderen KMnste, deren Zusammenwirken unsere Wissenschaft
kräftigt hat.**^
Grosses Aufsehen erregten Spallanzani's Versuche uljer die Wif..j
dererzeugung abgefiillener Glieder liei niederen Thieren,*
Am meisten trug -John Hinikk dazu bei, dass die ex(>erimeTit*lli'|
Methode in die Pathologie eingeführt wurde.
AImt nicht blos die ersten Anfänge der experimentellen l'uHuhl
li»gie, sondeni auch dieienigen der Bakteriologie fallen in <!iese PeriodaJ
l^KKt^WENHOKK beschrieb Bakterien von runder, stiibchen formiger, faden*
juiiüfer und srhputbenf«irniiger Gestalt, welche er zwischen den Zähnen]
tler mensehliehen Mundhrdile gefunden zu halien behauptete." In Fol^j
dieser Euideekuugen enlwiekelte sieh die Theorie, dass manche KrHnbJ
heiten durch solelie ,,kb'ine Thierc" verursacht wfird<»n. Diese Anj^ich
Hess sich damals freilich nicht beweisen; aber gleichwohl hielten via
zelne hervorragende NaturtV>rseher, wie LiNNft und I'lkncicz, am
tnfßum auitftatttm fest.
Werthvolle Vorarbeiten für die Begründung der Hygiene lieferten
Lancisi, welcher sich mit den Ausduustungen der Sümpfe und der
' Tk. KEKCKRtKfj: 8picil«^i;ium fliirttominuri, Amstelod. 1670» p. Hb,
* F, Falk; Die pathoL Aimtüinie des J. B. Morgagni, Berlin 1887.
* rniiipp in dor dtnitÄC-hen Klinik, 1H5:j^ No, 45.
* Vergl. Ad. \'alkntin in der Dt^nkeclirift atif A. v. Haller, Born 1S77, 8.78.
* 8eAit^NzANi: Sopra Ig njiroduzioni änimali, Modena 1768,
* F. I/Jfpi.kk: VorleMingen ÜbiT die ge«cbidilliche Entwickelang derLchrf
von den Baktt?ne!i, liiripÄig 1887, Th, I.
Awmining der römischen Campagna besohäftigte,^ and Pbinqle, der
»aob grosse Verdienste um die Militar-Gesunäht^itspllege erwarb und
Untersuchiing'eii über septische and anfe^ptische Substanzen anstellte.
Der Arzneischatz wurde durch mehrere Heilmittel bereichert Man
ante die AV irkung der Chinarinde gegen diis Fieber, entdeckte in
der Ipecacuanha- Wurzel ein kräftiges Brechmittel und empfahl rim
Gebniuch des Arseniks beim Krebs.
Auch j«uchte man über die Ursachen, auf denen die Heilwirkungen
iiet Arzneistoffe beruhen, sowie nher die geeigneUtc Art ihrer Anwen-
dung richtigere Anschauungen zu gewinnen* Schon Willis forderte
zu Untersuchungen übtT die Verändenmgeu auf, welche die Medica-
mfnte im Magen, im Blut und in den einzelnen Organen hervorrufen.
Dieser Gedanke wurde von Wepfer und in grosserem Massstabe später
Tun A. Stükck ausgeführt^ welche zahlreiche pharmakodvnamisehe Ex-
lieriniente mit verschiedenen arzueilichen Substanzen anstellten. -
Unter dem Einfluss der Entdeckung des Blutkreislaufs wurden
auch die ersten Versuche unternommen, Arzneistr^fte in die Venen zu
injiciren^ sowie grosse Blutverluste durch Ceberführung von Blut aus
anderen Körper zu ersetzen.^ Aber die ungünstigen Erfolge
Operationen, welche zum Theile in der mangelhaften Technik
ihrer Ausführung ihren Grund hatten, brachten die Infusion und Trans-
fuidon bald in ^liskredit und allmälig in Vergessenheit
C Stalpeüt van der Wiei. wendete zur künstlichen Ernährung
iU eine Art von 8chlundsonde an.*
Die specielle Therapie torderten Benket durch seine Empfehlung
der Inhaliitionen bei der Schwindsucht/ Di^LAEiTs, welcher gegen das
Podagra die Milchkur verordnet^e, sowie Ei>w, Batnabd und J. FiiOYEB,
die bei starkem Fieber den Kranken in kaltes Walser eintaucben liessen.
Die beiden Ha^lv, Bbanüis und Cukkie empfahlen <lie Uebergiessung
mit kaltem Wasser beim Typhus und gaben dadurch die Anregung
zum Aufschwünge der Hydrotherapie, wahrend die Balneotherapie durch
li, BoYLK und Er, Hdffmaxn auf eine wissenschaftlirhe rinunllage
gestellt wurde.
Geringere Fort^chritta als die übrigen DiscipMnen der Heilkundig
> Ol liAKOSR in d<?n Mitth. d. Ver. d. Arzte in Nieder-Uatenreich 18T5, No. 2.
' l^rscitiiAinf a. a. O. S. 35 u. E
' r. SoHBELt Dio Traudfiision den Blutes und EinBpntzting in die Adern,
Kopeiüuigen 1Ö02« — Dieffenbach in Rust's Haüdwörtcrbncb, B<?rUii 1838»
' Stai.p. V. D. WiELt Observat- rar. cent 11, 27 und Kkul im Wcekbl. v,
H. Kederl Ttjdschr. v, GeneeÄk, 1883, No, 47.
* Qm. Bmmuxt: Tabidorum Üicatrum, Lugd. Bat. 1714, cap. 28*
.J^L_
:ji2
Der medwmiaek^ üfümrißhi m der Neuxtü.
tiitM^iU* die Chirurgie im 17. Jahrhundert. Es lag dies theUs dai
dsuw die begabtesten Vertreter der ärztlichen Wissenschaft sich voi
w*nsii den l*>fulg v<^r8pn^chenden chemischen und phy^^ikalisch^^n F{
«churi^en, sowie der l'hjsiolugie und mikroskopischen Anatomie
wandten, theik an der sich mehr und mehr erweiternden Kluft 2wi*!
der innrren Mfdicin und der Chiriirf^ie, durch welche di«.* ?^tudi»Tl
Arzte von der lieschfiffigun^' uiit der Wundiirzneikurist abgehalten
den, während die empiriHch gebildeten Praktiker vollauf djimit vi thi
hatten, den ^i:r(msiirtipr*Mi Umschwun^jf ihrer Kunst, welchen da« voi
Uc^^an^^tTJc Jahrhundert in Bezug auf <lie chinirgii>chen Openitji
nii^thijdt^n lieriieigeführt hatte, zu verstehen und in sich aofznnehffli
Alterdin;j:s Irhite es nichl an einzelnen Verbesserungen in der Tech
der Operationen; uljcr ein allu Zweige der (liirurgie umla^sendi
n'formirendes und in neue Bahnen dmngend&s rjenie, wie Amuiidi
Pahp:, war nicht vorhanilcn-
Er^t in der zweiten Hälfte des Ib. Jahrhunderte volbEug sieh in
*ler rhirnrgie ein neuer Aufschwung, der sich aber nicht ^\ «i'lir in
der Kntwickehiu^ der *)peration,^kunst, als in der Begründung \h
ein rurgischen t*athulügie jiusserte.
Zur Stillung der Blutungen bediente man sich nur selti-n dtf
rnkrluridung, weil sie mehr iinatomische Kinintnisse voraussetzte, ^
den meisten Chirurgen zu (iebute standen. \h%i\\ kamen die zahlreichen
Missedidge derselben, welche zum Theile in der unvifllknmmenen, rohen
iMethode der Ausführung ihren (Jrund hatten. Man wendete dahi
liebiT die Cempression der (retusse an, welche durch die Erfindmig di
Knebel-Tüiirui(|Uets von Mokki. i. J. 1674 bedeutend erleichtert wiinli
l'Krrr ersetzte den Knebel .1718 durch eine Schraube. Auch kam die
Digitai-tVmipressioii durch Saviahu und Lorrs wieder in Ütdir^ui
Die |ireussiscbrn l'hirurgen Tiiiuikn und Schmuckeu empfahlen
Tamp(»nade. Daneben wurden das Glüheisen, die Kälte und verschi<*<i«i
stjptische Mittel zur Anwendung gebracht
Die Unti'rlundung fand bei den ('hirurgen erst allgemeinere
erkennung, als man den Fehler erkanut-t», welchen man durch
Hereinziehung der Nerven ^ Venen und des umliegenden Zellgewel
in die Ligatur begangen hatte, und anting, die Arterie isolirt zu m\m
l)inden. Man wagte sich nun selbst au die Unterbindung grosser r»e-
tlissstämnie, wie der Ä. cruraHn und aj'il/aris; Waukeb und Elsk
unternahmen b J. 1775 sogar die Unterbindung der Carotis.
Die Amputation wurde hauptsächlich am Ftiss, Unt-^'rschenkel,
Vorderarm und au der Hand, seltener oberhalb des EUeuljogens und
des Knii^es ausgeführt. Die Technik dieser Operation erfuhr dtircb
en ,
]
m
Ikc Fbri$Ghriä€ in d. iihngm Thcüen cL HmlL wälzend des 17. u, 18. Jahrk. 3 1 3
JEUiführung des zweizeitigeu und dreizeitigen Zirkelsctnitte, des Lappen-
linitts und TrichterschTiitts, durch welche die ausreichende Erhaltung
Hantth*-?üen zur Bedeckuiig des Stumpfes bezwectt wurde, einige
tierungen.
Die Amputation wurde übrigens häutiger ausgeführt^ ak nothwendig
war. Sh berichtet Schmücki-ie, dass er l J, 1738 im Hotel Dieu zu
Paris einen Kranken sah, welchem beide Oberschenkel wegen einfacher
Fraktur derseli^en ampatirt worden waren. Die conservativen Chirurgen
traten diesem luiter dem Einfluss der französischen Schule entstaudeneu
auch entgegen und suehten «lie Amputation in vernunftiger Weise
ehränken.
Die Vermehrung der anat^jmischen Kenntnisse und die Verbesse-
»gen in der Technik der chirurgischen Operationskunst ennuthigt^n
Dh zu Exartikulation«*!!, welche im Ellenbogen schon von A. Parä,
im Kniegelenk zuerst von Fabry von Hildek und in der Schulter
jriyn Morand und Le Duas ausgeführt wurden. Dir. nach Chopart
'lenanntf? Exartikulationsmethode im Fu.s^sWQrzelgelenk wurde 1791 ver-
(ffentUcht. Die Exartikulation im Hüftgelenk wurde zwar versucht^
aber wegen ihrer ungünstigen Erfolge wieder aufgegeben.
Auch wurde die Resektion einzelner Knochen oder Knochentheile,
/- B, am Oberarm von Cii» White, am Schlüsselbein von ÜAssEBOttM
ßnternommen, wahrend die ersten erfolgreichen Gelenk-Resekli<>nen am
Knie von Filkin (lTt>2) und Park (1781) und an der Schulter von
Glt Whitk (1768) und J. Bent (1771) ausgeführt wurden-
Die Trepanation gesehah häufig an^ ganz geringfügigeu Ursachen;
LHt unglaublich, mit welcht^r Leichtfertigkeit mau sich dazu etit-
«chI*ÄS«, Am Prinzen Phil. Wilhelm von Oranien wurde sie, wie Cork»
SoLTKORN erzählt, 17 mal ausg<'fiihrt. Nur vereinzelte^ Stimmen erhobeji
'«ich gegen diase gefahrliche Operationswuth.
In jene Zeit lallt auch die erste operative Eröffnung der Kiefer*
hohle bei Erkrankungen derselben. — Der Kathetrerismus der Tuba
Eustachii verdankte dem taulien Postmeister GirroT in Versailles,
wf^lcher ihn an sich selbst erprobte, seine Entdeckung.^
Die Tracheotomie wurde nicht blos zur Entfernung von fremdm
Körpern und zur Erleichterung der Eespiration, sondern auch bei Croup
und Diphtherie empfohlen und ausgeführte
Die Oeso|jhagotomie wurde im 18. Jahrhund<4-t zum ersten Male
unternommen, während die erste Gastrotomie schon im Jahre 1G35
^ Mnchmos et ravenÜDiiSf appr. par racatlemie i-ojale, Paris 1724| IV» No« 2&d.
^ iL i^uauLUVT in LANUKsniBCK's Archiv 1887, Bd. 36^ H, 3.
314 Der medidnische Unterricht in der Neuzeit,
geschah.^ Über die erste erfolgreiche Exstirpation der Milz berichtete
Giov. Fantonl*
In der Lehre von den Hernien machte sich das Stadium der ana-
tomischen Verhältnisse, welche ihr zu Grande liegen, geltend. Man
begann neben den Leisten- and Nabelbrüchen aach andere Formen der
Hernien za anterscheiden, und wurde auf die Schenkelhernie, diejenige der
grossen Schamlippen, die Hernia obturatoria und ischiadioa aufinerksam.
Auch suchte Ufian über die Entstehung der Brüche Klarheit zu ge-
winnen; Halleb wies auf die Beziehungen der angeborenen Hernien
zur Embryologie hin.
Bei der Behandlung erlangten die Bruchbänder eine grössere An-
erkennung, besonders seitdem Nigol. Lequin 1663 die elastischen
federnden eingeführt hatte. Die Radikal-Operation wurde seltener aus-
geführt und allmälig mehr auf die eingeklemmten Brüche eingeschränkt
Man war dabei darauf bedacht, den Samenstrang zu erhalten; nur bei
Geistlichen hielten es manche Chirurgen, wie Dionis, für gestattet, die
Castration mit der Operation zu verbinden.
Die Operation der Mastdarmfistel kam dadurch auf die Tages-
ordnung, dass Ludwig XIV. sich derselben unterziehen musste. Diese
Krankheit übte einen grossen Einfluss auf die Politik aus; Michelet
hat die Regierungszeit dieses Monarchen bekanntlich in die Perioden
avant et apres la fi^ttde eingetheilt. ^ Die Debatten über die Ausführung
der Operation führten zur Erfindung verschiedener Fistelmesser, unter
denen dasjenige von Pott mit den Verbesserungen von Savigny die
meiste Beachtung verdiente. Die Colotomie behufs Herstellung eines
künstlichen Afters bei angeborenem Verschluss der natürlichen Öfihung
desselben wurde 1783 zum ersten Male unternommen.
Unter den Methoden des Steinschnitts gewann die Sectio lateralis
die meiste Verbreitung. Cheselden modificirte das Verfahren einiger-
maassen, und Fb^e Come empfahl zur Ausführung das Lithotome cache.
Seltener kam der hohe Steinschnitt über der Schamfuge zur Anwendung.
Die Lithothrypsie wurde von Ciucci beschrieben, welcher dabei eine
dem Civiale'schen Lithotryptor ähnliche, in einer Scheide befindliche
Canülen-Zange mit gezähnten Branchen gebrauchte.
Bei der Behandlung der Harnröhren -Strikturen genossen die von
Dakan empfohlenen elastischen Bougies, welche in der Harnröhre auf-
quollen, grosses Ansehen.
Hendrik van Deventeb, A. J. Vbnbl u. A. entwarfen die Prin-
^ Haoenb in der BerUner klinischen Woohenschr. 1888, No. 7.
* J. FAifTom: Oposc. med. Geney. 1788. * Habsbe a. a. O. II, 432.
dpien der Ortliopädie. Um dieselbe Zeit machten Hendrik van Roon-
BLTTBK und später Tuh^ die ersten Versuche^ mittelst Durchsclmeidung
des 31* gtemorUidimiasimdmis die Heilung Jes Cajmt obstipum zu be-
wirken. L J. 1784 Hess M. G. THiLENiris die erste Trennung: der
ArbUlessebne beim Klumpfuss aiigluhren.
Die chinirg-isubp Pathologio erfuhr durch Peik'ival Pott, welcher
die ohroni!*che Gelenkentzündung, den Tmnor aibus, und die nach ihm
^nannt« Caries der Wirbel zum Gegensbinde sorg^nutiger Beobfichtungen
machte, wesentliche Bereicheiinigen, Wiihminl J. L. I^etit uuf die nach
Verletzungen auftretende eiterige Ostet»myeliti.s uufmerlcftiam machte.
PrnT und J4»HN Hüntkr beschsiftigfen »ich auch mit den feineren
Vorgängen, welclie sich bei der Thrombus-Bildung, der Eiterung, Ver-
Diirbiing und Oranulution in den G<^wi»ben absjnelen.
Einen wicbtigen Furtschritt machte die Ophtbalmolygie in jrut^r
Periode, indem der alte Irrihum beseitigt wurde^ dass die Cataracta
»hiR*h eine extrabulbare Feuchtigkeit erzeugt werde, die sich in der
Form eines undurchsichtigen Häutchens vor der Linse lagere, und tbn-
Kiohwais geliefert wurde, dass sie in einer Erkrankung der Linse selbst
bwtaht
Eine glänzende Bestätigung erhielt die^e Ent<leckung durch di*^
Extraktions-Methode. nach welcher Da viel i. J. 1746 die erste Staar-
m ausführte. Die Extraktion behauptete fortan neben der 1 Je-
des Staares einen ständigen Platz in der operativen Oculistik.
Eine weitere Errungenschaft der letzteren war die künsthche Pu-
(lUIenbildung, welche von Woülhüusk angeregt und von ('hkselhen
L J, 1728 zuerst ausgeführt wurde, MaK Vertiihren beistand in der
Incision der Iris; der ältere Wentzkk änderte es dahin ab, dass er
Itt dessen ein 8tück der Iris ausschnitt» also die Iridectomie vornahm.
Die GeVmrtHhilfe verdankte dieser Zeit die segensreiche Erfindung
der Zange. Langst vorbereitet durch die Instnjmente, deren sich die
G ' ' IftT zur Herausbeforderung a)»ge.storbener Fruchte bedienten,
tu ü 17, Jahrhundert ins Leben und nahm Formen an, welche
«de fär ihren Zweck geeignet erscheinen Hessen.
Die Chamberlen gebrauchten bei schweren Gehurten Vorriclitungen^
lie aus Hebeln oder stählernen, mit Led**r ül>erzogenen Blättern
Maden« Diese Erlindung blieb Ge^cbäftsgeheimniss, Ins sie durch
Jeix PjOiFin, der sie in mehrfacher Hinsicht verbesserte, der T^ftent-
Wchl^-'ii nhrr'/rlrtn wurde.* Sie wurde dann weiter vervollkommnet
J. H, AvRUKfl; The Chumberleiia and thc midwifciy forcepSi London
\. OorriK: Jean Palfyu, Bruxeilea 1887.
von Dürtr wdeber die KiBusmig der beiden hUkl eiitföbte,
jüngeren Geegoike^ der sie Censteni und dureh ein SeUoe«
üemf ond Tor Allem von I^trft, welcher die gende Form der
in eine gekrümmte umänderte, ihre Verbindong dnroli etneo
lieben Stift bewerkstelligte tind die IndicatmiGn f&r den Gebniiidi
Zange feststellte.
Um den Ge^hren des Kaisersebnitts, der ziemlidi selten aa
wurde, auszuweichen, wurde die Symphyseotomie empfohlen, du
welche man irrthümlicher Weise eine Erweitening des B^wJpctjb
zuführen hoSte; die übelen Folgen dieser Operalion zeigten sich
und bewirkten^ dass sie allgemein verurtheilt wurde.
Dagegen errang sich das von Cämerarixts und Sl^vogt
empfohlene Verfahren, in Fallen^ wo, wie beim Terengten Becken,
natürlichem Wege kein ausgetragenes Kind geboren ^werden kann,
7. oder 8. Monat die künstliche Frühgeburt einzuleiten, den Beifall
Geburtshelfer and erhielt sich in der gynaekoloj^schen Therapie,
Auch die erste wissenschaftliche Bearbeitung der genchtlie
Medicin, z. B, die Verwerthung der Lungenprobe zu forensi:^hen Zwecken,!
sowie die ersten Antänge einer systematischen Sledicinalstatistik gehören
dieser Zeit an.*
Wenn man den Gani^ der Entwickelung der Medicin während
17» und 18. Jiihrhundert.s verfolgt, so erkennt man dieselben Pha
welche die Oesammt-Cultur jener Periode kennzeichnen. Die eribld
reiche Forscherthati^'keit, welche sich in dem rastlosen Ansammeln em-
pirischen Wissen^s-Maturials äusserte, gelangte allmalig zu einem geH-ijä^^ii
Abschluss, und es^ machte sich das llcdiidniss geltend, die gewonnenrn
Ergebnisse zu richten uml in ihren lieziebungen zu einander und tm
geistigen Leben der Meiisdiheit überlmupt zu betrachten. Wie der
Wanderer, wenn er nach anstrengendem Marsche eine Hohe erklommen
hat^ mit stolzer Befriedigung auf den Weg zurückblickt, den er zuröcl»
gelegt hat, so hält auch der Uenius der Cultur nach grossen Enun^prj-
sehjjften eine kurze Hast, bevor er sich zu neuen Thaten rüstt^L
Ein solnher Augenblick war für die Geschichte der Menschheit
im IS. Jiüirhundert gekommen, und die Bestrebungen der Encvkl<)|u.
disten gat)en dieser Hiatsache einen deutlichen Ausdruck. Auch in der
Medicin machte sich diese Richtung der Geister bemerkbar und tntl
in einer Reihe von Arbeiten zu Tage, welche hauptsächlich die G$.|
schichte der Heilkunde behandeUen.
* BLtJiCBitsTOCK in der Vierteljahrsschr. f. gerichtl, Medicin» 1884, Hd. 81, j
S. 252-e9. Bd, 39, 8. 1-12.
* J. GiLiBT2KE; Daniel Gohl and ChmL KtuidniA&a, Breslaa ldS4,
tkr Charakimr jener Züi m der Kunst und Pküosophie, 317
the erstED herrofragenden Vertreter der historischen Literatur der
JD waren Daxtel Leclehc, Jon^^ Freind und Joh. Hr:iKR.
SrHtrt^zE. An Boerhaave und namentlich an Haller, welcher sieh
ch die H-^**^" '/alie medicinischer Schriften des Alterthuras und durch
ine hihi; ihen Werke unverganghche VerdieDste um die Cle-
^hichfe der Heilkunde erworben hat, fand sie einflussreiche Freunde
Forderer. Auch PoHTALy der eine Geschichte der Anatomie ver-
i?t^, Wkrthof, Hensler und Grüner, deren gediegene Untersuchungen
über die Geschichte der Krankheiten einen dauernden VVerth besitzen,
ätL'C, Bald enger, Triller, Mükhsen, Ackermann, Mj^izler u, A.
hfn Zeugnisse dafür, dass der Sinn für historische Forschungen unter
ien Ärzten de» 18. Jahrhunderts weit verbreitet war und reiche
Früchto trug.
Der Charakter jener Zeit in der Kunst und
Philosophie.
Das geistige Lehen des 18, Jahrhunderts hatte einen anderen
r:hamkt-er als sein Vorganger. Diese Veränderung gab sich entweder
in einem Nachlass der empirischen Forschung kund, wie in den Natur-
rissensohaften, oder führte eine Wandelung der Richtung herbei, in
welcher sich die Thätigkeit bewegte, wie dies am deutlichsten die Lei-
stungen der landenden Kunst zeigten. Djis IT. Jahrliundert sah einen
itvwö Reni, Salvator Rosa, die Spanier Velasquez und Murixj^«»,
die &anz<'»sischen Meister Nicolas Poussin und Claude Lorrain und
die grossen Niederländer Rubens und Rembrandt. Das 18. Jahrhun-
dert vermochte die^n Kunstlern nur Wenige an die Seit^? zu stellen,
deren Namen vor dem Glanz, den Jene ausstrahlten, nicht gänzlich
blassen.
Aü die Stelle der elassischen Schünheit der Formen, welche durch
die gro^sartige Einfachheit der Linien und durch die richtige Abwägung
Farben t<:»ne ein Muster fiir alle Zeiten geworden sind und seihst,
.fiiü wie bei Rubens einen derbsinnlichen Naturalismus zur Schau
b, niemals blos die Sinne fesseln, sondern immer zum Herzen
sprechen, trat eine ungcb^unde Überladung mit barocken Zuthaten.
welche durch die Sucht, originell zu erscheinen, hervorgerufen wurde
und die Kunst auf Abwege brichto.
Fin wahrheit.sgetreues Spiegelbild der geistigen Kämpfe und Wan-
Helnugeti jener Periode lieferten die philosophischen Meinungen und
818
Det medkmUdhe ühterriohi in der NeuzeiL
Systeme, welclie damaljs aufgestellt wunlvn. Der induktive Empirien
Bao<>n'Sj welcher in dem Anfsdiwunge der Naturwissenschafti'n
eiiier Menge von Entdeekiiiigen und Ertindungen eine alle Erwanun
bei weitem übersteigende Rechtterügung erhielt^ entwickelte i^ch tin
dem Kinflu&s der letzteren auf einer materialistischen tlruadlage,
eher der Pantheisum.s einen idealistischen Zug verlieh. Wa** der
glückliche Giürdano Bruno als seine heilige Überzeugung verküfl
hatte, lur die er den Tod in den Flammen erlitt^ Üas suchte
späterer (Jesinnongsgenosse, der wegen seines religiösen Freisimisi
dem Judenthum imst;estossene Baruch Spikoza durch wissenscha
Thatsach*^n zu begründen und zur allgemeinen Weltanschauung» '
machen, Kr lehrte die ( tesetzmässigkeit alles Geschehens und
Einheit der Substanz, die sich, wie er im Änschhias an CARTKsnj» 0r- '
klarte, in zweifacher Form, namlicii als (»eist und Materie, ausser*'.
Einen Schritt weiter ging John Loc^kk* Als Arzt gewohnt, da«
Metuijhys;i.sche aus dem Kreise der Erörterungen zu bannen, stellte it
sieb auf den Buden des reinen Empirismus und verkündete, tks*!» w
keine angeborenen Ideen gebe^ simdeni dass sich alle Erkenntnii« auf
die Erfahrung gründet» Die menschliche Seele gleicht, wie er schreibt,
bei der Geburt einem leeren Biatt, auf welchem die Sinnes wahrnehmungCD
als Erfahrun^'cn niedergelegt werden, bis sie durch die Reflexion, dßrcli
den Verstand, den Lockm den inneren Sinn nennt, zu Vorstelluniß»
bilde™ zusammengestellt wertlen. Er führte somit die Phil
wieder in die Anne der Naturforschung zurück, indem er die Lii.i„w
nisstheorie auf ilie Untersuchung der IHnge mittelst der sinnlid
Beobachtung anwies*
Der Sensuahsmus Locke'j* fand in Frankreich hervorragende '
treter an E. B. i>k Condii^iLac und Voltaire und regste in Engl*
mm Skepticismus ao, wii* er von David Humk zum Au^drui^k gebracht,
wurde, während ihm in Deutschbind in Leihsitz ein machtiger GegMb
litilfl
entgegentrat.
Der Letztere verband die angeborenen Ideen Pläton's mit den
Grundzügen der Demokrit'schen Atomistik, an welche schon G, Bkuno
tind R GAssKxni angeknüpft hatten, und p«isste dies den edirlstlichen
Lehren von der Weisheit des Schupfei-s und der Zweckmässigkeit dei
Natur an. Er nahm untheilbare und unräuniliche, metaphy?
Punkte an^ die er Monaden nannte und mit einem Vorstellungs-inll
liegabt dachte; ihre gegenseitigen Beziehungen und Verbindung zu
Einlieit des Bewusstseins glaul>tc er durch die phantastische H;^potUe
einer vor Beginn aller Zeiten festgesetzten „praestaf»i}irt»*n** Hartnani
zu erklfiren.
siMJl
Inifl
1
Der Ühamkier
in der Kmtsi und Philosophie, 319
Auf die Entwickelung: der Naturwisseüschaften und speciell der
licin hat Lehlmtz keinen turdernden Einfluss ausgeübt; für die
ilc^I^liie^ wie überhaupt für die Literaliir, hat er vielleicht grössere
ieutuntj erlangt, als er verdient Sein System blieb hauptsächlich
Deutschland beschränkt, wa Christian Wolfb' sein eifrigster Aj^ostel
trde* Er ordnete die Ideen, die Lb:ibnitz in wilder Ungebundenheit
eworfen hatte, mit schulmeisterhafter Pedanterie zu einem Schema-
iy der dort, wi> Jener Lücken zeigte oder eine zu hüchtliegende
atasie walten lies«, sich aus den Lehren anderer Philosophen ergänzte.
Consequenter und einheitlicher ini Aufbau, aber rücksichtstoser
erschreckender in seinen Folgerungen war der Materialismus, wie
um die Mitte des 18. Jahrhunderts in Frankreich auftrat. Der
likakte Vertreter dessellien, der französische Arzt Lamettrie, machte
tn jieiner Histoire natureile de Tihne und seinem Werke „I/liomme
machine" den Versuch, sogar die Denkprozesse, die geistigen Fällig-
keiten und sittlichen Gefühle aus dem Wesen der Jlaterie, aus der
körperlichen Organisation abzuleiten. Den transcendenten Charakter
der menschlichen Seele bestritt er, indem er sich dabei unter Anderem
Kh auf die Thatsache der auf Veränderungen des Gehirns Ijenihenden
chischen Erkrankungen bezog. Die Unsterblichkeit gab er zu, jed<*ch
nur insoweit, als die Materie, aus welcher die Dinge dieser Welt be-
'^ ri. nicht untergeht, sondern Qur die Form ändert und wieder an
MI anderen Korper TheU nimmt.
Leider predigt-e Lamettbie gleichzeitig einen Hodonismus^ welcher
M\^ eine schamlose Verherrlichung des Vergnügens, bes. der WoüiLst
hinauslief. Lediglich in dieseni Umstände, keineswegs aber in seinen
phil')Si*i>hischen Theorien liegt der Grund der heftigen ÄngriHt*, die er
»erfahren musste. Es mag ja sein, dass er in seinem Leben keineswegs
dem frivolen CjnLsmus huldigte, welchen er in seinen Schriften zur
Schau trug; aber selbst F. A.Lanqe, welcher die Ehrenrettung Lamettries
iinifmahm, vermochte zu dessen Vertheidigung nur anzuführen, dass er
wwler seine Kinder ins Findelhaus gesell ickt, wit^ I^hisseau, noch zwei
Bräute lietrogen habe, wie Swtft, nicht der Bestechung überführt
)Uiüt*n sei, wie Baci^n, und sich auch nicht cler Urkundentalschung
vi-riiachtig gemacht habe, wie VoLTAmE.^ Jedenfalls hat Lamktieik
darcli seine Lehren die Sittlichkeit schwer geschädigt und viele reine
jßmnther vergiftet, und ist vorzugsweise schuld daran» dass die
stische Philosophie lange Zeit von unverstandigen Menschen mit
iukeniosen Befriedigung des Sinnesgenusses identiticirt wurde.
* f\ A, Lakoe: Geeclriclitc des Matcriäliantniö, laerlobn 1876^ I, 349.
Die tibrigen Anhänger dt^s MattTiulisrntis^ nameutUch diefjenif:
wrli'Iii* unter Arm Namen «Kt rjn<\vkl(ipruUst*jn bekannt geworden sin
sut^hten ihre AnfiL^^aljcn weniger in der wissenscbaft liehen Bogrfmdu
ihrer phihiKupli Ischen Mf^nungen, als in der Bekämpfung der kirchhcb
und politischen AutoriliileiL Der V»TftUs«er de.s SyNlvitie de hi natq
entwickelte ihm Kn-islaiif d<*8 Lebens nnd die innigen Wech
beziehnngen iln ilrt'i Naturreicbe; über imgleioh grosseren Werth lo^
er auf die rütionalintische AufkUirung und die Erörterungen filx^r
Recht der Völker auf Selbstregierung» welche er damit verband.
Diese Theorien trugen ohne Zweifel viel dazu bei, die mäxhtign
Umwälzungen vorzubereiten, welche am Schluss des 18. Jahrbuntlei
Fratikreieh und dann ganz Europa erschütt4?rt6n, und erklaren e»
Thrile, »lass der Materialisnuis von Miinehen als die Quelle der Irreligi^
sitöt lind als PVind der Monarchie betrachtet wurde.
Die gelehrten Oesellseliaften und Universitäten im
17. und 18, Jahrhundert.
Wie im IG* Jahrhundert, so wurde aucli im 17. Jahrhundert
Entwickelung des Wissenschaft] ichen (ieistes wesentlich gefordert diirrb
die Uründong von gelehrten (iesells<'haften und Universitäten, laj
Italien stiftete der Fiirst Federig«» Cesi i. J. IBtKl die Ae^-adeniia dd
Lincei, m genannt, weil deren Mitglieder zu ihren Untensuchung
gleichnam Luchsaugen heilurften und im Vereins-Wappen einen laeli
filhrten; in FluTfuz entstand unttT dem Sehnt// drr Mediceer KJ57 difl
Ac^ademia del cimento, welche die Pllege dei^ Experimente zn ihm
Aufgabe erkirirle.
Nacli diesem Muster bildeten sich auch in andern Ländern geMrl
Vereinigungen, in Deutschland wurde Schweinfurt der Mittelpunfc
einer Gesellschaft von Ärzten und Niilurrftrschern. welche i. J. 16T
vom Kaiser Leopold zu einer Akstdemie erhoben wurde. In Paris tn
die Ac^tlemie des sciences um d^is Jahr 1666 ins Leben, welche HD
in das Institut national umgewandelt wurde. Auch die königlich« Ge
Seilschaft der Wissenschaften in London, deren Verhandlungen in nahe»
ununterbrochener Reihenfulge bis heut erschienen sind und eines dfl
wichtigsten und inhaltsreichsten Aktenstücke zur Geschichte der Wisi^n
schallen bilden,' wurde IBtifi gegründet. Es folgten darauf die AkatlfinM
' Cn. R. Wki.ik Hif^tory n( tlu^ rmal »orif^tv, T.o»idon 1848, 2 B<j*?,
Thegetehrien Gesellgehaßen u, Universitäten im 17. u, 18, JohrhunderL 321
KU Berlin, welche i. J. 1 700 anf Leibnitz' Betreiben gestiftet wnrde, die
totinger gelehrte Gesellschaft i. J. 1733, die Akademie zu Peters-
1725» welche zwar auf russischem Boden entstund ^ aber haupt-
r h eine deutsche Schopfun^^ war, die Akadrmio zu Mtuinhrim 1755
und dii^>oige zu München 1700.
f» rischaftlidii' Lehen jener Periude }^rachte in England und
den Ni ^len die reichsten FrüchtH hervor. Auch Italien zoitig:te
oooh einzelne Spatlinge, welche an die besten Zeiten der gfrossen Ver-
^genheit dieses Landes erinnerten,
Aaf Frankreich warf der glänzende Huf Ludwig XIV. ein weithin
iftruhlendej! Licht, welches neben mancher inneren Hohlheit eine über-
raschende Pulle von Talent und Tliatkraft beleuchtete. Während des
lii. und bis tief hinein in das 19. Jahrhunderfc stand das französische
Volk an der Spitze des geistigen Fortschritts; seine Gelehrten und
Forscher wirkton nicht blos in tbmialer Hinsicht bahnVu*echend für lüc
WissenJichaft y sontlern sie erweiterten auch den Umljing der letzteren
«urt TertiefUm ihren Inhalt nach verschiedenen Richtungen.
Deutschland wurde durch den unglückseligen Kelisri»instkrit% welcher
tt» 30 Jahre hindurch venvüstjete, in seiner politischen und geistigen
Entwickelung gehemmt und fand erst zwei Jahrhunderte später die
«ichcre Hohe zur volb^n Betbätignng seiner Kraft
Abä das ItJ. Jahrhundert zu Ende ging, iH^standen in den einzelnen
Ilfiilem bereit« s<> viele Hochschulen und J^iblungsanstalten^ dass den
f>rhandenen Bedürfnissen im Allgemeinen (jenüge geleistet wurde. In
%land luldeten die alten Universitäten zu Oxford und f'nmbridge den
wichtigsten Miit<*lpnnkt der höheren Studien. Frankreich centralisirte
4ie Wissenschaftern mehr und mehr in Paris. Holland erhielt neue
HwdiHchulen zu Groningen (1H14), Utrecht (It)34) und Hardpnvyk(l(i48),
In ItaUen entstanden Universitäten zu l\irnia, Cagliari, Mantua, Urbini>,
iWnza, Sassiiri und Mailand, von denen einzelne ihre Entstehung wohl
mir einer kleinhchen Eifersüchtelei dieser Ktadte und ihrer Beherrscher
»oniankt-en. Im J, 1608 ivurde ni Panipellona eine Universität errichtet
Jifi jedooh ebenso nnliekannt blieb, als die übrigen Hochschulen S|mnien8,
Aach die Anstalten dieser Art, welche im östlichen Europa gegründet
WQrdfin,, wie diejenige zu T3Tnau in Ungarn, welche später nach Fest
Ttflegft minie, zu Klausenburg in Siebenbürgen und zu Kiew und
loikatt traten nicht sonderlich hervor. Für Finnland wurde 1640 zu
Abo mne Hochschule gestiftet, die 1828 nach Helsingfurs kam, und
Schweden erhielt 16G8 eine zweite Universität zu Lund.
Unverbaltnissmässig gross war die Zahl der Hochschulen, welche
W'Ahrend dieser Periode in Deutschland entstanden. Zum Theil wurden
PvKciaujni, Üottrrrrht, 21
322
Ikr mcdmniache UnUrriekt in dm' NmuuiL
sif! kinnf^swegB durch das Bedörfniss nach akademischer Bilditng,
nur durch die Eik'lkdt der kleinen Territorialherren hervor
welche in der Gründung einer Huchseliule ein nicht zu kusispioIiJ
Mittel sahen, um ihre Simverainelat iw docummtiren und sich in Kt^
und (iediehten als Beschützer der Wissenschaften preisen zu lasiCtL^
Als 1Ü52 das Gymnasium zu HiThorn in Nasüiiu zur Unire
erlndien wurde^ kostete es dem Landcsfürskm tfrosse Mühe, die für
Ertheikin^ der kaiserlichen l'rivile^ni^n erforderliche Tajte von 410IML
zu schatleTL Die Stadt lünteln he^aas, als sie im J. 1(»21 zum
einer Universität f^eniacht wurde, weder eine Aputheke noch einen <i|
ht^f. ' Die Theihing der hessischen Lander untvr verschieden«* Ln
der Dyiuisiie führte im J. 1t;()7 zur Errichtung der Hochschule
rJiessen; dmih war sie von ir»2r)^lti50 wieder mit ihrer benachbarl
Scbwester-Anstalt zu Murlmrjr vereinigt.
Die Universit-at Strassburg gfing au8 dem dortigen akadf*mi8Cihefl
(iv3tina^iuni hervor* an welchem ausser andiTu Facultiiti^wi-
auch Mtdirjn gel^lirt wunlo; sie erhielt ITHM» und 1021 die
Bestätigung, \m J, UWl stuilierten dort. 70 Theologen, 77 Juri.sttH
11 Mediciner und 145 Philusu|dien.* Später sank die Frer|uenz iIa^
Höehseimle und hetriig im Durchschnitt jährlich nicht viel mehr
4 Studierende in summtlichen Facultäten; erst seit 1718 hcd) sie
wieder, naehdeiu unter der französischen Herrschaft ruliige politj*
Zustände eingetreten waren, ^
In [ihnlicher W*3ise entst^uid im J, 1622 die UniversitÄt AIli
auf dem (lehii't der freien Ueiehsstaiii Nürnherg.* Das Gymnashim
Uremen glich ebenfalls einer Hochschule; im J. Di lU wurde durt
eine Lehrkanzel der Heilkunde erricht-eL Denselben Charakter lrug<?ii
die h«iheren Lehranstalten zu Rteinfurl, welche für die Grafschaft
beim-Tecklenhurg, zu Neustadt au der Haardt, die für die Pfah
stimmt war, zu Hanau und zu Lingen. hi Duisburg entstand
und in Kiel Sii()5 iMne Universität Die liuchschule zu Dorpat vor.
dankte* ihre Errichtung im J. DJ32 dem Könige Gustav Adolf
Schweden; doch bestand sie nur wenige Jahrzehnte und erwachte
18(J2 wieder zu neuem Leben,
In den kathohschen Staaten Deutschlands kam das höhere üufc
^ A. THrtLUfK: Djih akadcmiauhe I^ben des 17. «Iuhrhutiderts , HiiHo \%
Bil. 1, Ähtli. 2, S. 9ß, 303.
" TiTOLucK a. a. 0, I, 2, 122.
" R Wieqeh: Gt'schiclite der Medk-bi in Strassburgt 1885, S, 71.
* G. A. Willis : Geschichte und lieachreibung der Universitüt Altdorf,
dorf 1795.
... *i .^^resen allmälig YoUstandig in die Hände des Jesuiten-Ordens.
Mehrere neue Anstalt+^n, welche auf dessen Betreiben errichtet wurden,
vrareu, auch wenn sie die Recht^^ einer Universität erhielten, eigentlich
nur geistliche 8eminarien. So ent*stand zu Molsbeim im Ektiss ein
Jt^uilen-tiyinnasium, welches 1617 vom Pabst zur UniversitTit erhoben^
1702 nach Stnissborg vorlegt und nüt der dortigen Hochseiuile ver-
einigt wurde, tHeiehzeitig erhielt die Dumschule zu Paderborn den
Chamkter einer Universität; ebenso iy:esehuh dies mit der Domsehnle
» OsDabrQek. Die 1647 zu Bamberg errichtete Akademie entwickelte
sich allmälig ebenfalls m einer vollständigen Universität Im J. 1734
niinle auch das Jesuiten-Gvmnaj^ium zu Fulda zur Universitiit erhoben,
wähnmd die Domschule zu Münster erst 1780 dieses Ziel erreichte,
Dazu kamen eine Anzahl von Hochschulen in den Landern der
babshurgiächeu Krone. In Salzburg errieliteten gelehrte Benediktiner
aine höhere Unterrichtsanslalt, welche der Pabst im J. 1 1>23 zur Univer-
jt" T 1,^ Die gleiche Ehre widerfuhr 1G73 dem Jesiiiten-Gjnmasium
•jiik. Auch das Jesuiten-Oollegium zu Breslau entwiekelt« sich
tmli und n^k^h zur Universität und wurde 1702 als solche anerkannte
Die Anstalt zu Brunn erhielt erst 1779 die Privilegien einer Univer-
sitÄt, als die Ulmutzer Hochschule dorthin verlegt und mit ihr ver-
einigt wurde. Aber schon nach wenigen Jahren verlor sie diesen
(liarakti^r wiedt*r und wurde in ein Lyceum umgewandelt, welchem
s^ter mit einer raediciniÄch-chirurgischen J^ehranstalt verbündten wurde
ond in Olmütz seinen Sitz erhielt^
Einen hervorragenden Einfluss auf die Eotwickelung des wi^^sen-
Ächaftüchen Geistes erlangten die Universitäten Halle und Uüttingen.
Hk eislüre wurde 1694 errichtet, nachdem das Erzstift Magdel*urg mit
den dazu geliorigen Landestbeilen an Brandenburg gefallen war.
Schon der grosse Kurfürst hatte sich mit der Gründung einer Art
von Akademie beschäftigt, welche einen Vereinigungspunkt aller wissens-
lerthen Dinue t»iblen. mit einem chemischen Laboratorium, jihysikalisch-
tecbnoUigischen Institut^ zoologischen und botanischen Garten, Maschineri-
kausc, Museon u. a. m. ausgestattet und tillen Lemliegierigen uhne Unter-
Khied <ler Nationalität und des religiösen Bekenntnisses zugänglich sein
Jte.^ Für die Ausfuhrung eines solchen grossartigen, der ratio-
sü^cben Denkweise des 18. Jahrhunderts vorauseilenden Planes war
weder die Zeit reif, noch das erforderliche Geld vorhanden.
i. J. Richtbr: (ksBchicbte der Olmüter Umversität, Olmütz ISiL
' ¥,tLMA% iu RtotAÄi: Älcm. p. scrvir n Tbiatoire des refugi^ francois, T.
. 3>9 IL IL, Berhu.
21 •
111,
Auch die Universität Halle war in ihren gnanziellen Mitteln
lioh beschrankt; ihre JahresHotation betrug bis 1786 nicht mebrj
7i)00 Thaler, womit die Besoldungen siimmtlieher Lehrer und fib»Tlia
alle AusgiUH»n der Hochschule bestritten werden niusst4?n. Vertri-hlj
baten äk Professoren, dass ihr <lie Präbenden der ehemaligen \H
stifte von Ma^delnirrr und HalbeiNtMt überwiesen wurden,* Der TüctiN
keit ihrer 1/ehrkräfte, unter dunen sich die Juristen Stkyk und 'ft
MASUT«, der Theolo^'o Fkancke, d(»r Philologe CKUJVKrn» nnd
Mediciner Stahl und F. Hüffmann befanden, war e» zu danken,
die Universität Halle lange Zeit den ersten Platz anter den de
HoelkscholHn behauptete.
Sie trat erst zurück, als die Imnnnvei'sche Regienini^ im J, U
in Gottingen eine Univernitiit errichtete, für deren Unterhalt die San
von KiOtK) Thaleru jährlich brwillif^t. wunie. Hei der HeRHzunj?
Professuren und der Ordnung der Stndienverhältnis.se waUet4* ein fn
CS eist, welcher den Forderungen der Zeit nach jeder Uichtung pn
zu werden lienuiht war.
Den Naturwissenschaften wurde eine grössere Berücksichtiguni^ j
Theil als an anderen Hochschulen. WKRutoF, welcher Im ' f wnn
die Verschlüge für die Kinriclitung der medicinischen i i zu
statten, stellte in seinem (rutachten vom 16, Dezember 1733 den Anb
l.ebrkauzeln für Anatomie, Botanik, (liemie nebst Arzneiniittell<»li
sowie für niedicinisehe Theorie inid medicinische Praxis zu grund
einen botanischen Garten und ein chemisches Laboratorium anzu
sowie ein Krankenhaus zu erbauen, welches für den Unterricht
Studierenden der Medicin benutzt werden sollte.^
Kleinere Universitäten entstanden im 18, Jahrhundert xu KrUn^
(1743), zu Bützow in xMecklenburg (Um), zu Stuttgart (1781). die
der Karlsschub' Iien^orging, und zu Bonn (17H4), welche sicli aus ein
Jesuiten-Gymniusium zur Hochschule erholi, aber als solche damals ka
ein Jahrzehnt bestaruL
Deutschland besass somit bei einer Bevölkerung, welche kaum
Hälfte der heutigen betrug, ungefiihr die doppelte Anzahl von Hoch-
schulen, als gegenwartig bestehen. Schon aus dieser That.sache ergicbt
sich, dass die damaligen UniversitiVten von den heutigen in m-- •* •
Beziehungen verschieden waren. Sie dient<:m nicht so ausschl,
der Vorbereitung für einen speciellen Lebensljenif, wie jetzt, sond
in vielen Fällen nur zur Vervollständigung der Allgemeinbildung;^
* J. Ca. FöttsTEn: Geschieht« der UniveraitÄI: Halle in ihrem orsten
hundert, HftUe 1799.
* E. F. Rr>!48LER: Die Orflndung der UniverBitiit G^tttngon, ClTJttingen 1|
Hptilgten sich ferner mit einer weit niedrigeren Frequenz von Stn-
Jerenilen^ da die Unterhaltungskosten auch viel geringer waren, als
Qwärtig.
In Wien studierten ü J, 1723 nur 25 Mediciner^ in Göttingen in
Periode von 17*37—78 jährlich 50 liis 80, Jena zählte 1768 17
1773 42 Studierende der Medicin; in Ältdorf promovirten in der
von 1623-— 1794 nicht mehr nh 380 Mt^diciner. In Würzhnrg
um die Mitte des vorigen Jahrhundert.s die medicinischen 8tudii*n
iiöh darnieder. Der russische Leibarzt M, A. Weikard erzählt in
«r Selbstbiographie (Berlin und Stettin 1784): „Als ich i, J. 1761
C. C. iSrEBOLi* und iSKXt-^fcT in Würzburg Medicin zu studieren
ng, waren seit mehreren Jahren keine Zuhörer dagewesen, und
m folglich auch keine Collegien stattgefumien. Ein Jahr vorher
zwei angefangen, und später mehrte sich die Zahl auf nenn.
Die Lehrer, die nur 200—300 Gulden Gehalt hatten, betrachteten
lAiarlich ihr Lehramt als cin(^ Nebensache und waren auch entwöhnt
yp Schulgeschäftj und niiissten wir mehrmals beim Rector magniticus
BjgeBf ehe wir sie sämmtlich dahin brachten, wieder CoUegien zu lesen.
^ mussten durch Emmhnungen und ernstliche Drohungen hierzu ge-
ingen werden. Dessen ungeachtet ging es damit äusserst sparsam
es war oft Vierteljahre lang Stillstand und doch bei alledem der
lost nicht sonderhch.**^
Starker war der Be^sucli einiger ausländischer Hochschulen. Alex,
ffEO hatte während seiner 50jiihrigen Lehrthätigkeit in Edinburg
HiKH) Schüler; die Zahl d*^r dortigen Mediciner betrug in der zweiten
Hälfte de^ 18. Jahrhundert*^ durchschnittlich 400. In Leiden gab es
L*l. 1709 gt'gvn 300 Studenten. In Padua betrachtete man es als ein
sohlecht^s Jahr, als 1H13 nicht mehr als 1400 Studierende dort ini-
matrkulirt waren, Pavia hatte* 1782 unter 2000 Studenten 200 Me-
dicin f^r,*
^fc Die deutschen medicinischen Facultäten waren mangelhafter und
Hrftiger eingerichtet als diejenigen Hollands, Italiens und Frankreichs,
Bis diesem Grunde begaben sich viele Studierend!^ der Medicin aus
^kt^Hchland dorthin, um ihre fachmännische Ausbildung zu vervoU-
Hudigen. Namentlich genossen die Universitäten Leiden, Padua,^
Bntpellier und Paris in ilioser Hinsicht einen grossen liuf und wurden
gßm besucht
H ^ KtiLUKgR a. a. O. S. 21,
^^ • O. Fisourat: Chirurgie vor 100 Jahren, Lmpidg 1876, S. TT.
* S* das Namens verzeiehDiäa der Studcinteii ^ welche dort immatricunrt
*^e», in Deir ouiversit^ di Padova, Padova 1841.
326 Der medidnische Unterricht in der Neuzeit,
Dazu kam, dass sich Frankreich allmälig zum Mittelpunkt der
weltmännischen Bildung entwickelte, welche an den deutschen Univer-
sitäten leider sehr vernachlässigt wurde. Im 16. Jahrhundert hatten
die letzteren wohl ihrer Aufgabe entsprochen und jene Summe von
Wissen geboten, welche damals als Inbegriff einer höheren Allgemein-
bildung galt Als aber die Vornehmen nicht mehr darnach trachteten,
durch ihre Kenntniss der lateinischen oder griechischen Sprache zu
glänzen, und die Entdeckungen und Fortschritte in den Naturwissen-
schaften einen anderen Ideenkreis in den Vordergrund drängten, ge-
nügte der Studienplan der deutschen Universitäten den Anforderungen
nicht mehr, und man suchte im Auslande Das zu erwerben, was die
Heimath nicht gewährte.^
Auf diese Weise entstand ein Zwiespalt zwischen der gelehrten
und der weltmännischen Bildung, der sich zum Theil bis auf unsere
Tage erhalten hat Die Universitäten wehrten sich gegen die Aufiaahme
von neuen Bildungs-Elementen, und die auf den politischen, militäri-
schen, künstlerischen, technischen und industriellen Gebieten hervor-
ragenden Männer, welche durch den Aufenthalt im Auslande einen
weiteren Gesichtskreis gewonnen hatten, spotteten über die Einseitigkeit
der Stubengelehrten, die durch die Unbeholfenheit ihrer äusseren Er-
scheinung manchmal eine klägliche Rolle spielten.
An den deutschen Universitäten jener Zeit herrschte ein wüstes,
rohes Leben. „Auf unsern deutschen hohen Schulen nimmt man unter
den Studierenden statt der Bücher nichts als Streitigkeiten, statt der
Hefte Dolche, statt der Feder Degen und Federbüsche, statt gelehrter
Unterhaltungen blutige Kämpfe, statt des fleissigen Arbeitens unauf-
hörliches Saufen und Toben, statt der Studierzimmer und Bibliotheken
Wirthshäuser und Hurenhäuser wahr", schreibt der Arzt LoncHius
i. J. 1631.2 Der Pennalismus, d. i. die durch das Herkommen zur fest-
stehenden Einrichtung gewordene Sitte der älteren Studenten, die jün-
geren zu tyrannisiren, führte zu entsetzlichen Ausschreitungen, zu
Grausamkeiten und sogar zu Verbrechen. Auch gegen die Bürgerschaft
erlaubten sich die Studenten manche Unverschämtheiten.^
Der Senat der Universität Leipzig sah sich 1625 veranlasst, den
* Biedermann (Deutschland im 18. Jahrhundert, Leipzig 1858, II, 1, S. 18)
schreibt: „Die Mehrzahl (der deutschen Universitäten) war zu Tummelplätzen
orthodoxer Beschränktheit, pedantischer Buchstabengelehrsamkeit und schola-
stischer Spitzfindigkeiten ausgeartet/^
' Oratio de fatalibus academiarum in Germania pericuUs in acad. Rintel.
rec 1681, p. 67 nach Meikers: Gesch. d. hohen Schulen.
» TiiOLucK a. a. 0. I, 1, 264 u. ff.
dartigeii Stadierendeii zu verbieten, „die Hochzeiten zu stören, die
Oiste zu stossen, die Frauen und Jungfrauen durch obscöne Bemer-
kungen zu l)pleidigeu oder ihnen gar ein Bein zu stellen/*^ In Jena
lieferten ilie Studenten l J, IGGO der Polizei eine wirkliche Schlucht,
bei der mehrere todtgreschossen wurden. Ähnliche Excesse ereigneten
sich auch in Ingolstadt Aber es war kein Wunder, wenn unter den
Studenten derartige Dinge vorkamen ; denn der Ton, welcher unter den
dortigen Professoren herrsehte, war manchmal auch nicht viel besser.
Im J. 1663 wurde ein Professur vom Rector mit Carcer bestraft, weil
er geinen Schwiegervater geprügelt hixiieJ Die Universität Helmstädt
wurde vom Landesherm ermahnt^ bei Neubesetzungen der Lehrkanzeln
keine „versoffenen Professoren" in Vorschlag zu bringen.^ Von der
Universität Herbom berichtet Steubino: „Die i^ninze hohe Schule war
nicht nur in Parteien gethoiUy sondern oliendrein ein Professor dem
andern zuwider. Sie stichelten nicht nur, wo sie konnten, in ihren Vor-
IdsUDgen auf einander, sondern befehdeten sich auch vur derKegierung,^**
Demtige Verhältnisse existirten noch ein Jahrhundert später; als sich
iX 1760 ein Profess^or beim Senat der Universität Ingolstadt beklagte,
er von der niedicinLschen Facultät beleidigt worden sei, erlclürte
Ibft, „dass sie den Klager wegen seiner niedertrachtigen Handlungen
allerdings für einen schlechten Kerl halte, sich aber gerade nicht er-
innere, ihn ofliciell so betitelt zu haben/* ^
Ks war begreiflich, dass sich eine Reaktion gegen diese Verwil-
ilenmg der Sitten und Umgangsformen geltend machte. Die Universität
(luUingen begann damit, intlem yie ihrrn Studierenden höflichere Ma-
nieren empfahl Man nahm dabei das franzusiscbe Wesen zum Muster,
«ridche^ überall an den Fürstenhöfen Eingang gefunden hatte. Was
dif den Kreisen der Vornehmen angehörigen Studenten schätzen lern-
ten, fand bald auch bei den übrigen Anklang, So entwickelte sich bei
einem Theile der deutschen Studentenschaft das anerkennenswerthe Be-
ben, dfcis ges^dlige Leiien durch gefallige Formen zu veredeln.
Die urwüclisige Derbheit, welche sich auf vielen, namentlich den
ineren Hoch!?cbulen breit machte, sah darauf mit Verachtung herab
imd bezeichnete es als „Petit-Maiterei'' und unpatriotische NachäÖung
fremdländischer Sitten. Auch ernste Hist-oriker haben diese Auffassung
^theilt and dabei ku wenig berücksichtigt, dass eine Reform nach
dieser Richtung nothwendig war. Das deutsche Volk hat dem Um-
* OsUHAliDT ID ZwiEUINECK-StfDKNHOILiTS Zoit54?hr. 1887^ IV, 955.
» PßAHTL a. a. O. I, 500. 503, » Tüommjk a, a, O. l, 1, 142.
* TitottiCK a. tt. O. I, I, MO. " I'qasti. a. ft, O. I, VM,
1
328 Der medicinische Unterricht in der Neuxeit.
Stande, dass es stets beflissen war, seine Mängel zu verbessern und von
seinen Freunden wie von seinen Feinden zu lernen, ohne Zweifel sehr
viel zu verdanken.
Im Beginn des 17. Jahrhunderts umfasste die allgemeine Vorbil-
dung der Studenten hauptsachlich die lateinische, griechische und
hebräische Sprache, Rechnen nebst etwas Mathematik, Kirchengeschichte
und die Lektüre alter Autoren, welche zur Mittheilung historischer,
geographischer und naturwissenschaftlicher Bemerkungen Gelegenheit
bot AUmälig aber wurde den letzteren ein grösserer Spielraum ge-
währt.
Schon am Schluss dieses Jahrhunderts erschienen die französische
und englische, manchmal auch die italienische oder spanische Sprache,
die Geschichte, Geographie, Physik und Naturwissenschaften neben dem
Tanzen, Fechten und Reiten als systemisirte Unterrichtsgegenstände im
Studienplan der für die Söhne der Adeligen bestimmten Gymnasien.
Man nannte diese Wissenschaften und Künste die „galanten^', wie man
ja auch in andern Beziehungen diesen Ausdruck für „ritterlich" oder
„den vornehmen Ständen vorbehalten" zu gebrauchen pflegte.
Letbkitz, Seckendokff, Thomasius und andere vorurtheilsfreie
Männer verlangten mit Entschiedenheit, dass die Realien in den Lehr-
plänen eine grössere Berücksichtigung erhielten. Aber noch weit mehr
als diese wurde die Muttersprache an den deutschen ünterrichtsanstalten
vernachlässigt. In Pommern wurde den Lehrern an den Lateinschulen
i. J. 1690 eingeschärft^ sie möchten mit ihren Schülern stets lateinisch,
•niemals deutsch reden, weil das letztere leichtfertig, ärgerlich und schäd-
lich sei.^ Der Pädagog Francke in Halle klagte i. J. 1709 darüber,
dass es selten einen Studenten gebe, welcher einen deutschen Brief ohne
orthographische Fehler zu schreiben im Stande sei. Auch auf diesem
Gebiet war eine Reform dringend geboten.
Die Modemisirung der gelehrten Schulen begann im 18. Jahr-
hundert und vollzog sich auf Kosten der Studien in den alten Spra-
chen, welche im Lehrplan eine wohlthätige Beschränkung erfuhren.
Einige verrannte Philologen jammerten zwar darüber und prophezeiten
für Deutschland die Wiederkehr „der Barbarei des Mittelalters"; aber
ihre Worte erfüllten sich nicht, wenn man nicht in dem Auftreten von
IiESsiNa und Klopstock einen Rückschritt der Cultur erblicken will,
wie Paulsen witzig bemerkt*
* Tholuck a. a. 0. I, 1, 173. — Biedericann a. a. 0. IT, 1, 511.
* Pauijsen a. a. 0. S. 378.
Dct mediem. UnterrüM m dm theoret, Fächern^ i
' Anatomie etc. 329
Der medicinische Unterricht in den theoretischen
Fächern, sowie in der Anatomie, Botanik, Chemie
und Arzneimittellehre.
In der Organisation des Unterrichts und im Lehrbetrieb der Uni-
sitaten än(h.^rte sich während des 17* Jahrhunderts nur wenig. Selbst
büi den medicinischeu Facal taten bildeten lüe theoretischen Vorlesungen
die Huuptaache, wenn auch die Bedeutung der praktischen Demonstra-
tianen mehr als früher anerkannt wurde.
In einem Lektionskatalog der Universität Wurzburg v. J, 1604
werden folgende Vorlesungen von der medicinischen Facultät angekün-
digt: 1) Hekm. Biekman liest über die drei prognostischen Schriften
des MiPiȟKRATES. 2) JoH. Stiingel bespricht die Krankheiten der
Brost und einiger anderer Organe. 3) Geobg Li:ykk trägt über die
üntenH^biede und die Ursachen der Krankheiten und ihrer Erschei-
nungen nach Gaj.ex vor. * t>ie Professoren behandelten ihre Lehr-
anfgaben mehr nach der literargeschichtlichen Methode der iScholastik,
als im Sinne des induktiven p]mpiri<mus der Neuzeit.
Eine strenge 8eheidung der Lehrkanzeln nach den verschiedenen
Disciplinen kam erst im 18. Jahrhundert allmalig zu Stande. Sie
wurde notbwendig, als die Entwickelung des praktiscben Unterrichts
in der Medicin eine Summe von Specialkenntnis^en in einzelnen Üis-
dplinen verlangte. Wahrend vorher die Professoren ohne Schaden für
Jen Unterricht ihre Lehrkanzeln wechseln durften, da der Zustand der
Wissenschaft eine gleiebnnV-sige Ausbildung in derselben gestattete,
blieben sie von jetzt ab auf ein bestimmtes Fach beschrankt, damit sie
auf diesem Geliiete zum Meister entwickeln kunnten. Doch brachte
die dorch die niedrigen wissenschartlichen Anforderungen ermöglichte
und durch die fimiliche linanziclle Lage der Universitäten gebotene
piringe Anzahl von systemisirteo Lohrkanzeln mit sich, dass von dem-
en Ijehrer fast überall mehrere Disciplinen gleichzeitig vertreten
len. So war an den meisten Hochschulen das Lehramt der Botanik
nnd Cliemie mit dr^m der Arzneimittellehre, dasjenige der AntUomie
mit dem der Uhirurgie, dasjenige der Physiologie mit dem der Ana-
lamie oder allgemeinen Pathologie vereinigt.
fift kam sopr vor, dass Professoren einer andern Facult<it, z. B.
der philosophischen f Vorlesungen über einzelne Theile der Heilkunde
t'\ w Wsiiele: Gcdcbichte der üiuvcrsitftt Wüncborg, Wiirzburg 1885,
H, '12^u
330 Der niedicinwche UntetTicht in der Neuzeit.
hielten, wie es sich auch andererseits nicht selten ereignete, dass Medi-
ciner ihre Lehrthätigkeit auf Wissenschaften ausdehnten, die ihrem
Berufe fern lagen.
H. CoNRiNG in Helmstädt lehrte nicht blos Medicin, sondern auch
Philosophie und Politik und wurde „der Begründer der deutschen
Rechtsgeschichte", wie 0. Stobbe sagt. Meibom las neben der Medicin
noch über Geschichte und Dichtkunst, und Jon. Heinb. Schulze
hatte in Altdorf neben seiner medicinischen Professur den Lehrstuhl
für griechische Sprache und in Halle, wohin er später übersiedelte,
denjenigen der Beredsamkeit und Archäologie inne.
Die damaligen Universitäten waren in dieser Hinsicht unsern
heutigen Gymnasien ähnlich, an denen ja auch bisweilen ein Mathe-
matiker einen Theil der Unterrichtsstunden des Philologen übernimmt
oder umgekehrte Es wurde in jener Zeit vom akademischen Lehrer
nicht verlangt, dass er die Wissenschaft, welche er vortrug, durch eigene
Arbeiten gefördert habe. Protektionen, Vetterschaften, persönliche Vor-
züge und allerlei Zufälligkeiten waren oft die Ursachen, welche die
Verleihung einer Professur bewirkten.
Übrigens waren die damit verbundenen Besoldungen manchmal so
gering, dass sich kaum Bewerber darum fanden. An kleinen Hoch-
schulen musstc man zufrieden sein, wenn einer der dortigen Ärzte sich
bereit erklärte, eine Lehrkanzel der medicinischen Facultät zu über-
nehmen, die er dann vielleicht verliess, wenn sich ihm die Aussicht
auf eine einträgliche Praxis in einer grösseren Stadt darbot
An den deutschen Universitäten war es üblich, dass der Lehrer
seinen Vorlesungen eine Schrift oder ein Lehrbuch, welches den Gegen-
stand behandelte, zu Grunde legte. An den Inhalt desselben pflegte
er seine eigenen Bemerkungen anzuschliessen.
Die lateinische Sprache, welche dabei gebraucht werden musste,
war nicht geeignet, ein allseitiges tiefes Verständniss der Sache zu er-
möglichen ; sie verleitete zu Missverständnissen und gewöhnte an hohle
Eedensarien, hinter denen sich die anspruchsvolle Oberflächlichkeit zu
verberg(»n suchte. Es lässt sich leicht ermessen, dass diese Zustande
für die Ausbildung des' Arztes die übelsten Folgen haben mussten.
Freie Vorträge wurden, wenigstens an deutschen Universitäten,
selten gehalten; denn sie setzten voraus, dass der Lehrer sowohl sein
Fach gründlich beherrschte, als auch eine ausserordentliche Gewandt-
heit im Gebrauche der lateinischen Sprache besass.
Erst im 19. Jahrhundert gelang es, die^e das Lehren und Lernen
ohne Noth erschwerende Sitte abzuschafien. Niemals kann die Schuld
für den Schaden, der dadurch den Studierenden und den Kranken, der
Der medicm, Unterricht in den theoret, Fäcliet^, soum in der Anatomie etc. 33 1
medicinischen Wissenschaft, wie der deutschen Culturentwickelung zu-
gefügt wurde, gesühnt werden.
Der praktische Unterricht in der Medicin lag, wie erwähnt, An-
fangs ausserhalb des Studienplanes der Universitäten. Er wurde nur
allmalig in denselben aufgenommen; am frühesten geschah dies mit
der Anatomie, am spätesten mit der klinischen Unterweisung am
Krankenbett
Die Fortschritte, welche der anatomische Unterricht in dieser
Periode machte, bestanden in der Vermehrung des Studien-Materials,
der Tollstandigeren Ausnutzung desselben, der Gründung anatomischer
Sammlungen, der Errichtung von besonderen Professuren und Instituten
för dieses Fach und in der Theilnahme der Studierenden an den Zer-
gliederungen.
Der Mangel an menschlichen Leichen nöthigte freilich dazu, dass
häufig in der früher üblichen Weise thierische Körper zu anatomischen
Studien verwendet wurden; doch geschah dies jetzt mit grösserem
Nutzen für die anatomische Ausbildung und führte zur Beobachtung
mancher werthvoUen zootomischen und vergleichend - anatomischen
Thatsache.
Wenn die Zahl der menschlichen Leichen, welche den anatomischen
Lehranstalten zur Verfügung standen, klein war, so muss man bedenken,
dass auch nicht viele Studierende vorhanden waren, so dass der Ein-
zelne Alles deutlich sehen und beobachten konnte. Doch wurden dem
anatomischen Unterricht durch die Nachlässigkeit, mit welcher die Be-
hörden die Lieferung des erforderlichen Leichenmaterials betrieben, durch
die ermüdenden Weitläufigkeiten und zeitraubenden, von unverständigen
Bureaukraten ersonnenen Schreibereien, die damit verbunden waren, ^
und vor Allem durch die unter dem Volke herrschenden Vorurtheile
viele Schwierigkeiten bereitet
In den Kreisen der Vornehmen Hessen dieselben allerdings nach;
sie machten hier einer wissenschaftlichen Neugier Platz, welcher bis-
weilen eine Haut-gOut-artige Sinnlichkeit nicht fehlte. Die Leichen-
Sektionen erschienen als piquante Schauspiele, zu denen sich die Zu-
schauer drängten; den Höhepunkt der dramatischen Situation bezeichnet<?
die Demonstration der sexuellen Organe, für welche ein erhöhtes Ein-
trittsgeld gefordert wurde. Als der regierende Herzog von Würtem-
berg im J. 1604 den Besuch von drei sächsischen Prinzen empfing,
führte er sie, um ihnen eine Unterhaltung zu verschaffen, nach Tübingen,
wo sie der JZergliederung einer menschlichen Leiche beiwohnten, welche
' Pramtl a. a. O. T, 49ß.
832
Vhterrioht in dsr Msmsü»
licht Tnjyo dauerte.* Der Anatom Wkrnkk Rolfenk in Jena wnrit m
i\vn IW naoh Weimar be^chiedeii, wo er in Gegenwart von Fürsten
vornelmion Ht^rron eine Sektion ausführen musste; sie bildete gleiei
einen Theil der Vergnügungen, welche der Herzog seinen Gä^t^in
In Frankreich wurde das wissenschaftliche JnU*re.sse Modesache; si
hochstehende Damen scheuten sich nicht, Üefallen an anatonii:
L>emonstnilionen zu fin<len.
Anders dachU^ das Volk darüber. Hier erhielt «ch der fn
Aberglaube, welcher in der anatomischen i^rgliederting des nn
liohra Kurpers t-in Verbrechen sah, das an ihm ausgeübt wurde.
kam das aus alten Zeilen mummende Mährchen]^ das« die Anal
wen& 8ie keine Utidieii nir Verfügung haben, auch lebende Mi
tu ihn^n l^nl^vochiiiigeiB Terweniieten. Die dadorch erzeugt«
bitterung wurü^ mdk pseteigtit durdi die illegile Art, in welcher
liiioben in den Besitz der uaMmaAm AnstilCeD gekngten>
la JtM eriMUn mA Xmkmi^f wtUlm mm IM»
«MM, beipoor m i&m Heiter ftlieiafAiii wvnin^ die Gmde ausi,
Vkvti Kt^q»er iiiclit dem PniiowNr Bouisa tbefUefert worden^ uml die
Piaetii itt der Vwigtfmi mm Imm hemm die Qfiber ihier An-
gAtey« Wmctai, diMÜ dcMB UUkm nhl „gereUbikt^ wMa
i. Bmmm mmsm imi m& Wirttaig ikhen^ wd er den Leidnan
Wdtei iMtfiilm iMa* ta Bttlia imd Ljpob
wdoiH^RglaiTelk
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hm Hl dkene Tainha «AH jiTail I niwii»aMia, Vor
Hauji f^
. «.«.^.^ira.
seit, TiJ
Der maUdm, Unterricht in den tiieoret. Fäoliem, mune in dsr Äntdonm eio, 333
Stehende dortige ATJatomi> eThielt jährlich 30—40 Leichen.' Ebenso
irömtig stand es in StraRshiiri?; im Winter d. J, 1T25 wurden in der
dortigen Anatomie 30, ITtJO sogar 60 Leichen zergliedert.^ In Paris,
I^fden und an einigen italienischen Hochschulen war man so viel als
mojrlich bf-mnht, die anatomischen Lehranstalten mit dem nothweridigen
Studien-Matt'rial zu ven^or^^en, Albertini in Bologna erzählte, dass
in ihm selbst in wohlhabenden Familien bereitwillig die Erhmhniss
Sektion ertheiH; habe, wenn es sich darum handelte, die Ursiiche
einer Krankheit zu ergründf^n.
An andern Ortt'n liatle die Vernachlässigung der anatomischen
Demonstrationen nicht so sehr in dem iMangel an Leichen, als in der
Bequemlichkeit und dem Unverstand der Professoren ihren Grund In
Pr b*n in einem Zeitraum von 22 Jahren (1690 — 1712) nur drei
Z»i ingen vorgenommen.^ In Wien fand während des Jahres 1741
nicht ein einziger Actus anatomicns statt; als der Professor dieses Faches
der Regierung deshalb getadelt wurde, bmchte er unter Anderem
j^met Entschuldigung vor, diiss er keinen Prosector zur ünter-
stJItamiig gehabt habe.'* Die medicinische Facultät zu Ingolstadt be-
lltragt e im J. 1753 sogar, die Professur der Anatomie gänzlich auf-
beben, da es am besten sei, diese Wissenschaft erst nach der Ab-
solvirnng der medicinischen Studien während der ärztlichen Praxis zu
lernen. ^
Doch traf man im 18. Jahrhundert in den meisten deutschen
Staaten Einrichtungen, um dem beständigen Leichen-Mangel, an welchem
die anatomischen Lehranstalten litten, abzuhelfen. Jm J. 171(i verurd-
nc»te die kurfürstlich sächsische Regierung, dass die Leichen aller zum
T<Kle verurtheilten Verbrecher des Leipziger Kreise« auf Verlangen der
igen medicinischen Facultät ohne W' eiteres der Anatomie übergj'ben
Inlen. Di^sgleichen wurde aucli für die Bedürfnisse der Anatomie zu
Wittenberg Sorge getragen. Im J. 1723 wurde bestimmt, dass auch
I/.*ichen von ertrunkenen und todt gefundenen Personen, insofeni es
ic)' "'^it um ,,hontiratiores** handelte, sowie von Selbstmördern und
ti .j, die in den Gefängnissen starben, zu anatomischen Zwecken
ffrwendet werden sollten; femer wurde verfügt, duss die armen Leute^
telcho in den Krankenhäusern auf oftentliche Kosten verpflegt wurden,
wpfm s\f} dort starben, und ihre Angehurigen die Begräbnisskosten nicht
n konnten, den medicinischen Facultäten überliefert wurden,
• A. Valektin in der DenkBchrift über Ä. v. Haller, Bern 1877, 8. 72.
• WtEOics a. a- 0. 8. 82.
• IIyrti-i Gc*K^bicbte der Anatomie in Prag, 1841, 8, 26.
• EosAü a. a, U, M, 256, • Prantl a. a. 0 T, 607.
.Uli* u
m OfAüm^m iriridt die LMmb dir PMcitiluirttfii
In W« iwwrtm «t t ~
dbLddMfni : - .1
Mkni.^ iLSfoUs trvmrtite
w«*nn aiicb die I^eii
wortteou Die Anatoi
/^ Abo m Finiilaiid dufte e^gar die Leiebfn aller Ilti)«iig«rn,
eine UnierrtfttsEDiig rom Slaal feimMi, m Anqüiidi nehas^iu
In dieser Periode begBitn msa iiieh bemdefv ßebipde fOr
AMloniie 211 errichtea fljumr bei eine BeMhrttbMig dee m
AmphhhmU'TH hinterbneiiT vdobee im J. 1tt04 m Pariis erbaut
Die Hennti^llang denelben i^eeehab hituten 14 Taften; es war
klein tin<l «lurohao« oieht tiolid. Schon nach kurzer Zeit wurde an
Mfiner .Stelle ein uji^mmr^s und iweckmäittiger» itebtiude erricbteit^
welfjhf»« indefisen auch recht »H^hlecht war. Vs hatte z, B, keine Finistpr,
Hornlrm nur Luftloch'T, wie IIazon erzählt, der darin ab Stu<loni im
*L 1730 VorloHungen hört«, und war daher der Kalt« und dtrm Winde
Auf WiNi^MiWH VeninltiHüung und unter seiner Ixütung erhielt ik
PariKer Aniitoiiii«« im J. 1744 ein (^ebundi^ au^ Q^iader^teinttn^ vntk\ktö
Ulli UhMl'en>5(i>rn verHi^hen war. Die anatomische Le^ * 't m Leideü
war mit Skelcit^'n v«jn Mun^chen und Thioren vers< h . Arten au»*
gf»Hl.[it(4*t und ^.^eriiumi^' oingnricht^tt.''* Die Chirurf^MnÄuntl in KtUnburg
grfmdi'i** 1»>U7 t'iii aiinkmiischeM Thealer, in weleliern Demoni^traUoiien
HUUiraiKleri, nm\ st^huf 1705 ein*' Prorossur der Anat<»mi<*,
Iti WiirÄburj? \x\mU' im J, 1724 ein anati>misciies Theater e^
rir-litt't; cH war ein Kii[»|H'lbaii mit Oherlicht. halii* llies^nendes W
iinil kosiele MMHJO II Im Parnasisus boicus (München 1725, p. 81<',
darüber beriehtet: ,,Zur Aulnamb des Studii anatomici and chirurgiet
gpabret man keine Kosten, und ist ein berühmter Cbirur^us auU Paris,
MonHieur Sivort, unter einer starken llesuldun^ (nämlich 400 Keich»-
Üialer) dahin Iwruffen worden, umb die chinir^schen Griff ge«chick1
^n und die Anatomie oder Zer^'liederung deß menschlichen Lethi
ItO,
• .1. P. ¥mK»m a, a. ih VI 2, K. 7» a, ff:
« .!. Ih JaitK: l^ikou J«*r k, k. Medicinalg^elie, Png lim, Yl, TIS u. i
* Auk Kyfh: Mtclieiiuufi rite dJicoodi •! «mravodi oietfiodiifi, Lugd. Batan
Mi
Der tnedicin. Unterricht in den theorei, FäcJiem, sowie in der Afiatomie et^. 335
zu lehren, worzu ihm aus dem prächtigen Spitall die Körper angeschafft
werden: wie er denn unlängst an einer in Raserey verstorbenen Frauen-
Person ein Probstuck abgelegt." Im J. 1788 wurde die anatomische
Anstalt zu Würzburg erweitert, indem an das Amphitheater zwei Säle,
in denen die anatomische Sammlung untergebracht wurde, ein Saal für
die Präparir-Übungen der Studierenden, ein Zimmer, in welchem der
Professor arbeitete, und eine Küche angebaut wurden.^
Die Universität Breslau wurde 1 745, und diejenige zu Königsberg
1738 mit einem anatomischen Theater ausgestattet; das letztere ver-
dankte seine Existenz dem damaligen Professor der Anatomie, der es
auf seine eigenen Kosten erbauen liess.=^ Das anatomische Theater zu
Pavia fasste 400 Zuschauer, war sehr hell und mit den Bildnissen der
berühmtesten Anatomen geschmückt. In dem daran stossenden Saale,
welcher mit breiten Steinplatten belegt, mit einem Herde, mit grossen
Keseln und bestandig fliessendem reinen Wasser versehen war, fanden
die Secir-Übungen der Studenten statt. ^
Derartige Anstalten wurden auch in Städten, welche keine Uni-
versität besassen, wie in Berlin, Bremen, lYankfurt a. M., Nürnberg u. a. 0.
errichtet und den dortigen Ärzten und Chirurgen zum Gebrauch über-
geben. An manchen Orten wurde ein Schuppen oder ein anderes Lokal,
welches nicht benutzt wurde, für die anatomischen Sektionen und Demon-
strationen verwendet.
Ausser den anatomischen Instituten entstanden auch anatomische
Museen, welche bald als werth volles liChrmittel beim medicinischen
Unterricht erkannt wurden. F. Rutsch legte eine Sammlung ana-
tomischer Präparate an, welche er im J. 1717 um den enormen Preis
Ton 30 000 fl. an Peter den Grossen verkaufte. Binnen zehn Jahren
gelang es ihm, eine neue Sammlung herzustellen, welche zum grössten
Theile vom polnischen Könige Johann Sobieski erworben wurde, der
dafür 20 000 a bezahlte.
JoHK HuNTEES bcrühmtcs Museum enthielt 14 000 anatomische
Präparate; es wurde nach seinem Tode von der englischen Regierung
für 15 000 Pfd. Sterling angekauft und dem R. College of Surgeons zum
Geschenk gemacht, wo es sich noch heut befindet. Grossen Ruf ge-
nossen auch J. N. Liebebkühn's Injektions-Präparate, sowie J. G. Walteb's
anatonousche Sammlung, die Frucht einer angestrengten Arbeit von
54 Jahren; sie bestand aus 2868 Nummern, wurde im J. 1803 von der
• KöLLKEB a. a. 0. S. 25. 75. 7S.
• D. H. Arholdt a. a. 0. — Frank a. a. 0. VI, 2, S. 88.
• J. F. Feahk a. a. 0. VI, 1, S. 327.
pT^nflsisolien Regiprnö^^MooOüO Thater erworlwn und WWete
Grundi^iiick den tinatumisch-zooUjmiiPichen MoseuniH der B4>rliDer U«
Auch wiir<i*in von geübten KünsÜem Nachhildungen anatorai*
Präparate in Wa^hs angi^fertiyrt, welche zum medicinischen Unten
dienl-eti, EinztOne Italif ner erreichten in dnn Model lir-Arl)eiien dii
Art eiun bewundpnmgswürdige Gasehicklichkeit Der Kaiser Jtwf'
Ijbh« eine berühmtr Sammlung von AV'achs- Präparaten, welche in Florüm
unter Funtana's Leitung hergestellt worden war, für 30 000 ft.j
kiiTifen, nanh Wien bringen und als Lehrmittel der militrirur/tlifh^
Akademie übergeben. Übrigens machte schon P. Frank darauf auf*
merksam, da«s diese Waehs-Nachbildiingen sich nicht so sehr für ühh
anatomischen Unterricht der Studierenden der Medicin eignen» '
zu empfehlen sind^ wenn es gilt, Laien, welche einen unüberwiii'i
Abscheu vor Leichen haben, eine all|?emeine oberflächliche Kennt]
des menschlichen Körpers und seiner verschiedenen Theile zu
schatVeu.
Kin wichtiges T^ehrmittel für den anatomischen Unterricht bild«^
ferner die aruitiiiniscben Tafeln und Zeichnunpen, welche theils (dh
ständig t^rscliienen, theils den Lehrbiichern der Anatomie beig«gtbi
wurden. Jon. Hkmmklin nahm die echon früher geübte Methode
wieder aul', durch aiifq:ek lebte und biuwegzuschla*:ende Bilder dit^ l^agis
rung d<T Muskelscbichten und Eingeweide kenntlich zu nmchrn;^ in
derselben Weise verfuhr tJLOPTtiN Havebs.
Vortrefllicbe anatomische Tafeln, namentlich über die Verfcheilun^
der Nerven, verdankt man dem Maler PrKTEo da Cortoxa; die Titel-
vignetM der Ausgabe von 1741 stellt die Blut-Transfusion dar, GKßAau
i>K Laihkssi.: lieferte die Zeichnungen für das anatomische Lehrbuch
des U, linnAK». Vorzugi^iweise liir Künstler berechnet waren das anar
tomische Werk von B. Oenoa mit den Zeichnungen Ch. KjtitABDB, die
Aiifihtmia dri piitori des Carito Cksio, welche auch in deutscher ükr-
set/ung erschien, ferner das vom spanischen Anatomen und Maler
Mahtini<;z entwtu-fene Bild der Muskeln des K»)rpers, welchem sich duniU
seine tadellosen Proportionen auszeichnet, die Tafeln von Ekcolb Lkllc
u, a. m. Auch die Ku|der, welche die anat/omischen Schriften von
W, Ch^iseldkn und Dom, SAjrroHiNi zierten, ragk^n durch ihren hohe»
künstlerischen Werth hervor; die letzteren wurden von Mdroaoki (3c
Musterbilder erklärt.
Ein weiterer Fortschritt bestand in der Einführung colorirter Zeich-
* CntitfLAKT: Gwwhielite der anat Abhüdting, Lcipsig 1852, S, 89,
mnigen fftr anatomische Darstellangen; dadurch konnten die Arterien,
Veiien, Nerven und die einzelnen Organe scharfer unterschieden werden.
Zum ersten Male kam dies in den Hcilzschuitten zur Anwendung, mit
freichen i\ Asellt seine Arbeit über die Chylus-Geföi^e ausstattete.
Im Beg^inn des 18. Jahrhunderts machte der Miniatur-Maler J. ChiB.
liB Bu)S <üe ersten Verbuche in gefärbter SchabkuQst; 1721 veröffent^
liebte er das ersfte anatomische Bhitt, das nach diesem Verfahren her-
gestellt worden war. Aber in weiteren Kreisen bekannt und für die
iinatomiBchen Dar^teüyn^en verwerthet wurde die neue Erfindung des
Bii--^ ^'nJ ruckt« er^tt durch Jan Ladmiral, welcher mehrere Ab-
li.ii ; (I der Anatomen B. 8* AfiBiNUB und F, Ruysch mit der-
irtigeii Abbildungen versah, sowie durüh J. F. Gautieb d'Agüty
ikr dabei hauptsächlich anatomische Präparate Düyebnky's als Vorlage
licnutzt'e.
Akbikus hinterliess eine ausführliche Beschreibung der Herstellung
an lier Zeichnungen und gal» dabei beachtenswerUie Rathschlfige,
wi I hier EU vermeiden und welche Kegeln zu berücksichtigen
»ind** Er verwendete, wie er selbst erzahlt, die Summe von 24 000 Gul-
den ans seinem eigenen Vemingen »luf die Anfertigung anatomischer
Tafeln.^ Als Zeichner stand ilim Jan WANOKLiiKR zur Seite. Auch
Hallkb^ welcher eine Sammlung anatumischer Abbildungen veranstal-
tete, und W. HiTNTEii, dem mati die btjste Darstellung des schwangeren
Uterus verdankte, wurden von tüchtigeu Künstlern unterstützt End-
lich gab PiKTKH CAMeER, welcher den Zeichenstift ebenso geschickt zu
^hren verstand als das Secirmessery werthvnlle Autschlüsse über die
lematische Couformation des Kopfes und machte auf die Bedeutung
■b nach ihm gpnannten Gesichtswinkels für die Beurtheilung der
«rei^tigen Begabung der Menschen aufmerksam.
Über die Art. in welcher der anatomische Unterricht eriheilt
le, erhalten wir durch mehrere Bilder der niederländischen Schule,
wif denen hervorragende Arzte jener Zeit dargestellt werden, wie sie,
umgeben von ihren Schüleru oder befreundeten Collegen» über ana-
^mische oder chirurgische Fragen Vorträge halten, eine klare An-
^uung.
ItEM:BiLiNDT*ö berühmtes Gemälde: „Die anatomische Vorlesung",
wdche:;} zu den bedeutendsten Schöpfungen dieses grossen Meist<:!rs ge-
hört, xeigt den Amsterdamer Anatomen Nie, Tflp, der damals zugleicli
' B. S. ALBtNCTB: Aciwi. annotat^ Lugd. Bat* 1754, lUi. T, Prnef, p. 7 ii. ff-,
Via, IK 30. 50.
^ Ajjmnifl s. n. O. Hb. tli. p. 73.
,M_
die Würde des Bärgermeist^rs bekleidete, in dem Augenblick, da]
geineti ärztlichen Collegen eine Lfinh»^ demoustrirt; das Bild beßn
sich gegenwärtig in der kuniglichnn Guilerie im Haag und Ist dn^
(](m Kupferstich sehr bekannt (rewonlon. Auf *nnvm anderen HiWe
l\i!:MitRANi>T den Dr, Dkymann, dfu\ Nachfol^'er Ti'U'^h im U>hr
dargestellt, wie er mich Kntternung des Schädeldaches ein iiehij
pnlparirt.
Ähnliche Gemiiide werden in Amstrerdam und and^^ren Orft
Hollands aufbewahrt; es betinden «ich darunter Werke von A
1*ii:tkhskn, Th, pk Keyskr, Mit'iL Mikkwki.i,, AimrAK Bakkb, Coi
TnutisT uinl T. Hkgtkhs. Sie waren grn^stentheils für die C^hir
Gilde in Amsterdam bestimmt ^ Sie bilden wichtige Ducum<^nti* sowa
für die Geschichte des meditijiischen Unterrichts als für die
Stellung, welche die Ärzte zu jener Zeit in den Niederlanden *'inna
Der anatomische Unterricht l>eschränkte sich nicht mehr, wie
früheren Zeiten^ auf die Demonstration der Organe der grossen KorjK!
hrdik^n, s<mdem unterzog auch die Muskeln, GetTisse und Nerven lunaj
eingehenden Betrachtung.
Auch wurden die Studit^renden veranlasst:, selbst an den iiuatoiai
sehen Arbeiten Theil zu nehmen. ÜAiiLEE hatte als Student in U^dfli
Gelegenheit, unter der Leitung seines Lehrers Albinü» drei Lßld
zu seciren*^ Am College de St. Conie zu Paris wurden i* J. 175tl an
tomische Secirübungen für die Studierenden emgerichteU^ In Wii
führte der geistreiche JtJbBF Baetii die Präparir-Chungeji für diu SU
diej'enden ein. Stoll und P. Fkank entwickelten die Nothwendigksii
da&3 sich die kunttigen Arzte an den Zergliederungen ^^lli^f \u^\]\iä
I igten.*
An den meisten Universitäten üel dem Anatomen zuubM*"ii iii
Aufgabe zu, die pathologischen Veränderungen an der Leiche zu demofl
striren und zu erklären. VVkkIjUuf forderte dies ausdrucklieh in seirioi
Gutachten über die Einrichtung der medicinischen Faculttlt in Gottingpn.
Es geht dies auch aus der Thatsache hervor, dttss die bedeutendöj
Anatomen jener Periode, wie Imncisi, Valsalva, Mougaöni, Likittau
Portal, SAKinFi>uT, J. IIuntee, HajjLeb u. A. zugleich die Gr
lagen der pathologischen Anatomie gezeichnet haben.
' J. B. TiLANüs: Ji^schrijviiig der Sdiildcrijen alTtcmietig van Uvi Chimi
gijnÄgUd te Auiött^rdam, Amsterdam löflö. — P. TniAJHK: L«ö lev^ma da
ot lüÄ peintres Hollmidaiin, Vana 1887.
' VALENTrN a. a. 0, S, 6S,
■ P, FuANK a. a. CX VI, 2. Abtk, S, aai, Anm.
* Frank a. a. O. VI, 2, S. 87.
Ditnudiem, Unterricht in (kn iheweL Fächern^ soum in der An
Uan be^Eüi auch 8choii Sammlungen pathologisch -anatomischer
Präparate anzulegen. Bereits im 17* Jahrhimdürt bewahrte G. Kiva in
Born eine Anzahl derselben auf, die er nh llo^pitalarzt gewonnen hatte.
Später geschah dies häiiüger, Sömmebing be^ass eine reichhaltige
pftlhologisch-anatomische Sammlung, welche auf Brambilla's Veran-
lassung um den Preis von 400 Dukaten für das JoseÜnum in Wien
enrorhen wurde.*
Zum Unterricht in der Heilmittellehre boten die botanischen Gär-
kUf in denen die Arzneipflanzen gezogen wurden, und die Apotheken
Gelegenheit Der Jardin des plantes zu Paris wunle i. J. 1020 auf
^^^illreilien deü konigl. Leibarzte.s Labhoshe angelegt. Gieichzoiüg be-
■ stimmte ein Dekret de,s Königs Ludwig XJÜ-, dass ,,in Anbeü^acht,
das» an den medieinischen iSchulen die pharmaceutischen Operationen
nicht gelehrt werden, drei Doktoren aus der Pari.ser Facultät ausgewählt
vorden, welche den Schülern das Innere der Ptianzen und aller Me<li-
cament^ demonstriren und die Bereitung jeder Art von Arzneien auf
einfiichem und chemischem Wege zeigen sullteu, und das.s in einem
Zimmer Proben sämmtlicher Arzneien und allerlei seltener Naturgegea-
^lande ' -llt würden."^ Für die Erhaltung dieser Anstalt wurde
«ane j.n Summe von 21 OOU Livres ungewie^en. Naturforscher
wie TouRKEFORT, die beiden Jussieu^ Dufay, Daubeijton und vur
iUen BüFFüN, welche hier thätig waren, machten den botanischen
Uairteu zu Paris zu einer europäischen Berühmtheit.
Im Verlauf des IT, und 18. Jahrhunderts w^urdeu ilic meisten
Universitäten mit V>otanischen Gürten ausgestattet> Durch seinen Reich-
thum an ofiücinellen Plianzen zeichnete sich besonders derjenige zu
Cbebsea (London) aus, welchen Sir Haks Sloane l J. I08t] der Lon-
.|llkiier Apotheker-Genossenschaft schenkte.
Botanische Gärten entstanden femer zu ^Imsterdam, Utrecht, Kopen-
hagen und Upsala in der ersten Hälfte des 17, Jahrhunderts, in Oxford
(1632), Edinburg (1G80), Cambridge (1702), Hsirderwyk (17ü9) und
Petersburg (1725). In Deutschland wurdeu die Hochschulen zu Giessen
(l«09), Aitdorf (1026), Jena (1629), Helmstädt (1034), Kiel (1069),
Halle, Tübingen (1675), Wurzburg (10^15), Wittenberg (1711), Ingol-
Rladt (1723), GiitUngen (1737, Frankfurt a. 0. (1744), Wien (1740),
Üreilswald (1765), Prag (1776), Salzburg, Marburg und Kostuck mit
Wi&nischcn Gärten verbunden.
I i?„r. WxojreB: Soerainerings Leben, Leipzig 1844, II, 09.
iiwia und Weil: Die wisiaeiiöolmffliclH'ii Institute 2U Farig, Stuttgart
Auch dienten dem botanischen Unterricht die Sammlunginij
trockneter Pflanzen, sowie di»' liotanischen Bilder-Atlanten, von
manche durch itire Naturtreue übernuschen. ^ Zu dem gleichen Zi
unternahmen die Studierenden mit ihrem Lehrer gemeinsame bot
Ausflüge, welche Herbationen genannt wurden.
Ebenso wie beim botanischen Unterricht wurden auch beim cba
sehen vorzugsweise die Interessen der Phannakologie und Pha
berücksichtigt Es gab in jener Zeit hereiti» an mehreren rnivereitl
Lehrkanzeln der Chemie und chemische Laboratorien, in denen die
Stellung phannaceutischer Pniimnite erlernt werden konnte. Das
halten des Senates der Universität zu Iimsbruck, welcher i, J. 1740 i
Errichtung von Professuren für Botanik und Chemie ablehnte, bil|
siclierlich eine Ausnahme; er begründete dies damit, dass ein gröndtiiji
botanischer Unterricht lt> Jahre erfordere, j,da bei diesem neugierig
mßmdo immer etwas Neues in f>€getab%Hbujt in Vorschein komme", wähl)
eine Lehrkanzel für Oliemie zu viel Geld koste,* Die beste tieleg
zum Uoterricbt in der Chemi»* bol^3n die Apotheken, deren iimexel
richtungen durch H. Peters, welcher in seinem Buche Bilder der 1
apolheki» zu Ua^tadt v. J. 1700, der Sternaf)otheke zu Nürnberg: f\
1710 und der Apotbeke zu lüattau in Böhmen v.J. 1733 ve
lichte^ allgemein bekannt geworden sind.^
Die Aui^biblung der Apotheker gescbfib handwerksmässie."
naiurwissensebatl lieben Kenntnisse, welche von ihnen verlangt wun
waren nicht bedeutend,* So schrieb Fr, Huffmann: ,,Dem Äpotbdffit
soll bekannt s(in, diiss ein Acidum mit einem Aleali ebullieret;
es ist sübon genug, wenn er nur den Meki, weiss, übschon er
Ursache davon nicht sagen kann.**
Den Apotbi^kern liel neben der Bereitung der Arzneien auch dif
_2Aufgabe zu, Klystiere zusammenzusetzen und beizubringen* Diese B^
ßhäftigung war sehr einträglieb zu einer Zeit, da Ludwig XIIL^
einem einzigen Jahre ausser 215 Purganlien 212 Kljstiere zu sich nahm
Ein Kanonikus zu Troyes brachte es binnen zwei Jahren sogar in der
ungltmblicht'n Zahl von 219(*, welche dem Andenken der Nachwelt
aufbewahrt worden ist, weil er sieh weigerte, das dafür gefur
Honorar zu bezahlen, und deshalb verklagt wurde. Die Kljstiere
den Modesache, und die Pariser Damen raunten sich vertraulich
' H. PErrKBS a. ft, 0. S. 67.
* J. Probst: Geschichte der ÜniverHitÄt ixi Intiabruck, Iniisbnick 1809.J
* H. Peter» a. a, 0. S. 7H u. ff.
* F». IIopfmakn: Medicus politicus, Lugd. Batav. 174ß, II, 2, c 16«
dasi das Geheimnii^ der Ninon de TEnclos, durch welches sie sich ihre
rielbewunderte Schönheit bis ins htjhe Alter erhielt, lediglich auf dem
MereD Gebrauche dieses Mittel lioruht«,^
Der klinische Unterricht im 17. und 18. Jahrhundert
Die groKsre EiTunfren>ichaft, welche der medicinisehe Unterricht
dieser Periode verdankte, bestand darin, das« die khniscbe Unterweisung
iD den meisten Uni\^ersitäten eingeführt und in den Studienplan der-
selben anfi^enominen wurd»% Die rrsten Versuche, welche damit, wie
enmhnt im 10. Jahrhundert zu Padua angestellt worden, hatten keinen
dauemde^i Erfolg und übten aoch keinen sichtbaren Eiolhiss aus auf
andere HuchsehnleD.
Der Universit^lt Leyden gebührt das Verdienst, den klinischen
Unterricht zu einer bleibenden Einrichtung gemacht und durch ihre
Schuler auch nach andern Orten verpflunzt zu haben. Die Professoren
<)tto vak Heitkne und Ew. ScfmEVELiuH erdlfneten denselben um das
Jahr 1030 im KrankenhaiLse zu Leyden.
Dabei wurde die Methode eingeschlagen, dass die Studierenden
zanilcb^t. den Kranken über sein Leiden examinirten und untersuchten,
iäSR hierauf ein Jeder derselljen seine Ansicht über das We^en, die Ur-
lieo, Symptome, Prognosis und Behandlung der Krankheit äusserte,
"Art der Professur zuletz;t die richtige bestätigte^ die liilsche widerlegte
und die nothwendigen ErkL-irungen dazu abgaK Aber dieses Vertahren
Bei den Studenten nicht, weil sie dabei Getahr liefen, durch Fragen,
f m nicht !)e4intworten konnten, blosgestellt zu werden, und 0. v.Heürne
sb «ich daher zu seinem Bedauoni leranlasstj da^sselbe aufzugeben, statt
diesen selbst die Krankenuntersuchung vorzunehmen und daran seine
Anleitung zur Behandlung zu knüpfen.
Die Patient-en, welche im Hospital starben, wurden secirt, um über
die Ursache und den Sitz der Krankheiten Sicherheit zu gewinnen-
Auch gehörte zu diesem Ho:^pital eine Apotheke, in w^elcher die Studieren-
den die Bereitung der Arzneien sehen und lernen konnten.^
Im J. 1648 alKJmahm Albert Kypek aus Königsberg in Preussen,
dem wir diese Nachrichten verdanken, die Leitung der Klinik zu Leyden.
^ P^iLiv^vm ti. a. 0, 8. 131 u. ff.
* Alb. KtTx» a. a, 0. p. 118 u. ff., 256 u^ f«
Ihm fül^ schon nai^h wenigen Jahren Fhanä hb lk Boß {^rv9
welclien sein College Lucas Rchaoht in seiner klinischen Wirksau
geschildert hat. ^ „Wenn er mit t^einen Schülern zum Kranken kS
unj den Unterricht be^^ninn, so schien er über die Ursache und
seines Leidens, die Kninkheitserscheinungen nod die Beb;indlnrjg
ständig im Unklaren zn sein und äusserte sieh Anfangs trar nicht!
den Knuikbeitslsdl; er fing nun an, durch Fnigen, die er bald an dit
bald an jenen der Zuhörer richtete» Alle« herau^^^zufischen (e.
und vereiniijrte die auf liiese Weise ormittelten ITiatsachon m eifl
Krankheitsbibie, so dastt die Studierenden den Eindruck eniplingen,
ob sie die Üiafjnose nicht von ihm erfahren, snndem seU»st üub:efmid<Hk
hatten.** Vnt*'t seiner 1/eittin^^ erlangte die Klinik in Levderi cqfl
Hidrhen Huf, d:iss Studierende und Arzte aus Ungarn, Hu>Lsbind, PoWf
Deut^t'bhuul, Hiinemark, Schweden, aus der Schweiz, Italien, t'rankn^ict
und England, also fast aus allen Ländern Europas^ dorthin kamenj
SoHAOMT erzfihlt.
Die Leydener Klinik behaupt^t^ hmge Zeit den emUm liang
allen derartigen Anstalten. Boebhaavk, welcher bi« 17S8 an derSp
denselben stand» war in der ganzen WcH bekannt und zählte m täch
Schülern ÜAiiiiEir, G. van Swieten, A* uk Hakn, Pkinule, H. IKtJuii,
KrBEiKo Sakchez u. A., welche das 18. Jahrhundert mit ihrem Ruhm
erfüllten.
Auch an aiulern Hochschulen Hollands, des8en Krankenhiluaerj
Augenzeugen sehr gelobt wurden,* wurde klinischer Unterricht arth
In Utrecht lehrte Wtlh. xas dku Straten, dessen Methode, die StudiofäS
den zur Krkenutniss der Krankheiten anzuleiteti, den uneingesch
Beifall Kypeks fami'^
Im Hospital von S. Spirito zu lUnn wurde auf Lancim's'
lassung im J* 1715 eine klinische Lebranötalt errichtet. Die Univet
zu Edinburg erhielt 1738 ein Spital, welches seit 1740 zum klin
Unterricht benutzt wurde.*
In l*ans wurde im J, 1G44 die polikliniHche UnlerweiHung, w|
dort seit Jahrhunderten bestund, dem Lehrplane der medicinij
Facultät einverleibt. Den Änhiss dazu gab, wie es scheint^ Treovi
Kenaudut.
Dieser geistvolle und onfcmehmende Mann^ welcher das erste
haus und das erste Adresshureau in l'aris gründete und die erste Zeit
* Onitio funebriB in obititm F. i>k le Bol Bvlvii in Sri.VTt upera mt
Amfltelod. 1680, p. 9HI uiiJ Xkubert a. a. 0. l8Sa, II, t62.
* VergL Tmolulk a. a. O. I, 2, 8. 205, ■ Erpsa a. a. 0. p. 256.
* A, Grant a. a. 0.
Dtr klmische Unterricht im 17. wnd 18, JahrfiufuferL
343
i'ldii' III iritnkreich erschien, nämlich die Oaxette de France, redigrirte,
-^rhüf im Verein mit andern äntlichen (Kollegen auch ein ambulato-
risch»n« Institut, in welchnm arnn' Kninke unentgeltlich l>ehandelfc
warrleö. Von der mediciriischen Facult^t, mit der er in beständiger
fVhde lebte, weil er sich dem Zunftgeist derselben nicht fügen wollte,
erfuhr er doshfüb viele Anfeindungen, Als sein Grmner, der mfjchtige
f>r»linal Riclielieu, gest-orbon war, setzte sie es sogar durch, dass die
Poliklinik Kenaudot's^ welche der ärmeren Bevölkerung eine Wohlthat
gi*wes**n war, geschlo*?sen wnnle.^
Dafür übernahm die medicdnische Facultät nun die Pflicht, selbst
Hne derartige Anstalt zu erhalten. Es wurde daher angeoninet, dass
fi Doktoren, und zwar 3 alte und ^^ junge, damit beauftragt würden,
zweimal wöchentlich in der Ecole de medecine unentgeltlich ambulante
Kranke zu untersuchen und ihnen Arzneimittel zu verabreichen. Die
chirurgischen Operationen sollten sie entweder selbst vornehmen oder
Jureh einen tüchtigen Chirurgen ausführen lassen. In schwierigen
Fällen mujssten sie einander zu Rath ziehen; auch wurde dem Dekan
der Facultät befohlen, dabei oft anwesend zu sein.
Arme Kranke, welche wegen ihres Zustandes nicht zur Consul-
Ution kommen konnten, wurden in ihrf^n Wohnungen besucht und
iment^reltlich behandelt. Die Haocalaureen, also die ält^^^ren Studierenden
fjrr Mc<Ucin, wurden verpHichtet, den poliklinischen Consultationen bei-
zuwohnen; sie wurden dabei zugleich be^ichaftigt, indem sie die Becepte,
welche die Doktoren diktirten, niederschrieben und andere Dienst-
lebtungen verrichteten. Ebenso sollten siu an den arztlicben Besuchen
im Hütfl Dieu oder einem andern Hospitale Theil nehmen,- Diese
|>oiikiimschen Studien dauerten zwei Jahre, Erst am Ende des 18. Jahr-
hunderts wurden in Paris stationäre Kliniken eingerichtet.
Auch in Deut.schland entstanden die ersten Kliniken nicht vor der
Mitk^ des vorigen Jahrhunderts. Allerdings beantragte Weklhof bei
der Gründung di^r Univci-sitat Göttingen die Errichtung eintr damit
verbumlenen Klinik, aber vergeblich. Ähnlieh erging es der medi-
oiiiischon Facultät zu Wien im J. 1718.
Auch F. IliU'TMANN in Halle betonte, dass durch den Besuch
nietlicinischer Vorlesungen allein Niemand zum Arzt ausgebildet werde,
sntideni daas da^u die klinische Unterweisung gehöre.^ Die Über-
zeugung, dasts die Klinik für den medicinischen Unterricht noth wendig
* ChLL» M LA ToLTttETTK: Theophraste R<4naiidot, Paiis 1884.
• fUieo« a. a. ö, — Sabatte» a, a. 0.
■ F. Ha^rFKAivii: Mediciw pidiriciui, Halle 1746, I, 1, 6,
344
Dm- medieiniseliß Unierrichi in der Neuzail.
sei, war also aUgemein; aber die Ohmnaobt der Professoren der Heil,
kimdc, die Gleichgultii,^koit der Behörden und vor Allem der Mangd
an Geldmitteln try^^^en Schuld, liass die Verwirklichung der rlafür
forderlichen Ans^tidten stet^ auf siiütert^ Zeiten verschoben wurde,
Wien war die erste denUche Universitätj welche eine Klinik
hitdL Auf Gkkhard van Swiktknjs Veranliissung wurde im J, IT
im sogen, liürgerspital eine klinische Al>theilung eingerichtet, wel
aus 6 Betten für Männer und 6 Betten filr Weiber bestand; d(
wurde dem Vni-stiinde tlersellien das Recht eingeräumt^ Enuike m»
übrigen Abtbeilurigen dieser Anstalt, sowie auis dem Dreifaltigkeä
Hospitale, wenn es im Interesse des Unterrichts lag, in die Klinik
legen zu lassen.
Zur Leitung dersellxm wurde der Ninderlauder A. db Haäm
rufen, welcher sie vollständig nach dem Vorbilde der Lejdener
orjranisirte. „Tilglich erschien er in früher Morgenstunde im Hjiital um
untersuchte die Kriiuken, um sich von den etwaigen Verändurunp
in ihrem Zusümde m unterrichten. Um 8 Uhr begann die tOioik,
welcher die Kranken unter seiner Leitung von den Studierenden tinti
sucht und behandelt wurden. Er befolgte dabei eine sehr empteblei
werthe Lehrmethode; jeder seiner Schüler musste ihm das Re^uli
seiner Untersuchung leise ins Ohr ihlstern, und de ÜAßx theilt^
Schluss mit lauter Stimme die richtige Diagnosis mit, sü dass mch Ui
jenigen, welche sich geirrt hatten^ davon iiberzeugen konnten, ohne i
sie einer Beschämung ausgesetzt waren.
Nach der Klinik begann die ärztliche Ordination für jene Kran!
welche nicht im Spital verpüegt wurden. Auch die.ser wohüteu
Studierenden bei. Hier sowohl, wie in der Klinik wurde über je
1^1 .niöY. i\np]i geführt und dessen lA^idensges^chichte neb?t den
(i rdnungen eingetragen. Wenn Patienten in der Klii
sluriien, »o wurde von de Habn in Gegenwart der Studierenden
c^b#^\.„ r,.,,,.,...K» jjj^ Ergebniss derselben mit der währeud «ies Vi
rt gestellten Diagnose verglichen und der Werth
'blagenen iiehandlung besprochen/**
■Tirlete den Kuhm der Wiener Klinik. Sein Nac
io!.t, vermehrte denselben durch seine gn^fm
erende und Ärzte aus allen Landern
.,ein6 Stufe der Vollkommenheit, au
u Herrn Grafen von V., Frankfurt a/M.
uscoifAKN: Die Mediän in Wien währeud |
, S. 17.
lingt ak ein Vorbild iiUer klinisclien iSchulen autgestellt werden
4^1
Die Akademie der Wisseni^chalten zu Paris lejs'te dem Könige
Iwig XVI. von Frankreich den Plun vor, dort eine Klinik nach dem
llMter der vun Stull geleiteten Leliranstiilt zu errichten,* Für die
vüniken, welche in den ührijifen Provinzen Österreichs, .sowie in DeuUsch-
^d entstanden, war die Einriclitong der Wiener massgebend.
Prag erhielt 1769 eine Klinik, welche unter Plencicz im X 1778
^ 8 aaf 50 Betten vermehrt wurde und daneben das unbedingte
Pmt besass, Kranke, welche für den Unterricht erwünscht waren, aus
den übrigen Abtheilungen de.s Krankenhauses zu fordern.^ In Pavia
führte Boß.siEui 17 TU den klinischen Untemcht ein; io JModena nahm
er 1774 seinen Anfang.
kln Wfirzburg wurden die Studierenden der Medicin «chon seit
fr Zeit angewiesen, den ärztlichen Besuchen im Julius-Hospitab:
wnhnt'u. Auch wurden dort scliun 172t* unter Bkhingehs Leitung
llimsche Übungen verunstaltet; duch scheinen dieselben später nicht
ft^rtgeKefcjEt wurden zu sein oder nur zeitweise stattgefunden zu haben,*
»in der Htudienordnnng vun 1749 wiederum darauf hingewiesen
den musste, wie notliwendig es zur Vollständigkeit der ärztlichen
long gehöre, dass die Professoren die Studierenden und jungen Ärzte
die Hospitäler und zu den Kranken ihrer Privat praxis mitnehmen
tmd dort mit der Krankenbehandlung bekannt machen.
Ein regelmässiger systematischer klinischer Unterricht wurde in
zburg erst 1709 eingeführt. Auch in Sirassburg kanu'U seit 1738
«den klinische Demimstrationen vor; zu den Besuchern derselben
|Drte bekanntlich auch Goethe, als er 1770 dort studiertre,* Aber
.Becht auf die Benutzung des Lehrmaterials im dortigen Bürger-
wurile der Strassburger Klinik erst viel später eingeräumt,**
Göttingen wurde 1764 durch E. A. Vogel mit einem Cullegium
^mun ausgestattet, an dessen Stelle im J. 1781 eine statioufire Klinik
In Halle begann Johann Ji-nckkr klinische Übungen abzuhalten;
wurde eine zum Universitäts-Unterricht gehörige st^ationäre Klinik
' J. F. C. HßCK£R: Geschichte der neueren Heilkunde, Berlin 183^» S. bOi\.
* M. Stoll; CbiT die Emrifhtun^ rler Ötli^nt Hellen Krankenhäuser, W^icn
8. 28.
• Sebald: Geschichte der medieinisch-praktiöchen Schule zu Prag, Prag 1796.
^. N. Thouakw; Auuales institati medieo-cliuici Wirceb., Vol, I, p. 24,
1799.
* Alis meinem Leben in Gokthe's Werken, Leipzig 1870, IV, 167,
• F. Wu»K& a. a, 0. S. 113 u. ff.
346 Der medichmche UnterricM in der Neuzeit,
dort erst 1810 errichtet.^ Erlangen erhielt 1779, Altdorf 1786, Kiel 1788,
Jena 1791, Tübingen 1793, Leipzig 1798 eine Klinik.«
An den meisten übrigen IFniversi täten beschränkte man sich auf
poliklinische Anstalten oder suchte die Studierenden zum Besuch der
Spitaler anzuregen, damit sie Gelegenheit hatten. Kranke zu beobachten.
Auch in andern Ländern musste man sich mit dieser Lehrmethode be-
gnügen, wenn ein eigentlicher, mit Vortragen am Krankenbett ver-
bundener klinischer Unterricht fehlte.
Eine wohlthätige Ergänzung erfuhr die praktische Ausbildung in
der Heilkunst durch die sehr verbreitete Sitte, dass ältere Studierende
oder junge Ärzte längere Zeit als Praktikanten in einem Krankenhause
wirkten und dort von den leitenden Ärzten mit den Anforderungen
der Praxis vertraut gemacht wurden. In Frankreich und England, wo
diese Einrichtung noch heut besteht, nahmen viele HospitÄl-Ärzte Schüler
an, welche für die praktische Unterweisung, die ihnen zu Theil wurde,
ein bestimmtes Lehrgeld entrichteten. Wie J. Hunczovsky berichtet,
l)ot sich dazu die Gelegenheit im St. Barfcholomews-Hospital in London,
im Matrosen-Spital zu Portsmouth, sowie im Hotel Dieu in Paris und
zu Ronen. ^
In Italien scheinen ähnliche Verhältnisse bestanden zu haben.
Lanoisi trat, nachdem er die medicinischen Studien absolvirt hatte, in
das Hospital S. Spirito in Rom ein, um sich durch mehrere Jahre für
die ärztliche Praxis vorzubereiten.* Er empfahl den Studierenden der
Heilkunde, viele Kranke zu beobachten und Hospitäler zu besuchen,
und rieth ihnen, mehrere Jahre auf dieses Studium zu verwenden.*
Auch im Dreifaltigkeitsspitale in Wien fanden stets eine Anzahl
von Studierenden der Heilkunde als Praktikanten Aufiiahme.® Im
städtischen Krankenhause zu Bremen gaben die dort angestellten Ärzte
den Studierenden, welche sich an den Visiten betheiligten, ebenfells
klinischen Unterricht.^
Es unterliegt keinem Zweifel, dass derartige Einrichtungen an
* P. Frank a. a. 0. VI, 2, S. 221.
' G. W. A. Fikentscheb: Geschichte der Universität Erlangen , Nürnberg
1806, II, 104.
' J. Hunczovsky: Medicinisch-chirurgische Beobachtungen auf Reisen durch
England und Frankreich, Wien 1783, S. 7. 62. 84. 162.
* Eus. Sguarius: Vita Laucisi in der Vorrede zu Lancisii opera vera,
Venet. 1739.
* Lanoisi: De recta medicorum studiorum ratione instituenda, Komae 1715.
* Nachrichten von dem Kranken-Spital zur allerheil. Dreifaltigkeit, Wien 1742.
^ Külenkampff: Die Krankenanstalten der Stadt Bremen, ihre Geschichte
und ihr jetziger Zustand, Bremen 1884.
pÄr
Xtar Unieniehi in der Chirurgie^ Augcnlmükunth u. (Jßlfurtithiife, Sil
rieleu Kmnkenbausem bestanden. Die Archive mancher Anstalten
lürft^n darüber wichtiofe Aufschlüsse enthaltt^ii; eine dankenswerthe
i^ttfgahe wilre es, das in dieser Beziehung^ nameotlich für Deutschland,
^...u :,.\^j unyolMündige Material herheiznschatlt'H und zu vervollst4m-
Al>er die angeführten Thatsachen werden g:enügen, um zu be-
weisen, das« die in den medieinischen <f**schichtswerken his zum Über-
rss wiederholte Ansieht, dass vor derGnmdunpr klinischer Lehranstalten
jungen xVrzte ihre fachmannischen lveiintTiis.se lediglich aus Uüehern
imd durch theoretische Vorlesungen erlanp^t hätten, in dieser Allgemein-
heit jedenfiills imrichti[? ist.
Zu diesem Irrthumt? dürfte der Umstand beigetragen haben, daas
der praktische Unterricht am Krankenbett im Allgemeinen ausserhullj
|ta Studienplanes der Universitäten lai^ und hfiutitf erst nach Avt Bc-
■iigfung der Studien und der Doktor- Prumotif/n anlgesucht wurde.
Aöch mag es wohl t>iswcilen vorgekommen st^in, dass junge Doktoren
der Meiiicin im Hochgefühl ihrer ni^uon Würde gewissenlos und ver-
iBes8**n genug waren, die Praxis zu beginnen, bevor sie sich die dazu
erforderliche praktische Befähigung erworben hatten; aber die Meisten
erbnoten di<^ Nothwendigkeit der praktischen Ausbildung nnd l.M*9Ucbten
Hospitäler zu diesem Zweck, wie aus zahlreichen Le)»ensljeschrei-
en und Schriften hervorragender Ärzte jener Zeit deutlich hervorgehU
Der Unterricht in der Chirurgie, Augenheilkunde
und Geburtshilfe.
Nur ein spärlicher IJaum wurde der Chirurgie in dem Lehrplane
der Universitäten zugemessen. Man gJib den Studierenden der M<'dicin
eine allgemeine Cbersicht dieser Disciplin und zeigte ihnen au der
Uiche die wichtigsten Operationen.
ÜAiiLER, welcher neben seineu übrigen Obliegenheiten auch eine
Zeitlang die Lehrkanzel der Chirurgie in Gnttingen versah, konnte sich^
wie er erzählt, niemals entschliessen, an einem lebenden Menschen zu
u[>eriren, obgleich er sich an Leichen sehr geübt hatte. Da die xirzte
cfarnak nicht die Aufgabe hatten, chirurgische Operationen auszuführen,
io konnte dieser theoretische Unterriebt vielleicht genügen^ um ihnen
in Verständniss der Bedeutung der Chirurgie für die innere Medicin
\ Terschaffen; aber er war in keiner Weise ausreichend, um ihnen ein
rtheil über chirurgische Fragen zu gestatten. Wenn man den Ärzten
I
3
348 Der mediciniscJie UnterricfU in der Neuzeit,
das Recht einräumte, die Chirurgen in ihrer Thätigkeit zu beaufsich-
tigen und zu belehren, und den letzteren die Pflicht auferlegte, jene
wegen der Nothwendigkeit und der Art der chirurgischen EingriflFe zu
Bath zu ziehen, so musste dies zu Streitigkeiten fuhren. Der Arzt
wurde dadurch der Gefahr ausgesetzt, sich durch Unwissenheit blos zu
stellen, und der Chirurg sah mit Recht in der Zumuthung, sich einem
Manne unterzuordnen, der wenig oder gar nichts von der Sache ver-
stand, eine unverdiente Kränkung.
F. Hoffmann gab den Ärzten im „Politischen Medicus" den ver-
nünftigen Rath, „sie möchten sich mit den Chirurgen gut stellen, sie
in Gegenwart der Kranken nicht scharf anfahren, sondern modeste
ermahnen, auch nicht mit ihnen disputiren, namentlich nicht über
chirurgische Dinge, weil die Chirurgen ihnen darin an Erfahrung über-
legen seien." Aber bei den meisten Doktoren, besonders denen, welchen
die Erfahrung mangelte, war der Hochmuth grösser als die Klugheit,
und sie sahen mit dünkelhafter Verachtung auf die Chirurgen und die
Chirurgie herab. Der Verfasser des Buches: „Des getreuen Eckharts
unwürdiger Doctor (Augsburg und Leipzig 1698)" schildert diese Ver-
hältnisse (S. 428 u. ff.) und erklärt dabei voll Ärger: „Es ist wohl ein
stoltzes Thier umb einen jungen Doctor, bevoraus wann das Gehirn
mit allerhand Vanitäten und Phantastereien angefüllt ist und sich gar
auf keine Art will ändern noch regieren lassen. Er meinet. Jedermann
müsse ihm weichen und ihm an der Stime ansehen, dass er ein
Doctor sei."
Allerdings hatte die gedrückte sociale Stellung der Wundärzte
zum grossen Theile darin ihren Grund, dass ihre Allgemeinbildung
sehr gering war, und die Trennung zwischen ihnen und den Badern
und Barbierem nicht streng durchgeführt wurde. In Paris kam
i. J. 1655 sogar ihre officielle Vereinigung mit denselben zu Stande;
doch dauerte sie glücklicher Weise nur bis 1699.
Das College de St. Cöme verlor unter diesen Verhältnissen an
Bedeutung und Ansehen. Bessere Zustände traten erst wieder ein, als
es i. J. 1724 den Bemühungen der königlichen Leibchirurgen Mar^-
scHAL und La Peybonte, welche am Hofe grossen Einfluss besassen,
gelang, die Anstellung von fünf Lehrern für Anatomie, theoretische
und praktische Chirurgie, Operationskunst und Geburtshilfe durchzusetzen.
Noch mehr trug zur Hebung des Chirurgenstandes die Gründung
der Academie de Chirurgie zu Paris bei, welche 1743 die königliche
Bestätigung erhielt. Sie bildete fortan den Mittelpunkt aller bedeu-
tenden Vertreter der Chirurgie, und zwar nicht blos in Frankreich,
sondern zählte auch viele bervprragende Wundarzte des Auslandes zq
ihren Mltftiedem. Durch Preisanfjsraben über chirurgigchi> Fra^eiu
welch»* alljährlich gestellt wurden, durch materielle Unk^rstützuugen,
die (kn Foischern «u Theil wurden, und durch die Herausgabe ihrer
Memoiren, in denen worthvoUe Beobachtungen und Krfiihrun^fm Ter-
iWentücht wurden, förderte i^ie die Entwickelnng der rhirurgie und
hefe.stigte die wis^enscbafllichen Grundlagen derselben. Sie wurde der
m ' heu FaculUit im Range gl^i V ' Mt, von ihr n; '• -iTJg
^v\ lind erhielt das Rechte den nki inm Grad eint . u-rs
der Chirurgie zu verleihen; doch wurde bestimmt^ dass Niemand den-
i1>en erlangen solle, der nicht die Würde eines Magisters der Philo-
phi« hmtzk}. Auch trat die Akademie de Chirurgie zum t-ollege de
8t C6me in Beziehungen^ indem mehrere hervorragende Mitglieder der
efsteren als Lehrer am letzti'ren wirkten.
Im J. 175U wurde angeordnet, dass der I^hrcursus tur die Chi-
welche im College de Stv C6me studierten, drei Jahre dauere;
^nch wurden praktische Übungen in der Anat^omie und Operationskunst
ageföhrt,* Die medicmische Facultüt verlor ihren EinÜu.^ auf die
Ziehung der Chirurgen nahezu vollständig und war nur noch bei
irer Promotion zum Mai:ii>teriam vertreten. Sie bekämpfte zwar die
Kmancipation dc»s Chirurgenstande-S mit allen Mitteln, suchte durch
hi&ilori^>che Aaseinander8et2ungen und durch Gutachten der me^Jicinlschen
Facultäten zu Grittingen und Halle den Beweis zu luhren, dass die
Unterordnung desselben unter die Ärzte sowohl zu allen Zeiten bestanden
habe^ als nolhwendig und in der Natur der Sache begründet sei, und
lereiieg sich sogar zu der absurden Bf^hauptiing, daÄ? der Besitz einer
gr^^söeren Allgemeinbildung den Wundärzten Schaden bringe; aber Allels
war vergeblich. Die Chirurgen behaupteten die Selbstständigkeit, um
«eiche sie Jahrhunderte hindurch gerungen hatten, und ihre Leistungen
^?igt^tii, das« sie dersellien würdig waren.
An der chirurgischen Hochschule zu Paris empting nur die Elite
der Wnndärzt4! ihre fachwissenschaftliche Ausbildung; die meisten
lernten die Chirurgie gleich einem Handwerk bei einem Meister und
erwarben sich als Gesellen und chirurgische Praktikanten in den
Krankenhäusern die erforderliche Übung und Gewandtheit Es vrurde
liadimmt, dass kein Meister mehr als einen Lehrling halte, damit er
&ich mit dem Untenicht desselben genügend beschäftigen konnte. In
Stallten, in denen mehrere ( 'hirurgen ihre Thätigkeit ausübten, bildeten
sie Vereinigungen, versahen abwinshselnd den Dienst in den Spitälern
' V, FuxsK ft. a. 0. VI» t, & 831, Anin.» ou les elei?es feront «lAT-fnta«! Um
350
Dm' madiämMu^ Unterricht in d&t Neuzeil.
und unterstützten den Unterricht ihrer Schüler durch Vorträge m
praktische Demon^irfitionen aus der Anatomie und Chirurgie, l
UQghiu des Jahres scjii^^kte je<li* chinir^rische Zunft ein Veneichni
säiiimtlicher Meister derselben an den knnitrlichen Leibchinirjjen, welchi
an der Spitze aller Wundärzte Frankreichs stand,*
In En^dund ond Hullurnl hij: i\m höhere chiruri^dnche Unterrichl
wesen volkstäiidig in den Händen der Chirurgen -Gilden, weh^lie »lüi
schon sehr früh uls geschlossene Corpuratiünen mit bestimmten Hecht
auftraten. Eine Einrichtung van kurzer Dauer war es, aln Croaiwel
l J. 1656 daü Tollej^e uf Physicians in Eilinbnr^' ermächtigte, die Cl
nirgie auszuüben, weil die letztere ja ei^eutlich einTheil der Mediciii sei,^
Die Chiriirt^^en-denossenschaften zu London, Edinburgh DuIjüi
Arasterdani^ im Haa^,' u, a, 0, richteten Unterrichtscui-se für die Sil
dierendeu der ('hirurt^ie ein und sorgten dalür» dass sie Hjch in d
Anatomie und ( ■hlriirgic praktisch ausbilden konnten. John Kay wuh
schon unter Heinrich VI IL nach London berufen, um die Chirur^i
in der Arisführung von Scktiunen zu unterrichtend Welche iSurgfal
die huUiuidiachen Wundar/te den anatomischen Zergliederungen wi4-j
meten, zeigen die schon erwähnten Bilder der niederländischen Mali
In clor Privatpraxis ihres Lehrers und im Spitablit^nste erhielten
Schüler Öelegonheit, Kranke 7m lieobachttj-n und chirurgische Operationen
zu sehen.
Die dcut.schen ('hirurgen befanden sich im AUgemeinen auf im
Standpunkte des Barbierers; nur Wenige ragten darüber hervor und
waren einer wissenscbal'tlichen Betnichtung der Wundarzneikunst iTihig.
Wer diesen Lebenslicruf ergrilT,^ lernte zunächst bei einem ilcislt^r dift
Kunst, zu rasii'en und Haare zu schneiden, Pflaster zu streidieo^
schröpfen und zur Ader zu lassen. Spater wurde ihm gezeigt., m
AVunden und (jeschwiirc t»chandelt, Verrenkungen eingerichtet
Knochenbrüche geheilt werden. An grossere chirurgische Operiitiüß«i<
wagten sich nur solche t'hirurgen, welche in di^r Schule der Erfahrung
gereift waren, oder Specialis ten, die sich auf einem streng umgrenztei
Gebiet« eine hervorragende Geschicklichkeit erworben hatten.
Dem Stadrwundarzt in Zürich wurde LA, 1710 befohlen, JUD]
('hirurgen zu den Operationen, welche er unternahm, beizuziehen^ „daniÄ
sie den Anlass halien mögen, in solchen Kuren mehrere Wissenscball
* ö. FjÄCimii: Chirurgie vor limadort Jahren, Loipzig 1876, S. 254 u. flf. i
• Historiwü aketech of the K, College of Pbysidani of Bklinbiirgh, Ediu
bargh 1882.
A. CoRiiAm tt. &. O. »er, 11, vol. VI^ p, 638.
O. BuciiNBic Aus Gica0eti0 Vorgaugenhcit, Qteeaeii 1885, 8, 27
Der Unterricht in der Chinirgi^, Atigenh-eilkufide u, GehuHshüfe. 351
zu erlangen." ^ In Würzburg wurde der Oberchirurg am Julius-Hospital
ij. 1725 beauftragt, Unterricht in seiner Kunst am Krankenbett zu
ertheilen.
In der Schrift: „Des getreuen Eckharts verwegener Chirurgus
(Augsburg 1698)" wurde den Studierenden der Chirurgie empfohlen,
tüchtig Anatomie zu treiben, und zwar, falls es an menschlichen Leichen
fehle, an thierischen Cadavem; denn wenn sich gelehrte Doktoren nicht
scheuen, daran zu studieren, so „würde es einem naseweisen Barbier-
oder Badergesellen an seiner Ehre auch nicht schaden." Ferner wurde
ihnen der Rath ertheilt, nach der Lehrzeit Hospitäler zu besuchen und
den Operationen beizuwohnen, welche berühmte Chirurgen vornahmen.
Auf ihre gesellschaftliche Bildung werfen die übrigen Ermahnungen,
die ihnen ertheilt werden, ein bezeichnendes Licht. So heisst es: „Er
soll nicht auf den Bierbänken von seinen Kuren plaudern, den Kranken
nicht wie die Sau den Bettelsack anfahren und mit ihm tyrannisch und
nach seiner Wuth umspringen. Er soll nicht 12 Thaler fordern, wo
er nur 2 Thaler verdient. Nicht blindlings darf er darauf losschneiden;
denn es ist Menschenileisch und kein abgeschlachtetes Rindfleisch oder
Schweinefleisch; die Haut wird gar theuer angeschrieben. Auch soll
er in gefahrlichen Umständen die Medicos und andere Mit-Meister zu
Rath ziehen."* Auch M. G. Pübmann klagte darüber, dass die Chi-
rurgen, um sich gegenseitig ihre Patienten abzuschwatzen, „Kiinke und
falsche Tücke mit der Scheererei" verübten.^
Auf eine höhere Stufe gelangten die Chirurgen in Deutschland,
als man anfing, Lehranstalten zu ihrer Ausbildung zu errichten. Sie
waren zunächst dazu bestimmt, das für das Militär erforderliche Heil-
personal heranzubilden; aber das Bedürfniss nach Ärzten führte bald
dazu, dass auch Zöglinge aus dem Civilstande aufgenommen wurden.
Im J. 1716 wurde eine derartige Anstalt in Hannover gestiftt^t.
Berlin erhielt 1713 ein Tlientrum anatoniiaim, welches den Anfang der
für den Unterricht von Militärärzten und Medico-Chirurgen bestimmten
Lehranstalt bildete, die 1724 eröflnet wurde und mit dem Charite-
Krankenhause, dessen Gründung wenige Jahre später erfolgte, in Ver-
bindung trat. Den Unterricht ertheilten 6 Professoren und ein De-
monstrator der chirurgischen Operationen; er umfasste nicht blos
Anatomie und Chirurgie, sondern auch Pathologie, ArzneimittiiUehre,
Botanik, Chemie und sogar Mathematik. „Nach dem Beispiele von
^ Mkieb-Ahrens: Geschichte des Zürcherischen Mcdicinalweseiis, Basel 1840.
» G. Fischer a. a. O. S. 33 u. ff.
* G. Purmann: Lorbeerkrantz oder Wundartzney, Frankfurt u. Leipzig 1722.
352 Der medicinische Unterricht in der Neuzeit,
Paris, London und Amsterdam sollte in der Charite allen Medicis und
Chirurgis hinlänglich Gelegenheit gegeben werden, sowohl die inner-
lichen als die äusserlichen Kuren zu sehen und zu begreifen."^
In Dresden wurde 1748 eine militärärztliche Schule errichtet Die
Schüler dieser Anstalten waren befähigte Barbierer, welche bereits län-
gere Zeit als Chirurgen beim Heere Dienste geleistet hatten oder in
Spitälern und in der Privatpraxis thätig gewesen waren, also keineswegs
Anfanger, sondern Leute, welche bereits eine Summe von Erfahrungen
in der Heilkunst besassen. Sie sollten in der chirurgischen Schule eine
wissenschaftliche Fachbildung erhalten, damit sie später hervorragende
Stellungen als Operateure und Lehrer der Chirurgie einnehmen konnten.
Auch die militärärztliche Lehranstalt in Wien, welche 1781 er-
öffnet wurde, hatte Anfangs diese Einrichtung. Diese später nach ihrem
Stifter, dem Kaiser Josef, genannte Schule erhielt 1785 ein neues Lehr-
gebäude, welches mit einem Kostenaufwande von einer Million Gulden
hergestellt wurde; es befanden sich darin die Hörsäle, die Bibliothek,
die wissenschaftlichen Sammlungen und die Wohnungen der Lehrer.
Mit dieser Schule wurde das Militärspital verbunden, welches Raum
für 1200 Personen bot und auch zwei Krankensäle für schwangere
Soldaten weiber, also eine kleine geburtshilfliche Abtheilung enthielt*
Femer wurde in der Nähe der Anstalt ein botanischer Garten angelegt
und ein kleines chemisches Laboratorium eingerichtet
Der Unterrichtscursus dauerte zwei Jahre; zu demselben wurden
30 der geschicktesten Feldärzte commandirt, welche nach der Beendi-
gung dieser Studien zu Regimentschirurgen befordert wurden. Daneben
wurde die Anstalt von Studierenden besucht, welche sich für den chirur-
gischen Beruf erst vorbereiteten.
Den Lehrkörper bildeten Anfangs 5 Professoren, von denen einer
die Anatomie und Physiologie nebst den zum Verständniss derselben
erforderlichen Elementen der Mathematik und Physik, der zweite die
allgemeine Pathologie und Therapie nebst der Hygiene lehren, der
dritte die Instrumenten- und Bandagenlehre vortragen, die chirurgische
Klinik und die Operationsubungen leiten und Geburtshilfe und gericht-
liche Medicin vertreten, der vierte Vorlesungen über innere Medicin
halten und die Klinik der inneren Krankheiten leiten, und der fünfte
Botanik, Chemie und Arzneimittellehre vortragen und den botanischen
Garten beaufsichtigen sollte; ausserdem wurde ein Prosector angestellt,
^ A. Guttstadt: Die naturwissenschaftlichen und medicinischen Staats-
anstalten Berlins, Berlin 1886, S. 344.
' deLuoa: Wiens gegenwärtiger Zustand unter Josephs Regierung, Wien 1787.
Dir önierricfä t» «f-ßr Vhimr^, Aug^nfieükuttde w. Gehtirishilfe, 353
'r^.|r>ier die für den Unterricht erforderlichen anatomischen Präparate
'•\i^n ttnrt die Sektionen der Kranken, welche im Militän^pital
stUrhen, roraebmen musst-e.* Zur Richtschnur beim rnterricht sollten
jdt« Worte des Kaisers dienen: ,,Meine Ahsicht geht ki^itieswegs dahin^
S55 den Chinir^^n^ die hier formirt werden sulleii, nur die Oberflfidie
Ton einer jeden der angegebenen Wissenschaften beigebracht und sie
Mos mit der Kenntnis^ der Kunstwörter und einer übereilten und
seichlen Lehre von hier abgefertigt werden, loh will vielmehr, dass
m ihre Kenntnisse grfiiKÜieh fassen und mit solchen versehen zu den
Regimentern zurückkehren/*»
Mit der Anstalt wurde eine Akademie verbunden, welche nach dem
Muster der Academie <ie Chirurgie in Paris organisirt war, rreisauf-
%hi*n für die Losung chirurgischer Fragen ausschrieb und tlie Arbeiten
Veröffentlichung bnichte.* 8ie erhielt die Hechte und Khren einer
Universität und durfte fiw Grade eines Magisters und Doktors der t^hi-
io v^'rbMhen. Die gebildeten Chirurgen wurden dadurch den Ver-
*ni der inneren Medicin in der socialen Kangordnung gleichgestellt.
Vernünftige, vorurtheiislose Ärzte begrüssten die^e Einrichtungen
^it Begoistertnig als den ersten S^chritt zu der ersehnten Wiederver-
einigung d(^r Chirurgie mit der internen Medicin. Pnif. Aun. Richter
in Gdttingen gab den Erwartungen, die mau daran knüpfte» in den
Warfen Ausdruek: „Ganz Deutschland nimmt gewiss Aniheil an der
re dieser Akailemie, an dem glücklichen Forfgange ihrer iJemühungen,
der Wahl ihrer Mitglieder; denn diese sind es, von denen nun die
liinirgie Deutschlands Leitung, liiehtung und Aufkirmintr erwarten
winl; nach dem glücklichen oder unglückhchen Erfolge ihrer Bemühun-
£fen wird der Aushinder in der Folge den Werth oder Unwerth der
^nzen deutseheu i'hirurgie beurtbeilen; unter ihnen wird man immer
i\K* angesehensU-n Wundär/.te Deutsehlands, in iJiren Akten wird man
jeden wichtige deutsche chirurgische Produkt suchen.*** Diese Huff-
üungen erfüllten sich nur in gt^ringem Ma^isse. Der frühe Tod des
Kaisern Josef IL, an dem die Akademii' einen widilwrdlenden und frei-
^♦•bigen Gönner verlor, die politischen Kreignisse und bestiindigen Krii^ge,
welche den Militärärzten die Müsse zu wissenschaftlichen Arbeiten nah-
Koaii und vor Allem die geringe Entwiekelung und unselbstständige
■ G. Vizztan^LLii Accademia medico-c binir^ica (iiusi*ppinii, Viciina 1837.
• Albirh, Entö^hlicas. v. 3. April ITSl im Archiv des k. k, Krie^^r^uiiniHteximna.
• J. A. V. Brambilla: Verfasaung und StsUutcn der Jim, ined.-cMr. Aka-
Wien 1786, — Ta. Püschmann a. a. O. S. 96 u. ff.
• A. (l, Richter: Chirurgische Bibliothek, Göttiagen 1788, Bd. IX, St. 2,
S. idi.
fvm-MWKjnt^ Üülrnichl 23
Rtollun^ der rleut^hen Chimrgie trogen Scbold, daas die hochgestocktn
Zido iiiclit i^rreirht wurden.
Niicb dem Vorliilde des AViener Josc'ömims entstanden die uiHi-
(nniHt^h-rhirur^nKchen Schulen zu Petersburg (1783) und Kopenha^^en
(1785). hl S|KHiii'n wurde 1748 zu Cadix eine SehriK' zur Ausbildung
von Muriueiirzteii gegrüii(l(*t, welche von einem Direktor und 10 U*lin?ni
geleitet wurdoJ
Ausser<leni wurden im 18. Jahrhundert eine Menj^e von Vt\kt-
riiditsanstiilten «Tricrhtntj in welchen Rarbierer- und Badergt^t^ellen io
einem zweijiiliritjen (nier «Ireijähriijren Lehrcnirsus zu Landärzten und
Chirurgen hcrungehildet wurden. In Osterreicli liihleten diese Schulen
ihmh Ahthoilungen der niedieiniselien P'acultäten oder Lycüen, theili
hescuitlere Anstulfeiu wt*nn sich an dem gleichim Ort kein«» Huchschnli
hrüind. In di*n übrigen deubiehen Ländern entstanden Kolebe Aiij^talten
in Frankfurt a/M,, Hamburg, Kegen^burg, Braun^-hweig, IJrucW,
('elliS Kassel, (Totlui, Dillingen, Zürich u, a, 0.
Um die gleirhe Zeit Itegann man auch an den Umversitaten dem -
praktischen Unterricht in der Chinirgie grössere Beachtung zu schenken. I
Dil» Kliniken, welche damals entstanden, beschränkten sich frHlich zu- "
uM\s{ nur auf die Behandlang der inneren Krankheiten; die clurar-
gim^hen Verrichtungen, welche dabei Tarkamen^ wnrden gewrihnlich m
fdmnn Wundani, diT drm Yoi^tuide der Klinik untergeordnpt war,
htmrgu
Nur in HoIIjuhI eriiieil« die Sliidiersitai der Hedictn Gdes^iH
heJt^ in den 8|iililani den ghimgiauhai Opentioiieii beizuwohneiu
J. J« iUr in UüMen TMiitiH^ifi ekfmpnht Openlionsciixse an kt
hekhK flUr mtMm m «ia HiMnir im 100 MlindiMdim Thalem
VMe dtilBciK Midiimw %«rtiB aeh daftcr, wmm mt pnt«
Halland,
mmmmWmMB.aonmäMMmmmmäjt9mimimmMMims^{l,l^
^Iiiiids berühmtester Lehrer der Chirurgie A. G. Richteb ertheilfce hier
klinischen Unterricht,
Auch die Äugenheilkiuide und die Geburtshilfe, welche im Zeit
rBoERHAXVE's mit den übrigen Vorlesungen, besonders mit der Chirurgie,
rereinigt gelehrt wurden, fanden allmälig im Studienplan grössere Be-
rücksichtigung.
Fninkreich, England und Italien brachten einige tüchtige Augen-
iirzfee hem»r, denen sich erst am Schluss des5 1 8. Jahrhunderts mehrere
?at«ch«? ebenbürtig zur Seit^» stellten. Hervorragende Augen-Operateure
len ähnlich, wie es gegenwärtig mit berühmten Tenoren geschieht,
weiter Ferne benifen, um Vorstellungen in ihrer Kunst zu gehen.
N, X Palücci kam auf G. vak Swteten's Veranlassung nach Wien
und führte in Gegenwart dr^r Studierenden der Meilicin und Chirurgie
im Dreital tigkeits- Hospitale Sttmroperatiunen aus. Zu dem gleichen
Zweck kam später der ältere Wentzel dorthin, unter dessen Anleitung
sich Jos, Babth zum Augenarzt ausbildete.
Die PMolge des letzteren auf iliesera Gebiete bewogen den Kaiser
Josef, ihm den Autitrag zu ertheilen, zwei jimge Arzte in der Augen-
] " 1'* zu unterrichten. Es wurde ihm dafür ein aussenirdentlichcs
[ii 1 von 1000 Gulden ausgesetzt^ welches ihm jedocb erst aus-
Bzalüt werden durfte, nachdem Jene» durch sechs glückliche Cataract-
fOpcniHonen den Beweis ihrer Befähignng geliefert hatten. Seine ersten
rhüler waren sein Prosector EiiKENiiiTTEri, der sebr früh starb, und
Aham Schmidt, denen sich später noch G, J. Bmeu zugesellte, welcher
jürst von Barth als Zinchner beschäfligt wurde, Sie wurden rtie
egründer der Wiener ophthalmologischen Schule, welcher die Welt
Jcine Reihe tüchtiger Augenarzt*^ verdankt
Gleichzeitig begann man auch in Göttingen, Jena, Leipzig u. a 0,
rdie Augenheilkunde in den Bereich des khnischen rnterrichts zu ziehen.
Die Geburtshilfe wurde noch im 17. Jahrhundert nahezu aus-
chlie«slich von Hebamnieo ausgeübt Sie erwarben ihre Kenntnisse in
em Fach durch die persfuihche Unterweisung einer älteren erfahrenen
Btgenossiu und wurden darin von angesehenen Frauen oder von den
Anten der Stadt, in welcher sie sich niederlassen wollten, geprüft. In
^Leipzig leitete die Gemahlin des Bürgermeisters die Examina der
lehammen; aber an den meisten Orten unk^rzogen sich die Ante und
Chirurgen, besonders diejenigen, welche im Communaldienst« angestellt
waren, dieser Aufgabe.
In Folge dessen begannen tlie letzteren auch, den Hebammen
Unterriebt zu ertheilen. Dies war treiüch sehr nothwendig; denn
[G SET AIS DE LA ToüCHE berichtet, dass durch die Unwissenheit der
23*
_,^_
Uebammeo alljährlich eine Anzahl Ton Frauen und Kindern hei i%
Geburt zu Grunde g'ingen; und Fabby von Hildkn erzahlt, Am
linliammf-n vom Bau der weibliclien Geschlechtsorgrane und von <b
Obliej^enhfilen* der Hebamme keine Ahnung hatten,^ Kinzelne hoch
l»eL,^abte Frauen, wie Lcjuisk Bnirrmois, welche die Mariü von iIo<ii(
Gemahlin des Kouit^s Heinrich IV,, entband und die Oeburtshilfe aiiol
literarisch ^"trdi^rle^ maeliten davon eine Ausrnahme.
In Paris erhielten die Hebammen eine systemaÜKche Ausbildun
Im UfM Dieu befiind sich eine Kntbindungsianstalt, in welcher
Hebammen-Schülerinnen von der Ober-Hebamme unterrichtet wurdeii;^
in dieser Stellung wirkte lan^e Zeit die bekannte MAUGUKun^R de u
Mahchk, deren Lehrbndi ffir Helmnimen zu den hegten litemriscbisi
Pividukten jener Z<»it gehurt. Der Lehrcursus währte drei Monaul
wahrend der zweitem Hiiltte de^sselben mus.st*»n die SchüIerinncT) all
Dienste, die bei (jJeburten erforderlich sind, selbst verriehti^n. Nnr in
aussenirdentlicln^n Ffillen wurde der rhirurs der Abtheilung, welcher
zuj^deicli tiolHirtsbolfiT war^ zu Rath gezogen.
Im Allgemeinen weigerten «ich die schwinge reu Frauen, männ-
liche Hilfe anzunehmen, Kine Stut/e gewann die.^r übel angehruchti^
Sfthanibaftigkeit in der Unwissenheit der meisten Ärzt-e und i'birurjji^n,
welche ki'ini' Gelegenheit gidiabt hatt/en, l']rfsihrungen in der Geburt»-
liilfe VM iTwerben* Dir-se Verhältnisse ändrrti'Ti sich *.*rst, als man die
übrrtnebene Prinlrri«* aufgab- m\d männliche* Hilf«» \m den GebiirtcL
in Ansjirtirh nstlim. Die Herzoginnen im la VAU^ifr:RE und ue Mofl
TKsi'AN lind aiidorf Hamen des französischen Hofes machten damit den
Anfang; „ihr Beispiel fand Imld Nachainnung, wie P, DiONi« sclireilil,
und j^ogar die Frauen aus dem Volke f^'klarten, dasn sie die männbchpn
(lebnrtshelier df'U Hebammrn von^iehen wünlen, wenn sie nicht durch
tue hidien Hnficirarfmdernngen dersrtben abgebalten wünlen**,'
Im J. 1720 wurde im Hut^l Dien zu Paris eine Lehranstalt für
Geburt.sbelfer errichtet. Im J* 1743 wurden auch an der chinirgJÄrhen
Schule gyna<'ki>logische rnterrichts-t^unse crölfTiet, und 1754 fühlte sich
«ogar die UK^dicinische Facultat veranbksst^ eine Lelrrkanzel für Geburta
hilfe zu schaden.
Holland besass schon im 17* Jahrhundert ein gi^^ordnete» Hebammen
wesen. Die Frauen, welche sich diesem Berufe widmeten, wurden vl^
' C. J. V. SiEBOLP a. II. ä y, 132 IL AT.
* Bei anderen ficlegunlioitcn war man weit entfernt davon* S. Let
sultatinn» de Mad. de S^vion^ ed. p. P, MENifeRE, PariÄ t864| p. 21 u. ff.
' SrEöOLD JL a, 0. TT, 189. — SrK d. Jüngorc: Vcreueh ebier Ge»ehiclU©
6ebnrtfllnlff% Dmiterhe Übcrj^., Altenburg 1786, S. 99.
Der UnierriclU in der Chirurgie, Augenheilkunde u. Geburtshilfe, 357
Chirurgen, die in der Geburtshilfe geübt und erfahren waren, unter-
richtet und geprüft Zu ihren Lehrern gehörten Männer, wie H. van
BooxHUYSEN, Fb. Ruysch u. A.
In England entstanden während des 18. Jahrhunderts eine Anzahl
von Entbindungsanstalten, welche zum Theil für den geburtshilflichen
Unterricht der Hebammen und Studierenden benutzt wurden. Das auf
J. Leake's Anregung durch Privatwohlthätigkeit im J. 1 765 gegründete
Westminster Lying-in-Hospital zu London bot den jungen Ärzten und
Chirurgen die Gelegenheit, sich in der Geburtshilfe praktisch aus-
rabilden. Ausserdem nahmen mehrere Ärzte, welche Entbindungs-
Institute leiteten, Schüler auf, die sie zu Geburtshelfern heranbildeten.^
An der Universität Edinburg wurde 1726 eine Professur der Geburts-
hilfe gestiftet. In Dublin eröffnete das CoUegium der Ärzte und später
auch dasjenige der Wundärzte Lehrcurse in diesem Fache. Die im
J. 1746 dort errichtete Gebär- Anstalt erlangt« einen grossen Ruf
DeutschlaHd hat im 1 7. Jahrhundert keinen einzigen Geburtshelfer
Ton Bedeutung hervorgebracht; dagegen machten sich einzelne Hebam-
men allgemein bekannt Die „Chur-Brandenburgische HoflF- Wehe-Mutter
Justine Siegemundin, geb. DirTRicHiN", die „Mutter Grete", welche
der Herzogin Dorothea Sibylla zu Brieg gleichsam als „wahre Geheim-
rathin" zur Seite stand, wie Siebold (a. a. 0. II, 207) sagt, und die Auf-
sicht über die „HoQungfern" führte, und die Braunschweigische Stadt-
Hebamme A. Elk. Horenburg verschafften ihrer Kunst durch ihre
Leistungen verdientes Ansehen und trugen durch ihre Schriften zur
Verbreitung und Förderung derselben bei.
Die Geburtshelfer wurden selten zu Rath gezogen. Die Auffassung,
welche manche derselben von ihren Aufgaben hatten, musste die Hilfe
suchenden Frauen mit Furcht und Schrecken erfüllen. Lorenz Heister
erzählt, dass sie „in Wendung und Herausziehung sehr schlecht er-
fahren waren; wenn sie was thun sollten, so kamen sie mit Hakens
und zerrissen auf eine erbärmliche und erschreckliche Weise die Kinder
im Mutterleibe in viele Stücken, die sie, wenn sie behörige Wissen-
schaft davon gehabt hätten, noch sehr oft mit den blossen Händen
wohl hätten bekommen können und dadurch verhin<lem, dass nicht so
oft, wie geschehen, die Gebärmuttor der unglücklichen Frauen mit
ihren Haken nebst den Kindern zugleich wären zerrissen und ums
Üben gebracht worden".^
* C. 6. Baldinoeb^s Medicin. Journal, Göttingen 1787, St. 15.
' LoR. Heister: Mcdicinische, clürurgiachc und anatomische Wuhmelimungen,
Rortock 1753, Vorrede.
358 Der medicinische Unterricht in der Neuzeit,
Der Dr. Deisch, welcher in Augsburg seinen „Würgungskreis*
hatte, wurde vom Volk der „Kinder- und Weiber-Metzger*' genannt
„er perforirte und zerstückelte die Kinder ohne Unterlass, sie mochtei
noch am Leben sein oder nicht, und schnitt ihnen die Hälse durch
Hatte er die Wendung unternommen, so war er erstaunt, wenn das
Kind lebend zur Welt kam". Im J. 1763 gebrauchte er unter 61 Ge-
burten 29 Mal scharfe Instrumente, wobei 10 Gebärende zu Grunde
gingen. Sein College Mittelhäüsbr, welcher als Physicus zu Weissen-
fels in Sachsen eine ähnliche Thätigkeit verübte, betrachtete es ah
einen besonderen Erfolg, dass ihm von zehn Frauen, die er entband
nur zwei starben.^
An anderen Orten scheint es zuweilen nicht viel besser gewesen
zu sein; Niohols köstliche Satyre: The petition of the unbom babies
(London 1751), in welcher sich dieselben über die schlechte Behandlung
beklagten, die sie von Seiten der Geburtshelfer erfuhren, sowie die
Figur des Dr. Slop, des mit seinen Instrumenten kampfbereiten Ge-
burtshelfers in L. StEBNE's Tristbam Shandy, waren sicherlich mehi
als blosse Phantasien des Dichters.
Es war begreiflich, dass sich der allgemeine Unwille gegen diese
Art von Geburtshilfe erhob. Die Fortschritte, welche diese Wissen-
Schaft im 18. Jahrhundert machte, brachten eine richtigere Erkenntnis^
des Waltens der Natur beim Gebär-Akt und humanere Anschauungen
über die KoUe, welche dabei der Kunst des Geburtshelfers zufällt, zui
Geltung.
Einen bemerkenswerthen Antheil an diesem wohlthätigen Um-
schwünge hatte die Einführung eines geordneten geburtshilflichen Unter-
richts an den Universitäten und die Vermehrung der Entbindungs-
Anstalten. Neben den theoretischen Vorlesungen über Geburtshilfe-,
welche an den meisten Hochschulen in Verbindung mit den chirur-
gischen gehalten wurden, begann man auch mit der praktischen Unter-
weisung der Studierenden.
Strassburg ging darin allen übrigen deutschen Universitäten voran;
im J. 1728 wurde in der dortigen P^ntbindungsanstalt, welche schon
seit langer Zeit zum Hebammenunterricht verwendet wurde, eine Schule
für Geburtshelfer eingerichtet* Sie stand unter Fbikd's Leitung und
wurde, wie Osiakdeb sagt, die Mutterschule aller andern Institute
dieser Art in Deutschland. Die Schüler übten die geburtshilflichen
Griffe zuerst am Phantom, imtersuchten femer die Schwangeren und
überwachten die Geburten. Das Honorar, welches sie dem Lehrer fdi
1 Siebold a. a. 0. II, 426 u. fF. * Wibqeb a. a. 0. S. 100 u. ff.
I wek
ffteiti
diesen ünterricfat zahlen nmssten, w&r ziemlicli hoch; es betrog an-
g«fahr 100 Thaler.
Aus dieser Schule gingen mehrere der bedeutendsten Gelmrts-
belfer dos vorigen Jahrhunderts hervor, unter ihnen J, G. Ruebekek,
welcher 1751 als Professor der Geburtshilfe und Direktor der neu er-
teten Entbindungsanstalt nach Gottini^en benifen wurde, Gleich-
tig wurde in der Berliner Charite eine geburtshilfliche Schule er-
öffnet Im J, 1786 gab es im Köoigreiche Preussen ohne die Provinz
Schlesien bereit« 14 Lehrer dieser DiscipUn. Ebenso entstanden in den
übrigen deutscheu Ländern derartijje Anstalten, in welchen Hebammen
und Studierende in der Geliurtshilfe llnterriehi emptingen, 2, B. in
Wurzbarg (1 739), Kopenhagen (1 7tȟ), Kassel (170H), Braunschweig (17 G8),
Karl!*rnhe, Dresden (1774), Jena (1781), Marburg (1792), Detmold, Mann-
iieim, Weimar, Bern (1782) u. a. 0. In Wien wurde 174H der Hebammen-
liDterriüht eingeführt und 1754 an der Universität eine Lelirkanzel der
<ieburtshilfe gestiftet. Eine besondere Klinik dieses Faches wunle 1789
pingericbtet, nachdem schon seit 1774 geburtshilfliche Lebrcurse in
einem Spital eingerichtet worden nvaren und Fälle dieser Art auch in
der chirurgischen Klinik Aufnahme gefunden hatten. Aber an manchen
Universitäten blieb der Unterricht in der Geburtshilfe ebenso wie der
üphthalmologische bis tief hinein ins 19, Jahrhundert mit dem chirur-
gischen vereinigtv^
tp medicinische Unterricht am Schluss des 18, Jahr-
hunderts und der ärztliche Stand.
Die Veränderungen, welche tier niHlicinische Unterricht an den
ihschnlen in der Periode vom Beginn des 17. liis zum Ende des
18. Jahrhunderts erfuhr, waren sehr iK'deutend. An die Stelle der zwei
öd ^ V s ren, deren Lehrthritigkeit sich auf einige theon^isrhe
V I rankte und die praktische Ausbildung in der Anatomie,
Arzöeimittellehre uuil eigentlichen Heilkunst nur gelegentlich in Betracht
hr. ri, wenigsti^ns an den grösseren Univ'ersitateDj Lebrer-t'ollegien
gr deren Mitglieder die verschiedenen Disciplinen der Heilkunde
fertraten and anatomische Lehranstalten, Laboratorien und klinische
luüditute zu ihrer Verfügung hatten.
(jusseuow: Zur Geachichte uinl Metliode tles klimsehen Llnterridits^
Nach der Studienordnun^ v.J. 1749 bestanden an der medicinn
Facultat zu Würzburg 5 ordentliche Lehrkanzeln. Von ihren Inl
sollte der erste den Studierenden eine gedrängt« Übersicht der (]§
schichte der Mediiün geben, die Institutionen (Physiologie) auf wiÄ>eiischaJl.J
lidi-physikalischer Grundluge vortragen, die Ursachen und Wirkunpij
von Gesjjundheit und Krankheit (allgemeine Pathologie) mit BerüctJ
sichtigung der Anatomie erörtern und auf die^e Weise den \Ve|,' zufi
ärztlichen Pnixis ebnen, der zweite Butunik lehren und den botaiii«clieii|
Garten leiten, der dritte Chemie vortragen und in der zum Julius.]
Spital gehörigen Apotheke die Zubereitung der Arzneien zeigen, da
vierte Vorlesungen über specielle l*athologie und Therapie der innerei^
Krankheiten halten, die Schüler in die Hospitäler führen und mit dei
Krankenbehandlung vertraut machen, und der fünfte den rnterrichtl
in der Anatomie und Chirurgie ertheilen; dem letzteren stand d&beij
ein Prosector zur Seite, welcher zugleich als Oberehirurg und l^ht^
der Geburtshilfe thatig war. ^ Der medicinische Lehrkörper zu llpitJeU]
berg hatte 1763 vier ordentliche Professoren, derjenige zu Göttin^i'
1784 deren sechs und zu Pavia iim die gleiche Zeit acht* Der Studien-
plan, welchen R Fkakk 1X85/86 für die medicinische FacuMt in Pavu
entwarf, zeigt, weicht* Anforderungen ein Fachmann damals st4?lJt<\^
Die Naturwissenschaft*3n nahmen eine angesehenere Stellung
als früher; es zeigt sich dies deutlich m einem Frhtss des v*
Fürstbischofs von Würzburg v. J. ITS'J, in widcliem es hei^- tij
man es in vnrigen Zeiten für eine ausgemachte Wahrheit hat hulti
dürfen, dass die Physik für diejenigen, welche sieh der Arznevkuiist iqI
widmen gciienken, ein nicht nur sehr nützliches^ sondern sogar unen^J
behrliches Studium sei, so wird man wohl in unseren Tagen, wo
Physik eine vielverbesserte tJestalt angenommen bat, um so wm^
daran zweifeln; und wenn gleich die Physik für den Theologen \m
Juristen von geringerem Nutzen als für den Arzney-Beflissenen m^i
mag, so sind auch die Vurtheile, welche künftige Theologen und JurisU^n
von der Mathematik und der sogenannten praktischen Philosophie iiid^
zu versprechen haben, längsterLs entschieden^'.* ^M
Die raediriniscbe Facultat zu Wien besass im J, 178U beriit«
9 systemisirtc Lrfirkanzcln, welche sich auf Anatomie» Physiologie,
Natui^^eschichte , Chemie und Botanik, aUgomeine Pathologie und
Therapie nebst Arzneimittellehre, interne Medicin und Klinik, tha
* Wkmrle ft, a, O, — Kni.uKKH a» a. O. 8, 75.
» P. FiiANE Ä- a. (K VI, 2, S. 46.
' P. Fr^nk IL a, a 8uppL-B«nd I, S. 176 ii. ff.
* Wkuelk a, a. O. [J, 428.
Dermedicin. Unterricht am Schluss des 18, JaJirh, u, der ärztlicJie Stafid. 361
retische Chirurgie, chirurgische Klinik und Geburtshilfe vertheilten;
ausserdem betheiligten sich an der Lehrthätigkeit noch mehrere Assi-
stenten und ein Prosector, da dem Professor der Anatomie die Pflicht
oblag, ,,ein Subjectum, welches zu seiner Zeit ihm zu succediren fähig,
auf eigene Unkosten abzurichten". Der Kaiser Josef IL widmete dem
medicinischen Unterrichtswesen eine rege Aufmerksamkeit In einem
Eescript vom 27. April 1786 gab er den Bedenken gegen die Studien-
pläne der medicinischen Facultaten, welche ihm vorgelegt worden waren,
mit den Worten Ausdruck: „Dass die Lehre der Chirurgie, aller Opera-
tionen und Bandagen in sechs Monaten soll hinlänglich gegeben werden
können, scheint mir nicht leicht möglich, und überhaupt theile ich das
medicinische Studium auf folgende Art ein. Das erste Jahr Anatomie
mit der Physiologie verbunden, dergestalt, dass, wie man z. B. eine
Lunge in der Anatomie vorgezeigt, man auch zugleich deren Noth-
wendigkeit und Wirkung in dem gesunden Körper anführe und so auch
weiter bis auf jeden Muskel im Leibe, wie er zur Bewegung dienet.
Dieses Schuljahr müssten medici und chirurgi absolviren; dem Professor
anatomiae et phjsiologiae müsste man die nöthigen prosectores und
was er gebraucht, zugeben, um sein Lehramt gut zu verwalten. Zu-
gleich würde im ersten Jahr für die Mediciner Botanik und Chemie,
und für die chirurgos Operazionen, Bandagen und Geburtshilfe gelehrt.
Im zweiten Jahr müssten die Wundärzte die chirurgische und me-
dicinische Praxis und clinicam im Spital erlernen und im Spital auch
die Geburtshilfe praktiziren, und da wären sie fertig; die medici aber
müssten materiam medicam, Pathologie und alles was zum gelehrten
Fach der Medicin gehört, hören, im dritten Jahr aber sich ganz mit
der praxis und clinica, auch Praktizirung im Spital abgeben. Und auf
diese Art würden in zwei Jahren für das Land geschickte chirurgi und
in drei Jahren medici für die Stadt gebildet werden. Nach diesem
Sinne erwarte ich die weitere Ausarl)eitung. Josef." ^
Die Studienordnung, welche bald darauf erlassen wurde, wich von
diesen Grundsätzen zunächst darin ab, dass für die Studierenden der
Medicin und Chirurgie eine Studienzeit von vier Jahren bestimmt und
ein gemeinsamer Lehrplan festgesetzt wurde, nach welchem der Unter-
richt in den meisten Fächern für beide Kategorien vereinigt war und
sich nur dadurch unterschied, dass Jene mehr Zeit auf die Arznei-
mittellehre, Chemie und innere Medicin verwenden, Diese sich ein-
gehender mit der Chirurgie und den damit verbundenen I^ehrgegen-
ständen beschäftigen und dies in den Prüfungen beweisen müssten.
' Archiv dea k. k. Unterrichtsministeriuiiis zu Wien.
362 Der medidnische Unterricht in der Neuzeit,
Damit wurde endlich auch in Österreich und Deutschland der
Chirurgie eine würdigere Stellung eingeräumt, wie dies in andern
Staaten bereits geschehen war. Die internen Mediciner und CJhirurgen
wurden als gleichstehende Klassen von Ärzten anerkannt, welche eine
gleichwerthige Bildung besitzen und sich nur durch die Form ihrer
Thätigkeit unterscheiden.
Daneben entstand eine niedere Art von Ärzten, welche, mit ge-
ringeren Kenntnissen ausgestattet, hauptsächlich für die Landbevölkerung
bestimmt waren und sowohl die innere als die äussere Praxis ausübten.
Die Gegensätze, welche bisher zwischen den Ärzten und den Chirurgen
bestanden hatten, wurden nun auf die Beziehungen zwischen den höher
gebildeten Ärzten und den weniger unterrichteten Medice -Chirurgen
übertragen. Bei der Beurtheilung der Zustände, welche sich daraus
entwickelten, darf man daher nicht vergessen, dass eine Verschiebung
der in Frage kommenden Faktoren stattgefunden hatte, welche später
Manches rechtfertigte, was vorher unhaltbar und ungerecht erschien.
Es ist ja zweifellos, dass die Chirurgen des 1 7. Jahrhunderts einen
niedrigen Bildungsstandpunkt einnahmen; aber war es vielleicht mit
den Ärzten jener Zeit anders? — Der todte Wust einer unfruchtbaren
Gelehrsamkeit trübte Vielen den Blick für das frische Leben der Gegen-
wart „Sie kannten den Galen, aber ihre Kranken gar nicht", wie
Montaigne sagte. Die Figur des Dr. Diafoirus, welche MoLEfcRE in
seinem „eingebildeten Kranken" gezeichnet hat, soll der AVirklichkeit
abgelauscht sein.^
Der grosse Haufe der Ärzte suchte dem Publikum durch das hohle
AVortgetön der griechisch -lateinischen Terminologie zu imponiren; sie
meinten den Kranken einen Dienst erwiesen zu haben, wenn sie, wie
Kant schreibt, ihren Leiden einen Namen gegeben hatten.* Durch
Pillen und Pflaster, Arzneien, Klystiere und oft wiederholte Blut-
entziehungen bemühten sie sich, die Krankheit zu beseitigen, so dass
zuweilen eine kräftige Constitution dazu gehörte, um diesen, häufig
unzweckmässigen oder verkehrten Massregeln Widerstand zu leisten.
Der Titel eines Doktors der Medicin bot keineswegs die Garantie,
dass der Träger desselben ärztliche Kenntnisse besass. Ausser den
Universitäten nahm auch der Kaiser, der Pabst und seine Bevollmäch-
tigten und die Pfalzgrafen da^ Recht in Anspruch, diese Würde zu
verleihen. In Neapel genoss die Familie d^Aveluno-Carraciolo noch
^ M. Ratnaud: Les mödecins au temps de Moli^re, Paris 1862.
' Im. Kant: Versuch über die Krankheiten des Kopfes in der Ausg. sfimmtl.
Werke von Rosenkran tz u. Schubert, Leipzig 1838, VII, 16.
Der msdim^ Untemaht am Scltlms des 18. Jcäirh. u, der änälicke Stand, 363
im TOrigfen Jahrhundert im Privileginm, Doktoren der Medicin und
ite Rechts zu ernennen; sie machte davon reichlichen Gebraucli unti
lies» es sich entsprechend bezahlen.
AlM*r auch an einzelnen Hochschulen wurde niit der Doktor-Pro-
motion ein schändlicher ilissbrauch getrieben. Manche Prufessoren
^hen in den Taxen, welche dafür entrichtet wurden ^ eine erwünschte
W'nnrhrung ihrer Kinnahmen und suchten die Bewerber dadurch an-
zulocken, dai!vs sie mö^^lichst gerin g:e Anforderungen an deren Wissen
stellten. Die Prüfungen wurden entweder erlassen oder sanken zu
nn^T werthlosen Formalitat herab. Die Doktor-Dis-sertationen konnten
von gelehrten Lieferanten, welche die Anfertigung derartiger Arbeilen
gewerhsniässig betrieben, zu bastimmten Preisen gekauft werdend In
Greiü^wald erwarb i. J, 1788 ein Schustpr das niedicinische Dukt^r-
Diplom, und zwar auf Grund einer Dissertation über die Heilwirkungen
iics Peclii!!. Die Universität Erfurt creirte in einem einzigen Jahre
97 Doktoren der Meilicin, während sie überhaupt nicht mehr als
80 Studenten in gammtliciien Facultiiten zählte.
An anderen Hochschulen waren die mit der Erlangung der Doktor-
le verbundenen Unkosten so gross, dass unbemittelte Candidaten
auf vtn*2ichten mussten. Sie holten sich dieselbe in Folge dessen
rntweder an Orten, wo man weniger Geld dafür verlangte, oder be-
engten sich damit, als Licentiaten der Medicin die ärztliche Praxis
»4ML*«zuüben. In Wien kostete die medicinische Doktor -Promotion bis
J. 1749 ungefähr 1000 Gulden, in rfottingen 1765 etwa 130 Thaler,
In Paris 7000 Livres und in Oxford 100 Pfund Sterling. » Dabei ge-
währte dieselb«» keineswegs überall besondere Yorrechte.
Ausser zahlreichen anderen Heilkünstlern, welche dureb die gesetz-
lichen Einrichtungen zur ärztlichen Praxis berechtigt waren, erhielten
ÄUeh hernmziehende fimpiriker, Brnchschneider, Steinoperateure und
Slaarst^echer an vielen Orten ohne brsondere Schwierigkeiten die Er-
lanhniss, ihre Kunst auszuüben. In auffallendem Aufzuge, behängt
mit allerlei buntt>m Flitterstaat und begleitet von einem Harlekin, wie
*ler tiu Volksliede verewigte Dr. Eisenbart, zogen sie auf den Jahr-
niärkten und Kircliweihen umher und erzählten dem Publikum von
ilen ^nmderbaren Knron, die sie angebhch verrichtet hatten. Mit un-
venicbamten Worten priesen sie die Heilkraft ihrer Methcamente gegen
Schwindsucht, Taubheit und alle möglichen unheilbaren Leiden. Manche
erklärten, dass «ie im Stande seien, das Sehvermögen, auch wenn es
» Kau»* priv. Beidisanzeigür, Gotha 1802, No. 169—110.
• P. Praitk a. a. CI. Vf. H, S. 291.
364 Der medtcinische UnterriM in der Neuxeä.
seit vielen Jahren verloren worden, sofort wieder herzustellen; Andei-e
empfahlen Pillen gegen Unfruchtbarkeit, welche nach ihrer Angabe
sogar ohne Coitus die gewünschte Wirkung hervorbrachten.
Die Scharfrichter, die unter den Kurpfuschern eine hervorragende
Stelle behaupteten, verkauften Menschenblut, welches in frischem schäu-
menden Zustande als Heilmittel gegen die Epilepsie betrachtet wurde;
sie hatten dafür einen bestimmten Tarif, je nach dem Menschen, von
dem es stammte; am theuersten war das Blut einer Jungfrau oder
eines Jünglings, am billigsten dasjenige eines Juden. ^
Das grösste Unheil richteten jedoch die herumziehenden Operateure
an. Wenn sie auf öifentlichen Plätzen der staunenden Menge unter
dem Schmettern der Trompeten und Wirbeln der Trommeln, welche
die Schmerzensschreie der beklagenswerthen Patienten übertonen mussten,
Proben ihrer Kunst zeigten, so dachte Niemand an die traurigen Polgen,
welche diese chirurgischen Kingriffe häufig zurückliassen. Aber gilt
denn nicht noch heut das Wort Bacon's, dass jeder Charlatan und
jedes alte Weib als Nebenbuhler des tüchtigsten Arztes angesehen wird
und mit ihm um den Vorzug am Krankenbett ringen darf? —
* G. Fischer a. a. 0. S. 49 u. ff, — Dos getreuen Eckkarts mediciuischer
Maulaffc oder der entlarvte Marktschreier, Frankfurt und Leipzig 1719. — The
tatler, London 1723, IV, No. 243. — 0. Bucuneb a. a. (). S. 145 u. ff.
IV. Der medicinische Unterricht in der
neuesten Zeit.
Die naturwissenschaftliche Weltanschauung des
19. Jahrhunderts.
Mit den gewaltigen Ereignissen der letzten Decennien des 18. Jahr-
hunderts begann die Geschichte der neuesten Zeit. Die politischen und
culturhistorischen Gestaltungen der Gegenwart haben mit der franzö-
sisi'hen Revolution und den geistigen Bewegungen jener Periode ihren
Anfang genommen.
Die französische Revolution war nicht so sehr gegen die Monarchie
als gegen den Feudalismus gerichtet, dessen Vertreter ihre bevorzugte
Stellung in unerhörter Weise gemissbraucht hatten. Zum ersten Male
wurde das schwere Unrecht, welches darin lag, dass ein Theil der Be-
völkerung alle Lasten des öflFentlichen Gemeinwesens tragen musste,
während der andere sammtliche Vorrechte und Vortheile davon genoss,
allgemein anerkannt und der Gnmdsatz ausgesprochen, dass Diejenigen,
welche den Staat erhalten, auch auf die Verwaltung desselben einen
massgebenden Einüuss auszuüben berechtigt sind.
Dieser Gedanke bildete gleichsam den festen Rückstand in den
mannigfachen politischen Zersetzungs- und Umwandelungs- Prozessen,
welche damals stattfanden. Er führte zum Parlamentarismus, der im
19. Jahrhundert fast in allen civilisirten Ländern zur gesetzlichen In-
stitution erhoben wurde. Mit der Beseitigung der historischen Privi-
legien und der standischen Gliederung, mit der Aufhebung der Leib-
eigenschaft, mit der Eintührung der bürgerlichen Selbstständigkeit und
Gleichberechtigung der einzelnen Individuen und der Theilnahme der
breiten Schichten des Volkes an der Regierung vollzog sich eine sociale
Umwälzung von weittragender Bedeutung.
Gleichzeitig mit der politischen Emancipation der bürgerlichen Ge-
sellschaft begann auch der Aufschwung der Tagespresse, die Entwickelung
366 Der medicinische Unterricht in der neuesten Zeit,
des Journalismus und die Popularisirung von Kunst und Wissenschaft
Das Interesse für die Bestrebungen auf diesen Gebieten drang in Kreise
der Bevölkerung, welche früher gänzlich unberührt davon geblieben
waren.
An der Culturentwickelung betheiligten sich alle gebildeten Na-
tionen, namentlich aber die Franzosen, die Englander und die Deutschen.
Die letzteren, welche schon im 18. Jahrhundert einen Lessiko, Hebdeb,
(lOETHE, SciniiiiEB, MozABT, BEETHOVEN, Kant uud andere erleuchtete
Geister hervorgebracht, und in der Dichtkunst und Literatur, in der
Musik und Philosophie eine Achtung gebietende Stellung errungen
hatten, übernahmen allmälig auch in der Medicin und in den Natur-
wissenschaften die Führung. Während in der Geschichte derselben
Anfangs neben einzelnen Engländern hauptsächlich Franzosen genannt
werden, gewannen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die deutschen
Gelehrten und Forscher einen überwiegenden Einfluss.
Anders gestaltete sich das Verhältniss in der Philosophie, welche
in Deutschland unter dem Banne der Schulgelehrsamkeit leider den
Zusammenhang mit dem praktischen Leben verlor und erst in neuester
Zeit wieder gefunden hat.
Mit kritischer Schärfe hatte der grosse Denker von Königsberg
die Quellen, den Umfang und die Grenzen des menschlichen Denkens
gezeichnet; aber die auf Kant folgenden Philosophen haben seiner
Erkenntniss-l'heorie nur wenig hinzuzufügen vermocht und sich darauf
beschränkt, diese oder jene Richtung seines Systems weiter zu ent-
wickeln. Indem sie dabei gerade an die Frage nach dem Wesen und
letztem Grunde der Dinge, welche Kant für überflüssig und unlösbar
erklärt hatte, als er die Forschung auf die Welt der Erscheinungen
verwies, anknüpften, verlegten sie die Aufgabe der Philosophie wiederum
in das mystisch-transcendente Gebiet der Spekulation.
Die geistvollen Hypothesen eines Fichte, welcher die Lösung des
Räthsels des Daseins in dem Ich-Begriflf suchte und damit zu einem
unbeschränkten Idealismus gelangte, eines Schelling, der die Identität
von Natur und Geist verkündete und damit die Naturphilosophie be-
gründete, eines Hegel, welcher alles Heil in der absoluten Idee sah,
und eines Schopenhauer, der die Welt als Wille und Vorstellung
erklärte, konnten wohl eine Zeitlang fesseln, keineswegs jedoch dauernd
überzeugen. Keines dieser Systeme hat auf die Naturwissenschaften
grösseren Einfluss ausgeübt, als die Naturphilosophie.
Hervorragende Ärzte und Naturforscher, wie Blumenbach, Oken,
KlELMEYEB, J. DÖLLINGEB, OeBSTED, BuBDACH, NbB8 V. EbENBEOK,
KiESEB, K. G. Cabus u. A. schlössen sich ihr an, weil sie in ihr be-
Dk fuUunmssenschaftlwhe Wtliannchatiung des 19, Jahrhunderts. 367
stimmte Gesichtspunkte zur Bearthcilung der empirisch gesammelten
Tlifttsscben fanden. Gleich der Romantik, welche damals die Knust und
liiterainr beherRchte, ein echtes Kind dieser nach einem hetneciip'nden
Ahä^chlnss der gegensät^iichen und unfertigen Bestrebungen rini^enden
Zeit, verfolcrte auch die Naturphilosophie durchaus edle Ziele, indem sie
uich in die Tiefen des (jemütks versenkte, der Medicin ihre erhabenen
dien Aufgaben ins Gedächtniss rief und die Einheit der verwhie-
len Naturwissenscliaften zum Ausdruck brachte.
Der empirischen Forschung stellte sie ^^ich erst feindlich gegenüber,
äU sie, vom religiösen Mjstici.smus angekrünkeU, die Met4iphysik zu
ihrem Tummelplatz wählte und, um mit Hamann'^^ Worten m rrden,
^auK einer allgemeinen Wissenschaft des Möglichen 7AI einer allgemeinen
t'iv -!^]pit de« Wirklichen" wurde. Wenn die Naturphilosophie in
gr r*T Sol))stübcrhehung ihre vagen und oft veralteten Begrilfe-
hpstimmungen der tiiglich fortschreitenden Naturwissenschaft entgegen-
hielt, m erreichte sie damit nur^ dass sich die,se!be giinzlich von ihr
abwand te.
Nicht wenig trug die vorzugsweise durch Hegel in tue Philosophie
eingeführt»' schwerfällige F'orm der Darstellung, welche sich in einer
isellij^t fa)>ricirten Sprache abmilhte, die einfachsten Dinge möglichst
snverstiandlich zu machen, zu der Kntfremdung bei, welche allmidig
in DeutiJchland zwischen <ler Naturwissenschaft und der Philosophie
^atffand.
In andern Ländern war es damit iu mancher Beziehung besser
Hier behielt die Philosnjihie enge Fühlung mit den Wissen-
und Künsten des realen Lehens und stellte b*^i der meihodi-
leben Bearbeitung derself^en ihre Kräfte in deren Dienst. In Prunk-
rh begründete AiTfinsTE Oomtr, wtdcher gleich Kant, an den er
ltnü]ift*\ mathematisch und naturwissenschaftlich geschult war, den
Po«itivi^imuSf welcher im Einklang mit dem mächtigen Autschwung,
den die empirische Forschung in jener Zeit dort erlebte, die 31etaphysik
rmd den Teleologismus ausschloss und alles philosophische Denken,
alle Wissenschaft, auf die durch die Erfahrung fest^gestellten Thatsachen
gfstötzt wissen wollte.
Die-se Richtung musste den Naturforschern genehm erscheinen und
fand daher unter ihnen viele Anhänger und Vertreter. In Deutschlund
%-erkundeten Fkchnek, H. Loi'zk, H. Czölbk und andere hervorragende
Manner der Naturwissenschaft diese Lehren und trugen das zu ihrer
Begründung nothwendige Material herbei Die exakU» Schule der Gegen-
wart, begann wieder mit der Philosophie zu rechnen, und einer der
gFOflsten Naturforscher, Karl Rokitansky, wies auf den Nutzen und
368
Der meämmHche Dnienichi in der neuesiän ZdL
die Bedentnug hin, welche dieselbe für dio Naturwi&senschaflen
dk^ Medicjii bej^ilzt Aber auch die Philosophen erkannten, d
positive Ki'nnt.rii.ss der wissenschaftlichen 'ITiatsachen die 8elbstverstllii4-
liche Vorausj^etzun^ ihrer Thaitif^keit j^ein muss, wenn sich die%cl)w
fmchtlirin^a^nrl j^ft8tJiUen 8ul! und ernsk^ Beachtnn^ lieanspruohcn ffüj.
An eiiuelnen llüchschiilen wurden die philosophi-schen Lehrkanzelu
Naturforschern übertragen, welche den Werth der Heohachtung unj
de« Exiieriments erprc*l>t hatten und damit dtT Bedeutung, welche djc*
naturwissenschaftliche Weltanschauung für die Culturentwickclunjr d«r
(le^^^enwart j:(ew*jnnen hat, ein deutlicher Ausdruck gesehen. \\\m\\^
erhielt ihre Begründung in rier Fülle von neuen That«achen, m\
welchen die Terschiedenen Naturwissenschaften im 19, Jahrhundert
l>i*reiehert wurden, und in der Krkenntniss ihrer l . ^\^m Be-
Ziehungen und genieinsamen iie^^etze, welche eine eini- Betrach-
tung des Lebens der Natur ermijglichte.
Wenn ich hier f»inige That>achen au-s der Geschichte der vpr-
Bchiedenen Naturwissenschaften hervorhebe, so geschieht es nur, um
den (lang ihrer Entwickelung mit wenigen Worten zu kennieichiwj.
Schon im IH. Jahrhundert versiiehte man, ilie MineniUen nach
rationellen tiesichtspuiikten t\x ordnen, Linnk und Waij.kruth legten
ihrer Einthrilung derselben die Äusseren Merkmale und Ähnlichi^eitefl
t\\ (i runde. Der Schwede Axel von ('hdnsteot betrachti'le dai^cgpii
die chemischen BesUindtheile als massgebend; der sächsrs^die B^r^th.
Abkaham (Juttlob Wkrxeu stellte dann ein Schema a«t| wekhos gick
uul die chenjischen und physikalischen Eigenschaften sowohl als anf
die äusseren Erscheinungsformen stützte. Ihm gebührt auch dais Ver-
dienst, die Orvktügnosie und Geognosie von einjinder abgegrenzt nni
tlie letztere begründet zu haben.
Die wissenschaftliche Bearbeitung der Krystallugraphie* boirann
mit Ko>i^: DK i/LsLK und Hauv und wurde von Wkiss und Moa» m
erfolgreicher Weise fortgesetzL Anilere beschäftigten sich mit den
chemischen, optischen und elektrischen Eigenschaften, mit der I'boisphör—
escenz und dm Pobinsaliens-Krscheinungen, welche liei einigen Mim*-'
ralien beobachtet wurden. Die Verwerthung der (liemie für die Ihiit»-
riilügie führte zu einer innigen Verbindung dieser beiden WissenschAfteiUj
^welche nach vielen Richtungen anregend und befruchtend wirkt«.
In derGeognoüie und Geologie wirkte Leopold vok Buch liaha-
brechend, (ileichzeitig wurde auch die Petrefacten-Kunde, auf welch
* Cr VI kr: ftL*8cbicbte der FortÄrhritto in den Naturwiasenschaften leit llftl
Dputachf? Üblere., Leipssig 1828, 4 Bde.
Die naturwissenschaßliche Weltanschauung des 19, Jahrhunderts. 369
Scheuchzer zuerst die Aufmerksamkeit gelenkt hatte, fleissig getrieben
and bot die Materialien zur Lösung mancher Fragen der Geologie und
Anthropologie.
In der Botanik wurden verschiedene Versuche unternommen, ein
natürliches System der Pflanzen aufzufinden. Adanson erklärte: „Die
Natur stellt uns überall natürliche Ordnung dar,** und meinte, dass
sich dieselbe sicherlich nicht auf die Ähnlichkeiten oder Unterschiede
eines einzelnen Organs, sondern nur auf die Gesammt- Erscheinung,
auf den Total-Habitus stützen könne. Um dieses System zu entdecken,
verglich er die einzelnen Pflanzen in Bezug auf ihre verschiedenen
Organe und ordnete sie in die Klassen der Nächststehenden, der Nahe-
stehenden u. s. w.. je nachdem sie mehr oder weniger mit einander
übereinstimmten. Diese Eintheilung entbehrte vor Allem der Übersicht-
lichkeit und vermochte sich daher keinen Beifall zu erringen.
Eine richtigere Methode schlugen A. L. de Jüsseeu, Pybame de
Candolle, Robert Bbown u. A. ein, indem sie zunächst auf eine
genaue Feststellung und Begrenzung der Pflanzen-Familien drangen
und eine Reihe werthvoUer Vorarbeiten dazu lieferten. Dabei begründete
P. DB Candolle, der selbst mehr als hundert Familien sorgföltig be-
schrieb, die Lehre von der Symmetrie der Pflanzengestalt.
Von fundamentaler Bedeutung für die Morphologie waren ferner
die Untersuchungen Jos. Gaebtners über die Früchte und Samen der
Pflanzen und Rob. Bbown's monographische Arbeiten. Goethe's Metamor-
phosenlehre regte mehr die Naturphilosophen, als die Naturforscher an.
Sie war verschwommen und unbestimmt und erfuhr erst durch Schimpeb
und AlexandbbBbaün, welche über die Blattstellung und dieEntwickelung
der Pflanzen werth volle Aufschlüsse gaben, eine wissenschaftliche Klärung.^
Die Anatomie der Pflanzen fand fleissige Bearbeiter an Bbisseau-
MmuRT^ dem jüngeren Moldenhaweb, Link, Meyen, Hugo Mohl u. A.,
welche die Ansichten über den Bau der Pflanzen zu einem gewissen
Abschluss brachten. Auch die mikroskopische Struktur derselben wurde
genauer untersucht, und die Entdeckung, dass die Zelle das alleinige
Grundelement derselben ist, wies der morphologischen Forschung eine
neue Richtung. Sie drängte zu einer grösseren Berücksichtigung der
Histogenese. Man begann diese Verhältnisse an den niederen Krypto-
gamen zu studieren, weil man hier mit einfacheren, leichter zu durch-
schauenden Thatsachen rechnen durfte, und ging dann allmälig zu den
höher organisirten Pflanzen über.
* Wioakd: Geschichte und Kritik der Lehre von der Metamorphose der
Pflanzen, Leipzig 1846.
PuscBMAim, ÜDt«nicht. 24
3T0
Der medimniB^ Vnierrichi in dmr neueaten Zeit
Die dabei gewonnenen Ergebnisse warfen ein mefkwtifdigvs LichtJ
auf die Entstehung und das Wachsthuin der Organe, Mohl bcoV-l
achtete bi^reit.s verschiedene Arten der Sporenhildung und bcsehriebl
1835 einen Fall von vegetativer Zelltheilung. Schkeihen st«^llle 1838
eine Theorie der Zellbildung auf, die aber an so vielen Fehlem li^|
dass sie bald nachlier wieder aufgegeben wurde. An ihre Stelle tnll
Nabokus Theorie, welche umfassender war, die ?enächiedenartigtii 1
Fälle ins Auge fasste und da» ihnen zu Grande liegende GusetiJ
, feststellte.
Im Jahre 1839 sprach Schwank den Satz aus^ dass die thiembel
Zelle der vegetablischen analog isi^ und 1865 machte üngkb aaf dlf>
Ähnlichkeit de^ Protoplasma der Pflan2en2elle mit der 8arcode der
niedersten Tlüere aufmerksam, welche durch die Untpr>nrliTiTiL^rn nWi
die Myxomyceten eine weitere Bestätigung erhielt
Diese That.sachen führten zu einer richtigeren Ütu
riithselhaften Beziehungen zwischen dem Ptianzen- und 1f luj
trugen ebenfalls dazu bei, die I^hre von der Constanz der Arten^l
welche lange Zeit als ein unumstr^ssliches Dogma gegolten hatt^, m
1>eseitigen.
Die Befruchtung der Pflanzen wurde von Du Hamki. 8tudi*»rt,
welcher die Bestäubungseinrichtungen der Blüthen und die Rolle, welche i
manche Insekten dabei spielen, beschrieb. Eine grün<iliche Bearbeitmif j
erfuhr dieser Gegenstand seit 1830, indem die Prozesse im Innern derj
Samenknospen zum Gegenstande sorg^tiger Untersuchungen gemacht]
und tue Sexualität auch bei den Kryptogamen nachgewiesen wurde.
Auch die Vorgänge der Ernährung, Stoff-Aufnahme und -Abgabe.
und des Wachsthums frinden eine ausführliche Darstellung. Die SafWJ
bewegung, über welche schon Stephax Hai..£s interessante Experimenli
' angestellt hatte, wurde hauptsächlich durch Dütbochkt, der die di«
motischen Erscheinungen zu ihrer Erklärung beranxog, aufgeklärt 1
IN6KXUOÜS8 fandf dass die grünen PSanzentheile unter dem Binflos
des Lichts Kohlensäure aufnehmen, Sauerstoff ausscheiden und auf die»«'
Weise den Kohlenstoff erhalten, den die Ptianzen in der Form orga-
nischer Terbindungen in sich aufhäufen, und begründete somit di«*
Lehre von der Athmung und Ernährung der PHanze. Daran schlössen
sich S£N£BQiBs Untersuchungen über den Einiluifö des Lichts auf iu
Leben der Pflanze an.
Zahlreiche Arbeiten beschäAigten sich dann mit dem Chemiümus
^der Ernährung und den Bewegungaeraßheinungen der Pflanzen.^
8Aa» A. a. O. S. 27« «.IL
Die naturwissenschaflliche Weltanschauung des 19, Jahrhunderts. 371
die Pathologie derselben fand Beachtung und wurde namentlich in
neuester Zeit ausserordentlich gefordert. Endlich trat auch die Pflanzen-
Geographie ins Leben, welche dadurch, dass sie die Abhängigkeit der
Pflanzenwelt vom Klima und Boden nachwies und erklärte, grosse Be-
deutung für die Heilkunde und besonders für die medicinische Geo-
graphie erlangte.
Die SJoologie erfuhr durch die AuflBndung neuer Thierarten und
die sorgfaltige Erforschung ihres anatomischen Baues nicht nur eine
bedeutende Vermehrung ihres Wissens-Inhalts und gelangte zu einer
besseren Systematik, sondern vermochte mit Hilfe der Entwickelungs-
geschichte, vergleichenden Anatomie und Palaeontologie zu einer natur-
geschichtlichen Gesammt-Anschauung durchzudringen, welche das ganze
Gebiet des Werdens und Vergehens in der Natur zu umfassen schien.
BiJFPON ^ näherte sich bereits diesem Standpunkt, indem er erklärte,
dass kein wesentlicher Unterschied zwischen Thieren und Pflanzen be-
stehe und die Reihenfolge der organischen Wesen einen einheitlichen
Plan zeige. Seine populäre und geistvolle Darstellungsweise, welche
den Reichthum der Thatsachen mit kühnen Hypothesen zu verweben
verstand, regte die Forscher zu neuen Untersuchungen an und erweckte
und verbreitete beim grossen gebildeten Publikum das Interesse für
naturwissenschaftliche Gegenstände. Buffon ging dabei auch auf die
geographische Verbreitung der Thierwelt ein und hob, wie schon Linn*:,
die Verschiedenartigkeit derselben in den einzelnen Continent^n hervor.
Wenn die arktischen Thierformen von Amerika und Europa überein-
stimmen, so schloss er daraus, dass einst ein Zusammenhang der beiden
Welttheile bestanden habe oder wenigstens Wanderungen der Thiere
von einem zum andern möglich gewesen seien.
Die Bekanntschaft mit der überseeischen Fauna wurde hauptsäch-
lich durch die wissenschaftlichen Expeditionen, denen Naturforscher
beigegeben wurden, herbeigeführt So beschrieb Sonneeat mehrere
Thiere der südasiatischen Inseln; hauptsächlich aber erwarben sich der
ältere Foesteb, Al. von Humboldt und Lichtenstein in dieser Rich-
tung Verdienste.
Ebenso wurde die Verbreitung der Thierwelt in den einzelnen
Ländern Europas genauer studiert. PAUiAS beschrieb verschiedene
neue Thierformen.
Gleichzeitig wurde die Kenntniss der bekannten Thierarten durch
wichtige Beobachtungen bereichert. Bonnet bemerkte zuerst die un-
geschlechtliche Fortpflanzung der Blattläuse. P. Camper und J. Hunter
V. Cabus a. a. 0. S. 522 u. ff.
372 Der mtdidniscJve UfäerricfU in der neuesten Zeit.
entdeckten gleichzeitig und unabhängig von einander die Pneumacität
der Vogelknochen und den Zusammenhang ihrer Lufträume mit den
Lungen. Fabbicius und später Latbeille beschäftigten sich vorzugs-
weise mit der Entomologie, während Rudolphi die Helminthologie
bearbeitete und Lamabck, 0. F. Mülleb und Ehbenbebg in der Welt
der Infusorien Umschau hielten.
Die Zootomie gab über den Bau der verschiedenen Thiere werth-
volle Aufschlüsse, und die Vergleichung ihrer Organisation eröffnete
beachtenswerthe Gesichtspunkte für eine einheitliche Beurtheilung der-
selben. Die vergleichende Anatomie und Physiologie erhielt durch
J. HuNTEB, F. VicQ d'Azyb, Blumenbaoh, Kielmeyeb, Geoffboy
St. HiiiAiBE, CuviEB, TiEDEMANN, C. G. Cabus, J. F. Meckel und
JoH. Mülleb eine Fülle wissenschaftlichen Materials zugeführt und
wurde als das eigentliche Ziel der Zootomie betrachtet Ignaz Döllingeb
schrieb 1814: „Die Aufgabe der Zootomie ist, den Bau der Thiere zu
entwickeln und in demselben die Natur des Lebensprozesses nach-
zuweisen. Damit wird das Vergleichen des Zootomen Geschäft; er soll
Thatsachen zusammenstellen und untersuchen, worin sie sich ähnlich
und worin sie sich unähnlich sind; er soll sie mit der Idee des Lebens
zusammenhalten und erforschen, wie sich ein und dasselbe durch eine
Reihe von Metamorphosen durchbildet".^
Geoffboy St. Hilaibe stellte leitende Grundsätze auf, welche den
Forschem als Eichtschnur dienen konnten. Cüvieb entdeckte das schon
von J. Hebmann geahnte Gesetz der Correlation der Theile, nach
welchem jeder Organismus ein geschlossenes Ganze bildet, dessen ein-
zelne Theile nicht abgeändert werden können, ohne dass auch an allen
übrigen Organen Aenderungen stattfinden.
Auf Grund dieser neu erschlossenen Thatsachen durfte man sich
auch an die Systematik wagen. Batsch versuchte zuerst, die Knochen-
thiere von den übrigen zu sondern; aber erst Lamabck brachte die
Eintheilung in Wirbelthiere und Wirbellose zum deutlichen Ausdruck
und zur allgemeinen Anerkennung.
Den grössten Fortschritt in dieser Hinsicht verdankte man Cuvieb,
welcher die Typenlehre begründete. Er erklärte, dass es im Thier-
reiche vier neben einander stehende Hauptzweige oder „allgemeine
Pläne gebe, nach denen die zugehörigen Thiere modellirt zu sein scheinen
und deren einzelne ünterabtheilungen nur leichte, auf die Entwickelung
oder das Hinzutreten einiger Theile gegründete Modificationen sind,
^ J. Döllinqer: Über den Wertli und die Bedeutung der vergleichenden
Anatomie, Würzburg 1814, S. 17.
Dis aaiurudsstnscJiaftliche Wdimisckm^img des 19, Jakrhundsris, 373
hl denen aber an der Wt*senheit des Flaues nichts geändert wird",
K. £• Y. Bjlfm bestimmt*^ den Bo^ilf des Typus genauer und berichtig
di^ Tlieorie, namentlieli in Bezu^ auf die Entwiekelunirsgeschichte,
welche Cctvier gäuzlie.h unberücksichtigt gelassen hatte.
Die wii3sen9chatY!iehe Bearbeitung der letzteren begann damals
mehr, ala bisher^ hervorzutreten und auf die verwandten Diseiplinen
inflnas auszufiben. Pam»er verötfen fliehte 8eine bahnbr<M^henden Unter-
phangen über die Entwiekelung des Huhns, in welchen er den Nach-
weis lieferte^ dass sich der Vogelkorper aus drei Keimblättern bildet,
K* H V, Baer zog auch die übrigen Kbissen der WiHHdthiere in Be-
tracht und wies auf die verschiedenen Sonderungsvorgänge am Keime
hin. Auch von Anderen wurden die Veränderungen des Eies nach der
Befruchtung beobachtet und die Fur«*biingsprozesse besehrieben. Ferner
wurde die Entwiekelung einzelner Örirane, z. B, diejenige di*s Gebims,
des Augea, der Wi)LFF*scben Kürjier n. a, ni. zum Gegenstande besonderer
Untersuchungen gemacht.
Dabei wurde man auf die Ähnliehki'it in (b'r Entwiekelung diT
Embryonen verschiedener Thierlbrmen aufmerksam. Juhn Hüntek,
KiKUMKrKR und spater Oken begründeten die Theorie, dass die Em-
bryonen der höber organisirten Thier«« di<" Entwiekidungsstadien der
Wederen Klassen durchlaufen. Die entwiekelungsgeschichtlichen That^
Sachen in Verbindung mit den palaennt^dogisehen Fun<len, welche die
Verschiedenheiten zwischen d**n fossibm Pllanzen und Tbieren und fien
heutigen Kep rasen tauten ihrer Art erkennen liessen, erschütterten ain-h
in der Zoi>[ngie den (Tlautten an die ünveränderlichkeit der Form und
brrriteten die Uescendenztheorie vor.
Schon i J, 1804 erklärte Lamarck unter Hinweis auf die Bjtstardirung
und Varietätenbildnni,% dass der Begriff der Art nur dem an ein kurzes
Zeitma^s gewöhnten L rtheil der Mensehen unveränderlich erscheine, in der
Wirklichkeit al)er wechsele und sich den äusseren Lebensverhfdtnissen au-
pa.sse. Im J, 1830 verötfentlichte Lyeuj seine Principles of Geology, in
denen er auseinander setzte, dass es zur Erklärung der Verändeningen der
Erdrinde durchaus nicht immer der Annahme grosser gewaltiger Kat^t^tro-
phen bedürfe, sondern dass dazu die langsam^ alier stetig wirkenden Kräfte
der Natur ausreichen. Er wies auf die Wirkungen der Flüsse und Meere,
der Minerabiuellen und tfletscher hin und verglich die Veränderungen der
unorganischen Welt mit dem Minutenzeiger der Uhr, ,,dessen Vorrücken
man sieht und hört, während die Fluktuationen der lebenden Schöpfung
kaum sichtbar sind und der Bewegung des Stundenzeigers gleichen".*
' u, ??ciimidt: Dcsceudenzlehre und Darwinbrniiß, Leipzig 1873, S. 117.
374
Der medmnUche ünkniM m der neuesten Zeä,
Das Dogma der Constanz der Arten wurde allmiilig von den
meisten Naturfnrsi'hem vorlassen. Man sah, dass die Arten sich inner-
hall) gewisser morphologischer Grrnzen veräntlcrn, und wurde dadnrch
zu der Vermuthnng fj^edningt, dass sie sich auf diese Vivise zu ihr
gegenwärtigen Form entwickelt haben, du Darwin hat das m\
ganglicho A'^rtlienst, diase Hypothese zur wissensehafllichen That
erhohen zu hahen. Gestützt auf ein i"eichei> Beobachtungi^-Mttti
unternahm t^r es, die Ursachen zu ergründen, welche die Entetehunpf
d<T ArUni erklfiren, und kam zu dem Resultat, d-Ass der Kampf xm
DiLsein und tue natürliche Zuchtwahl zu einer Auslese des Besseren ua
Passenderen führen, welche den Untergang des unterliegenden Theili
und die allmalige Vervollkommnung di^g siegenden im Gefolge hab
IHe^e Theorie, welche vüu WAiiLAci:, NAKciKLi u, A. in einzelnen Punk
berichtigt uutl ergänzt, wurde, bildete den Grundstein einer neuen natu
wisKensehiiftliehen Weltanschauung.
Als liald darauf der Versuch gemacht wurde, darauf eine nati
liehe Schöpfungsgeschichte aufzubauen, und dabei auch die Stellun
des Menschen gegenüber den übrigen Bewohnern der Krde m den Kr
der Erörterung gezogen wurde, erregte die neue Lehre den heftig«
Unwillen aUer Derjenigen, welche darin einen Angrift* auf die Religio!
und die Menschenwürde erblickten. Die Lückenhaftigkeit der IM*
saidaen, besonders in der Palaeon tobigte, und die mangelhufte Kennt-
niss nninchcr physjoloi^ischen und entwickeluugsgeschichtlichen Vorgäiigc_
gestattete allenlings nicht Schlussfolgerungen von solcher Tragweih
wie sie bisweilen zu Tage traten; aber dieselben bullten sich in
anspruchslose tiewand der Hy|K)these und forderten nicht beiiingung
loso Unterwerfung, tsomiera eine freimüthige Kritik, Die Religion mi
niemals von der Wissenschaft bedroht werden, wenn sie es unterlä
die Freiheit der Forschung anzufeinden, und in der ethischen EaiehuDj
des Menschengeschlechts, in der Veredelung des Gemüthslebens ihre
einzigen Autgaben erkennt.
Physik und Chemie in den letzten hundert Jahren.
Wahrend sich die Mineralogie, Botanik und Zoologie aus
schreibenden Naturwissenschaften in erklärende umwandelten^ gewannfj
auch die Pliysik und Chemie durch die Verbesserungen der Untü
suchungsmethoden und die Fülle neuer Entdeckungen eine anda
Physik und Chemie in den letzten hundert Jahren.
376
In der Chemie wurde die«e Periode eiii|?eleitet durch die Ent-
i^kujig dm Sauersk»flf8 und die Beseitii^iiiM: der Phlogiston-Theorie und
"chaiukt^^risirt durch die M^-thoiic d*.'r quantitativen Untersuchungen,
Im X 1774 fand Jos. Piueötley den Sauerstollj indem er rothe« Queck-
silbtTDxyd zum Erhitzen brachte. Zu gleicher Zeit beobachtete er, das8
das dabei gewonnene Gas die Athmung und VtThr<'nnung besi^er unter-
jj^lf^ als die gewöhnliche Luft; aber er vermochte nichts die daraus sich
•yrebendeo Schlüsse zu ziehen. Er war ein genialer Dilettant, der die
Wissenschaft mehr in der Breite als in der Tiefe erforschte. Er hat
die (Tiemic mit einer Menge von Entileckangen bereichert, und, wie
Kupp sagt, für die Kenntniss der Gase mehr geleistet, als die berufs-
mässigen Naturforscher.^
Erst Lavüisieb erkannte die vollf^ Bedeutung der Entdeckung des
Sauerstoffs» Schon zwei Jahre vor derselben lieferte er den experi-
menti^llen Nachweis, dass sowohl bei der Verkalkung der 3Ietatle, al'^
bei der Verbrennung von Phosphor und Schwefel im Widerspruch mit
der ph logistischen Theorie eine Gewichtszunahme erfolgt, welche auf
der Absorption von Luft beruht; aber er wu&ste nicht, ob dabei die
Laft im Ganzen oder nur ein Theil derselben wirksam ist. Als er
durch Pbikstley den Sauei-stoff kennen lernte, kam er auf den Ge-
danken, in ihm die Ursache dieser Erscheinungen zu suchen. Durch
'M' Versuche stellte er lest, daas sich nur ein Fünftel der
ruf ^ irischen Luft an der Verbrennung betheiligt, imd d^iss die Luft
aus einem Theilc Sauerstoff und vier Theilen eines Gases besteht,
welches weder zur Verbrennimg noch zur Athmung geeignet ist.. Seine
AngaV)en ril>er die Zusammensetzung der Luft, des Wassers und ver-
«ehiedener ^Säuren wurden von Cavenbish bestätigt und in einzelnen
Punkten er^inzt,^
Mit der Widerlegung der ph logistischen Theorie tauchten ver-
schiedene Fragen auf, welche bis dahin auf Grund derselben oder nach
ihrer Analogie gelost worden waren. Da Lavoisier in allen Säuren,
ilie er untersuchte, Sauerstoff fand, so erklarte er denselben für den
die^n Köqiern gemeinsamen Bestandtheil, also für Das, was man früher
Als Ursäure bezeichnet hatte; er wies femer auf die Rolle hin, welche
der Sauerstoff bei der Oxydation oder sogenannten Verkalkung der
Metalle spielt Von dem Wesen der Kausticität hatte Black schim
früher eine richtige Darstellung gegeben.
* Korr a, a. O. l, 239.
' Kopp: IkitHtge zur Göachichte der Chemie, BrauuBchweig 187Ö, HI,
ii.ii;
376 Der medidnisdie Unteiricht in der neuesten Zeit,
Lavoisier entwickelte ferner die Bedeutung, welche der Sauerstoff
für die Athmung und Blutbereitung besitzt, und gab dadurch die An-
regung zu einer gründlichen Umänderung der physiologischen Lehren
über diese Vorgänge. Aber auch auf die Pathologie und Therapie übte
die Entdeckung des Sauerstoffs einen grossen Einfluss aus. Einzelne
Ärzte sahen in ihm die Lebensluft, auf welcher die Gesundheit beruhe.
Sie glaubten, dass bestimmte Krankheiten in dem Überschuss oder
Mangel von Sauerstoff ihren Grund hätten, und verwendeten ihn daher
in der Therapie.
Lavoisiers Lehren fanden die früheste Aufnahme in seinem Vater-
lande Frankreich. Zu seinen Anhängern gehörten Guyton de Mobveau,
der sich um die Einführung einer rationellen chemischen Nomenklatur
verdient machte, Fourcroy, welcher sich mit der medicinischen
Chemie beschäftigte, und Berthollet, der die Zusammensetzung des
Ammoniaks ermittelte, die bleichende Kraft des Chlors zuerst be-
obachtete und deren Bedeutung für das praktische Ijeben erkannte,
das chlorsaure Kali und das Knallsilber entdeckte, die Blausäure genau
untersuchte und deren Bestandtheile feststellte, den Irrthum Lavoi-
siers berichtigte, dass in allen Säuren Sauerstoff enthalten sei, die
Lehre von der chemischen Verwandtschaft begründete und auf die
Wichtigkeit der quantitativen Verhältnisse, welche dabei in Frage kamen,
hinwies und die technische Chemie, namentlich die Stahl- und Salpeter-
fabrikation förderte.
In Deutschland war Klaproth der Erste, welcher die anti-
phlogistische Theorie vertheidigte. Die Chemie verdankt ihm die Ent-
deckung mehrerer Elemente und die Richtigstellung verschiedener irriger
Angaben, welche von andern Forschem gemacht worden waren. Seine
analytischen Arbeiten zeichneten sich durch ihre Genauigkeit aus und
übertrafen in dieser Beziehung sogar diejenigen Vauquelins, welcher
um die gleiche Zeit die mineralogische Chemie bearbeitete, und
dabei das Chrom und die Beryllerde auffand. Auch der organischen
Chemie widmete er seine Aufmerksamkeit und entdeckte z. B. die
Chinasäure.
Im Beginn unsers Jahrhunderts verkündigte J. L. Proust das
Gesetz, dass die chemischen Verbindungen stets eine bestimmte Constanz
ihrer Zusammensetzung zeigen. Ausserdem lieferte er wichtige Beitrage
zur Chemie einzelner Metalle und entdeckte den Traubenzucker. Der
Engländer Dalton versuchte, die Constanz der chemischen Verbindungen
durch die atomistische Theorie zu erklären, indem er annahm, dass
sich die Atome verschiedener Elemente in einem bestimmten, von ihrem
Gewicht abhängigen Verhältniss vereinigen; dabei &nd er das Gesetz
Physik ufid Chemie in den letzten hundert Jahren. 377
der multiplen Proportionen.^ Die stöchiometrischen Untersuchungen
Daltons wurden Yon Wollaston, der die Bezeichnung der Äquivalente
anstatt der Atomgewichte einführte, und Berzeliüs fortgesetzt und
ergänzt.
Eine Erweiterung erfuhr dieser Gegenstand durch Gay-Lüssac,
welcher bei der Untersuchung der chemischen Verlnndungen auch die
Volumen -Verhältnisse der Körper, wenn sie sich im gasformigen Zu-
stande befinden, zu berücksichtigen empfahl. Im J. 1805 fand er in
Gemeinschaft mit Alexander von Humboldt, dass sich das Wasser
aas 1 Volumen Sauerstoff und 2 Volumen Wasserstoff zusammensetzt.
Später untersuchte er noch andere Verbindungen von diesem Gesicht*;-
pnnkt aus und stellte dabei fest, dass ihre Bestandtheile, sobald sie im
gasartigen Zustande sind, auch in einem bestimmten Raumverhältniss
zu einander stehen; er legte somit die Grundlage zu der Volumen-
Theorie.
Gay-Lu88ac veröffentlichte ferner werthvolle Arbeiten über die
Ausdehnung der Gase durch die Wärme, über die Dichtigkeit der
Dämpfe, zu deren Bestimmung er geeignete üntersuchungsmethoden
angab, über das Jod, welches kurz vorher entdeckt worden war, und
seine Verbindungen, sowie über mehrere Chlorverbindungen. Er gab
die erste richtige Darstellung der Zusammensetzung der Blausäure, er-
läuterte das Wesen des Cyans, entdeckte den Jodwasserstoff-Äther und
die Unterschwefelsäure, und vereinfachte die Prüfung verschiedener im
täglichen Leben gebrauchten Stoffe.
Die Erforschung der quantitativen Verhältnisse zwischen den ein-
zelnen Bestandtheilen der chemischen Verbindungen trat in ein neues
Stadium, als die Thatsache bekannt wurde, dass der elektrische Strom
die letzteren zerlegt Nicholson, Cablisle, Crüikshank, sowie Ber-
ZELTös und Hisingeb machten darüber verschiedene interessante Be-
obachtungen, und HuMPHRY Davy gab ihnen eine theoretische Grund-
lage. Er zeigte, dass mittelst des elektrischen Stromes das Wasser in
Sauerstoff und Wasserstoff und die Salze in Säuren und Basen zerlegt
werden, von denen sich die ersteren am positiven, die letzteren am
negativen Pol der Volta'schen Säule niederschlagen, wies die Zerlegbar-
keit mehrerer zusanmiengesetzter Körper, z. B. der feuerbeständigen
Alkalien, der alkalischen Erden, des Baryt, des Strontian, der Bittererde,
Kalkerde u. a. m. nach und sprach die Ansicht aus, dass die chemischen
und elektrischen Wirkungen Äusserungen der gleichen Kraft seien; er
* A. WüRTz: Geschichte der chemischen Theorien, Deutsche Obersetzung,
Berlin 1879, S. 29 o. ff.
ghiiitptct, (Ifimi dietmlben bei der Berührung grosserer Ma^setn iu dtt
l\mn tWr Klektricitötp binm Siuäammentrcffeo kleintr Tli*4l(:heu
('liHmiHche Verwandtschaft ym Tage traten,
1)avy*h Arbeiten piben ii'u* Anregung? zu einer Reihe von eleklro.
i^liMiniHuhon Uritersui^huuger», welche von Th^naud, dem Entdecker Ai^
\VusHerst(trtkii[>eraxydB, wiid Uay-Luöwac angestellt wurden und die
KenntniHH einzelner IClementet benunderi!! des Kaliums und Natri«iiui|
ebensu wie die Technik der Punsch im gsnn4hoden wesentlich Rnieit4»ik
Zu gleicher Zeit gaben HcHWKictOEU und ItKriZELiu« neue Aufsclilüssi
ober die Theorie des ElektnichemismuB; der letztere ging von der Ai
nähme der elektrischen Fohiritiit der Atome der Kurper aus unrf i^tJ
klärte demgi'nuiHS die Entstehung chemischer Yerbindimgen als m'
Aneinanderkgem der ent^eg<*ngesetzUm Pole der Atome verschie^lwier
K^rfier,
Im J. 1834 fmnd Fahaday die wichtige That^cbe, dtiss dieselbe
Mfiii^ cirknlirvnder Elektricität auch stets denselben chemkchen Ilffekt
kenurbringt. Damit gewann er ein Maas8 für die vorhandene £ki«
ttiflilit Indem t»r ferner dii» Wirkungen derselkui auf die verschiedeaeii
Verbindungen studierte, machte er die Beobachtung, iass die Gewiclijfti
nMiu der StnfTe, welche vom elektrischeii Strom zerlegt wer«'
obiBiiMdien Aiiuivaientgewicht entspreehen. Auf (he.se Wi i i
die liphn.^ von der chemischen Verwandtschaft eine Beleuchtung, welchi
jiieh iiuf diis ganze Ueliiet des Elektrochemii?mus erstreckte.
Auch die übrigen Theilc der Chemie wurden erfrdgreich bearlnM
II, Üavy beriebligte die irrigen Ansichten über das Chlor und führtt
den Hegrity (h*r WasserstolMuren ein; femer machte er zuerst auf ik
beriMischenile \\ irkung des von Peibstley entdeckten Stickoxyds auf-
merksanu Erwähnung verdienen auch seine Unter^chungen fiber die
MubMtarben an antiken Kunstwerken und über die Mittel, um die in
Pompeji getundenen Handschriften in einen lesbaren Zustand zu briiiKt^n.
Ukk/.hlu s wirkte' nach allen Richtungen der Chemie anregend
uml funternd und sehuf eine Schule, aus welcher eise Reihe der her-
vorrage ndst-^'n Chemiker des 19. Jahrhunderts, wie Ohb. Gmeun^
mtiiKiiLti II, dit' beiden RiisB^ W6hleb, Hagku^ A&rrsneoH und Aiuli
beiv^rgin^t^n. Er arteidilerte die quantitatiTe Analjae^ indem er
iMdbrobr-rntersuchungeu mehr in Aufnahme hmchte^ entdeckte
boDi^bnel» mehren> \m dahin nicht bekannte Kiemente und lieferte vor-
in^iriiehe lieitri^ge nur Zooehemifi^ Wamaju^x besohiftigte sich mit di^r
Fhv ^ ni^^ di^r Ga» und mit Teitoiefungm der Stahl* und der
(ii u wihmid OiHA^ Untecsnchimgen aber das speoifiack
Uv^wieht mtahMtim GtM «Mldlta
%
ber-
Phjfnik und Chemie in dm hixtcft hundm-t Jahren.
379
MiTscHERLicH Unternahm die künstliche Nachbildung anorganischer
Körper tmd zeigte, dass sie identisch sind mit den in der Natur vor-
koiiim»^nden Mineralien, veruffentlichf-e wichtige Arbeiten über die \^er-
bindung des Natrons mit Jod, sowie über die Oxydationsstufen des
Miingans, und bahnte dureh seineJEntdeckimg des Isomorphismus und
Dimorphismus in der Chemie eine physikaKsche Richtung an, die auch
für die Mineralogie Yon Bedeutuug war. Die That^sache, dass Korper
van verachiedener chemischer ZiLsammensetzung die gleiche Krystall-
besiton und ihre Beslandthcüe durch andere Kiemente ersetzt
können, ohne dass sich ihre Form ändert, während au<lere
Kuri>er, wie der Schwefel, bei gleicher chemischer Zusammensetzung,
unU»r verschiedenen Gestalten erscheinen, übte auf die weitere Ent-
urickelung der CheiTiie einen grossen Einilu^ss aus.
Mit LiEBiG und Wöhleb trat die organische Chemie in lien
Vordergrund. Hier erüffnete sich der wissenschaftlichen Forschung ein
ArbeitsfeM, welches liis dahin noch wenig otler gar nicht bebaut worden
war. Die Untersuchung der organischen Verbindungen, ihrer Zusammen-
_^ lUBg und Eigenschaften und die Versuche, sie künstlich darzustellen,
boten eine Fülle von Aufgtiben, deren Lösung die i*hemiker des 19. Jahr-
hunderts vollauf beschäftigte. ^
Dazu kam die Erkenntniss der vielfachen und tiefgreifenden Bä-
hungen, welche die Chemie zum praktischen Leben hat, und ihre
"erwerthung für die Landwirthschaft, für verKchiedene Handwerke und
Gewerbe, die Malerei, die Kriegskunst, die Nahrungsmittellehre, die
Physiologie^ Pharmakologie und Pharmaceutik. Die Agricultur-Cheinie,
die technologische, [»hysiubigische und |diarmaceu tische Chemie haben
sich allmälig zu besonderen Disciplinen entwickelt, und die (.'hemio ist
lor Wissenschaft de^ täglichen Lebens geworden, welche die Bedürfnisse
des Menschen regelt und befriedigt,^
In der Physik wurde bliese Periode mit der Entdeckung der merk-
digen Erscheinungen des Galvanismus eruffnet^ welchen Al, Volta
richtige Deutung gab. Sie erregte ausserordentliches Aufsehen imd
verdnlasste eine Reihe von Arbeiten, deren Ergebniss die Verbesserung
der Volta'schen Säule, die Feststellung ihrer Wirkungen und der Be-
gungen, unter denen sie zu Stande kommen, und die Entdeckung
erer wichtiger Thatsachen bildete. Man erkannte die wesentliche
* A. Laiienburo: Vorträge über die Eotwickelungsge^hichtc df^r Chemie
ift den letzten hundert Jahren, Braunschweig 1887, S. 117 u. ff, — H. Kopp:
Di« Efitwickeiong der Chemie in der neueren Zeit, MüDchen 1873, 8. 518 a C
' Korr: Oeschichtc der Chemie, I, 270 u, ftl
der ii .
Von 1
die Makeln Kj^i
lUlfT Bedeacang irmr OBi@rrxi/s BeolMK^hiung
atirch den Strom «lafdenV" "*: denn man
dadurch auf den Zusiimiutfnhang xwMkan K <i und Ma^eti^iaioi^
hiogffwieisen. Aiugo und Gat-Lu^bac xeiift«n bald duniuf. da^ 4|
8tit»D nicht Mofi aldenH sondern auch magnetiiört ScHWKt*
glrnirti! den ersten MulUplicator, und AjCFtBX entdeckt«^ u
peitigen Eintlu^s d«^r eiekthisehen Strumi*, vei^uchte eine Erklüntng ilea
Vfmem des Ma^netbmuH zu get»en und entwickelte zuerst die Idee da
elektromagnetischen Telegraphen.
Gleichzeitig be4j|^chtete man *lie Wechsel-Wirkungvn zwischen \V;irm€
und Kl»'ktricitut. inidS):r ' m\ in tler ThermM-EleklneitÄt
eine neue Quelle <ler I i tt, Ohm jh- für die I/^itungs-
ßhigkett der Melalldnihte und für das zwischen Strom-Intenmtät, ek*k.
troraotorisdier Knift und Widerstand bestehende Vt - ir»»lten(h
Gesetze und l»ruchte sie in eine leichtfassiiche rnatli l. ho Fi)riüd
Fabai>at V»emerkie zuerst die elektrischen Induktionsstrome und »tu-
dierte die Wechsel -Beziehungen zwischen Klektricität und IJcht
Verbesserungen in der Technik der Untersuchungsmethoden, dii»
lindung zwecken t'^prechender Apparate* und Instrumente und die diirauf
folgenden wissensehal'Mirhen l^rgehnisse bildeten weitere Bereicheningvn
der Kenninisse auf die^^sem Gebiete
Für die Physiologie erlangen hauptHäelilich zwei phjsikalisctn'
Kntdeekimyen eine mm^htige Be<leutung, niimlieh die Fesr^Htellun^ <in
Thatsat!he, dass im thierischen Kr»rper elektrische Ströme kreisen nml
di(* KntdeektJTig des Gesetzes vun der Krlmltung und Umwandlung' <k
Kniff. Dnrch da.s letztere wurde bewirken, dassii Kl^ktricität, Warnif
und meehanische Arbeit oder Ueweijrung ineinander üliergeffihrt oicrmt
AuHirisun*; geliraeht werden knrnien iin<i a(|uivalentt^ KrHcheinnngsfomi^ii ,
der gleiehen KnifY sind. Ihimit war d?is einheitliche Band aufgefündeuJ
welches die wichtigsten Funktionen des organisrhf'U Lebens unisnhlinjTt, H
Die Verwt'ndung der Kleklriciiat zu technischen Zwecken, z, \l'mi ,
Telegraphie, zur Heleiichtung, zum Treiben von Maschinen u. a. mJ
gehurt ebenfalls tier nenosten Zeit an.' ^
Die enge Verbindung, welehe die Physik mit der Mathematik
sohlos8, die sie iils Pfad (Inder sowohl wie zur Con trolle gebrauchte, und
die gewissen bat te und grundli«^be Mi^thude des Experiment*? sichertai
der Forsclirmg auch in den übrigen Kichtungen dieser Wissenschatt
» E. IIonT,; (Yiwhiclik^ der Elfiktncitilt, Iwstpsig 1884, 8, 118 U. £
■baft»
Kimi
liHeutende Resultate, Am deutlichsten musste dies in der Mechanik
herTürtn'ten; Laplack, Youkg, (javhh u. A* unternahmen es, die den
TtTKchiedenen Vor^^ingen, z. B* der Ciipillurität, zu Grunde lit^gonden
(iesetze festzustellen. Auch füo Astroniiuiie, die MeteorolojiriR und Kli-
matolo^ie verdankten di<j«en Bestrebungen manche Anregung und eine
btMleutende Verniehrung des wissenschuftMühen JUaterials.
Die Entwickelmig der Wärmelehre stand ebenfalls unter diei^em
Etniltisä. RüÄiFoRD machte die Beobachtung, dass durch Reibung
Wärme tTzeugt wird, und schuf dadurch die erste Grundlage zur me-
eil - M VVärmetheuriH. 1 Die Mittheilungen üher die ungleiche
W ipacifcjU der Kt»r|ier. die Untt^rsuchungen über den Grad der
Ausdehnung, welche ^ie durch die Wärme erfahren, über die Spann-
de^ Wasserdampfes und deren Verwerthung für die Wärme-Oko-
imie der Dampfmaschine, die calorimutrischen Messungen, besimders
die Verbuche in Betrefif der Heilkraft der Gombustibilien u. a. m. nahmen
die Phv>*iker umsomehr in Anspruch, als sie den Bednrfnissrn dt^s prak-
tischen I^bens entisprachen. Das Gesetz der Äquivalenz von Wärme
und Arbeit warf auf viele dieser Fragen ei!i klärendes licht und zeigte
den Weg zu ihrer Lösung,
Die Optik wurde durch den Sieg der L'ndulations-Theorie des
Lichts und durch zahlreiche Entdeckungen gefurdert Younci benutzte
da« Priucip der Interferenz dci? Lichts zur Erklärung verschiedener
Erscheinungen, und Fki'^snkl stUiliertc die Lichtheuj^ung. Im J. 18Ü9
entdeckte Malus ȟe Polarisation des Lichte durch KeHexion, und nicht
nachher machte Bhewstkh^ auf die Existenz zweiaxiger KrystaÜe,
auf die innigen Beziehungen zwii^chen optischer und krystalÜni-
ijcher Struktur aufmerksam. Er construirte später auch das erste diop-
trische Stereoskup.
Ebenso wurden die chemischen Wirkungen des LichLs einer ge-
nauen Untersuchung uut^^rzogt^n ; dieselbe führte zur Erhndung der
Photographie, welche sich an die Namen von Dagöekbe, Niepce und
Tai.but knüpft
Fraünuofeb iM^obachtftte, wie schon Wullabton vor ihm, die
dunkeln Streifen im Sonnen-Spektrum; aber eine Erklärung derselben
wurde erst von Kirchhoff gegeben. Die Entdeckung der Spektral-
Anal v«»e gab Au&cblüsse über die ph^^sikahsche Natur und die chemi-
sche Zttsammensetzung der Weltkürper und eröffnete der Forschung
Arbeitsfeld.
* O, Bebthold: Ramforrl u, die mecliaalsehe Wörraetheorie, Heidelberg 187ö*
• D. BiuiwirrRTi in den Fhiloa, Transactions, London 18 IH^ p. lUft «. ftl
382 Der medieifmehe ünierridU in der neuesten Zeit
Die Vorbesserunj^en der optischen Hilfsmittel, namentlich die
findun^^ der achromatischen Fernrohre, sowi** diejenige der achromi
sehen MikTo.skujie, die zuerst von Heümann van Dkyl und Fkaltnuomi/
in der Zeit von 1807 — 1811 anjyreferti^ wurden, und die VerTollkuinni
ruin^^en, w»vlche dieselben spiiter <liirch Pi/issl, Sklligitk, Chkv ^
^„^ici, Obehhaüseu^ Hartnack u. A. erfuhren* hatten ftlr nüp h^i^^j^^^
Naturfurschung eine grosse Bedeutung. flll
Die Akustik wurde durch CnLADin, Ohm u, A* mit rini^cn imi}^
vollen Arbeiten bereichert; doch ist die wissenschaftliche BegrÜTulfing
dieses Theiles der Physik eigentlich erst der jüngsten Zeit gelunjjeti
und hauptsächlich IIelmfioltz zu venlanken*
Die Physik unti ("hinnie sind die eig<»ntliehen HillWissenschaW
der Medicin geworden, welche in der Physiologie wie In der Patliolugie,
in der internen Heilkunde wie in der Chirurgie zu Rath gezogen mnl
i
Dia medicinißchen Systeme und die Fortschritte in
der Anatomie und Physiologie»
Die durch HAiJiEu zur allgemeinen Anerkennung gelangte Lehn
dass Sensibilität und Irritabilitiit die (irundeigenschuften des unjmal
sehen Orgunismus bilden, ihe darauf folgenden Entdeckungen in Jer"
Chemie und vor Allem der (lalvanisinus riefen eine Anzahl medicini-
scher Systeme henn^r, in denen der Versuch gemacht wurde, mit llilfo
dieser Thatsaehen die Erscheinungen des menschlichen Körpers im ge-
sunden und im kranken Zustande zu erklären und bestimmte Gi^ichLs-
[ainkte für die Heilung zu gewinnen.
Ein Theil der Arzte sah gleich den Methodikern des Alterthums
in allen physiologischen und pathulogiscljen Äusserungen Reizungen
oder Erschliitfungen, deren Ursachen bald in das Nervensystem verlegt
wurde, wie es ('ullen that, babl in der grösseren oder geringi^rvn
Erregbarkeit gesucht wnnh^, wie es durch Jcihn Broiä^ und seir
banger geschah.
Die Erregungstheorie wurde von Chr. Girtankeh, welche^
Sauers tütr für das wirksame Princip der Erregbarkeit erklärte, von
RüSCHiiAüB, der auf den Einfluss der Anlage, der Organisation hinwies,
von Bhmübsais, der an die Stelle der Reizung die Entzündung setzte
und die Theorie durch die pathologische Anatomie stützen wollte, und
von Easori, welcher die für die kalten torpiden Naturen des Nordens
in^ffl^
Iterechnete Tjehre Browks den Verhältnissen seiner südländischen
Heiinath anpiisste^ erweitert und au.sgearl>eitct Sie erlangte eine grosse
Verbreitung, wurde aber ebenso rasch wie^ler aufgegeben, als ihre Halt-
losigkeit nachgewiesen worden war.
Der wissensehaftlichen Forschung stand sie kalt und gleichgültig
gegenölier, die praktische Heilkunst belastete sie mit einer vielgeschäf-
tigen Poh^phannacieT div häulig mehr Schaden als Nutzen stiftete.
Einen tieferen Gehalt hiitte der Vitalismus, welcher mit der Er-
regungstheorie um die Herrechaft in der Medicin rang and schliesslich
Sieg davontnig. Derselbe nahm van Montpellieh seinen Ausgang
;d erinnerte in mancben Beziehungen an den Aninüsmus Stahi^s;
doch unterschied er sich Ton dem letzteren in vortheilhaft-er Weise da-
durch, dass er über dem die Ordnung und Harmonie im Organismus
schaffenden allgemeinen Lebensprincip keineswegs das Studium der
mzeluen Verrichtungen und Theile des Korpers vernachlässigte und
nicht, wie jener, die Seele zur Erklärung aller, auch der eintachsten
Lebensvorgänge benutzte, sondern nur dann darauf zurückging, wenn
»•r die letzten treibenden Ursachen im thierischen Organismus bezeichnen
wollte. Er verlangte nicht, iuif dem Gemrilde der Medicin die Haupt-
figur zu sein, sondern begnügte sich damit^ als Grundton verwendet
zu werden. Seine Vertreter, zu denen in Frankreich Forscher wie
BoBDEir, BartheZj Grimavd, Pixel, Bichat, Chaussier u. A.. in Eng-
land Ebasmits Darwin, in Ueutecbland Blümenbach, J, C» Reu* u. A.
gehorten, stan^len an der Spitze der wissenschat'tlicben Bestrebungen
imd lieferten durch ihre Leistungen den Beweis, dass der Vitalismus
den Fortschritt nicht hemmte. Dadurch erklärt es sich zum grossen
Theile, dass er auch fortdauerte, ^h in Deutschland die Naturphilosophie
und in Fmnkreich die physiologische Schule die Medicin beherrschte.
Doch hatte er auch einzelne Verirrungen im Gefolge, namentlich
auf dem Felde der Therapie* Der Mesmerismus sowohl wie die Ho-
mMopalhie liehaupteten, dass ilire Behandlungs-Methode unmittelbar auf
die Ivi*benskraft einwirke. Wenn sie damit Heilerfolge erzielten, so
lieruhte dies in dem ersten Falle wohl haupt.^richlich auf den Ersehei-
imn^en des Hjpnotismus, der Metallotheräpie u. a., welche erst in
neuester Zeit einer sorgtaltigen Beobacbiung unterzogen wurden, bei
der Homöopathie auf den Wirkungen iler im Kurper vorhandenen regu-
lattiriÄchen Vorrichtungen.
Der Vitalismus verlor den Boden, als es gelang, die cemplicirlen
Lebensrprozesse in die einzelnen Faktoren aufzulösen und nach <len
allgemeinen Naturgesetzen zu erklären.
Die empirische Forschung, welche alle erleuchteten Geister seit
AitisTüTELRs als die einzige Quelle der Erkenntni«6 gepriesen hatten
wurde allinnlig die Losunp^ des Ta^es, und man sah davon ab. meiJi-
cinisclie Systeme zu ersinnen, an denen die Thafesachen gewöUnJich uiir
geringen, die Hypothesen und Spekulationen den grö&sten Anthtil
hatt»?n» Wenn in der Geschichte i!er lledicin des 19. Jahrlmr '
zuweilen eine besondere Kichtung der Forschung, z. B. die PhjM
die pathülogische Anatomie und in jüngster Zeit die Hygiene, in den
Vor<lergrund trat und die Entwickdyng der gerammten W ' n
tHvinflysste, so lag dies nicbt. an einer willkürlichen i>y i ;;,
sondern ergab sich aus der Krfabrung, dass die Bearbeitung dieses
einzelnen Feldes die reichsten Frurbte für das Ganze trug.
Es ist hier nicht meine Aufgahe^ alb* Entdeckungen und Fort-
schritte in den einzelnen Disciplinen der Heilkunde, welche in ummm
Jahrhundert stattgefuiulen liaben, aufzuzfiblen. Ich darf mi^h danuf
beschränken, die grossen Errungenschaften der Medicin anzuführen^ und
muas es mir versagen, jeden der Steine zu beschreiben, welche sich m
dem Mosidk bilde der Gegenwart zusamnieTisetzen.
Der anatomiiiche Bau des menschlichen Körpers war im Allge.
meinen der Wissenschaft liereits erschlossen, als diese Periode begann;
es handelte sich nur noch darum, die Lücken in der Kenniniss ein-
zelner Gebiete^ nameuthch in Bezug auf das Geias^- und Nervensvskm
und die Sinnesorgane, zu ergänzen. Ferner galt es^ über die feiiiert»
Struktur der Organe, welche nach der Verbesserung der Mikroskope
und der Einluhruug neuer tei-hniseher Hilfsmittel mit grosserer X^
sieht auf ErColg untersucht werden konnte, eine klare Einsicht zu ge-
winnen»
Ausserdem versuchte man, die Anatomie von einem anderem ak
dem reinen descripüven Gesichtspunkt zu betrachten. Die eimcln^^n
Theile und Organe des Korpers wurden nach den vei^schiedenen Ge-
genden geordnet, in ihrer gegenseitigen Lagerung studiert und die Be-
deutung dieser Verhältnisse für die Chirurgie erörtert
Neben der Bearbeitung <ler topographischen und chirurgiijclien
Anatomie wurde ferner der Einfluss der Entwickelungsgeschicbte auf
die Form und Gestaltung der Theile des Körpers untersucht und auf
diese Weise die eigentlich -morphologische Betrachtung der Anatomi«
angebahnt. Während für die vergleichende Anatomie zwischen dem
Menschen und den Thieren bereits ein reiches Wis^sens-llaterial vorlag,
welches beständig vermehrt wurde, begann man jetzt auch, den Eigen-
thümlichkeiten und Verschiedenheiten der menschlichen Rassen die
Aufmerksamkeit zuzuwenden und dadurch den Grund zur wisseasdiAft^
liehen Behandlung der Anthropologie zu legen.
Za den hervorragen rlsten AnaUimeii, ifelehp am Schhi8s des vorigen
Jahrhunderte leisten, gehörte Th, Soummehing. Seino wissenschaftliehe
Thiili^'b'it tnnfjtsste ȟe verschii**leneo Richttiiig:eD, in denen sich damals
die uiiiitomische Forsehunj^^ howegtt^ Schon seine Inaug^nü-Dissertation
über die Bfisis de^ Gehirns wiir eine Arbeit van bleil)endem Werth.
JBr hat die Erwartun^^en, <lie er darnach erregte, in v(dlem Maass er-
ffillt* Seine vortr»ifflichen Abbildungen des Auges und der übrigen
Sinnesorgane, ^eine lichtvolle Darstellung des anatomischen Baues des
menschlichen Körpers» seine Untersuchungen über die krirperlichen
Verschiedenheiten des Negers und de^ Europäers und seine embryol«)*
irisichen Schritten halien die Wissenschaft in verschiedener Hinsicht ge-
fordert. Er machte auch bereits den Versuch, die Entstehung der
>lisshildungen aus der Entwickelungsgeschichte zu erkbiren.
Üie descriptive Anatomie erfuhr im Verlaut der letzten hundert
Jahre werthvoUe Bereicherungen des Inlmlts und dnrtdi ihre Verhimlung
mit der Entwickelungsgeschichte und der vergleichenden Anatomie eine
<rn"Vssere wissenschaftliche Vertietunfr*
Die Osteologie war in ihrem makroskopischen Theile zu einem
i,^»^wjH^en Abschluss gelangt. Sokmmkrinü versuchte die Formen eines
idealen weiblichen Skeletts festzustellen, wie es S. A^mNiTs für das
mannliche Skelett gethan hatte; er benutzte dazu die Leiche eines
wi. ' -II schönen Miulehens von 2ü Jahren aus ilaitiz, welche der
aii hen Anstalt übergeben wurden war, und verglich diimit die
vollendeten Verhältnisse der Antike, ähnlich wie Albikus die Gestalt
lies Apoll von Belvedere seiner Zeichnung zn Grunde gelegt hatte, ^
In der Alyologie galt es, die Ursprünge uud Ansätze der Muskeln^ ihre
Lagening und Betheiliguiig au dem Bau einzelner Organe und das Vor-
kommen etwaiger Varietäten zu beobachten. Die meisten Ergänzungen
l»edurfte die Lehre von den Gefassen und Nerven. Die erstere wurde
fon Mascagni, G. Breschet, J. und Ch. Bell, Tiedemaxn, Bebbkh,
V. FijiniAXK u. A. in erfolgreichen* Weise bearbeitet Die letztere ver-
dankte ihre bedeutendsten Fortschritte Axt. Si*arpa, welcher den
Bferrtuä nasopalatinus zuerst beschrieli und neue Autschlüsse über den
Verlauf iler Gehimnerven und über die Struktur der Nerven und rler
Sinnesürgatie gab, «Aiarlks Bell, der eine umfassende Darstellung
im Gehirns und Nervensystems lieferte^ Emil Hi 8Chke und Beneiuct
!ärtM.iKo, deren bewunderungswürdige Arbeiten über die Faserung de^
Gtbirots and Kückenmarks den Ausgangspunkt, der späteren Forschungen
ftber diesen Gegenstand bildeten.
* EcD* Waoxer: Sofsrnmcrings Lebi^n und Verkehr mit seinen Xeitgcnoä^een,
PnkciiXAny, Vn(*rricbl. ^
Die UntersiiGluiiigen über den feineren Bau dei ii\i?n Theih
des Körpers führten zur Beörründun^ eines neuen Wisseiisxwmgres,
(»(nveliolehrt'j dureh Bichat. Schon in seiner Dis^si-rf^ition mIwt iij
MfUiUranen, welche vielleielit an die dasselbe Thema lieliüMdelii4
Schritt vuu A.Bünn anknöpfte, hauptsachlich aber in seiner allgemeiow
Aniitomiü nrortrrto er, dass der Kniper aus verschiedenen Arien thh
Oeweben xusammengesetzt ist, und sehilderle deren EiL'<'nttiümlirblir'ii»^B^
lind Verlheihmy:.
Die>^e Heoliaebtün(4:en waren nicht blas filr die Anatouij^^ ^iinulini
aucb für die l*athob.>gie von grus.ser Bedeutung; denn üe beleuchM^a
die Entstehung und Verbreitung der Krankheiten von einer Seite, «i
die man Ids dahin noch j^ar niehl L^edaebt hatte,
Di(* Verbesserungen der u[>ti.s<.dien Hiltsmittel, und besonder* dii']
Herstelluni? achromatischer Mikroskoi^e, ermöglichten die gründlicht
ErforschunjT der Textur der Gewebe, Die Ergebnisse dieser Unkr-^
suchuogen, denen Schwanns Entdeckung der thierischen üelle m
hislogenetiscbe Kicbtung gab, betnjfen alle Organe des Körpen* mi
liolen die (irnndla^en zu einem vollständigen Lehrgebäude der mikro-
^kopisehen Anatomie, an de8i^en Aufrichtung und weiterem Ausbau tiiut^^
natdi Jun;MrLLKH, EiiitENnEnG^ Pi kkixje, Hkni^k^ li Wauxkr, VALK>TdJ
und Max Schiltzk nahexu alle hervorragenden Anatomen dieses Juhr-
liunderts betheiligt haben.
Die Lehre von der Entjstehung und Entwickeliing des menschhcbeii
Embrvo erhielt in den Tliatsaehen der allgemeinen Entwickelung
^scbichte und vergleichenden Anatomie und Zoogenese ein werthvoll
wisi»enscbaftlielies Material. Auf die Arbeiten Panhems und Bakh
welche KuLLiKKK „als das Beste bezeichnet, was die embrvülogi^iü
Literatur aller Zeilen und Völker aufzuweisen hat",* folgte tlie Eij
deekuug de^ Keimidasehens durch PiMiKJx.iK und des Keimflecks dnr
Rrn. Waonbik.
Zahlreiche Beobachtungen hervi^rragender ForHcher, unter urm
hier nur Hkjnr. Ratokk, Rkicuekt. Th. Blschuff und Hon, IfKMj
genannt werden sollen, beschäftigten sich dann mit den Vorgänge«
Zeugung und allmäligen Bildung der menschlichen Frucht und bracht
eine befriedigende Lösung der meisten dieser ungemein schwitjoü
Fragen,
Eine tieissige und erfolgreiche Bearbeitung erfuhr die vergleio
Anatomie* J, h\ Blimenbacw^ welcher si< h zuerst der Aufgabe
20g, die anatomischen Verschiedenheiten zwisi^hen den einzelneu menscj
' A. Köllikcr: Gruiidrisa der Entwickelüug«g^•^*•bH•1lb*. Lfipzitr LsS4, p,
Die medimn. Sififeme «. die Fbrtsohriiic in der Anatomie u, Phyüiol^i^it. 387
Sehen liasseii, besoDders den Kuropäern, Negern und Indianern ui^d
den anthropoiden Affen reskustellen, und dabei auch die Ergebnisse
beröckr<icbtigto, zu Jenen die Betraehtuns: der Bildwerke des Altertliums
und die Sektionen mehrerer ägyptischen Mumien führte, sammtdte alle
Tliäisachen der verj^leiohenden Anatomie, welche von früheren Forschern
in der Iiit^mtur niedergelegt wurden waren, und vermehrte sie durch
eine Menge eigener Erfahrungen, So fand er z. B. bei der Zer^^liederung
eines Seehund-Auges, dass sich die Axe cJeäaelhen leicht verlängern
Äier verkürzen lässt, du mit das Thier in Medien von so verschiedener
Dichtigkeit, wie die Luft und das Walser, deutlich sehen kann.^
Seme berühmte Sammlung von Srhädeln verschiedener Nationen gab
Anregung zum Studium dieses wichtigen Theile^ der Kthnulogie.
Die vergleichende .Anatomie errang dann eine Reihe bedeutender
Erfolge und bildete biis in die neueste Zeit eine unerscbi>pf liehe QuelJo
der Forschung, Die rasch auf einander fidgenden Entdeckungen be-
fruchteten die Zoologie, die Anatomie und Entwickelungsgeschichte
und trugen hauptsächlich zur Begründung iler tiefen morphologischen
Luffassung de>^ organischen Lebens bei. welche gegenwärtig diese Dis-
ciplinen iK'hen^cht.
Auch die Verwerthung der Anatomie für dir bildende Kunst und
die Bearbeitung dersellven für die Zwecke der Chirurgie, wie sie von
MaIiACaknk Fhcjbiep, Velpeai. Rüi^KNMi liiEb, T. Büyer u, A. unter-
nommen wurde, erzielte beachtenswerthe Ergebnisse.
Weit mehr in die Augen fallend waren die Fortschritte, welche
ji»lügie in unserm Jahrhundert gemidil bat. Aus einem noch
1 tioils auf Spekulationen und Hvpüthesen aiifgeliauten, von
mrgtischen, teleologischen und vitaÜstischen Ideen beherrschten Lehr-
fstem ist «ie eine wirkliche Naturwissenschaft, geworden, deren Thal-
neu sich auf matbematiselie tnnJ physikalische Gesetze, chemische
Vorgänge und anatomische Beobachtungen stützen und durch das Ex-
perimetit bewiesen worden sind.
An die Stelle der vieldeutigen Lebenskraft, deren Name tnnst die
groase Ijücke m der Kenntniss des organischen Lel>ens verdecken
mtttsto. sind die einzelnen physiologischen Funktionen de^ mensch-
Lidien Korpers getreten, deren Bedeutung für den Lebensprozess durch
die Beobachtung und den Versuch festgestellt und controllirt wurden,
FjTeicht wurde dies mit Hilfe der verbesserten Technik der Unter-
MH*bungsmeth<'*b'n vnlrliP .Inridi die Krlindung und Anwendung zweck-
' K. F. H. MAasc in den Sitjcung^ber. d. GSttingcr Soc. d, Wiascnach. vom
*. Ffbni&r 1840. S, 22,
25*
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D&t maehMfiMeihe UnimridU in der fmtsttim Z&U,
entsprechender Apimrate ermöglicht und diiruh die i?TO§j$ere Exiiktlieit. j
in der StelhmjLr und Lösunjir der Fragen oiid die ßerfjeksichtigniig der]
scheinbar neVieiisachlichen Din^^f* l»e^üiisti(rt wurde.
Das Experiment kam zur vollen Geltung, undMAdKKDiK, FLorRKx«^.
Vh. Bernard und die grosse Zahl der deutschen For>;cher würdig
vollständig die Bedeutung tlieses wichtigen Hilfsmittels <ier ITij
michting.
Die Chemie hut Antst^hluss über die chemi^^che ZusammensHllft"
des Körpers und sr^iner einzelnen Hestundtheile, Die Unterisuchunj^ tk
verschiedenen Gewebe und Flüssigkeiten de^^ Knrpers, namenüich «leg
Biute^^ und Harns, führte zu »*iüer neuen Auftassiing des men^chliehfn
t^rgiuiismus und seiner Lebi^u.siiusserungen, Dabei irewann man tinpfl
Einblick in den Chemismus der Emähning und lernte die Hülle ver-
Stichen, welche ilir Eiweisskörper, die Kohlehydrate und Fett«^ in ^n
r>köu<»mie des nu'nschiichen Körpers spielen.
Die Beziehungen zwischen den Einnahmen und Abgaben de« Kör-
pers, der 8toffwechst«l, die BlutUereituug» di(^ Bildung der Sekrek* uml
Exkrete, die Entstehung der Korperwiirme \h a. m, erhielten durch \%
Arbeiten eines Liebig, Wöhlek, Dümas^ Umklin un*! ihrer HcUlit
und Nachfolger eine eigenthüniHehe Beleuchtung. Die Lehre voii d^rl
Verdauung wurde namentlich vitn MAtJENiuii, (iMelln, »f, N. Ererli^
Helm, Bkaimönt, Bi-unülut, deren Versuche mit Magi^nsiitt zu wich
tigen Ergebnissen führten^ Vu Bkrnakd, welcher die Wirkung da
pankreatischeri Saftes auf die Fettt^ untersuchte und die Zuckerbildtmg
in der Leiter entdeckte, und vielen nnderen ausgezeichneten Forschen
brarbeitet
Dutu(kiu':t verwendete ilii* vom Abbe Nullet ent^leckte Endm
mose zur Erklärung der Vorgange der Resorption and Abscmderui]
und studierte die DilfusionsverhäUnisse diT verschiedenen thierischfl
tJewebe.
Andral und Gavareet, BEcgrEUEL, Scherek, Nashe, I^kumaK
u. A. beschäftigten sich mit der Physiologie des Blutes. Die Zusammed
Setzung und die Farbstotfe desselben, die Blutkörperchen, die iverinniiil
u* a, m. wurde untersucht und die physikalischen \'erhaltnisse der Binl
bewegung in den Gefassen, der Blutdruck» die Mechanik der Herxpump^*
und die ganze Einrichtung des Herzens und die Erscheinungen <\t
Pulses mit Hilfe zweckmässig construirter Appjir:ite der wissenscbaf
liehen Kenntnrss erschlossen.
NeVten den Arbeiten von E, H. Weokj^ Vulkmann, Flimkkns u.,
welche sich auf diesem Gebiet bervurragende Verdienste erwarben^ miü
hier auch der wichtigen Untersuchungen über den Einfluss deü Nerveii
Systems anf die Herzthätigkeit ond das Gefasssjstem gedacht werden.
EßrARD Weber väes iiiif die Rolle Mn, welche der Viigus Vm der
KeguUmng der Herzbewegung spielt; später erkannte man, dass es sich
dabei eigentlich um Fasern des Acoessorius handelt. Vu Bernaicd
entdeckte, die vasomotorischen Eigeü-schaft^^n des Hals-iSympathicus und
^h dadurch vielleicht Veranlassung zn Untersuchungen, welche zur
Auffindung des vasomotori.sc^hen «'entrums in der Medulh ohlo>}^aia
fuiul4*n.
Das Centmm der Kespirationsbeweguugen, der PaitU piial, wurde
1837 von Ftjljurens entdeckt , naclidoni schon Leqallots auf die Be-
deutung des verlängi-rtcn Marks iiir die Athnuing aufmerksam gemacht
hatte. Andere Forscher erläuterten den Mechani.smus der Respiration
und die Funktionen der dabei betheiligtru l^lu.skelru sowie den Gas-
austausrh in den Lungen und die Beziehungen desselben zur Färbung
des Blutes, und suchten die Kraft, welche die Lunge bei der Inspiration
nnd FiXspiration entfiiltet, und die Menge von Luft, die daliei verwendet
wird, zu messen. Üie Begründung der Spirometrie und tb-r Manonietrie
der Lunge, welche manche Anhaltspunkte für die Diagnostik der Er-
l^: ' -n dieses Organs Inetet, geschah vorzugsweise durch John
1 -ox und Walijenbuiiu.
Die Bewegungserscheinungen regten ebenfalls zu eingebenden Stu-
dii*n an. Die Flimmerbewegung, welche man fr über auf niedere Tliiere
l>e.schränkt glaubte, wurde von Purkinje aueb ini nn:nsrbliciien Körper
b€Kjibachtet, wahrend die Vorgange der Moleknlarbewegung erst in
iu»ue«ier Zeit in den Kreis der Betrachtung gezogen wurden.
Die Mechanik der menschlichen fJehwerkzeuge erhielt durch die
Bruder Eduard und Wilhelm Weber eine nahezu erschöpfende Dar-
^teUung,
Die Entdeckung des Muskelstronies lenkte die Aufmerksamkeit auf
die chemischen und physikalischen Vorgänge, welche im Innern des
MuHkek statttinden. Desgideben stellte auch die Xerven-F^lektricitat
eine Menge von Aufgaben, ileren Lösung die Denker und Forscher bis
heut in Anspruch ninimtJ Welche Bedeutung das von Jul. Rob.
Mavkb entdeckte Gesetz der Erhaltung und rmwandelung der Kraft
für die Beurtheilung der Leistungen des Organisnins hatte, habe ich
^dion früher angedeutet.
Ina J, 1811 machte I^harles Bell die schon von (ialen geahnte
anatomische Versehiedi^nlieit der motr*riscben und sensibeln Nerven zu
' K ov BoiS'RKYMOKfD; L^ntereiiclrnngen über thieriscbe Etektricitlit, Berlin
diitr wm*rmehaKüehen T1istiii4^1i«*^ indna rr dfn Xachireis befpji
«JAiiM fli*! tn^ffTffTi aiji4 dpti funicr^n, di^ letztemi mm ihn hinter^
ItfKkfnmafkH-Wfirz#*lii ♦*nr>^prin^'**fi. Kr kam alif diwe för die KemnJ
Pbynlol'igi** ÄW.'**'r«mlciitJich wichtig«* Knt^lee kung durcli die Vrrgleichunj^
mit d*'m nj}»U*mi^ii**n nnd phy^iiflogi^^h'^n Verhalten df*r nidHmntrvn.
lN»^ondiT^ f|*'r »'in?»*lnen A«^t** d*>?< TrijTPininnh, li^ren Analogie niil Ivu
I(Ock<?rmiark>»-Nerfen ni^hoii ron HoK^fMEHIKü und Pbochaska bt^uitrlit.
mird«*. MAOKNfiiK, namentüch ahwr Jouanxk» Müller bi^tiiti|?ttii
IfKLiiV (Jt'wetz durch ubprzeugend«» \>r<uch**.
Damii Bchltm rioh di»* lM?rrit« ron Cabthmc« aufsTt^ti^Ute und »im
PitoriiAHKA au>ipr^N[>nH»ln*n<* Ti*»hr** tim den H»'f^ n. wf^Mji
Mahihhau^ Hau. I88:i durch Berdtachtungen wiR-r:. i ., ., . begrüuddi
tin<l JoiL MCllke in einzdnen F^inkten berichrigte und in klam*, m
HtÄndlif")i>'r Weifte' dar^tidltf.
Diu f unktionen der mnelm^n Xerren iind dip Bedeutung der v<tJ
«chiHenfn norvoüon G«?bildt% z. B, der Ganglien, wurden dureh V«t-|
Milch»' fnhtgi'Mffllt, Auch wagtt* iimu sirh an fli<* Lnsim^ der !«ehwi<>ri^»'nl
Frofilenits wt»Ichp flin PhyMioIngie des ^'entnil-NervenK}t*t4^DiH \mwt,
y. J. Gall gläubtf% bei der Untersiirhung und Vergleichung in
Mm\v\ voll P»MN*jr»rrr, welrlie )>eshmirite Eifrenf^ehafti'n de« Geistt»ii iindi
i'hanikters heHitzen^ dl«* Beobafhtunj^ geniarht zu haben, da-ss m^yfm
Stellen Htiirk*T hfTVürni^^n'n» lnd(*m er an die alte Theorie dvr Lokali-
mikm der hVeb»rn»*rnin^,'eu afiknCipHe, ffdgcrte er, dass die geistig
(Vntn'u im Gr»hini lokal hen^reii'/t *^eien und sieh dureh gro^^tere W^i*
liun^'en de« SehfidelM \\n einzelnen Stellen seiner OlK^rlläche erkemifn
hiswen.
Oliwtdil **r lieuiillit \\i\\\ diese Hypothese ilurrh atjatoöiisehe Unl*T-
siiehungeu /Ji stütxeu, so behauptete doch die SiH'kulütion dabei einr»
liberwiegenden KintluHs. Seine Auffc^telhing und Vertheilung der SiM^li-n-
v«*rni*^>gen wnr willktlrlieh, mal seine Anrifilime. dass sieh dii^Hrii
dureh Merkmale un der MUerllSehe des Sehrnhds äussern, gän/liob m-
bereehtigt. Trid/.dem niu8s ihm da« Verdienst zugestanden wenien, die
auatoniisehe rntersuehinijr des itehirus geffvrdert und zur \vis.sensdmft-
lieheu IhnirUeiluug der Kraniv>sko]ne angeregt /u haben, welche dann
vnn i\ (}, Cakith, HrscHKK n. A, mit vielem Krfolg unternonimen wiird^-.
Krst d<'n v**rbesserteu rnriTsuehungs- Methoden der neuesten Zvit
i«t i*9t> gelungen, einiges Lieht in das tlunkel»» Gebiet drT Physiolugi«
diHi Oe»hirn!<» tm bringen. Mit Hilfe ilerselhen konnte der Verhmf
Xervenruseru im G*diirr^ und Hfirkenmark trernui verfolgt» ihre Bdli^
ligung an den eiuxelnen Theilen tlerselben t'estgesl^Ut und der feiiiei
Bau der grauen Suhst^ni und die versehitHienartig© Form ihrer Zellen
igie
ierfl
llen
erkannt wenlon, ^hrond man gleichzeitiisr durch Vernnohe an lebuTiden
liieren, welche «lio lokal iK-grenzte Nekrotisirung und die dadun^h er*
iigtB AafhidMing iler Lebensäasiierungen gewisser Partien dei^ Central-
lervt'nsysteniK ,um Zweck hatt4?ii, deren Funktionen zn erfor?;nlieii
acht« und mit den Ergt^lmisi^en die Beühachtinigen am Kranktnibett
nd die pathologischen Uetundt» der Sektionen vergliclL
Anch lue Physiolü^ne der Sinnesoriyrime wurde Eleissiu: Ijearbeitek
Die Kntstehung des Sehakts, ilie Wahrnehniuni^ der Fai'lien, die Be-
d€atuü*jr der Lieht empfindenden Theile des Anges, die Wirkung: der
1 Medien, die Aoconiodations-Vorrii^htun^'<^n, die f^ntonimatischen
^i' uni^'en, das binuculjire Sehen, die HoropteriVagt^ u, a. m. wurden
einffehend unteri^ueht und diindi zahlreiche Thatsneiien verstrmdlieh
*marbt. In der gleielien WHsh wurde iiurh das Geher, der Geruch,
t^TVKchniaek, Ta.st.sinn und das Genieinget'übl in ihren Einzelnheiten
studiert und der wisÄ**nHchaitlieh*»n Erkenntiiiss en^ehbissen»
nie physiologische Forschung bat abtT nicht blus die Aufgabe, \\ie
Funktionen und Gesetze des gesundi'O meuseb liehen Ürganisnuis anl-
zuänden und zu erkhiren, nahezu voUständig gelost; sie hat auch eine
lenge von Beobacbtungen zu Tage getTirilert, welche tlie Deutung der
fieinunL'rn dfs kraiikm Körj^ers vnrliereitet und ennügliclit haben»
Diagnostik, pathologische Anatomie und experimentalle
Pathologie, Nosologie und Heilmittellehre,
LMe Lehre von der Krankheit, die Pathologi«', machte ähnliche
j_l:;ntwickelungsstadien durch , wie die Plijsiologie. Nachdem man die
liisiHtichtsIosigkeit der Versuche, das Wesen der Krankheit durch kühne,
iihvv wenig begrüntb^^^ Hvpoth<'sen und philosophische »Spekulationen
zn erfassen, erkannt hatte, schlug man auch hier (he analytisch«' 31*^
thode ein nrul begann mit der FeststelUiny: und Firtbrschung der ein-
zelnen Thatsaeheu, welche das Krankheitsbild zusammensetzen.
Ilie Vervollkommnung der diagnostischen Hilfsmittel ge^statt^t©
ein tif*fere8 und gründlicheres Studium der Krankheitserscheinungen^
und «!er mächtige Aufsehwung der pathologischen Anatomie Tersprach
Lufkrhtuiis über die ihnen zu Grun*!e liegenden Veränderungen dei?
[or|>ers zn geben. Uurch die Vergleichung der Beobachtungen aui
■ank»*n mit den HektionsresultHten gewann man alhnälig mehr KUir-
n»K»r die Entwickelung und das Wesen di*r mMist«?n Krankheiten.
mu
Der ntHlmmindte iJnSerrielit in dtr neuesten Zeit.
thc iiM'hnii^ben Fortitcbriite in der Dia^no^tik waren biyptsdeUidi '
liiT rhy«ik un<l Clii*mie zu verdanken. Die Percussion wurde im vo-J
rig<Mi JahrhiinrltTt rjur von WenitJ^n, wie i. R M. Stoll, g^^ubt; ii(>j
Küritjth m\\xv/M ^^anzlii-h in Vfr^i-ssL-nheit und erhielt erst dun^h On.^
vi»AHT ihn ilir gHnlhrendi*!! Platz iiiittT den am Krankenbett ^'ebnmd-
lirlicn diapiostisrlii^n Hiltsmitteln, Auf ÄiTKN'WKriifii-:u*-s ver^^hull^nv
Schrift auliiierksain t?''iiijicht» prüfte rr flurrh 20 Jahre die dort nider-
gr'leK'len Hfolnicliiungeu, licrichtigte und er^^'ünzte sie durch ms^]
eiirentm Krfjdmini^en und veröffentlichte dann «ein berühnit*^^ Wert
üiM?r die Perciissiun, in welchem er dem Verdienst des KiUdeckers dtr-
&elb<.'n Vülle tJeret^hti^keit widerfahren Hess.
Die PertUKsion wurde dann von PimuiY, welcher den Pb^^isimetfr
einfülirte, Wintiucii. der die Anwendung eines Hummers empfeh),
namentlich \\\m*x von Skoi^a» ^veleher den verschiedenen Schal lenH'liei-
nunj?en eiru« richtij?e Deutung gab und nach allen Richtungen n*for-
mirend und Italinbreehend wirkte, Tuauhk u. A* vielfach verbejwprt»
<ilei< h/eitig erfuhr auch die AuseuUation eine Umwandelun^^ uod
wiHHcnschaft liehe Bi^arheitunj?, Während sit* früher nur gelegentlich
und durch direktes Anlegen des Ohr^ au den K5ri>er ausgeübt wimifii
war, enlAvickelte sie sich seit Laknnec, der den Gebrauch d<.*s Stt*.
thonkitp» und damit die Ausciiltation uiediate einführte, Eur synt^^mati.
hchen rntrrsuehungs-M**thode. w^elche bei der Diagnustik der Krank-
heiten sehr Inuilig i^u Halb gezogen wurde.
V\\x die Erforschung der Erkrankungen der Lungen und d«s|
Jter/eu8 vvunle sie gerade/ji unentbehrlich, da sie in diesen Fällen die
wu'btiK'NifMK manehuial sugur die einzigen diagnostischen Stützen darW,
Aber auch andere iiebiete der Heilkunde verdankten ihr werthvollff'
Bereicherunirtm; su entdeckien LEjrME.ii' itE KKUtiAUAni-x' und baUi
imehher Mavu« durch die Auskultation des s<*hwangeren LnterltriNj
die fötalen Hent^ne und bieten damit ein Mitt^^L um das Lehen d@
Frui hl t\\ erkennen*
\usser den ph) sUndisehrii Cntei^iiebimg^Me4liodi% zn denen ao
die Mi^isunitiiui und die in neuester Zeit namentlich von Wr^nEauc
hearlieitete Thernbmietrie kam, trug^en auch *lie Chemie und die
km}iko|ue itir Forxleruug der Diagnostik sehr viel liel Das Vorhandec
i^eln mancher Kninkhetten» ihre Sehweie« Zunahme oder Almalui
kontite nur thireh ihm tthtiiniffrhfn Xaehweis sicher gestellt werde
d(iM Ixv^timnite SloHte in «Ngtn AnssoheidttageJi, z. B* Liweiss ad^
yaioKer im Harn, in einer g^wbsawi Xei^ enlhalten sind, &ieh v^_
lueliri^n oder vemiinderiL Üe chfwiiffhr Analjae der pathologisch<fii
erhiugti* (Ur das» Sludtiun der Kxmnkhüttrn, be^nder^.
DiapH0stik,paÜiolog. Anaionm w. expminmUeÜB I^ältoloffie, Nosoiogie etc. 393
(nr die Lehre von den Intoxicationen^ eine grosse Bedeutung. Nicht
weüiger Beacbtuno: nahm in manchen Fällen dit« mikroskopische Untej^-
suchung in Aitspruch, wt*il dadurch anf die Anwesenheit von histolo-
beii Form-Iilementen, welche zu gewisiien. die Art de;^ Leidens be-
feoden Schlü.^sen l>ereehtigten, hingewiesen wnrdr.
Die Sfirgßltigf Beubachtung aller Kninkbeits-Svmptump und die
risBonhafte Berücksichtigung der dabei in Fragt' kommenden Ter-
nisse war die .selbstverständliche Voraui;iset7Aing jeder Diagnose.
Auch die Sektions-Ergebnisse und deren Beziehungen zu den Kntnk-
hcifserscheinungen wurden zu diesem Zweck eifrig studiert,
I>ie pathologische Anatomie erhielt eine ungeahnte Bedeutung für
die Lehre von der Krankheit; sie üb^^nahm gleich^iäm die Cuntrolle
der Diagnose. Si** entwickelte sich unter dem Ijnfluss der Arbeiten
Bichat's zunächst in Frankreich; zahlreiche Arbeiten beschäftigten sich
mit den allgemeinen Krankheitszu^ständen und mit der speciellen Pa-
thologie der Krankheiten, für welche eine beauliteuswerthe Summe von
Thttt^^achen ermittelt wurde. Auch in IjigUmd, wn J. Hlntkk's An-
legung fuitwirkte, und in Deutsehhind widmeten hervorragende Anatomen
und Kliniker, wie P. Fkakk, A. ß. YErrKfL J. F, Mix kkl, Lobstkin*
JoH* Mt^KLEK u. A. ihre Aufmerksamkeit der pathologischen Anatomie.
Ihre Glanzperiode begann aber er>*t mit Kukitansky, welcher das reiche
Lei*^henmaterial des AViener allgemfdnen Krankenhauses für sie ver-
werthete* Im Besitz einer Erfahrung, wie sie Keinem seiner Zeitgenossen
«I Gebot stand, vermochte er eine Keihe natürlicher, leicht aufßndlfarer
Typen tler anatomischen VerändiTungen aufzustellen, welche fast alb*
wichtigen Krankheiten umfassen.
Während Rokitansky das Verstaiidniss der pathologischen Ana-
tomie forderte, vermehrte er zui^leicb deren Inlialr (hirch einr Menge
von Entdeckungen und vertiefte sie durch die L ntersm^hung der patbo-
genetisRdien Beziehungen, Kr fragte nicht blos naeh dem Was. sondern
auch nach dem Wie und Warum der ]>atholonfischen l'rozesse und ver-
suchte, Einsicht zu gewinnen in ihre Ursachen und Kntwickelung; er
war, wie Wundekijch sagt, bestrebt, flie pathologische Anat4>mie zu
einer anatomischen Pathulogie zu machen.
Die CcUuIar-Patholügie, welche Vikohuw auf der Zellunth^orie auf-
Bte, drangti' dann mt^hr und mehr ztir Untersuchung der feineren
pathologische! n Veränderungen, der mikroskopischen Fonnelemente, und
führte zur Begründung der pathologisrhen Histologie. Allerdings wurden
iJimter durch die xVuftindung mancher neuen Thatsachen einzelne morsch
gewordene Stützen der Cellular-Pathologie beseitigt; alter die Grundlagen
blieben erhalten und trigen chis Lehrgebäude der Pathologie noch heut.
Cl. Beb9akd
der tffdnlli
FuMphlB'
dw Knochen-
LiWiM, Bon^ fiiQKB^ Biomi^r0^ flnem.
— - « -*^A.
dfs Hcncm
iliB Blut«« ilt d^ Kn;
drr BetriKh&ngn
•liadirt Kruttaiio
O. L Batut ftfWMIIAlt lifrAm gfregf»de rmer^nchimOT
Ab«r Ot« Lai»gnM!iiinBdfiielii imd ihre Bmäkmgm mm Anttmn
fM T^bcrkvti, nf derm OfahAirtigtett in reraUedeora Orr^r
IfovfaK. AmsAL^ ScBteumr^ TimuBKAr, «tichtr eine Sebni
dit Urjni-llilliiBi ktfEmgib m, 1. teiddfligleii sidi et^pnCalb mit
Mindt, wckbiT iitdiMM m^ m ■iwillMii Z^it «inrth lu'
»^ diu fit Tidwrtiilo^ ^m^ Tnfi^tffoiidrrAiilrhtMt i^r tin ^
gi^irliira AbteUim frhallim kar
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dir SekMnthloto dit Uhf« fOB der iHihtii^nu., .^t-'u \ ■ .....i,:.:- ...im
KtUrrfa riod imn r>oiip Ton §paten'ii Foi^heni erl^titerl wurde. Die
Krtadniiir im KMkt^pbjit^^h nf\*\ ^i*in<* V*»nrerthuntf fnr die äntlirh»^
fjnaÜM braeht« Bim rtilhtÄndisn? Imwaiztin^ in »i**r larjngologi^H^tteu
[Tnt^ntjrlitinj^ hervor und «^nnui^Ui^hte eine LTDsiiere < r^naitkrkeit in tk
B' 1-^' rin<1 Bf*han»nüiij? «Ut Kr^ <ios K ' Cm
*lu . All fuhrt»' lijp schun früher \ . .,;. Kudifek j b »f
msdi'm Oebletw m »lemurkeniiirertliHti Krgi^bniÄS**n.
CRrvEtLHiEH und Rokitansky graben Anfschluss tibor dio Eiit-
Htehtißg und diw \Vt»8on des Ulcus rotimdum des Magens; Pimr und
Skiuu3^ P, A. Locis u. A. begründeten die Diagnostik des Abdominal-
Tjphn^i, und J.Bnn. Bt^nH<»F beobaclHete die typhösen Dar^lg^'*^oh\\^ü^e.
Die Pathub^gie der Leber wurde vorzugsweise von G. Bvim, Annesley,
FKEHinis und Anderen iind diejenige der Nieren von P. Rayeb, Brioht
nnd TiiATRE gefr*rdert, der auf den Zusamm^^nhäng zwiseben den Er-
IcraDkungen der Nieren und des Herzens aufmerkscim machte. Addison
l>es€hrieb zuerst die Degeneration der Nebennieren, und Basedow schil-
derte den nach ihm genannten Symptomen-* 'omplex.
Die Dermatologie fand durch Alibeht, Bieit^ Willak, Bateman,
OL H» FuCH», Ehasmüs Wilson und Ferd. Hebba, die Lehre von den
Tenerij^ehen Kraut heiten durch Bakrknsi'ri no, K.W.Bheck. Ricökp u. ä.
eine wnssenschaft liehe Bearbeitung, während die Pathologie lier Nerven-
leiden durch Vaij^i.\, Dik^henne, Abehcrojibie, Rombebg, Remak u» A.
vri*8en.sehaftlich begnindet wurde.
Auch die Psychiatrie, welche sich schon sehr früh zu einer selbst-
standigen Disciplin entwickelte, wurde allmälig von dem Wusfc mystischer
Träumereien, die in den Geisteskrankheiten Folgen der Sfmde oder
Strafen Gottes, jedeufalls aber lediglich psychische Defekte sahen, be-
freit und gleich der übrigen Pathologie auf eine somatische Grundlage
ge^U'Ut. Diese schon von Pinkl, Ksqiirod und rHiAitroi vertretene
Richtung wurde dann namentlich von SriRZüEFM, dem Anhänger Galls,
Keil, Fovruj-:, Calmkil, der mit seiner Arbeit über die allgemeine Para-
Irt»e die Beobachtungen die.^es Leidens ernffnete, durch die beiden Falbet,
MoRKL, welcher der Atiidogie der Seelenstoruiigen seine Aufmerksam-
kat schenkte, Schboj-^kr van dek Kolk, Gtislain, Jacobi, Chr. F.
Nasse und Gri?mxoer weiter verfolgt und drang zunächst auf Fest-
stellung und strenge Prüfung der Sektionsergebnisse. Gleichwohl brachte
ne es nicht dahin, dass die auf der Symptomalologie Iteruhenden
DingTiusen durch anatomische ersetzt ^vurden ; diesen Versuch darf man
erst jetzt wagen, nachdem die Anatomie und Physiologie des Central-
N^rvensystems in ein helleres licht getreten ist.
Vüffallender als die Fortschritte in der Patholugie der Geistes-
M-rnogen waren die Verbesserungen in der Behandlung derselben.
Welche wohlthätige Veränderung ist auf diesem Gebiet erfolgt seit der
!Wt, du man in Wien auf Befehl des menschenfreundlichen Kaisers
Jmef IL den „Narrenthurm" erbaute und die Krankten dort ebenso wie
im Sr, Lukas-Hospital zu Txjudon dem uacb einer Interhaltung lüsternen
FnMikum zeigte oder sie mit Verbrechern zusammen in Gefängnissen
eingperrte und mit der Peitsche otler durch Fasten lur ibre „Tollheiten**
bestrafte! Es war eine der grossten Enrnngenschaften ih't Hiim^iiiftät
als es PiNEL bei den Mnehthabern der franzrtsischen I{»*volution durch-
setzte, dass die unglücklichsten aller Menschen von tien Ketten tiefreit
wurden, welche das religi<lse Vorurtheil geschmiedet und der ärztli
Tn verstand b«^festigt hatte.
Den Irren wurde eine liebevolle Pflege und zwerkmäasige äntliob'
Behandlung zu Theil; man errichtete besondere Anstalt^^n, in denen
Schutz und Aufsicht fanden. J(iiin ( ün<»lly verkündete das Nu-ressti
System, nach welchem die mechariischen Zwangsmittel aas der
handlung der Geisteskniiiken möglichst verbannt wurden, und
Gründung von Irreu-Iudifnien, wo die Kranken ähnlich wie in Gh
neben einer sorgsamen Aufsicht und Pflege ein gewisses Maas«
Freiheit geniessen und zu einer ihn*-n zus^agenden Beschäftigung
gehalten werden, Idldete einen weiteren Fortschritt auf diesem \Vc
Auf keinem (iebiet der Patholugie waren die Veränderungen jedu
grösser als in der Lehre vun den Infektionskrankheiten. Man^
mehrere neue Krankheitsformen kennen, welche früher nicht
worden waren, und die dem nosologischen Schema) eingereiht^jn Ijeid
richtiger und genauer, namentlich in Hezug auf die Ätiologie,
scheiden. Die Natur de^ Krankheitijgifte.s, die Entstehung Ammlk
innerhalb oder ausserhalb des menschlichen Korpers. seine Entwickelu
in verschiedenen Medien, sein Verhältniss zum fClima, Boden u. ;l i
seine Dauer und Verschlei>pbarkeit wurde sorgfaltig untersucht»
Die asiatische Cholera üWrschritt im 19. Jahrhundert die (ireu
ihrer Heimath und verbreitete sich über den ganzen Krdball.
schweren \'erluste an ilenscheiileben, welche sie herbeiführte, forderl
die Ärzte auf, die Ursachen und das Wesen dieser Krankheit m er-
foiBchen. Dabei beobachtete man die merkwürdigen Beziehungen, welcte
zwischen ihrer Entstehung und Ausbreitung und den Üodenverhultniss^n
bfr'stehen* Mit der Entileckung des Komma-liacilltLs welche vor Kurzis
gemacht wurde, seheiut man denn endlich den eigentlichen Krankhei(|
erreger gefunden zu haben.
D;is Gdbjiuber, welches mehrere Male nach Kuro[>ii verschleppt
wurde j wurde ebenso wie andere exotische Leiden, z, B. ßeribi^ri, ein-
gtdiend studiert. Das ejudemische Auftreten der (-erebrospinal-Menin«
lenkte die ofl'entliche Aufmerksamkeit auf diese früher nnbekan
Krankheit* Gleichzeitig machten sich auch geläuterte Anscbaming^n
über viele andere Krankheiten geltend.
Der Begriff des Typhus, welcher früher eine hauptsächlich s^mp
matologische Bedeutung besass und zu einer den vorwiegenden Kr
heitserscheinungen entsprechenden Eintheilung in die Formen
Dioffnmtik, pcUiiölag, Anutomk w. fü:fprrimenidle PcUholoffie, Nosologie ßtc 3f>7
Cnt^Tleibs^TvphuK, Gehirn-Typhus, Pnenmo-Typhns und Flecktyphus
geführt hatte, wurde vollstfindig umgeändert, als die ätiolog^ischen
Momente in den VorderisTund traten. Man erkannte, dass sich drei
Krankhoih'n, welche bisher unter dem Namen Typhus zusaeimengerasst
«forden wiU'en, nämlich der exanthenuiti>?che Typhus, der AlHlominal-
Typhoß tind Recurrens- o<ler Rückfalls-Typhuji, in ihrer Entstehung und
Verbreitung sowohl als auch streng ontcdogisch abgrenzen^ so daas
niemals die eine aus der andern entsteht,
Elienso kani mehr Klarheit in die Lehre von den Meberhaften
nanthcmatischen Krankh^^iten. Die Beziehungen der Mosern, Hntheln,
BlatttTn, des Scharlachs u. s. w» zu einander und zu andern Leiden
wmrrlen genau studiert. Die Knt^leckung, dass die Kuhpocken vor der
Erkrankung an Variola, wenigstens für längere Zeit, schützen, führte
zu einer der segensreichsten Ertinduugen, mit denen die Menschheit
jemals beglückt worden ist Sie bildet das unvergängliche Verdienst
E. Jt:xNKRs; ihren Nutzen kann nur Der leugnen, welcher die Ge-
2$duehte der Pocken nicht kennt.
In ein neues Stadium trat die Pathologie der Infektionskrankheiten,
ab man den parasitären Charakter einer Anzahl ders*41\en erkannte.
Die Beobachtungen an einigen Ptlanzenkrankheiten, sowie an der
MQN!ardine, einer durch Pilze verursachten P^rkrankung der Seiden-
mupen« die Untersuchungen übpr die Krätzmilbe, über die dem FavuSj
der PUt/riasis i^crsitolor, dem Ilerjjes hnsurans unrl andern Hautleiden
IQ Oninde liegenden Pilze, über die rersohiedenen Enterozoen des
mensehüchen Körpers und die Entdeckung der Trij-ftina j^piralis und
der durch sie erzeugten Krankheitszustande gaben die Anregung, das^^
ilen Parasiten und nied^^ren Organismen überhaupt mehr Benchtung
geschenkt und ihre pathogene Bedeutung erforsf*ht wurde. Auch die
Rrfahrungen an der Pellagra und ähnlichen durch den Genuss ver-
dorbener Nahrung entstandenen Leiden, sowie die Be(»bachtungen der
Krankheiten, weiche von Thieren ituf Menschen übertragen werden,
wirkti*n in dieser Richtung.
Als man dann beim Milzbmnd, Recurrens, bei tier Pjaemie, iieim
Puerperalfieber, Erysipel, iler Osteomyelitis u. a. m. in dem Blut, sowie in
Keinen Sekreten oder Geweben mikrfiskopisch kleine Lebewesen, Pilz-
tien rerschiedener Art^ antTand, lag der <iedanke nabe^ in ihnen die
EntKt^hungsursache des Leidens zu sehen. Aber der wissenschalYlicho
Na ' ' ^ diese niederen Organismen wirklich in einem ursäch-
H<.1 I Hinhange mit bestimmten Krankheiten slehon, war erst
m<»glichf nachdem m gelungen war, diese Lebewesen durch geeignet«
rnti»r«uchQngsmethoden zu isoliren, auf gesunde Thiere zu impfen und
dadurch die iHirpftende Krankheit liervorzurufeij* Diese Bediiigwugen ^is^
bisher allenüii^'s nur beim Milzlrniud, Eecurreiis, Efifmpflojs mnUsmn^^
bt'i der Uiphtb^^rit* uml Cholera ftsiaitra, erfüllt worden; doch !Nf>n^i:h<>o '
eine M*Mige vuii Thatsarhi^ii mid Wahr»cheinlichkeiLsj^ründi.'n dafür, d.
unch im der Knlstebung und Verbrt^iturijür dor Tuherkulosis Uiiira.
exanthematischen und Ahdominal-Typhus^ Scharlachs, tler septiejuiiscben
Prozesi>i\ der Malaria iLa.m. jiathogene Bakterien thätii? sind* Die Schwierig
keiten, weicht* sich bei diesen Untersuchungen dem Experiment, namenl
lieh in liezug auf die Wahl eines zur Impfunj? geeigneWn, für die Krinbj
heit empfänglichen Thieras, entgegenstellen, niindien es erklärlich, «Ij
die Resultatp laniJrHani erreicbl werden. Die bis jetzt fcütgciitdlt^
Thatsachcn haben der Ätiulugie einen tieferen Gehalt gegeben, iii<li
sie die eigentlichen Kranklieitserregcr an.s Licht zogen und damit ai
der Pathologie und Thcraiiie die Wege vurgezeiclmct, welche siv kunfn
wandidn sollen.
Die Heilniittcllrbre ha! sich iu den letzten Decennien aun Hin«
pharniiiceutisi'hcn W;uu'enkunfle in die pharmokudynaiuische Wi^^Äen*
Schaft umgewandelt, welche im engen Ansohluss an ilie Pb> siolugic uud
experimentelle Fatlndugic sbb auf die Erfahrungen am Krankpahi:*ll
und ilie Versuche an lebenden Thieren stützt. Dadurch konnte die
tiefe Kluft zwischen ärztlicher Theorie und Praxis hier und dort ober»
brückt werden.
Zu gleicher Zeit wurde der Arzneiöchatz durch eine grüise Anzahl
von Heilmitteln vermehrt. Die Chemie lehrte die Dar^stellung der wirl
Samen Extraktivstoffe versehiedeiu^r pllanzlicben und thieri.**chen Sul
stan2en, m dajjs dieselben tür sich allein in der arztlitdicn Tberapit,
angewendet werden können, ohne ilass zugleich durch Beimcnguni
ni»ch anclen-. nieht beab^^iehtigt^* Wirkungen herlndgefübrl wenb^n. s^
wurde eine Menge von Alkabatler», bejsunden* der narkotist^hen Mnbu-
mente entdeckt, z, B. das Mtirphium 1804 von Sehtürkkr und gleich-
7.eitig von .S*':<u;in\ das ( unibaridin \H]2 von Rubiquet, da^ Strvrhnin
181m und da^ ('binin 1820 vnn Phllktikr und Cavextcin, das Veratriii
1818 von MEIH8NKK, das ('uffeTn 1820 von Runge, das Solanin 1821 m
Dksf(»s.seh, das Coniin IHHU von (lEntEir, da.s Atropin ISSl von Mrik.
das Aconitin 18S3 von Hi-^tiK, dns ('ubducin von Geioeü und Hm*F,
das Cocain 1850, das Cumarin, (urarin. Haponin, Sant^onin, Pilocarpiti
Pepsin. Pancreatin iL a* m. und in die Heilkunst eingeführt.
Mehrere andere HeilmitleL wie das Jod, welches 181 1 von fJoixB"
in der Soda aufgefunden wurde^ das Brom, das 1 82ti Ton Bal4HD
deckt wurde, «las Jodkalium. Oromkalium, das rhloroform. Jodofonn
Chlorallndrat, die Salicvlsaure und die farboUrnire, waren ebenf
4
Chintr^ie^ Au^etiJmlkufide, UdiurtshHß und Sfnaimrzfmikuttde. 399
d^u Fortschritten der Chemie zu verdanken oder wurden, wie Kamala,
Ktisso, Cunduningo u. a. m. aus fremden Welttheilen nach Europa ge-
bmcbt. Man studierte thmn ihre arzneilichen Wirkungen uul' den gv-
mudvn und kranken Organi.snius und suchte die jui^sendst-u Art ihrer
Anwendung auslindig zu machen.
Aücli in die^tT Beziehung hat ilie lieilkunst im 19. Jahrhundert
wichtige Fortschritte gemacht; denn die Erlindung der subcutanen In-
jektionen durch Phavaz und Au Wood, die Einführung der Tnhalationi>-
Kuren unti die Pneumothempic mit ihren vurtrefflichen Heihipparaten.
weU"-he den erkrankten Bespii^utionsijrganen die Luft in verdichtetem
<Mler Terdünntian Zustande überniittelu, 8in<l wesentliche Bereicherungen
der therapeutischen Technik. Die wissenschaftliche B<'gründung der
Ba^- V To, Klimatherapie, Hvdrotherapie, Elektrotherapie und der
äl M»-nHeilgvniniLstik j^ind ehcnfalls Errungenschaften unserer Zeit.
Chirurgie, Augenheilkunde, Geburtshilfe und
Staatsarzneikunde,
Der Au(>chwung der putholngischi^n Anahuuie und die Klaruiig
pathologischen Theorien nhlen im Verein mit den Fortschritten in
der Physik und (.■hemie auch auf die llhirurgie einen mächtigen Ein-
flas8 aus*
Die Vorgange der Eiterung, Geschwiirsbildung, Vernarbung, He-
generation der Gewebe und andere in das Gebiet der chirurgischen
if' fallenden Fragen wurden durch Beobachtun£ren und Kxperi-
-..ni Verständniss erschlossen» Die Entwickelung und Diagnostik
der pathologischen Neubildungen beschäftigte die Chirurgen und die
piith(dogii?chen Anatomen im gleichen Onide.
Die operative Chirurgie machte ebenfalls bedeutende Fortsehritte.
DteHelben bestanden aber nicht so sehr in der Verbesserung der Ope-
-Methoden und in der Erfindung neuer Operationen, ab haupt-
i..,rh darin, da^s man zu der Einsicht gelangte, dass die Aufgabe
des 4 thmirgen nicht darin liegt^ erkrankte Theih^ zu entfernen, sondern
wenn möglich zu erbalten. Dieser tiedanke bahnte die conservative
(Tiirurgie unserer Tage an.
Er konnte nur verwirklicht werden mit Hilfe der anästhesirenden
Inhalationen« welche die Schmerzen der Kranken wahrend der Operation
und die dadurch herrurgerufene Iveaktion des Organismus beseitigten,
ami dtirdi die Erfodimf md EMUtfVif der aotbepÜMlien Wimd*
titMdluc '""^ weteke die im G«fi>igt dir Ofeaümm nfittTf^^nd'ii
llKMimllüiHii visUlü waA der HtOoM^ gwietet irnnle. Dim
MdisB graMB BrmwoMtMkai der HeOkniKrl des 19. Jahrhaodi
hsbeo 4m UmnÜer dtr Chimifie roUstiiidiK mnemaHet Si*^ hnhm
lim Opiiatffiir m^ Mtitli nd Mtatv«rtiMai taagerlatot; denn er
w^m, iMm der Erfolg mlmr Kmisl nicht ineiir doreh unbfifidieiAHl
Znffitligkaiieii in Fnge gestellt wird — und d^s Herz de« 17tsiilr«ii
mit Kolhimg erfftUl^ so dass er deo Chtrargen sieht mit bangi^r Fii
hetniebti^t, sondern in ihm dm Heilong ^p^ndenden Arzt erkenat
^$cbon im Alt^rthiim nnd im 3üttelalter hätte num tut Um
der SchmirrzeQ narkotisireode Getrankf^ und InhalatioDeii ange^
wie ich früher erwähnt habe. Die unvollkommene Wirkung d
Verfahrens um] vor Allem die ühlen Folgen d^-selben liissen »'^ aWr
begrt^jflich ^»rHcheinen, ilas^t man nur seilen davon Gebrauch nmk
AU HuMPHur Davy auf tlie V>erau8<:he«de Wirkung des Stickstoff«^
duls iuifmerksam machte, stellte man ilamit Ven^iiche an. welche später
dazu führten, «las-s es bei operativen Hingriffen, vorzugsweise in tl
Zabnhr^ilktinJe, verwendet wurde
Um <lie gleiche Zeit wunien die narkotiischen Kigenschaften 4«
Sehwefel-Alherfs entdeckt, welcher namentlich van Jackson unt^iiucht
und eniidnhlen wunb«. Im J. 1B47 stellte Floitrenh durch Eiiien*
mente an 7'hieren fest, dfiss das von SttuBKiUAN und J. LiKmci gleich*
zeitig eiitdf'ekte Chlopd'yrm ein vorzügliche!^ niirkotisches Mittel ^\
Der Gvnukoluge Sjmpsun ttihrte es bald darauf in die ärztlichp i'rEXU
ein. Die Vorzüge, welche es vor den übrigen Mitteln dieser Art b««itzt,
erklfircn es, dass es iljesfdben allmfiüg vidlstiindi^f zurückdrängte.*
Mmii lud noch ver:schiedene nndere Substanzen zu anästhesirenden
l^inaÜimiiJii^en hentitzt, die ("hloroform- Narkose mit der Atheriiaition
ixier uiiL Morjdiium-Injektionen verbunden, um die betäubende WirkniiL»
zu erhriheii oder n\ verlilngern, und die lokale Anai^thesirnng »W
Ki"ir[)ertheile, welche operirt werden sollen, durch die Kalte, die Ather-
Duuehe ir, n. m. i'mpfolilen. Auch haben J. Clocquet, J. Bkaii» imil
Andere versucht, widireud des hypnotischeT» Si^blafes chirurgische Öjm|
äonen auBzutühren. •*
Die Anwen4lung der anästhcßirendeu Inhalsitionen gestattete
Operateur die ungehinderle und vollständige Lüsung seiner Autgi
\I;ni dnrft-e sich daher auch an die schwierigen, viele Zeit in Ansp]
' O, KAPe»:KER m „Ucutsehe Chirurgie*^ hen v. BtutitOTH n. LeiXKC, 3^0
gart ISSO. — Makion Sinti: The dificovery of anaeefhe«!», Richmoml 1H7T.
Chirurgie y Aitgenheükunde , Gefmrtskilfe uwl Staatsarznei kt^nde. 401
nehmenden und grosse Schmerzen verursachenden Operationen wagen,
welche in früheren Zeiten nicht ausgeführt werden konnten.
Zur Verhütung gefahrdrohender Blutungen bei oder nach Opera-
tionen kam neben der Unterbindung und den anderen früher üblichen
Methoden auch die Torsion wieder in Aufnahme. Simpson empfahl
<lie Acupressur, während andere Chirurgen der forcirten Beugung der
Glieder, der Anwendung der styptischen Mittel, wie des Liquor ferri
ftejfquichlorati , oder der Kälte oder Glühhitze in verschiedener Form
den Vorzug gaben. BRüNNiNaHAUsEN regte den Gedanken an, den
Körpertheil, welcher operirt werden soll, durch eine eng anliegende
Binde vorher blutleer zu machen; doch ist es erst einem genialen Chi-
rurgen der Gegenwart gelungen, ein Verfahren aufzufinden; durch
welches dieser Zweck erreicht wird.
Auch die Galvanokaustik, welche hauptsächlich durch Middkldokpf
begründet wurde, ^ und die von Chassaignac erfundene Operations-
Methode des Eorasement lineaire suchten die Entfernung kranker Theile
auf unblutigem Wege zu bewerkstelligen. Durch die erst^re wurde
zugleich ein die Operationswunde bedeckender Schorf erzeugt, unter
dem der Heilungsprozess stattfinden konnte; auch bietet sie den Vor-
theil, dass sie selbst bei sehr gefiissreichen Weich gebilden, sowie bei
Organen, welche dem Messer oder dem Glüheisen schwer zugänglich
sind, anwendbar ist. Die Schwierigkeiten, welche sich früher der Ent-
fernung umfangreicher pathologischer Neubildungen entgegenstellten,
wurden dadurch wesentlich verringert.
Die Technik der Amputation machte, wenn man von der Einführung
des Ovalarschnittes durch Scoutettp:n, des Schrägschnittes durch Bla-
siüs, der dem letzteren ähnlichen elliptischen Methode durch Soupart
mid den Verbesserungen des Lappenschnittes absieht, nur geringe Fort-
schritte. Doch wurde auf die Nachbehandlung grössere Sorgfalt ver-
wendet^ als früher.
In manchen Fällen wurde die Exartikulation der Amputation vor-
gezogen. Die Operation im Hüftgelenk wurde durch Larrey zuerst
unternommen. Die Exartikulation im Kniegelenk erfuhr eine Erweite-
rung durch die von Syme empfohlene Absägung der Condylen, womit
Andere die Aufheilung der abgesägten Patella auf dem Ende des
Oberschenkels zu verbinden suchten. Mit besonderem Fleiss wurde
die Exartikulation in den Fusswurzelgelenken und im Fussgelenk
bearbeitet. Neben Chopart's Methode im mittleren Tarsus- Gelenk
wurde die Operation im Mittelfussgelenk von Lisfranp, unter dem
* A. Th. Middeldorpf: Die Galvanokaustik, Breslau 1854.
PVMTBMAXjr, Unterriebt. 2H
402 Der medhinisclie Uiücnicht in der neuesten Zeit,
Sprungbein von Tkxtor und im Fussgelenk von Symk und Pibogoff
empfohlen.
Der conservative Charakter der Chirurgie, welcher dem erkrankien
Körper soviel als möglich zu erhalten bestrebt war, äusserte sich auch
in der Zunahme der Resektionen. Sie l>ezweckten entweder die gänz-
liche oder eine theilweise Fortnahme der Knochen und wurden sowohl
an den Extremitäten, als an der Wirbelsäule durch Entfernung eines
I*roce^su.'< spinosidii' oder fransversuif oder des hinteren Umfanges des
Wirbelbogens, an den Bippen, z. B. beim Empyem, am Becken, Schulter-
blatt, besonders an der Scapula, am Schlüsselbein, am Oberkiefer und
l'nterkiefer unternommen.
Einen hohen Grad der Vollkommenheit erreichte die Lehre von
den Gelenk-Resektionen. Nach den ersten glücklichen Versuchen, die
man damit im 18. Jahrhundert an der Schulter und am Knie gemacht
hatte, wurden sie auch an anderen Gelenken ausgeführt, z. B. im Ellen-
bogen und am P'uss zuerst vom älteren MoREAr, und in der Hüft^
von Ant. White. Die vielen Kriege der letzten Jahrzehnte boten
reich«^ Gelegenheit, diese Operation zu üben und zu verbessern. Die
Indicationen zu derselben wurden genau bestimmt und in einzelnen
Beziehungen, z. B. zu orthopädischen Zwecken, sogar erweitert. Be-
sondere Modifikationen derselben, wie die Keil-Resektionen beim Klump-
fuss, die sogenannten temporären Resektionen, bei denen keine dauernde
Entfernung der Knochentheile beabsichtigt wird, die subperiostalen Re-
sektionen und die Osteotomien verschiedener Art wurden dem betreffen-
den Fall angepasst.
Die Behandlung der Frakturen und Luxationen erfuhr durch die
Einführung der erhärtenden Verbände, welche das Glied während der
Heilung unbeweglich machen, einen wichtigen Forti^chritt. Iiakbey
verwendete dazu eine aus Eiweiss, Bleiweiss und Kampher-Spiritus be-
stehende Masse, Seutin erfand (1834) den Kleisterverband, und VEiEii
empfahl den Leimverband. Die meiste Anerkennung und Verbreitung
erlangte der Gipsverband, welcher schon seit langer Zeit im Orient
bekannt war und im Beginn des 19. Jahrhunderts in Europa eingeführt
wurde, aber erst seit der Anwendung der von Mathysen erfundenen
Oypsbinden einen grossen Ruf erwarb. Ausserdem wurden auch das
lYipolith-Pulver, die Guttapercha, der plastische Filz und die plastische
Pappe, das Wasserglas, das Paraffin und Stearin zu derartigen Ver-
bänden benutzt.
Auch wusst« man geeignete Schwebe-, Extensions- und Lagerungs-
Apparate zu construiren, durch deren Mitwirkung der Heilungsprozess
Ivegünstigt wurde. Bei schlecht geheilten Frakturen trennte man den
CMmr^e, AtM/enfmlkunde, Oeburtahilfe und Siaatjsarxneikufide. 40B
Callas durch Zersägen oder ZerbreoheHj damit sich der Heilungsprozesä
nochmals vollziehe. Bewegliche Knochen suchte man durch die Knochen-
DJiht, durch die künstlich herYorgerufene Entzündung der Enden u. u. m.
in Vffeinigen,
Die Myutoniie und Tenotomie zur Beseitigung vuu Contractureu,
& B. liejm Lbpul obstipNm und \mm Klumpfuss, wurde wie erwähnt,
^lion in früheren Zeiten unteniommen; aber die subcutane Ausführung
derselben ist eine Krfintlung des 19. JahrhunderU. Belpech hat diebe
Operation in die chirurgische Praxb eingeführt, und die Erfolge, welche
DüPiTYTitKN, Djkpfenbach, Sthomeyek ik A. damit bei verj;chiedenen
Leiden er^ielt<?ö, vonschalften ihr einen ^^tändigl>n Platz in der uperativen
t'hinirgie.
Die Heilung der Aneurysmen wurde durch Compression. durch
die Ligatur, Electropunctur und permanente Flexion versucht.
Die Lehre von den Hernien wurde durch werthvolle Arbeiten über
die anatomischen Verhliltnisse der.seU>en» über die Ursachen der Ein-
üejiunung u, a, m. gefördert. Bei der Behandlung uuch der Taxi^
kamen hauptsächlich die Brucfihänder in Betracht, welche ausserordenf-
lich vervollkommnet wurden; bei der Radikal-Heilung suchte man die
Bruchpfort^ dnrch plastische Operritiouen, z. B. durch Hereinziehen
der Scrotal-Haut oder durch künstlich erzeugte Verwachsimgen, zu ver-
^hlie8.sen.
Die Methoden de.s Steinischuitt^ wurden durch die von U J. Sanhon
angegebene Operation vom 3lastdarm aus und die vi>n J. Cl(ömi>t em-
pfohlene S€^4ift va{fino-i>eskictJis vermehrt. Um die Lithüthrypsie erwarben
«ich (Jkitithciöen\ Civialk, Lkroy d'Etiülleä, N. Hkchtkloüp u, A.
daroh die Erfindung und Verbasserung der Instrumente hervorragende
Verdienste, Die Beseitigung der Harnröbren-Stribtnren versuchte man
durch ätzende Bougies» durch alimrib^je oder gewaltsame Erweiterung
der Harnröhre oder durch die Urethrotomie herbeizuführen.
Die operative Entferaung einer Niere wurde zuerst v<m O. Simon
ttu^efuhrtt wahrend die Spleuectomiej die schon im IH. Jahrhundert
tttitemommen wurde, seit QrrrTENHArM in einer planmlssigeji, den
ein der Kunst entsprechenden Weise vollzogen wurde. ^ Die längst
ionte (rastrotomie führte mv Gastrostomie, zur künstlichen Anlegung
aaer Magenüstel, welche von Egebkhg und SfcniLLOT in die chirur-
gmhe Therapie eingeführt wurde. An die Resektion des Magens oder
lies Oe^opha^us, sowie an die Exstirpation de* Kehlkopfs hat man sich
ernt in unseren Tagen gewagt.
ADtEin^wr« im Anltiv f. kliii, Chirurgie 1BS7. Hd. 3f>, H. 2.
Ä6'
1
Die Rhinopla^tik war im 17. nDfl 18. Jahrhuiidort vollijj in Ter-
gessenheit gerathen. Im J. 1742 erklärte rlk rti<^icini!«che Fiicultft
m Paris die Mittheilting^n, welche Taöllvccizzi daniher liinterJaaien
hatte, für Phantasiegebilde und da.^ von ihm angewendete 0(>eratjon«.
verfahren für unrarij^'lich. Da brachten i. J. 1794 ensrlische ZeitiiniTKf]
jlie Kaehricht, dass in Indien von dortigen Kingeliorenen die Kumt
sgetVbt werde/ den Vertu«! der Nase durch plasHsohe Oporadoncij
~7M ersetzen. Die enropäij?ch«'n Arzt^ stndiertf^n dii^ Operations-MHtii
welche dabei angewendet wurde, ahmten sie nach, prüften dnnn
alte italienische Verfahren und verallgemeine rt^en die Operation» im
?^ie auch den Ersatz der l.ippen und Augenlider, den Versehlu«
normer Oönuugen u, a» nL in Betracht zogen. Durch r. y, (i%^
Delpkch, Dikffenbach^ B. Lanoknbkck u* A» erlangten die plasM
Operationen «'in** hohe Volleudtm^'.
Die Transplantation von Hautstficken /.uiu Kniatz von Sufetai
verlu8t.en, z. B. nach Verbrennungen, von Periost und Knr»chentheilrr),
um eine feste Stütze zu erzeugen, sowie die Einheilungsversuche fi
(ieweb^theile oder Knrper gehören der jüngst<*n Zeit an.
Die Transfusion des Blutes nach srrossen Blutverluj*ten kam iiu
Schhiss des \H, Jahrhunderts wieder in Aufnahme und wurde
.1. Blitnueli. zum Oegenstande sorgfaltiger Unter??uchungen genii
I'itEvosT, Dumas und andere Physiologen, welche sich mit diwer Ynp^
beschäftigten, empfahlen zur Transfusion dclibrinirtes Blut» Pantm ^nib
den Rath, nur Menschenhlut zu verwenden. In ein andere^s Licht m
die I^ehre von der Transtiision. als man erkannte, das^ji die Erfolf,»^
dieser Operation keineswegs auf der Zufuhr von Bliif heruhei), sonderi]
in dem <hirch die Vermehrung des Oetassinhalts erhöhten intrav»^6^J
laren Druck iliren (}nind haben.* ^M
Die giinstigen Heilerfolge, welche die openitive Chirurgie geg^n-
wiirtig erzielt, sind grösstentheils d<'r streu g-m etil od ischen AnwPTnluri?
der Antisepsi^s zu verilanken, welche in den beiden letzten Decennu^D
die allgemeine Anerkennung,^ gefunden hat. Mit ihr begann ein«' nm
IVriode fiir die tieschichte der f 'hirurgie, deren Tragweite auf die wi
schaftiiche Gestaltung derselben sich kaum vollständig ermessen
Kinzelne Zweigt* der Chirurgie erfuhren im 19. Jahrlmndert %m
ersten Male eme wissenschaftliche Bearbeitung und entwickelten w\\
zu liesonderen Unterricht^-Disciplinen. So tring die Zahnheilkundc aub ,
riiijvu
neiic
' E. Zei8 a. R, O. S- 20a u. ff.
* E. V. Beromakh: Die Scbickaiile der l'raj]«fui»ioti ini letzten
BtTÜn I8dd.
dun UäDdeD unwisis^nder Barbitjrer iiod Empiriker aUmälig in die-
jeaigaa vou Ärzten ülit^r, welche die Bi^ziehungen der Erkrankungen
der Zähne lu ilen übrigen Krankheiten des Kurpers erfonsohten untl
eine mtiontdle BehandUing der eräteren begründeten.
Die DiagiM>stik luul Behandlung der Ohrenleiden erhielt in dem
von \, CuiLjLND verbesserten Katheterismus der Tulm Eu^stiichii ein
sehr würlhvolleü HilisinitteL Uie künstliche Beleuchtung «les Trommel-
fells, die Ausoultation des Mitteluhrs und die Luft-Duuche bildeten
treitere Fortschritte in diesem Theile der Ueilkunst, um dessen Aus-
bildang^ nich Itabi», LfcoN Deleai', \V. R, Wiia^K, Jos. Toynbkk,
W. KiiAMi:« und mehrere andere deut.sche Ohrenärzte hervorragende
Vwrdieni»te erworben haben.
GroHse Triumphe feierte die Ophlhalmolugie. Man gewann eint*
Einsicht in du^ Entstehungs-Ursachen und die anatomischen Ver-
änderungen der meisten Erkrankungen des Auges, erhielt in dem Augen-
spiegel ein diagnosttjohes Hilfsmittel, welches die sehwiorigsten Fragen
der Pathologie des Sehorgans zur Lnsuny brachte, und lernte mehrer«
Qi»Qe Hi*Umethoden und operative Eingriffe kennen. Schon Adam
ScHMiHT machte auf die Beziehungen aufmerksam, welche zwischen
maochen Augenleiden und den Krankheitszusliinri^jn tles ülirigen Kür-
peis bestehen und nannte die Augenkrankheiten ,,die zierlichen Mi-
niatarspiegel der Korperkninkheiten*^
Die einzelnen Formen tkr Conjunctivitis wurden genauer unter-
iK)liieden, daliei das Wesen der durch ihre rasche Verbreitung und
' 'it djf Bevölkerung ui Schrecken venietzenden OpfUhnlmvi
X. miUtaris festgestellt, die Iritis un<l Chorioditis studierl^ und
auf die dem Glaukom zu Grunde liegende Steigerung des intriumularen
l^ruck > ' 1 welchen A. v. < I hakfe die [riilectomie empfahl, hingewiej*t^n.
i lungpn der Hornhaut machte man den Versuch, an Stelle
der ausgeschnittenen Narbe tvin Stück Glas oder einen Tbeil der Cornea
eines Thieres einheib'n zu lassen, um auf diese Weise den Lichtstrabkn
den Uurcbtritt zu ermögliclien, oder srliritt zur Bildung einer künst-
lieben Pupille. Die Nachtheile der vou Wentzel angeget>enen Methode
der Iridei'tomie, durch welche häutig Erkrankungen der Linse und ihrer
Kapsel herbeigeführt wurden, wusste Bkej« zu vermeiden, indem er den
IriÄ-Lappen nicht mehr iunerhalb der vorderen Augenkammer loslöite,
wie hifiher, sondern aus der Hornhautwunde hinausdrängte und aussur-
balb des Auges al^schnitt. Dieses Verfahren wurde später verl»essort
und erhielt sich bis heut^ während andere zu dem gleichen Zweck er-
sonneae Operations-Methoden, wie die fridodialvHe hingst aus der Praxüi
Terich wunden ^ind.
Ckirwrffie, Augenheilkunde, Geburtshilfe und Staat^arzfieikunde. 407
Die Geburtshilfe schlug eine naturgemässe Richtung em und er-
weiterte sich, indem sie alle physiologischen und pathologischen Vor-
gange im Weibe und deren Behandlung in den Kreis der Betrachtung
zog, zur Gynaekolugie. Man gelangte zu der Einsicht, dass Schwanger-
schaft, Geburt und Wochenbett physiologische Zustande sind, deren
Verlauf dem Walten der Natur überlassen werden darf, solange nicht
aussergewöhnliche Verhältnisse das EiUvSchreiten des Arztes erheischen.
Lukas BofiR, welcher diese Grundsätze vertrat, verwarf die soge-
nannten Vorbereitungskuren, welche in den meisten Fällen schädlich
wirkten, und lieferte den Nachweis, dass selbst die Gesichts-, Steiss-,
Knie- und Fusslagen nicht immer die Kunst des Arztes erfordern,
sondern durch die Kraft der Natur häufig noch derartig regulirt wer-
den, dass die Geburt von selbst erfolgt. Der schwerfallige complicirte
Instrumenten-Apparat früherer Zeiten wurde vereinfacht und die ope-
rative Geburtshilfe auf diejenigen Fälle eingeschränkt, in denen sie
unumgänglich war.
Man lernte die Verengerungen des Beckens durch methodische
Messungen diagnosticiren und den Einfluss der Lageverändei-ungen und
Krankheiten der Gebärmutter auf die Schwangerschaft und den Ge-
burtsakt beurthcilen. Auch die Pathidogie des Wochenbetts, besonders
das Puerperalfieber, auf dessen Pathogenese die Beobachtungen des un-
glücklichen SEMMEiiWEiss ein überraschendes Licht warfen, wurde sorg-
fältig erforscht. Die Erkrankungen der (Te!)ärmutter, der Eierstöcke
und der benachbarten Theile gaben zu operativen Eingriffen Anlass,
deren Methoden erst erfunden werden mussten.
Die Exstirpation des Utenis bei bösartigen Entartungen desselben
wurde bereits von Montkggia, Oslander u. A. ausgeführt und in
jüngster Zeit in Bezug auf die Technik s«'hr vervollkommnet. Ähnlich
verhält es sich mit der Ovariotomie, welche von Mac Do>\t:ll i. J. 1809
zum ersten Male unternommen wurde und seitdem viele Aerbasserungc^n
erfahren hat. Die operative Behandlung des Prolapsus des Uterus und
der Vagina, sowie die Operation der Blasenscheidenfisteln, welche früher
als unheilbar galt^en, gehören ebenfalls der neuestc^n Periode an und
sind hauptsachlich das Verdienst von Jobert de Lamballk, Marion
Sims, G.Simon und anderen hervorragenden Gynäkologen der Gegenwart
Der Fortvschritt der Medicin im 19. Jahrhundert beschränkte sich
aber nicht blos auf die Bedeutung, welche sie als Heilkunst für das
kranke Individuum besitzt, sondern brachte auch die wichtigen Be-
ziehungen derselben zum Staat zum allgemeinen Bewusstsein.
Es hing dies vielleicht mit der politischen Entwicklung zusammen,
welche die StÄatsregierung an ihre Aufgabe mahnte, die Gesellschaft
zu schutÄeö, und in Jem einzelnen Bürger das (mIuIiI »rwrckr**, '3ai
er ah MitxÜ^'^ J^«* <iempuiwi»«ens Ptlichten gegßn dasj^t^lh** im erfiillenj
habe und an stnncT Wohlfahrt betheiU^t m. Su traten die gvrichtliob
MHlJoin, welche vou A. Hickkk, Mk;m»k, f'nitisirsoK, CA^pKit, OEriio,!
Takiukc u, A. begründet and l»eiirlK*itpt wurde» und dt** niedidiijj
Pnli2eit deren Fundamente Psmüt Frank legte, in die Reihe d«r m«
dieiniscbi*n DiscipÜnen. Was die i*rstere für die *)nain wurd<', 4jJ
ftoUle die leutere für die Verwaltung sein: der Inbegrifl der Kenl)^J
ni^e, deren der jinttüche Sachvenätandtge l>edarf, wenn er von dei]
Itehorden zu Ualh gezoiren wird*
Dio Sanität« -Polizei erweitertn sijcb zur {»ffentliohen (Je^undheit^. i
pflflfe oder Hj^giene, .ib sich der Gedanke Bahn bmch^ das8 nicht bU
der Staate sondern jeder Einzelne InTufen ist, Krankheiten zu verhiUn
und die Knlwiekeluug und Erhaltung der SAlubritiit /u fr>rdent. Dii^
lilentitat der IntcfwacPt velehe in den tVagen der Hygiene die ft^
vv'dkerung mit der Staalapolittk Ttrbuidet, erklärt i^s sicherlich zuiu
UffOäaen Thetle, dü^ die wineoMtefUiche Losung der^dlx'n m ihn
lotsten Jabnabnleii mit eineoi bewmideningsirüfdigen Eifer k^heWti
mutAtk Der Ebillaai dier Nahntng, Kleidung, Wühnung, dei^ Baii%
Klimas^ der TempecBlur. Lufl^ der Be^^hifttgung, de< Altern und Gc«]
•obkdils wurde soigAlltg cmteftüiciil; die Erforschung der Lr^a^bei
der Kntfirtehang iLod Verbneitiny dtr SMuheo, die ge>iundheit8genii<i«
AuUg9 nin Kmnkenhittstni, nMhfiftii. Fiabriken und Bauu^n alli!r^
Art, die übenracbttnir der Proüitliiw n. s. nu Hildett^n wHtere Aul*
gaben dt^r uflNUlieben iie^uiidheil$pflc*gt
SumiM die G««cliickie der Medkan. uie über den \vrUn\ dei
gmsMii Valksfcni»kheite». wekhe in ferfaagaiMi Zeilen die Uinl«
diiroltaofftt aod den KibAg ifer daiecfeii gelmlenea Ihssregeln Behcl
MiMlele, al^ die aedieüüMlie Uf<igii|iiii, wideke dtnnr hinwm
mBibe KrankMieii m o4tr wwifBtigm fwioganise in
6<feHlen TMikumiM«* und die ErU^runir dieeer Tlialsache ver^uchUs
mit Ililfe dC|
mgin zu vif*
«irtbeii bemälil war» ÜBJFrtea vielilige Beitzige ntr I>Wung dieser
riatük Die ChMie« iImi H^iwAep n4 d«^ SifafiBaii
MilM n UBiNwetaii«««, «tioheikesMk m «trUinlln Aii&flUfl
difilker Akneii« it»d die Baktcmlosie lenkte den Blkk anf die
Crwitin 4er Kiaalhailem.
Ue CirMge. «ekhe die Ujpam imlm^k in deft letzten Ja
aiiteii böt^ und die Kwiifugei^ die aam ru« iki i&r die Znkuo
he«et. Ubeo ikr in knoer Sau eioe feffteeiigHide SMhng uter deö~
Der medioiniscfie Unterricht in der Gegenwart, 409
medicinischen üisciplinen verschafft. Die Aufgabe, die Krankheiten zu
verhüten, erscheint ebenso gross und segensreich, als diejenige sie zu
heilen, und die öffentliche Medicin tritt der private^n ebenbürtig an
die Seite.
Die Staatsregierungen tragen dieser in immer weiti^e Kreise
dringenden Erkenn tniss Bechnung, indem sie die Sanitatsverwaltung
organisiren, Gesundheitsamter errichten und für ärztliche Beaufsichtigung
gewisser Einrichtungen Sorge tragen, und das prophetische Wort des
englischen Staatsmannes Gladstone: „Die Ärzte werden die Führer der
Völker sein", geht seiner Erfüllung entgegen.
Der medicinische Unterricht in der Gegenwart.
Die Umgestaltungen und Verbesserungen, die der medicinische
Unterricht während der letzten hundert Jahre erfahren hat, sind nicht
weniger l)edeutend als die Erfolge, welche die wissenschaftliche Be-
arbeitung der Heilkunde errungen hat. Wenn man die mit Lehrmitt<'ln
aller Art reichlich ausgestatteten Institute unserer heutigen medicinischen
Schulen, ihre vortrefflich eingerichteten Lehrgebäude für normale und
pathologische Anatomie und Physiologie mit ihrem Instrumenten-
Apparat, ihre physikalischen, chemischen und hygienischen liabora-
torien, ihre naturwissenschaftlichen Sammlungen und ihre grosse Anzahl
klinischer Anstalten betrachtet und sie mit den dürftigen Anfiingen
vergleicht, welche in dieser Hinsicht im vorigen Jahrhundert cremacht
wurden, erkennt man, wie viel seitdem erreicht worden ist. Heut
gelten diese Einrichtungen als unentbehrlich für den Betrieb des ärzt-
lichen Unterrichts, während sie damals an den meisten Hochschulen
ganzlich fehlten oder doch nur zum geringsten Theile vorhanden waren
und in solcher Vollständigkeit kaum jemals erhofft werden konnten.
Die Lehrmethode hat in Folge dessen eine andere Form an-
genommen; die praktischen Demonstrationen gewannen mehr und mehr
das Übergewicht im medicinischen Unterricht und füllten mit den zu
ihnen gehörigen Erklärungen den Inhalt desselben aus, während die
theoretischen Vorträge zurückgedrängt wurden und allmälig fast gänz-
lich verschwanden. Das Verständniss der wissenschaftlichen Thatsachen
und Theorien ist dadurch ausserordentlich erleichtert worden ; denn was
man mit den Sinnen erfasst, das prägt sich nicht blos dem Gedächtniss,
sondern auch dem Verstände ein.
4111
Ikar msßii^rmmAt. VnUrrieht in «br i$m4eskH Z$ä,
IM/Ji kam, «iüMi« fite Tbeilnnt? der Arbeit auch im mtKlIcIiiJi
tJfit<'rrichl 4nr(h^f^ühTi mini*! and fe^tüU^hende Furmen gewann, welc
m Kii*tiilt*1«n, da^H il»/r Lehrer ?^ich atij^schlifHslich mit d*^r DisdpliB|
welch«* **f if*rtritt, liej^fhaftifeii und /Über eine virtuose* (i»*wttiidtl8i
und Hicherlieit darin erlangen konnte.
Die VenrolKtandig'ijng diw mpdicinlschfn l'ntt'rrichU^ diirnh iliil
Efrichfiing nenrr Li^hrkansjeln, welche die Entwickelun^ und fMft
«ehrf*it»»nde Spenialiflninu der Heilkunde forderte^ und die Kinfuhnini
lind VerbeKsenin^ di»r PrüfungHordnunp»n, welche die Oewiihr i(*i«t*
Hi>ll**ji, diHH dif juiif^'i*n Är/te die Inr ihr^'n Beruf i>othwendi|üren KViibUI
ni.HHf f"rw«*rb«'n baben, bibi^'ten weitere liereichenmjüren^ die das äntlich
fbbliiii^HweKi'ji in dit^em Zeilmom erfuhr. Allerdings waren die F«i1
»idinft»' dul' dioseiii ^Jeltiet in den einzebien T>ändeni sehr vprschiedmd
d«*r Zusliirid dw all^^^'ineinen ("iiltur und besonders der HeilkuD'le^ di]
Miinrale Stellung der Ärzte, die hwturischen Tniditiüut*n und vor Alta
iliiK Verhalter» des Staates mm r»iTentliclien rnterricht ilibten (taraiif'
einen entseheidi^ndini Kinlbiss aun.
n*'i diMi rohen Naturvrdkern, bei den Ivaflern. Indianeni, denßi
^ebiireniMi Bnisibens n. \, \e!*^ne.hen die \v/Av und Zauberer nachj
die KriinkbeMi»n tbireh «iebete nnd Bt^scliworunj^sformeln zu ver
II hd das tnedirmisehe Wissen reicht nur s<dt<'n öbiT *üe Kennlnü
einiK»*r lieilknitTi^^en Knluter und Wnr/idn hinaus'
Aueli bi*i den rultur\ölkern herrj*ehen In Bezug auf die Ui^Ukuod
Mdu verMthiedenttrligi» Zu^tjlnde, Die einheimi8ohen Ärale in
Lilndern des T^^lanis handeln tum gnWten Thei)»' jetzt noeh narh ^h
»elbi'U Unutilsit7j*n, welche die Vertreter der arabischen Me^linn iq
MiltehiUer verkikndel halien. und elienso glauben auch die ehin^^ii^chti
hniv :in die gU*iehen halfln- - slationen. die dort seit .Tab
U^ltung VH\<ititen.* lK>rh i . .: iie Berübmng mit der eiu -
Ihnlkunde und dii» Krk^nnmiis ihrer Vortheile m Verbuchen, d
derthtu tu VirpfbliiaHl.
In Kaiiftanliiiopl untl Knim grtiniliHe man me^licini^clie Scbuk
HU dofH'ti eiif\ipAi»rlif\ Tv>rtilgfweb«^ fTttniogjsehe uml deutsi^he Arzte i
1.ehnr Mgi«t<4)t vnnlffw Bn mtiUm grüiidlt« h« r und, wie e« ^h^
m\\ ^mmm Krfelf vimite ^m in Japia ins Werk c^^vux, wo
i\m M«t^ JiknMi meiii^fw anOirlh* l#linii.>valfen enUtand^^n. welcH
n> tu* i\\ tu. V, i. lOL l!l». VI. $4 «. C JM u. C «7, * Ä.
* l\ n\m% : L» MiMiewhr «4m Im iMmJ^ Pkrä lS«3v — 0. X Mt
Der medieinische Unterru;ht in der Gegenwart. 411
vollständig nach europäischem Muster organisirt und hauptsächlich mit
deutschen Lehrkräften versehen wurden.^ Die niedere Cultur weicht
vor der höheren zurück, welche überall siegreich vordringt und die
Menschheit mit ihren Segnungen beglückt.
In den civilisirten Ländern hat die allgemeine und fachwissen-
schaftliche Bildung der verschiedenen Berufsklassen eine gewisse Gleich-
artigkeit angenommen, welche sich aus der durch die Literatur be-
wirkten leichten und raschen Vermittelung der geistigen Fortschritte
und Errungenschaften erklärt. Auch die Heilkunde zeigt diese Er-
scheinung, und der unterrichtete Arzt in Frankreich bekennt sich zu
denselben Lehren, wie sein College in Deutschland, Osterreich, Italien
und anderen Ländern. Die medieinische Wissenschaft ist überall die-
selbe; aber die Summe des Wissens, welche von den Vertretern der-
selben in den einzelnen Staaten verlangt wird, ist verschieden, und die
äusseren Formen, in denen si(» den Studierenden gelehrt wird, sind
mannigfaltig.
An einzelnen Orten, z. B. in Amerika und England, besteht noch
die Einrichtung, dass Ärzte Schüler annehmen und gleich den Hand-
werkern zu Meistern in ihrer Kunst ausbilden; aber im Allgemeinen
werden die ärztlichen Kenntnisse an Schulen erworben, welche diesen
Zweck zu ihrer besonderen Aufgabe machen und entweder als medi-
einische Facultäten mit anderen Lehranstalt<?n zu Universitäten ver-
einigt sind, oder ausserhalb derselben eine gesonderte Existenz führen.
Diese Schulen werden in manchen Ländern vom Staat geleitet
oder wenigstens beaufsichtigt, während sie in anderen eine unabhängige
Stellung einnehmen und sich selbst verwalten oder von Privatpersonen
beeinflusst werden. Diese principiellen Verschiedenheiten in der Organi-
sation des medicinischen Unterrichts waren für die Entwickelung des-
selben von grosser Bedeutung, wie die Betrachtung der betreffenden
Verhältnisse in den verschiedenen Staaten lehrt.
Die ausführlichste Darstellung werden dabei die Zustände bean-
iipruchen dürfen, welche sich in dieser Hinsicht bei den Engländern,
Franzosen und Deutschen entwickelt haben, weil sie die Typen der
verschiedenen Gestaltungsformen des ärztlichen Bildungswesens dar-
stellen und auf den medicinischen Unterricht der übrigen Nationen
einen massgebenden Einfluss ausgeübt haben.
• Ardouin: Apercu sur l'histoire de la m^decine au Japoii, Paris 1884. —
Ad. Hofmeister: Die Universität Tokio, ihre Geschichte und Organisation, Aus-
land. Jahrg. 57, No. 51. — H. Gibrkk in der Breslauor ärztl. Zeitschr. IV, S. 64 u. ff.
EngUuKL — Kord -Amerika.
Ictt httteft äA 4i» EuLiicbtitiig^n de^. Mitti^laltets ii
rstimehl in Bm^baä ^AaltmL ^ Dart kouunt i^ nod j
i fMV ««A aoeh bei «eilen crilmer ib £rälmv <ia<^ ^^ Stiidier^den 1
HtiliEiiiMie ihre Stadial 4mil b^iooro^ dass üe mh zu emmj
Are! in dk lühi» bcfehen; 4e Ueiben bei Uim (^tn .Uhr I
m^ um etoeti aflywiiita ÜberUiek dttaeii stu gewinnen, w^b
te Lelwi «00 TW ikMtt fM«ni «inL^ Bei die^ipr Methode häD^n I
nililrlicli wAi ml roo der Indindiiilftät ie^ Setiulen» und tialiozii
Allf« foo der PemialiclLkftt da» Lihntf^ aK bt der Schüler tleisäi|
ud begabt« und beailit der Lehrer Ginluldr Kenntius^ und Freude g^
mimr Thüigtect, dann iil dieeea Jalir ßr dm en»ten>n von unscbaU-j
baran ?artbeil fbr eeioe spUenn SUidieo; im anderen Falle ist ^ ver^J
iomie Zeit nnd dient hoch4$tt*itg daaii^ ihn mit einer handwerk:%mäissigpi
Routine acuKUitalten, die manckmal nhe an Charlatanerie smnft.
Abniirh reilialt *^ sich, wenn das ecstt* Jahr der oiedicinuichei)
Btudienzeit in einem Hceipital ztigehracht wird, wie es auch hiiufig gp-
«aUehl. Dir 8todien*nden gUnlien^ dik^ sie dort <" ' ' ' ^ ^
viele Kranke zu t»eol>achten. und hoffen van den H >
wichtigsten EreignUse Belehrun;^ zu erhallen. Wenn sie in duimi
Fjirartun^en niibt pfäuj>cht w**rden« äo kunnen f^ie ^ich Hllrrdini^l
eine gewiKse < h wandthi^it im Verkehr mit den IvRinken an»*igneii,'
welche ihnen in ihrer späteren klinischen und rirxtUchen Wirk^^unkvit
eehr nötzlich i^t.
Al»er in manchen andern B«*iiehungeu musss die^^e Form der Ein«
Tühning in die medieinischen Studien grosse Bedenken erregen. Si«
verleitet den Schüler zur 01>er(liichlielikeit. indem sie ihn ^^wAhni,
diis U^'sen der Üinge nur 2U yitrvif<*n, weü ihm di<* Kenntmjwe üii4
das Ver^tandniss fehlen^ um ihnen auf den Grund zu gehen. Auili
flQrften di*' Er^ebni^st», welche uuf diese Weise erzielt werd«*n, wohl
ktium den Uptern an Zeit und Mühe entsprechen, die si»' d^n XnWti
die dabei die Rolle ab Lehrer t^pielen, verunj^acben, und noch ytm^r
dia Unbef|Uemlictik«*iT<'ü ri*ebüerti!ü:en, welche sit« für die Kraiik*»^
' Th. PottCHMANN: Das medtcutiflclie Uoterriditawescu Iti England in der
HtiiL d. Allg. Zeitung, München 18l^H. No. 7-9, Dieser Aotetx, den tcb «. 1.
unter cteui frischen Eiudmck der eigt*uen Aitöclmuutig geschrieben habe, hiM'b^
fiine Vomrböit des vorliegenden Buches.
* Ch Dkli. Kkrtlry: The Student« Gnid«* to the medical profeaiiioo, '
1878, p. 16 u, ff.
Ef^land, — Nord- Amtrikn, 413
h*»liandhin^ mt ircfnlgf» haben. JedenfiilLs ist <in'<fiii HtTuinriivt^'Ti auf
unhekunnt^n Gohrv'tcn der systematische rnt»*rncht an niner niedi-
C'inischen S<jthuli' bei weitem vorzuziehen.
Aus dieeeni Grunde ist »*s mehr und mr^hr iildieh {4:Hwr^rdei], da«^
die Studiereiid^'n sofurt eint* mediciiiiseht* Fjirljscliule oder »^ine Uurver-
sität be>*uchcTi. Die niediciniHcheu S^^huleii Englands haben sich ans
der «d»HU he^ehricbenen Form des Unterrieht>i f*ntwick<dt: sie lehnen
üieh an Hospitaler \m und sind fladnrch entstanden, das^ di** Ärztt' <ier-
Kidben Schüler annahmi^n und UntiTrieht in der Ifeilkim^t gaben. Als
die Beflürfnisse dns Unt<^rrirhts wuchsen, v^rtheilten sie di«' Vertretung
der einzelnen Zweige der Heilkunde m\U*x sieh und trugen, wenn sie
^--tdbst in einzelnen, z» B. den theoretisehen Fnehern sich nicht zu
T/^hreru befähigt «'mchtetm, dafür Rorgn^ das,s geeignetf Lehrkraft«* **r-
worben und dii^ nothwpndigen Lehrniitt«'! und Instilute anirv'schaÖ't
wunlen.
Nur Min kleiner Bruehtheil der Studierenden der M«*dicin bezog
die irnirersität, ila dieselbe bis in die neut^te Zeit der für das Studium
«ier Heilkunde erforderlichen Einrichtungen entbehrte. Die engli^schen
hschulen waren eigentlich nichts \reiter als verlängerte <fynina«ien,
sie J. DOmanger bezeichn<*te, welche nicht die Aufgabe haben,
Beamte zu bilden und Juristen, Ärzte oder Naturlbrncher zu liefern,
Kindern ,,durch classische und mathematische Studien n*d)st Logik und
Moral Philosophie und durch eine f'ollegienerziehung dem Staat und der
tTf.sidlschaft den gebildetnu und unabhängigen (lentlt^man und dan»d)en
der Staatskirche einen weniger theologitsch, als classisch und literarisch
gebildeten Klerus zu lietem**.
Einen ander<*n ('harakt^T zeigt^»n clie schottischfii HuchHchulen,
benonders Edinburg, wo man schon in früher Zeit anling, di*^ prak-
tt^he Heilkunde in den Bereich des medicinischen rnterrichts zu ziehen.
I>ie verschiedenartigen Wege, auf denen die medicinischen Kennt-
DTÄse erworben wMjrden, Lt^sen e« begreiflich erscheinen, dass unter flen
Ärzten gro^:«^** rnterschiede in Bezug auf ihr Wissen und ihre Geschick-
liehkeit bestanden. Dazu kam, da-ss sie nicht genöthiirt waren, darüber
ernste Rechenschaft zu geben. Der Staat kümmerte Nich nicht darum,
ob und wo der küntYige Arzt die Belahigung l'ür seinen Beruf erhingfce;
w gef^tAttete Jedem, die arztliche Praxis auszuülieri, und überliess eg
dem Pubbkum, die guten Arzte zu sondern von den schlechten.
I>Hbei war natürlreb nur der Erfolg entschefdend. Die HeilkünstbT,
welche diesem unsicheren Urtheil misstrauten, suchten durch Zeugnisse,
in denen ihre mediciniHchen Studien und ihre iirztliche Tüchtigkeit
htismigt wurden, die nflentliche Meinung zu gewinnen. VeiNehiedene
414
D&r mediciniBohe üntemchi m dar nmest^n Zmi.
ürztliclio (ienu!^84'ii»chaften und niedicinis^che »Schulen waren d^^u gegvn
KntrioJitijntf der üblichen Tiixon bereit und nahmen Prüfungen ah, lÜp
uhiT wedt*r cinhiitli^h nriranisirt, noch von ein^.T C^ntralstelle üim-
wacht wurdrn, und ilaher durchauK nivUi eine G<.*w;ihr für dir BiMiin^*
des ArKtt^s boten.
Maiiclu^ <*rwurh**n (*in Oiidum im Aushmde utliT j^^uchU^n ,sidi
hiAhv auf i!le!y:ale Wvisi* m vcrscbaften; auch hattt» der Krzbischuf
Cant^^rbtirv das Hecht. Dukturen der Medicin äu ernennen. Zulelxi
kam OB soweit, dass es genügte, wenn Jemand vun zwei Mitgli<'ili
eiiiei ärztlichen Genossen schart der Behord*' als Arzt vorgestellt wöi
damit er als solcher anerkannt wurde,
nenirtigc Zustände niussten für die Kranken, auf welche tiii
lleilkimsth^r losgelassen^* wurden, schwere Xachtheile im Tieftd^o hairf
Der «nersclnUterliche (ileiehmuHi des enpflisebcn Volkes wurde d;iAlurcli
endlieh :itjt|Li'rrtitTelt, und das Parlament veranlai^sts Abhilfe dagegen m
treöen. Uas Krgebniss der Herathungen desselben war die Medin' \
v.J. 1858, in welcher ^enuu iM'stiirnnt wurde, w^elehe Körper^ i >,
fortan das Recht haben, ärztliche Prüfungen ab?4jnehmen und j^iiltiÄf
Zeugnisse darüber aiiszustidlen,
Sie wunb'n <b'r Anlsiclü des General euuncil of medical l^ducatill&
and regislration of the united kingdom nnterstellt, welcher darauf
achten soll, da.ss die Prüfung*'n ihrem Zweck entsprechen. Ist fc
nicht der KiilU so steht dem (leneral Council die Betugniss zu, m
Zurechtweisung der föaminat<<iren zu veranlatjsen, oder wenn die ÜW.
stäntie nicht beseitigt werden, die Auflu-bung des der IjetrefTemb
Gortmration ertheilten Prülnngs-Privilegiums /u l^ewirken,
Ihc Namen der Personen, welche vor einer zur .\bnahme d^|
PriUungen h^gitimirien Kr»r|)erschaft ihre Befähigung zur Ausübun;<4^^
ärztlichen Tbiitigkeit nucdigewiesen haben, werden in ein Verzeiehni>-
aufgenommen, welches vom fieneral c^ouncil geführt und dem PubldaiiL
bekannt gennndit wird, nur solch»* durch das (iesetx anerkannt*^ Arm
konniii beim Gericht die Khigen aut rürkstandige Hon<inir-FonJoriiiii?i^
geltoini matdnn tind amtliche Stellungen erlangen.
Der (Mueral counciL welchem übrigens noch andere aut da<
dicinalwesen bezügliche Aytgal»en übertrugen wurden , beisteht
24 Mitgliedern, von denen 17 durch die verschiedenen Prüfung^kni
schatten gew^lhlt, 0 von der Krone «ernannt und 1, nänilieh der
«ident» vtun ftrneral Council selbst bestimmt wird. Mit diesem G
wurde für die weitere Entwickelung des medicinischen Unterri<
Wesens in England eine b^ste Grundlage gegeben, welche weolj
lie gröbsten Missbräuche verhinderte.
England, — Nord- Amerika, 415
Die Mängel, welche es zeigte, richten Verbesserungsvorscliiäge hervor,
welche aber gar nicht oder doch nur zum Theil ausgeführt wurden.
Im J. 1881 wurde eine Commission von Fachmännern berufen, welche
über die Fragen des medicinischen Unterrichte Berathungen hielt. Bei
dieser Gelegenheit wurde die Nothwendigkeit einer allgemeinen wissen-
schaftlichen Vorbildung für den Studenten der Medicin hervorgehoben,
die Einführung von Staatsprüfungen angeregt und verlangt, dass nur
Diplome der Befähigung zur Ausübung der gesummten Heilkunde, nicht
aber einzelner Theile derselben ausgestellt werden. Aber die Mehrheit
verhielt sich ablehnend dagegen und verwarf mit aller Entschiedenheit
die absolute Gleichförmigkeit der ärztlichen Erziehung, indem sie es als
einen besonderen Vorzug des englischen Systems betrachtete, dass es
innerhalb gewisser Grenzen die Freiheit der Bewegung gestattet und
eine bei der Verschiedenheit der Lehranstalten natürliche Mannigfaltig-
keit der Bildung hervorbringt.^
Gegenwärtig erwerben die Studierenden der Heilkunde die fach-
wissenschaftliche Bildung hauptsächlich an den medicinischen Schulen
und den Universitäten. An den ersteren ist kein Mangel; in London
allein existiren zwölf. Sie sind mit Krankenhäusern verbunden und
werden gewöhnlich darnach genannt.
Die älteste Schule ist diejenige des St. Bartholomeus- Hospitals,
dessen ereignissreiche Geschichte mit der Entwickelung der Heilkunde
in England eng verknüpft ist. Diese Krankenanstalt besteht seit 1164
und die frühesten Nachrichten, dass dort medicinischer Unterricht er-
theilt wurde, stammen vom Jahre 1662. Zu den Ärzten derselben
gehörten William Habvey, der p]ntdecker des Blutkreislaufs, und später
die Chirurgen Percival Pott und Abernethy.^
Die Gründung des St. Thomas-Hospitals, mit welchem ebenfalls
eine ärztliche Lehranstalt verbunden ist, wird in das 13. Jahrhundert
verlegt; in den Akten dieser Anstalt wird schon 1551 ein ärztlicher
I^ehrling erwähnt Ihre jetzigen Gebäude wurden 1871 der Benutzung
übergeben und erregen durch ihre zweckmässigen Einrichtungen die
Bewunderung der Fachmänner.
' Report of the royal commissiouers appointed to inquire into the medical
acts, presented to both houses of Parliament (Engl. Blaubuch 1882, Vol. 29)
Abs. 37: It woold be a mistake to introduce absolute uniformity into medical
edocation. One great merit of the prescnt system, so far as teaching is concerned,
lies in the elasticity whlch is prodnced by the varict^' and the numbcrs of
edacating bodies.
» N. MooBE in St. Bartholomews Hospital Rep., London 1882, Will,
p. 883 — 868. — W. A. DEiJkMOTTE: The royal Hospital of St. Bartholomews,
LfOndon 1846.
Audi 81 G«or«e9^Uai;fUl, 4a» Ui:
atal; 4m
Huw/JM, dm WcüBiftMr'HoiVilal, im Ch»ii^-< ><i«e»-BuiipJtal 8t Müry 's
, HyipÜit QBil Oo/« BmfM, ventai i^ rnt^^rricbi
•li instliebe SehaicB.'
II» Ki«9i Colteg« nd im Untfcni^ Gollrer. mlehe« Uhn
knwmwf!ii^ not der loodon Ummaüy ider dckj
zifsr Mdi aa KmnlfihiMfr «i; mbtr m ul. , . u d«ii
Ohrigeii mdJgJiiiKtwi Scfcni^fi dadurcb, i^m m iiieht ^olirt siiiü
fi^jfidimi in erneni orfs^nktkeu ZiMminwitoPi^e mit juiiNiij^chen, philu-j
«Kiphi«ctti*n fmd nwturwbBtiiKlMlIUehm Fi^oltaU^n, mit t«cliiii«cben In-
iditotirfi a. A, m. fiifihf^n, Ammaiiem fSMtiTt lo London eine me<lidnb€lii|
Hchrik* fßr FmoeOf welche sieb dem irzüichen llfruf widmtn wollin.
In den Al^rigen Städten England^» b€i$teben medicuti^^he Unter*
riebtHan^talten zo Birminje^ham, Briütol, t..eeditr liverpool, SkofBel^'
huldin, Belf;mt, Oirk^ Gtiliraj, Kdinl>ur|;rf Olaifgaw u. a. 0.; auch ^ehi
*•** HchQU*n, welche keine foMs^äiidige niedjcini«(che Aaslitldung, «ondfiro ^
nur ('ntffiricht in einzelnen fächern gewähren^ wie die West Ijondun]
hfif4piki] pn*|>»rsiturv »efaoal i*der Cooki*^ iioAtomiisohe Schule. In detj
l»rittiNf;h»'n r^donten« in i'anada und in Brittisch- Indien Vietinden «iell
gl^'ichfallH eine Mengt» von mediciniNchen liehnm^talten, welche mskl
(mglii4cheui Mu?«ter <'ingerii'htet ^ind: rnivh m Valetta auf der IiM]
Malta ii\vUl i'ri ei« derartigei^ luKtitnt.*
Di«» medicini8ch<*n Schulen Englands sind ebenno wie die HojipitiJer, ]
zu w*tlehj*n sie geh<irt*n, in» Allgi^rnr'inen Privat-UntiTflehmungen, lJfr|
Htaai suihll wedt-r ihn* l'nii*rhaltuiigskotiten, noch lebt^H er einen Zu-
MchtifU) tisizii; L'ljfnsowt^nig übt er irgend welchen l^^nÜUäs aal iiire
()rgftnii*alion und Verwaltung oder auf den Unterricht aus, der durt
»•rtheili wird. Haftlr giebt der Besuch dieser iSchiilen aach keinei^weg»
iIhs Keeht zur Auvtjljung dfr är/Jlich**n Praxis, lue lA^hrkurpi»r der-
Helhen hnhvii nicht die Befugnis^*, Prüfungen ah^ailialten. welche mt
♦ ifff'Titliehe (Jclliin^ Ijesitzen, sonderü nind genritbigt, zu diesem Zw^^t
ihre Si'hiU*T den iir/llicben Cürpurationen und Examinatiunsbebördcn
JEU überweisen, deren ZeugniKHe und Diplome die Lioens tur Praxi» ^ I
wiiliren,
UtT ptivaii' (liurukler d<»r mediciniKcheu Schulen tritt namnillich i
' Hin. f. CjouiiJtu: An hiMtckrit'ni iü*«'t>Hut of St. 1 houia^^ HoJät>Ualt Lüijdoaj
1^1 VI. KiuttMir« WiLiiiiN: 'Uli' hbtury of tlio Mük[lt!«cx llospitaJ, Loudon 194ä^|
-' \V. \'l I'a«*i:: St. liporK*'*- Ilo^^pitiil, Lonilim 18B0. — R GoLi>uro; Tbc
(dikii luiU (»tM'nitiütip* of tili' Clmrtiijj; t.'rcxt« !bj»|>iUb rx>ndou 1867.
* jr It lUnnwuici:: Mt'dical pdiioiitum Aad practise in all parP* of thr
der ESnrichtQTig derselben, in ihrer Aosstattung mit Lehnmtteto,
der Auswahl des Lehrerperson^Us u, a^ m. herror. Das entscheidende
Wort in «liesen Angelegenheiten spriciht das Curatorium, welchej^ die
Aufsicht über das Hospitiil fiihrt; ihm fallt die Aufgabe zu, die Ärzte
desselben und die Lehrer der Schule anzustellen. Da diese Curatorien
nicht oder dooh nur zum geringsten Theile aus Fachmännern, sondern
haapU^ehlicIi auö Laien bestehen, so liegt die Gefahr, dass Protektion
und Nepotismus bei der Besetzung der Stellen wirken, nicht gar fem,
tunsomehr als dieselbe nicht, wie in Deutschland und Österreich, auf
Grund hervorragender wissenschaffrhchor Leistungen, oder wie in an-
deren Landern, durch CoDCunri erfolgt.
Die Bej;Joblungen der Lehrer fliessen aus den Erträgnissen, welche
^m Schulgeld liefert; nur in besonderen Fällen, wenn dasselbe wegen
^^^ngelB an Schülern zu geringfügig ist oder wenn es gilt, eine be-
I rQlitnie Lehrkraft zu gewinnen, bewilligen die CurattDrien ausserordent-
f liehe Znschüsse. Die Schulgelder sind in Folge dessen ziemlich be-
träebllich. So kostet z, ß. am St. Barlholomeus Hospital zu London
der Besuch eines Cursua über Physiologie 9 Guineen, über Materia
medica 6^''^ Guineen, Ober Botanik oder gerichtliche Medicin 4 Gui-
neen. am Thomas-Hospital die Theiinahme an den Sekiionsübungen
während drei Monaten 4 Guineen; doch geschieht es nur ausnahms-
weise, dass der Studierende ein einzelnes CoDeg belegt GewCdmlich
l^etheiügt er sich an sänimtlichen Vorlesungen und Demonstrationen,
welche der Studienplan der Schule empüehlt, und zahlt dafür ein be-
M\> Pauschale, welche.s grösser oder geringer ist> Je nachdem dii-s
ii' ^ rt oder in verschiedenen Terminen erlegt wird, aber niemals
Wi^Diger als 125 Pfund Sterling, also 2500 Mark, für die gesammte
dienzeit beträgt. Dazu kommen manchmal noch besondere Aus-
n für die Benutzung von Instrumenten, tiir die Leicheotheile,
irdche »um Studium dienen, u. a, m.
Die Ausstattung iler einzxdnen Schulen mit Lehrmitteln ist sehr
verschieden- Manche haben hohe iuttige Hürsäle, zweckmässige Räume
fftr anatomische Secirübungen, gut eingerichtete physiologische und
ebemisobe Lalioratoripn. naturwissenschaftliche Sjimmluugen, anatomi-
,e und puthologLseho Museen, Bibliotheken und klinische Institute
Art; Andere leiden daran Mangel und bieten in dieser Hinsicht
^ihmtger ak die kleinste medicinische Facultat in Deut.schland.
Der Lehrplau der medicinischen Schulen richtet sich nach den
Pnifungen, welcben sich die Studierenden spater unterzieben wollen.
Im Allgemeinen werden die vorbereitenden und propädeutischen Fächer
ntebt in dem gleichen Gmde berücksichtigt, wie diejenigeu Disciplinen,
PV9cmMA»w, UuUfrricbt 07
J_J
118
Dm- ifiaAbMMe önimridU in der muegtmi Zeit
wolclio mit der Praxis unmittt^lhar zusammenhangen. Der Ütilitari??
welcher das englischi' Volk bpherr8<:rlit, kommt Welleicht nii*ge
un verhüllt zum Ausdruck, als in diesen Anstalten, welche le
das Ziel verfolgen, für die ärztlichen Prüfungen vorzubereiten,
gleichen darin den Instituten, welche rn Deutschland für eine mogUrj
riU-^che Ausstjittun^' mit der für die Üfficiers- Aspiranten gef^^J(♦^1
AUgemeinbildunM: Sorge trugen und unter dem Namen der F^ahnrid
pressen bekannt sind.
Dagegen sehen »*8 <li^' englischen Universitäten als ihr« vomehn
Aufgabe an, den Sinn ffir wissenschaftliehe Bestrebungen txL hekh
nad zu erhalten. W<t dorti die medizinischen Studien treibt, hat
Absicht, eine grinulliche tiefe Aushildiing in den natiirwigj^enndiaftlichi
und vorbereitenden Disciplinen zu erwerben und akademische Gr
SEU erkmiLTen. Doch ist df»r Aufenthalt an der Universität kostspielig
nU an den mediciiuschen Schulen, weil **r die Studienzeit verlla^
und durch dm Zusammenleben mit reichen Jünglingen und dieTh«!
nähme an den gemeinsamen Vergnüfirnngen zu manchen Au!^|?a!i*ni
verleitet, zu denen an den Fachschulen keine Veranlassung i»t. Dil
Arzte, welche die Universität besucht und dort promovirt haben,
hören durch ihr Wissen und ihre gesellschaftliche Stellung zü der El
ihres Standes.
Die englischen Universitäten smd ebensowenig ah? die medinii
sehen Schulen Staatsanstalten, llire rnt<Thalfungskosten wenlen
den Schulgelilern, welches die Studierenden zahlen, und aus den
trügnissen ihrer reichen Stiftungen hestritten. Die Verwaltung uH
Leitung fahren SeniUt\ welche sich aus Männern von hervorragt^inl
Li*brnsstellung und Professoren der Hochschule zusammensetzen.
Im iJegensatz zu den Universitäten des übrigen Eurupas sind die
«'nglischen nichr lilos Unterrichts-, sondern zugleich Erzieh ung^instalN,
Ihrem Vi'rbande gehören eine grosse Anzahl Vfm Colleere^s und Rall^
an, d. s. klosterahnliche Pensionatc. in denen die Shidierenden zusammen
wohnen und lelien, Kost erhalten und in ihren Htudicn imteRdftll
werden. Oxford besitzt 25, Canihridge 17 derartige Institute. Einjceli
Vou ihnen reichen bis ins Mittelalt(T zurück. Sie verdanken ihre Hl
stehung frommen Vermächtnissen und Schenk vm gen und sind mit (}«
mittein reich lieh ausgestattet.
Leider werden dieselben nicht immer in zweckmässiger und
rechter Weise verwendet AnstAtt zur Hebung der Wissenschaft
zur Unterstützung armer Studierender dienen sie hauptÄacblich zu
träglicheii Sinocuren für <ien ilaster und die Fellows, \L b. den Vorst«
und die Beamten der Cidleges, So bezieht der iMask^r de*s Trinil
Ekgiand. — Nord- -^nieti^a.
419
m Cambridge 60 000 Mark iiüd die 60 Fellows zwischen 5400
Imd 15 000 Mark jährlich, ohne dass sie dafür entsprach ende Dienste
leisten. Würden diese Stellen ausnahmslos an solche Pei"sonen ver-
miehep, welche ihr Leben der wissenschaftlichen Forsehiinpr geweiht und
^ dieser Thätigkeit bereits Erfolge errungen haben, so könnte man
fdies Tielleicht rechtfertigen; aber von den Bewerbern um die Fellow-
ühip wird nur verlangt, dass sie einen akademischen Grad hesitaen.
l»ie Protektion giebt bei der Besetzimg den Ausschlag; dass dabei die
j Geistlichkeit ilen Löwenantheil davon trägt, liegt in den englischen
Verhältnissen, welche dem Klenis der Hochkirche eine sociale Macht
luifcstehen, wie sie die katholische Geistlichkeit in Tyrol vergeblich
anstrebt
Ein Mitglied des Senats der Universitiit f'ambridge klagte öffent-
lich darüber, dass die Stellen der Vorstünde der dortigen Colleges nur
I mit Geiötlichen besetzt und die Fellowships an Leute vergeben werden,
fdche nicht das Geringste für die Wissenschaffj die Universität oder
(p College thnn, ^ E. Kenan sagt, dass eine kleine deutsche Univer-
|k mit ihren linkischen Professoren und hungernden Privatdocenten
r die Wissenschaft mehr leistet, als alle piiinkenden Reichthijmer
Oifords.
Die meisten der Colleges m Oxford und Cambridge behnden sich
in alterthümlichen» wegen ihrer Architektur und ihrer Kunstdenkmäler
«ehenswerthen Gebäuden, welche mit ihren Thürmen und Bogen^ ihren
Kapellen, Säulengängen und Refektorien an längst vergangene Zeiten
erinnern; aber auch der Geist, der in diesen Anstalten herrscht, ist
derjenige der Scholnstik. Obwohl es ein britischer Mönch war, welcher
im 13. Jahrhundert die ersten mächtigen Angriffe dagegen richtet<»,
hat sich docli gerade in seiner Heimath jene mittelalterlichi^ Welt-
anschauung bis heut erhalten. Das theologische Dogma beherrscht das
Unterriohtswesen und das gesamrate geistige Leben des englischen
Volkes und hat ihm einen pietistischen Zug aufgedruckt, der zu sfinem
politischen Freisinn und seinem rastlosen Haschen nach irdiseben Be-
titiithümem nicht recht passt,
^L Auch in der äusseren Erscheinung der Professoren und Studenten
fm^ sich tler theulogischt* Charakter aus; wenn sie in ihren langen
schwfirzen Taluren und barettidinlichen Kopfbedeckungen eiidierscbreitei),
^ glaubt man sich in jene Zeit verst^tzt, du die Mönche die Iilrziehung
jer Jugend leiteten. Die Studierenden stehen unter einer strengen
Sucht; sie werdrn nicht wie junge Mannen die für eine gewisse Freiheit
'* A few brief remark» im Cambridge Univemty. London 1870.
und Sel!>sti?tan(lr>keit reif sind, soodern wie SctöIeT, die einer
digen Aufsicht bedürfen^ behandelt,
Unt^r den Studenten befinden sich Personen von siebr Te
denem Alter: drvch ßilt im AUgempinen dm If?. Lebensjahr aU anti
Alt<^rsgren7A\ Nicht weniger unterscheiden j^iie s?ich in Bezug auf
Kenntniftse; während Manche kaum die Elementarstnfen der Allgemfli
bildiing fi}»*Twimden hiilien. giebt es Andere, welche durch ihre wis
sclijjftlicbcn Arh<'itcn bereits die Auhnorksamkeit der faehrnannw«
Kreise erregen.
ViThaltnissmftjisig gering ist die Zahl der Prof'R'^uren, sie
in Oxford 48, in Cambridge sogar nur 37 in sTinimllichen ¥mt\
Doch giebt e$ ausserdem noch eine grosse Anzahl Ton Readen
Lectnrers und Tutors, welche entweder an der üniTereitat oder
einem College thätig sind, Vorträge halten, Kepetitiunen veransfcaK
und Privat-Lektionen geben. An manchen Hochschulen liegt* wie]
heimische versichern, der Unterricht hauptsächlich in ihren Handi
Wahrscheinlich betriflft dies nur die zur Allgeraeinbildang geh5rig|
Fächer; bei der Medicin and den Natnrwisgenschaften dürfte ex sich«
lieh nicht der Fall sein.
Die Heilkunde findet älirigem an den englischen UniTersiüln
nur eine theilweise TefIrcteDg. Früher gab es dafür fast nl)erali a^
fdne oder zwei Lehrinoi^; ersi in neuester Zeit hat man dieselb
T«niiAil Dabei witniai jßAoA vorzugsweise die theoretischen
fVmmkf boaoafos dii AMtoOM imd Pkyiiblogie, berucki^ichtigt.
Die TeTToIl<tiuidigniig der irztUchen Bildunp durch den Unti
riolil in der pnklisclifii Heilkmifl erfolgt ra den meiiicinischen Schul«iF
wMk^ M den g4ekben Ort «»der m der Nähe desselben be.stehfn, m\
der UnJTenitit einigrkifct nd «der wmigsleiia Beziehungen zu der.
9ilbf« htHmu In OmMdg« hMfi AsMBmooKx-s Ho$pital-s i '
in Osdfari im doitigT Kraaliwliiaj^ m Dartam die mi^dicinische
n Newts»p||e*«poii-TTiie Cikfiiiheit dazu. vUmod in Manchei^r
Om» CMIi«e ^kmm TkeäL 4m 4m L 3. 1890 gigmideten UuifttAli
tiMd khOUbt BmUUaigm adfTkaHeii die wl 1M1
VwtPtrOm mitiBm (Tatätw OoDfipf) od di» Roril Unirersitr
lul w«Mi» imifSi a die Arib dar w^güinm Qßmm Vuif
pGifviNi Mb n dmtjgini VMfiGnWbes SiMhB vid Dd9|iilUem.
Kli|M' ist ^ TifiMidwy ■■inJhiB doi aiedicinachn FWultäten
mA Vmvmm^ h ffliliWlial Ue lllamui dailigai Uitiv«tasitileii
m ^ A»dwk Olaif»! «ad Afcutoai «UtoBioi mar dem Etnflnss
dei^ fcathaosciifs IQ^ra^ vsd wvdis iwb Ab ^bb4i^ ein mcdtcJmsBOfMi
Die ÜDiversitat Edinburg begann als College und entwickelte sich
ak stadtische Untemchtsanstalt nach dem Master der Genter Aka-
demie.^ Da die dortijsre ärztliche Zunft einen liotunischt^n Garten an-
legte and medicinisohen Unterricht ertheilte, so lag e^ nahe, den letz-
tifTwo in den Verband der Hüchschule zu ziehen. In Folge dessen
j^teilt*? der Stadtrath von Edinburg i. J. 1685 drei Professoren der
Uedicin an der Universität an; es waren Arztt* der Stadt^ denen man
iwur keine Besoldang gab, wohl aber Lehrsäle zur Verfügung stellte.
Zu d«n ersten Lehrern» die dort inrkten^ gehörte Abchibalü Pitcaihn.
Im J. 1770 bestanden an der dortigen medicini^schen Facnltüt bereits
Lehrkanzeln für Anatomie, Institutionenj medicinijiehe Praxis, Geburts-
hilfe, Chemie, BoUmik, Materia medica und Naturgesehichte, sowie eine
»tomische Lehranstalt, ein botanischer Garten, ein chemisches liEbo-
miun und eine Klinik. Im J. 1802 wurde eine chirurgische und
1825 eine geburtshilfliche Klinik eröffnet. Im J, 181(> schlug der
Stadtrath die Errichtung einer Professur für vergleichende Anatomie
und Veterinärchinirgie vor; aber der akademische Senat sprach sich
dagegen aoH. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden diejenigen
IiJ ' "H, welche durch die Bedürfnisse des medicinischen
[•rt \^nirden. Ebniso war es in tlhtsijow und den
ieren beiden Hoelischiilen.
Neben den medicinischen FaeultätHn gi<^bt es in Edinburg imd
Glasgow noch ärztliehe P\n^hschulen, welche unabhängig von der Uni-
fundtät sind.
Die IJniverüJit}' of London ist keine Universität, sondern ein In-
it, an welchem Prüfungen abgelegt und akademische Grade er-
tt'orben werden»
Die Hochschulen in den überseeischen Ländenj, welche unter der
bfittiscbeu Herrschaft stehen, sind nach dem Vorbild der englischen
orguniairt.
Wer sich dem Studium der Heilkunde widmet, muss sich über
den Besitz einer gewissen .illgemeinbildung ausweisen. Wenn er eine
Univenüität Ijezioht, so unterwirft er sich zu diesem Zweck dem Malri-
oalations-Examen; l»esucht er eine medicinische Schule, so legt er die
Prüfung vor einer der zahlreichen Examinations-Commissionen ab,
welche gültige Zeugnisse darüber ausstellen dürfen. Die wissenschaft-
lichen Anfonierungen derselben sind nicht überall die gleichen; doch
liegt ihnen em allgemeines Schema zu Grande, Jas mehr oder weniger
tum Ausdruck g<.'langt. Cber den *trad des Wissens, welcher darin
A, Giumt: J'Ke ^k>rv o( tiie university of Edinburgh, Loudoii 1884,
verlanift wird, geMtatten die Vorscliriften der Tx>ndün UnivefsitT ein
Urfclioil; sie können als dtis höchste Maas^s Ton Kenntnissen gelten, dip
ron <ieii Prüflingen voransge-setzt werden.^
AU Prfifungsgegenstände werden angefiihrt: 1) Latein, 2) zwei tler
tol^'enden Sprachen je naoh der Wahl des Examinanden^ nämlich Cttk*
chisch, Französisch oder Deutsch oder auch anst^itt einer dieser <lm
Sprachen Arabisch oder Sanskrit, 3) englische Sprache und QescJuchif
und mfjdprnt' Geon-raphie, 4) Mathematik. 5) Natural Phil ' 1*'
in Eni^^land die Physik genannt wird, und «>) Chemie. Im 1 -n
Examen werden Stellen aus Julius Caesab's de hello Gallico, SAiOiW,
den leichteren Reden Cici'nin's, aus Livirs, Ovid, VikoHi und H»hiaz
ins Englische übersetzt, im griechischen Xknuphon, IIumek und Fr.
RipiuEs vorgelegt und Fragen nm der Grammatik und alten Ge^chirbtt*
daran geknüpft. Die betretFenden Auton^n und die '
aus ihren Schriften, welche Gegenstände der jed-, ::: ^ . .
bilden y werden jedoch schon l^/j Jahre vorher iWentlich hekanot sfi».
macht, so da8s das „Einpauken" der Schüler darauf ermr.-
Ähnlich verhalt es sich mit der Prüfung aus d**n übrigm ,...,,
Da*5 mathematische Examen hefasst sich mit den Decimalhrüchen, dem
Ausziehen von tiiiad ratwurzeln und einfachen nieichnngen, und in »k
Geometrie mit den ersten Büchern Eukliü*s und ihrem Inhalt. An<-b
die physikalischen Kenntnisse, welche gefordert werden, tragen mnen
durchaus elementaren ( 'harakter und beschränken sich auf die einfucken
Gesetze und That.saehen der ^^leehanik, Hydrostatik» Pneumatik, WArme
und r)ptik nebst den dabei gebräuchlichen Apparat>en und Instrumenten,
In der chemischen Prüfung wird verlangt, dass der (*ändidat über die
wichtigsten chemischen Elemente und ihre Eigenschaften, die hekanft-
teren chemischen Prozesse und die Zusammensetzung des Wassers^ der
Luft und einzelner häutig vorkommender Korper Bescheid wisse, ttei
ist im Wesentlichen die Summo der Kenntnisse, welche in England
die Grundlage der fachwissenschaftiichen Studien bilden; doch ermaÄrigt
sich dieselljc an manchen Orten insofern, als dort die Prüfung mi
einigen Fächern, z. B. aus den Sprachen, mit Ausnahme der lat^^inisoheu
und englischen, suwie aus der Physik und Chemie, nicht obligatv «on-
dem dem freien Belieben des Examinanden anheimgestellt ist nmi
daher grösstentheils wegfallt
Wenn die Allgemeinbildung iler englischen Studierenden zurück-
steht hinter derjenigen der deutschen, so hat die englische Erziehung
doch andererseits den grossen Vorzug vor der deutschen, dass sie die
* CalendÄr of the uiüvcrsity of London 1888, p. 53 u. ft.
EnfflamL — Nord 'Amerika^
428
Bedeutung der körperlichen EntmekeluDg in vollem Maagae würdigt.
Die englischen Schulen sorgen nicht blos fiii' die geistige Ausbildung,
»andern auch für die körperliche Gesundheit und Tüchtigkeit ihrer
liiige. In den Parkanlagen und Gärten, niit denen viele der (.^ollege^
ben sind^ verbringen m einen grosj>en Theil des Tages; körperliche
Bewegungen verschiedener Art, Ballspiele, Ringübungen, Turnen, Reiten,
Sohiviuinien. Rudern u. a. m. erhalten ihre Gesundheit und stiihlen ihre
Kräfte. Die engh-schen Studierenden erscheinen daher im Allgemeinen
frischer, gesunder und kräftiger al;^ die deutschen, welche, nachdem sie
am (f)'Uinasium 32 Stunden in der Woche auf der Schulbank sitzen
mus8ten und in der übrigen Zeit mit S<^hukufguben und Frivatstunden
gepla^ wurden, müde und abgearbeitet die Universität beziehen und
>fig ül>er Kurzsichtigkint, Brustl)eschvverdrn und andere Leiden klagen.
Der medicinische Studienplan, welcher der fachlichen Ausbildung
der meiat.en englischen Ärzte zu Grunde liegt, zeigt an den einzelnen
Lehranstalten manche Verschiedenheiten, lässt aber überall eine merk-
liche Hevorz-ugung der sogenannten praktischen Disciplinen erkennen.
Den vorbereitenden und theoretischen Wissenschaften, die zur Heil-
kii' ' ' 1, wird, wenn man von einzelueu rnivorsitüten absieht,
vt'i >tg wenig Zeit und Arbeit gewidnu^t. Das umfangreiche
Gebiet der Physiologie, deren Unterricht an den deutschen L niversitäten
ganzes Jahr hindurch w^Mchentlich 0 Stunden in Anspruch nimmt,
z. B. von den niedicinischen Schulen Englands innerhalb 0 Mo-
naten in 3 — 4 Vorlesungen wochentheh bewältigt; ähnlich ergeht es
den Naturwissenschaften und der Anak)mie.
Die praktische Beschäftigung mit der letzteren, die anatomiachen
Zergliederungen, finden nur in beschränktem Maasse statt, da die Leichen
m hoben Preisen gekauft werden müsisen. Die Händler, welche die
Lieferung derselben besorgten, griffen früher zuweilen zu dem schon
im Hittt'lalter beliebten Mittel, die Leichen von den Kirch h*den zu
siehlün; einzelne dieser Resurrections-meu begingen sogar Verbrechen^
wi^on €58 an dem erforderlichen Material fehlte, indem sie lebende Men-
jM^en umbrachten und ihre Leichname au die Anatomie verkauften.
Der Prozens der Mörder Jiare uml Burke in Edinburg, in welchen der
Anulöm Robert Knox verwickelt wurde, enthüllte darüber entsetzliche
Einz^dheiten, ^ Erst i, J, 1832 wurde in England die Vornahme ana-
tomischer Hecirübungen gestattet und gesetzlich fesigeötellt, unter
wisklüeo Bedingungen sie geschehen dürfen. Neben den praktisehen
' U. I^KaDAtc: A sketsch of the life and writings of Rob, Kdox, tbe tkUfk-
n 18T0.
PCd'
f
Tkr fnedmnim^ ünkrnM m dw
ZerpliederungL'n dienon hauptsächlich Spiritus-Präpurutc and Wa
Modelle Zinn Siiidiuiii der Anatomie»
Der Ihiterrirht iii den tlieoretischen Wissenschaftt'n heschr
sich auf die Gruiidzuj^e und wichtiit^^sten Thtit^acheii derselben, oäe
lieb soweit dia^cllirii Bodeutunt? für die praktische Ausübung ihr Hl|
kuTist liaben. Diester OeKichtspunkt, nrimlieh die prakti^he Ver«re|
fmrki^it der erworl>enen Kenntnisse, ist der roüie Fuden, der da»
Unterricht-ssystem der mHdieinij^chen Schulen durchzieht Dii' I^h
derHelben füy:en sich ilieseiu utilitjiriHchen Bedürfnis.^ und heben
ihr«n Vortragen jederzeit die praktischen Beziehungen hervor; dadtm*Jj
iTreicheii sie, dass das Inti*resse der Schüler geweckt und erhrdit wia
In England wird di-r Metüciner vom ersten Tage seiner Studit*na
an daran gewöhnt, die Heilkunst ak dms Ziel zu betrachten, dai* llim
gesteckt ist. Hfiuüg hetJunligt er siel» 80hon im ersten 8eme*1eT
den Kninkenhesuchen, welcbe die Ar/t4? im Ho,spital niacheiu
letzten Seme^äter werden vollständig den klinischen Studien gewidmil
indem di** tStndierendm in den Kliniken und den verschiedenen Ab»"
theihmgen ites Kninktmhuuses nder hei der ambulatorischen Bebandlu
in den poliklinischen Instituten Dienste leisten, die Dilitzettel und
cepte niederschreiben y die Kranken-Juurnale führen^ ehiiairgische Vii
liÄndr anlegen» bei Operatiunen assistiren u. dgL m. Wenn hw
rhirurgischen Abtheilungen beschäftigt werden, heissen sie Dresiieii
wenn sie in AbtheihiiiLjen für innere Medicin verwendet werden, CIltI]
Wer an dem zur medicinischen Schule g-ehurigen Huspital keine ddi
artigi* »Stelle findet, erhält in den zahlreichen grosseren KrankenhäUhi
des I-andes Gelegenheit daziL Die Studierenden sind nur verpilichti
2^1^ Jahre an der medicinischen Schule zu bleiben; während
übrigen 8tudienz<*it dürfen sie in der erwähnten Weise an einem
spitnl arbeiten.
Zur Abnahme der ärztlichen l'rüfungen und Ertheilung der
laubniss zur l'raxis sind ntich der Medical Aot von 1858 im üao»
19 ror[H>riitionen und Behörden berechtigt. Es sind dies die Genus
schatten der Ärzte, Chirurgen und Api^theker in London, Kdinlu
Glasgow und Dublin und die medicinischen Facultäten dir Universitak
Die wis>iHnschafr liehen und linanziellen Bedingungen, welche da
gestellt werden, sind ebenso verschieden ab die Titel und Würden,
erworben werden. In welcher Weise dies zur Ausführung gebr
wird^ mehren folgende Beispieh^ erläutern- Die beiden vcHmelm
iirztlichen Vereme Lend^ns, das Ruval ödlep» of Physicians und
Kojal Odlege of Surgeons, haben sich zu gemeinsamen Prüfungen ver-
einigt, nach deren glücklicher Absoiviruug die Apprubations- Diplome
England. — Nord- Amerika.
425
1er Corporationeii verliehi^n werden. Um zu dieser PrüfuDg mgt-
Ben zu werden, moss der Candidat den Nachwels liefern, dass er
l'nterricht in der Botanik, Chemi*», Arzneimittellehre und Fharmacie
erhalten, im chemischen Laboratorium gearbeitet, zwölf Monate lang
»n itnatumlsehen Secirübun^^en Theil ^'enumraen, einen sechsuionatlichen
Ttirsus über normale jlniit/»mie des Menschen, einen ;>echjsmonatlichen
(hinius über Physiologie und Histologie und einen dreimonatlichen
prakti»»ehen Cursas ober die beiden letzteren Gegeustitnde besucht, ferner
«icchs Monat*» Vorlegungen über innere Medicin und über tlhirurgie>
dred Monate über Geburtshilfe und Gynäkologie gehurt^ mindestens
20 Geburten gesehen, sowie »^ine systematische Anleitung zur Ausübung
der praktischen Heilkunde empfangen, z, B, die verschiedenen diagno-
•:- ^iMu Methoden, tue Untersuchung der erkrankten Gewebe und aus-
n. "denen Frodtikte, den Gebrauch der dabei verwendeten Instru-
uiente u. ä. m. erlernt, ausserdem einen dreimonatlichen l'ursu^j über
pivV' 'che Anatomie erhalten, während der klinischen Thätigkeit den
klii . Sektionen beigewuhnl. drei Monate hindurch Vorträge über
pnchUiebe Medicin gehört, je neun Monate die medicimsche und die
di' 1i»* Klinik, drei Monate die gynäkologische Klinik und über-
hol ^ ^ Jahre da^ Krankenhaus bei^ui^ht hat, je sechs Munate als
Clerk und als Dresser thätig gewe^ien iat und die praktische Belahigung
Vornahme der Vaccination erworben hat,
Üie Prüfung selbst zertallt in mehrert:^ Abschnitte^ von denen
emige schon wahrnnd der 8tudit*nzeit erledigt werden. D^is erste Examen
tetriffl die Chemie, Physik, Arzneimittellehre. Pharmacie und medici-
ni^he Botanik einerseits und die elementare Anatomie und Physiologie
aodererseitÄ. Es kann zur Erleichterung der Prüflinge in zwei Theile
^v ' M werden^ w*dche in verschiedene Zeiten fallen; doch soU das
pL_. I amen, wenn muglich, innerhalb des ersten Studienjahres ab-
Kolnit werden. Sechs Monate nachher darf der Candidat das zweite
Eiftsiien ablegen, welches nur dif^ Anatomie und Physiologie umfasst,
diese beiden Wissenschaften alier weit eingehender behandelt als in der
i'iHten Prüfung. Beim dritten und letzten Examen bilden innere Me-
dicin, ITiempeutik, pathologische Anatumie und allgemeine Pathologie,
fctmer ('hirurgie, chirurgische Anatomie und Pathologie, GeburUshilfe
und Gvnäkolegie die Prüfungsgegenstande; aujsserdem sollen einige
Fr»geo aus der geriehtlichen 3Iedi(jLn und öffrntliehen GesundheitB-
pSege damit verbunden werden. Auch dieses Examen kann, wie das
ec%rti\ in mehrere Abtheilungen zerlegt und zu verschiedenen Zeiten
alMM.dvirt werden. Ks darf jedoch nicht früher begonnen werden, als
'"^^'^ Jahre nach dem zweiten Examen. Der Candidat mu^is mindestens
21 Jahr alt sein und eine unbescholtene Vergangenheit haben. Dtt
Prüfungen sind theils mündlich, theüs schriftlich, tbeils prikü^ch«^
Natur; zur letzteren Klasse gehören z, B* die l>emon8trationen anotu-
miseher Präparate, die Untersuchung einzelner Kranken, die Ausfiibnijig
dunirgi^cher Operationen an der Leiche u. a m.
Der Candidat, welcher diese drei Prüfungen besteht, erhält dii
Lioenz des TL College of Physicians und das Diplom eines Memlier
the R. College of Surgeons.* Diunit ausgerüstet erscheint er dm^
Publikum als ein in jeder Beziehung tüchtiger, in allen Theilen de
Heilkunst gleiehmässig unterrichteter Arzt, Tlbrigens wird auch jwial
dieser lieiden (jualitikationen von der betreffenden Corporation für sick
verliehen; es erleichtert sich dann die Prüfung insofern, als eatwed^]
auf die Anatomie und die chirurgische n Faclier iMler auf Chenue^
Physik, Physiologie und innere Me<licin weniger Gewicht gelegt wiri i
Nach derselben Methode verfuhren noch andere CurporatiooeiiiJ
welche entweder in Gemeingchaft mit anderen Kiaminations-Conuai^
sionen oder für sich allein ärztliL-he Diplome verleihen; dcjch begnögea
sich einzelne Prüfungsbehörden mit geringeren Leistungen. So winl I
z. B, vom Royal College of Physicians in Edinburg nur verlangt^,^
sich der Ciindidüt t> Monate an den anatomischen Secirübungen
ibeiligt, 3 Monate Physiologie gebort imd (i Monate die medicini^che ]
und n Monate die chirurgische Klinik besucht habe. Das Eumea '
besteht aus zwei Abtheilungen; m der ersten wird Anatomie, Pbyaio.
logie und Chemie, in der zweiten Arzneimittellehre und Pharmacie,
allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie, innere Medicin,
(Jhiruigie, Ueburtshiltl% gerichtliche Medicin ujid kliJÜBche Me
geprfift.
Die Apotheker- Gesellschaften ibrdern von ihren Prüflingen , du
sie sich neben dem Studium der Heilkunde noch besonders ejngehen
mit den NuturwissensehafteD , sowie mit Chemie und Pharmacie
schäftigt und in einer Apotheke oder einem pharniaceutischen LalK>ni-
ioritim gearbeitet haben« Üass die Genossenschaften der Apotheker m
London und Dublin zu den ärztlichen Prüfungsbehörden gehören,
klart sich daraus, dass diesellien in England den gleichen Stueiieoganj
durchmachen, wie die Arzte, und daher auch die Licenz zur Pr
besitzen. Es mag sich diese Einrichtung wohl aus der von jeher
stehenden Gewohnheit des Volkes, in der Apotheke die erste ärzthch^
Hilfe zu suchen, entwickelt haben.
* ExaniiniDg Board in England by thc R. College of Phy». of London and
R. C of Surg, of England, London 1884.
n II
Die Wahl der Examinationsbehörde steht dem t^ndidafen frei;
<ler«elb6 MTird sich wohl vorzugsweise für diejenige entscheiden, welche
er Heimath oder dem Ort, an dem er seine medicinischen Studien
äbnolTiri hat, am nachj^ten gelegen i^t, die bescheidensten Ansprüche
an sein Winsen und seinen Geldbeutel macht und beim Publikum in
gutem Ansehen steht. Der Engländer wird daher in den meisten Fällen
eogli&che Diplome, der Schotte schottische und der Irländer irische zu
erlangen trachten: je mehr er deren erwirbt, desto mehr wächst die
Achtung, die seinen Kenntnissen gezollt wird, und das Vertrauen,
irelche^ ihm die Kranken enteregen bringen.
Noch groitsere Bedeutung gewinnt er, wenn er in den Kreis der
Mitglieder einer der privilegirten ärztlichen Corporationen aufgenommen
wird und den Titel eines MemV»er oder Fellow derselben erhalt. Diese
Würden werden entwe<ier durch besondere Prüfungen erworben oder
Grund einer freien Wahl der Genossenschaften an geeignete Be-
Irerber verlieben. So mus8 sich z. B. Derjenige^ welcher das Prädicat
eines Member of the R. rollege of Physicians in London zu erlangen
wünscht, einem Examen unterziehen, welches zwar die gleichen Disci-
pKnen umfjivxt, wie die Prüfung pro licentia, aber tiefer in den Inhalt
derselben eindringt. Aus der Zahl der Members der Gesellschaft
werden die Fellows gewählte welche die Geschäfte derselben leiten and
sie nach aussen vertreten,
I^s B. College of Surgenns in London* verleiht die Fellowship
theiln an solche, welche sich durch eine Prüfung, in der die praktischen
Fächer, bei?onders die Chirurgie^ in den Vonlergrund treten, ein Recht
darauf erwerben, theils an diejenigen seiTier Memliers, weli^he durch
ihre Leistungen und ihren Charakter dieser Auszeichnung würdig er-
scheinen. Die meisten fibrigen ärztlichen Corporationen wählen ilire
Mitglieder^ ohne daran die Bedingung eines Eiamens zu knüpfen; doch
t>ewahren de sich auf diese Weise immerhin die Möglichkeat, nur
die tüchtigsten und ehrenwerthesten Vertreter ihre?» Standes an sich
m riehen.
Zar Verleihung akademischer Grade sind nur die Univemtaten
berechtigt. Die Bedingungen, unter welchen dies geschieht, sind an
^en einzelnen Orten veivchieden. Doch gilt im Allgemeinen der Grund-
ilasH die akademii^ben Prüfiing^behörden der wissenschaftUeben
Vorbildung des Candidaten eine grossere Beachtung schenken, als dint
\m den meisten ärztlichen (Korporationen der Fall ist.
Itimehe Universitäten, wie Oxford und Dublin^ verlangen sogar.
^.aiti'fKiHr ui ttie K. College of 8uf^f*oi]fi of England« LomJcm tvs^«
diM dlt Btwerber nm ntedioiiiisebe ÖTBde bereits in der philoeophiscli
fkuvnlttl eine akademieebe Würde erwork-n haben. Wer in Üifon
l)äch«ilor of mediclne (Baoealaureus riuHliciBae) werden will, mmti den
<iracj des Bachelor« of art« besitzen, welcher in England imgefihf
dieselbe liedfutun^ hat, wie in DeuUehland der Titel des DokU»n$ der
FhüuHophie. Um diese Wurde zu erlangen, ist ein dreijähriges philo-
?si»pbiHche-s Studium erforderlich. Daran sehlietiüt sich dann das medfcj
ciniüche Fachütudium, welches 4 Jahre dauert
Die Prüftin^, welche der Bewerber um den Gra<i eineg Bachekn
of niediciiie ablegen muss, testcht aus zwei Abtheilunpen. vun denö
die ernte über iiomiale Anatomie den Menschen, vergleichende Anatomn
I*hjf«ic*Iügie, Physik, Chemie und Botanik, die zweite über theoretisdiiJ
und [tniktisdie Meilieiti, die Krankheiten der Weiber und ICintlerJ
Arzneimittellehre, (jhirurpe, (iehurtshilte, n^erichthche Mediein imil
Hygiene handelt; dumit wird auch die Interpretation einiger Stiälleiij
aus tien Sehr! (teil der Medieiner des Alferthums, z. B. der Hippokr
doK tiAiiKN, Ah KT AK US oder C KUSUS oder eines dieser Autoren und<
ärztlichen Hehrifbtellers der Neuzeit verbunden.
Der Tfrad des Haeheh*r8 uf medieine hert»chtif^t zur Ausübung"
iirjttlichen PruxiH, Aueh kann nur Derjenige, welcher die4>en tira<l be-J
HiUt, zum Utiktor der Medicin promovirt werden; eä geBchieht (liei
iiber erst, nachdem er 3 Jahre die ärztliche Berufsthätigkeit attiigeuKi
und eine medicinische l>issertatiun vorgele^^t hat
Ähnlich ist der Prüfungsmodus an anderen üöchüchulen. Die
London rniverHity, deren Examinn wegen ihrer Gründhchkeit eioen
gruttsen Kut geniesscn^ macht den Besitz eines philosuphisehen Ciraiiftf
nioht xur Bedingung für die Erlangung medicinischer Würden, sondern
verliingt nur, das>i sieh der Kandidat eine gewisse 8umrae naturwisseo-
schaltlieher Kennlnisse erworben hat Sie ertheilt das Diplom des
liaoholors of miulioine. wenn der Bewerber folgende Prüfungen mit
Krfolg besteht: I) das Preüminary scientitic examen, in welchem aus
der Physik, anorganischen Chemie, Botanik und Zoologie geprüft winl;
2) die Intermeiliat^* examination, die ein Jahr nach der vorher erwähuten
Prüfung folgt und Anatomie, Physiologie nebst Histulogie, Arzneimittel-
Udm% i»harmaceutiscbe und organische Chemie umlasst; 3] das Schlu
Kiamen am Kude der Studienzeit, in welchem die allgemeine Patl
lufit und Thera|ue, Hygiene, Chirurgie, innere Medicin, GeburtHhill
tind gf»riehtliche .Mt*<iicin die Prüfungsfächer bilden.
Diesie Prüfun;ceu smd ebenso wie diejenigen anderer Examinatiofl
l»**horden Iheils mündlich oder schriftlich, theils mit praktischen Do-
mutistrationen, Uuteniudiuug^ am Krankeubett Vu dgL hl rerhanden;
England. — Nard-Ammika,
430
desifleichen wird, wie bei den privilegirton ärztlichen Corporationen,
von den Candidaten die Vorlage von Zeu^issen verlangt in denen der
Be.such der Vorlesungen und < 'urse über )[:ewisse Unterrichtstacher, der
Kliniken und des H<.spitals bestätigt wird.
Der Grad des Bachelors nf medicine ist die Voraussetzung für die
Einkerbung der übrigen medicinipchen Würden» Der Doktor-Titel wird
nach einer mehrjährigen ärztlichen Praxis und einem nochmaligen
Riamen aus den verschiedotion Disciplinen der Heilkunde verliehen.
Auch die chirurgischen Grade werden nur solchen .Irzten gegeben,
welche l>ereit8 Bachelors der Medicin sind. Der Grad des Bachelors
der Chinirgie wird durch eine Prüfung erworben^ die sich hauptsächlich
öl^er chirurgische Anatomie und Pathologie. Instrumentenlehre und
Openitionstechnik erstreckt. Zum Master in Surgery wird derjenige
Bachelor der Medicin und Chirurgie promovirt, welcher 2 — 5 Jahn*
kindurch in den chirurgischen Kranken-Abtheilungen beschäftigt war
"Oder selKstständig chirurgische Praxis ausübte und dann abermals eine
Prüfung auf diesen Gebieten ablegt. Desgleichen steilen die meisten
anderen akademischen Examinationsbehorden bei der Ertheitung chirnr-
scher Grade die Bedingung, dass der Candidat bereits die Berechti-
3ng zur ärztlichen Praxis überhaupt besitzt.
Nicht an jeder Universität können sämmtliche medicinische Grade
erworl>en werden, Oxford und Cambridge creiren z, B» nur Bachelors
und Doktoren der Medicin, während die Universität Dublin alle mög-
hchen Titel und Würden zur Auswahl anbietet. An den Hochschulen
zu Dnrham und St, Andrews besteht die Einrichtung, dass Ärzte, welche
15 Jahre in der Praxis ^thätig sind und das 40. Lebensjahr überschritten
haben, nach Ablegung eines verhältnissmäsisig sehr leichten Examens
jen Zahlung von 50 Guineen zu Doktoren der Medicin promovirt
irerden.
Für die Bedeutung und Thätigkeit der verschiedenen Examinations-
l>ehorden und den Studiengang <ler .f];:rossen Mehrzahl der englischen
Ärzte bietet die Statistik der PrüfungvErgebnisse einige Anhaltspunkte.
I^macfa erhielten in den Jahren 1876 — 1880 an der Universität Ox-
brd 0, 10, 5* 6, 7 den Grad eines Bachelors der Medicin, und 1, 1,
■J|>, 2^ 2 denjenigen eines Doktors der Medicin, in Cambridge 13, 7, Ö.
13, lö den eines Bachelors und 5, 2, 6, 9. 7 eines Doktors der Me-
dicin, in Durham 2, 7, 0, 19, 13 den eines Bachelors und 2, 3, 1,
U, 10 den eines Doktors der Medicin und U, 0, 2, 7, 4 den eines
stBTB in Sufgerjt an der University of London 23, 22, 25, 34, 39
ine^ ßachelf»r8, 11, 8, 6, 12, 18 den eines Doktcjrs der Medicin,
*' ^ den eine«* Bachelors der Chirurgie, utid KL U, 0, 1 den
430
Der medwimmfhe ünierrichi in der fmuegtmi ZUt,
eines Masters in Surgrerv, während das R, CoHi^ge of Phjrsielii» in
Umdcm 9ü> 97, 68, 108, 79 ( ■antii<iatei) die Licenz zur Aasubting dir
Praxis erfcheilte, 25, 23, 20, 14, 18 tu Members und 12, 9, 13, 12,12
zu Fellows wählte , düs \t College of Surgeons <jf Kuglarid 40^' '^''''
361, 420, 404 zu Mjtgliedeni und 29, 3«, 21, 18, 30 zu 1
machte, und 20, 27, 27, 17, 19 die zahnärztliche Praxis ge^^tMer und
die Society üf uiiotbecaries of London 257, 206, 223, 216, 228 \\k
Licenz verlieh. Ao der üniversitiit Kdinbur^ wurden in dicker Zeit^
86, 108, 115, 98, 134 zu Eachilor8, 20, 34, 80, 33, 29 zu Doktoi
der Mediein und 80, 100, 106, 98. 129 zu Masters in Surgcry, an
Hi>clLscliule zu Gias^*iw 58, 62, 59, 57, 74 KU aK'hdon*, 23, 20, l]
12, 16 2U Doktoren der Hodicin und 54, 56, 57, 54, 66 eu MastÄR
der Chinirfrie, in Ahertloen 41, 34, 57, 51. 48 zu Bachelor«, 32, 46,
ao, 25, 35 zu Doktoren der Medicin und 41, 34, 55, 48, 48 zu Masitm
der ('hirurgie, in St, Andrew» 1, 2, 1, 0^ 3 xu Bachelors der Medi(
und Masters der Chirurgie uml 10, 10, 10, 10, 11 zu Dl'
Medicin promovirt. Das R.College of Physicians in Edinhui
die Lioenz an 114, 99, 114, 145, 137 und in QenieiiiMchafl imt
dortigen chirurgis(dien Ge.seILschaft an 85. 116, 160, 156, 162 und
der ärztlichen G»»nossenschaft zu Glasgow an 22, 13, 21, 27, 30 U)
machte 23, 18, 23, 19, 20 zu Members und 9, 11, 8, 6, 9 zu Fclluwa,
d*is R, C<dh*g»^ uf Surgenns in £dinbarg wählt** 27, 31, 30, 41, 44 iw
Fellows, un<l die Faculty uf Physicians and Surgeun» in Gtaügow ver-
lieh die Licwnz an 63, 34, 55, 71, 73 und die Felluwöhip an 15, 23,
10, 3, 5. Die Universilat Dublin gab di*- Licenz in der Medicin an
3, 2, 0, 2, 4, in der Chirurgie an 1, 2, 0, 0, 3, schuf 36, 44, '2%n,
40 Bachelors und 20, 17, 14, 15, 10 Doktoren der Mediciij, 20, 18,
23, 23, 28 Bachelors und 8, 5, 3, 3, 1 Masters der Chirurgie. Die
Queens (j«*tzt Uuyal) Lniversity in Ireland hatte 53, 44, 47, 55, U
Doktoren der Medicin und 47, 35, 35, 34^ 44 Mastt^rs der Chirurgie;
da? Kings and Queens Collen of Physicians in Ireland ertheilte du
liC'Cnz in der Geburtshilfe an 99, 89, 70, 76, 78 und in der gesamiuieii
Heilkunde an 108, 86, 78, 88, 105 und wählte zu Fellaw» 5, % 0, 8,
4; Am R, ('oUege of Surgeons in Ireland gab die Licenz in der Ge-
burtshilfe an 11. 8, 10, 9, IQ und in der Medicin überhaupt uü 97^
•J9, 106, 122, 103 und machte zu Fellows 13, 5, 6, 15, 14; die Aih>
theearies Hall in Ireland iicentiirte 22, 24, 23, 34, 42, km dieser Zu-
sammenstellung ergiebt sich, dass das numehsc fae Verhaltniüs der inte,
welche an den Universitäten die Prüfungen ablegen, zu jenen^ die von
den arztlichen Corporationen di«* Licenz erwerben, in England ungefibr
1:8, in Schottland 4:3 und in Irland 1:2 beträgt
c
Ki
Zxnr B^xeicbnuTig der verschiedenen ärztlichen Grade nnd Berech-
tigungeu wt^rden abgekürzte Formen gebraucht, wie dies bei Titeln in
England allgemein nhlich ist. So bedeutet F R C P Fellow of ihe
Royal College of Physicians, M R C S Member of the Royal College
of Snrgeons, L S A Lieens<^d by the Society of ApothecOTes, M B
Bachelor der Medicin, M C Master der Chirurgie, M D Doktor der
Medicin; dazu wird dann gewöhnlich der Name der Universität gesetzt»
>ofi web'her dieser Grad erworben wurde.
Das englische Publikum kennt den Werth und die Bedeutung der
TBinobiedenen Arten von ärztlichen Diplomen, welche im Laude vor-
fclktllSien, und wird durch ilie Unten^chiede in der Höbe der iirztlichen
Honnmre, die das Herkommen bestimmt, daran erinnert.
Wenn England in Bezu^ auf das medirini.sche UnterrirbtsweÄen
den Fortschritten y welche dasi^elbe in anderen .Staaten gemacht hat,
nicht immer gefolgt, ist, so hat es daft'ir ins grosse Verdienst, die erste
eck* ^(Ptide 8anitäts -Verwaltung geschaffen zu haben. Durch
l'u 1 talth Act von lrS75 wurde das ganze Land in Sanitäts-
durtrikie eingetheilt, denen Lokalbehörden vorstehen. Sie haben dafür
m sorgen, dass die Wasserleitungen, C'analisation, sanit^ire Baupolizei,
die öffentlichen und privaten Aborte, die Reinlichkeit der Strassen, das
Trinkwasser und die Lebensmittel, die Kellerwohnimgen, Gasthofe,
Kmuli »\ Priedhöfc. Fabrik- Anlagen u. a. m. den »irundsätzen
der <fii.. /. -iun Gesundheitspflege Mnts|irechen und wählen Sanitäts-
hemtite, welche die Aufflicht darüber führen und die notliwendigen
Vorkehmn i^^en veran lassen.
Wer stell um eine derartige Stelle bewirbt ^ nmss zur Ausübung
iler ärztlichen Praxis berechtigt sein und sich einer Prüfung unter-
en liaben, welche über Klinmtologie, ( 'hemie, Geologie, Physik, Ge-
ichte und Geographie der Krankheiten, Medicinal-St-atistik, Hygiene
und Sanitätsgesetzgebung bandtdt. Di»'se Organisation stützt sich auf
das Princip des SeUgovernnient , welches in einem Lande, dessen Be-
völkerung seit Jahrhnnderti'n an die Selbstverwaltimg gewöhnt ist,
eiDen gössen National-Keiclithum besitzt, und für die Vortheile einer
rationellen Gesundheitsjdlege Verständnis« bat, auf diesem Gebiet sicher-
lirb hervorragende Erfolge erzielen wird.
Das medicinische UnterricbtsweseTi Englands wurde nicht blos In
den Qbergeeischen I^andern, widcbe seinem Scepter unterworfen sind,
iondera überall, wo die englische Sprache und Cultur herrscht, nach-
geahmt Auch in den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika ist der
mttlicinißche Unterricht Vijllstiindi^ Privatsache, Mehrere Ärzte m
e^inem Ort vereinigen sich zu dem Zweck^ ürztlichen Unterricht zu er-
theilen. unrt stellen ihren Sehfilern Zeu£?nisse iil>er ihre Kenntnisse aui,
Nach der Qualitication der Lehrer und den Erfolgen ihre^ Ünterriclii
fragt Niemand. Der Werth dieser Lehransliilten i^t daher mig<
verschieden.
Nach einer Zusammenstellung v, J. 1882 gab e** in den Vereijii^
Staaten 114 medieinische Schulen mit 13 321 Studierenden.
Einzelne inedieinische Schulen^ wie das Newjork ('oUege of Hjy*
sieians and Surgeons, welches 1791 gegründet wurde, das UniTeoij
Medical-College, das seit 1841 besteht, und das ßellevue Hat^pitalO
lege in Newyork, sowie das Massuchusetts Med, (*ollege in Bo«U>n out'
Kush Medical College in Chicago geniessen mit Recht einen guten Hui
Neben ihnen leiebt es aber auch Erscheinungen, welche in wiasaiiBchift-
lieber und moralischer Hirwicht eine tiefe Stufe einnehmen.
Bekannt ist der »kandaluse Handelt den manche FacultaUm
ärztlichen Diplomen treiben. Eine Zeitung in Phil i' * ' \, wo tniai
die Missbräuehe an der Quelle studieren konnte, lu i i irukr vor
einigen Jahren unglaubliche Mittheilungen, * Es ißt daher kein Wooddr,
wenn das amerikanische Doktor-Diplom in Europa mit Misslnofln be-
trachtet unti zuweilen mit jenen liebenswürdigen^ wenn auch bedtiHtmig»'
losen Aiii»2eichnangen gleichgestelU wird, die man beim CotiUon erliiii.
Die Bildung der amerikauBchen Arzte steht im Allgemeine»
unter derjenig^^n ihrer eoropäischen BerufegeDus&^n* Der Präiiidait
Eliot erklärte in einem Bericht y. J. 1871/72; „Ea ist eatsetslieh, wei
man 'die Unwissenheit und Unfähigkeit der meisten amf'rikanjscbi
Arzte betrachtet, welche von amenkanisehen Schulen graduirt sind;
▼ergißen, machen znm Krüppel, tödten auf jede Weiiie und sind nicht
im Staude^ die Gesnndheit nnd das Leben zu erhalten/*^
Die tüchtigen Ärzte^ welche man in Amerika lindetr HtammeD zum
Theil aos Europa oder haben wenigsleiis dort ihre Studien gemacht.
Dodli werden einzdne Fächer der praktischen }^ ' . wie die Gv-
nakolo^ und die ZahnbeiUniDdey an den medicu.. . » :. Schulen Xord-
Amerikas mit grosBem Erfolg betnehaL Aoch madti sieh jeUt obemil
das erfreuliche Bestieben geltend, die Torhandeoen (Tbektände 2U be-
seitigen und eine Besserong des mediciniscben Unterrichtewesens t^Mh
enropaiBehem Jf asler herbeiziil&limL
i
m d» liitlMlelphia B«cMl yooi SSu Pafanw ISSa
' Beme istetMl. de rotfeigncmeiit, Paria ISiS, [T, pu W>.
ibr mrw^niy Uwe DoWm
JF^atUiTewk,
433
Prankreich.
Währemi man in Englaiul und Amerika den Grundsatz befolgt,
daas mch der Staat nicht um Dinge kümmern soll, welche auch ohne
in gtjmacht werdiin können, huldigt man in Frankreich dem entgegen-
etzten Prinv^ip,
Hier fühlten sich die regierenden Gewalten stetes henifeii, Alle»,
[geschieht^ streng zu überwachen. Auch das medicinisehe Unter-
tswesen und die ärztliche Praxis wurde von den Behörden durch
minutiMge Verordnungen geregelt und geleitet,. Nur in den Tagen der
Miasen Revolution wich niwn von diesem firundsatz ab und netzte an
'die StttUe äner bisweilen in kleinhche Pedanterie ausartenden Bevur-
muudutig eine schrankenh^ae Freiheit, die zur Anarchie führt-e.
Die Ärzte nahnv^n an den mächtigen pohtischen Bewegungen
j^ner Zeit lebhaften Antheil. * Der constituirenden National -Versamm-
lung gehörten 17 Ärzte an, unter ihnen Güilm^tin, der Erfinder der
nach ihm genannten Guillotine, übrigens ein Politiker von sehr ge-
mäfijiigten Ansichten, fenier J, G. Gallot, P, Blin, SaLjUSS, Bkauvaih
DE PicRAüx U.A. Im gesetzgebenden Körper von 1791 befanden sich
22 Ärzte, darunter der berühmte Chirurg Xenon; im Convent von 1792
gassen 39 Ärzte, von denen Bakaillc^n, Panvilllehs, R, Escha8s£bl^ux^
AuTp FoDRCROY, M» A. Baudüt, iler Geburtjshelfer Levasseüb, E. La-
coste und ÄIarat am meisten l>ekannt wurden.
Alss die Männer des Schreckens ihre unheimliche Thatigkeit be-
gannen und grauenhafte Orgien der Mordlust feierten, da hatte auch
der ärztliche Stand zahlreiche Opfer zu beklapjen; 104 seiner Mitglieder
wurden hingerichtt^t und 328 Arzte und 540 Ctiirurgen aus Frankreich
^Verbannt, Piebre Desaült wurde, während er die Klinik im Hotel
Dien abhielt, aus der Mitte seiner Schüler herausgeholt und ins Ge-
r- --' geworfen. Doch gelang es den Bemühungen seines Freundes
i oY, welche in der Presse eine wirksame Unterstützung fanden,
ÜE8AULT bald wieiler in Freiheit zu setzen. Nicht m glücklich war
ui^f grosse Chemiker Lavoisieh, Er starb auf dem »Scliaffot, ohwohl
IBaj^lE mit ergreifenden Worten an seine unvergänglichen Verdienste
um die Wissensi3haft erinnert, hatte. Nouji n'avons pws besoin des aa-
in, antwortete der Gerich t.spräsident und liess das Todesurtheil voll-
Iftieben, welches Frankreich einen seiner grössten Bürger raubte.
Man wollte keine Gelehrten und brauchte die Wissenschaft nichts
» C. SAiTüKÄorrre: Les m^decine ptindaut la revolution, Pari« 1887.
434 Der medicinische Unterricht in der neuesten Zeit.
Der politische Fanatismus erstickte die edleren Regungen der Mensch-
lichkeit und tödtet^ mit seiner sengenden Gluth alle höheren geistigen
Bestrebungen.
Das medicinische Unterrichtswesen war der Reformen dringend
bedürftig.^ Von den 18 medicinischen Schulen, welche Frankreich
beim Ausbrach der Revolution besass, war kaum die Hälfte ausserhalb
der Stadt bekannt, wo sie ihren Sitz hatte, und nur diejenigen zu Paris
imd Montpellier genossen einen bedeutenden Ruf. Die Einrichtungen
der medicinischen Facultäten Frankreichs standen hinter denjenigen
anderer liänder zurück, und die französischen Hospitäler waren wegen
ihrer schlechten hygienischen Zustande geradezu berüchtigt.
Das Parlament beschäftigte sich mit diesen Fragen. Ein Gesetz-
entwurf, welcher demselben i. J. 1790 vorgelegt wurde, enthielt manche
beachtenswerthe Vorschläge zur Reorganisation des medicinischen Unter-
richts; so wurde der ausschliessliche Gebrauch der französischen Sprache
beim Unterricht und bei den Prüfungen, die Freiheit der Lehre, die
Unentgeltlichkeit der Vorlesungen, die Beseitigung der Fixirung einer
bestimmten Studienzeit, die Besetzung der Professuren durch Concurs
u. a. m. verlangt.. Anstatt der 18 medicinischen Schulen sollten nur
4 medicinische Facultäten in Paris, Montpellier, Bordeaux und Strass-
burg bestehen, jede derselben jedoch mit wenigstens 12 Lehrkanzeln
ausgestattet und daneben in jedem Departement eine niedere ärztliche
Schule errichtet werden, die mit einem Hospital verbunden sein musste.*
Leider kamen diese Anträge nicht zur Berathung.
Als der Radikalismus zur Herrschaft gelangte, begnügte man sieh
nicht mehr mit der Verbesserung der bestehenden Einrichtungen, son-
dern forderte ihre gänzliche Beseitigung. An die Stelle der Reform-
bewegung war die Revolution getreten, qui vint tout rent^erser depuis le
tröne du rot de France jusqtiW Vhinribk ehaire du professeur et la han-
qtiette de Vetudianty wie Sabatier (a. a. 0.) schreibt Durch das Gesetz
vom 18. August 1792 wurden alle Universitäten, Facultäten und me-
dicinischen Schulen aufgehoben; ein Ersatz dafür wurde zunächst gar
nicht geschaffen.
Wie in der Theologie, Moral und anderen Dingen wollte man auch
in der Heilkunde zum Naturzustande der Menschheit zurückkehren.
Man hoffte dadurch Verhältnisse herbeizuführen, wie zu den Zeiten der
* L. Li ARD in der Rt'^vue Internat, de Tenseignenieut, Paris 1887, T. XIV,
p. 409 u. ff.
• Dreifüs-Brisai' in der R6vue internationale de renseignement, Paris 1881,
II, 555 u. ff.
jiilten griechischen Philosophen; aber toäd öffnete nnr dem Aberglauben
m(\ dt*f schamlosen ('harlatanerio die Thore,
Die Fehler und Mangel der wissenschaftlichen Medicin wurden in
on^inni^er Weise übertrieben und zu schweren Anklagten gegen ihre
r^rtreter benutzt Im CimTent verstieg sich ein Redner zu der Äusse-
ang, dass man mit den Ärzten ebenso verfahren müsse, wie mit den
^Geistlichen; denn sie seien sämmtlirh nur tTauklen^
Die Kriege, welche die Republik führte , lehrten aber Imld, wie
iwendig und nützlich die Ärzte sind. Als dem Convent mitgetheilt
rde, das« die Armee binnen 18 Monaten ungefähr 600 Ärzte ver-
loren hübe, und dass die Truppen in den östlichen Pyrenäen der ärzt-
ßhen Hilfe fast gänzlich entbehrten, besc bloss man die Wiedereröffnung
Itiniger mediciniseher Schalen* Durch das Gesetz vom 14. Frimaire
pd. J, 111 (4. December 1794) wurden in Paris, Montpellier und Strass-
burg drei medicinische UuteiTichtÄanstalten errichtet, die man Kcoles
»de santt^ nannte. 8ie waren zunächst nnr bestimmt, fi ftmner les offi-
fm/^nt ik sanft pour k servil d4\s hnptlaux ei »ptf^taletuent des hdpitaux
tnüitaire^ ei de manne. Jeder Distrikt des Landes schickte einen Zög-
ling in diese militiirärztlichen Schulen, der dort> auf Kosten des Skates
Jahre hindurch Medicin studierte. Paris erhirlt 3(M>, Montpelber
150 und StTcfcssburg 100 Schüler.
Das Bedfirfuiss nach unterricht^'teu Heilkünstlern führt^^ aber bald
dahin, dass hier auch Studierende aus dem ('ivilstande, welche nicht
vom Staat unterstützt wurden, zum üntemcht zugelassen wurden. Im
J. 1796 nnirde die medicinische Schule zu Paris neu organisirt und
mit folgenden 12 Lehrkanzeln ausgestattet: 1) für Anatomie und rhv-
siologie, 2) medicinische Chemie und Pharmacie, 3) medicinische Physik
[und Hygiene, 4) chirurgische Pathtdogie, 5) Pathologie der inneren
Krankheiten, 6) medicinische Natm-geschichte, 7) chirurgische Operations-
kunfit, 8) chirurgische Klinik, 9) Klinik der inneren Krankheiten,
^10) Clinique de perfectionnement^ 1 1) GeburtshiHK 12) (beschichte der
'Medicin and gerichtlich«» lledicin. Ausserdem hielt der Direktor der
Anstalt Vorlesungen „über die Uippokmtische Behandlungsmethode der
^ftkuten Krankheiten** und „über seltene Krankbeitstalks aus der Ge-
chichtc und der Praxis zusammengestellt*', wahrend der Bibliothekar
fmien bibliographischen Cnrsus gab und eine kritische Übersicht der
medicinischen Literatur lieferte.^
' F. Fäawk a, o. 0. VI l. Abüu, S. 22 L
* Ä* DE BsAüCHAMP; K^ctieil de« lois et reglementd sur renseignemeDt sa-
r, Pwia 1880—85.
28*
Ow Uatcnidit
2% TcBlte d. J. X
Die
■■ dtr ^itw des V
7. OtfBiiMl 4. J. XI mü
qm Im
mA SAJATiiaiy CuopAJrr. Pnfv,
md P. A. 0. Mahoh^ welcher die
Uädile. Im J. 1799 wurd^
bcnttigt^ \ an denen die m
dit andere fQr Philosophie mMirale
%"«EBeUft^ ojehi TerwirlcHcht
pratique verhunclen, ui
•ZaiS^Meningen <^rhieltei
die imkliißhe Aushüdnti^ am
&. fiL fbr die geacbleehtUcheti
Awiatepa gegrötidet
dem Gesetz vom
man den Besiacli
gof die Ktudierciiden de;
m Pariji hob 8ich unter
HhMe L J. 17M beeeäU 1500 Z^gUnge.
den wichti^teu
t wp» M.» — i.fyp^ «i«»ietwefi obligii
«fkhi M da Sehatai n Fens, MoDtpeUier lud
hatten, gab es eiae
dittfie die aolliebe Pmii
oder eines Diplonk.
hal FüURCBor, d^r
in eeinem Behebt
Wmtn gegeisMlt. Ja w
~ aiämi
^ h tkariaimmmm k pku
9i Almhmmm firi.
Lm mmfogmm et iea
ks poigmm €i ta morl
pk§9 riprimm', hu
Im ftm pwemfitoii «üI pris la jfdam dss pHmmpm dt Fmi d$t
Dm fwbotOemrm ar diis «s^pet mpttdenis abumHt du ätrr
dt «mli pmtr marir kmr igtwrmmm d Imm- wmüMt"^
Dai Gesell rem 19. VenHae d. J. XI (10. lUn 1808) beseitigt»
Cbatelftiidey iadem es die firlaobniBis zur inilichen Pmxtä voo
erfblgiaMieii AUagtmg der Fröfnngen, wdehe zu diesem Zweck
«c ratiiir«mli^
la InwCTi*'
* Rni Eouiri»: Ijm wMmim et k lol da V» rentö« ui XI, Puv JS^S
F¥imhrekh.
437
einpeiTihrt wurden, abhän)^^ machte. Die letzteren umfessten die
Atialumie and Physiologie, Pathulogie und Noscdügie, Materia medica^
Pharmade und Chemie, Hyg^iene und gerichtliche Medizin, Geburtshilfe,
CTiinirgie und innere Medicin. In der Anatomie wurde die Anfertigung
eines Präparat verlangt; die Prüfung in der praktisrh*^ii Heilkunde
geschah am Krankenbett
Gleichzeitig wurd»*n zw<i Klassen von Ärzten ^^t'si iiadeii, n:iiiilich
Düktorc*n der Medicin und Chirurgie imd Ofliciers de sant**. Wi^r <las
Uoktor-Diplom anstrebte, musste das Lycfe absolrirt haben, bevor er
sich dem Studium der Medicin widmete, und auf das letztere 4 Jahre
verwenden.
Die Ofliders de sant»» bildeten eine Kategorie von niederen Ärzten;
KiP waren nicht verpflichtet, einen Nachweis über ihre Allgemeinbildung
zu bringen, und erhielten die Eriaubniss zur ärztlichen Praxis schon
nach einem dreijährigen Studium an der medieinischen Schule. Doch
wurde ihnen daj? let-zter^ aurb gänzlich erlassen, und es genügte, wenn
liie 5 Jahre in einem Hospital bes<'h!iftigt gewesen waren, oder 6 Jahre
bei einem Doktor gedient hatteu. Das Examen, welches sie ablegten,
betraf die Anatomie und die Elemente der Medicin, Arzneiniiitellehre
imd Chirorgie und fand aussehljesslich in französischer Sprache statte
Die Doktoren durften sich überall niederlassen; die Officiers de
santi» nur auf dem Lande imd in dem Departement, für welches sie
die Licenz erhalten hatten, und wurden genöthigfe, in schwierigen Krank-
heitsfiUlen und bei grösseren Operationen einen D*>ktnr zu Kath zu
ziehen. Das Parbuuents- Mitglied Cauret vertheidigte die Einführung
dieser Landärzte mit den Worten: ,J^es hdiitants tk^ rampaff ne^i at/ant
d(» fnoeurs plus pures qne ceux des mües, ani des maladie» plus simplrs
qm ejigefit par ce motif moins d^insh-uction et moin-s d'apj)n'ts'\
Die Ofüciers ile sante wurden hauptsächlich an den Hospitalschulen
grebildet, welche in verschiedenen Städten Frankreichs entstanden und
notier dem Namen Ecoles secondaires eine teste Organisation erhielten*
Auch die niedere Kategorie der Apotheker empÜTig hier den nothwen-
digen Unl^^rricht, während für ilie Ausbildung der Pharmaceuteo erster
Klaiise drei besondere Lehranstalten in Paris, Montpellier und Stras^-
burg errichtet wurden, die sich in mancher Hinsicht an die dortigen
medicinischen Schulen aiischluss^'U.
Die letzteren wurden i* J, 180b wieder zu medicinischen Facul-
taten erhoben und der Universite ile France einverleibt. Diese Schöpfung
Napoleons war keine Universitüt in «nsenTO Sinnf% sondern der In-
begriff aller Unterrichfcs-Anstalten und Un terrichts-Behörden des Landen.
Sie bedeutete ungetahr Das, was man jetzt als Unterrichts-Verwaltung
«
h(!2üiobn§t An der Spibse der TJniTerRii;^ de F^mnce itimd m Qmir]
nieister, dessen Würde* später in diejenige des rnterricht*^-Minttlm
ütiertrintr «»der verwandelt irurde. Ibm wurde ein Studiennith ab h^
rutliendr Behörde an die Seite gestellt, wahrend eine E^(i»t«*re Antahl
von (Jeneral-In^pektoren die einzelnen Lehninstulten überwacht*» und
conirallirte.
Djis ganze Land wurde in 26 rniversitäts-Bezirke eingetheilt; ^
derselben bildete den Sitz einer Akademie (höheren l'nt4^rrirhi
mit einem Reotor, 8tudienrath und Inspektoren, Diese strenge ffleicl*
mamige üiiedeninp? dos Unterrit^htswesens hatte den >m>s8en Vi>rtheii
dass 8ie innf Aus^'h^iehnng iler VerschieihMiheiten in dem Bildunq^iveau
der einzelnen Theile Frankreichs anstrebte und die Orundjiatze der
Ordnung? und Oeroehtip^keit überall zur Heltnn^ brachte, fsie erhielt'
sieh auch UMch dem Sturz <bs Kaiserthunis und erfuhr im VerlÄrf'
der Zeit nur die durch die Bedürfnisse der Cultur und dm Staates e*v
botenen Verbesserungen.
Jede Facultät verlieh fortan drei akademische Würden, näißbclij
du« Bacealaun*at, die Licenz und da« Doktorat Nur die beiden le
Urade paben, wenn sie in d^^r Me^liein en^' i N^n, dm Kwh
zur Ausübung di^r ärztlichen Praxis. Die H , f» durften mt
den Titul eiiieis Offioier de santt« irerieihen.
Die Lehrkanzeln wunlrn durch Ton h wurde i. J-
1810 angwrdnet, dass bei Bewerbern i literari^h«?!i
und wisi^nschafklichea Verdieiuilen daron tVgcisdien werdev sie der vor*
gei^hrifbenen I^ftmg iq noternehen oder mr Vorlage einer Thm^
lU remnlassen.
I>ie feindlMi« Haltuni?. veldie die medidn»olM Faraltal in Paris
ifiler geg« Imimig XYItL beotaeklele^ und die limiaidaii Seinen,
m imm m in FUge imem km, fUntai dara^ daaa sie L J. 1822
eil wurzle. Bei ikivr WiedererfiAMmg, die im folgenden Ja
echWI m eine nene Omiiliini Dir Lehiii^
SS <fffcwCBchw PtafisBHVB ■■4 W A^iügifs, von «Mira 24
«ise u« 12 « sa^v «am. !■ J. 1834 wwie das UntmicbU
midi
4(T
50
1SS3(
^^=1
I*y<mkreich.
439
StPciÄibnrg mit dem Elsass an Deutschland abgetreten worden war, in
Lüle, Bordeaux und Lyon (seit 1877), wo früher niedere ärztliche
Schulen »inatirten. Nobr^n ihnen gieU ej^s 18 Ecoles pivpanitoires der
Medicin, wie die früheren Ecoles secondaires jt^tzt heissen, Sie befinden
«ich in Marseille, Nantes, Touloucie, .Vniiens, Angers, Arras, Besannen,
Cato. Clemiont, Dijon. Greüoble^ Limo^es, Poitiers, Beims, Rennen,
fionen, Tours und Alger und sind theils de plein exercise, d, h. m
hieten (lelegenheit zur vüHstiindigea x-Vbsohirung des medicinischen
Studiums, theils nur «eigentliche VorbereiUmgs>!;chuIen. Sie unt*Tscheidi;n
mh durch ihre AuMattung mit Lehrmitteln und Lehrkanzeln. Die
Ee43les de plein exerci^e haben wenigstens 17, die übrigen 12 ordent-
ii' ti l*r it -iiren. Zwischen den ersteren und den medidnisehcn Fn-
lilLiti/fii lititii'ht der einzig«* ruterschie»!. ila.sj^ jene nicht Aius Herht
Iniben, da* Doktorat der Heilkunde zu verleihen. Ausserdem sind die
aeultäten StaatsinstiiUen, wahrend die übrigen medicinischen Schulen
munieipaien Charakter trugen. —
Die Studierentlen der Heilkunde, welche promoviren wollen, be-
leben die Faeultäten oder die Ecoles de plein exercise, dürfen aber
ch einen 7'heil ihrer Studienzeit an den Eeoles pr<*paratoires zubringen;
shenso werd^^n auch die Candidaten für das UOicint thi sunte sowohl
au den Facultüten als an den übrigen medicinisehen Unterrichtsanstalten
zugelassen. Das medicinische Doktor- Dipb>m kann nur an den Fa-
cultttten. da,s Ofliciat de sante dagegen an jed'T medizinischen Schule
erworben werden.
Die Ecoles pn'paratoires werden verhältnissmas^sig weiu^ tMisucht.
VoD den 21 Anstalten dieser Art, welche i. .1. 1845 bestanden, hatten
diiotaU IH weniger als 40 Schüler, 6 nieht einmal 25 und die Schule
'* !is si^gar nur 15 Studierende. Dasselbe S*:hicköal haben die
-eben Facultitten in den Provinzen; denn Puri^ centralisiirt
nalit^u da^ gerammte höhere Unterricht^wesen, Im J, 1877 gab es
in F ' li 4447 Studenten der Medidn, von denen sich 3835 in
Pan- ! I "n, wiihrend die übrigen nietüeinischen FaeulUlten zusammen
nicht mehr als 612 Studierende ziihlten. Durch die Erhebung mehrerer
-'Schulen zu medicinisehen Faciil täten, welche in den letzten
1 _ -jte, wurde dtii^ Verhültnii*» einigerma.^.<en verändert. Im
J, 1881/82 hatte Paris 2413, Bordeaux 155, Lyon Di5, Montpellier 154,
" ' y s:\ und Lille 54 Studterenile der Medicin. Ausserdem besuchten
. j' t'andidaten für das Ofliciat de isank- die Vorlesungen der ver-
Mshiedenen medieini^chen FacuUäten. An den übrigen 18 medicinjschen
' :<talten hatte man im Ganzen 632 Schük^r, von <lenen sieh
Doktorat und 326 für da^ Ofticiat de sant«' vurlHTriifffn
Die Gesammtzahl Af^r Studierenden der Heilkunde beider KategroriÄ
betrug also damals 4412, vun deni*u 'SSW \h\s noktordijd*>m prrini?«B,
1082 Officiers de sante werden wollten*
8chon 1826 mird»:* im Parlam<'nt die Aulhebunjjj der meden^n
Klasise von Ärzten l*eantragt; aber ohne Erfolg. Im J. 1h47 p».ttitio-
nirt^n die Doktoren der Heilkunde uJjermals um Baseitigung der Ofticiers
de Hunti?, während di*^ letzteren eine ErweiteninK ihri:*r Rechte Vf^r-
langt^m. Wiederum wurde im .1. 1864 ein Versuch grmacht^ da» In*
stitiit der Officiers de saute ahznschatl'en; doch fand es einen Vertheiiliji?iT
an BoN.fEAN, welcher erkhlrte: ,.J des malades simples et pümTtu ü
faul un mrdimn ^muvrc et simpk omnmc eujr r/wj pnisse conqfra^drt k
imigff^ü, (e ysoin de sts m^Miesfcs eiirjtis, qui nt- datts une cipndiiinn ptu
rlevce^ hMttU' d^s son enfamr n la tm sof/re des rJuiufni^res, nt/mU tmiquü
sott fffode fi peu d€ frads, puiftse sf conUtUer d*une injodiffue retrUmlm,
L'offmer de santf' est dans Ir^ tneüleuttes eotiäitions ponr remplir cttk
mission de modeate dtlvouemeni : U sf fera d'attimU plus aist^ment k ivn'
fidmit, k o(/fiseüier, k ronsaiateur du jmnrre qtiü mi est presque U com-
fpagnon/* Übrigens vermindert sich <iie Zahl der Officiers de sanU» in
Frankr^nrh von Jahr zu Jahr. Im J. 1847 gab bh deren 7456, im
J, 1872 nur iwvh 46I>::J, während die Menpe der lJokt<>n*n in der
l^leiehen Zeit von l(>64:i auf lil76<J gestie^teu ist
Die Aufhebung de.s Instituts der Officiers de ttante erscheint somit
nur als eine Frage der Zeit. An der Spitze aller medicinischen Schufen
stidit die mi'tüeinische Faoiiltät zu Paris; sie hat die reich haltigpstim
Lehrmittel und die besten Studien-Einrichtungen. Ihr I^hrkorijer
steht gegen wärtij^^ suis S3 ordentlichen Professoren (Titulaires) und einer
grossen Anzahl von Agivges, welche ungefähr unsem äussern rdenthehm
Professoren ent*?prechen. Von den ordentlichen Professoren vertritt 1 ilil
Anatomie, 1 die Histolo^ne, 1 die Physiologie, 1 die medicinische ( 'hpinie,J
1 die niedicinischi* Naturgeschichte, l die niedicinische Physik. 1 th
Pharmakologie, 1 die allgemeine Pathologie und Therapie, 1 die Aixnei
mitteUehre, 1 die intiTne und 2 die ^^\terne Pathologie, 1 die patk«
logische Anatomie, 1 die vergleichende und experimentelle Patholggi
1 die Geburtshilfe unil Gynäkologie, 1 die chirurgische Oporation^ule;
1 die Hygiene. 1 die gerichtliche Medicin und 1 die Geschichte d
Modicin, während 4 die chirurgischen, 4 die internen Kliniken, 1
gynäkologische Klinik, 1 die Klinik der Kinderkrankheiten^ 1 diejtiaii
für Geschlechtskrankheiten, 1 die ophthalmiatrische, 1 die psychiatrischi
Klinik und l diejenigi^ für Nervenleiden leitet. Sie hesdehen je 15 000 i)
jährliche Besoldung und werden auf Yorschlag der Facultüt m^ A
Zahl der Agrege^ ernannt.
{
I
F^ankrmch.
441
Die letzteren unterstützen und vertr«ten die Ordinarien beim Unter-
richt und bei den Prüfungen und erhalk^n, wenn sie einen Lehranftra^
f*a, ßOO*) !•>. jährlichen Gehalt. Sie werden in ^{ Klassen geschieden,
tiUch in die Agreges gtagiaires, en exereise und libres. In den ersten
drei Jahren nach ihrer Ern<"nnunjj: fiaben sie weder Rechte noch
Pfiicht-en und werden stagiaires genannt Hierauf rücken sie in lüe
Uidhe der activen Agreges^ vor, deren Zahl derjenigen der Ordinarien
l^leich Ist; ab^ Airregi'-js en exereise ?üind sie zu Yorlesungen verpflichtet,
irirken als Examinatoren und werden besoldet,. Nachdem sie in dieser
Eigenschaft 6 Jahre oder auch langer thätig gewesen sind, treten sie
zu den Agreges libres über, welche weder zum Unterricht noch zu
dunstigen Dienstleistungen genöthigt werden, keinen Gehalt beziehen
und nur den Vortheil haben, dass sie gleich den übrigen Agreges zu
Ordinarien vorgeschlagen werden können.
Die Beorderung zu Agreg«.^ erfolgt auf Grund eines Concurses
?r Bewerber, der aber nur in Paris statttindet. Früher war der-
Itich hei der Besetzung der Ordinariate üblich; seit 1852 ist er
jedoch auf die Wahl der Agreges und undere derartige Stellen be-
^hmukt Am Concurs darf sich jeder prumovirte Arzt betheiligen,
jelcher der französischen Nation angehört und das 25. Lebensjahr
ickgelegt hat. Zu diesem Zweck üljerreicht er einer aus Professoren
^d andern Gelehrten zusammengesetzten Commission seine wissen-
tschnftüchen Arbeiten, liefert unter Gkiusur und ohne Benutzung
liti^rarischer Hilfsmittel eine schriftliche Arbeit ülier eine Frage, die
ihm vorgelegt wird, un(i halt einen Yortrag, dessen Thema er drei
Stunden vorher erhält, Diet'ommission trifft hierauf nach den Leistungen
4er Candidaten eine Auswahl unter denselben, sodass die Zahl der Be-
rber um jede freie Stelb* nicht mehr als drei beträgt. Dieselben
rden nun nochmals einer Prüfung unterworfen, die inis praktischen
üaten^uchungen, aus einer Vorlesung und einer Abhandlung über ein
oes Thema besteht, welches binnen einer bestimmten Zeit fertig
werden muss.
Die Bewerbung um das Agregat geschieht nicht für ein einzelnes
Fach, sondern für eine bestimmte Summe von Disciplinen. Die Agregeu
sdieiden sich demgemiijss in 4 Abtheilungen; die erste umfasst die
Auatomie und Physiologie, die zweite die Nafurwissenschaften^ Physik,
<.*henne und Pharmakologie^ die dritte die Pathologie und Therapie,
mteme Medicin und St^atsarzneikunde^ und die vierte die chirurgischen
Fächer nel>st der Geburtshilfe. Im J» 1884 bestand der Lt^hrkorper
der medicinischen Facultät zu Paris ans 12il, zu Lyon aus 64, zu
Bordeaux ans 50, zu Douai-Lille aus 45, zu Montpellier aus 43 und zu
Nancy aus 41 Profe8fiK>reii. Die Facoltat zu L?on haUe nidil wi
%h 25 Ortlinanen.
Km ergiebt sieb daraos, das^ die medicinischen Schulen FranJ
mit lA^hrkräften reichlich ause^attet sind, und das» die R-
dUm*j\ Zwt'*ik kein»/ AiisgalMfU scheut In Paris zahlt n
mldung^n der Profos^Koren der iiiediciüi.'R'hen Fai^ultat nahezu 700
jabrlich, einn Summp, hint»?r welcin^r die Budj^ets d*'r medid
Fiicultiilen in iminchen anden^n Landern weit zurück bleilieu*
vortrefflich ist für die lA^hrmittel *ler medicini^hen Facultaten g**
Die medicini.-iflK^T» Leliranstitlten zu I'aris und Lvcm^ welche ich
tM^^'ener Ansehauung kenne, sind musterliaft eingerichtet
Der Unterrieht in Paris wird theil» aa der Ecole de mrii
wo die thi'on'tisclien Vorlc'^nn^'en der Professoren stattfindt-n, theil
der Kcole prati<[Ue, in welcher die Institute für praktisehe Arl
vereinigt 8ind, theils in den verschiedenen Hospitiilern, in denen sick
Kliniken lielind«'». erOreilt. Die ^^ro.ssen luftigen, mit Licht, tiiessendem
Wa^iMT und and^i'en Hinrichtungen versehenen, den hygienischen An*
forderungen der heiitii^'en Zeit ent^iprwkenden Secir-Säle enthiilt#ii
BH*J ArUHt<pl;Uz«\ Nel>en »lein Direktor der Anstalt, welcher /
eine anatomische Professur verlieht, wirken hier 8 Prusect4JiM ..
24 A^^sUtenten, welche den Studierenden die Anleitung zu den
tomischrn Zergliederun^n^n geben und sie dabei überwachen, Aoi
di*rn halt jed(T der IVosi^i^toren wöchentlich H, jeder der Asüistiaii
woch<mLlich eine A'orlesunt,% deren Th4ana sich nach einem vom Uin?k*
tar entworfenen I'kiie richtet. Diese Vorlriii^'e der I*ro.s«*cU»reii iiütl
Assistanten schliessen sich an einander an und bieten in ihrem Z«.
nanmienhange eine volLständijre Übersicht der anatomiischen Wisneii-
«ohaft; sie bilden den Schwerpunkt des anatomischen rnterricbts. Die
8telb*n der Proscctoren und Assistenten w**rderi durch T'oncurs bebtet
Wer sich um das Prosectorat bewirlit, muss promovirter Arzt sein und
»ich dann einer schriftlichen und miindlichen Prüfung über ADatoniir,
Hislnloi^ne, Phv?^i<doj.q<' und uperative (')iinirgie unterziehen, ein
tomisclies und ein histologisches Prslparat anfertigen und zwei chi
gische Operationen an der Leiche uiLsführen; tlie SteUen der A&iiste&ten
wt^nlen (dienfalls im Wetiho\verl> Vi-rliehen und zwar an ältere tücl
Studenten.
Die Studierenden sind verjdlicbtet, in den anatomischen Voi
der Prosecloreu und Assistenl^ii und l»ei den Secir-Übungi^
weicht^ islglicli dn^i Stinideji v*Twendet werden, regelmässig m
scheinen, und setzen sich manchen Fnannehmlichkeiten aus, wenn
es iinterhissen.
ßronkfcit^.
443
Die |>r;ihiisriic Besehäfti^ng in der anatomischen Schule nimmt
dn?i Winter in Anspruch: in den beiden ersti^u wird die normak*
AnaUiioi^' des Menschen, im letzten die chirurgische Üperation&kunHt
der T>*ichc stmli*^rt. Die Studierenden zahlen dafür ein Honumr
1(K) Frani>. Das reiche Lehrmaterial die strenge < VmtroUe d»^s
Besuche» und Fleisse« der Schüler, die (mge Verbindung zwischen
Tl'^ ihI Praxis, die A^erwerthunfr der anatomischen Thatsachen für
dl* , -che Heilkunde, besonders für die Thirurgie, und die fort-
währende persönliche Unterweisung durch den Lehrer führen zu aus-
gezeichneten Resultaten. Die Pariser Studenten der Medicin erwerben
im Al%emejnen recht gute Kenntnii^se in der Anatomiej welche für
ihre wdtere fachmännische Ausbildung wie für ihre spätere ärztliche
Pmiis nnj^chätzl)are Vortheile haben.
Für die Professoren, die Huspitalarzte und ihre Assistenten besteht
fn Pari^ noch ein besonderes anatomisches Institut, welches mit der
für Sludenten bestimmten Ecole pratiqiie in keiner Verbindung steht,
at>er von einem Professor der Anatomie und seinen Assistenten geleitet
und zu Sektionen, chirurgischen Operations-Übungen und wissenschaft-
lichen Untjersuchungen benutzt wird»
Fxu den Unterricht in der Physiologie, Histologie, Physik, Chemie
den Naturwissenschaften sind Laboratorien, Sammlungen und
Arbeitsräuine vorbanden; auch das Museum d'histoire naturelle und der
liotanische Garten flienen diesem Zweck.
Am College de France, sowie an der Ecole nonnale, einer Bildungs-
anstalt für t-andidaten des höheren Lehramts, l)estehen ebenfalls Lehr-
axeln tiir die Physirdogie und die Naturwissenschaften. Ihre Inhaber
PH Vorlesungen, deren Besuch den Studierenden der medicinl^chen
Fiicultät leicht ermöglicht wird.
Die 14 Kliniken, welche unter der Leitung der Ordinarien stehen
aml «omit dem oföciellen Unterricht eioverleibt sind, sind nicht in
t*beoi Krankcnhause vereinigt, sondern auf das Hotel Dieu, die t'harite,
Piti»% die Cliniriuo d'aecouchements, das Hopital des enfants malades,
Kapital Neckar, Cochin und du Midi und die Salptitriere vertheilt. Jeder
Studierende der Medicin ist verpthchtet, wälirend der beiden letzten
Ire seiner Studienzeit regelmässig an den arztlichen Besuchen in
?m Krankenhause Theü zu nehmen und kleine Dienste zu verrichten,
welche ihm dort übertragen werden. Die Leitung der Assistance
blique überweist die Mediciner, die sich zu diesem Zweck bei ihr
iden, an die versidiii*denen Pariser Hospitäler.
Ähnlich wie in Paris gestalten sich die Verhältnisse an den übrigen
tichiiecheu FacultÄten und Schulen Frankreichs.
444
Ikr m^ioinmhe Dinimrioki m der neuestmi Zm4,
Der SkuliereiKlfi iler Modicin muss sicli beim Beginn seiner fach-
mimnischeii iStinlieii dariiUer ausweisen ^ <1aas er eine genugende «Qh
^'eineine Vorbildung erworben hat. Es wird aas diesem Grunde rerlajigl;
dass er das DiploTn Mines Ba4?h»Hier i*^ lettre« fjesiüt^ welches ungefsir
dem A)iiturienteii-Zeu|3^niss der deutschen Oymnasien entspricht, und
ausserdem dm Baccalaureat t^s seiences in Bezu^ auf die MathemiA
und die Natur Wissenschaften erlaubt hat. ^
Die Studienzeit der Mediciuer dauert 4 Jahre; sie zerfallt iiidt
in Semester, sondern in t 'urse von 2 oder 3 Monaten^ welche in mm
Vürpeschrieljeneu Reibenfoltre besucht werden. Ebenso !<ind die prak-
tischen Arbeiten in der Physik, Chemie und den Naturwissenschaften
im ersten Jahre, in der Anatonne, ]{i.stolog'ie und Physiologie im zweiten
und dritten Jahre und in der pntholugischen Anatomie nebst den
chirurgischen OperationsübuniBren und dem IJesuch d»-r Kliniken nnii
der HoEpitaler (Stage) im vierten Jahre obligat
Die PrüfuriKcn aus den einzelnen PYichern fanden froher am
Snhluss jedes Jahres statt Im J. 1B78 wurde dies jedoch aufffeh^ben
und dafür die Einrichtuntr ^etroften, dass 5 Examina abjjelesrt weni^n^
von denen das erste über Physik, fhemie und Naturge.schichte handelt
und am Schluss des ersten Jahrc^s, das zweite die Anatomie, Hi«l<.iiügie
und Physiologie unifasst und theils im Verlauf, theils am Endt^ im
dritten Jahres erfülgt Das dritte Examen betrifft <lie chimrinsche
Patb^ilogie, Geluirtsbilfe und Operationskunst, ^owie die allgemeine
l'athologie tmd <lie l*athologie der inneren Krankheiten, das vierte die
Hygiene, gerichtliche Medicin^ Thera]>eutik, Materia medica und Pbanoft-
kologie und das fünfte best-eht in der Untersuchung und P ^: " **MTiif
vuu Krankheitstallen in der chirurgischen, internen und gebui u.«
Klinik und in der Auisführung einer pathologisch-anatomischen 8ektiim
Desgleichen muss der r*andi<lat seine Kenntnis.se in der nommlei
Anatuuiie durch die Anfertigung eines Präparats und seine chirurgi^cb«
Gewandtheit durch die Ausführung einer Operation an der I^eidie be-
weisen. Endlich ist er yerptlichtet, eine Dissertation über ein \*'- '
gewähltes Thema auszuarbeiten und der Pacultat vorzule^'err, f
wird er zum Doktor der Mediein promovirt..
Wer das Ofticiat de santi^ anstrebt bedarf eine gennger** ■ "
bildung; es wird verbingt, dass er eineu franzrtsischeu An
orthographische Fehler anfertigt und über die wichtigsten Thatsachen
der NaturwissenschafteTu Physik und f 'hemie Auskunft zu geben vermair.
Die Studienzeit für die i^föciersde simtr befragt ebenfalls 4 Jahre. Ik:
Programme de rexamen baccalaurtnit vb tieieiiees, PaHs lbS5.
Ifriirplan ist un^efihr derselbe wie für die künftigen Doktoren der
Meiircin, nur treten die tiieoreti^^h-wisäeiii^e.haftlichen Studien, besonders
in (ier HiÄtolugie, Physiologie und pathologischen Anatomie mehr zurück.
Den gleichen ('harakter zei??ett auch die Prüfungen, welche sich auf
die Hauptfiioher beschranken.^
Die französischen Militärärzte wurden früher in Strassburg aus-
trebildet, wo sie die Yorle^ungen an der dortigen medicinischen Facultät
i^e^chten. Im J. 1872 wurde bestimmt, dass die militararztlichen EleTen
an 11 medicinische Schulen vertheilt und dort mit den üfjrigen
Slndierenden zusammen unterrichtet würden; aber 1883 hat man statt
deiMQ für die Militärärzte 2 Ecoles preparatoires du Service de sant^
zü Bordeaux and Nancy errichtet: ihre Zöglinge nehmen an dem Unter-
richt der dortigen medicinischen Facultat^n Theil» müssen 5 Jahre
gtadiereD und werden von älteren Militärärzten, welche ak Repetitoren
für die einzelnen Lehrgegenstande wirken, beaufsichtigt und in ihren
Stodien unterstützt, AVenn sie die letzteren absolvirt und d**n Doktor-
Grad erlangt haben, werden sie zur Vervollständigung ihntr fachwissen-
neihaltliehen Bildung der mit dem grossen Militär-Kran kenhause zu
Tai de Gr&ce verbundenen Ecide d'application überwiesen^ wo sie dtirch
8 Monate Dienste im Spital leisten und in der praktischen Heilkunst
Ei&hrungen sammeln.
Das medicinische ünterrichtswesen Frankreichs hat nahen manchen
Vorzügen, unter denen die vortrefFliche anatomische und klinische Aus-
bildung der Studierenden hervorgehoben werden muss, auch einige be-
inswerthc Mängel So erscheint es seltsam^ dass nach dem Lehrplan
enste Studienjahr vollständig den HiUswissenschatten der Medicin
gewidmet und mit dem B<'such der Vorlesungen über Anatomie erst
im zweiten Jahre begonnen wird. Dadurch wird das Studium der Heil-
kande seilest auf 3 Jahre zusammengedrängt, innerhalb deren die Auf-
iiibllie des reichen ünterrichtsstüHes nicht mäglich erscheint.
Da die zweite Prüfung, welche über Anatomie und Physiologie
handült, in das Ende des dritten Jahres tallt. und die Vorbereitung
flifür die Studierenden bis dahin hauptsächlich beschäftigt, so bleibt
fSr die Ausbildung in der praktischen Heilkunde nicht viel mehr als
«in Jahr üVirig. Die Verlängerung der gesetzlieben Studienzeit, welche
öbrigtJELs auch durch die drei letzten Prüfungen herbeigeführt wird,
«rgiebt mch daraus von selbst.
Ein weiterer Übelstand des medicinischen Unterriohtswesens in
rudientions sotnmairea dca coDditions A n?mpUr pour robtention des grade»
: «ioctear co mMeuiDe, dofficier de suntr etc., Parie 1884.
Fninlrracli li^pt in der Art. wie der Lelirknrjier d«*r inediriMT '
Schulen ausgewjihlt und zusammengeaetzt wird. Dor (.'oncuri;;, 'ii .,
bewörbung, schützt allerdings mehr, als andere Formen der BtMetzung
erledigtfT Stellen vor ungerechten Bevorzugunjür«'n, Prot^ektion und Vetter-
Schäften; auch ist er in Fällenj wo es sich um das Agregat^ dai* Amt
eines Proseetors oder A&ü:^tenten, also um die Zulassung zur akademificbeii
I^^hrthatigkeit handelt^ im Allgemeinen gewiss l>erechtigt und *'»« vor-
treffliches Mittel, die Fähigkeiten und Kenntnisse der einzelnen <.'äii-
(iidaten kennen zu lernen und abzuwägen. Aber die BeschTfmkung *ißr
Auswiihl dt-rsf^lh^^n auf eine bestimmte Zahl erscheint un/wt»ckinRÄUfj
da es nicht möglich ist, unter mehreren y>iemljch gleichmiii^ig qoiili*
licirten Bewerbern eine Entscheidung zu treflen, welche den Farderuni,ieii
der tterechtigkeit und Billigkeit vullkummen enti^pricht, und der wi^wo-
sehatYliche tiehalt der rnndidaten in den einzelnen Jahren bedeutende
Verschiedenh<iten aufweist.
Ebenso wenig lasat sich die Eintheilung der Bewerber um i\^
Agregat in die 4 Orufipen nach den verschiedenen Fächern, wie sie
p^genwärtig besteht, rechtfertigen; denn manche Disciplin, wie z. B.
die Geschichte der Medicin^ die Hygiene und die 8tiifttsariueikun<k>
kann mit demselben Becht in die eine viit' in die andere Kla^tse ^«^
zugen werden. Dureh die Jetzige Einrichtung wird vielhncht ein Ge-
lehrter, der auf seinem Specialgebiet Hervorragendes geleistet hat, dCT
akademischen Lebrtliätigkeit femgehjilteiK
Geradezu schfidlich ist die gesetzliche Anordnung, duÄS die CVm*
curse für die Stellen der Professeurs agregiVs an sümmtUchen modiciniseh«!»
Facultiiten und Schulen Frankreichs in Paris statttinden. Dadureli
werden die ('andidaten^ welche ein Leliramt in den i'rovinzen anstreben,
zu längerem Aufenthalt in Paris und unnnthig«n Ausgaben genöthirt
die medicinischen Facultäten und SchnVn mit Ausnahme der Panier
in ibrem Ansehen und ibren Interessen gcsrhadigt, indem die l^au
Scheidung übt^r wichtige Besetzungsfragen Personen übertragen mni,
welehe die lokalen Bedurfnisse nicht kennen, und endlich der Pariser
l'acultät mit den iJoncursprüfungen eine grosse Last aufgt^bflrdet, lift
um 80 schwerer wiegt, als rfe durch die [Prüfungen der Menge Ton
Stuilierenden in Paris ohnehin schon allzusehr in Anspruch genommen
wird. Aus diesen Gründen wurde schon vor längerer Zeit verlangt,
dass die Ooncursprüfungen nicht blos in Paris, sondern an jedmr
medicinischen Fa<*ulfcät abgelegt werden, der Lehrkörper jeder nifr
dicinischen Schule das Recht erhalte, die Vorschläge für die Besetzung
der Stellen, welche an derselben erledigt sind, zu erstatten, und die
Ca/?djdaten, welche im Cotic*\tt% Aw K.w'i>TV^\iw\\?ö% dsx fA&mioaUiteii
r¥ü/l%kf€Wh,
447
, nicht Wos an flner Facultät, sondern an sämmHicben mo-
'ü Schulen zimi Lehramt zugehi8s<jn werden, ohnf diiss sie
Dothigt werden, sich in jedem Falle wieder einer neuen Prüfiingf zu
ftnteraehen.*
Bei der Besetzunir d*T Ordinariate hat man mit Recht den noncurs
Ijgeschafflt.; denn hier handelt es sich nicht um Leute, deren Tüchtig-
keit als Lehrer und Forscher »^rst erprobt werden mnss, sondern um
Gelehrte, deren wissenschaftliche Leistuni^en in den Kreisen der Fach-
männer allgemein bekannt sind. Jede medicinische Schule muss dar-
nach trachten, für diese Stellen die btNten Kräfte zu trewinnen, welche
m erlangen kann.
Es ist daher keineswegs zu billigen, dass die Lehrkörper bei den
VoTHchlägen, die sie zu diesem Zweck dem ^linister unterbreiten, auf
die Professeurs agreges, welche an der betr<*ftenden Facultfit angest4?llt
sind, beschrankt werden» Dies«» Massregol führt zu einer lokalen Ab-
geschlossenheit der medicioisehen Schulen, bei welcher die Getahr einer
p»ist!c:en Erstarrung nahe liegt» Gerade der Austausch der Theorien
udJ Lehrmethoden, welcher durch den Wechsel der Lehi'kräfte hervor-
gerufen und V>egünstigt wird, erhält das geistige Lehen frisch und für
jede fruchtbringende Anregung eraptanglich. Dagegen mag es bei der
jetzigen Einrichtung nicht selten vorkommen, dass ein henrorragender
Tiflehrter, der an einer kleinen Hochschule in Frankreich thatig ist,
einem grosseren Wirkungsk'reise entzogen wird^ in welchem er für die
Ittssenschuft und den Staat rie! «lutes schaffrn wrirdr\ — Es erscheint
m^ nothwendig, da^ss die Facultäten in dieser Beziehimg von jeder
Mchrünkung befreit werden und bei ihren Vorschlägen für die Besetzung
erledigter Ordinariate die Ordinarien und Agregcs sammtlicher mediei-
liischen Facultäten und Schulen ins Auge fassen dürfen. Sollte ein
Hann, der bisher der akademischen Lehrthätigkeit fern stand, in einem
»e^oöderen Falle als der geeignetste Candidat für <iie Professur erscheinen,
» wird man auch diese Wahl billigen. Ausnahmsweise geschah dies
L B,. als die i. J. 1870 zu Paris gegründete Protessur für Geschichte
ler Medicin dem ausgezeichneten Kenner der griechisch^^n Heilkunde,
Dakembebg, übertragen wurde. Man sollte in Frankreich die
erhältnisse und Zust^inde, welche in dieser Beziehung in Deutschland
d Osterreich bestehen, studieren und Da.s, wa^ an ihnen nachahmungs-
erth er»cheint> auch dort einführen.
* Revue international« de renöeignemeiit, Paris 1882, T* HL p, 126, 533. —
lEEiFiTs-BfusAAc: Rev. int., Parie ]8öT, T. XIV, p, 469 «, W.
Österreich - Ungarn,
Das medicinische Unterricht^^wesen in Österreich wurde eist
18. Jahrhundert von den mittolaiterlichen Farmen befreit, wclchp
in seiner Kniwiclcelong beengt und is'eheinmt hatten. Das^lbe lag
duhin gi'mzlich in den Händen der ärztlichen Zunft, der Vereinij
.'iller pruniovirten Ärzte, welche als Facult^t bezeichnet wurde; fon
wurden mehrere Mitglieder zum Lehramt gewählt, die vom Univemi
Cunsistiiriuni die Bestätigung^ empfingen.
In dein letzteren, welche.^ ungelTihr unserem heutigen Univemt
Senat entjäprach, hatte der klerikale Kinlluss das Übergewicht^ nachi
der Jesuiten -Orden in der Sanetio pragmatica v, J. 1623 einen
scheidenden Eintlusy auf das ge;5ammte Krziebungswesen erlangt hi
Die Professoren der Medicin bezogen karge Besoldungen und w,
daher genütbigt, sich durch ^lie är/ilicbe IVaxis den nothwendi
Leliensiinterh;ill zu erwerben. I)<irb waren auch ihre wissenselmfUii
Leintungen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, unbedeuteud.
cinr*m Bericht über die Universität Wien, welcher i. J. If588 an die^
Regierung erstrittet wurde, heisafc es, „dass in dieser Wienerischen Unt
versität so viel Jahre hero von denen Prufessoribus in Jure et McdioM
gar wenig gehört wnrden, dasa selbige ihre Scienz am Tag g'^.g^\m
und in Druck hatten ausgehen lassen, als wann die WienerLscht' Uni*
versitÄi in Schlaf liegete oder gar kein solches Studium mehr zu Wien
wäre. Da herentgegen kundbar, wie vigilant und embsig die Professor»
bei anderen hohen Schulen in Teutschland waren, was für schone Böcher
selbige beschreibet^n und was für nutzimre opera sie in Druck auCietzcD
und publiciren lasseten,"'
An den für das Studium der Medicin erforderlichen Ijehnnitt«!»
und Instituten fehlte es gänzlich, und sell>st die Vorlesungen wurden
so unregelmassig gehalten, dass die Nachlässigkeit der Lehrer der M»**
dicin DJHiJ und 1727 von der Regierung eine Hüge erfuhr. Verscliiedcoe
Versuche, welche H>21*, UiH7 und 1726 zur Beseitigung der vorhan-
denen Übelstände unternommen wurden, blieben erfolglos. Im J* 1718
schlug die niediciniscbe Faciiität zu Wien vor, die praktische Unter
Weisung am Krankenbett, pathologisch-anatomische Sektionen und rey:cl
massige Secir-Übungen in den Unterricht aufzunehmen, ein Collegiuiü
ch>micum, sowie einen botanischen Garten einzurichten, Assistanten und
Ililfsärzte an den Ivranktnhäusern anzustellen, die Besoldungen der
^ Kmit: GcÄchichte der üniveraitiit «« Wien, Wien 1854, I^ StS»
ÖfftorroftoA- C^arn.
449
QfesBor^n tu erhriheti nnd bcrvorragrende Lehrkräfte von auswarte zu
bcnilen, *
Ab«r die *SciheUy weicht* die regienrndf^n Kreise vor dem Wech8t4
dfc* Hystems he^en, und der Mangel an den für die erforderlichen
Einrichtungen nottwondigeu (ieldmittdn verhinderten die Aui^führun*?
diesf^r VoTSchläge. Die grosse Kaiserin Maria Theresia, die in den
schweren Bedrängnissen und Kriegen, welche ihren Thron erschütterten,
die Kühe und Kraft des (feistes land, um un VerlieHserunk^en der Ge-
>^etzgehung nnd der Verwaltung zu denken/ wandte auch diesem Gegen-
tand»^ ihre Aufmerksamkeit zu. 8ie hr-auft-ragte ihren Leiharxt (fRRHAnu
rAN KwiETKN% wtdcher ihr volles Vertrauen genciss^ n^it der Unter-
suchung der Gebrechen des medicinischen Unterrichts an der Wiener
Hmrhschule, In d«^m Bericht, den derselbe darüber verftisste, wies er
auf die Ursache der Missstande hin, dii^ er in der Abhängigkeit der
UniTersität von der Kirche und der Zunft fand. Er verlangte vor
lern, dass der Staat der unumschränkte Gebieter in seinem Hause
ad das ärztliche Erziehungswesen leite und überwache. Die Au-
welche er zu diesem Zweck der Kaiserin unterbreitete, erhielten
55? Zustimmung, obwohl sie dabei vielleicht Überzeugungen, die ihr
durch Tradition und Erziehung tbeuer geworden waren, zum Opfer
bringen musste.
In dem Reform-Edikt vom 7. Februar 1749 wurd«^ bestimmt, dass
die Eniennung der Professoren der M<'dicin fortan nicht mehr vom
Uuiversitiit^-Consistorium, sondern von der Kaiserin vollzogen, die 6e-
UteT derselben in angemessener Weise erhöht und aus den landes-
Irstlichen Kassen bezahlt und ihre Dienstleistungen und der gesammte
fntirricht von einem Direktor, der die Regierung vertrat, IxMiufsichtigt
erden. In Wien übernahm G, van Swjete^' selbst dieses wichtige Amt;
anderen Facultäten wurde es hohen Hanitntsbeamten übertragen.
Sie führf-en auch den Vorsitz in den Versammlungen der Zunft-CoUegien
und bei den Prüfungen der Ärzte, Chirurgen, Apotheker und anderer
Klflssen des Heilpersonals.
Gleichzeitig wurden die medicinischen Facultäten mit den erforder-
lichen I/chrmitteln ausgestattet. In Wien wurden ein botanischer Garten
und ein chemisches Laboratorium gt^schaffen, und die regelmässigen
Becir*Übungen und der klinische Unterricht eingeführt. Die Promotions-
Feierlichkeiten, welche wegen der damit verbundenen kirchliehen Cere-
nionien den beträchtlichen Aufwand von lOUü Gulden verursacht und
' EosAJi: Geschichte der Wiener Hochflchule, Wien 1843, 11, 232.
• V. Arkktii: Maria Theresia« erete Regier« tig^ahre, Wien 1863*-T9, 10 Bde.
r^tcUMAlTK, Üntrrrlchl. 29
in Folge dessen viele Studierende genÖtluiBrt. hatt-en, sich die
Würde im Aiishinde zu crwerbeUj wurden vereinfacht und auf
ordentliche Fälle b«.*schränkt^ und das ganze Prüfonpwesen durch geniue
Vorschriften geregelt
Nach dem Muster lier niedicinischen Facultat in Wie» wurden
Iniltl darauf auch die übrigen medicünschen Facultaten des Bmhm
reorgani^irt und mit T.ebrkanzrln und AnstaUen versehen, G, x\%
SwiETKN trat an die 8[)itzi* des ganzen Medicinalwesens und erlangte
einen Einlhiss^ der sich auf alle Zweige der Ünt4:»rrichts-Verwaltiini^
erstreckte.
Mit der Thronbesteigung des Kaisers Josef II. begann eine R^riudf
rasch aufeinander folgender und sieh manchmal überstürzender Neoe^
rungen auf (liesf-m Gelviet. Alle Beschrankungen, welche die VerleiliUüij
akademischer Grade an Nicht-Katholiken erschwert hatten, wurden auf-
gehoben und derselben jeder religiöse Charakter genommen, die Bosol-
dungs- und Pensionsverhaltiiisse der Professoren im Einklang mit d«*n'
jenigen der übrigen Beamten geordnet, die akademische (ierichtsbarkeil
aufgehoben, die Angehörigen der Universität unter das allgemeine Recht
gestellt, und anstatt der ('oOegien-Honorare, welche abgeschafft wurdtii,
ein bestimmtes monatliches Schulgeld an den Hochschulen eingeflihrt.
Alle rniversitfiten der Monarchie wurden eimuider im Rautre
gleichgestellt und ihren Difdomen und Zeugnissen die gleichen i
und Privilegien gewahrt; doch erhielt dieses Gesetz schon nach vv*,..^. ,,
Jahren eine Änderung, indem bestimmt wurde, dass in Wien nur
diejenigen Ärzte und Advokaten die l'raiüs ausüben durften, welche an
der Wiener Hochschult^ die Prüfungen aljgelegt hatten,
>!tt grossem Eifer bi'schaftigie sich der Kaiser mit der Verbesse-
rung des medicinischnn Unterrichts und der dafür vorhandenen Iji?hr-
anstalten. Er beklagte die Yeniachlassigung, welche die chiniriri^' •^""
Studien von den Ärzten erfuhren, und die ungenügende Fach).
der Wundärzte und erkannte den schwerwiegenden Fehler, der m d«r
Trennung der Chirurgie von der inneren Medicin lag. In der Wiedei-
vereinigung dieser beiden Zweige der gemeiut*amen Wissenschaft, in der
Verschmelzung der Ärzte mit den Chirurgen sah er das beste Mittel
zur Beseitigung der Gebrechen des medicinischen Unterrichlsweseßs
Zu diesem Zweck Hess er einen Stutlienplan für diese beiden Klassen
von .Studierenden der Heilkunde ausarbeiten, welcher eine Studienzeit
von 4 Jahren festsetzte und bei geringen Verschiedenheiten von Beiden
die Kenntniss aller Theile der Heilkunde verlangte.
Sehr viel trug die Erhebung der militrinirztlichen Schule, des Jo-
geännms, zu einer chiruTgisdi-meAkm\^c\iiö\i Y^v^xsI^ää* tml^ d»'^ Es/^^hüi
Österrmok - Ungarn,
and dem Range einer Universität und ihre Verbindnng mit einer chi-
rurgistchen Akademie dazu \m, dass der Ohirui'geiistand in wLssenscbaftr
lieber und socialer Hinsicht geholjen wiu^de, Drineben entstand eine
Klasse von niederen Lfindänien, welehe zu einer Studienzeit von zwei
Jahren verptlichtet waren, und m^it dem Namen der Chirurgen auch
die gesellschaftliche Stellung erhielten, welche dieselben bis dahin ein-
genommen hatten. Auf diese Weise wurde eine vollständige Umgestal-
tung devS medicinLschen Unterrichtswesens und der socialen Verhältnisse
d68 ärztlichen Standes herbeigeführt, die sich in ihren Grundlinien biß
die neuente Zeit erhalten hat.
Auch mehrere andere Mtissregeln, wie die Abschafl'mig des Buccä-
laureats tind die Aufhebimg der Inaugural- Dissertationen, an deren
Stelle die praktisrhe Prüfung am Krankenbett trat, bildeten sehr z^*eck-
maasige Verbesserungen des ärztlichen Bildungswosens.
Die Errichtung des allgemeinen Krankenhauses zu Wien, dessen
ches Lehnnaterial zum Theil dem klinischen Unterricht gewidmet
ie, und die Grründung des Militarspitals, das zu dem gleichen
Zweck dem Joseßnum übergeben wurde, ermöglichten die grossartigen
Triumphe, welche die Wiener medicinische Schule später feierte. Josef II.
schuf femer das Taubstummen-Institut, das Findelhaus und die Thier-
arzneischule in Wien, und Hess in Prag, Graz und anderen grossen
Städten der Monarchie Krankenhäuser, welche zum Unterricht der
Irzte verwendet wurden, errichten und in Mailand, Mantua, Prag,
Brunn, Olmütz, Pest liöniggrätz, Lomlierg, Hennannstadt und anderen
Orten ständige Militärspitäler erbauen. „Was immer zur Heilung der
erkrankten und verwundeten Mannschaft, zu ihrer Erleichtwung und
Erhaltung ersonnen werden konnte, das habe ich nie ausser Acht ge-
lassen, und jeder einzelnt» Mann ist mir schätzbar gewesen", erklärte
er, als er wenige Tage vor seinem Ti^de Abschied von der Armee nahm.
Die humanitären Schöpfungen des Kaisers, der, auch wenn er irrte,
stet« von dem aufrichtigen Bestreben erfüllt war, sein Volk glücklich
zu machen, geben ihm ein Anrecht auf die Dankbarkeit der Menschen.
Sie haben seine politischen Pläne und Thaten überdauert und erzählen
heut noch von der Güt^ und Liebe des edlen Fürsten, der seinem
Volk non diu. sed totus lebte, wie es auf dem Denkmal heisst^ das ihm
in seiner Residenz errichtet werden istJ
Die Reaktion, welche seine politische Tendenz bekämpfte, wandte
sieh gegen seine Massnahmen in der Unterrichtsverwaltung, Es wurde
* T». Pü»cioiA3«jr: Die Medicm vn Wien während der letzten hundert Jalure,
1884, B. 53 u. ^.
2S*
eiiu* „8tuUien-EinricbtiiTigs*Commksion", wie >ir c^^nannt wurde,
rufen, welche den Auftrag erhielt, das Eraehunijswesen wieder in
(Joleise des alten Herkfiinmens zu leiten.
In der Medicin erholt der ZuntY^'f*ist sein Ilaupt und rei
den Einiiuss, den er früher auf den Unterricht, der Ärzte besc^seir^
2Urüuk zu erobern. Man verlangte, dass das frühere Verhältniss snri.
sehen den Är/ien und den ChirurjC^en wie<ler her^eHt<?Iltsp die Chiruj
in eine ahbängige yntergeordnete Stellung versetzt und die Vereijjii
der Chirurgie und der inneren Mediein, welche durch den Studienpl
V. J- 1780 berbeigefiihrt wvirden war, wieder aufgelöst werde, und
haiiiitete, tlass diese beiden Gebiete der Heilkunde zu heterogen m
umfaogr^/irh seien, als dass ein Einzelner beide in gleicher Weise he»
herrschen könne. Otogen dits JoseHnum wnrde der Vorwurf erhobec,
dass es zu viele Kt)sten verursache und durchaus nicht den medicint-
sehen Facultäten der Universität-en ebenbürtig sei. Doch gelang es nichi
die Aufhebung desselbi^n durclizuset7.en; denn der Staat konnte in den
lange andauernden Kriegen, in welche Österreich damals verwickelt
wurde» die einzige Anstalt, welche für den Bedarf an Militärärzten
sorgte, nicht entbehren. Auch zeigte die tägliche Erfahrung, wie nulli»
wendi": und wichtig die chirurgischen Kenntnisse waren, und mp
Herabsetzung derselben erschien keineswegs zeitgemäijs. Grössere B*^-
recbtigung hatten die Anklagen, welche sich gegen das Wiener allg^
meine Krankenhaus richteten; die Verbesserungen, die dadurch hervor-
gerufen wurden, gereichten der Anstalt zum V^rtheil
Am medicinischen Htmlienpian wurde nieht>s geändert* uhwohi
derselbe in manchen Beziehungen reformbedfullig war,* D»geg^i\
wurden den Pndes.soren genaue Instruktionen für ihr Verhalten erthi»ill
und die T/chrbücher vorgeschrieben, welche sie ihren Vorlesungen zo
Grunde legen sollten. Die Studien-Direktonit»^ wurden aufgehoben, al»tf
schon nach wenigen Jahren wieder eingeführt, bildeten, wie vorher, die
Aufsichtsbehurden für die Angelegenheiten der Facultäten und leiteten
das Unterrichtswesen,
Im J, 1804 wurde die Studienzeit für die Studierenden der 1^
dicin und höheren Chirurgie von 4 auf 5 Jahre erhöht und angeoi
dass die 3 ersten Jahre der theoretischen Ausl»ildung, die beiden le
Jahre jedoch hauptsachlich dem Besuch der Kliniken gewidmet wün
Gleichzeitig wurde daran erinnert, daas Niemand zum Studium
Heilkunde zugelassen werden sollte, der nicht vorher durch 3 J\
^ FreimÜthige Betrachtungeu über den medicifiiBchexi Unterricht an da
hohen Schule »u Wien, 1795,
Ösiefräch'Uiiffam, 453
m der Uniref^itÄt phiiosophißche Vorlesungen gehört und sieh eine
jjeüögencle Ällgemeinbildting erworben habe. Jeder Lehrer musate
wüchentlieh minde^lcns eine halbe Stunde daraaf v«^rwenden. um sich
durch Fragen zu überzeugen, daSsS i<eiue Schuler den Inhalt seiner Vor-
träge Terstiinden und in sich aufgenommen hatten. Am Schluss eines
jeden Seme.H»«rs fanden öffentliche Prüfungen der Studierenden statt,
TOD fleren Erfolg es* abhiog, ob «'S ihnen gestiftet wurde, die für das
folgende Sempsti^r bestimmten Collegien zu besuchen. Ausserdem wurden
die Vorschriften für die Äpprobations-Prüfung, welche am Schlu^^ der
Studienzeit aiigelegt wurde, verschärft und die Examinatoren ermahnt,
dabei .streng und gewissenhaft zu verfahren.
Im J. 1810 wurde ein neuer medicinischer Studienplan vorge-
schrieben, in welchem diejenii^^en Fächer, welche inzwischen in den
Unterncht aufgenommen worden waren, Berücksichtigung fanden. Dar-
nach sollten die Studierenden der Heilkunde während des ersten Jahres
di' "' ' tiing in das medicinisch-ehirurgische Studium^ specielle Natur-
ir^ j Botanik und systematisch*' Anatomie, während de^ zweiten
höhere Anatomie und Physiologie, allgemeine Chemie, Pharmacie und
Thiercheraie, während des dritten allgemeine Pathologie und Therapie,
Atiob»gie, Seraiotik^ Materia mediea et <'hirurgica, Diätetik, Receiitirkunst,
UeburtÄihilfe, allgemeine und specielle Chirurgie, die Lehre von den
ein iien Instrumenten und Verbänden und Ophthalmologie hören,
w.- lies vierten und fünften Jahres die Vorlesungen über specielle
Pathologie und Therapie der inneren Krankheiten und die Kliniken
besuchen und den Vortnigen über Veterinärkunde, gerichtliche Medicin
and Medicinalpolizei beiwohnen. Diejenigen, welche sich zu Landärzten
cuiibildet^^n, wurden angehalteD, im ersten Jahre die Einleitung in das
nt h- chirurgische Studium, theoretische Chirurgie, Anatomie,
Pl. ,ii\ allgemeine Pathologie und Therapie, Materia mediea et
chirurgiciL. Diätetik^ KeiH^ptirkunst und Bandagenlehre und im zweiten
Jabre chirurgische Operationslehre, gerichtliche Medicin, (leburt^hilfe
and Thienirzneikunde zu hören und die medicinische und chirurgische
Klinik zu besuchen. Die Studienzeit derselben wurde später um ein
Jahr verlängert. Die Thi4lnahme an der geburtsliilflinben Klinik blieb
ebenso wie der Besuch der Vorlesungen über mehrere andere Unter-
nchtögegenstiinde dem freien P>messen der Studierenden überlassen.
Über jedes Hauptfach masüte an 5 Tagen der Woche jedesmal eine
Stunde vorgetragen werden; dem Unterricht in der medicinisehen und
der chirurgischen Klinik wurde die doppelte Zeit gewidmet.
Gleichzi'itig wurde dafür gesorgt, dass der Lidirstoff durch prak-
^^|K)fae Dennmstrationeu und Arbeiten dem Verständniss näher gebracht
wurde. Zu diesem Zweck unlernnhmeii die Stadierenden unter
Leitung ihrer Lehrer botanische Exciirsirmen, arbeiteten im chemii
littboratüriuui. übt«'n sich im Zergliedern der menschlichen Kui
wohntrn den klinischen Sektionen bei und führten chiriiri^ischt' 0]w\
tioncn an der Leiche aiis. Wo noch keine Secir-An st alten bestanden,
wurden dieselben iTrichtet; doch mussten die Kosten^ welche die
Schaffung des erforderlichen Leichrn -Materials verursachte^ von il(
Schülern ^'etragen werden.
Wer sich um die medicinische Doktor-Wilrde bewarb, war \i
ptlichtel, zunächst zwei Krankengeschichten vorzulegen, welche Fäll
brtrafrn. die er selbst in der Klinik behandelt hatte, sich hierauf eioer
Priifung zu unterziehen, welche sich über die im Studienplan genaniiten
Unterrichtsgegenstilnde erstreckte, und endlich eine Dissertation zu vpr.
fassen und Thenen zu vertheidigen. Das Examen für dm Doktorat der
Chirurgie unterschied sich davon dadurch, dass anstatt der ionervn
Merlicin die Chinirgie in den Vorderirnind trat, und die Candidat«!
zwei chirurgische Operationen an der Leiche ausführen mu.s8tcn, WVnn
ein Doktor der Medicin auch zum Doktor der Chirurgie promovirwi
wollte oder umgekehrt, so brauchte er nur eine Erq^änzungsprüfiiue
abzulegen, welche jene Fächer Itetraf, die in der früheren zu vrcnig
beachtet worden waren. Geringere Anforderungen wunlen an Diejenigen
gestellt, welche 8ich mit dem Titel eines Magisters der Ohirurn
guügten. Ähnlich verhielt es sich mit den Landärzten. Aus-
wurde das Diplom als Augenaot verliehen^ während die KlaÄ*e
sogenannten Hruchiirzte autgeh ol>en wurde.
Am Joseliuum wurde die Studienzeit 1822 ebenfalls für den hi'»hcr«n
Cursus auf 5 Jahre und für den niederen auf S Jahre erhöht util
dem Unterricht derselbe Studienplan zu Grunde gelegt, welcher an d^u
medicinischen Facultäten eingeführt worden war. Die Anstalt erlui
in Folge dessen das Recht, sammtliche akademische Grade zu verleil
Die Studien-Ordnung v. J. 1833 bracht« keine we;*entliche And"
rung im Unterricht und in den Prüfungen; nur fand die Aritr*>nbtik
ktinde eine grrissere Benicksichtigung ala bifihear.
Im J. 1845 wurde eine Commission ron Sachverständigen beml
welche über die Gebrechen des mediciniscben Unt^?rrichts Berathont
hielt und VorR^hläge zur Verl^esserung desaelben machte. Aber Itetor
darüber eine endgültige Entscheidung getn>ffen ^rurde, kam d;is Jahr
1848, welches eine vollständige Umwälzung der bestehenden Verl
ni<se herlieiführte. Der Lehrkörper der Wiener mefücinisehen Facul
legte dem neu geschaffenen Unterrieht^-Mtnistertam einen Reformi»]
der medidiuachen Studien vor. in weldieni zunächst auf den C
hbgewiftäezi iranle, Awss al^ medicinische Fakultät sowohl das Lehrer-
CoUegiam als die Vereiuijjung siimmtlicher Ärztt» von Wien tM?zeichn€t
wurde und dieProlVssuren von den wichtigsten akademischen Ämtern, wie
von denjenigen des KectorsDekany, ebonsu wie von dem de^ Direktors der
medicinischen Studien ausgeschlossen und im Universitäts-CunBistorium
fast gar nicht vertreten waren. Man verlangte, dass die ordentlichen
Pn>fes8«iren» ähnlich wie an den Universitäten Deutschlands^ ein l'ölJe-
gitun büden^ welche-s dem Ministerium unmittelbar unterstehe, die
Fragen des Unterricht^i und andere Anfrelegenheiten selbststumlit;: be-
mthe und erledige, die Fnlt'ungen abnehme und akademische Würden
ertheile, dass die Lelirkanzeln nicht durch Concui^, sondern durch Be-
nifung besetzt werden, dass die Anstellnng der Frofe8soren eine stabile
m and ihre Absetzung: nur bei ehrenrührigen Vergehen oder fortge-
setzter Ptüchtversäiimniös erfolgen dürfe, dass die ordentlichen und
ausserordentlichen Frofessuren, welche einen im Stutiienplan vorgeschrie-
benen Unterrichtsgegenstund vertreten, vom Staat anständi*; besoldet
werden, ,jSO dass sie von Nubiiingssorgen befreit der Wissenschaft und
namentlich der Forderung ihres Faches obliegen können'*, das« die
wissenschaftlichen Institute in einer den Bedürfnissen ent.sprechenden
Weise ausgestattet und doürt werden, dass Lehr- und Lerntreiheit be-
willigt^ die I/ehrer weder an bestimmte Lehrbücher gebunden^ noch die
St ' ' jerintb igt werden, gewLsse Vorlesungen zu h<ireu uml ihre
1j' ittliche Bildung ansscbliesslich an inländischen HoclLHchnlen
zu erwerben, dass die Bemestral-Prüfuugen aufgehoben und die medi-
cit - r .ri unter dem A'orsitz des Dekans der FacuMt, die
1'; 1 r demjenigen des Rectors der Uinver>ität stattlinden,
dju» der Rector, sowie der Dekan aus der Zahl der ordentlichen Pro-
tMoren und von diesen gewählt, tlie Verl»iiidung zwischen der Frii-
T^fsitat Unit den Doktoren-Corporationen aufgeiri,4 uud der Einlluss der
äxxtlichen Zunft auf den medicinischen ünterrioht ganzlich beseitigt
werde*
Der Freiherr E, von FEucirrEJtsLEiiEN, der Verfa^^ser der bekannten
^Diätetik lier Seele**, welcher als Docent der Psychiatrie an der Wiener
f! i!e thätig w^ar, wurde aufgefonlert. <lie Leitung des Untcrriehts-
iL... . ,;ums zu übernehmen; er lehnte jedoch ab, Minister zu werden,
weil er, wie er in seiner 8elbstV»iographic schreibt, „von der Ül>erzeugiing
rieitet wurde, dass bei dem aus dem Repräsentativ -System hervor-
übenden Ministenveclisel überhaupt und i»ei unseren damaligen Zu-
ioden insl*esondere für den Minister an keine folgerichtige Thätigkeit
zu denken sei, di«* uerade in dem BiTeich des UnterrichtÄ für das t.Je-
hngen und Gedeihen einer im Sinne eines grossen (ianzen gedachten
Reform imerlässlicho Bediiij^ung ist", und tiejürnügt^ sicli mit der SU
hing als Untersümteekretar im Untt'rrichts-Miniüterium. in welctor i
währeüd der kurzen Zeit seiner jimtli(:h(*n Wirksamkeit eine Mengf'
wichtiger Reformen im Leben rief, Sn führte er den naturwiÄienschaft-
liehen Unterricht an den Gymnasien ein, verlängtrti* die 8tttdiei32«tt
der letzteren um zwei Juhre, indpm er die Anordnunj^r traf, da^^ der
philosophiscbe <Jiirsu>*, den die Studierenden bis dahin an der Universiü
absolviren mausten, mit dem Gymnasium verschmolzen wurde, erwirk
für die rniversitHtou L<'br- und L^rnfpriheit, sehafttc die Besetzung
der Profei^siiren durch fVineurs ab und norgte dafür, dass die Lehrim(t(
und Sammlungen des Jusefinnms, als dass^dbe aufi^ehoVten wurde, ild
Wiener medieiniseheu Faciiltät überlasi^en wurden.
Im J. 1849 wurde dasGe!?et/ über dieürjeauisation der akademisch«
Behörden* erlassen» nach welchem die ^tiidienanireleLfenheiten an dm
Universitäten vun den l'r<>ressoren-(!ullej^^ien der einzelnen FacuUates
geleitet werden. IJieselben setzen sich zusammen aus stimmtliclie»
urdentlichen und so vielen ausserordentlichen Professoren, dass die Zahl
der letzteren die Hälfte der ersteren nicht übersteijrt, und zwei Va
tretern der Pnvatdweuten, welche aber nur eine berathende Stimmt
erhielten. Den Vorsitz in diesen Gdleiü:ien führt <ler aus der Reihe
der ordentlichen Professoren j^ewählte Dekan, welcher in manohenB^
Ziehungen an die Stelle des früheren Studien- Direktors trat, dmem Amt
aufgehoben wurde.
In Wien und Prag wurde den ärztlichen Zünften, ilen Vokiov
f Korporationen, ein Rest von Einfluss auf das medicinische UnkrrichJi
we8en gewahrt, indem sie auch fernerhin als Theile der Universiti
betrachtet^ als Facultaton bezeichnet wurden und im Recht erhielten,
Nioh einen Dekan zu wählen, der im Professoren-Cullecrium Sitz und
Stimme hatti* un<l bei den firztlichen Prüfungen mitwirkte. Erst 18T8
wurde die vollständige Trennung' der Dokt^oren-Corporationen von de»
medicinischen Facultaten und der Universität vollzogen. ^ Die Doktors
Collefrien bildeten fortan nur ärztliche Vereine, welche sich mit
Verwaltung ihres Vermögens, der Verleihung einzelner Stipendien u, sl\
befassen, aber keine amtlichen Obliegenheiten haben.
Schon in einem Ministerial-Krlass v. J, 184H wurd*» die Aufhebunp
des niederen Studiums der Landärzte Im Princip ausgesprochen.^ \}m
der praktischen Ausführung derselben stellten sich manche Schwie
^ ir. Thaa: S;imiidimg d«r für die österreicbiechen Uli ivereii tüten ^ülti^
Geeetī und VerordnungoD, Wkn 1871. I, 69 u, E
« Thai jl a. 0. 8. 615 u. ff. ^ Thaa a. ä. O. 8. 4ö7.
Öifterreiefi' Uwtgani.
keiten €nt^(»gen. Man musste befürchten, dass durch eine plötzliche
SchliosNung der für die Ausbildung »lerLandiir^te und niederen rhiruriL,'en
f orhandenen Lehranstalten ein emplindlicher Mangel an Ärzten herbei-
gduhrt werden würde, und suchte daher vorher den nuth wendigen
ErKitz dafür zu sehaft'en.
Zumlchst wurden die Lehr-Curi4e, welche bis dahin für die Land-
irzte an den Universitäten zu Wien und Prag bestanden, aufgebest,
während die medicinisch-chirurgisi^hen UnterriühtÄnn.stalten zu Graz
and Innsbruck später zu wirklichen medicinischen Facult^ten erhoben
wurden, die den dortigen Universitäten einverleibt wurden* Die übrigen
Institute dieser Art, welche m Salzburg, Üimütz, Laibach, l^emberg u. a. ü.
existirten^ wurden ailmillig geschlossen. Damit harte die Ausbildung
TOD Ärzten der niederen Kategurie auf.
Von nun an boten nur noch die Universitäten die Gelegenheit
mm Studium der Heükuude, Gegenwartig besitzen die Hochschulen
m Wien, Prag, Graz und Innsbruck, an welchen die deutsche Unter-
richts-Sprache herrscht, die neu errichtete czechische Universität zu
Prag, die polnische Hochschule zu Krakau und die beiden ungarischen
Universitäten zu Budapest und Klausenijurg medicinische Faeultiiten;
den Hochschulen zu Lemberg, Agram und Czernowitz fehlen dieselben.
Das Josetinum wurde, nachdem es 1848 aufgehoben und 1854
wieder erütfnet worden war, nach isTO abermals geschlossen, weil man
der Meinung war, dass es nucb der Einführung der allgemeinen Wehr-
ptUebt nicht an iDütaränten fehlen werde. Diese Voraussetzung er-
füllte sich nicht, und die Wiedererrichtung einer militarärztlichen Schule
wird eines Tages vielleicht ein Gebot der Nothwendigkeit sein. Eine
Militärmacht von dem Range des österreichischen Kaiserstaates bedarf
einer ßildungsansUilt für Militärarzte, wie das Beispiel von FrankTeich,
Preussen und Russland lehrt. Ihre Form und Organisation mag von
derjenigen des ehemaligen Joselinums abweichen; aber ihre Existenz
^■bgt, im Interesse des Staates und der Armee,
^K Die Zahl der vorhandenen mediclnischen Facultäten steht zu der
1 Grosise and Bevölkerung der österreichisch -ungarischen Monarchie in
I keinem entsprechenden Verhältniss, Die Frequenz derselben ist in
!■ Folge de^ssen ausserordentlich gross; in Wien l>etrug die Zahl der
Studierenden der Medicin in den letzten Jahren durchschnittlich weit
dher 2(>00< Die Ursachen dieser Erscheinung liegen theils in dem
gumtigen Ruf, den die dortigen Lehrkräfte und Lehrmittel gemessen,
iheÜs in dem Umstände, dass viele arme Studenten in der Grossst-adt
finanzielle Untt^rstntzungen oder die Gelegenheit zum Erwerb durch
Krtbeilung von TiClctionen oder dgl. zu linden glauben. Schon Petek
458
Der m6dMm9ch$ Dni&rrieht tfi
Zeü.
I^AKK^ beklaj^6 diese namentlich in Wien sehr rerbreitete Stt«,
weil die Studierenden der Medicin dadurch ihren eigentlichen Auf.
gaben entzogen und zu einer Thfitigkeit gedrängt werden, die fftr te
fachmännische Ausbildung gänzlich wertblos ist. Wenn sie dabei njcbt
eine hervorni^^enrle Hegal)un^ besitzen, so scheitern sie an diesen HiDder-
nissen und erreichen das Ziel ihrer Studien niemals.
Es ist begreiflich, dnss die Überfüllung der Hörsäle und Kliuib
für dan Studium der Heilkunde keineswegs iorderlich ist; denn liier
gilt es, jedes Objekt, jeden Kranken zu sehen un<l genau zu beobachten
jedes Experiment mit Verständniss zu verfolgen. Mau hat daher tlaiui
gedacht, wie dem Cbelstantb\ dass die V(*rhandenen Räumlichkeiten (ier
Zahl der Studierenden nicht genügen, abzuhelfen sei. und zu dieson
Zweck den Numerus clausus vorgeschlagen ;2 aber die Schwierigkeit, bei
der Aufnahme der Studierenden eine Grenze zu linden, welche Jei
Bedingungen der Gerechtigkeit und Zweckmässigkeit entspricht, mi
noch mehr die Scheu vur der gewaltsamen Herabdrückung der Wiener
Hochschule müssen vor einem solchen Experiment warnen. Die me-
dicinische Facultat zu Wien darf nicht mit dem Maassstabe einer Landet^,
hochschule gemessen werden. Ihre Geschichte, ihre Einrichtungen, ihr
reiches Lehrmaterial haben ihr einen Weltruf verschafll>. Sie )\Mh
änen der wenigen Vereinigungspunkte, welche die Angehörigen der
verschiedenen Volker der Monarchie zusammenführen, und scheint durch
ihre geographische Lagr zu der grossen culturhistorischen Aufgabe luv
rufen zu »ein, dem Orient die wissenschaftliche Medicin Europas m
übermitteln. Die Herabsetzung der Wiener mediciriischen Schule wäre
ein Verbrecheu gegen den Staat, gegen die \\'issensi'b:ifl. geeen di#
Menschheit,
Wenn es ihr an den erforderlichen Räumlichkeiten für die Lehr-
institute fehlt, so müssen diesolliea erweitert, oder durch die Errichtung
neuer Anstalten vermehrt werdeu. Allerdings werden auch Vorkehrangen
noth wendig sein^ um uiigeeipuHe Elemente vom Studium fern zu halten,
damit die fruchtbringende Saat nicht vom Unkraut unterdrückt \vinl
Die Erhöhung der Collegieu-Honorare, welche in Österreich geringer
sind als in irgend welchem andern I>ande, keineswegs aber Idos zur
Vermehrung der Pjnnalimen der Professoren, sondern haupt.sächhch zur
Vergrösseruug und \'erbesserung der Unterrichts-Anstalten verwendet
werden sollten, die Strenge der Prüfungen und andere Mittel werden
diesem Zweck dienen.
» R FuAXK a. iv, 0. VI, l, 8. 33H.
* Tri. Bii.liioth: Aiiliurismen, Wien 1886.
Daneben ist es sicherlich wünschenswerth, dii^s zur Enlhistung- dex
ul>erföllten medicinischen Faeultäten einige neue ärztliche Scholeii er-
richtet werden, z. B* in Salzburg, wo bereits trüber einmal eine Uni-
Töntitat bestanden biit,^ die erforderlichen Gebiiude und Lehrmittel zum
Theil noch vorhanden oder wenif^rstens leicht zu beschaffen sind, und
die entzückende Anmuth und Grossartigkeit der landschaftlichen Um-
gebung die Studierenden uns weit^^r Feme^ seilest aus dem Auslände^
anziehen wurde, ferner in Brunn oder Olmütz, in Lemherg oder
t^niowifcK, in Agrain und in einem oder zwei Orten Ungarns. Einzelne
dieser Städte besitzen bereits mehrere Fiieultäten. so dass sie durch die
Hinzuffigung einer medicinischen zu einer Universität vervollständigt
den.
Im J. 1872 wurden neue Prüfungsvurschriften für das Studium
der Medicin gegelien, nach denen die gesonderten Diplome für die ein-
zelnen Zweige der Heilkunde aufhörten. Bis dahin gab es Doktoren
der Medicin, Doktoren und Magister der ('hirurgie, Geburtshelfer und
Augenärzte: doch wurde schon 1843 b*^stimmt, das,s du' Diplome in
der Chirurgie, Geburtshilfe und Augenheilkunde nur an solche Be-
X verliehen werden durtten, welche bereits Doktoren der Medicin
en oder, wenn sie der niederen Kategorie der Ärzte angehrirten,
Magisterium der Chirurgie erworben hatten, Mit der Aufhebung
fe« Standes der niederen Ärzte wurde beschlossen, künftig nur noch
eine einzige Klasse von Ärzten auszubilden, welche summtiich die
gleiche Vorbildung besitzen, denselben Studiengang durchmachen, nach
den gleichen Vorsieh rifteo gepnift und hierauf zu Doktoren der ge-
flammten Heilkunde promovirt werden, womit das Eecht zur Ausübung
der Praxis aller Theile der Meilicin verbunden ist.
Wer zum Studium der Medicin zugelassen werden will^ muss das
fjiunasium vuUständig absolvirt und das Maturitäts-Examen bestanden
n. Die Studienzeit an der Universität dauert 5 Juhre. Die Prüfungen
finden theils während, theils nach derselbi'u statt. Sie beginnen mit
tien naturhistorischen Prüfungen über Mineralogie, Botanik und Zoologie,
welche bereits im Verlauf des ersten Stmlienjahres abgelegt werden
können* Nur Derjenige, welch<'r dieselben mit Erfolg bestanden hat^
darf sich den eigentlichen ärztlichen Prüfungeu unterziehen. Die erste
umfasst die Physik, Chemie, Anatomie und Physiologie und besteht
aitö einer theoretischen <Tcsammtprüfung über diese Fächer und der
Anfertigung oder Demonstration eiu(^s anatumischen und eines mikro-
J. Müvb: Die ehemalige Umversität Salzburg, 1S59. — L. Spatzekbooeb:
In* >aixburger UuiverBitat, Sahburg 1872.
«kofmAm Pripomts, der AmMhmng einer ehenuschfn AmBifm
der Eriüanmg pbjiikaliMlier und phjiiolQgischer Appnoila
Baumim darf nielit frührr ab nedi Abtef des swäten Studien
gceebebeiir während das srciie mtd dritte RigonKtnm erst nacli
fieendij^ng d^r Htodieiixeil ab»olvin werden kann.
Üffr Candidzit, welcher sich zu den letzteren meldet b»t verpfticbti
dmeb Zeugnis^ nacbzu weisen, daas er durch je 4 Semei^ter die
dlciniiM^he und die tlürargi^he KUnik, und zwar durch je zwei
als Praktikant^ sowie mindestens je 1 Semesi^ die geburUhilfliche
die uphtlialmiatriitche Klinik als Praktikant besucht und daaj
Kigoro^ini erfolgreich bestanden hat I>aK zweite handelt uli
gemeine Pathologie und Therapie, pathologische Anatumie und Histolog
Pharmakologie und innere Medicin. und lie^teht aus einer praktiÄcheiT
Prfifung iibrr jmthologiüchp Anatumie (am Präparat und an der Leiche^
der Untersuchung mehrerer Kranken und einer theoretischen Gc
prüfiin^' libtT all«' 4 Dinciplinen. Das •Iritte Rigorusum en*treckl M
Üb*T <Jhixurgii\ Aug**nUeilkund»», Gynäkologie und gerichtliche Mrücib
und zerfallt in praktische Prüfungen am Krankenbett und an der
Leiche, z, B. rnti:r*^ijchungei) diT Kranken, Anlegen von Yerl>;'i' ^
Operationen an der Leich*% Cbun^ren am Phaot<>m it a, m, und
theoretinches Examen über ^äuimlUche 4 Pacher, An diese Prufunrt
schliesst hich dw Doktor- Promotion und die Erlaubniss zur ärztlici
Praxi* un,
AU Examinatoren wirken bei den drei arztlichen Prüfungen
Proft^Bsorcn der bctreflenden Unlnrrichtstretrenstände; ein von der
Hegierung eniannt«*r Commissar, welcher Doktor der Medicin un<l gt»-
wöhnlich ein höherer Beamter des 8ani!at^(iienstt*s4 i.st, hat die Aufgable,
«he Prntuiii^en im öfl'i'ntlichen Int^Tesse zu überwachen, Übri^'eus
wurde das Maass des Wissens . welches dabei verlangt wird, un<i <li''
hauer und Form drr Prüfungen durch genaue Instruktiv men ausführlich
i^rliiutcrL *
AriU\ welclir isirh tlem (»ffendiehHU Sanitätjjdienst widmen wull
mÜHKen ilen Narliwi^is liefern, dass sie nach der Promotion noch
de«ti»n« zwei Jjihre hindurch in einem öffentlichen Krankenli
angestellt wanni, odt-r durch drei Jahre die Praxis ausgeübt,
pätychiatnsche Kenntnij^e envorben und eine uewiss^i Fertigkeit in
AllsfBlirung der Vaccination angeeignet haben ^ und sich dann ei]
Prüfung ül»er Hygieni* und Sanitätsgesetzkunde, gerichtliche Mediti
PbjinuiikHuniosie nm\ Toxikologie, rbemie und Vetf^nnärpolizei unl
riiAA U. H, < ». >nj.p!rlit..Höft S, 647 U. ff., ti90 u. tf.
Östermek - üfi§ani§.
461
werfen, welche theils schriftlich, theils iniiiidlich, theils praktischer
Natur ist*
Eine vortrefifliche Eiiirichtiing zur Heran liildung tüchtiger cbirur-
gisi'her Operateure besteht an der Wiener Hochschule. Im J, 180T
irorde nämlich die Anordnung getroffen, dms 6 Studiereode der Ueil-
kundej welche ihre Studien mit ausgezeichnetem Erfolg absolvirfc hatttin,
«iurch zwei Jahre an der chirurgischen Klinik heschaftigt und in der
Att^fuhrung chirurgischer Operationen am todten und am lebenden
Korper unterrichtet wurden. Sie bezogen während dieser Zeit \m freier
Wohnung ein Jahres-Stipendium von 800 Gulden und übernahmen (biför
die Verjdlichtuog. ihre Kunst im Inlande auszuüben. Die Stünde mehrerer
Kronlander gründeten ähnliche Stellen für Studierende, welche aus den-
selben stammten und sich dort niederlassen wollten. Man hoffti' da-
^ itorch eine Khinse geschickter und erfahrener Chirurgen heranzubilden,
HStiche später als akademische Lehrer, als Direktoren und Vorstände
W Von Hospitalern nnd chirurgischen Kranken-xilvtheilungen, als Sanitats-
I be^mt^ oder in der Privutpraxis in den verschiedenen Theilea der
I Monarchie eine segensreiche Wirksamkeit entfalten konnten. Gleich*
I zeitig wurde am Joselinum ein solches Institut errichtetj damit auch
Ldas Heer mit geübten 0]>erateuren versehen werde, Als an der Wiener
^ttedicinischen Facultät eine zweite chirurgische Klinik gegründet wurde,
wurden auch dieser eine Anzahl Studierender zur Ausbildung zu
Openiteuren zugewiesen. Seit 1870 werden diese Stellen nur auf ein
Jahr verliehen; doch kann eine Verlängerung um ein zweites und
drittes Jahr auf Antrag des Professors der chirurgischen Klinik ge-
währt werden.
Die Bewerb*T müssen I)<>ktoren der gesammten Heilkunde sein
und in einer Prüfung über Anatomie und Chirurgie ihre Begabung für
den Beruf eines Operateurs darthun. Nur ein Th^il derselben bezieht
Stii>endiini: die übrigen studieren auf eigene Kosten. An keiner der
iden chirurgischen Kliniken darf ihre Zahl grösser als acht sein.
Ähnliche Einrichtungen wurden 1882 an den geburtshilflichen
Kliniken der Wiener Hochschule getroffen, um die Heranbikluntr ge-
.schickter geburtshilfJicher Operateure zu erzielen.
Einige Bedenken, zu welchen das medicinische Unterrichtswesen
Österreichs Veranlassung giebt^ wurden in der Presse schon oft er-
örtert. Zunächst nehmen die Vorlesungen und Prüfungen über die für
das Studium der Heilkunde vorbereitenden Wissenschaften mehr Zeit
in Anspruch, als es nach ilem Lehrpbvn der Gvmnasien gerechtfertigt
• Rcicb^eaetubUtt 18T3, 29. März, Stück 12.
efsdieiiit; deisdbe widmet nimlidi den Nstonriaseiisefaaften 90
UiLlenichtsstimdeD» Abss man Mmehmen darf, dass die StudierviH^^
wenn sie die rniTer^tät bedehen^ Tom Gymnasiiim eine aUgemeb«
patnrwiBWMnhaftliche Vorbildung mitbringen, die wenigstens in B^
aof die IDnenlogie» Botanit uml Zojlo^e so weit reicht^ dass es fibop^
Ütemg wird^ das erste Studienjahr nahezu Tallständig auf diese Dil
eiplinen zu verwenden, wie es jetzt häutig geschieht^
Auch die {jnhchtuug, da<^ diese Prüfungen ebenso wie auch
ersle Rigoro^um in die Studienzeit verlegt werden, hat einige Xich
tbeile im Gefolge: denn sie veranlasst manche Studierende, H'
die Vorbereitung dazu den CuUegien, die sie huren sollen, fort.i
Noch weit schädlicher wirkte in dieser Hinsicht die bisherige Gewoll
heit der Studierenden, ihrer Militärpflicht während der Studieiuät ii|
genügen. Allerdings wurden sie als militärärztliche Eleven den Ganusoa
Spitälern mgetheilt, damit sie im Sanitäti^enst verwendiH wurden
aber dazu fehlten ihnen die erforderlichen medicinischen Kennt
Sie wurden somit dem svstematisehen Gange ihrer Studien entriaaa^
ohne dass sie oder die Armee irgend welchen Nutzen davon hatteiL ,
Nach dem neuen Wehrgesetz sind die Studenten der Medicin reofl
pflichtete ein halbes Jahr mit der Waffe und ein halbes Jahr als Anl^"
in dienen. Das ei^e kann wahrend der Studienzeit nnd zwar inner-
halb eines Sommersemt?steKs das letxte selbstverstuidlich erst nach der
JBeeniligung der Studien absolvirt werden. Um deren l nterbrechuntr
durch den Militärdienst mit der Waffe zu vermeiden, ist es wünschens*
werth, dass derselbe entweder vor dem Beginn oder nach der Beendigung
des Universitdts-Studiums abgemacht wird.
Wenn in Wien darüber geklagt wird, dass der fiesnch der CoUegi«
von Seiten der Studierenden unregelmassig ist, so sollte man Vo
kehmngen treffen, am die Ursachen^ welche dieser Erscheinung
Grunde liegen ^ zu beseitigen. Dass an klinischen Instituten, welc
von Hunderten von Schülern besucht werden, die Form der Prakti-
kanten-Thätigkeit, wie sie jetzt üblich ist, für die ärztliche Bildung
nicht genügt, ist begreif lieh; hier könnte man an Einrieb tunß«^
denken, ahnlich der Stage an den medicinisehen Schulen in Frankrei^H
und England.* Ob bei dem Mangel derselben die gegenwärtige A^^
der Prüfung in der prak-tisehen Heilkunde» bei welcher von einer
längeren Beotmchtung und Behandlung der TOVgiealeUten Kranken
* Botnichtuugeu über uu^r medidiiiechee ünterricht^wt^^rD. Wiea 1880»
> Schon W Frank (VI. Abtfa. 2, S, 204) wöiiachce. dms alle PnmarÄrtte
I Wkoer allgiemeineu KmiiketihAttses klinischen Unterridil «etlMÜtta.
Die deutschen Mittel- u. Kleinataaten vor d, Gründg. des Deutschen Reic^ies, 463
abgesehen wird, genügt, mn die Befähigung zur Ausübung der ärzt-
Uchen Praxis zu erkennen, darf wohl mit Recht bezweifelt werden. —
Würde nach der Beendigung der Rigorosen noch eine die wich-
tigsten UnterrichtBgegenstände umfassende Schlussprüfung stattfinden,
so würde dadurch nicht blos eine ControUe der einzelnen Prüfungen
herbeigeführt, sondern zugleich die Möglichkeit geschaffen, einen Total-
Eindruck über das Wissen des Candidaten zu gewinnen.
Die österreichische Unterrichts -Verwaltung, welche eifrig bemüht
ist, das ärztliche BUdungswesen zu verbessern und durch die Errichtung
neuer Lehr-Institute und Lehrkanzeln zu vervollständigen, wird diese
Bemerkungen mit wohlwollender Nachsicht aufnehmen uud mit dem
Interesse fiir die Sache, durch welches sie hervorgerufen wurden, ent-
schuldigen.
Die deutschen Mittel- und Kleinstaaten vor der
Oründung des Deutschen Reiches.
Die politische Zerrissenheit des deutschen Reiches und die Auto-
nomie der einzelnen Länder desselben führte zur Gründung zahlreicher
üochschulen, von denen manche ein kümmerliches Dasein fristeten.
Es mangelte ihnen an Lehrern und an Schülern, und sie besassen
weder Lehrmittel noch gesicherte Einnahmen zur Bestreitung der noth-
wendigen Bedürfiiisse. Sie wurden daher auch nicht sehr vermisst, als
sie „theils in Folge eines langen Siechthums, theils durch gewaltsame,
mitunter als Vereinigung mit einer anderen Hochschule beschönigte
Unterdrückung** aufhörten zu existiren.^
Dieses Schicksal hatten die Universitäten zu Bützow, welche 1789
mit der Hochschule zu Eostock vereinigt wurde, zu Stuttgart, die 1794
mit der Tübinger Universität verschmolz, zu Bonn, welche in demselben
Jahre aufgelöst wurde, zu Köln, Trier und Mainz, denen 1798 ein
Ende bereitet wurde, zu Bamberg, welche 1803, und zu Dillingen,
Fulda und Duisburg, die 1804 aufgehoben wurden. Helmstädt, Rinteln
und Altdorf verloren 1809, Frankfurt a/O. 1811, Paderborn 1815,
Erfurt 1816, Wittenberg und Ellwangen 1817 und Herbom und
Münster, wo jedoch eine theologische und philosophische Facultät zurück-
bUeb, 1818 ihre Hochschule.
^ J. y. DOlukoeb: Die Universitäten sonst und jetzt, München 1867.
Die politisßhon Umwalztingen j^ner Periode, welche die Ijöndt
Dinitelihinils hmüg viTüfidert und manche Liintlcb-theili* bald (hcN-m
bald jenem Staat zugewiesen hatten, übt-en aucli auf das mediciniücli
UTiterrichtswGstm einen f^rossen EiiifliiMs aus. Einzelne ünivemtaU»i
wie Salzb^l^^^ Inn'^briick, \Vfirzl>urpr imd Freibur^^ wurden dadurni
einem bestiindiffeu Wechsel in ihren or^anisatiirischen Einrichtung
unterworfen, dnr für fli(^ Kntwickehm^ des Unterrichts keineswegs i
derlich war.
Be.Hsere Zustande trat<M» erst ein, HaehdeiD der Friede ennflg
worden war und die durch denselben begründeten Sr ' ' \\i
Deutsehland eine dauernde Form angenommen hatten
beiden deutschen Grossmächten Österreich und Preussen bestand
fortan die Königreiche Bayern mit den Universitäten zu I^ndshut welcl
bis 18Ü2 in Ingolstadt war und 1820 nach München verlegt wurd
XU Würzburg und Erlangen, Würtemberg mit der Hochschule zii Tfi-
hingen, Sachsen rnit derjenigen zu I^eipzig und Hannover mit der Uni-
versität Gottingen, die Grosi^herzogthümer Baden mit den UockHChules
in Heidelbei^ und Freiburg, Mecklenburg mit der Universität Bosi
Hessen mit derjenigen zu Giessen, das Kurfürstenthum Hessen mit
Hochschule zu Marburg, und die sächsischen Herzogt hümer mit
Universität Jena, das mit Dänemark vereinigte Herzogthum Schleswig.
Holstein mit der Hochschule zu Kiel, und eine groi^se Anzahl vi^
Staaten, welche keine Universitäten besassen.
Das medicinische Unterrichtswesen gestaltete ach in den versch
dmen Ländern bei manchen Eigenthüm^ n im Allg»imeinen zii*il
lieh gleichartig. Die Einrichtungen in O^,^:. ,, ii und Preussen diente
nachdem die Erinnertingen an die Fnaaiommmi verklungen waren, dei
MüHten alii Vorbild, wenn ancb bisweikii das Rtreben nach Originalität
keiTtnirat and beachtenswerthe Besaltale erzielt«*
Über die Bildnng der Ärzte in Bajem am SeblQ9 des Torigpn
Jahrhnnderls geben die medkinisehen Stndieiiplaiie, welche 1774^ 1776.
1784 and 1799 ßr die Hoehachnle in Ing^Iftedl fnrgesebrieben wurden.
giaiaiie AnbdilOss«.^ Darnach wurde Tan den Studierenden , welche
die medietBbelie Doktor- Würde aBatnebiai, eine philusciphis^be Vor-
bihhRif WQd ein dretjihrige^ FtedMoAm ferkiigt Alle drei Monat»-
wnrden sie g«prnft; das der Prwniliiii funmgehende Examen dauert«
6 StattdeiL Seil 1 78ä wurde nanr 4em nedkiniiGlicii Dnktorat auch
dir CUmiipe f«iiAn. Aber em L J. 1807, naehdem Bajem
KMfreMi erboben vot^en waiv wmde angmirebiel, daa ik
l^mkMTV ft. ft. O. L, #1« «. C
\ des Dmitsckm RMie», 465
otionen nicht mehr, wie bisher impenaii et ponHfma üMustoritaU^
iiifiern r9^ aiuetaritaie vorgenommen wurden.
Unter dem Ministerium Moutgehis wunle tlen Hochscliulen Bayerns
eine neue Organisation ge^^ehen, welche die Denkweise das Nüpoleoni-
«dien Zeitalters! wiederspiegelt Mit einem Fedenitrieh wurde darin die
alle historische Eintheihing nach den vier Facultiiten beseitigt und statt
da^tsen alle Lehrgegenständ** in zwei Klassen geschierien, von denen tue
eine diejenigen Wissenschai'ten umtasste, welche zum Begriil der Allge-
meinbildung gezogen werden können^ lüe andere die für einen beslimnit^n
Leben^iberuf vorbereitenden üisoiplinen enthielt. Jede dieser beiden
Gruppen zerhel in 4 Abtheilungen. Die erste bildeten 1) die Pbilo-
saphie mit ihren Nebenzweigen, 2) die Mathematik und die Natur-
issenschaften , 3) die Geschichtt^ (Culturgeschicbte), 4) die alten und
nen Sprachen: die zweite Klasse bestand l) aus den für die Bildung
de« reUgiöseo Volkslehrers erforderlichen Kenntnissen (Theologie), 2) der
Rechtekunde, S) den staatÄwirthschaftlichen und Cameral-Wissensi^haften
und 4) der Heilkunde.
Die Lehrkörper setzten sich zusammen aus ordentlichen und au8s«r-
ordentlichen Profesj^oren und Privatdooenti'n, „zur Aushilfe, um sie zu
Lehrern nachzubilden*^ Jede Abtheilung wählte ein Mitglied in den
Senat, welcher die Angelegenheiten der Universität leitete. Diese Kin-
theilnng deckte sich mit der früheren insofern, als die ei'ste Klasse die
von der philosophischen Facultat vertretenen Fächer enthielt, die zweite
ans den übrigen Facultaten gebildet wurde. Sie erhielt sich einige
Jahre und ging dann allmälig wieder in die frühere Form über.
Das ärztliche Bildungswesen wurde durch das organische Edikt
vom 8* September 1808 geregelte. In demselben wurde angeordnet,
„dass nur Derjenige zur ärztlichen Praxis zugelassen werde ^ der die
Prüfungen über den Theil der Heilkunst, den er ausüben will, bestanden
hat'*. Gleichzeitig wurde aber bestimmt, „dass die Wundar/neikunst
in Zukunft nur von jenen Individuen ausgeübt werdt^, welche die Arznei-
wissenschaften erlernt haben*', und den Universitäten befohlen, „Nie-
mandem einen akademischen Grad aus der Chirurgie zu ertheilen, der
nicht liereits denselben in der Medicin erworben hat**.
Die Studienzeit an der Univi^rsitut dauerte dna Jahre. Am Schlu8s
eines jeilen SemesteiN fanden Prüfungen über die im Studienplan vor-
ge»chrie1)€nen Disciplinen statt. Fielen dieselben ungünstig aus, so
mussti'n sie wiederholt werden. Nach der Beendigung der Studien er-
folgte ein Examen, Wi welclieni m*dirt^n« Fragen unter Clausur, wenn
Diöglicb in lattnni^cher S|»rache, beantwortet, ein Kranker in der Klinik
unt^'fHUcht und behandelt und eine lh«^uretische GeHammtprufung ülmr
I I
466
Der medicimsche Uhterrieht
lesten Zmi,
alle üntjerrichtsgpgenstande abgelegt mirde. Wenn der Candidat nid
blos die mHÜcinische, sondern zu^^leich die chinirginche Doktor-Wfird
erlanjjen wollt**, so mussti^ er ausserdem ein«^ chinirgiwhe Ofierati«
an d<*r Leiche ausfubn^n und ein^^n Verband anlegen* Mit '
arbeitun|L( eim^r Dissertatiuii und der Verthei<ii^ung der au y
Thesen waren dann alle wissenBchaftlichen Forderungen <*rfriIJt, wdci
der Promotion vorausgingen,
Aht T damit war kt^ineswejtp« die Benxrhti^tjn^ zur finUieben ?ni
verbunden, sondern der junge Doktor mUMs^te 8ich zu die^i^c^m Zw«
noch zwei Jahre in einem Krankenhause oder unter der AnJeittani
eines viellreschaftigten Arztes in der praktischen Heilkuoi^t veni»
kommnen und hierauf einer Prüfung unterzi*»heri, welche aus der Prok
Kelation, Uei der Hl Fratren aus der int<?rnen Mediein, Chirurt^ie, Gi
hurtshilfe, ThierarzuHikunfie und gt^rir'htlichen Me<jicin schritUieh unk
(Klausur l)eantwortet^ ein Krankheit.sfall iNdiandelt und eine mundlicli
Prüfung abgelegt wurde, und di*r r'oncur^- Prüfung bestand, w»d«;b»' dd
Zweck hatte, die tüchtigsten (Kandidaten biTduszuünden, um hI»^ für dei
8taat.sdienst in Aof^iclit zn nehmen^ und »ich haufd^achiich auf mi§
^hriftliche tlausnr-Arbeiten über Gegenstände der (iraktisi-hen MhIü
bi^schninkte. Die praktische Be^higung zur Äo^ütiung der fM.iirishill
erwarben die Ärzt^ in einer Entbindung>^in8talt.
Neli*?n den Doktoren der Heilkunde gab c;^ nocJi Uindäriie m
i'hinirgen, welche in besonderen Ijebrani<italten unt4*rriüht«t wurden.
Eine neue Studien- und Pnifungi^ordnung für die Ktudierendei
ih*T Heilkunde wurde am SO. Mai IH43 erlassen. In derselben wnn
U^immt, da«« sie nach einem zweijährigen Btudium an der liuivewiti
die AdmLse^ions- Prüfung ablegten, welche Hieb über Zoologi€, Botariil
MinenilMk^i«', rh»*mie und Phjsik en^titickte. Hierauf tw^gann dus eigFn(j
liehe medicinische Fachstudium, welches nach einer dn'ijährigirn Dau
abo nach fünQährigffm Univcräitätsstadium mit einer Prüfung ab
üehlossen wiirde^ welche in der Anatomie die Eröffnung einer tii{
grilaseren Höhlen des Korpieis and die Ilemom^tration der diirin befind
lielieB Eingeweide, sowie die B^iSchrtHbnng eines selb^^efeiiigten ua
einiger anderer osteologischer, angiolMgiseher mier ntmrologiücher Vt
parate teriangte, in den übrigen Fächeni ^ich ji^och auf !
ürlie Baaatiriifla»g der Fragen, lüc dariib^T gi«U>Ut wurden^ b*
Uanuit folgte das BienniuBi pmcticitm, w^^chrs zur AuifbUdung in Kp
^ ridficbem t^M^nntxl ttml ImipIncUifcli an klmiivAcn Li^hnin^ftalten
MMD Krajikenhiaami xoi^nelil wisdun «ollle.
Nach <ler Baend^inig das Bteuiiiiin ptvdicum i^i^chah die Hrlik
fjgMwgf ilie M die äteUr d«r PruW-aflatimi und der C4im:ai5-Prtllu
DU dmäschefi Mittd- u. Kldfistaai&n vor d. Oründff. des Deutschen Beiekea, 487
trat welche aufgehoben wurden. Der Candidat, welcher sich derselben
xmX^TKi^, musi^ite durch Zeugnisse nachweisen, dass er in der Klinik
3 interne und 3 chirurgische Falle behsindelt und bei 3 Geburteu
ägsistirt habe, und die darüber vertk^sten Krankengeschichten vorlegen,
kvar er zu der Prütimg zugelassen wurde. Die letztere bestand aus
a) einem praktischen Theile, urmilich der Ausführung von 3 chirurgi-
schen Operationen an der Leiche, der Anlegung von 3 Verliändeu und
ih»r Vornahme vt»n 3 geh urLshilf liehen Operationen am Phantum^
h) ftineii! mündlichen Kxumen ül)**r 1) Anat^imie und l*hjsitilogie,
2) Phaniiakologie und Pharmacie, 3) Allgemeine Pathologie und Tlie-
rapie, 4) »Specielle Pathologie und Therapie der inneren Krankheiten,
5) t^hirur^de, 6) OeburtJ^hilfH, 7) Yeterini\rkundf^ und 8) OfTitditliche
iledicin und Sanitrit.spolizri^ uinl ünllieh e) aus schriftlichen tlausur-
Arbeiten über Fragen au8 denselben 8 PrüfungsgegenstÄnden. Dcinm
«bloss sich die Vorlage einer Dissertatiijn, die Vertheidigung th'r
Thesen und der Promotions-AkL Der Studierenfle w-ir sfimit genothigt,
7 Jahre an der Universität zu studieren, l>evor er die medicinische
Doktor- Wurde erhielt, mit welcher zugleich die Krlauhuiss zur Aus-
übung der ar/ilichen Praxis ertheilt wurde. Auch genügte sie ffir eine
Anst4^11ung im Sanitätsflienst; ein besondi^vs Examen war dafür nicht
nothwendig. Uas PrüfungsgeschriTt lag vulistandig in den Händen der
Facultüten.
Die Prüfungsordnung vom 22» Juni 1858 führte anstiitt der Ad-
issions-Prüfung die nalurwissenscbaftliehe ein, welche schon nach dem
erst*»n Stadien jähre aVtgelegt wurde und wie jene über Zoologie, Botanik,
Miüemlogie, (' hemie und Phvsik liamlelte. Da^ zweite Kxanienj welches
nach einem vierjährigen Fachstudium, also nach einem füntjahrigen
Aufenthalt an der Universitilt folgte, unterschied sieh von dem früheren
dadurch, dass neben der Anatomie auch die innere Me<iicin, Chirurgie^
Augenheilkunde und (leburtsbilfe [iraktisch geprüft wurde, indem der
Candidat genöthigt wurde, zwei interne, zwei ehinirgische und einen
ophthalmiatTischoii Krankheit.sfail dnrdi 8 Tage zu liehaudein, zwei
chirurgische und eine Augen-Operation an der lj?iche auszuführen, zwei
Verbäntle anzulegen, zwei Scliwangere zu untersuchen, zwei geburts-
hilfliche Diagnuson und Oj>enitiouen am Phantom vorzunehmen un<I
l>ei zwei Geburten zu assistiren. Im mündlichen Examen bildet/en die
Anatomie und Physiologie selfisfstandige Prüfungslueber; die patholo-
gische Anatumit' wurde mit der allgemeiueo Pathologie, die Geschichte
der Medicin mit der allgemeinen Therapie verbunden, während die
Veterinärkunde, gerichtliche Me^licin und Sanitütspolizei wegblieben.
Da^ Biennium jjracticum wurde auf eiu Jalir eingeschränkt, w<dches
tnm Besnoh der Vcrrlesimgen OKmr gerichtliche Medicin, M<^ic4nal-Poliietr
pKVßhiutrie and ThierHrzneikuude, zur AiLs1>il<iiing in einzelnen Special-
fichem und zur Ausübung der poliklinischen Praktikanten -Thätii^kä
vi^rwendet wurde. Manche dienten während d'wi^er Zeil zugleich
Hilfsiirzte in «'inein Hospital oder bei einem Siinitatsbe<imten.
Am HchlasH des „praktiBchen Jahres" fand die Staatspnlhing staU,
welche aber nur in München und zwar einmal im Jahre ^lon mtt
am Professoren, Medicinalbeamten und praktischen Ärzten zusammen*
gesetzten und vom Mioiisterium ernannten Commission abgenommen
wurde, sich über 1) Speinelle Pathrdogit* und Th*^rapie, 2) Chirurrie,
3) (teburtshiire, 4) Psychiatrie, .^) Staatsarzneiknnde und ti) Thierheil-
kuude erstreckte und sowohl mündlich als Hohrifllich freschah. Hierauf
errolgU' die ar/tliohe Aj^|irolu^ti(>nJ
iNacij der Grünciuug des deutschen Reiches wurde in den ver-
schiedenen Stajiien, welche dazu gehören, das medicinische Studium
und Prüfungswesen «nnheitlich geregelt* 8ie behielten sich jedoch die
gesetzlichen Be,stiininurigen über die Ausbildung der Änete vor, welche
sich dem uffentlichen Sanitiltsdiensi widmen. In Bayern wurde zu imm
Zweck i. J, 1 87ti eine V^erordnong erlassen, mich w<dcher die liewerber
um eine ür/tliche Stelle im Stiüitsdienst ihn^ Kenntni^e in der gericht-
lichen Metiiicin , ürtentlichen Gesuntlheilj^pliege, MedicinalpoUzei aud
Psychiatrie sowuhl mündlich als schriftlich und durch praktische Ar*
[leiten zeigen mü^^en.
Irn Ktini^'reich Würtemberg legten die Studierenden der Mediotn
früher die erste Prüfung am 8chluss der Studien ab. Sie war raündlidi
und sehriftlieh, fand \w der med icin lachen Kacultiit zu Tübingen sUtt
und zerliel in eine uaturwinsen^elisiftlichi» Abtheilung» welche die Zuule^^n^
Botanik, Mineralugiej Physik, Chemie, Anatomie und Physiologie
fasyU», m t?inen medicinisehen Abschnitt, der über aügemeine und
olelle Palholugie. paüiologische Anatumie und Heil mit telkhre handtjlt<\
und t'inen ehirurgist-heri Theil, welcher die specielle chirurgiische I'atho-
lugie, Operationslehre und topogniphische Anatomie betraf.*
Hierauf folgte ein Jahr der weiteren praktii^chen Ausbildung. da>
zum Ht^Kpitaldieui^t und zu wiasenschnftlichen Reisen verwendet wunle,
und dann das Staatsexamen, welches von tleui Medicinal-CoUegiuui in
Stuttgart abgt^mimmeii wurde, aus einer medicinischeu, chirurgwtüiei^
imd gl*burt^shiif liehen Abtheilung bestand und nicht blü8 scfarif
' Hf^gUmm^Mm t <l. Künlgreich Biiycni \ms, H, 218« u. ff., IH43, S. <
' V. A. RiKcitK: Ui4ii MtHÜduiilw L-Ätm di<« K^Jiügrt'iehB Würtemberg,
gart !H6e,
nnd mflnfllich, f?OTidem auch praktiseher Natur war, indem Kranke
iintersucbt und liehanitelt, Openitioncii an <ier Liinbe uiLs^^eführt und
Phantoni-Übung(?n vemnstaltet wurden.
Auch im Grossherjsogthum Baden wurde die Erlaui)niss zur iir/A-
liehen Praxis durch die Staatsprüfung^ orworhen, welche grösstentheils
theoretisch war und von einer Commission aligenommen wurde , die
»ich vorzugsweise aus Mitß^liedeni des Medicinal-Collegium.s zusammen-
!*etzte. Die Doktor-Promotion war davon ganz unabhängig, geschah an
den medicinischen Facultnlteii, hot nichts weiter als einen leeren Titel
and wurde daher von manchen Ärzten gar nicht gesucht.
im Königreich Sachsen gah as irüher ausser den promovirt^n
Ärzten, welche an der Universität zu Leipzig ihre Ausbildung erhielten,
noch medicinae practici, Wundärzte und (TelMirishelferj die au der me-
dicinisch-chinirgischen Akademie zu Dresden unterrichtet wurden. Die
letztere ging 1815 aus dem Ooilegium medico-chirurgicum hervor und
bestand bis 1864,
Die medicinae practici waren eine niedere Klasse von Ärzten für
innere Krankheiten und hatten nur ein sehr beschränktes Niederlassungs^
recht. Die Wundärzte durften überall die chirurgische Praxis treiben, die
<Jeburt*shilfe jedoch nur dann, wenn sie sich der dafür vorgescbriebenen
Pröfnng unterzogen hatt-en. Auch konnten sich die medicinae practici
die liegitimation zur Ausübung der chirurgiscbi^n und geburNhil fliehen
Praxis erwerben, wenn sie sich in diesen Theilen der Heilkunde exar
mini reo Hessen,
Wer das Gymnasium absolviri hatte und die Universität bezog,
um sich dem »Studium der Medicin zu widmen^ legte nach dem zweiten
Studrenjahre das Baccalaurt^ats-Examen, welches ungolahr dem JHtzigen
Tentiimeri physicum entsprach, und am Schhiss der Studien vor der
meciicinischen Facultat die mit der Doktor-Promotion verbundene Appro-
Kations-l'rüfung ab, dio jiich auf alle wichtigen UnterTichtsg«^gen«tande
eftlreckte und ziemlich hohe Anforderungen stellte.
In den sächsischen HerÄOgthümern beistanden früher Stuatspridungen,
welche von den Examinations-Conimis.sionen in Aen Hauptstiidten der
«einzelnen Länder abgenommen wurden. Erst 1862 trafen Weimar^
Coburg* fiotha und Altenburg ein Übereinkommen, wornach das Prü-
fUDgsgeschäft der medicitüschen Facultat zu Jena üherlragen wurde.
Das Examen umfasste die wichtigsten Theile der Heilkunde, war mit
praktischen Arbeiten, klinischen Demonstrationen u. dgl. verimnden uud
endete mit der Verleihung des Doktor-Diploms, auf Grund dessen die
verschiedenen Staat^regiemngen die ärztliche Approbation ertheilten.
Im Königreich Hannover wurden die Arzt^ an der Universität zu
470
Der niedicinische ürUerruAi m dtr nrntesien Zeit
Göttinjäfen, die auf einer nie^irigeren BQdnngsstnfe steh^?nden Chirurgtso
fin ilor (*hirurgefi-Schule zu HannoTer erzogen. Die ersteren machten
nach etwa 7 S<'mest«.*rn dit^ Iloktorat.s-Prüfunik% welche sTiiümtliche
HiMipÜacher der Jluiiicin umfiisste, nlif^r keine^woj^s zur ärztlichen Praxis
Uerechtigte. Die Apprubution wurde leiliglich durch das Staatsriaaiea
erworben, welches von der von der Regierung ernannten Kxaminatiom^
l'ommission ab^n'rininmen wurde.
Auch in MeekleTihurg' exiistirteo früher neigen den Ä^^ten, die an
der Universitrit zu Rostock ausgebildet und promuvirt wurden, Chirurgiu,
welehe durch eiue Prüfung vor dem Medidnal-t'ollegium di*? milir
uder weniger eingeselirilnkle Krhiubniss zur Ausübung ihrer Kumt
erlangt hatten. Den Doktüren der Htdlkunde wurde auf Örund ihrar
Zeugnisse von der Kegiemng die firztUehe Approbation ertheilt Um
Früfungsordnung wurde aiaT noch vor der Einführung «ler deut«ch«ii
Beichsgesetze nach dem Must45r der preussischen PnifungHonliiung
umgefmdert
Im GrossherzogUium Hessen gab es nur eine Klasise von Ärzleri.
Zum Studium der Medicin wurde nur Derjenige zugelassen, welcher ibs
rivninasium altsidvirt hiitle. Die ärztlichen Prüfungen )»e8t4mdeii nxa
folgendi'U Theib^n: 1) ilem imturwisäenschattlicben Mxanuni, welche?? die
Mineralogie, Botanik, Zoologie, Physik und Chemie umfassto, 2) An
anat<»mrschen l*rütung^ widcbe theoretisch und praktisch und sehr ein-
gi'hend war, 3) der Schlusyprnfung, dir .sieb au.s schritllicben Arküten,
dem Examen am Krankenbett und der mündlichen HehluHSprufung lu-
sammensrtzte^ die mit Ausnahme der Anatomie alle Zweige der Heit
künde in Betracht zog. Jlieraiif folgte die Anfertigung einer Dimr*
tation, Vertheidigung der Thesen und Doktc^r-Promotion, mit welcher
das Recht zur Aui^üljung tler Praxis verbunden war.
In den deuischeu Stmid^n, welche keine medicinischen LehransLato
be8a.söen, wie in (Jblenhurg, Bniunsehwoig. Hamburix, Lübeck u* ü, w.
liestanden ebentiills Prürungslndiörden. wekh*^ sich aUM SaniUiisiieaniUu
und angeseheneri ArzUii zusammrnset/.len und die iirztliche Approbation
ertheilteo.
1834.
Dobkblüth: DarstpUiint' t\or inodichiiarhcn roli«oigii8«!it]efi^*btm|;, Schwvnnj
IVeuasen und das jetzige Detäsche Reidi. 471
Preussen und das jetzige Deutsche Reich.
Die brandenburgisch-preussische Monarchie erlangte im 18. Jahr-
hundert eine hervorragende politische und militärische Machtstellung.
Die Idee einer kräftigen Staatsgewalt, welche alle Theile der Verwaltung
beherrscht und zum Wohl der Gesammtheit leitet, brach sich hier bald
Bahn und erfüllte alle Kreise der Bevölkerung. Auch das medicinische
ünt^rrichtswesen blieb von dieser Tendenz nicht unberührt.
Schon 1725 wurde ein Staatsexamen eingeführt, welches bei der
Leichtfertigkeit, mit der damals an manchen Orten ärztliche Diplome
verliehen wurden, nothwendig sein mochte.^ Es beschränkte sich
übrigens auf die Anatomie und die Beschreibung eines Krankheitsfalles,
den der Candidat beobachtet hatte. Dazu kam später ein mündliches
Examen über die wichtigsten Theile der Heilkunde. Im J. 1798 wurde
bestimmt, dass anstatt der schriftlichen Bearbeitung eines Krankheits-
falles zwei Kranke in Gegenwart des Examinators untersucht und durch
4 Wochen behandelt wurden. Die Studienzeit wurde auf mindestens
3 Jahre festgesetzt.
Eine vollständige Organisation des mediciniKchen Studien- und
Prüfungswesens erfolgte i. J. 1825. Darnach unterschied man mehrere
Kategorien von Heilkundigen, nämlich promovirte Ärzte, welche nur
zur inneren Praxis oder zugleich auch zur Ausübung der (Chirurgie
berechtigt waren, und Wundärzte erster und zweiter Klasse. Dieselben
waren ausserdem zur Ausübung der Geburtshilfe und der Augenheil-
kunde legitimirt, wenn sie die dafür erforderlichen Prüfungen abgelegt
hatten.
Die promovirten Ärzte wurden an den Universitäten ausgebildet.
Sie mussten bei der Immatriculation den Nachweis liefern, dass sie diis
Gymnasium absolvirt und das Abiturienten -Examen bestanden hatten,
sich hierauf durch 4 Jahre dem medicinischen Studium widmen un<i
das letzte derselben zum Besuch der klinischen Lehranstalten benutzen.
Es gab folgende Prüfungen: 1) das Ten tarnen philosophicum, welches
1826 eingeführt wurde, sich über Logik und Psychologie, Physik,
Chemie, Mineralogie, Botanik und Zoologie erstreckte und von den
Professoren der philosophischen Eacultät in Gegenwart d(\s Dekans der
medicinischen Facultät abgenommen wurde, 2) das Tentamen medicum
und Examen rigorosum, welche in einer schriftlichen Clausur- Arbeit
und einem mündlichen Examen bestanden, über alle medicinischen
^ L. y. BömrE und H. Simon: Das Medicinalwesen des Preussischen Staates,
Breslau 18 U, I, 344 u. fS.
472
Ikr m&dicimsrhf thiitrrkhi t» der
rnterrinhtj^^r'genHtjinde handelten und zur Promotion b^rpchtigten^
t\) dk StuiiLsprüfun^', dk' nur in Berlin st*itt!aiid und dtts Re«"hl rat
rintlir^hun Tnixls ^^ah.
Wiihn*r»d dii^j Tentsiratm medicum vor dem Deknn, und dits Rigo*
nmum v<>r den Proli^uren der nüHlicinischen Facultiit abprokgt wiirdc^
^wirkU?n Imi dt^r Süuil^iirüfiin^' .»tln'oretisi'h und pniktisrh Wissenschaft»'
lit'h gt'bildfk' Manner aus allen Zweigen des lieilknndix^en Wis^ons** ik
Kxaminatoron. ProfeÄSfjren unrl andere UniverHitaLslrhrer sollten xm
l'rüfun[;st,'es(diärt jirincipiell ausjifescbk^sKt^n und höt.disU'ns nur als PrufiT
Über solche Füoher zngrla8.sen werden, welche sie nicht lehnni, Kwn
Mitglied dk8**r Kxuminsitions-(\imniisi^ion, welche alljährlich vom Jhni.
sk'rium iTnaiint wurde» durlte HingiT als 2 Jahre soirjf Fnnktionm
HUsulicn.
Dil* StaatHprfjfuii^' setzte' sieh aus mehreren Ahsehnitten /.osimnu'n,
Viru denen tier vrsiv dk Anatumie [>i'trar, di<' Üenimisiraliun des Sitih
viswrmu, die Anferli^nm^ eines anakunisehen Präpanits und die Er-
klärung antlerrr Pmj/iirak, webdie dem Prülünji? v<»ri?«*le^t wurden,
st^rlan^He, der /.weite über die innere Medii^in handell^ und in ilor
l'nti'r«uehunfj nnd Htdiandluni? von zwei Kranken durch 2-^3 Wochen,
an vvelc;b(* sirb KnijUen über tinderr Krankhi'itsfjillo ansebloss<»n, utül
iiner priiktistduMi Priit'uujyf ober Krceidirkunst beshuid, der dritk ^iih
iu iihnheher Weise mit zwei chirurgischen Krankheit^fiilleu beschäftigt*'
nod der vierte, die miindliehr *Srhlnssj>rüfung, noehnials sammüirhi"
LehrgOKonsliiutb' nnita-^iste und gleich.sani als runirollc d^r vonin-
gepuif^enen Prüfungen diente. Hierauf wurde die Berechtigung zur
Hchar^dlmiy der inneren kninkheikn verliehen. Wer auch chirurgischi-
Praxis treiben wuUie, war verpllichtet, sich noch einer chirurgisch-tert
ni^ehen Prüfung zu »inter/iehen, wtdche zwit^chrn drni zweiten miil
dritten Ahsdinitt eingeschaltet wurde und darin hestanil, dass der ('an
(lidat ein ehirurgiselies Thema schritt heb bearbeitete, seine Kenntnis
in der ()|>eiiitionskunst und Instriinietitenlrhre zeigte, einen Verbn
iuib»i?ie und zwei Operatiiuien an der I^dcbe ausführte. Wenn die
Kxiimen vorzüglich ausliel, so erluelt er das Diplom als (Operateur» in
iindeieii Falli* dasjenige als praktischer Arzt und Wun<iar/L Dm
wiirdr der Tiltd „0|»erateur" 1855 aufgehoben*
Dir \S undar/te der ersten Klasse beihirften einn ^riini:<'rrn Vllgs
meinbildiüig uiel stmlierten durch 3 Jahre an einer niedicinisidu'n KacuHj
oder einer medicinisch-chinirgischen LehransUilt; doch wurde ihnen ei^
Jahr der Studienzeit nachgesehen, wenn sie vorher zwei Jahre bindor
als Chirurgen niederer Kategorie thiitig gewesen waren. Sie erhieltcii
die Krlaubuiss zur Ausübung der internen und chirurgisüheii Fnix
J^'msam und das jdxvje Deitt^teke Hßkh,
473
nachtlem sie die Staatsprüfung liestanden liatten. Dieselbe wurde nach
den gleichen Gruinisätzen geregelt wie tliejentge für die prumovirten
jU7te und unterschied sich vun ihr nur dtidureh, dass sie keine uatur-
fris.seiischaftUuhen Kenntnisse vnnuissetzti* und ^tTirig<'re Anfonlerungeii
itn 4ic ärztliche Bildunj^ stellte, 8ie fand in deutscher Sprache statt,
jirihrend die Doktoren einen Theil der Prüfung in lateinischer Sprache
legten.
Die Wundilrztjt* zweiter Klasse erwiirlien die ffir ihren Beruf er-
fonlerlichen Ki^nntnisse theils durch die Unlerweisun^^ eines Meislers
ihrer Kunst« bei dem sie in die Lehre traten, theils dureh den Dienst
in den Militärlawirethen und Krankenhäusern oder durch den Besuch
einzelner Vorlesuntren an einer medicinischen Facultat *ider chirnrgisch-
mi-dicinischen Leliranstall, In der Pnltung, welche von den Aledu;inaU
OiUegien der Provinzen abgenommen wurde, wurde verlanj^H, da.ss der
('iinfli<lat ilrei Fragen iifuT allgemeine tiegenstilnde der Physiologie,
MaWria medica ei chirurgica und Keeeptirkunde, über WiederlKdebungs-
v»>r8uche bei Scheintodten^ Hilfeleistungen hei plötzlicher Lebensgefahr,
vorläufige Aiu>rdnungen beim Ausbruch vnu Lpidemien u. a. m, unt^r
Ctousur schriftlicb beairtw ortete , den Situs viscerum demonstrirte^ ein
inat^^mische« Präparat anfertigte uu<l andere Praparatt^ die ihm vor-
gelebt wurden^ erklärte, eine kleine t>perafion an der Leiche ausführte,
mm Verband anlegte und am Krank^^n büulig vurkommende chirur-
gische KrankheitszAistünde, wie l^nt/aindungen, Kiterungen, Hernien,
Beinbrüche^ Verrenkurjgen, Brand u. a. m. diaguosticirte.
Die Berechtigung zur Ausübung der Geburtshilfe wurde nur an
promuvirte Ärzte und Wundtirzte erster imd zweiter Klasse, also an
Personen verliehen, welche bereits zur arztli(;hen Praxis in gewissen
Beziehungen legitimirt waren. Vor der Prüfung, der sie sich zu diesem
Zweck unterzogen, miLssten sie den Nachweis liefern, dass sie eim^n
vollständigen Cursus der <ieburt*>hilfe absohirt und zwei Geburten ge-
hoben hatten: hierauf wurden sie veranlasst, drei Fragen aus diesem
Gebiet schriftlich zu beantworten, ihre Fertigkeit im Touchiren am
Phantom und an der Schwangeren zu zeigen, die Weudung und die
ExtTBktion mit der Zange am Phantom auszuführen und eine münd-
liche Prüfung über Gtiburtshilfe abzulegen.
Zur Ausübung der Augenheilkunde wiu" jeder Arzt und Wundarzt
vi'htigt, welcher die chirurgische Praxis >)etreil>en durfte. Ein be-
deres Examen über Augeoheilkimde war daher nur für diejenigen
irzte Torgeschrieben, denen ein chirurgisches Diplom fehlte. Es bestand
darin, dass 2 oder 8 Fragen über die Anatomie und Physiologie des
Auges schriftlich beantwortet, einige Augeuoperationen an der Leiche
W
(rciTiiirlM, iUv Ki'iintnfsg d<ür erforrierlichcn Instrumente dargelegt
•firi ninrMlIichi^s Kxfuiii^n \)\m Xx^^mheükuntlv abgelegt wunle.
Im nUV'nilitjht^n SunitalHdiiinst wurden nur promovirt^ Änli^ unj
\\ iirMljirztc itsUt Klasse ufiRe^tdlr, welche zur Aanühung aller Tbeilp'
t\vr ar/lliohf'ii I*nixi.s hefu^:» waren. Dir' ersteren wurden Phvsicj^ the
Inijiteren fornn^isohp Wuudar/tc genannt Die Bewerber uiu Stellfl
dit'jier Art luujwicn 4 Aiifp-i'^en aus der jj^erichtliehen Medicin *ehr
liearbeiten, wozu ihuvn rin Zeitraum von mehreren Monaten geirilitj
wurde» eine p^rirfitÄilr/tliehe OlMiuktinri vornehmen, eine Apoüieke Ti|
Mrt»n, ihre diuijnusti^rlien und therapeutischen Kennii
hoilkundr praklisrh bekunden und eine Prüfuni^' ubn
lUdep'n. Im Jahre !H5(» wurde anj?eMnlnet, dass nur diejenijEren Ar
Wekhe in der Staat däi^ Tradieat ..v h" erhalten
«üfurl nneh der \\^ n zum Physikat^-i zugdassGü wn
wUimnd die iVbrigvn damit einige Jahre warten mussten.
IHiMtt diirob mw% tissmkMmm OoailiiiifttiiMien «dir was^h
Vnmntmplitm InOte mmdkt t^Vebttnde im Gcfidge. Ks mMei
Am» in «b^ Mmp«' tu Gmppeo, zwisdiin deBM GMipotanz-iWUiktc
UMVWsililtrielirfr durch «äi
Aiurtlhw Kmnnfalttlidh
dfo IkMltitm henb, kränkte
Miartianien^ indem
beim Slulsexamen
wekhe dabei thitig
diesem Amt nur ^teo
wii|st vhm j^Pfifwt nivn^
vmi «dtlQgtp die Prüfu894)uididateBm
m Bmttft« 4er mit fidiea Unkc^ton
lliM^ Git«4r m %V
1^4$
ii^<i
Iimk 4s aaok GMataeUniif
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Uhr.
iler Wmii^
Ante
^ a
■r int*
Preussen tmd das jetzige Deutsche Beick. 475
philosophicDm, das Tentamon medicum und Examen ri^orosum und
endlich die Staatsprüfung ablegen. Die letztere setzte sich zusammen
aus den einzelnen Abtheilungen derselben, welche bisher für die pro-
movirten Ärzte und Wundarzt« vorgeschrieben waren; doch wurde der
chirurgisch-klinische Abschnitt mit der chirurgisch-technischen Prüfung
verschmolzen, und das geburtshilfliche Examen als besondere Abtheilung
in die Staatsprüfung aufgenommen. Dieselbe bestand also aus dem
anatomischen, medicinischen, chirurgischen und geburtshilflichen Examen
und der Schluss-Prüfung, zu welcher nur Derjenige zugelassen wurde,
der die vorhergehenden mit Erfolg bestanden hatte.
An dieser Prüfungsordnung wurden später einige durch die wissen-
schaftlichen Bedürfnisse geforderte Veränderungen vorgenommen. So
erhielt die anatomische Prüfung i. J. 1856 durch die Aufnahme der
Physiologie eine andere Gestalt und bestand aus einem anatomischen
Theile, nämlich einem osteologischen und einem splanchnologischen
Extemporale (Situs viscerum) und der Anfertigung eines Nervenpräparats,
und einem physiologischen Abschnitt, welcher zugleich die Histologie
umfasste.
Im Jahre 1861 trat an die Stelle des Tentamen philosophicum, wel-
ches aufgehoben wurde, das Tentamen physicum, bei welchem die Ana-
tomie, Physiologie, Physik, Chemie und die beschreibenden Natunvissen-
schaften, also die Mineralogie, Zoologie und Botanik, die 5 Prüfungsfächer
bildeten. Es sollte unter der Leitung des Dekans der medicinischen
Facultät stattfinden und nach dem zweiten Studienjahre abgelegt werden.
Im Jahre 1860 wurde angeordnet, dass jeder Candidat bei der Mel-
dung zum Staatsexamen den Nachweis liefere, dass er die chirurgische
und die medicinische Klinik durch je zwei Semc^ster als Praktikant
besucht hat.
Das Examen rigorosum blieb als Facultäts-Akt neben der Staats-
prüfung in unveränderter Form bestehen.
Von den Universitäten, welche Preussen im Anfang unseres Jahr-
hunderts besass, schienen einige wegen ihres spärlichen Besuches und
der Nähe anderer, günstiger gelegener Hochschulen überflüssig zu sein.
So zählte i. J. 1805 die Universität zu Erfurt bei 41 Lehrern nur
21 Studenten und diejenige zu Duisburg bei 12 Lehrern gleichfalls
21 Studenten; stärker besucht waren die Hochschulen zu lYankfurt a/0.,
welche 1797 bei 21 Lehrern 174 Studierende hatte, Erlangen, wo
40 Lehrer und 202 Studenten waren, Königsberg mit 26 Lehrern und
3M) Studenten und Halle mit 48 Lehrern und 762 Studenten.
Nachdem die Universitäten zu Duisburg und I]rfurt aull-^eli •'•♦•?!,
Erlangen au Bauern abgetreten unJ Wittenberg mit Halle, fra.k-
ftirt a/0. mit Breslau verschmofeen worden wftr, blieben Ton den #
Hochschulen nur Kfniigsberg, Halle und Bmslmi übri^, wo aW m\
1811 eine mediciniHche Facaltat errichtet wurde. Dazu kBmen
Universität zu Greifswald, welche mit S^hwediäoh-Pnmmern untt^r
preussische Herrschaft gelangk% un<I »lie zu Berhn und B^nn, weld
neu gegründet wurden.
Die Berliner HocLschule trat i* J, 1810 ins liehen, währei
Staat in Folge der Niederlagen von Jena und Auer^tädt um die
seine« frilheren Umfiinges verkleinert und zum Theil vnn feindlich«»«
'l'njpiien henotzt war Ks war sicherlich eine )w?wtinderangBw6niige
Kr.Hchemung, dans man in einer nolchen Zeit ailgemfiner Niederg^selltagen*
heit daran denken konnte, der Wis^ensc^haft Tempel zu erricht«ii; üie
zeigte welchen Mnth, weleh** moralische und Intel lektnelle Kraft man
bestall, und wie fest und sichiT man auf «iie Wiedererhebung dci
Staaten holTte und baute. ^ Die medieiDische Facultat der Umvermtü
Berlin entwickelte sii^h aus dem Kollegium medim-chinirgicum, an
welchem i. J. IHOH vor dem Ausbruch des Kriege« bereits 18 ordt^ai
liehe und 2 ausserordentliche Professoren lehrten* Sie übernahm ei
Theil ihrer liebrkrdfte und Lehranstalten und sorgte dafür, das«
selben durch die Berufung hervorragender <i<dehrter, wie B^etl, Hi
LAND, RuDobPKi u, A. uiid dwrch die Vermehrung der wmsenadiaftUrJtpn
Infäfitute ergünxt nnd vervollstiindigt wurden.
Die militärär/J liehe BibitingHanstalt zu Berlin, welche 1795 ai
Görcke's Veranlassung eine vortreffliche Orgamsation erhaltc^n hatti^'
wurde mit der Universität in der Weise verbunden, das« ihre iiöglinge
an dem Unterricht, der dort ertheilt wurde, Theil nahmen. Dieselben
schieden sich in solche, welche m pnjmovirt**n Ärzt-en ausgeliiWel
wurden, und in solche, welche den Lebrcuryus für die Wundärzte erster
Klmni* abHohiri.en, Nach der Aufhebung der letzteren Kategorie des
Heilpersonals horte HUf*h die Ausbildung derselben ffir die Armee »iit
Die AnstjiU besteht heut als Conviki unter militÄrärztlicher lieitiing.
Die Studierenden erhalten vom Staat freie Wohnung, unentgeUhch<»n
Unterricht unfl zum Theil sogar ünanzielle Unterstützungen während
ihrer Studien und übeniehmen dafür die Verptlichtung, später eine
wisse Anzahl von Jahren in der Armee zu dienen. Die Übenvacbui
der Studierenden wird Militärärzten übertragen, welche sich dartih
' Rü*>. KijviHK,i Die Gründung diff Friedrich- Wilhclms-Uüivcjiiitat xu Ii«ri
Berlin 1860.
* J, D. E. Pekubk: Dab K, Freuis. medidniflchchirurgiache Friedrich *WU'
hdoid Institut zu Berlin, BorUn 181», 8. 28 a C
I
Be^btmg und Geschioklichkeit auszeichnen; sie begleiten die Zöglinge
in die Vorlesungen, wiederholen mit ihnen den Inhalt derselben und
erhalten anf diese Weise die ^Gelegenheit, ihre eigenen medicinisohen
Kenntnisse zu befestitren und zu erweitern. Unsere Wisseasehaft ver-
tknkt dieser Einrichtung niiinchen hervorragenden Forseher und Uni-
verätati^lehren
Die jüngste der preussischen Universitäten ist diejenige 7A\ Bonn,
welch© i. J. 1818 gegründet wurde. Sie war ein Bedürfniss für die
westlichen Provinzen, welche von den östlichen raumüch getrennt
waren und ausser der theologisch-philosophischen Lehranstalt zu Münster
keine Hochschule besa^sen.
Die politischen Ereignisse von 18tU> hatten die Vermehrung der
preussischen Universitäten um diejenigen zu (lottingen, Kiel und Mar-
"bUTg zur Folge, welche mit Hannover, Schleswig-Holstein und Kür-
bissen anter die preussiscbe Staatsverwaltung kamen. Als nach den
glorreichen Siegen von 1870 das Elsass wieder mit Deutschland ver-
einigt wurde, wurde die Universität Strassburg nach dem Muster der
deutschen Hochschiden reorgankirt und in die Zahl derselben auf-
genommen, üire Ausstattung mit reichen Lehmiitteln und hervor-
ragenden Lehrkräften haben ihr bald einen bevorzugten Platz unter
Urnen verschafift
Mit der Errichtung des Norddeutschen Bundes, welcher durch den
Eintritt der süddeutschen Staaten i. J. 1871 zum Deutschen Reiche er-
weitert wurde, erfolgte eine einheitliche Organisation des medicinischen
Studien- und Prüfungsweaens. Auf Grund <les §. 29 der Gewerbeordnung
?om 21. Juni 1869 wurde der Beschluss gefa^st, dass fortan nur die
Central beb Orden derjenigen Bundesstaaten, welche eine oder mehrere
Universitäten haben, befugt sind, tlte Approbation zur Ausübung der
ärztlichen Praxis zu ertheilen, und zwar nur solchen Personen, welche
die ärztliche StaaLsprüfung besüindeu haben.'
Dieselbe kann an jeder zum Deutschen Keieh gehörigen Universität
yi werden» Die Prüfungs-Commissionen werden von di*m vor-
en Ministerium alljährlich ernannt; sie bestehen aus Fachmännern
aller Zweige der HeilkTinde, vorzugsweise den Professoren und Docenten
der betrefTenden medicinischen Facultaten und einem Vorsitzenden, der
die Verhandlungen leitet und ul^erwaeht. Di(* Medi^-inal-f 'öUegien uinl
Examinations-Commissionen, welche tusher in den Hauptstädten der
verschiedenen Bundesstaaten die arztüi-lie Sta<itsprüfung abgenommen
hntten, stellten diese Thatigkeit ein, uo<i das nipdieinisehe Staatsexamen
H. EuLUKUcitu: Dttö Metlieimilweaeii in Pn'ii^.sen, ilcrlm 1874^ S. 309 u. i\\
476
Der medidmaehB IMimrriM in der nmisaien Zeit,
mirde eij^entlich m eim Ton den Staatebehdrden beau&icfatigte Faeoltil».
prufiing umgewandelt.
Wer sich derselben unterziehen will, muss den Kachweit^ fahn
diiss er di\s Gymnashim alisohirt, dus Tentamen jdiysicnm bet^iaiiileo;'
die klinische Pmktiknnk'n-Thiitigkeit <iiirch^'emiit!ht und hei vier G^_
hurten assistirt hat Da^^egen ist er nicht mehr, wie Irflher, verptliehla
(la^ Examen ritjoruKuni ahzulc^'cn und die Doktor- Wfmle zu ♦»rwiTlm"
Ali*^nüngti Idieh den FaimUäten das Heidit, dit*8el)ie nach «Mn^r vorai».^
gegangenen Prüfung zu verleihen; aber ditns kann ebensowohl n»
<lem Staatseramen ge^ehehen als vor (h'nisf*lt*en und ist nur nuch
altes Herkommen, nicht melir eine gesetzlich vori:e.s(^hriid)fnr» V.m
riohtung.
Die Staatsprüfung wurde in fünf Ahnchnitte eingettn-ilu Der ei
umfasste die Anatomie, l*hy?5ioh*gie und [mtjiob^gischc Anatomie
bestand in der Demonstnition eines osk^ologii^chen und aine^ ^plancha^
logischen uml der Anfertigung eines Nerven-Pnlparats, in der Im
einer histologischen und einer |ib>siologischen Aufgabe und dt^r
Fertigung und Erklärung eines hi^^tologischf^n PnipanitH, in der Hekti
einer Leiche mit Angai»** iler patlinlogisch-anatorniHchen Krgehniv*e im
dej* Herstellung eines pathulogisch-biüt4dogischf»n Pra|»araUi; die zw<^tt
Abtheilung l>etmf die Chirurgie und Augenheilkunde und verUag
ditös der ("andidüt zwei Kranke rlun:h 8 Tatje »»ehandehe, die
schriftlich liearl>eit<*t4», eine akiurgiscüe, mit der Ausführung mi
Operation au der Ijeiche verbundene Aufgaii**, nowie eine Aufgatie üln
Frakturen und Luiationen leiste, einen Verband anleimte und oinei
Augeuleidenden uüter>;uchte und Ijehandelt^v; der dritte Abschnitt
.Huhäftigte mh in der gleichen Weisi« mit der inneren McMJiiün ufl
lofderte neben der Behandlung zweier Krankheit^tTtUe die Beantwoit
mehrariT Krägim nuä tier JtUlena medjca. Toxikologie und liecepti
kunsl; der vierle Absehnitl toinf die Gilmrtshilfe und (.rvnakolog
und Terbokgto die Leilmg euMur Gebort, die B^^handlung df- r WM
nerjn and die Aosftthnmg njagehmtehilflichen Operatiunen am Pliant^
die mundliehe Sei]
bildet4V efsUwklt iiok ober illgeme
di^ vdebe den füntlen Absein)
I töid ßfemik Patbologfe,(;hirur
^k Ot^burtohUK Untern «edki.
StMlmmipanmie oder Hy giene. Die AiM
^^^ ti»ben wanke na Tlwfl imA im Loos IwsttBunt Wvr
die StajdJ
V^ \m\t\ins mit JMtig alileete.
cfUeU ifa» Ui^hi. äch Am
»1 neundH
■ »iMT iik<tit den IMm^TUL
9
■ Will «r 4m leblBnB m
ingn^ m mmm er deiiflelben
von iTKflifl
^^ «inrr m<><liciui«clmi FlMoltit <
MweibM, Uk' Bedin^ungim, unter weleli^l
iiucteeii Üfi<n YemAieden.
I>ie wis«4eiH
I^eussen und das jetzige Deutsche Reich, 479
schaftlichen Anforderungen bestehen im Allgemeinen in einer münd-
lichen Prüfung über die wichtigsten Fächer der Heilkunde, in der
Ausarbeitung einer Dissertation in deutscher Sprache anstatt in latei-
nischer, wie dies früher üblich war, und in der Vertheidignn^r der
aufgestellten Thesen.
Mehrere wichtige Änderungen in diesem Prüfungssysteui brachten
die Verordnungen vom 2. Juni 1883. Zunächst wurde bestimmt, dass
die Mineralogie als Prüfungsgegenstand aus dem Tentamen physicum
fortgelassen werde, weil alle Regierungen und Facultiiten darin überein-
stimmten, „dass die Mineralogie von allen Zweigen der Naturkunde
dem künftigen Arzt am fernsten liegt und derselbe das Wenige, was
er aus dieser Disciplin wissen muss, in den Vorlesungen über Chemie
und Arzneimittellehre erfahrt" Auch die Prüfung in der Zoologie und
Botanik wurde eingeschränkt und angeordnet, dass sie zusammen nur
als ein Prüfungsgegenstand betrachtet und nur eine Note über beide
Fächer ertheilt werden soll. Man ging dabei von der Überzeugung
aus, dass der Botanik und Zoologie ein gleiches Gewicht für das
medicinische Studium und eine gleiche Berechtigung für den me-
dicinischen Jjehrplan wie der Physik und Chemie, ganz abgesehen von
der Anatomie und Physiologie, in keiner Weise zugestanden werden
könne, dass es ungerechtfertigt erscheint, von einem Studierenden der
Medicin im vierten Semester neben genügenden Kenntnissen in der Ana-
tomie, Physiologie, Physik und Chemie auch noch befriedigende Leistungen
auf den ganz ungemein ausgedehnten Gebieten der Botiinik und Zoologie
zu verlangen, und geradezu unmöglich ist, dass dcTselbe in diesen beiden
Wissenschaften den Anforderungen eines Fachprofessurs ohne Vernach-
lässigung der für seine Zukunft viel wichtigeren übrigen Fächer Genüge
leistet Aus diesen Gründen wurde sogar der Antrag gestellt, die Prüfung
über Zoologie und Botanik den Studierenden der Heilkunde überhaupt
zu erlassen, jedenfalls aber nicht von den Vertretern dieser Fächer,
sondern von einem Mitgliede der medicinischen Facultät vornehmen zu
lassen. Diese Erwägungen führten zu (hau Beschluss, dass der Prüfling
in der Zoologie hauptsächlich die Kenntniss der Grundzüge der ver-
gleichenden Anatomie und Physiologie, und in der Botanik eine Über-
sicht über die systematische Pflanzenkunde, namentlich mit liücksicht
auf die ofücinellen Pflanzen, und eine Kenntniss der Grundzüge der
Anatomie und Physiologie der Pflanzen ])esitzen soll.
Selbstverständlich werden Personen, welche an einer deutschen l'ni-
versitat das Doktor-Diplom in den Naturwissenschaften erworben haben,
von der Prüfung in diesc^n Fächern im Tentamen pli}sicuni^(lispensirt
Dasselbe ist mündlich und mit keinen praktischen Arbeiten verbunden.
0Melixeltig wmd« 4te fiedmgniigcii fftr die Zula^simg mr Staati.^
prAfkmg Tenioliiift und eine ssidere Eintbeilung derselben ebgefOhil
Der Ciadidel mum gegeiiwirltgr iri*im er «ich dazu meldet» naehwaigen,
itm i>r mindeitaii 9 Seme»!^ anglaiU, wie früher, nur 8 den mic
dksiiiisehen Stadien gewidmet und je zwei Semester au der cbirttrgii$chp&,
medicüiiftcboii und ^eburUhilfUchen und ein Semetiter an der uphthal-
nyitneeben Klinik als Pral^tikant thatig gewesen ist, und dass min*
deiten» 4 Semester Terflossen sind« seitdem er da$ Tentamen physicum
abgelegt hat Im Jahre 1887 kam hierzu noch die Forderung, da^ er
aieb div zur Ausübang der Impfung erforderliche Fertigkeit erwor-
ben habe.
Die StfiaiBprüfung zerfaUt in folgende Theile: I) Normale Anatomie,
2} Physiologie, 3) Pathologische Anatomie und allgemeine Patholügi«,
4) Chirurgie und Augenheilkunde, 5) Innere Medioin und Heilnuttellehre,
6) Oel>urtsliilte und Gynäkologie und 7) Hygiene, In der Anatomie,
PhjsiolojL,'ie und ptithologisehen Anatomie prüft nur ein Exuminat<>r,
In den übrigen Fächern dagegen zwei. Der Inhalt der Prüfuni^? th
acheint nur in einzelnen Absclinitten, z. R in der Anatomie, Chirurgie
und tleliurtshilfe, gegen früher ein wenig vermehrt Wenn der
Examinund in einem Fach durchfallt, so muüs er sich darin nacli
einem liest immten Zeitraum nochniak prüfen lassen; versäumt er di^
ao verlieren auch die ül)rigen^ liereite erfolgreich be-standenen Tl
der Prüfung ihre Geltung,
Hinzeine Bestimmungen dieser Prüfungsordnung müssen Bedenl
iTregen. Hierher gehttrl zunächst die Fixirung der Studienzeit
\^ Seinester, walireiid sehon vur Jahmehnten dieser Zeitraum in mehrei
Huridesstiiaieii auf lU Semester bemessen war. Die medieinische Wissen-*
Hchufl hat seitdem an Umfang und Tiefe sehr bedeutend gewonnen,
und die Anftirderun^'en, die an das Wissen der Ärzte gestellt wenioiu
!<ind daher nieht viTmiiidertr, sondeni im Gegentheil ausi»erurdentM
vermehrt, worden. Will man überhaupt eine Iwstimmte Studienzeit
lesit^etzen, su sind 1(> Semester das Mindeste, was gefordert wenlen kftna
Dazu kommt^» dass das Semester, welches gegenwärtig zum Waffi*n-
diennt verwendet wird, gewuhiilich in die gesetzliche Studienzeit Mt
und in dieselbe eingeret^hnet wird. Dit*ses Zugeständniss ist kein-
genH^blfertigt, da die Studierenden während der Erfüllung ilirer }\
Pflicht durch Aufgal»en, welche sie körperlich und geistig voll^i i i
in Ansprurli nehmen, vom Studieren abgehalten werden,
Befreuulen ern^gle die Verordnung, dass die me<licinifichen Studien
lediglich an den lluiversit4ten dt^ Deutschen Reiches abtsolvirt werden
mü^en. FiXt Juristen, welche s|iäter ab Stu;it^lieamt4!t thatig )«iid,
^
I^eussen und das jetzige Deutsche Reich, 481
würde eine derartige Bestimmung begreiflich erscheinen; den künftigen
Ärzten y deren Beruf einen internationalen Charakter hat, sollte es ge-
stattet werden, auch ausländische Hoclischulen zu besuchen, wenn sie
dadurch ihre Bildung vervollständigen und ihren Gesichtskreis er-
weitern.^ Gerade das deutsche Volk hat sich bisher dadurch aus-
gezeichnet, dass es sich gegen die geistigen Bewegungen der übrigen
Völker nicht verschloss, sondern deren Errungenschaften in sich
aufnahm.
Eine eigenthümliche Stellung nimmt das Doktorat zum me-
dicinischen Prüfungssystem in Deutschland ein. Da es weder zur
ärztlichen Praxis berechtigt, noch eine Bedingung für die Zulassung
zur ärztlichen Staatsprüfung Lst, so erscheint es eigentlich überflüssig.
Will man mit der Aufrechthaltung des Doktor-Titels den Gewohnheiten
des Volkes entgegenkommen, so muss man denselben Jedem verleihen,
der das ärztliche Staatsexamen bestanden hat. Soll er aber eine Aus-
zeichnung far hervorragende wissenschaftüche Leistungen sein, so ist es
nothwendig, dass die Anforderungen an das Wissen Derjenigen, welche
sich darum bewerben, wesentlich erhöht werden.
Eine ausserordentlich glückliche und zweckmässige Einrichtung ist
es, dass das Prüfungsgeschäft hauptsächlich den Facultäten, deren Mit-
glieder durch ihre Sach- und Personalkenntniss ohne Zweifel dazu am
meisten berufen sind, anvertraut und dabei doch der Staatsbehörde der
berechtigte Einfluss gewahrt wird, den sie im Interesse der Bevölkerung
ausüben kann und soll
Manche Einzelheiten der Prüfungsordnung könnten vielleicht ver-
bessert werden. So mag es zweifelhaft sein, warum in den Prüfongs-
gegenständen der praktischen Heilkunde zwei Examinatoren erforderlich
sind, während für die übrigen je einer genügt, da dadurch das an
manchen Orten nur spärlich vorhandene klinische Material über Gebühr
in Anspruch genommen wird, zwei gleichwerthige Examinatoren kaum
irgendwo zu finden sind, und die Überwachung oder ControUe des einen
Prüfers durch den andern hier ebenso wenig als in den Disciplinen der
theoretischen Medicin nothwendig erscheint
Auch die jetzige Form des letzten Abschnitts der Staatsprüfung
befriedigt nicht Mit dem gleichen Recht, wie die Hygiene, könnten
auch die Psychiatrie, die gerichtliche Medicin, die Thierheilkunde und
andere Fächer den Anspruch erheben, unter die Prüfungsgegenstände
aufgenommen zu werden.
Gegenüber diesen kleinen Mängeln, deren Richtigkeit übrigens
* K. K0E8TEB: Die Freizügigkeit der Studierenden der Medicin, Bonn 1884.
PrflciiUANN, ÜDierricht. Hl
Tielleicht noch zu erproben ist, besitzt das medicmiHcbe ünterriclite.
wmim Di3üLstliliind8 so viele Vorzüg^e, diiss es in andern Iiiml**ni imt
Ut^cht als niu^torhuft gilt unil ntU'hgt^ahnit winL
Italien.
In der Lombardei und Yenotien war das medicinische riit^^nü tjt>
Ren fniher vollständig nach usterreichisohem Mu-^ter or^'anisiri.
ttii^dii^inisi^hen FacuMten zu Paduu und Pavia standen in regem Yer«!
kehr mit den Universitäten der nhri^^»*n Kronlfinder des n^terreichisrheii
KrtiserstaatoH und verdaukt^*n ihnen manche wissenschaftliche Anrt?gun§
und Forderung'. Die Fürsten aus dem österreichisoben HernicherhÄU
riehtoten. wie Ludek^ bemerkt^ ,ähr Augenmerk auf eine gute Gin
richtunj; und Hrliultun^' der öffentlichen medicinischen Anstalten".
Im Kirehenstaat dauerte das medicinische Studium niieh ein«
Ven>rdnung des Pabst^^s Leo XII. v. J. 1824 vier Jahre; hieniuf ki\^
die Pruraoüiin zum Di)kt<>r der Medicin. Wer sich mit dem Doktor
der Chirurgie l^egnügte, studierte ein Jahr weniger und beschäftiijl
sich haupt^lchlich mit den für seinen künftigen Beruf erf«
Unter rieht^gegeiii^äuilen. Mit der Promotion irar nicht die Bei\ c. .k-üK
xur äntlicben Prauds verbunden , sondern m «mrd«* dazwischen nm
Am Bieuoium pt^otiomii (9iQgweluülel| wdoll« xum fiöiiifih der Klinikni
und mm H€«pitaMi«ist benutet wurde;
In Tiie»i]ii bestesd dir (anrichtiuig, 4$m die Hedidner 4 Jah
m der HodMli«li n Simui^ odiff Fm ^Mktim und sieh Umiif
fVatM^liiiti; Hofft f^mdien msk Fhirmi begak«, wn m in dm
d«ai Ospedale di S. Maria nooia verbnadeiiai InsliliileQ Qi
efhtelt^üi« skli in der HtdltaMl wdHa uumVOim itod n
Die CollegMi, vfMie m dtr UBtracstlü h^mtkt
um ?«iK«BhrKken. Frtfttngw« «dobe aoi SeUnai
j^im Jilufs alalttuiAMi, m^sAimim dnn&ber, «b der StvdifiMM
düM V^rtMyitia dei fnlgiaim Jüit^mg^ mgiliinpn innde. Ni
mtß er io Ftorenx d^
ab.
HiFCnif Mittet dk All
t- ir.
CW
^ OtttoiTiefc« m ItaÜea t
1>M*
1411
nrbeitung und Vertheidififting von Thesen, die Doktor-Promotion und
dif Erlaulmiss zur äatli<'hen Praxis.
Ahnlich war es in andern Staaten Italiens. Der Einflu^s fteter-
rt*ichs und Frankreichs, welcher sich auf vielen Gebieten der Verwaltung
geltend machte, zeiirtt' sich auch in den EinricJitungen des medicinistlH'n
Stadienwesens.
Als sich die natiaiuUen Hoffnun*2fon Italiens erfüllten und ilie
einzelnen Theile desselben zu einem p^olitisehen Gemeinwesen vereinigten,
vrarde eine einheitliche Organisation der medicinischen Unterricht^i-
vemraltung ermuglicht. Dieselbe ertblgte bereits am UK November 1859
imd war der erste Spatenstich einer ^russen Ciiltiir-Arbril, rlrreii Früchte
mehr und mehr an das Tag:eslicht treten.
Gex" besitzt Italien 17 vom Staat und 4 von den Städten
oder Lau - :..: Ji erhaltene Universitäten. Die Staat^universitaten
werden in diejenigen erster und zweiter Ordnung geschieden. Zu der
f^rstten Klasse gehören die HeclLSchulun zu Rttm, Neapel^ Turin, Bologna,
Padua, Pavia, Pisa und Palermo, zur zweiten diejenigen zu Oenua,
Modena, Parma, Macerata^ Siena. Cagliari, Sassari, Catania und Messina,
Die letzteren sin«! zum Theil nnvidlständig, d. h. nieht mit sümmtlithen
Facultaten versehen und besitzen weniger Lehrkanzeln und eine ge-
ringere &ibl von Studierenden, als die ersteren. Die sogenannten freien
Universitäten btdindrn sich zu Perugia, Urbino, Camerino und Ferrara.
Ausserdem kumnit noch das Instituto superiore zu Florenz in Betracht,
welche.** ebenfalls mit klinischen und anderen medidnischen Anstalten
vtTbnnden ist und Gelegenheit zum Studium der Heilkunde bietet.
Überall fehlen die theulogischen Facultaten^ da dit* Äasbildung des
Klerus L J. 1873 den Universitäten genoninicu und den bischöflichen
Seminarien übertragen wurde. Man unterscheidet vier Faoultäteny
■r; iHch die juristische, medicinische, matliematisch-naturwisaenschaft-
und linguistisch-historische.
Üas Studium der Medicin dauert U Jahre. Die Studierenden
iXBSim sich b«M der Immatriculation über ihre Vorbildung ausweisen.
Wenn sie das Gymnasinni und das Lyceimi, welches «Hwa den drei
obf^ren Khi^en des deutschen 0} runasiums entsp riebt, nicht absolvirt
tjotl auch keine gleich wert hige Bibliing iTWorl^en haln-n, st> werden sim
nur zum Bedach der Vorlpsiingcn^ nYwv nicht zu den Prüfungen und
zur Promotion zugelassen. Den Studierenden wird ein Studienplau
♦ r "n, knneswegs jedoch vorgeschrieben. Sie werden nur in den
u irn Fächern der Heilkunde geprüft, und zwar geschieht dies
unmittelbar, nachdem sie den < Kursus darüber absolvirt haben. Das
Examen wird von dem Professor, weicher den Gegenstand lehrt, und
31'
484
Der medicirmche ühterrichi in der numsttn Zeit
zwei ihm beigeordneten Fachmännern abgenomineii* Nachdem sie di^
einzelnen Special-Prüfungen iiber die verschiedenen ITuterrichtstachitJ
die sowohl theoretii^ch^ als auch^ wie z. B* in der descriptiTen tind d«
pathologischen Anatomie, Chirurgie, internen Medicin und Gebni
praküsclier Natur sind, im Verlauf ihrer Studienzeit besUnden
erhalten sie das Recht, die ärztliche Praxis auszuüben. Um das Düktanu
zu erlangen, muss der Arzt eine Dissertation verfassen und mehme
Thesen vertheidigen.
Die Lehrkörper der medicinischen Facultaten bestehen aus oTdeaW
lichen und au5serc*rd entlichen Professoren, welche sich nur diu'ch dk
Höhe der Besoldung, die sie beziehen, unterscheiden, aus Incaricati,
einen Lehrauftrag für ein bestimmtes Specialgebiet haben, und Privi
docenten. Die Besetzung der Professuren ge^üchieht gewohnlich dun
Concurs, der entweder in schriftlichen und mündlichen Prüfungen
steht oder sich nur auf die Vorlage der wissenschaftlichen Arbeit«
beschrankt. In Fällen, in denen ein Gelehrter von anerkanntem Knf'
in Frage kommt, sieht man vun der Bewerbung ganzlirii :ib lirnj \)^^
setzt die Lehrkanzel auf dem Wege der Benitung. ^
Spanien und Portugal.
Auch in Spanien hat man aufgehört, die Bei^htigung tm Au
Übung der Praxis für einzelne Theile der Heilkunde zu ertheil
Gegenwärtig giebt es dort nur eine Klasse von Ärzten, die Lioendada
en medicina v chirurgia« neben welchen nur noch ein niederes chir
gisches Hilfspersonal existirt, zu welchem die Practicantes (Heildieni
und die Dentistas gezahlt werden.
Wer das Studium der Medioin beginnt, muss sich über eine all-
gemeine wissenschaftliche Vorbildung ausweisen und den akademischen
Grad eines Bachiller en artes besitj,en. Die ärztlichen Studien werdia
an den Universitäten absoivirt, sind aber nicht obligat Mediciniaohe
Facultälen bestehen an den Hochschulen zu Madrid, Barcelona, Gl
nada^ Salamanca, San^ago de Comp08tela. Sevilla, CaiUx, Valenc
Talladolid und Sang^ossa^ Die Studierenden widmen das ei^te Ja
•ler »^tndienieit den KalunraHnaahaften. der Phrnik und rbetnie,
* TointAAi-C^nniiQu in tirf Riv. rUn. di
N^ teSl« Hi»iBa IS94,
Bokfm lim. • Hcgio
Spanisn fmd Pürif4{;al
485
die folgenden 6 Jahre den medicinischen Fächern. Hierauf nnterzifhen
sie sich einer aas drei Abschnitten bestehenden Prüfung, von denen
der erstp theoretisch ist und mh über alh^ Disciplinen der Heilkunde
eT^treckt, die beiden anderen praktischer Natur i^ind nn<l theils am
Krankenbett, theils an der Leiche statttinden.
Der Candidat erwirlit damit die Liceiiz zur ärztlichen Praxis, nicht
aber die Doktfir-Würde. Wenn er die letztere anstTel4, m ist er ver-
pflicht-et, seine Studien um ein Jahr zu verlängern, welches znr Ver-
vollständigTinßT der ärztlichen Bildunir und znui Besuch von Vorlesungen
über Geschichte d*T Mediciu^ raedicinische Geo^aphie, Hygiene, Bio-
logie \h a. m, verwendet wird^ und dann eine Dissertation zu verfassen und
Thesen zu vertheidipfen. Dor Doktor-Titel wird nur an Arzte verliehen,
welche ein reges wissonschaftlicbes Streben zeigen, gewährt jedoch keine
Vorrechte für die Praxis und wird nur von Denjenigen verlangt, welche
sich um die Professuren oder höheren Stellungen im öffentlichen Sa-
nitätsdienst bewerben.
^B Portugal hat eine medicinische Facultat zu Coifmbni und zwei
f medicinisch-chinirgische Lehranst-alten zu Lissabon und Porto. Sie
I unterscheid*»n sich darin von einander^ dass die erstere mit Lehrmitteln
und Lehrkanzeln reicher ausgestattet ist^ als die letzteren, und allein
das Recht besitzt, den Doktor-Titel zu verleihen. Die Schule zu Lis-
sabon geniesst wegen des grossen Hospitals, welches ihr zu Lehrzwecken
eingeräumt ist, den Ruf, dass sie eine vorzügliche Ausbildung in der
praktischen Heilkunst, besonders in der Chinirgie, gewährt.
Es giebt gegenwärtig nur noch eine Klasse von Ärzten, nachdem
die Kategorie der Licenciati minores, welche ein sehr beschränktes
Recht zur Praxis besassen, aufgehoben worden ist.
Zum Studium der Heilkunde wird nur Derjenige zugelassen, welcher
in einer Prüfung gezeigt hat^ dass er eine gewisse Allgemeinbildung
besitzt.. Der Besuch der CoUegien ist obligat. Der Lehrplan nimmt
^ö Jahre in Anspruch. Am Schluss pines jeden Jahres ünden Prüfungen
statt, von deren Ausfall die Versetzung in die höhere Klasse abhängig
ist^ Die Prüfungen sind sowohl theoretisch als praktisch und zum Theil
8ehr genau; so wird z. B. verlangt, dass der Candidat 10 Kranke durch
20 Tage selbstständig behandelt. Nach der erfolgreichen Beendigung
derselben wird die Liceoz zur ärztlichen Praxis ertheilt
Der Doktor-Titel ist der Ausdruck einer tieferen wissenschaftlichen
Bildung; er wird z. B, von Denjenigen gefordert^ welche an der medi-
oini^heii Facultät m Colmhra die liehrthätigkdt ausüben wollen. Xm
denseU»en zu erlangen, muss der Bewerl)er noch ein Examen alilegßD
und eine Dis^ertaät»n vorlegen. Ak Eiaminatur^n wirken die Profeworeo.
Die Lehrkiinzeln werden durch OonGurs beseUt,*
Holland and Belgien«
In HitlUnd wurden fniber versi-hiedene Art^^n x*m Äntten m^-
gebildet« welche theils zur innei^n^ theils zur chimnnsc^hen PraxB \\^
reiebtigt waren und mh entweder nur auf dem Liinde oder überall
nwderlasseii dtirtteD. Sie erwarben ihre faebmünnischen Kenntnbc
sowohl an den rniTerHitäten al<: an den ärztlichen Faehschulen, welche ^
mit einigen Hi«s|>italem \erbunden waren.
Im Jiüire 1865 wunle das Geseu erlH:!^*n, dasN dieÄRt** fortan mhi]
m»hr fitr eiujtelne Zweigi* der Heilktinst legitiniirt wenien, sondern alk]
Tlüile der^lben beirabeu mid ein unbedingtes Niederlassung^« Ri^lit
UleioliBeitig wodeo dir Hospitabdliüeii aufgehnben and
die Bniebuni! der Ante den medieimschen »icultälen übeitmgen*
Gegenwiirttg beätit Holland neben den drei rniversitäten
lifiden, Ttracbt und ttnmini^n. welehe xom Staat erhalten werden
noGh die städtische H«ieksthale m Ank^tenlam, die anc» dem Athenaiiu
einer heberen Lehranstalt, deren Geschidite bis 1032 inrüokreirht;
enMndiii und IHT? m einer rnirefsilal erhoben wortoi kO
Wer ;^b d«in Studium der Median widmet, mtn» die höherf«
^ttle iider da^ Uvmnasunm ab6i>lTirt haben «.hJ * Ir hu
den Nachweis tiefenu da^ er eine genoar^nde \
i<itii Die Studienieit danert gewuhnlkh ^ Jahn*.
nie Bvnelitignng mr iniüehm Ptnsis wird nur dnich diß :
prlkfaitg ervorben« welcAie vim Examtnatioü^i^ommiaaionen ahgen
wild, in defen MitArUetiem die Lehrer der ter^eluedenen medioiii
stoben Faenttilen enuumi werd«. Difsef Pröflttig gehen ilns erste untl
zweite n^limrissenst^aMiiAie Ksamen vnrnasw enn dene«! isich jenes
der Phj>äk, Chemie und Eh)lanikt dme^ mit der Anatunue, Pbviaolu
nnd liewebelehre, Fkmmikngniiew nnd aBipameinen Palhulugie 1
& A. l^feaa4 M
dar NlwiMtbnUi^ lla^ tan«.
Die Staatsprüfnng selbst zerßllt in einen theoretischen Theil, der über
pathologische Anatomie, Pluirnicikodynamik, speciellp Patholugie und
Therapie. Rvpene, theoretische Chirurgie und (Jehurtshilfe handelt, und
in ein praktiHches P^xamen am Krankenbett, an der Leichi^ u, s. w.
Vor demsellien mnss der CandidaL den Nachweis liefern, dass er durch
zwei Jahre klinischen Unterricht gfenossen und mindestens 12 (leburten,
von denen 2 mit Hilfe der ärztlichen Kunst vollzogen worden sind,
beigewohnt hat.*
Unahhängip: davim wird das Dokt^irat der Heilkumle von den me-
dicinischen Facultiiten verliehen; von den Bewerbern wird verlanipjt,
dass sie das humanistische Gymnasium absolvirt haben. Die üoktoratH-
Prüfiingren berücksichtigen nicht blos die ärztliche Tüchti;[rkeit, sondern
aur^h die medicinisohe Gelehrsamkeit; sie haben eirie ^Tilndlichere All-
g^emeinbildung zur Voraussetzung und gehen spwohl auf die Natur-
wissenschaften als auf die eigentlichen medicinischen Disciplinen tiefer
ein, als dies im Staatsexamen der Fall ist. Das Doktorat der Heil-
kunde gewährt daher el>enfalls das Recht zur Ausübung deo* ärztlit^hen
Praxis.^
Wesentlich verschieden von dem medicinischen Unterrieh tswesen
Hollands ist dasjenige Helgiens, welches manche Ähnlichkeiten mit dem
französischen zeigt. Doch giebt es in Belgien keine Officiei-s de sante,
keine Ärzte niederen Grades, sondern nur eine Klasse von Ärzten, welche
jm den Universitäten ausgebildet werden*
Von den vier Hochschulen des Landers werden zwei, nämlich zn
Crent und Lüttich, ^ vom Staat erhalten, die anderen beiden jedoch nicht
Die Umversiiät zu Lfiwen trägt einen cnutessiunelien t'hanikter und
wird vom Klerus geleitet nnd unterstützt; die Hochschule zu Brüssel,
welche i. J. 1834 von der liberalen Partei ins Leben gerufen wurde,
verdankt der Stadt und einigen reiehen Gönnern die Mittel zu ihrem
Unterhalt
Dem ärztlichen Studium geht in den meisten Fallen der Besu«>h
des Gymniisiums voraus, welche^s Idnneu 7 Jahren vollständig absolvirt
wirri. Die medicinischen Studien beginnen mit den Naturwissenschaften,
der Physik, Chemie und Philosofihie. Der Studienplan wird im All-
gemeinen durch die Prüfungen bestimmt, indem die zu einem Examen
' Gcneeitkiitjdigi? Wetten, Zwolle 1882, Gesetz vom 2S, Dez. lH7ft.
• Wet van d, 28. April tS76, tot regeling van het liooger ouderwyB,
Zwolle 18B4.
^ A. LS Rot: L'iini veralte de Lidgc, 1869.
geböronden PifitiingsgegenstHnde zusanmi^n lielegt wrfMPVsr Ünt^.
rieht erhiiü dadurch die Form einer handwerksmässigen Vorbereitung
für die Prüfung, rihnlich wie in den medicinischen 8c^hulen Enghnd.<i,
Diis or8te niedicinischo FiXameii handelt über desi^riptive und m-
gleichondü Anatnmie, IMiyHiolügie, Embrvolope, Histologie und Phanna-
k(j!*jgie, ist iriit. pniktisehun iJeniönstrationen verbunden und wirrt dl**
('andidaten-Priifun^^ gonivnnt. Für da.s die Berechtigung zur arztlich<*ii
Praxi« gewahrende iJt^kiorat der Heilkunde werden drei Prüfimgeii
verlantrt, von denen iVw erste rlie allgemeine Pathologie und Therapie,
Kpeeielle Pathnlogie der inneren Krankheiten und imthologiwhe Ana-
tomie, die zweite die ehirurginehu Pathologie, < ? ehiirtishilfe, Hygiene und
gerichtliche Medicin betritt, und die dritte iiieh über die Klinik der
internen und chirurpi^cheu Leiden, der Augenkrankheiten, (teschleeht«- 1
Organe nnd Hautleitlen» auf die praktische fiebiirtshilfe und ehinjrt^iseli«
Operationsknnst erstreckt und theils theüretisch, theils praktis^jh iil
Als Examinakircn wirken jetzt ausschliesslich die Professoren der Im»-
treffenden Facult/it, wahrend früher Prülungs-iiimmisüionen gRbdd<»t
wurden, die sich zur Hülft^t^ aus Professoren derselben und zur Ualft<»
aus denjenigen einer amlerrn Focultat Eusammen.set/t4?n, Man h*Mi^*'
dabei den flnmdsat/, tiasn die Lehrer der Htaats- Universitäten mit dein'ii
der freien Hochschulen zu KxaminationsbehÖrden verbunden wundpnJ
um auf diese Weise eine wunschenswerthe ffleichartigkeit der arztlioheD i
Hilduni? zu erzielen.
In Brössei existirfc außerdem noch eine Central-Prüftings-Oommi^-
sioiu welcher sich diejenitr^n Fxaminanden vorstellen, denen die wisjen-
Mhaftliche Vi»rbildung mangelt; denn der Zutritt zu den Fachstudien
find rar Universität steht Jedem frei, der lesen und sohreihon kaniij
Bei der Meldtmg xu den ärztlichen Priifiingen wird nur der Xachwni«
gefordert. «lass der Candidat zwei Jahre hindurch die chirurgii^'he m
interne Klinik nnd ein Jahr die gieburtrfiüfliche BUinik bekocht hat
Die Lehn>r-CoIlegien bestehen auü ordentlichen und ausserordenlt
liehen Professoren und Agregi'* spH^iiiux^ welche für drei Jahre eruanti
werden, eine kleine B664>Miiiig erhalten und an die Stelle der früher
Charge de euunf getreten sind*
Seh weis.
tYülier kille Jeder Omton ^eiiie tn's^iiKleren gvs^etzUchen
^\^r .fi.. ZttUs^img lor IrzUich^ii I'tai^ Einige Ciittoii
Schweiz, 489
forderten ein Staatsexamen, welches vor einer aus dortigen Ärzten ge-
bildeten Prüfungs-Commission abgelegt wurde; in anderen genügte das
Zeugniss, dass es bereits in einem anderen Cantone oder Lande be-
standen worden war, oder ein medicinisches Doktor-Diplom; in einzelnen
verzichtete man auch darauf und gestattete Jedem die Praxis, welcher
die Befähigung dazu zu besitzen vorgab. Erst 1867 kam ein vom
Bundesrath genehmigtes Übereinkommen der meisten Cantone zu Stande,
nach welchem die an den Schweizer Universitäten bestandenen ärzt-
lichen Prüfungen überall anerkannt werden und zur Praxis berechtigen.
In keinem Lande existiren im Verhältniss zu seiner Bevölkerung
80 viele Hochschulen und höhere Lehranstalten, als in der Schweiz.
Neben den Universitäten zu Basel, Zürich und Bem,^ an welchen in
deutscher Sprache gelehrt wird, bestehen die Hochschule zu Genf und
die Akademien zu Lausanne und Neufchatel, an denen die französische
Unterrichtssprache herrscht.
Medicinische Facultäten haben die vier Universitäten und seit
kurzer Zeit auch die Akademie zu Lausanne. Die Universitäten zu
Zürich, Bern und Genf sind erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts ge-
stiftet worden, und ihre medicinischen Facultäten haben sich aus me-
dicinisch- chirurgischen Lehranstalten entwickelt. In Bezug auf ihre
Lehrkräfte und Lehrmittel stehen sie jetzt ihren deutschen Schwester-
Anstalten ebenbürtig zur Seite.
Die ärztlichen Prüfungen sind nach deutschem Vorbild eingerichtet
und werden in Basel, Bern, Zürich, Genf und Lausanne abgelegt. Die
Prüfungs-Commissionen werden aus Lehrern der medicinischen Facul-
täten und geprüften Praktikern zusammenjresetzt und vom Bundesrath
für die Dauer von 4 Jahren ernannt. Die Prüfungen zerfallen in die
naturwissenschaftliche, welche sich über Physik, Chemie, Botanik und
Zoologie nebst vergleichender Anatomie erstreckt, die anatomisch-phy-
siologische, die mindestens ebenso schwierig ist als in Deutschland, und
in die eigentliche ärztliche Fachprüfung, die gleich der vorhergehenden
theils praktisch, theils mündlich oder schriftlich ist und die patholo-
gische Anatomie, innere Medicin, Chirurgie, Geburtshilfe und Gynäko-
logie, Augenheilkunde, gerichtliche Medicin und Hygiene, Arzneimittel-
lehre und Psychiatrie umfasst.^
Bemerkenswerth ist, dass die Bedingungen für die Zulassung zu
den ärztlichen Prüfungen strenger sind als in anderen Ländern, indem
vom Bewerber der Nachweis verlangt wird, dass er Vorlesungen über
* Ed. Müllbb; Die Hochschule Bern von 1834—1884, Bern 1884.
' Verordnung der eidgenöss. Medicüialprüfungen vom 19. Mftrz 1888.
400
DfT ntedmniMche Untfrrirhi in ff fr naiesfm Zeif,
*iw wicht Jt,'iren Fächer der Heilkunde g^ihort, un drn [»raKiiM ijni ArJ
lM/ik*n Thful *(i*nummeri und nicht hlas je 2 S**iüe«t4t*r in der metlici
riiHrhen, chinirgi^heo and gc4>urtshilf liehen und l Semester in ii
«^phlhiilmiafriHcheni, Nondem auch 1 Semester in der psvchlj
Klinik und in der Poliklinik aU Fraktikant gewirkt hat
Die Doktor-Promotion ist von der ärztlichen Prüfung getrennt un
wird von den niedicinischen Fncult4it#?n auf Onind eines Kxamenii ni
ßiner DiaKertiiÜoii vollzogen.
Danemark, Norwegen und Schweden.
hi Itiuiemiirk ist drr medicinische UnU^rrioht ähnlich wie in
iJeutohlarid und Osterreich organii<irL Die Studierenden iler HeilkunJtf
müssen, wenn sie die ITiiiversitat /u Kupenhjigen f>eziehen, das Matn-
iitiit8-ZeiigniHs eines danischi^^'n (t}nnuisiums vorleßfen; sie beschäftigen
sich dann zunibhst mit dem Studium der Philosophie, den Naturwisseii-
sohttften, der Physik ujid ('hemii^ und werden in diesen GegenständH«
geprüfte Krsl thirnsich l»o^annen die eitrent liehen medicinj.s<"hen Fm^k^
Studien.
Die IVüriinRcn, welche ihis [{echt zur Ausübung der arztllcbl
Praxis verleihen, tiiidea vor der medicinischen Pacultiit im Beisein vod
(VnHoren statt, die von der Re^'ierim^' ernannt wenien und ihr ürfeheÜ
ühtT die Henihicrurii: des c'audidaten ahgelnMi. Sir bestehen ans einsn
«chrifliiclien Theil, iianiliidi firei riaiisur- Arbeiten über Gegeostsilde
der praktischen Heilkunde, einem praktischen Abschnitt, der sich »as
einer anatdunschen Arln'it, der Untersuchung und Behandlung mehrerrr
Kranken und der Ausfiihrung einer chirurgischen Operatian an fH
Leiche zusammensetzt, und einer mündlichen Prüfung über die wich-
tigsten Fächer vier Heilkunde,
Den Doktor^Titel, welcher nach der Anfertigung emer Dlsserta
\uu Wissenschaft Itchem Werth verliehen wird, streben im AUgemeinen
nur iliejenigi'n AriÄte an, welche den akademischen Ijehrberuf ergr
mler in vlen öttcullichen Sttnität^dienst eintreten wollen» Jeder Doli
der MtHÜein darf an der L niversitat Vorträge halten. Üit» Professil
wer\lcn dureh (Vnours besetit.
Dänsniark, Nonvegen ufut Sökwßden^
491
Nahezu vollständig gleich liegen di«^ Verhältnisse in Norwegen,
^lich hier ist es üblich, dass die Ärzto sich mit der Licenz zur Praxis i
lügen und nur seilen um die Doktor-Würde bewerben.
Das Laud besitzt eine Universit4it in r'hristiaiiia, welche 1811 ge-
rundet und 1815 TervoUständigt wurde. Die Immatnoulation setzt
^die erfolgreiche Äbsolvinmg des Gymncüsiums vuraui?. Dm Universitäts-
Studiiun beginnt für simmtliche Facultiiten mit der VervolLstandigung
der allgemeinen wissenschattlichen Vorbildung; es werden darauf 2 bis
3 Semester verwendet, während welcher der Studierende Zeit hat, sich
Jfir einen l^estimmten Beruf zu entscheiden. Die medicinii^che Studien-
Bit dauert gewöhnlich 7 Jahre und wird durch die Prüfungen in drei
Absehiiitte eingelheilt. Der erste unifasst die Zunbigie, Botanik, Physik,
Chemie, Anatomie und Physiolugie; die zweite Abtheihmg betrilft die
jPharmakologie und Toxikologie, allgemeine und specielle Pathologie und
ithologische Anatomie, chirurgische Pathob>gie, Ophthalmologie und
ermatologie, und die dritte beschäftigt sich mit der klinischen Praxis,
gerichtlichen Medicin und Hygiene; die Pröfungen sind snwohl münd-
lich und schriftlich, als praktischer Natur.
Wer dieselben mit Erfolg besteht, ist zur ärztlichen l*raxis be-
rechtigt. Die Doktor- Wfirde wird nur für ausserge wohn liehe wissen-
schaftliche Leistungen verliehen und ist mit dem Recht, an der
rniTersität zu lehren^ verbunden. Im J. 1888 gab es in Norwegen
nicht mehr als 14 Doktoren der Medicin.
In Schwülen wird der medicinische UnifM riebt au den medicinijsche
FacuHäten der Fniversi tüten zu l^psala und Lund imd am medicinisch-^
chirurgisch**n (iirolinischen Institut zu Stoeklüdm erthidlt, welches 175t>
gestiftet wurde und jetzt hau|dsachlich zur Ausbildung in den klinischen
Fächern dient.
Von den Studieremlen wird fias MaturitätÄ-Zeugniss des humanisti-
schen Gymnasiums verlangt. Der Studiengaug der Mediciner ist un-
gefähr der gleiche wie an den deutschen Hochsehiden; nur wird wegen
der langen Daner der IWn^n mehr Zeit auf dit: verschiedenen l nter-
richtsgegenstände verwendet, tiewnhnlich vergehen 9 bis 10 Jahre vom
Austritt aus dem Gynmasium bis zum Begiun der firztlichen Praxis.
her Stmlierende beschilfligt sich zunächst durch 8 Semester mit
der Physik, Chemie, Botanik und Z^jologie und lei^t darüber eine Prüfung
ab. Hierauf tritt er aus der philosophischeri in dii- mcdicinische FHcultär
über ntui niflmet uni^vtlhr 4 Jahre dem bVuAinm 4^ii Sxi^\fö'Cö\Ss
402
D&r m&Mcimm^e UnierrirM in 4&r nmtesien Zeit
Vh\^utUt;^if\ m&Ammmhm rhemi»\ Hisst^logie, PharmaVologie tmA
Utnimnvn Piithölugic, Zur llieilnahme an ilen Secir-tTlmngen, an dei
(»niktiHchcr» Arbeittiu in den phj'siologischon, chemischen, hintolugii
uihI |uithr*ln^rijirhon l,uboratorien isi er vprpflicht*»t, wahrend tler
iter ilieiiretist^hcn Vorlp<iin^;en, wt^ch^ uneiit;^eUlieli shittfinflen^
Helit'licn UTib*Hin^'i*stolÜ winl ]>\p Prnfung, welche rtiej^n TheU
Stiiilienzeit zum AUschluss hrnipjt, umfa^st die j^enannten Kcher neh
Apt (iesrhiniite iler Mediciti und i8i theils mündlich, theils prakt
Ihv tol^'i*niK^n SemesWr verwendet der Candidat der Medicin,
er UiTUm pfemuHit wird, zum H«^sueh der klinii^chen Institute und ütjfr'
haupf xur Ausbildung in d(T praktischen Heilkunst. Er muns dab
iiiich venichiedenen SpeiMalfachern» wie der F'svehiatrie, der Pädiaij
und Sj'philidolujrie seine Aufinerksiinikelt zuwenden und den luith^ili
glichen und fort^usis<*hen Sektionen, 8owie ilen hvjpenisi-hen Vhxm^
beiwohnen. Das ExaEien über dieise Wissen8geffen8tände, welcbee ge-
wäh&lieh er^t 3 — 4 Jahre nach der t'andidulen-Prfifung iibgi*le^ wird,
0<»l>t dit Beradttaguiig sur intlicben Praii^
Die nediemiHli« Dokior-Wftrde ist nur für diejenigen Arzte xorgt^
sthmhtü, w^lelne «k akademisrlie Lehrer oder im höheren Sanilat^difT
Ikfttif i«ia «oUen: ^ virl auf Grund eir<^^ ^«^'^ '^'^-^^hafUichen A|
liamllms mwA mA Vettkadfrasf der imm n Thesen va
MlMi jidoeh nur im am hääim Vmersltitim, nicht vom CaroUnischd
Mkv IwAigt, ^* < .,. I. i..t,,„. „nd
mi üi inilkb n zu er
Buttlmnd.
0MMiJ.I1Mia
Di» mm
17U «JNmMK im
XvAMmig TOD (lururf^'n
wtmie und
«lUdt
te ttü der Alndiiniie
m»
wiHii, ll««luui 1911
m.1. tato, aLFM»
der Wissenschaften m St Petersburg verbundene Universität diesen
^Namen niehf, yoiidern war eigentlich nur ein Uyninasium mit einigen
juristischen Cursen; sie wurde übrjgen.s wenig fteöucht und zählte unter
der Leitung der Fürstin Dawchkow i. J. 1783 nur 2 Stuilenteii,^ Im
19. Jahrhundert wui'den die niedicinischen Fatnilüiten der Universitäten
tu Kiew, Charkow und Kasan errichtet, an welchen in russischer Sprache
unterrichtet wird; die polnisi'he Universität zu Warschau wurde eben-
falls russiticirt. Die jüngste Hochschule wurde im September 1888 zu
Tomsk in Sibirien und zwar zunächst nur als medicinische Facultät
enjffnet Ausserdem i.^ehören zum russischen Reiche die Universitäten
zu Helsingfors in Finnland, an welcher die schwedLache, und diejenige
EU Dorpat, an der die deutsche Unterrichtssprache herrscht* Dazu
kommt noch die medicinisch-chirurgische Akademie in Petersburg, an
welcher die Militärärzte erzogen werden*
Jeder, der sich dem ärztlichen Beruf widmet^ muss das Gymnasium
hg^lTirt haben, bevor er zu den Fachstudien zugelassen wird. Die
Htdienzeit dauert 5 Jahre, xlusser den Controllprüfungen, welche über
die Vorlesungen, welche besucht werden, handeln, wird ein dem deutschen
Tentamen physicum entsprechendes Examen in der Mitte der Studien-
zeit abgelegt; am Schluss der Studien folgt das ärztliche Approbations-
^amen, das sich über alle wichtigen Fächer der Heilkunde erstreckt
d nicht blos mündlich j sondern auch praktischer Art ist. Höhere
teuschaft liehe Anforderungen werden an diejenigen Ärzte gestellt,
eiche nach der Approbation den Doktor-Grad erwerben»*
Griechenland und die christlichen Länder der
Balkan - HalbinseL
Die Universität zu Athen wurde 1837 unter dem Könige Otto
errichtet und nach deutschem Muster organisirt, Bei der Immatriculation
wird das Maturitäts-Zeugniss eines griechischen Gymnasiums verlangt.
Die medicinischen Studien nehmen gewöhnlich o Jahre in Anspruch,
Vfui denen das erste auf die Hilfswissenschaften verwendet w^ird. Am
* Graf D. A, Tolstoi iu den Beitrilgeii zur Keiintnisö dea rusa. ReicUea,
Petersburg 1886, a 217.
• Die deutache üniveraität Dorpat, Leipzig 18Ö2.
^ Allgem. Statut der K. riLss. Um vcrsi täten vam 23. August 1884, Peters-
harg 1884.
Schluss desselben findet die Vorprüfung statt^ welcbe sich ober Phjs
Chemie und Naiurgosehichte erstreckt Das Doktor-Examen hand^
über nurmale Anatomie, Phy^iülogie, allgemeine Pathologie» Materj^
medica, innere Medicin^ Chirurg-iej Oeburtshilfe, geriehtUche Medici
und Hygiene, ist aber nicht mit, praktiischen Demünstratiouen verbumiefl
Nach der Promolion folgt noch ein Jahr der praktischen Aushiltbing
und dann das praktische Examen , welche« hauptsäk!hlich in der Btv
handlang von Kranken, in der Aurführung von Operationen m der
Leiche u, a. m. besteht und die Berechtigung zur Ausübung der mi-
liehen Praxis verleiht.
In Rumänien beistand früher nur eine railitiinirztliche lichrauj^ü
deren begabteste Schüler zur VollerKlunf,^ ihrer Studien an ait^landis^i
Hochschulen geschickt wunien. Gegenwärtig besitzt da.s I^and
Universitäten zu Bukarest und Jassy, von denen jede mit einer mt»-
dioiniscben Fucultüt ausgesUtt^^t ist.^ Mit der tTst^ren ist eine phama-
ceuttsche Lphnmstalt verbunden; auch besteht in BukareM eine Thier-
arzneischuie. Von den StudierendeTi der Mediein wird vüniusgr.setzt»
dass sie das Gymnasium absulvirt haben. Die *Studienzeit un der ütti-
versitJit dauert 5 Jahre. Die Prüfungen erstrecken sich auf srimmtbck
Fiicher, sind sowohl ther>ri'tiscli ula praktiscli und werden von den Vn*-
fessoren abgenommen. Sie linden ihren Abschlu88 mit der Verleihung ü»^
Düktoratjs, welches zur Ausübung aller Tb<»il(^ iWr ärztlichen Thätigkeit
l>erechtigtu
Die serbiische Hochschule z«i Bc!^n-ud besitzt bis jetzt noeb k^
medicinische Facullät,
^ Revuo inti^ruat. dv l'enseiguLHnuut, Parb, IV, p* 2&1 it, ü\
Schlnssbetrachtungen.
Es liegt nahe, auf Grund des reichen Materials von Thatsachen,
welche das medicinische Unterrichtswesen in den verschiedenen Zeiten
und Landern beleuchten, die Frage aufzuwerfen, wo dasselbe am zweck-
mässigsten eingerichtet ist Aber beantworten lässt sie sich ebenso
wenig, als diejenige nach der besten Staatsverfassung oder Eeligion.
Während für das eine Volk die republikanische Form am meisten ge-
eignet erscheint und sich durch Jahrhunderte bewährt hat, bedürfen
andere Nationen der Monarchie, vielleicht sogar der Despotie.
Ähnlich ist es mit den Einrichtungen des medicinischen Studien-
wesens. Die allgemeinen Culturzustände, die historischen Traditionen,
die geographische Lage des Staates, die finanziellen Verhältnisse und
der Charakter seiner Bevölkerung sind dabei von grosser Bedeutung.
Aber es wird gestattet sein, hier einige allgemeine Gesichtspunkte
zu erörtern, welche, wenn auch nicht überall durchführbar, doch jeden-
falls beachtenswerth und anzustreben sind.
Was zunächst die allgemeine wissenschaftliche Vorbildung des
Jüngers der Heilkunst betrifft, so muss unter allen Umständen daran
festgehalten werden, dass sie nicht hinter derjenigen der übrigen i^:e-
lehrten Stande, der Theologen, Juristen, Philologen u. a. m. zurücksteht.
Der Arzt soll jenes Maass von allgemeinem W^issen besitzen,
welches in dem Lande, in dem er lebt, den höchsten Anforderungen
entspricht Welcher Art aber dieselben sind und welche Wissenschaften
sie umfassen, richtet sich nach dem Begriff der Allgemeinbildung, der
nach Zeit und Ort verschieden ist
Da er sich in den meisten heutigen Culturstaaten unter dem Ein-
fluss des Humanismus entwickelt hat, so bilden das Studium des Alter-
thums und der dazu führenden lateinischen und griechischen Sprache
seine wesentliche Grundlage. Allerdings erfuhr dieses Bildungssystem,
welches im 16. Jahrhundert volle Berechtigung hatte, schon im 17. und
18. Jahrhundert wesentliche Einschränkungen. Der Aufschwung der
Naturwissenschaften und die Entwickelung einer nationalen Literatur
drängten andere Bildungs-Elemente in den Vordergrund. Wo dieselben
nicht mit dem Msh«rigen System verschmolzen wurden, da begann ein
ZwioMjialt zwiwhen dem antiken und dem modernen Bildungs-Idfvil» <lBr
im Verlaul' der Zeit an Sohrüffheit zujarenommen hat.
Die AnhangfT des ersU*reii erklären» dass der pildaifojjischc \\>rtii
der Lit^mLur des AUerthums büuptsächlieh in ihren spriKdilicheii Funuen
zu suchen «ei, deren Erlernung den Verstand scharfe und die Denk-
kraft übe. Wenn dies«* Annahme riehtig JNt, so muss eji dueh Bedeake«
erregen, dass man darauf 8 mU*v 9 Jahre des Lehens verwendet Det
Zweck^ der damit angentrebt wird, steht in keinem vernünftigen T(
häUniss zu der Zeil, die man ihm widmet. Jedenfalls ai>er ■
fragen, ob der niühi^ame langwierige Weg durch die liiii:
KUppen der lateinischen und griechischen Literatur der ein^ig^ ist, te
zu diesf^m Ziel führt. Es gnh zu allen Zeiten und ^♦»ht noch h
eine Menge vcm Leuten, die sich durch Klugheit auszeichnen, ubwi
sie niemals die lateinische oder griechische Sprache erlernt hal>eü»aoii
umgekehrt. AVarum soÜti^n nicht auch andere W^issenschaften, W^m-
ders die Mathematik^ geeignet «ein, den Vers;tand zu imtwir-k^ln nn
^l^ schärfen? —
Ein gutes UnterrichLsöystem mu^^s trachten, die Zucht de.s ijm
zu bewerkstelligen , ohne ditös dabei die Bedürfnisse des* Lehens
wtändig vemaohlissigt werden. Das^ die humanistischen (lymna^iiea mit
ihren Studienplänen diese Aufgabe nur zum Theil erfäUeo. ist be*
kannt.^ Darauii enti^pringen die meisten Vorwürfe, welclie gegen sie
erhoben werden.
Man verlangt vor Allem eine gröesere Benlckb-ichtiiEfung der Bdalieo
beim Unterricht, weil dies nicht hlo^ im Inieret»s!;e der künftigen knk
und Naturforscher, sondern auch der Theologen, Juristen und über-
haupt aller FerM>nen liegt| deren Bernftthätigkeit dem praktischen LeWn
angehört. In den meieHim Umlifn Int man diet^en Fordern? -t ^' i
nung gtHragttii, indMi aiti eotveder die hujnanistischen '
durch die Aufnahme neuer Lebgogosüiide nach dieser Bichtung am-
gt«t«ltete oder doreh 4ie Hinnfilgaaif fon parallel laufenden Uml
khts^n tu Interrkiklttnaliha mH gwiiwilitem Charakter erweitert^'.
In t>eata(dihuifl wunfen so fieism Zveck die Beokehulen errichtet, ton
krer Lriimele allmäü
tUk
fkwn bunt
IL lUvoLn * Kc«%7WiMBi«Mi «mI
das0 in
Jer Unterricht in der grieehisohen Sprache wegfillt und die dadoich
gewonnene Zeit den Naturwissensehaften u. a. m. gewidmet wird.
E& unterliegt keinem Zweifel, dü^s das deutsche Heal^n mnasium
In seiner jetzigen Gestalt eine bessere Vorbildung' für das Studium der
Mediein gewährt, als das humanistische Oymnasiimi; gleirhwohl blieb
den Schülern des ersteren die Zulassunj? zu demselben bisher versa^^
tind ausschliesslich den Abiturienten des humanistischen Gymnasiums
Torbehalteti. An Vei*süehen, auch denjenigen des Heal-Gyninasiums die
Znliissimg zu den medicinischen Studien zu erwirken, hat es nicht ge-
fehlt». Die prf^nssische Staatsregierung zog in dieser Angelegenheit
ßowuhl die medicinischen Fatmltiiten als die praktischen Ärzte m Kath;
aber die Antworten, welche sie von ihnen erhielt, lauteten in ihrer
überwiegenden Mehrzahl für die Realschulen nicht giinstig. Von den
■9 medicinischen Facnltätea Preussens, welche 1869 ihre Gutachten über
die Zulassung der Realschul-Abiturieoten zum Studium der Mediein
abgaben, sprachen sich nur 4 (Gidtingen, Greiiswald, Kiel und Künigs-
herg) dafür aus, während 4 (B«'rliiK Breslau, Halle und Marburg) da-
igegen auftraten und 1 (Bonn) gar keine Meinung äusserte. Von den
163 arztlichen Vereinen Deutschlands, die 1879 um ihr ürtheil befragt
wurden, erklärten sich nicht mehr als 3 unbedingt und 3 mit gewissen
Be^schränkimgen dafür, 7 andere gleichfalls, aber nur unter der Be-
I dingung, dass den Abiturienten der Realsidiulen auch der Zutritt zu
den übrigen Facultaten errdl'net wird, während die übrigen 150 dagegen
stimmten, 98 davon allerdings unter der Voraussetzung ^ das» die
humanistischen Gymnasien einer Reform unterzogen würden.
Die Gründe, welche dabei miissgebend waren, lagen aber keirn^-s-
iregs darin, dass man der alt^classischen Bildung den Vorzug gab, sondern
lediglich in den Rücksichten auf die gesellschaftliche Stellung des ärzt^
liehen Standes. Man durfte mit Recht befürchten, dass dieselbe beein-
trächtigt wird, wenn für die Arzte eine wissenschaftliche Vorbildung
für ausreichend er klart wurde, die nach einer sehr Terbreiteten Ansicht
einen geringeren Werth besitzt als diejenige, welche finr die üiirtgen
gelehrten Stande für nothwendig befunden wnrde. Leider beging man
dabei an einzelnen Orten den Fehler, dass nmn sich nicht auf die
Anführung dieses einzigen Grundes bes<;'hi*änkte, sondern zu gleicher
Zeit die Realschulen f Beschuldigte, dass sie kein ideales Streben hatten
und Oberflächlichkeit und Einseitigkeit erzeugten: Anklagen, welche von
betheiligter Seite natürlich eine scharfe Zurückweisung erfuhren.^
* P, WosfiiBLo im PädagogiJB^^hen Archiv, Stettin 1880, H. 2. — E. Speck:
Die Berech tigang der Realechid -Abiturienten zum Studium der Mediein im Pä-
dägogidchen Archiv 18S3, H, 9. 10.
Pvscttxjijts, VoterricbU ^^
498
gmh
Die Pmi?e der Znlasstinj? dpr Ahiturienten Aer R«*alsrymnas|<»ii m
d(m UniviTsitättj^stndien kann allfTdin^y nur in der Art greUjst werd**u,
Ams man ihnen allf* Fncultät<*n iToffnet nn<l damit ihre Allgemein-
bildiing ab erlpichwerthi^ mit derjenigen der humaniHtischpn ^tjmnasifn
anerkrnnt. Dies fordert die Gerechütrkpjt» da drr Lohrplan de.^ Heai-
gymnasiumK demjenigen des humanistischen ebenbürtig ii<t; es ist m*
gleich eme Pflicht pejirenül>er den Jünglingen» welche nicht zum Sttidiam
diT ulten Spnii'ljen veranlagt sind. (Jder ist es zn rechtfertigen, im,
man Jemj*ndem, der bei einer ausgezeichneten Begabung für die Natur-
wissenschaften vielleicht ein vortrefflicher Arzt werdtni würde, dies*'«
Wog versperrt, weil er niehl m viele griechische oder lateinisch** Sprach»
kenntnia^e besitzt, als die Philologen für «einen kfmftigen Beraffür^
erforderlich erafht<*n? —
Die Unilurniität der x\llgemeinbildung isfe allerdings für die scheotaFi
ÜKir«nde Schulgelehrsamkeit sehr bequem, imlem sie ihr gleicbmm ah
geistiger flradmesser dient; aber nothwendig und naturgemaÄS Lst si»-
gewiss nit'ht. Hie V'ersehiedHnh»-*it der Neigungen und Anlagen wi'i>t
darauf hin, dass es nicht blos eine einzige Art der Greisteshildung giebl
In mehreren Ländern hat man das Bifurcal-Systc^m an den Gyoi-
nji«ieu eingefülirt urul den HchfihTr» beider Kategarien den Zulritt iwt
llniverBitat gewahrt. In Deut^eidand sträubt man sich noch dagegen,
obwohl num sich in den einsichtigen und unparteiisch urtheilend«n
Kreisen der Erkenntniss nicht verschlie&st. d;iss i!it> Kinheit der V<>r4
schule auf die Dauer unhaltbar ist
Schon seit langer Zeit hat das humanistischi' ifymniisium autgehr»
die einheitliche Vorschule für die gebildeten Kreise ülierhaupt zu sein?
denn die poh technischen Hoch.Hchulen und einzelne Klassen des haheren
Beamtenthums wurden den Abiturienten der Realschulen / '
gemacht, und die für die Erziehung des Ofticierstandes br :- n
Kadetten -Anstalten verzichteten auf die humanistische Bildung und
nahmen d»'n lichrplan der Healgymnasien an. Die Gleichstellung JfH
Healgvmnasien mit den humanistischen und die (rleichberechtigui^
ihrer Abituriimten wird daher nicht zu einer Trennung der Studierenden
führen, wie von mancher Seiti» behauptet wird, sondern im Gegentheit
die Annäherung aller Gebildeten auf der Grundlage einer wenn and^
nicht gemeinsamen, so doch gleichwerthigen Vorbildung anbahnen, f
E» ist klar, dass die günstigen pädagogischen Erfolge, welche die
lateinische Schule und das humanistische Oymnasitun ehemals erzielten,
nicht auf dem Inhalt des Lf^hrstoffes, sondern auf der gründlichen Ver-
arbeitung dej^elben beruhten. Jemehr ihr Studienplan durch die Auf-
nahme neuer Unterricht^gegen^tande Ton dieaem Grundnatz abweicha
pinsste, desto hjinfiofer wurrlen auch d]o Klagen über die mangelhafte
lind Terfehlte Ausbildung der Schüler, Heut erstrecken sie sich aul'
bammtljche Uuterriehtsgegenstande, und selbst die alten Sprachen sind
pavon nicht iinsgenommen. Am deutlichsten tritt dies an den Tister-
f eichischen Gymnasien hervor, welche, um die Einheit der Vorschule
ü retten, die Lehrziele des humanistischen mit denjenigen des Real-
gymnasiums zu vereinigen suchen und dabf^ noch ndt den ans
der Vielsprachigkeit des Landes entspringenden Schwierigkeiten zu
Icämpten halien.
Die eingehende Beschiiftigting mit einem abgegrenzten Wissens-
gebiet erzeugt Gründlichkeit: eine Charakter-Eigenschaft die der Jugend
anerzogen werden muss. Ob man aber die alten oder die neuen Sprachen,
die Mathematik oder eine andere Wissensehaft zn diesem Zweck benatit-,
dürfte in Bezug auf den Erfolg, welcher angestrebt wird^ vielleicht
gleichgültig sein und sollte sich allein nach den Bedürfnissen der Zeit
und nach den Neigungen nnd Talenten des Individnoms richten.
An dieser Stelle mögen noch einige Bemerkungen erwähnt werden,
welche sich el>enso sehr gegen die Keal*Gymnasien als gegen die humanisti-
Bchen Gymnasien richten. Zunächst ist die Überladung ihrer Lehrplüne
mit Unterrichtsstunden vom sanitären Staudpnnkt durchaus nicht zu
billigen. Wenn Knaben imd Jünglinge genöthigt werden, wöchentlich
32 Stunden auf der Schulbank zn sitzen und ausserdem vielleicht noch
mehrere Stunden täglich für die Anfertigung der häuslichen Schul-
aufgaben zu verwenden, so muss dies auf die Entwickelnng ihres
Körpers schädlich wirken. Die zunehmende Kurzsiehtigkeit der Schüler,
ihre bleichen Wangen und engbrüstigen Gestalten liefern dafür über-
zeugende Beweise. An keiner Klasse des Gvmniisiums darf die Zahl
der wöchentlichen Unterrichtsstunden höher als 24 bis 26 sein, wenn
man den Körper gesund und den Geist frisch erhalten will Dem
Knaben muss die Zeit zu seiner Erholung gewährt und zugleich die
Möglichkeit geboten werden, seine individuellen Anlagen zu entfalten.^
Daran schliesst sich der W^nnseh an. dass dem Turnen und über-
haupt den körperlichen Übungen an den Schiden mehr Zeit gewidmet
werden möge, als dies bisher der Fall war. Es muss freilich anerkannt
werden, dass gerade in dieser Hinsicht in den letzten Jahren viel ge-
schehen ist; aber es bleil>t noch Manches zu thun übrig, bevor die
Forderungen der Hygiene erfüllt sind.
' Zeitung f, d. höhere Untern chtsweeen Deutschlands, Leipsig 1883, No. 48.
— Haskxann: Die ÜberbÜrdung der Schüler, Strassburg 1884. — CentralbL f.
allgeni, Ge8undheit«ptlege, her. v, FiNKELNBUftu, Jahrg. lU, H. 7. s. — VergL a.
P, Fravx a. a. O. VI Th, 3, S. 260.
Kin (jroHSpr Fehler der Gymnasien Deutschlands ond rieler anderer
Ljm<lt*r besteht m der Verniuiitns:?iguji^^ des AnschauuDLrs-Ur)ternrhK
Sie füllen da*» Gedüchtniss, fib^n doii Verstand and entwickeln die
Dmknihii^keit; aber sie unterhissen es, die Beobachtnn^'sgabe zu wecken
und die Sinnesthätigkeit zu srhärlen. Sie verzichten damit auf m
wirksinnes Mittel der Geisti'sbihlnng, welches für manche Benifskieiüe,
wie f*k drnjeni;:en des Insrenieurs, des Arztes oder Naturforscher*, «ine
hohe IJedeuUmg hat. Ks erseheint ilaher wünsehenfsvrerthy dn^ dur
Unterricht in der Geo|rrap!ne, der Mathematik und den Naturwbsscn^
Schäften mit praktischen Demonstrationen verbunden und die vor-
getra^fenen That^^aehen sinnlich veranschauliehl werden- Auch der
Zeichnen-Unterricht Inssi sich daiu verwerthen. Die Ijehrmittel-Samm^
hingen müssen durch Ahbililungen, Mudelle u, dgl m, vermehrt un^
jede Weise dafür gesorgt werden, dass neben dem Verstände auc
Sinne heschiltYigt werden**
In vielen enghsehen < olleges, ebenso wie in manchen Schulen*
Schweiz und Schwcilens limlet man Werkslatten für mechautsche Hand-I
arbeiten» in denen die Schüler die Gelegenheit erhalten^ sich im G^
brauch der I lande und Werkieuge lu üben. Wenn diese Einriehttmgpn
richtig geleilet werden, so bereitea sie den Zughngen grossem Ver-
gnügen und noch grtksseren Nulzen, indem sie ihnen die für im prak-
tische Leben unenlhebrUche Gesohicktichkeit verschaffen, Welebn
jjmunervuUen Anblick bieU^ Mtaneber Gidehrte, Richter o<ler Geisthchv»
der kaum im Stande isl, einen Bleistift zu spitzen, ohne da^ er äch
in die Finger sjchneidet! Fi ist bemerkenswerth, dass solche Figumi
fast nur in Deotsehhuid und jenea Landern vurkommen, in dtrim
1'beil der Jogenderoehmif gtetUoli übersehen wirtL
Endlich regt die Ov^gnnisalion der Gymnasien zu d r I rau^e »^
ob e$i vom p&dagoftsohen Standpunkt richtig und zweckmassig er^< heinil
Knaben von 10 Jahren mit Jünglingen von 19 Jahren in <! r> H>i
Schule au vemnign und sie der gtoidieii Oboiplin, den gleichen üe-~
pelzen zu nnlinrerfeB. In Saddenisciihnd und Üät€rn*ich wurde d«
Qjmuiaaial-CiirsiKa früher in zw«! HUftfla getheilt und för jede de
aelben eine beeeodare SchoWAiislall enkhleliS in Italien ist die^ no
jelil d«r nOL* Die Kintlüilng in etai Ote^ ond Inter-Onnmiäia
hal inr VomiMMug. 4»m ift jeiw dieeeff teiden Anstalten ein
« T. Uvmmk Im ML Aitk IST»« U. a — W, Fuoimxm im P«d. Ai«lt.
Ne^ 1« -- J. RfMEXiaaz^ Oit VmbShUmt^ Mum ITintiiiitimiludiwin im Piii
li<ta^ EL 4. -> LiaMa la dar laltihr ^m Vansua 4müMdMm lag«Diaiiia,
« Äacli 4«r iHriiirini Bmmmmrat. ail<fcg 4m TfrfcjwJImwa aber
geschlo^enes Lohrziel yerfol^t und erreicht wird. Sie bietet den Vor-
theil, dass sie für d'u^jenigen Scliüler, welche das üvmnii.^iuni verlassen.
bevor sie dasselbe absolvirt halven, ainen natürlichen harmonischen
Abschluss schafft; sie werden auf die^e Weise davor bewahrt, dass sie
mit einer abgehackten unbefriedii^enden Bildung ins Lehen treten. Zu
gleicher Zeit wird damit ein vernünftiger Anhaltspunkt für die All-
gemeinbildung Derer gegeben, welche sich dem niederen Beamten-Dienst
widmen, eine Fachst^hule besuchen wollen u. a, m.
Wenn dem Unter-Gymnasium die x\ufgabe ertheilt wird, in einem
fünfjahrit»:en Oursus den Schüler im Gebnmch der Muttersprache zu
üben und auszubilden, wobei das Stadium einer zweiten Sprache» z, B. der
lateinischen, unentbehrlich erscheint, mit den Element-en der Ilathematik
und den wichtigsten Thatsaehen und Lehren der Reliirion, Geschichte,
Geographie und der beschreibenden Naturwissenschaften bekannt zu
machen und durch den Zeichnen -Unterricht in der sinnlichen Be-
obachtung zu festigen , also mit einer formalen und sachlichen
Allgemeinluldung auszustatten, sollte in dem Ober-Gjmnasium der
humanistische öd<'r realistische Charakter der Geistesbildung einen deut^
liehen Ausdruck erhalten.
Dasselbe konnte derartig organisirt werden, da&s diese beiden
BJchtungen in Parallel-Klassen vertreten werden, deren Schüler in deu
meisten Lehrgegenständen, z, B. in der Muttersprache, in der Religion^
Geschichte und Geographie, den modernen Spraohen und Zeichnen, ver-
einigt und nur getrennt werden, damit die eine Abtheilung in der
griechischen und lat^einisehen Sprache, die andere in der Mathematik
nnd den Naturwissenschaften unterrichtet wirdJ Ähnliche Einrichtungen
bestehen, z. B. an den dünischen, schwedischen und norwegischen
Gymnasien, Doch müssen den Abiturienten dieser l>eiden Abtheilnngen
des Oher-Gymnasiunis selbstverständlich die gleichen Rechte gewährt
und der Zutritt zu siimmthchen Facultäten gestattet werden.
Wahrend in den meisten Culturst^aaten durch gesetzliche An-
ordnungen dafür Sorge getragen wird, dass die Ärzte eine allgemeine
wissenschaftliche Vorbildung besitzen, denkt man nirgends daran, wie
wichtig es ist, dass nur gesunde Menschen sich diesem Beruf widmen.
Es erklärt sich dies aus der Vemachla.ssigung, welche die körperliche
Erziehung in unserem modernen Cult urleben überhaupt erfahrt.
In der bayerischen Medicinal-Ordnung v. J, 1808 wurde befohlen,
die Eeorganbatioo der liöhereu Schulen zu Grande gelegt wurde, welche vom j
Ifi. April bis 14. Mai 1849 in Berlin stattfundcii, verlangte eine solche Eiiinchtimg,
■ Th. PüscHinANN IM düT DeutsL'lii'ii raedicimi<ch«n Wochent*clint'tj Berlin
1888, No. 49, — E, KiNDFLEiscn in der TÄgl Rundschau 1887, No, 209.
da Kif]pai tnd der SuM*'
MmBbI äa4 oder ikr eine nvoUluiiiuiieiK iider Mikr*
[ktftii »iiiMitilUgtiil UegeB, ioOlai fom £todim der BaOnud« ilw
Verden; dcwi m wniat \m der Untcssiidiiuig und Beliandluiii?
lUmkfm imd Aberluiiid tn ilii«r genainlam meükbeo Tkalagto
li, unuMkgm den tggrtiiedia« «MdüdiaB finfitoea nti
\äMA Hiebt im HUnde^ den erbollbüi Segen m itiften. Zum Smdiiim
Uedidn und der TUtigkeü des Aiztei gehM ein geennder naj
' kiiftiger KiOipftr. IK« KimkMI rerbiitcrt dw Gemitli nnd nabt iliso
Lebemomtli; wie nathwifndig bmnriit diaüen der Arzt Ar mh and für
Andere! 8etne Seelengtimmtuig spiegeU aeh oft in dem Befinden wmf
rKnuiken wieder«
Ihff Sindieogang *yf Medieio^ Int sieb duioh die Of^woiinlieit
Lttnd die wueenschiftljeben BedArfnisie in den einsegnen liindern
^lieb s^dcbnrtig gcetnltel. Er beginnt mit den Naturwieeeoiduiftei]^ dea ^
HOK^nannten HilbCachem und der Analamic und Pfaj^iiologiey nohtet
.lieb ftleo zonäeh^t auf 4cn Bau und die I ' ^^q des 3! ' und
'neine SIettiing in <lir N^iMir Der Sin itoilt« • . (Ift
Vomchiile HO dele naturwtä^n<ichafUich(! KenotiiL^äe mitbring^D, Am
**r ni<:ht g*'nr»tlii^t mr*\, an «1<t Univemtät mit den Elfmenkn d^iJ
ilmcrnlu^if, Botnaik uihI ZfKvlifine zu InF^^nnen^ Kondem sich »laraufj
lieHehränkim darf^ diBHi* Wi«ipnschaft<^n m ihren Bezii*himgen xur M«*<licii
zu btftrai^htirrL
Da i\ii* I'hjüik und ChtruH- am Oymna^um nur oberflächlich be
rührt werden können, die Kenntniü^* auf <li43sen Gebieten für AätH Vefi
«iliindntHM dtT oinzelncn Theilo der Hf^ilkund»* unentbehrlich t^ind, \mi
dif r<Mi^h<*n L<*hrini!l*'l der Huchnchule die best** Gelegenheit zua
Htudiiim dprM**ll»f*ij bif?t<?n, »o muHs .sich der Studierende der Medic
damit Hi'hr untr^'hBnd heHnhüftigon,
liie Aiiiiti^rnie üjkI i^hy^iolo^ie mni gl<ichsam die Grund8ila1e
der ärxtlioheii Bildung, Sie müssen mit erschöpfender GründJichke
lM'hjiinli*ll und Küwohl durch di<' mit iJemon^traliunen und Experiment
vurbuudeiK'u Vt»rtrttgo al« durcli die Betheilij^iig an pmktiji^GhoQ
heiteri zum dauernden geintigen Kigenthum des Schülers gema
werden* Die Betrarhiung der anutoniisi^hen Verhältnis«« Vom ve
gleiebenden, (.»»iMigiupliiHchen mui ehmirpsdu-n SUindpunkt controUijj
und tiefet Igt (lii>i in den Vr»rleKnn|(en über syntcrnjitische Anati*mie uc
durch die iSfcir-Übiingen erwurbne Wissen, und die Histologie Te
vollHtj'indigt oü in Bezug auf d<*n feineren, nur mit dem bewaflneti
Auge erkennbaren Bau der einzelnen Theile des Körpers. Wenn die
Phjsiiologie im Hinblick auf ihiv hohe Bedeutung für die praktische
Heilkunde gelehrt wird, so wird dadurch das Interesse des Studien^ndeu
für die Thatsacheu tlieser Wissenschaft we^entlieh erhöht Mit der
Eiubn ülogie schhes&t drr i rsie Theil des mediriDischeD Studiums, der
sich mit den normalen Verhältnissen und Zuständen des Körpers hefasst,
Bt^im Studium der i^igentJichen Heilkunde gilt es zunächst, eine
Einsicht in das Wt'S^^n d<'r Krankheiten und KrankbeitszustTnide zu
^gewinnen. Die Vorlesungen über allgemeine und speciidle Pathologie
geben Aufschluss darüher. Die pathrdogische Anatomie zeigt die für
die Krankheiten charakteristischen Veränderungen an der Leiche, und
die experimenteüe Pathologie lehrt ihre Entstehung und ihre gegen-
Lijeitigen Beziehungen.
W^ Leider ist es an manchen Hochschulen dahin gekommen, dass die
[ theoretischen Vorlesungen über die inneren Krankheiten, die Chirurgie,
Ljkugenhcilkundf» Geburtshilfe und andere TheOe der praktischen Heil-
^^unde !ur unnöthig gehalten werden. Allerdings mögen breil aus-
gesponnene, ins Einzelne gehende Vortnige darüber auf Anfanger einen
verwirrenden und ermüdenden Eindruck machen; für sie ist eine kurze
gedrängte Übersicht der wicbtjgsien That>sachen ausreichend. Aber
diese i«t unerlässlich, bevor der klinische Unterricht beginnt, dem die
weitere Ausführung des Lehrstoffs überlassen wird.
Auch müssen demselben die Collegien über Arzneimittellehre und
Pharmakodynamik, allgemeine Therapie, Diätetik und Balneologie voran-
gehen. Sehr zweckmä^ssig ist es, wenn die Studierenden die Herstellung
der Bei*epte in einer Apotheke oder einem pharmaeeulischen kibora-
t4:»rium praktisch erlernen, wie dies in dem Keisingerianum in München
der Fall ist.
Der diagnostische Cursus und die propädeutische Klinik machen
den Studierenden mit den gebrauchiichen Untersuchungs-Methoden be-
kannt und lehren an einfachen, leicht zu durchschauenden Fällen, wie
die Krankheit erkannt und behandelt wird. Die propädeutische Ivlinik
füllt eine Lücke aus im medicuiischen Studienplan, ist aber wohl nur
an grossen ärztlichen Schulen ein unumgängliches Bedürtniss und lässt
sich auch nur dort einrichten, wo man ül>er ein grosses Kranken-
material verfügt und die Menge der Schüler eine Trennung derselben
in mehrere Abtheilun^en wünschenswerth macht.
Die chirurgische Klinik setzt ausser Anderem die Kenntniss der
chirurgischen Instrumente und die Ferhigkeit. in der Anlegung von
Verbänden voraas und verlangt, dass der Studierende die Ausfuhrung
der Operationen an der Leiche lernt und selbst übt. Für ilie Ophthal-
604
SoMi»9&hetraßhifmff0n,
niiatrische Klinik ist die Bekanntschaft mit der Anwendung d^^ Ausn*ii-
spiei^els und die Betheilif^nj^ an rinem Opemtions-Corsirs nnthwt'n%.
Die geburtslnlfUilien Kenntnit^se werd«:^n in der di^^sem Zweck ^mi^
meten Klinik und durch die Operation.s-ÜVmngren, welche am Plianl^nu
veranstaltet werden^ erwork*n, Di*r Besuch der Special -Klinikern %
Psychiatrie and Nervenleiden, Huntkrankheiten und Oeschlecht^ikidpn^
Erkninkungen des Kehlkopfes und des (lehörofju^ans, ffir KinderkT;ink.
heilen u. iL m. müssen den letzten Semestern der Studienzeit vorlH/haltfii
bleiben.
Die Studierenden der Kliniken scheiden sich in AuscultÄnten iijiA
Prakiikant^'n, d. i. in Anfanget, welche am Unterricht nur einen reoe|»*
tiven Äntheil nehmen, und in Vorgeschrittenere, die bei der Unter*
suchung und Behandlung der Kranken nutwirken. Die letzteren er^.
halten Geletjenheit zur fortdauernden Beobachtung der Krankheitslülli
und werden dadurch mit den kleinen Verrichtungen bekannt gemjicht
welche zur KraukenpHeye ir^dioren.
An den klinischen Unterricht schliesst sich die poliklinische Thiiti!
keit an» welche den Üt>ert3:an[r zur arztlichen Praxis bildet» Wo
poliklinischen Instituten ein Theil der Armenpraxis ül»ert ragen ist, )
der Praktikant dadurch die Ansprüche kennen, welche an den bebandelnta
Arzt gestellt werden, und gewinnt jene Sicherheit in der Bt*ürtheilai
der Sachlage, ilie für seine selbststrmdig*? Wirksamkeit nothwendig
In das Ende der Studienzeit gehören femer die Vorlegungen ül
gerichtliche Metlicin. Hygiene, Sanität^polizei und Medicinnlgesr'
Medicinalstatistik, Thierheilkunde und vergleichende Medicin.
Bühe Geographie und Geschichte der Medicin.
Bie Iieiden letzten Unterricht^gegenstände werden nur noch
wenigen Hochschulen gelehrte Wahrt^nd die Juristen, Thajlogen, PI
lotogen, die Architekten, Künstler, Officiere, kurz alle höheren Berul
klassen sich eifrig mit der Geschichte ihrer Wissenschaft oder Kum
beschäftigen, glauben die Arzte* in ihrer Mehrzahl» dass sie aus
Geschichte der Heilkunde nichts lernen können. Sie wissen nicht,
viele Entdeckungen utul ErHndungen nnchnnils gemacht werden miu^
weil sie im Verlauf der Zeit vergessen worden waren; die Geschic
der plastischen Opemtionen bietet ein drastisches Beispiel dafür.
Aber das Studium der Geschichte der Medicin ist nicht Mos
die ärztliche Forschung nützlich und nothwendig; es hat auch ein
* Die Thierärzte in Deutschland mOsseii seit 1883 ihre Kenntniflse in
Geschichte ihrer Wiadeaschafr im Examen zetgeu; aber von ihren hoher atehtfod
Collegen, welche dem Menecheti ihrtr ärztliche Fürsorge widmen, vcrUngt
keine derartige historische Bildung,
boben ethischen Werth för die Erziehnng des Stadierenden, indem es
ihn Achtung und Bewunderung vor den Bestrebunt^en und Leii^tungen
untrer Vorfahren lehrt, und es vervollständigt, endlich seine AUgemein-
' ' tnng^ so dass er die3 Dins:fe gleichsam von einer höheren Warte zu
schauen vermag. Es ist daher eine Pflicht der UnterrichtsV»ehorden,
diesem Fach eine wohlwollendere Außnerksamkeit zu widmen, als dies
hisher geschehen ist.
Noch vor wenigen Decennien wurde Geschichte der Medicin an
den Universitäten zu Berlin, Breslau, Halle, Königsberg, Grcifswald,
Marburg, Göttingen, Heidelherg. Wftrxlmrg, Erlangen, München, Strass-
bai*g, Bern, Prag und Wien gelehrt, und heut sind es höchstens zwei
oder drei derselben, an denen noch Vorlesungen darüber gehalten oder
vielleicht auch nur angekömiigt werden. Gbwohl Männer, wie Brücke,
j>r Bois-Reymont:i, ( -harcut, Helmholtz^ HviiTi., Virchow, Wonder-
ucH, ZiEMssEN u. A. auf den Werth und die Bedeutung der Geschichte
der Medicin hinweisen, unt<Tlasst man es doch, die Schüler darauf auf-
merksam zu machen, und erachtet es für iiberflüsisig, Lehrer dafür zu
«erziehen und anzustellen. Selbst Billroth, der es einst ^,frir eine
Din^nsache der grössoren mediciniscben Facultaton f^rkMrte, dass sie
dafür sorgen, dass Vorlesungen über Geschichte der Medicin in ihren
Katalogen nicht fehlen"/ sieht jetzt darin nur eine fiberflüssige Deko-
! ithin und tritt dagegen auf, dass der Lehrer dieses Faches ein voll*
Iftrechtigtes Mitglied des medicinischen Professoren-Collegiums ist, weil
er die Arbeitsleistung desselben nicht für ebenso gross als diejenige
der Vertreter anderer Fächer hält. Aber die Aufgabe des deutschen
Professors besteht nicht allein in der Lehrthätigkeit; er muss auch als
Forsoher an der Erweiterung und Vertiefung seiner Wissenschaft ar-
beiten. Hier erwartet den Historiker der Medicin ein weites, noch
wenig bebautes Feld der Thätigkeit.
Auch die medicinische Geographie, welche als ünterrichtsgegenstand
mit der Ge.schichte <ler Medicin verbunden werden kann, stellt dem
Lehrer und Forscher eine Menge von Aufgaben, welche bei dem zu-
nehmenden Verkehr mit fremden Welttheilen zur Lösung dningen.
Es ist schwer, zu bestimmen, in welcher Zeit die ärztliche Fach-
bildung en^orben wird. Dies hängt von der Begabung und dem Fleiss
des Studierenden, den Lehi^kräften und Lehrmitteln und manchen an-
deren Umständen al).
Wenn dem studierenden bei der Auswahl der (Vdb^gien kein Zwang
* Th. Billrotii: Lebren und I-,enM»ti der metlielniiscbeii WiAseiiAchaftcn,
Wien IÖ7«, Ö. 80. — Wietier KUniachc Wochenschrift, 1888, No, 8«, e. Dec.
506
aiilt^rk'jrt xmA die» Freiheit gelaa^ien wird^ seine Kenntnisse zu erwerb
wie uiiil wo LT will, KU wird dabei vorausgesetzt, dass durselbe als tui
n(iiifri;;i:er und besunnener Mann den Ratlischlägen, die ihm in
JlinmLdiL von SachvenstätHlip^^n ertheilt werden, Folge leistet Wmn
i\\m aber aus llriverstand oder Leichtsinn unterlÜHSt. so hindert
nichts daran. Die Folgen zeigen sich in den Lücken »einer ßildtu
zu deren Ausfüllung ihm vielleicht in seiner späteren Studienzeit
(irle^^^enheit felill. (jcsibitht r^ erst in der ärztlichen Praxis, so mm
die Kranken, welche ihm in die Hände fallen, dafür büssen.
Nir^'ends wirkl die ununischninkte Lernfreiheit so schiUlIiQ
in dem StutÜnm der Me<liein: denn hier werden dadurch Ge
und Leben der Menöcheo aufs Spiel gesetzte In einzelnen Londei
und zwar gerade in solchen, welche sich freiheitlicher Iit
rühmen, hat man deshalb auf die Lernfreiheit verzichtet un : ;uj
djerenden der Metlicin einen Stndienplan vorgeschrieben^ welcher goniti
eingehalten wird* Auch in Deutschlaml und Ost^^rreich ist dieselbe
wenigstens .soweit eingeschränkt worden, dass von den Studierenden ki
der MeWung zur Prüfung der Nachweis verlangt wird, dass er durrli
mehrere Semester die wichtigsten Kliniken besucht hat. Es wsire zw**cl-
massig, derartige Bestimmungen auch für andere Theile des medicini-
Hohen l nterrichtj*. welche für die äntliche Bildung unentlH^hrlich mi
lu erhiÄsen. Oder ist es denkbar, dass Jemand di»^* Anatomie und
Ph>}4iologie auf andere Weise, als durch tue persönliche ünterweuMing
eines Lehrers, erlernen kann?
Dringend geboten ist es, da<s die Studierenden regelmä^dg tmd
aafiuorksam am Cnterncht Theil nehmen und den Lehrstoff in dch
•nfnehmen,* An kleinen Hochschulen, wo Lehrer und Schüler «idk
peirtnlich näher treten, en^iebl äch die^ von sidbst; die Gefahr, Ja-s
dii Sludteruadisa dem ruterrieht fem bleiben, ist vorzugsweise nur ob
gnMMi üniwvsititen vorbanden. Doch ist eine lontroUe der StudeiUi u
hier n\ r Srhimcigkeileii veriwiideii, daai man davon abstehen raosA.^
Uiv i,it^fi^ J^XJnUmfkU wtrden fesiehert, wenn die Studimn-
den durth gikgitttlMie Vngm mt iikti?en Theilnahme daran hvmu-
ffim|M WQftdteiii wi^ cltee% jetti in «le» mit praktischen Dennmstmtiout^n
t^rtondann Vkc^eni gdniMsUieh ist Nii«h mehr wird dazu beitrat
wf»nu im utimiltillriitHi AmeUiw m 4ie Voriesnngen am S<^hhiss jd
^ IHo Kl«gc<B ^^ ^B* «BregelBiMigai Bestidi der Varicsnagen
MhtfT ^b^^am^mnig «k hmM. SAtm Vio^. »Ai:tB «rklijte: .«Die Stud«
•r!>r ' M-H in für CM^^m mt^ 9Am mt kmmmKm tachi htDcin.^' 8. Orük
AI Arm» JiM lt»l, a lO.
Woche ein Disputatorium veranstaltet wird, bei dem die Stnitierenden
Gegenwart ihres Lehrers oder meines Assistenten den Lehrstoffy der
Bten vorgetragen wurde, bei<prechen und über Irrthümer und Dine^e,
ie ihnen unverständlich gelilieben sind, aufgeklärt werden. Diese mehr
ach der iSchule als naeh der Akademie geart-ete P'orm des Unterrichts
at sich an den militiinirztlichen BiMungsanst*^lten bewährt und ist
ii an den Universitäten eingeführt worden, wo sie in den philolo-
ihen, historischen und Juristischen Seminarien, in den Wissenschaft-
ichen Kranzi^hen und Vereinigungen geübt wird.
Dem gleichf*n Zweck wird es auch dienen* wenn es dem Studie-
renden ge^stattet wird, mich der Beendigung des Lehr-Cursus über jeden
I7nterricht«gegenstand, al^so unter dem frischen Eindruck deaselben, vor
(dem Lehrer oder seinem Vertreter eine Prüfung abzulegen. Die Zeug-
nisse, die ihm darüber ausgestellt werden^ würden ein werthvoller
iBechenschaftshericht über seine Studienzeit sein und den Examinatoren,
welche über seim^ B+'tTihigung zur arztlichen Praxis entscheiden sollen,
ein vorlauhges Urtheil über seine fachmännische Bildung gestatten.
Die ärztliche Approbations-Prüfung mus9 sich über alle Theile der
Heilkunde erstrecken und jene Summe von Kenntnissen verlangen,
welche für den Arzt unentbehrlich sind. Wenn nach dem Abschluss
des ersten, die naturwissenschaftliche Yortjildung umfassenden Abschnitts
der medicinischen Studienzeit ein Examtii über Naturgeschichte, Physik,
Chemie, Anatomie und Physiologie abgenommen wird, so sollte auch
die Bestimmung getroffen werden, dass Niemand zu den Vorlesungen
über die eigentliche Heilkunst zugelassen wird, bevor er jene^s Examen
bestanden hat Versäumt er dies, so raubt ihm die Vorbereitung dazu
später die Zeit, die er für seine ärztliche Bildung bedarf.
Bei den Prüfungen, welche der ärztlichen Apprubation vorausgehen
und nach der Beendigung der Studienzeit stattiinden, wird auf die
praktischen Beweise der Tüchtigkeit mit Hecht ein grosses Gewicht
gelegt; denn die Erklärung anatomischer Priiparate, die Vornahme von
Leichen-Sektionen, die Untersuchung und Behandlung der Kranken, die
Ausführung chirurgischer und gebnrtshilfhcher Operationen u. a. hl
bieten dem Candidaten tfelegenheit^ zu zeigen, da^ er von dem ärzt-
lichen Wissen, das er sich erw^orben hat, den erforderüchen praktischen
Gebrauch zu machen versteht*
Die Fragen, welche dabei gestellt werden^ streifen vielleicht auch
die übrigen Kenntnisse das Prüflings; aber sie sind zu sehr von zu-
tälligen Umstanden abhangig. als dass sie zu einem sicheren Urtheil
über seine ärztliche Gesammtbildung genügen. Dazu ist ein mündliches
Schluss-Examen nothwendig, welches die Ergebnisse der vorangegangenen
praktischen Prüftingen ergänzt und berichtigt und alle Fächer in
tracht zieht.
Zu Examinatoren in den einzelnen Prüfun ^gegenständen sin
ohne Zweifd Per^^jnen, weicht- darin als I^hrer wirken, mehr
als 8olcb<*y die di*ni betrertendc^n Wi^.sensg»d>iet femer stehen. Nur
diLssell^ vollständig beherrscht, weisis passende Fragen zu st*»UeJi uml
den WiTth der Antwurten richtig zu heurtheilen, * Es ist daher am
beist.en, den Ijelirer-rullegien der medieinisehen Facultüten und Schulen
das Prüfungsgeschaft zn fiberlasjsciL Doch verlangt es die Aulfihtat
des Staates, das,s er als Mandatar der Uesellsehaft auch diesen Zweig
der Unt^rrichtsverwaltung iUxTwachfc und dafür Sorge trägt> dasfs Ante
gebildet werden^ welclie den Aufgaben ihr^s Berufs gewachsen mi
Damit erli^digt sich zugleich die Frage, üb die Ärzte in Bildungv
anstalt^*n» welche vom Stallt gduitet werden, oder in .solchen, die Ton
ihm unabhängig sind, erzogen werden sollen. Dem Staat inuas in J64«ii
Falle diT Kintluss auf das Studien- und Priiriin«:8wesen zugesJtanctai
werib^n, d* n it im Interesse dur Bevr4k(/rung ausul)en mam.
Wenn es sich bei der iirztlicht^n Approl>ations-Prfifung hauptsäclüioh
darum hjiudtdt, festzustellen, oh der Prüfling die für die ärztliche Praxi«
nitthweudigo Hefiibigung Iwsitzt, so solUe man bei der Verleihung des
Doktorats hüber«! wissenschaftliche Anforderungen stellen und verlAugen,
da.ss der Bowerber um diese akadi'inische Würde seine äntlichen (Kol-
legen an Kenntnissen übermgt. Die Prüfung, in welchtT er diea^B
Nachweis führt, wird dahor in die einzelnen Disziplinen der Heilkunilt'
tiefer idn^rehi-n und auch manche Fächer (»erühren, welche, wie x. B.
die Ge«;rhichtc der Medicin und die medirinische Geogmphie, in der
A^iproluitions-Prüfung nicht berücksichtigt werden, weil sie für die ar^
liehe Bildung stwar wünschenswerth, aber nicht unentbehrlich siiiAj
I>esgleich<*n muss darauf gesehen werden^ dass als Dukt4»r-Dis
tittionen nur Arbeiten angi^nommen werden^ welche einen wis.^ngoha&^
liehen Werth besitzen. Mit Recht hat man fast überall aufgehört,«
verlangen, da<*s sie in lateinisc^her Sprache geÄchriebon werdt*n; dfl
„in dem ausgetn^tenen Geleise dieses m «einer modenien Gestalt
armten Idioms verbirgt sich trefflich die eigene Unklarheit der
und die Dürftigkeit der Gedanken; G^raeinpUtze^ die im deut
Gewände unertriiglich waren, klingen doch etwas Tornelimer in
Int^init^chen l inhüllung% wie J. t, Dr>LLiKaBR schreibt-
Wenn <ler medicinische Doktor-Titel eine Ausxeiehnung für
SobafUiehe Verdienste* ist und die geiistigi^ Elite de« Ärztlichen St
' PaimKLLi: Discours d«m ^Ukäm ^ m^decine« Paris 1916» p. :il.
* J. V. IX^u43i«iic: Dte UotrcrsHftteii mimI nod jefest Mtiischaii 1007, ü H.
bezeichnet^ so darf man verlangen, dass die Erwerbung desselben eine
uneriässliche Yarbedingung für Jeden ist, der eint^ hervorragende
Stellung im ötl'entlichen Sanittitsdienst, im militrirärztüchi'ii Corps oder
in der J^eitung eines Krank(^iihauses anstrübfc oder die Lehrliiäli|yrkejt
an einer medicinisohen Facultäfc oder Schule ausüben wilL
Im Übrigen sollte die letztere Jedem freistehen, der auf irgend
einem Wissensgebiet verdienstvolle Leistungen aufweisen kann und
dadurch sowohl wie durch seinen Charakter die Gewähr bietet, dass
er der Anstalt, au welcher er wirken will, zum Nutzen und zur Elire
gereichen wird. Wenn durch die Anstellung und Bef>oldung der Lehr-
kräfte^ welche die Vollständigkeit iler rirztlichen Bildung erheischt^ für
die nothwendiij^eu Bedürfnis^st^ einer uiediciDischen Schule gesorgt worden
ist, kann es ihr nur wünschenswt^rth iin<l vortbeilhaft sein, dass der
Vnt^rricht durch Gelehrte, welche sich freiwillig und ohne Anspruch
auf Entgelt der Lehrthätigkeif. widmen, bereichert wird. Der Privat-
Docent erhält nur das Recht., zu leiiren, darf aber nicht dazu verptlichtet
werden, so lange er nicht einen bestimmten Lehr- Auftrag hat und
damit eine Lücke im Lehrplan ausfüllt Seine Thatigkeit bildet die
Vurbereituug für das Lehramt, zu welchem er, wenn er sich als Lehrer
und Forscher auszeichnet, später berufen wird. Aber dieses Ziel wird
nur von Einzelnen erreicht; denn dazu gehört Geist^ Geduld und Gehl
Wer über diese drei Dinge nicht verfügt, sollte darauf verzichten, einen
Beruf zu ergreifen, der ihm nur trügerische Hoffnungen vorgaukelt,
deren Erfüllung er vergeblich erwartet.
Mit Recht werden bei der Besetzung der erledigten Professuren
vorzugsweise die Privat-Docenten berücksichtigt; denn dadurch sichert
man sich vor der Gefahr, dass Derjemge, w^elchem das Lehramt über-
tragen wird, dazu nicht geeignet und betahigt ist. Es ist ein Wagniss,
Jemanden damit zu betrauen, der in der Lehrthätigkeit noch keine
Übung und Erfahrung besitzt
Geringe Berechtigung hat ilie Scheidung der Professoren in ordent-
liche und ausserordentliche j wie sie an tien Hochschulen Deutschlands
und anderer Länder übhch ist Die ausserordentlichen Professoren
stehen den ordenthehen im Range und in der Besoldung nach und
haben ausser dem Titel oft kaum irgend welche Vorrechte vor den
Privat-Docent*?n. In diese Kategorie werden die Vertreter der sogenannten
S'ebeniächer, fem er einzelne Lehrkräfte, welchen die Ergänzung und
Vervollständigung eines Haupthiches obliegt, und jene Privat-Docenten
eingereiht, die den Professor-Titel ak Beb)hnung für ihre Verdienste
erhalten haben.
Ohne Zweifel liegt eine Ungerechtigkeit darin, dass man einen
ÖIO
iiöhhiäßbeiradliungen.
Lt^hrer dafür be^^traft, dnm er seine Kr^ft^e einem rnterrichtsgegeogland««
widni<4, welcher nicht zu d*'m täglichen Butt des Berufs gehurt. Wtnnl
68 sich dabei um Aläinier hiindelt, die zu den Zierden der Wijftsonschaft ^
zählen, so ist ejü nicht blos hart, sondf'm auch unverniinftiisr,
Hollt« ihre selbstlos^^n Bestrebungen anerkennen und fordern, niclif
durch un^erechtL' Knuikun^en herabsetzen und h"ihmen.
Gegen die Gleichsteliung der Vertreter der NebenfTieber mit iku-,
jenigen der Hauptlacher wird geltend gemacht, dass ihre Lehrt hat i^teil)
nicht in demselben Grade in Anspruch genommen wird; aber die^lh^J
kann doch nicht gleich der Arbeitsleistung eine> Tagelehners nach i^
Zahl der darauf verwendeten Stunden abgeschätzt werden. —
Vor Allem ist eg sehr schwer, zu bestimmen, welche Discipline« 1
fier Heilkunde als Nebenfächer im medieiniscben l^nterricht^plan vi
betrachten sind. Früher wurde sogar die Gelturtshilfe, die Augenheil-j
künde und die pathologii^che Anatomie dahin gerechnet Die Meinanga
sind getheilt^ ob manche Zweige der' Medicin, wie z. B. di*" Histelogi«,^
die gerichtliche Medicin, die Dermatologie^ die Larvngologie u. a. nt*
als Haupt- oder Nebentacher gelten müssen. Es wird dabei auch auf
die Verhältnisse der Schule ankommen; denn es ist selbstverstiinilliö
dass medicinische Facultäten, wie diejenigen zu Pari§, Wien oder li«rli|
nicht mit dem gleichen Maass gemessen werden dürfen, als kleiB
ärztliche Schulen. Hier muss auf manche Einrichtung, auf mancji
Lehrkanzel verzichtet werdi^n, die dort nothwendig und unenttrehi!
lieh ist.
Schon der Frankfurter Congres^s und der JenjKT Beformvere
verwarfen die Eintheilung der Professoren in Ordinarien lind Exla
Ordinarien und erklärten. das3 es vemunftgemäas nur zwei Ivlassen
akademischen Lehrer geben soll, nämlich Professoren und Priv
Doc^nten. Die ersteren üben die Lehrt hätigkeit im Auftrage der Schd
aus und werden dafür besoldet; die letzteren bet heiligen sich dan
aus freiem Willen und erhalten für ihre Dienstleistungen keine
Schädigung. Damit ist keineswegs ausgeschlossen, dass einzelnen Fm
Docenten als Anerkennung ihrer Leistungen der Professur-Titel verliel
wird; doch dürfen sie dabei nur dem Namen nach, nicht aber
Bange und in den Rechten zu Professoren vorrücken.
Die Professoren bilden im Lehrer-Collegium, welche« die
gelegeoheiten der Facultät oder Schule leitet und besorgt Jedes Mit-
glied desselben hat bei den Berathungen und Abstimmungen die gleichem
Becbte, mag es der Vertreter eines sogenannten Hauptfaches odifl
einer engbegrenzt^n Specialität sein ; denn über allgemeine Unterrichte-^
Angelegenheiten kann sich Jeder von ihnen ein ürtheil bilden,
iSchlussbetrachtungen. 511
in Fragen, welche ein einzelnes Fach angehen, wird die Meinung des
Sachverstandigen den gebührenden Einfluss ausüben.
Durchaus unbegründet ist die Befürchtung, dass durch die grosse
Zahl der Mitglieder des Lehrer-CoUegiums „das Interesse an dem 6e-
sammtwohl der Facultat abgestumpft wird". Die Verhandlungen der
Parlamente, in denen Hunderte von Volksvertretern aus allen Theilen
des Landes zusammenwirken, zeigen, dass dies möglich ist, ohne dass
dadurch „die Einheit des Handelns aufgelöst wird". Viel näher liegt
die Gefahr, dass bei einer kleinen Mitgliederzahl des Lehrer-CoUegiums
die Verhandlungen einen familiären Charakter annehmen, und persön-
liche Rücksichten mehr, als es dem Interesse der Gesammtheit ent-
ijpricht, ins Gewicht fallen.
Die Überlegenheit des Geistes, die Eigenschaften des Charakters und
die wissenschaftlichen Leistungen rufen zwischen den Mitgliedern eines
Collegiums Unterschiede hervor, welche eine wohlthätige Wirkung äussern.
Ebenso natürlich und berechtigt sind die Verschiedenheiten in der
Besoldung der Lehrer; die Verdienste um die Wissenschaft, die Erfolge
und die Dauer der Lehrthätigkeit kommen dabei in Betracht Dagegen
sind die übermässigen Ungleichheiten im Einkommen der Professoren,
welche durch die Collegien-Gelder geschaffen werden, nicht zu ver-
theidigen; denn die Zahl der Hörer hängt hauptsächlich davon ab, ob
der Unterrichtsgegenstand für die Prüfung gebraucht wird, und ist
nur selten das Verdienst des Lehrers. Trägt er eine Wissenschaft vor,
welche geringe Verbreitung findet, so wird er, selbst wenn er eine
glänzende Rednergabe, eine machtvolle Persönlichkeit und einen Welt-
ruf besitzt, nur einen kleinen Kreis von Schülern um sich sammeln.
Die Studenten sind genöthigt, in erster Linie diejenigen Studien zu
treiben, von denen sie die Begründung ihrer Lebens-Existenz erwarten.
Sie deshalb eines verflachenden Materialismus anzuklagen, ist thöricht;
denn sie erfüllen damit eine Pflicht gegen sich selbst und gegen ihre
Familie. Aber nicht weniger sinnlos ist es, wenn man die Lehrer,
welche auf diese Verhältnisse keinen Einfluss besitzen, dafür belohnt
oder bestraft, indem man ihnen grössere oder geringere CoUegien-
Honorare zuweist.
Diese Ungleichheiten lassen sich auch kaum durch eine etwaige
Vermehrung der Arbeitsleistung rechtfertigen, wie C. Hasse gezeigt
hat;^ denn sie verändert sich nicht wesentlich, ob 2 oder 200 Zuhörer
anwesend sind.
Die Einrichtung, die Collegien-Gelder den Lehrern zu überweisen,
^ C. Habse: Die Mängel deutscher Universitätseinrichtungen und ihre Besse-
rung, Jena 1887, S. 28 u. ff.
int auch vom «ethischen Standpunkt verwerflich. Der ideale Beruf in
Lnhrers wir4 hiraUgesetzt , wenn iVw geschsirtliche Seite desHeü^eu der-
artig in den VMrdergrund tritt ,,Man spiegelt sie uns zwar aU dii«.
jeuige Belohnung vor, Jiuf die da^ jLrlückliche Talent de?* iha^u
Mannes übenill In der Gej^iellsehaft einen unluvstritteneu Anspruch bt
Allein es Lst dies keine würdige, sondern eine herabwurdiy:ende B«*-
lohnunfj<: des Lehrers.^* ^
iH^r Stuiil. hitt die Pflicht, diesen ZuvStanden ein Ende zu machen.
Er darf verlan§:en, dass die Schalgelder, welche die Besucher der von ihw
unterhaltenen Unterneht.sanstaltun zahlen, zum Besten derselbt^j ver-
wendet werden. Wit'vit-I künnte zur Yermehrnng dfT Lehrmittel, zur
Unterstützung wissensehaftlicher Arbeiten, zur Erhöhung der B<v
soldunieen und überhaupt zur Heilung des i^ro^sen Fehlers _ ' ' n.
an welehem, wie Waltkk I^kkky im englij^chen Unt^rhau- i i -^
die deutschen Univert<itäteu leiden, nfimlich des Mangels an «Jeld, Wänii
diu Kinnnbmen aus den Collegien-Gfldern zu solchen Zwecken m-
wendet würden? —
Eine weise ünttwehtspolitik wird die Ldsung dieser Frage an-
balinen, mit Sehüriung der tTW(>rl>enen Rechte des Einzelnen '
führen und sich diidurch den Ihuik fies deutlichen Volkes Vfni
welches seine Universitäten liebt und jeden Schatten, der ihr rwine*
Bild trQbt, schmerzlich emptindet.
Keine Hienschlichc Einrichtuiig ist frei von Mängeln. Im ßingeii
nach Verbciiserung und Vervollkommnung des Bestehenden liegen did
AufKuben des LelH*ns» Auf welchem Gebiet ist dieses Streben
mehr berechtiget und geliuten, als dort, wu es sich um die Erzieh'
der Arzte handelt^ von deren Wissen und Können die Gesundheit
das Lehen der Menschen tibhiinjt^t?
„Da*^ kostbarste Kii[Htai der Staat4?n un«! der GeseUschaft ist
Mensch* Jedes einzelne Leben repnisentirt einen bestimmten W
Diesen zu erhallen und bis an die unabänderliche Grenze mogU
intact zu bcwabren, dies ist nicht blos em Gebot d^^r Humanität;
igt auch in ihrem eigensten Interesse die Aufgabe aller Gemeinwe^eiL'^
Mit diesen Wurten verkündete der früh verstHrbene. unglückliche K:
prinz Rudolf von Österreich eine Staatspohtik, »lie wie das Evangelil
der Zukunft klingt.
' H. J. V, Wes^enbkko: Die Reform der deutscheE Universitäten, 2.
Wünburg 18H6, S, 89. - Aticli P. Piukk (ä. a. O. VI, Th, 1, 8. 290 u, Cl ^n
Blch gegen die Collegien-Honorare aus. Die Gründe, welche der Minister
UnuKo. in dor Sitzuog des Öeterr. Afageordn.-HäUBes vom 28. J&nner 1376 dAfdt ]
brachte, konnteii mich von der Zweckmässigkeit dieser Einriotilung nicbt Ul
AbÄiio. Pietro v„ 171*. 237
Abdatia Sürneeiinü 108.
Abdd'Lfftif 137. 147. 1
Abderrliamau 135»
AbrlU 169. !
Ahercrombie 395. 1
Aberuethy 415.
Abulfora^ 13 U 137.
Abulknäem 138. 189. 140, |
HL
Achilleiis 31. I
Acbilliiri 247. j
Ackcrmaim 317. |
Adalberoii 167. |
Adala 168.
Adalbert v. Mainz 179.
Adaiisou 3H9. I
Addison 395,
Adelmu-s 171.
Adlwid ed Daula 14Ö.
AegiJiiiB V. Corbeii 170.
177. 180,
Aeuea-H S^-lviiu 242,
Aei*ehririii 79. 84.
A^tiu* VIS.
Afflttdius 172. 177,
Agathias 133,
Agenio. O. 206.
Abrate, M, 271,
Ap-icola, G*?org 246.
Agricola, Riid, 243.
Aliron 133.
AichholtÄ 275,
Aicrel, Job, 210.
Alberti 249. 271.
Alberllm 30S. 333,
Albertus Magnus 237.
Albiüiis 79.
Albinus, B. S. 337. 338.
385.
Albrecht V. von Bayern
261.
Alcain 161. 163. 164.
PvacH^tJkKif , I7at«rricbt
Alexander von Macedo-
nieu 15. *>l. 62.
Alexander { von Damas-
kus) HO,
Alexamler8everu8 83. 1 10,
Ul.
Alexander Tralliauu!* 128.
Alexander III,, P:ib.-.t 235,
Alexander VI,, Fubüt lb9,
Alexippoä 5S,
Alfuns VIII. V. Spanien
194,
Algizar 143.
Alhazeu 136.
AU Abb&s 133. 151.
Ali Ben lasa 146,
Alibert 395,
Alkibiades 43.
Alkinaui 132.
Alkmaeon 38,
Alkon 106.
Alphanu3 167, 177,
Alpini, P, 254.
Ainici 382.
Ätnmann 304.
Ammianuä 63, 96.
Ammoniod 68. 96. 98.
Amontona 293.
Ampere 380.
Auaxagoras 39.
Andral 388, 394.
Andreas von Karystna 67.
Andromacbaä 89. 111.
An^licust Cardinal 187.
Anjüu, Carl v. 219.
Annesley 395.
Anflelmus von Hivelberg
179.
Anthimus 156.
AutonintiÄ Piuä 95, 109,
Autyllua 97, 99,
Apollon 29. 73,
Apollonius ^6.
Apnlejui 128.
Aqmtpendeiite , Fabrizio
ab 249.
Arago 291. 380.
Aranzio 249. 258,
Arcbagatbos 75. 110,
Arcbelaos 43.
Arcbimattbaeus 171. 177,
AreulanutJ 201.
Ardeni, J. 226. 229.
Arotaeu^ 93, 94, 128, 428.
ArfvediäOD 37 -S.
Ar^'elata. Peter v. 2 LO. 225.
Ariätopbanea 33, 43,
Ariäjtüteleö 39, 44. 45, 48,
49. 61. 65. 88. 133. 134.
245. 280. 38 L
Arktinoä 30.
Aselli, G. 299. 337,
Asklepiadea 75—77. 88.
Aaklepba 29—37. 42, 44.
73,
Asoka 14.
Afitruc 214, 317.
Athenaeus 79.
Attalud III, 69,
Anenbrugger 308. 392.
Augustia, Quirieuä de 212,
Au^titiiä 109,
Anatriffildis 160.
d'AvelTino-Caraceiolo 362,
Avempace 151,
Avenzoar 138. 140, 153.
Averroe« 138. 151. 152,
Aviceuna 138. 140. 151.
152. 201. 279.
i^
Baccbios von Tanagra 67,
ßachtiseUua i;i4. 145, 153,
Bacon, Roger 237,
Baeon von Verulam 284
318. 319. 364.
Badia 300.
Ä^ter.
515 B
OM lU 72. 74. U. 8S.
Constantia AfHcannd 166«
Devmanti 838. ^^^^
123. 157.
177.
Dhanvantari 11. ^^^M
Cavendish 288. 375.
Copho 170. 177.
Diadu9 106. ^^H
CavoiirMU 398.
Corra 146. 153.
Dieffenbacli 403. 404. ^1
Cellini, Benvenuto 2*1 1.
Corradi, A. 207.
Diogenes 39. ^H
Diokles von Karyätus 66. ^^1
Cekws 68. 78. S5. »6. 98.
Cortona. PiiHro da 33«.
100, 103. 173. 229. 253.
Conifiruä Diom. 283.
Dionis 314. 356. ■
428.
Cortesi 256.
Dionysios 43. ^M
Gelte»» Conr. 243.
Corvi, (x. 237.
Dioskondea 90. 128. 16 L H
CeftÄljiiiii 24fi. 26^*.
Con-iÄart 392. 394. 436.
^^M
Cw, Ferl<-ricro 82l>.
Cotiigno 298.
Dodonaeua 26 t. ^^H
Ce«io, C. 3H6.
Cowper, W, 297.
Dodart, D. 301. 304. ^^M
CKabsw 16,
Crftsi*a8 75.
DdlUnger 366, 372. ^^H
Cbalid Beil Jmhi 132.
Craiiac-h, Luea.^ 243.
Döllinger, J. v. 413, 508. ^^M
Cbaniberli'ji 315.
Crato von Craffthf^im 283.
Dolaeus 311. ^M
Cbaiiak 135.
Croiistedt. A. v. 368.
de Dondi 237. H
Cbaraka 6-13. 135.
Cmikshüiik 377.
Donatus 160. ^1
Cbarcot 505.
Cruveilhier 395.
Dorothea Sibylla v. Brieg ^M
Cbnrmi* 105.
Cullen 382.
357. H
Cbaroiifias 56.
Ctunano. M. 225.
Douglas, J. 296. ^^M
Cbassaiprna»' 4Öl.
Curio 279.
Drakon 43. ^^H
CbauUac, Guv v. 203. 20«.
Ciirrie 311.
Drebbel 289. ^^H
2Uh 224. 228. 229. 230.
Ciisanus, Nieol 246.
DrüliDCOiirt 298. ^^H
231. 238.
Cnvier 372. 373,
Ibn DäehoM^ichol 141. ^^M
Chaiisder 383.
CrniÄ 16.
du Boid'Keymond 505. ^^^H
Cbeirou 29. 31.
Czolbe 367.
Duuhonne 395, ^^^H
Chesel.lfii 314. 315. 836.
Dürer, Albreeht 243. 271. ^^B
Cbevalier 382.
Da{?ueiTC 881.
Dufay 292. 339. ^
Cbianigi 395.
Dakon 376. 377.
Duma« 378. 388. 404. ^^M
Cbildebert 125.
Damokratea 89.
Dupuytren 403. ^^H
Chirac m)0.
Dante 237.
Durand 98. ^^H
Cbladiii 382.
Daran 314.
Du^e 316. ^^M
Cbopart 313. 401. 436.
Darember;? 244. 447.
Dutrocbet 370. 388. ^^M
Christisoll 408.
Danuä? 16. 38. 56.
Duttbagamini 14. ^M
Clirysippo^ ^4. 65.
ObfWjlaras 241.
Darwin, E. 383.
Duveruey 298. 304. 305. ^^M
Darwin, Ch. 374.
^^M
ChrvsostoiDUä 123.
Daschkow 493.
^^^^1
Cicero l. 75. 240, 422.
Danbenton 339,
Eberle 388. ^^M
Cium 314.
Da viel 315.
Ebers 17. 18. 21. ^^M
Ciriale 314. 403.
Davv. IL 377. 378. 400.
Echter, Jul v. Wörtburg H
ClauiUus 112, 123.
Dciscb 358.
263. ^^M
Ch'lan.l 405.
Deleau, L. 405.
Egeberg 403. ^^H
Ehrenberg 372. 886. ^^H
Chvmeufl V., Pabst 183.
Delpecb 403. 404.
Cletntnis VI., Pabet 216.
Deuietriug 111.
Ebretirttter 335. ^^H
Clemot 403.
1 Demc;triiisvonApame*67.
£ir 157. ^^H
Cbcciuet 400.
Cockbani 308.
Demetrius Pepa^omenus
Elinus 168. ^^H
129.
Eliot 432. ^^H
Cole. W. 299.
Demokedea 3S. 56.
Elisa 25. ^^H
Colombo, R. 250. 270. 274.
Demokrit 40. 76. 318.
Elolathea 38. ^^M
298.
Demosthenes 100.
Else 312. ^^M
Fr^re Cöme 314.
Demours 298.
Empedoklea 39. ^^^H
Com modus 8U
Deroldns 167.
Ennana 16. ^^^H
Conitt% A. 367.
Desault 433.
Eurictts de Padua 168. ^^H
de Condillac 318.
De^cartes 291. 818. 390.
Epikur 88. ^^M
CoMolJy, J. 396.
De^fossee 398.
Epimarch 38. ^H
Conrad von Schiverstadt
Deaideriue 167.
Epione 30. ^M
198.
Despars. J. 237.
Epiphantus 63. ^M
Coming 330.
Deventer, H. v. 314,
Erasi^tratos 64—67. 78. fl
Constautin 83,
van Deyl 382.
Erasmiia v. Rotterdam 243. ^M
51Ü
Ertetufi 279. |
Ermcriii» 4ö.
Eros 103.
Ernirds, Ch, 336.
EBchaM^riaux 4Sd.
EMmrot Mb,
Eetiettne, Cb. 27L
dEBtootevUle, Catdiiifll {
230.
Endefnoe 07, i
Endemiis (der Phil««o|»b) ,
SO.
Eaelptstus 90.
Eaeoor Sd.
Euklia 134. 422.
Eoler, Leank 291,
EmiapMs <0*
Empodcft 48. 44. 4iS.
finr^kMi 42.
¥M6U lU, 125.
Falffkti« S12.
Ptbrf ▼. HOden SIS. S50L
FalocttlMit 293.
fklcoeei X'kc. ^7.
F^Ofpim 24dw 274.
riÜKt S»5u
FkBSii» lOS.
fteimi S14.
fkradbj 278. 2S0L
FMwrSiT.
194.
FMincftd, der Kaik^
Ibd« 207.
f^R&MBd IL VW IMid
291.
Fem» 2M.
Ft>di9CMkle% T. 434.
FMteiM.
FlMPcr SU.
ff^HMM «NL 29«.
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P^MlBtmSdiiiiitlilSgL
Fcntrr S71.
FviImsi^ 30«.
Fottcrur t7C 42S. 49C
F^villeS^
FrftnkUn 293.
Franz I. voa Frankreich
262. 277. 2m.
Fraunhofer 38 L 382,
Freif!aiik 26^?.
Freind 128. 160, 317.
Frerichs 395.
Fn^A 291. 3$L
Fried 358.
Friedrich L, Kaiier lft5.
205.
Friedxkh IL, Kaimt 174.
170. 162. 185. 200. 204.
219. 224, 25«.
Friedrich^ der WdM^ !«•
Sochfen 202.
Froriep 5^7.
Fockt, C. H. 395.
Baiatmap 8>09.
Gakii 18. 25. 45. 65. tf<.
09. 79^99. 19«. 104.
105. 111.112.121.1».
12S. 122. 137. 10L 103.
170. 174. 201. 298L 204.
210L 247. 250. 258;. 279.
S29. 80& 899. 429.
Galild2».29iL
Gma 8991990.
Galfid, Jok t9€L
6«IIqC 488.
G«H VItm dl 198. 201.
287.
10«. 171.
290. 8181
GMKr297,
0^^842.
^Affity 887.
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^n. 87«. 880.
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107.
179.
GiMlf 100.
14.
GbdflQM 409.
GkolM 207.
GhuMM 101«
OfankiM Sa 00.
GliMom 200. aO«L SQL Ht "
GiBCÜB 070.890.
G0Uis 191.
66iwdbi«ir 187,
GM» 470W
G^>cA« 180. 84& 800.1
GonkB 287.
Gcffpai 90.
Grsai: B. de 287.
d^ GnMlibii* 210. 237.
Gr»efe, C. F. 44M.
Grade. iL T. I
Grapfattti t B
230. 287.
Gtmf , Sc 292.
Gtegotn 310.
Gregor t. Naiiaiit 11
Gra^or T. Toms 120.
Grc^iH^f Jf. 291.
Gtew 205w
Gfieitii^g^ 890.
GfÜbo 250.
Giiouldi 291.
Gfinund 883.
Gfwdnbea 408.
GfWMT 817.
GoAbieil A. 237.
Gumntt, B«bMca 149.
Gumcke, O. v., 289. 292.
Gii|;ik!]fliim 2S5.
QvgMriBai de Bonornt
108.
GogUau» de BaTq;»
108.
Gnidi 271.
GvtlletticM, J. 257.
Guilloiin 433.
G walvr v, Aadenmch 2%
Gmmaid 107.
Gttkbin 395.
Gittsoc 157.
100.
? Adftif TOD 1
den 322.
Gonciiberf 244^
GuroC 313.
109.
A. de 300. 842 344.
129. J
311. ■
Ehalfii 134. 151."
Register.
517
Hakim 136.
Hakim Bümrillah 144.
Haies, St. 299. 310. 370.
Halevy, Juda 178.
More Hall 291.
Halle 433.
Haller 166. 295. 302. 305.
310. 314. 317. 332. 337.
338. 342. 347. 382.
Ham 305.
Hamann 367.
du Hamel 288. 295. 370.
Hammer-Purgstall 143.
Härder 301.
Hare 423.
Harting 290.
Hartmann v. d. Aue 167.
180.
Hartnack 382.
Hartsoeker 305.
Harun al Raschid 134.
Harvey 298. 299. 305. 309.
415.
Hasse, C. 511.
Hauy 368.
Havers, Cl. 295. 336.
Hazon 334.
Hebra, F. 395.
Hedschadsch 132.
Hegel 366. 367.
Heinrich I. 163.
Heinrich VI., Kaiser 227.
Heinrich IV. von Frank-
reich 184.
Heinrich VIII. von Eng-
land 350.
Heister, Lor. 357.
Heliodor 97. 98. 99.
Helios 29.
Helm 388.
Helmholtz 382. 406. 505.
Helmont 287. 306.
Henke, A. 408.
Henle 386.
Henshaw 300.
Hensler 317.
Heraklides 68. 76.
Heraklit 39.
Herder 366.
Heribrand 163.
Hermann, J. 372.
Hermanus Contractus 179.
Hermann v. Treysa 19H.
Hermes 103.
Hero 96.
Herodikos 54.
Herodot 29.
Herophilos 64. 65. 66. 68.
Hesiod 29.
I Hesse 398.
I Heurne, 0. v. 341.
Heurteloup 408.
I Hewson 300.
I Hieronymus 124.
Hiffhmore 295.
Hikesios 67.
i St. Hilaire, G. 372.
Hildegard, hl. 165.
Hildegard, Kaiserin 160.
Himly 406.
Hippokrates 1. 29. 37. 39.
40—61. 96. 128. 133.
134. 161. 162. 163. 174.
201. 203. 222. 279. 329.
428.
Hisinger 377.
Hodgson 394.
Hoffmann F., 288. 306.
311. 324.340. 343. 348.
354.
Holbein, Hans 243.
Homberg, W. 288.
Homer 29. 58. 71. 422.
Hon^in 135. 158.
Honestis, Christoph de
212.
Honorius III., Pabst 235.
Hooke, Rob. 286. 291.
292. 295. 296.
Hope 394.
Horaz 72. 422.
Horekowicz, Dudith von
258.
Horenburg, E. 357.
Hrabanus Maurus 164.
165.
HrafhSweinbiömsson 158.
Hufeland 476.
Hugo 189.
Humboldt, Alex. v. 371.
377.
Humc, D. 318.
Hunczovsky 346.
Hundt, Magnus 210.
Hunter, J. 310. 315. 335.
371. 372. 373. 393.
Hunter, W. 297. 337. 338.
Huschke 385. 390.
Hutschinson, J. 389.
Hütten, Ulrich von 242.
259.
Huvgens 285. 291. 292.
Hygieia 30. 36, 73.
Hyginus 103.
Hyrtl 274. 505.
Jackson 400.
Jacobi 395.
Jacobus Evang. 126.
Jacobus Foroliviensis 201.
Jäger, F. 406.
Janssen 290.
Jaso 30.
Jenner 397.
Jesensky 275.
Ikkos 54.
Ingenhouss 370.
Ingigerd 158.
Ingvar 158.
Innocenz III., Pabst 191.
217.
Johann 163.
Johannes Actuarius 129.
279.
Johann v. Böhmen 184.
Joh. Friedrich v. Sachsen
263.
Jon 43.
Josef IL, Kaiser 336. 352.
353. 355. 361. 395. 450.
451.
Josef 166.
Josua 166.
Isa ben Ali 140.
Isidor V. Sevilla 129.
de risle, R. 368.
Ismael bcn Elisa 25.
Israeli 154.
Itard 405.
Julian 125. 128.
JuUus III., Pabst 265.
Julius von Braunschweig
263.
Juncker, Joh. 845.
Jussieu 339. 369.
Justinian 119.
Kafur 148.
Kallisthenes 58.
Kant 362. 366. 367.
Karl der Grosse 134. 160.
161. 163.
Karistadt 283.
Kameades 67.
Kasimir von Polen 198.
Kay, J. 350.
Kempelen 304.
Kepler 245. 246. 303.
Kergaradec, Lejumeau de
392.
Kerckring 295. 296. 305.
310.
KesraNuschirvan 120. 133.
Ketham 211.
de Keyser 338.
Kielmeyer 366. 372. 873.
Kieser 866.
^^H^l
^^H
IHH
^
Jiag%9ter.
5^^^^^_
^B Kirt^kboff 39 L |
Lelli, E, 38«. 1
Ludwig XVm T. PrtwlP^
^M Klttprotli 876,
LeraniiL-! 278.
reich 438,
^m Kl«-ii.. J, TIl tnn.
Uo XIU Pab«t 4ftt.
Lrjrrz, IL 198. 286, ^
^H Kloinr 21»H.
Leo Africanus 134* 150.
Luther 239, 2^7. 288. ^M
^H KUtikonch 295.
Leopold, Kaisrr 320,
Lyell 373. ^M
^H Klop^tock 32S.
Leopold V, V, Östenvkb
Lykuri^ 58. ^H
^H Kiiox 423,
227.
Lykua 94. ^M
^B Köhler 32.
L^psius 17.
^^H
^H K«:$Hikor 8H6.
Leijuifi, Nie. 314.
Hac Dowell 407. ^1
^^H Konr 15T.
Lerov d'Etiolled 403,
Macer Floriduä 165. ^M
^M Koiirailp König 17t,
Lessing 328. 366,
Machaou 30, 31. ^M
^m KotiradfCiirdiiml 1^0,181.
Lenkippos 40,
Macmi 145, 147, 148, ll^H
^H Kopemikus 2ih.
Levas«eiir 438,
Magiri 2!^sr. H
^m Kopp 375,
Levret 316.
Mag:etiiUe 388, 890. ^M
^m Koyter 249. 271.
Leyer, G, 329.
Mapiuu 111. ^H
^H Krämer, \V. 405*
Loy8*3rt A. 28U.
Ma^u^ 378. ^M
Mfthan 1S4, ^M
^H KnUevaj^ 09.
Libanivis 117.
^^H Kriit;!iMiHtcin 304.
Libüvitij* 287,
Mahon. P. A. 0. 48$. ^H
^H KrinaK 106,
Lirbteti^toiii 371,
Maimunidcs 189. 140. li^l
^H Kti'^iu.^ 42.
Lirb.TkObii 335.
178. ^M
^H Kn}iknv4?)n 46.
Lit^bi^^ 379. 388. 400,
Malaeanie 387. ^H
^H Kimkul 2iiH.
Lioutaud 332. 838.
Malj^ighi 285, «86. SI^H
^H Ryper, A. 84 L 84^.
Link 369,
296. 297. 299. 800. 84^H
^^H
Linn6 286, 810. 868,871.
305. ^H
^H Liibro.'kso 33d.
l^ionurdo da Viiioi 242.
Malus 38 K 1
^H Ljieojjte 433.
246. 270. 271. 293,
AI Mamun 134. 185, j
^H Lur taiiHuH 245.
Listrauc 401,
Manfred 177. ^H
^H Laihill ral, J, HH7,
Littr*'* 46.
Maiikah 135. ^M
^H Laeniirc 392,
Li vi 113 Etitvcbu» 111,
Müidiub Cornumd 105.^H
^^M Lii^nna 255.
Lnbsteiii 393.
AI MauHur 133. ^M
^^M Ltiii'oHHe^ Grrard de 336«
Locktr, J. 318.
Mantiji« 67. ^H
^m Liiiimrck 372. 373.
Lou|fiiui8 128,
Marat 433, ^H
^H Lainbiill*\ Jobrrt de 407,
Lonieonift, Adam 285.
Marbod 165. ^M
^H Latnrffn<* m\h
Lornun, Claude 317,
MarceUu» Eiiipiricua l^H
^H Lrtiiri^i 297\ :i()8, 309, 810.
LoficbiUÄ 326.
Marehc, Marg, de 1« 8^^
^H :t;iH. 342. 346.
Lotzo 307.
Marcbcttis 302.
^H J^iiiiiVatidii 224. 225. 228.
Loui^ 312,
Marcus Mnrci v, RromlflO^J
^H Lati|;i\ R A. 319.
LouiH, P. A, 895.
^M
^H LuiiLM'iiberk 404.
^H Laplaco 290. 3H1.
Lüwer 296.
Marcus Atitouius 75. ^^^
I^uriati 98.
Marcus Aureliiid 80. ^H
^H Lnnx^ 401, 402.
Lnoiu8 80.
MHr^'schal 348. ^M
^H Lji^kam. K. 241,
Luerez 76. 107.
Mari^-jUTaf 288. ^M
^H La^ttfi 436,
Lnder, P. 242,
Maria Thrrefta, KiÜ9«^^|
^H Lathuin 394.
Linlwi^-, Ch. G, 308,
]H
^m Latiui, Br. 237.
Ludwi;,' der Fromme 160.
MariauuB 133. ^^^^|
^H l^titreillo 372,
Ludwi«' dor Eiiifi«ltii^
Marileif 160. ^^^1
^H Lavoiaicr 27^9.375, 878,488.
167.
Mariuu^ ^^^^1
^M Leftke 357,
Ludwig IX. V, Frankreich
Mariotte 2h9. 290. WH^H
^H Lc Blou 337,
205,
Manstauia, Ibn el I47^^|
^H Lodere. DiHi. 317.
Ludwig XL V. Frankreich
Mai^hall Hall 390, ^M
^H Li*derc% L. U9.
268.
Martial 95. 103. 10«. ^M
^H Le Drau 313.
Ludwi^^XIL V. Frankreich
MardanQs 205. ^H
^H L«*riiwonbook 2H6. 29Ä,
277.
1 MArtiii Vm Pabttf 195. ^H
^H 29tj. 297. 299. 3lH), 305,
Ludwij^r XIIL V. Frank-
1 Martin v \V.I7..,> 19|^H
^H
reich 339, 340,
1 Marti uez ^^M
^H Li^i^Hliois 3^9.
^H LeFimanu 38$.
Ludwig XIV. V. Frank-
1 Mascapu ^^M
1 reich 182. 314. 32L
Mtv^ua 124. ^H
^^^ Uibnitf 305. 318, 819.
Ludwig XVL V, Frank*
1 ^larthvseu 402« j^M
reich 345,
Mauuclerille, Joli. r. W^M
Reffüter,
519 ■
' Maimis ni
Monte, G. da 278.
OberbäuBer S82. ^^|
Maximiiian T., Kaiser 262.
Monteggia 4»>7.
fkldo, M. 278. ^^^1
Maver, J, R. Hfci9.
de Möirtespai) 356.
0<)bin ^^^1
Mavor 392.
MoTitgelas 463.
C^ernted 366. 380. ^^H
Mavow 302.
Morand 313.
Ohm 380. 382. ^^^B
Mazaa 168. ITO.
Moreaii 402.
(»ken 366, 373* ^^^H
Merkel 372. 303.
Morel 312. 395.
OIvmpios 98. ^^^H
Medici, Coeimo v. 274.
Moreland 292.
^^^1
Medici, LoreojEO de 190,
Morgagni 310. 336. 388.
Ona.^ilo.s 58. ^^H
Medici, Maria v. 356.
Morley, David 179.
OHila 408. ^^^1
Megenberg, Kuiirat v, 237*
Morveau , Guytou de
Onba^ius 128. 156. ^^^1
■ Mefbctn 297, 330.
376.
Origine» ^^^H
Moses 22.
OrlamluB 188. ^^^H
Mottawakl 146.
Orosius 118. ^^^B
Mein 398.
Mouliij, A, 299.
Ortolf V, Buyerland 238. ^M
MeisÄiier 30 H.
Mozart 366.
Ogeibia, Ibn Abu 134. ^H
Melanehthon 239. 263. 283.
Miiawija 132.
138. 141, 146. 148. ^H
MelancbtlioD, Siegm, 279.
Müller, 0. F. 372.
Omander .358. 407. ^^^1
283,
Miiller, Job. 372. 3$6. 390.
Otbrnan 130. ^^^H
Melefiug 129.
393.
Orbmar 126. ^^^1
Mcnde 4t>s.
Mulder 141.
Otto V. Griechenland 493. ^H
Menrlelesohn 152.
Munk 152.
Ovid 281, 422. ^^M
Menekrates 89.
Miirillo 317,
^^^^1
MenghiDi 300.
Mupa 109. 112.
Paaw, P. 249. ^^H
Menokritos 59-
MuBaiidinuB 177.
Palfyii 315. ^^^H
Merctiriftde 109.
MuK-io 88.
Pallas 371. ^^H
Merido, Fmhis v. 231.
Mnseubiä 267.
F'allavieiiii 205. ^^^H
Mer&enne 290.
Mu?sebeijbroek 293.
Palucci 355. ^^^H
Meeue 134. 146,
Myrepsrtä, Nicolaui 129,
Paiiakeia 30. 36. ^^^H
Metrodoros 38. 59. «5.
*212.
Pander 373. 386. ^^H
Meyen 3G9.
Fandnkabbayo 14. ^^^^|
Meyer, E. 90. 143. 153.
Pannni 404. ^^^^|
160. 1B.5. 166.
Nacbmanidea 178.
Pmivilliers 433. ^^M
Mezler 317.
Naegcli 370.
Papiu 292. ^H
Michelangelo 242. 270.
Napoleon I. 437.
Paraeebns 258. 259. 283. ^B
Michelet 314.
Nasse, Cbr. F, 395.
286. 306. 307. ^M
Middeldorpf 401.
Nebsecht 21.
Pare, A. 251 , 252. 253. 254. H
Mirevelt, Midi. 338.
Nees V. Esw'ubeck 366,
255. 257. 281. 312. 313. ^M
Mtstichelli 301,
Neckam, Alexander 165.
Park 313. ^^M
Mithridntes 68. 60.
Nero 111.
Parrbasios 270. ^^^M
Mitseherlifh 378. 379.
Newton 290.291. 293,303.
E'aHcal ^^^1
MittellHiiiBer 358.
NieepboniB 134,
Passarotti, ß. 271. ^^^H
MoeL-^en 317.
Nicbol 358.
Patroklos 31. ^^H
Mohammed 130. 152.
Nicbob^ui 377,
Paula 124. ^^M
Mohama^ed Ben Ali Ben
Nicolatis 160.
Pauben 328. ^H
Farak 15J.
Nicolaus Praepositus 177.
Paulus Aegiueta 129. 173. ^H
Mohl, H. 369. 370.
212, 230.
253. ^M
Mobs 368,
NicolauB IV,, PabÄt 182.
Pecquet 289. 299, ^^^H
Moldeidiawer 369.
NieolauB V., Pabet 242.
PeOetier 398. ^^^1
Moli^re 362.
Niepce 381.
Pelops 79. 84. ^^H
Molyneax 299.
Nikander 68,
Pen kies 43. 242. ^^H
Mommsen 102,
Niketas 129.
Perranlt 304. ^^^1
Monde\dlle, Henri de 203.
Nikon 79.
Perry, W. 512. ^^H
224, 238.
Ninon de IXndoä 341.
Peter der Grosse 335. 49i. ^^^H
MomUuo 206. 210. 247,
NolU't 388.
Peters, H. 340. ^^H
Le Monnier 293,
Nufer, J. 257.
Petit 312. 315. ^^H
Monro 325.
Numa 72, 101.
Petrarca 178. 240, 281. ^H
Montana, Ben. 211.
Monfaigne 362,
Numesianus 80.
PetronceUus 177. ^H
Nureddin 147.
Petrofi 160. 166. ^H
520
Register,
Petrus Lemonensis 193.
Peucer, C. 283.
Peyer 296. 301.
La Peyronie 348.
Pfolapeundt, H. 227. 230.
Phaenarete 54.
Phidias 43.
Philinos 68.
Philipp (v. Akarnanien) 58.
Philipp der Schöne von
Frankreich 203. 225.
Philipp August V. Frank-
reich 170.
Philipp der Kühne 205.
Philipp Wilhelm v. Ora-
nien 313.
Philiskus 95.
Philolaos 38.
Philon 89.
Philostratos 54. 95.
Philoxenos 67. 96.
Photius 129. 134.
Piedimonte, Franc, de 237.
Pindar 29.
Pinel 383. 395. 396. 436.
Piorry 392.
Pirchpach, C. 283.
Pirkheimer, W. 243.
Pirogoff 402.
Pitcaim 300. 306. 421.
Placilla Augusta 125.
Platearius 177.
Piaton 43. 45. 46. 52. 54.
59. 60. 61. 88. 318. ,
Platter211.218. 261. 267. |
271. 273. 274. 275. 280. !
Plencicz 310. 345. 1
Plinius 67. 72. 78. 82. 99. I
101. 104. 106. 128.
Plössl 382.
Plutarch 72. 103. 107.
Podalirios 30. 31.
PoggendorflF 289.
Pois, Jean de 236.
Polybos 43. 44.
Polykleitos 44.
Polykrates 57.
Pontus 168.
Porta, G. 246.
Portal 317. 338.
Pott 314. 315. 415.
Pourfour du Petit 298.
Poussin, Nicol. 317.
Pravaz 399.
Praxagoras 64.
Prevost 404.
Priestley 375. 378.
Pringle 311. 342.
Prochaska 390.
Profatiua 181.
Proust 376.
Prudentius 118.
Psellus 129.
Puccinotti 166.
Purkinje 295. 386. 389. 406.
Purmann, M. G. 351.
Pyrrhon 67.
Pythagoras 38. 245.
Quatrem^re 143.
Qucsnay 300.
Quintus 79. 84.
Quittenbaum 403.
Rachid Eddin Ibn Aszuri
151.
Rafael Sanzio 242. 270.
Ragenifrid 166.
Ramus, P. 278.
Rauuccius 188.
di Rapallo, B. 253.
Rasori 382.
Ratlike 386.
Rau, J. J. 354.
Ray, J. 286.
Rayer 395.
Redi, F. 286. 305.
Regters, T. 338.
Reichert 386.
Reiff, W. 256.
R^jü, J. C. 383. 395. 476.
R«mak 386. 395.
Rembrandt 317. 337. 338.
Remelin, Joh. 336.
R(^uan, £. 419.
Renaudot, Th. 343.
Reni, G. 269. 317.
Renzi, S. de 166. 168.169.
219.
Reoval 160.
Reuchlin 243.
Reussner 307.
Rhazes 99. 138. 140. 146.
154. 201. 268.
Richardus 207.
Richelieu 343.
Richer 163. 167.
Richter, A. G. 353. 355.
Ricord 395.
Ridley, H. 297. 309.
Ristorio d'Arezzo 237.
Riva, G. 339.
Rivinus, Q. 296.
Robiquet 398.
Rochlitz, Dedo v. 227.
Rodolfus 167.
Roederer 359.
Röschlaub 882.
Röslin, E. 256.
Roger 174.
Rokitansky 367. 393. 395.
Rolando 173.
Rolfink, W. 332.
i Romberg 395.
I Rondelet 246. 273.
j Roonhuyse, H. von 315.
I 357.
: Rosa, Salvator 317.
I Rose 378.
i Rosenmüller 387.
Rossi de 271.
Rousseau 319.
Rousset 254.
Rubens 317.
Rudbeck 299.
Rudolf, Kronprinz von
Oestcrreich 512.
Rudolphi 372. 476.
Rueff, J. 256.
Rufiis 42. 84. 86. 93. 170.
Ruggiero 173.
Rumford 381.
Runge 398.
Ruysch, F. 295. 296. 297.
335. 337. 357.
Sabatier 434. 436.
Sabinus 263.
Sabur Ben Sahl 146.
Saladin v. Asculo 212.
Saleh ben Baleh 135.
Saliceto, Wilhelm v. 205.
224.
Salimbeni 205.
Salisbury, Joh. de 180.
191. 203.
Salles 433.
Salomon 24.
Salomonus Ebraeus 168.
Salvianus 118.
Samachschari 142.
Sanchez, R. 342.
Sanctorius 289. 301. 308.
Sandifort 338.
Sanson 403.
Santo, Mariano 253.
Santorini 297. 298. 336.
Sarto, Andrea del 271.
Satyrus 79. 84.
Savary 292.
Saviard 312.
Savigny 314.
Savonarola 237.
Scarpa 385. 406.
Schacht, L. 342.
Schaprout, Chasdai 178.
Scheele 288.
Ifefjistef%
521
Scheiner 3Ü3.
Scbclling 366.
Seberer 3öö,
Scheuehaer 369.
Sobiller 366.
Schimpcr 369.
Sohleiden 370.
Schmid, K. 165.
Schmidt, Ad. 355. 405.
Schmucker 312. 313.
Schneider, C. V. 295.
Schönlcin 394.
Schopenhauer 366.
Schrevelius, E. 341.
Schröder v. d. Kolk 395.
Scliultze, M. 386.
Sfhuke, J H. 317. 330.
Schwann 370. 386.
Schwtigger 378. 380.
Scipio Africanua 101.
Scottua, Michael 168.
Scoutetten 401
Seriboniut^ Ijargus 89.
Seckendorff 323.
Ic Socq, Rob. 282.
Sedillot 403.
Seebeck 380.
Seguin 398.
Seleucus 95.
Seleukos, Nikator 65.
Sclligne "M'L
St'ramelweiss 407.
Senac 296. 309.
Senebier 370.
Seneca 71. 107.
Scnfft 325.
Serapion 68.
Screnus Samonicus Qu.
128.
Sergius 80. 133.
Serrcs 395.
Sertürner 398.
Servct 248. 250. 258. 264.
281. 298.
Servm 282.
Scth, Simon 129.
Seuün 402.
Severus 80.
Soxtius Niger 89.
Sextus Placitua Papyren-
sis 128.
Siebold 357.
Siebold C. C. 325. 354.
Siegemund, Justine 857.
Siegmund, Kaiser 234.
Sigrdrifa 157.
Sigurdr 157.
Simon v. Genua 100. 237.
Simon, G. 407.
Simon, O. 403.
Srmpeon 400. 401.
Sims, Marion 407.
Sinclair 289.
Sivert 334.
Sixtus IV., Pabst 208.
Skoda 392. 394.
Slevogt 316.
Sloane, H. 339.
Snell 291.
Snorri Sturluson 158.
Sobieski, Joh. 335.
I Sobki 153.
I Sömmering 339. 385. 390.
I Sofia, S. di 209. 237.
I Sokrates 43. 54. 61.
■ Solano de Luques 308.
Solingen, Com. 313.
Sonncrat 371.
Sojitiokkj^ 43
Soranus 44. 100. 101. 118.
128. 163.
Sostratus 96.
Soubeyrau 400.
Soupart 401.
Spallanzani 301. 305. 810.
V. d. Spigel 249. 271.
Spinoza 152. 318.
Sprenffel 32. 166.
Spurzheim 395.
Stahl 288. 307. 824. 383.
Stainpeis, M. 201. 202.
211. 214.
Stalpert v. d. Wiel 811.
Stengel 329.
Steno, N. 285. 295. 296.
j 297. 298. 301. 302.
I Stephanus 132.
Sterne, L. 358.
! Stertinius 106. 111. 112.
Steubiiig 327.
Stevinus 289.
Stilling, B. 385.
Stobaeus 65.
Stobbe 330.
I Störck, A. 311.
I Stokes 394.
Stoll, M. 334. 338. 844.
345. 392.
Strabo 110.
Straten» W. v. d. 842.
Stratokies 95.
Stratonicus 79.
Stroraeyer 403.
Str>'k 328.
Suidas 81.
Susruta 7—12.
Swammerdam 286. 296.
300. 305.
Swieten, G. van 342. 344.
355. 449. 450.
Swift 319.
Sydenham 307.
Sy Ivaticus , Matth. 211.
237.
Sylvius 248. 281.
Svlvius (de le Boe) 306.
'307. 342.
Syme 401. 402.
Symmachus 95.
Symmachus, Pabst 217.
Tacitus 156.
Ta^liacozzi 255. 256. 404.
Talbot 381.
Taranta 237.
Tardieu 408.
Fartaglia 246.
Tcnon 433.
Tertulliau 76.
Tcta 21.
Tetulus Graecus 168.
Tcxtor 402.
Thaddaeus , Florentinus
185. 237. 268.
Thaün, Philipp von 165.
Theden 312.
Themison 77.
Thenard 378.
Theodocus 132.
Theodorich 120.
Theodorich II. 160.
Tlivodorus Priicbinus 102.
OB. 128.
Tlieokrit 64.
Theophanes 98.
Theophanes Nonnua 129.
Theophilus Protospatha-
rius 170.
TlieophraatOä 90.
Tbt;opompoä 41,
Thoa^alüs 43. 58. 84. 104*
Thibault 281.
Thilenius 315.
Thomasius 324. 328.
Thrita 28.
Thukydides 43.
Tiedemann 372. 885.
Timon 69.
Tizian 271.
Touche, G. de la 855.
Toumefort 339.
Tornamira 237.
della Torre 237. 270.
Torricelli 289.
Torrigiano 237.
Toth 17.
Toyubee 405.
522
Ilefjister,
Traube 392. 304. 395.
Tribumis 121.
Triller 317.
Tritheir.ius 243.
Trost, Com. 338.
Trotula 169. 174.
Trousseau 394.
Truchsess, 0. v. 2C3.
Trusianus 201.
Tryphon s\^.
Tudcla, Benjamin von
170. 179.
Tulp 315. 337. 338.
Ihn Tulun 147.
Turquct tlo Mayeme 287.
Uarda 21.
Ulrich von Wörtemberg
275.
Unger 370.
Valens 111.
Valentin 386.
Valentinian 111. 117.12«.
Valleix 395.
Valleriola 261.
de la Vailiere 356.
Vallisneri 305.
Valsalva 298. 804. 309.
338.
Valverde deHamusco271.
Varipnana, B. 237.
Varolio 249. 271.
Varro Terentiiis 78.
Vasco de Gama 260.
Vaiiciuelin 376.
Veiel 402.
Velasquez 317.
Velpeau 387.
Venel 314.
Vesalius 247. 248. 249.
250. 259. 271. 272. 273.
274. 275. 278. 281.
Vespasian 109.
Vetter 393.
Vicq d*Azyr 372.
Vieussena 296. 297. 298.
300. 309. 332.
Villanova, Amald v. 179.
230. 235. 237.
Vindicianus 128.
Virchow 122. 215. 217.
393. 505.
Visconti, G. 189.
Vitalis Ordericu« 167.
Vitolf 158.
Vogel, R. A. 345.
Volkmann 388.
Volta 377. 379.
Voltaire 318. 319.
Wagner, R. 386.
Waimar 166.
Walafridus Strabo 163.
165.
Waidenburg 389.
Wall 292.
Wallace 374.
Wallerius 368.
Walter, J. G. 335.
Walter 211.
Walther 197.
Wandelaer, J. 337.
Warner 312.
Weber, Ed. 389.
Weber, E. H. 388.
Weber, W. 380.
Weikard 325.
Weiss 368.
Weitbrecht 295.
Welcker 87.
El Welid Ben Abd-cl-
Malik 145.
Wentzel 315. 355. 405.
Wepfer, J. J. 297. 309.
311.
Werlhof 807. 824. 338.
343.
1 Werner, A. G. 368,
Wescher 59.
Wharton 296.
Whistler 307.
White 313. 402.
Whytt 303.
Wilhelm von Bayern 266.
! Wilhelm d. Eroberer 167.
I Wilhelm von Montpellier
I 179.
Winklcr, J. H. 292.
I Wilde, W. R. 405.
I Willan 395.
' Willis 297. 302. 303. 306.
307. 311.
I Wilson, E. 395.
I Winslow 296. 334.
I Wintarus 160.
I Wintrioh 392.
Wirsung 296.
I Wöhler 378. 379. 388.
; Wolff, C. F. 306.
' Wolff, Christian 319.
! Wollaston 377. 881.
' Wood, A. 399.
Woolhouse 315.
Worcester 292.
Worm, 0. 295.
Wriöberg 298.
Wunderlich 302. 393. 505.
Würtz, F. 282.
Wüstcnfeld 143. 144.153.
Xenoki-ates 92.
Xenophon 58. 422.
Yonng 381.
Yperman, J. 226. 229.
Zcrbi, G. 247.
Zcuxis «7.
Ziemsj<cii 505.
Zinn 21»8.